Das Erbe des Grafen Werritz - Irene von Velden - E-Book

Das Erbe des Grafen Werritz E-Book

Irene von Velden

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Beschreibung

Dr. med. Benno von Raupach stand in seinem Zimmer vor dem Spiegel. Während der Rasierapparat schabend über das braun gebrannte Gesicht glitt, blitzten sich die schwarzen Augen an. Und wenn Benno nicht gefürchtet hätte, sich zu schneiden, hätte er vielleicht ein lustiges Liedchen gepfiffen. Nun griff er zu dem blütenweißen Handtuch und wischte sich über das Gesicht. Gott sei Dank, endlich ein freier Tag. Hoffentlich kam nicht wieder in allerletzter Minute etwas dazwischen. In der letzten Zeit war wirklich ein toller Betrieb gewesen. Manchmal sah es so aus, als wollten sich die Menschen mit aller Gewalt gegenseitig umbringen. Unfälle, nichts als Unfälle! Benno zog das blütenweiße Hemd an. Es wurde Zeit, denn er wusste, dass Beatrix nicht gern lange auf ihn wartete. Sie konnte einen anfunkeln mit den etwas kalten grauen Augen, dass man ganz klein wurde, winzig klein. Der junge Arzt lächelte. Beatrix! Sie war eine Schönheit, seine kleine Braut – aber so schön sie auch war, so ungnädig konnte sie sein, wenn irgendetwas nicht so lief, wie sie es sich wünschte. Und es lief oft anders, als sich das verwöhnte Persönchen gedacht hatte. Als Benno gerade in das hellgraue Jackett schlüpfen wollte, schrillte der Hausapparat. Mit einem mürrischen Blick starrte er darauf.

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Fürstenwelt – 5 –

Das Erbe des Grafen Werritz

Unveröffentlichter Roman

Irene von Velden

Dr. med. Benno von Raupach stand in seinem Zimmer vor dem Spiegel. Während der Rasierapparat schabend über das braun gebrannte Gesicht glitt, blitzten sich die schwarzen Augen an. Und wenn Benno nicht gefürchtet hätte, sich zu schneiden, hätte er vielleicht ein lustiges Liedchen gepfiffen. Nun griff er zu dem blütenweißen Handtuch und wischte sich über das Gesicht.

Gott sei Dank, endlich ein freier Tag. Hoffentlich kam nicht wieder in allerletzter Minute etwas dazwischen. In der letzten Zeit war wirklich ein toller Betrieb gewesen. Manchmal sah es so aus, als wollten sich die Menschen mit aller Gewalt gegenseitig umbringen. Unfälle, nichts als Unfälle!

Benno zog das blütenweiße Hemd an. Es wurde Zeit, denn er wusste, dass Beatrix nicht gern lange auf ihn wartete. Sie konnte einen anfunkeln mit den etwas kalten grauen Augen, dass man ganz klein wurde, winzig klein. Der junge Arzt lächelte. Beatrix! Sie war eine Schönheit, seine kleine Braut – aber so schön sie auch war, so ungnädig konnte sie sein, wenn irgendetwas nicht so lief, wie sie es sich wünschte. Und es lief oft anders, als sich das verwöhnte Persönchen gedacht hatte.

Als Benno gerade in das hellgraue Jackett schlüpfen wollte, schrillte der Hausapparat. Mit einem mürrischen Blick starrte er darauf. Ach was, sollten sie doch sehen, wie sie einmal ohne ihn fertig wurden. Er hatte frei. Und er musste sich die wenigen freien Nachmittage wahrhaftig schwer verdienen. Der Apparat ließ ihm keine Ruhe. Und dann siegte doch das Pflichtbewusstsein in dem jungen Arzt. Wie sagte doch Professor Janus immer:

»Ein Arzt muss auf alles Persönliche verzichten können, wenn es darum geht, einem Menschen zu helfen, ganz gleichgültig, ob er gut oder böse ist.« Na schön, vielleicht war es nur eine ganz belanglose Sache. Aber er glaubte nicht so recht daran, während er den Hörer von der Gabel nahm und sich meldete.

