Das galaktische Imperium - Isaac Asimov - E-Book

Das galaktische Imperium E-Book

Isaac Asimov

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Im 32. Jahrhundert hat ein Teil der Menschheit, die sogenannten Spacer, mit seinen Robotern fremde Planeten besiedelt, während der andere Teil auf der Erde geblieben ist. Nun droht der Heimatwelt der Menschheit der Kollaps durch Überbevölkerung, und so verlassen mehr und mehr Raumschiffe das Sonnensystem. Einige der Spacer wollen der Expansion nicht tatenlos zusehen. Als mehrere Siedlerschiffe von der Erde vernichtet werden, wird D. G. Baley, ein Nachkomme des berühmten Detective Elijah Baley, mit den Ermittlungen beauftragt. Er bittet einen alten Freund seines Vorfahren um Hilfe: den Roboter R. Daneel Olivaw. Die beiden machen sich auf eine Jagd quer durch die Galaxis – und entlarven dabei eine Verschwörung, an der sowohl Menschen als auch Roboter beteiligt sind ...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 743

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Das Buch

Wir schreiben das 32. Jahrhundert. Der überbevölkerten Erde droht der Kollaps, daher wendet sich die Menschheit den Sternen zu – und das nicht zum ersten Mal. Bereits vor Jahrhunderten besiedelten die Spacer zusammen mit ihren Robotern fremde Planeten. Einige von ihnen wollen der neuen Expansion nicht tatenlos zusehen. Als mehrere Siedlerschiffe vernichtet werden, nehmen D. G. Baley und der Roboter R. Daneel Olivaw die Ermittlungen auf. Eine abenteuerliche Jagd quer durch die Galaxis beginnt …

Mit dem Foundation-Zyklus schuf Isaac Asimov die wohl bekannteste Future History des 20. Jahrhunderts. Mit Das galaktische Imperium verbindet er die Foundation- mit den Roboter-Romanen zu einer epischen Zukunftsgeschichte.

Der Autor

Isaac Asimov zählt gemeinsam mit Arthur C. Clarke und Robert A. Heinlein zu den bedeutendsten Science-Fiction-Autoren, die je gelebt haben. Er wurde 1920 in Petrowitsch, einem Vorort von Smolensk, in der Sowjetunion geboren. 1923 wanderten seine Eltern in die USA aus und ließen sich in New York nieder. Bereits während seines Chemiestudiums an der Columbia University begann er, Geschichten zu schreiben. Seine erste Story erschien im Juli 1939, und in den folgenden Jahren veröffentlichte er die Erzählungen und Romane, die ihn weltberühmt machten. Er starb im April 1992.

Mehr über Isaac Asimov und seine Werke erfahren Sie auf:

ISAAC ASIMOV

ROMAN

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Titel der Originalausgabe:

ROBOTS AND EMPIRE

Deutsche Übersetzung von Heinz Nagel

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Deutsche Ausgabe 02/2022

Redaktion: Wolfgang Jeschke

Copyright © 1985 by Isaac Asimov

Copyright © 2022 dieser Ausgabe und der Übersetzungby Wilhelm Heyne Verlag, München,in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München

Satz: Schaber Datentechnik, Austria

ISBN 978-3-641-26218-1V001

www.diezukunft.de

INHALT

ERSTER TEIL   AURORA

I. Der Nachkomme

II. Der Ahne?

III. Die Krise

IV. Ein weiterer Nachkomme

ZWEITER TEIL   SOLARIA

V. Der verlassene Planet

VI. Die Mannschaft

VII. Der Aufseher

DRITTER TEIL   BALEYS WELT

VIII. Die Siedlerwelt

IX. Die Rede

X. Nach der Rede

VIERTER TEIL   AURORA

XI. Der alte Führer

XII. Der Plan der Tochter

XIII. Der telepathische Roboter

XIV. Das Duell

FÜNFTER TEIL   ERDE

XV. Die heilige Welt

XVI. Die City

XVII. Der Attentäter

XVIII. Das Nullte Gesetz

XIX. Allein

DIE GRUNDREGELN DER ROBOTIK

DAS NULLTE GESETZ

Ein Roboter darf der Menschheit keinen Schaden zufügen oder durch Untätigkeit zulassen, dass der Menschheit Schaden zugefügt wird.