»Hallo, Doktor? Gut, dass Sie noch im Hause sind.« Das war die Schwester von der Aufnahme, stellte Benno leise seufzend fest, bevor er fragte:

»Was ist denn, Schwester?«

»Ja, Doktor, es tut mir furchtbar leid. Aber soeben wurde eine Frau eingeliefert. Unfall! Und Sie sind doch der Einzige, der von der Chirurgie im Hause ist. Und da dachte ich …«

»In Ordnung, Schwester Klara, ich komme.« Benno dachte noch mit einer kleinen Wehmut an Beatrix, die sicherlich wieder mal wütend sein würde, aber dann zog er resignierend den weißen Kittel über, der am Schrank hing. Das waren eben die weniger schönen Begleiterscheinungen, wenn man sich in den Dienst der Menschlichkeit gestellt hatte.

Nach kaum fünf Minuten war er in der Aufnahme. Die Träger der Bahre standen an der Tür und machten ihm Platz, als er eintrat. Sein Blick fiel auf die Bahre, die sie abgestellt hatten. Eine schmale Gestalt lag darauf. Ihre Konturen zeichneten sich unter der grauen Decke ab. Benno schlug die Decke zurück und sah auf ein schmales blasses, wenig anziehendes Mädchengesicht. Die blonden Haare waren von Blut verklebt und hingen wirr in die hohe gewölbte Stirn. Die Lider, die fest auf den Augen lagen, waren durchscheinend und von blauen Äderchen durchzogen. Das Gesicht war so verschmiert von Blut und Straßenstaub, dass man nichts davon erkennen konnte.

»Scheint eine ganz anständige Schramme zu haben«, stellte er sachlich fest und gab den Auftrag, das Mädchen in den Operationssaal zu fahren.

Benno fragte einen der Krankenträger:

»Wie ist sie nur so zugerichtet worden?«

»Es ist uns allen unerklärlich, Herr Doktor«, war die Antwort. »Die Fußgänger, die dort standen, meinten, es handle sich um Fahrerflucht. Das Mädchen sei über die Straße gegangen, und da sei plötzlich aus einer Nebenstraße ein schwerer Wagen in einem tollen Tempo herangerast gekommen. Und plötzlich hätte sie da gelegen. Der Fahrer hat sich gar nicht um die Verletzte gekümmert, sondern ist, ohne anzuhalten, weitergerast.«

Benno schüttelte den Kopf und eilte der Bahre nach. Armes Ding!

Ruhig und sicher bürstete sich Benno seine Hände und fuhr in die Handschuhe, die ihm die Schwester hielt. Als er sich den Kittel hatte umlegen lassen, trat er an den Tisch, auf dem das Mädchen lag.

Die Wunde am Hinterkopf war ziemlich breit. Mit sicheren Stichen nähte Benno sie und legte einen kunstgerechten Verband an. Er glaubte, dass das arme Ding eine handfeste Gehirnerschütterung bekommen hatte.

Nach einer halben Stunde wurde die Verletzte in ein Einzelzimmer gelegt. Das wurde hier immer so gehalten mit Leuten, die man bewusstlos einlieferte. Sie sollten, wenn sie aus ihrer Ohnmacht erwachten, nicht von den neugierigen Augen ihrer Leidensgenossen beobachtet werden.

Benno stand gerade wieder an den blitzenden Nickelhähnen, als er an den Apparat gerufen wurde. Beatrix, dachte er ein wenig schuldbewusst, an sie hatte er in der letzten halben Stunde gar nicht mehr gedacht. Sie würde schön wütend sein.

Und das war Beatrix auch. Als Benno sich meldete, sprudelte sie gleich empört hervor:

»Sag mal, was ist eigentlich los, Benno? Ich warte nun schon seit zwanzig Minuten hier auf dich. Und nun sehe ich, dass du überhaupt nicht fertig bist. Die Schwester erzählte mir da irgendwas von einem Unfall. Aber das kann ja schließlich auch einmal ein anderer erledigen. Ich erwarte dich also umgehend.«

Benno fühlte, wie der Ärger in ihm hochkroch. Erst die Enttäuschung, dass er nun doch nicht gehen konnte, und nun machte ihm Beatrix auch noch ungerechte Vorwürfe. Deshalb klang seine Stimme ein wenig schärfer als sonst, als er erwiderte:

»Hör, Kind, allmählich müsstest du dich doch daran gewöhnt haben, dass ich nun einmal einen Beruf habe, bei dem nichts vorauszusehen ist. Ich kann noch nicht kommen, Kind, glaube mir doch. Ich bin mindestens ebenso enttäuscht wie du. Diesen Unglücksfall kann ich keinem anderen überlassen. Es sind nur noch Internisten im Hause, und die haben hiermit nichts zu tun. Aber das weißt du doch alles, Beatrix, ich habe es dir schon so oft klargemacht.«

»Ich bin es aber leid, mich immer vertrösten zu lassen, mein Lieber«, war die gereizte Antwort. »Schließlich bin ich jung und habe es nicht nötig, zu Hause zu hocken, wie mein Herr Bräutigam. Wenn du in einer Stunde nicht hier bist, gehe ich mit Will Sanders aus, damit du es weißt.«

Obwohl Bennos Gesicht sich, während dieser Worte gerötet hatte, antwortete er ziemlich ruhig:

»Ich kann jetzt hier nicht weg. Und wenn du glaubst, dass du mit diesem Herrn ausgehen musst, Beatrix, kann ich dich nicht hindern, obwohl du ja weißt, dass ich nicht für ihn schwärme.«

»Bitte, du kannst ja kommen. Ich gehe auch lieber mit dir aus«, war die unwirsche Reaktion.

Der junge Arzt sah ein, dass es keinen Zweck hatte, der Verlobten klarzumachen, was seine Pflicht war. Sie würde ihn doch nicht verstehen. Und deshalb legte er ein wenig ungehalten den Hörer auf die Gabel. Wirklich, Beatrix war zu egoistisch. Wie sollte das werden, wenn sie verheiratet waren und sie immer darauf bestand, ihren Kopf durchzusetzen?

Benno nahm sich zusammen. Er hatte jetzt keine Zeit für solche Gedanken. Er musste sich um das verletzte Mädchen kümmern. Und eilig ging er den langen hellen Gang entlang und verschwand hinter einer der weiß lackierten Türen.

*

Gabriele hob mühsam die Augenlider und besann sich, wo sie war und wieso sie hier lag. Das Zimmer schwankte noch bedenklich, und sie sah schemenhaft eine hohe weiß gekleidete Gestalt vor ihrem Bett sitzen. Instinktiv hielt sie die Hände abwehrend ausgestreckt. Aber dann erkannte sie, dass dieser Mann dort lächelte. Seine weißen Zähne blitzten in einem braun gebrannten Gesicht, das ein wenig übernächtigt wirkte. Der schwarze Haarschopf war wirr, und eine Locke schien ihm immer wieder in die Stirn zu fallen, um dann regelmäßig mit einem jungenhaften Ruck zurückgeworfen zu werden. Der Mann schien in ständigem lustigem Krieg mit seiner Locke zu stehen. Aber er lachte – und das wirkte ungemein beruhigend auf Gabriele.

»Guten Morgen, die Dame, ausgeschlafen?«, drang eine weiche Stimme an ihr Ohr.

Gabrieles Mund verzog sich zu einem Lächeln, sodass die blassen Lippen die kleinen Zähne freigaben. Benno staunte. Er hatte noch nie so ein hilfloses, rührendes Lächeln gesehen. Irgendwie nahm es ihn für die Patientin ein.

»Wieso liege ich eigentlich hier?«, fragte Gabriele leise, und ihre dunkle Stimme schwankte ein wenig. »Und wer sind Sie?«

»Eines nach dem anderen, meine Dame. Sie liegen hier, weil ein Auto Sie angefahren hat … Aber was ist denn? Ich habe Sie doch nicht angefahren. Was sehen Sie mich so erschrocken an?«

Gabriele schien seine Worte nicht zu hören. Sie sah entsetzt auf den Mann im weißen Kittel, der so nett lachen konnte und so munter war. Das Zimmer begann wieder zu schwanken, und Gabriele musste sich zusammennehmen, um nicht wieder in tiefe Bewusstlosigkeit zu fallen. Ja, jetzt wusste sie es wieder. Sie war über die Straße gegangen, und dann war da plötzlich ein großes schwarzes Auto gewesen. Ein Mann saß am Steuer, der sie höhnisch anlachte. Ja, und dann war es aus gewesen, ganz dunkel war es um die kleine Gabriele geworden.

»Es war kein Unfall«, flüsterte sie abwesend, »es war kein Unfall.«

»Aber was reden Sie denn da, kleines Fräulein? Sie tun ja, als ob Ihnen jemand ans Leder gewollt hätte.«

Man sah, wie Gabriele sich zusammennahm, um nicht die Beherrschung zu verlieren.

»Ich kann nicht hierbleiben, ich habe keine Zeit, ich muss …«

»Gesund werden, jawohl, das müssen Sie, meine Dame«, fiel Benno ihr energisch ins Wort. »Übrigens, ich bin Dr. Benno Raupach, der Mann, der Sie wieder ein wenig zusammengeflickt hat.«

Gabriele streckte ihm impulsiv eine kleine, schmale zarte Hand entgegen.

»Ich danke Ihnen, Doktor. Vielen Dank.«

Benno wehrte verlegen ab.

»Wollen Sie mir nicht lieber sagen, wer Sie sind?«, fragte er.

Ein Schatten flog über das blasse Gesicht.

»Gabriele Holm.«

»Hm. Gabriele. Ein hübscher Name.« Er lachte und erhob sich.

Gabriele erschrak. Nun würde er sie allein lassen. Und wenn sie allein war, würden sie die Gedanken wieder überfallen und die Angst, diese furchtbare Angst, vor der es kein Entrinnen gab. Benno sah, dass sie sich vor dem Alleinsein fürchtete. Er ergriff lächelnd ihre Hände und sagte:

»Ich werde Ihnen Schwester Maria schicken. Sie soll Ihnen Waschzeug bringen, und dann machen Sie sich schön. Versuchen Sie, eine Stunde zu schlafen, dann vergeht die Zeit rascher. Ich werde nach einer Stunde noch einmal nach Ihnen sehen, Frau Holm, nicht wahr?«

Gabriele nickte. Sie sah ein, dass er auch noch andere Patienten hatte als sie, Gabriele. Und sie brachte sogar fertig, ihm zuzulächeln.

Noch ein fester Händedruck, dann war Gabriele allein. Und nun kamen doch wieder diese Gedanken, diese unmenschliche Angst. Sie wehrte sich dagegen, indem sie sich sagte:

Ich bin ja nicht allein hier – niemand kann mir hier etwas zuleide tun. Und es kann mich auch niemand hier besuchen.

Ein leises Klopfen störte sie auf. Eine junge Schwester trat ein und lächelte ihr zu.

»Guten Morgen, ich bin Schwester Maria. Ich bringe Ihnen Waschzeug. Kommen Sie, Frau Holm, nun werden wir uns schön machen, nicht wahr?«

Sie war Gabriele behilflich, sich ein wenig aufrecht zu setzen, und man sah ihrem pausbäckigen Gesicht an, dass sie staunte, als das Gesicht der Patientin unter der Schmutzschicht zum Vorschein kam. Das war ja eine Schönheit, diese Gabriele Holm. Nur etwas schmal und zart. Aber das würde man schon bald hochgepäppelt haben.

»Der Wievielte ist heute eigentlich, Schwester Maria?«, fragte Gabriele.

»Der 23. März.«

Gabriele atmete ein wenig auf. In vier Wochen war die Frist abgelaufen, wenn sie sich nicht meldete. Aber vier Wochen würde ihre Krankheit ja nicht dauern. Hatte der junge, sympathische Arzt nicht gesagt, dass sie vielleicht schon Ende der Woche entlassen werden könne? Ja, sie wollte sich gedulden, obwohl alles in ihr danach drängte, nach Schloss Werritz zu gelangen. Aber Gabriele musste sich gedulden. Sie fühlte, dass sie niemals die Kraft hätte, in diesem Zustand nach Werritz zu gelangen. Gabriele versuchte, sich eine Vorstellung von Werritz zu machen. Aber es wollte ihr nicht gelingen.

Der Anwalt, der ihr den Brief geschickt hatte, in dem stand, dass sie die Universalerbin des Grafen von Werritz sei, konnte ihr keine näheren Angaben machen über das Schloss und das riesenhafte Gut. Nur dass eine Unmenge Geld da war, das wusste sie. Gabriele seufzte. Im Augenblick konnte sie sich noch nicht einmal über diese Erbschaft freuen. Seit sie erfahren hatte, dass sie die Erbin des reichen Grafen war, war sie von ständiger Gefahr umgeben. Irgendwer wollte ihr den Besitz streitig machen. Und man scheute noch nicht einmal vor Taten zurück, die an Mord grenzten.

Etwas in Gabriele straffte sich. Sollten sie nur versuchen, ihrer habhaft zu werden. Schließlich gab es in einem Staat ja auch noch Einrichtungen, die das Leben der Bürger schützten. Und sie würde bestimmt vor nichts zurückschrecken, wenn es um ihr Leben ging. Nein, sie war noch jung, und ihr Leben war bisher arm gewesen an Freuden, die andere Mädchen für selbstverständlich erachteten. Gabriele zwang sich, an das viele Geld zu denken und an das, was sie sich davon erlauben konnte. Und doch kam keine rechte Freude in ihr auf.

»Sieh da«, drang plötzlich wieder diese warme, weiche Stimme an ihr Ohr, »das hässliche junge Entlein hat sich in einen strahlenden Schwan verwandelt.«

Benno war unbemerkt eingetreten und sah gebannt auf das feine ausdrucksvolle Gesicht seiner jungen Patientin, für die er sich ein wenig verantwortlich fühlte.

Gabriele schrak auf und nahm sich zusammen. Sie lächelte und streckte ihm die Hand entgegen.

»Es ist nett von Ihnen, Doktor, dass Sie sich so viel Mühe um mich machen. Ich habe sie nicht verdient.«

»Ach was«, erwiderte er munter, »reden wir von etwas anderem. Ich habe schon befürchtet, Sie würden sich Gedanken über Ihre Zukunft machen.«

»Meine Zukunft?«, fragte sie verständnislos. Aber dann lachte sie leise, und es war Benno, als berührte dieses Lachen eine Seite in seinem Herzen. So lacht Beatrix niemals, dachte er schmerzlich, niemals klingt ihre Stimme weich und voll wie die des jungen Mädchens hier, und nie strahlen die kalten Augen herzlich auf. Aber er wischte diese Gedanken schnell weg. Fast schämte er sich ihrer. Beatrix war schön, sehr schön sogar – und er liebte sie doch. Ja, liebte er sie wirklich?

Gabriele betrachtete den Mann, der wieder auf dem Stuhl vor ihrem Bett saß, genau. Und nun wollte es ihr scheinen, als wäre das Knabengesicht ein wenig müde, ein wenig traurig und auch ein wenig zerrissen. Sicherlich hatte auch er Sorgen. Ganz bestimmt, denn er musste gewiss auch noch die Sorgen seiner Patienten mittragen helfen.

Als ihr Blick dem seinen begegnete und eine Weile, eine winzig kleine Weile festgehalten wurde, überzog sich das feine schmale Gesicht mit einer dunklen Röte.

Benno sah es, und er lachte.

»Sie werden sicherlich noch eher gesund sein als Ende der Woche.«

»Das muss ich auch, Doktor von Raupach, denn ich muss bald nach Schloss Werritz!«

»Nach Schloss Werritz?«, fragte er verständnislos. »Um Himmels willen, was wollen Sie denn am Ende der Welt?«

Gabriele schaute ihn erstaunt an. Woher kannte der Arzt Schloss Werritz, das doch immerhin eine ganze Strecke von hier entfernt war? Benno musste ihr Befremden spüren, denn er erklärte:

»Sicherlich sind Sie jetzt einigermaßen überrascht, dass ich das Schloss kenne. Aber ich kenne es überhaupt nicht. Nur aus den Erzählungen von Beatrix.« Er sah ihren erstaunten Blick. Dann erklärte er schnell:

»Beatrix von Hassel ist meine Braut. Aber augenblicklich ist sie ziemlich ungnädig. Nun, lassen wir das. Der Schlossherr, Graf von Werritz, war ihr Onkel.«

Er versuchte zu lächeln. Aber es gelang ihm nicht. Warum nur war es ihm so schwergefallen, von Beatrix zu sprechen? Er fühlte plötzlich, dass von diesem stillen, zarten blonden Mädchen eine Gefahr ausging, eine Gefahr für sein Herz, das heftiger geschlagen hatte, wenn er den Tag über an seine Patientin gedacht hatte.

Und Gabrieles Gesicht wirkte plötzlich traurig und verschlossen. So verschlossen, wie es in seiner Bewusstlosigkeit gewesen war. Er war verlobt. Natürlich, wie konnte es anders sein, und es sollte sie doch auch eigentlich gar nicht kümmern. Aber kann ein bisher einsames Mädchen dafür, wenn es, sowieso durch unvorhergesehene Ereignisse schon aus der Bahn geworfen, plötzlich entdeckt, dass es einen Menschen gibt, den es wohl vielleicht lieben könnte?

Gabriele riss sich zusammen. Es war gut, sehr gut sogar, dass sie nun wusste, dass er nicht mehr frei war. Niemals konnte sie sich Hoffnungen auf ihn machen. Ob das Liebe auf den ersten Blick war, von der in Romanen zu lesen, stand und die es in Filmen gab? Gabriele wusste es nicht. Sie wusste nicht einmal, ob sie traurig sein sollte. War es nicht etwas sehr Schönes, wenn man Liebe verschenken konnte – ganz gleich, ob man auf Gegenliebe traf?

Und wieder trafen sich ein schwarzes und ein helles Augenpaar. Jetzt war es Gabriele, die sich als Erste von dem unerklärlichen Bann löste, der sie wieder gefangen nehmen wollte. Sie musste mehr über Werritz erfahren.

»Ich werde vielleicht ganz nach Werritz übersiedeln, Doktor«, sagte sie und beobachtete ihn genau.

Aber Benno hob erstaunt und unbefangen den dunklen Kopf, indem er die widerspenstige Locke emporwarf.

»Für ganz? Wieso? Werden Sie sich nicht fürchten? Beatrix sagte immer, wenn sie den alten Kasten erben würde, würde sie ihn verkaufen.«

»Vielleicht hat Graf Werritz es gewusst und sie erbt deshalb nicht.«