DAS ERSTE GESETZ

Ein Roboter darf einem menschlichen Wesen keinen Schaden zufügen oder durch Untätigkeit zulassen, dass einem menschlichen Wesen Schaden zugefügt wird, es sei denn, dies würde das nullte Gesetz der Robotik verletzen.

DAS ZWEITE GESETZ

Ein Roboter muss dem ihm von einem menschlichen Wesen gegebenen Befehl gehorchen, es sei denn, dies würde das nullte oder das erste Gesetz der Robotik verletzen.

DAS DRITTE GESETZ

Ein Roboter muss seine Existenz beschützen, es sei denn, dies würde das nullte, das erste oder das zweite Gesetz der Robotik verletzen.

ERSTER TEIL

AURORA

I.   Der Nachkomme

1

Gladia betastete die Rasenliege, um sich zu vergewissern, dass sie nicht feucht war, dann setzte sie sich. Ein Schalterdruck passte sie so an, dass sie halb zurückgelehnt liegen konnte, ein weiterer aktivierte das diamagnetische Feld und vermittelte ihr, so wie es das immer tat, die Empfindung völliger Entspannung. Und warum auch nicht? Sie schwebte tatsächlich – einen Zentimeter über dem Stoff.

Die Nacht war warm und angenehm. Gladia fand den Planeten Aurora zu der Zeit am schönsten – würzig duftend und sternenhell.

Mit einem Anflug von Traurigkeit studierte sie die zahlreichen winzigen Funken, die den Himmel mit Mustern überzogen; Funken, die jetzt ganz besonders hell wirkten, weil sie veranlasst hatte, dass die Lichter ihrer Niederlassung gedämpft wurden.

Sie fragte sich, warum sie in all den dreiundzwanzig Dekaden ihres Lebens nie die Namen der Sterne gelernt hatte. Dabei war einer von ihnen der Stern, um den ihr Geburtsplanet Solaria kreiste; der Stern, der für sie in den ersten dreieinhalb Dekaden ihres Lebens nur »die Sonne« gewesen war.

Gladia hatte einst »Gladia Solaria« geheißen. Das war, als sie nach Aurora gekommen war, vor zwanzig Dekaden – vor zweihundert galaktischen Standardjahren –, und man hatte ihr diesen Namen verliehen, um auf nicht besonders freundliche Art ihre fremde Herkunft hervorzuheben. Vor einem Monat war das zweihundertste Jubiläum ihrer Ankunft gewesen; etwas, das sie nicht besonders gefeiert hatte, weil sie sich nicht an jene Tage erinnern wollte. Vorher, auf Solaria, war sie Gladia Delmarre gewesen.

Sie bewegte sich unruhig. Jenen ersten Namen hatte sie fast vergessen – weil das alles so weit zurücklag? Oder einfach nur, weil sie sich bemüht hatte zu vergessen?

All die Jahre hatte sie Solaria nicht vermisst, hatte es nicht bedauert, dass sie hierhergekommen war.

Aber jetzt?

Kam ihre Stimmung nur daher, weil sie ganz plötzlich feststellen musste, dass sie Solaria überlebt hatte? Solaria gab es nicht mehr – eine historische Erinnerung –, und sie lebte noch. Vermisste sie es deshalb?

Ihre Stirn furchte sich. Nein, sie vermisste es nicht, entschied sie dann resolut. Sie sehnte sich nicht danach, wünschte auch nicht, dorthin zurückzukehren. Es war einfach nur ein eigenartiges Bedauern wegen etwas, das einmal Teil von ihr gewesen war – wenn auch noch so destruktiv – und das jetzt nicht mehr war.

Solaria! Die letzte der Spacerwelten, die man besiedelt und zu einem Heim für die Menschheit gemacht hatte. Und demzufolge vielleicht durch irgendein geheimnisvolles Gesetz der Symmetrie auch die erste Spacerwelt, die wieder gestorben war?

Die erste? Hieß das, dass ihr eine zweite und eine dritte und so weiter folgen würde?

Gladia spürte, wie ihre Traurigkeit zunahm. Es gab Menschen, die tatsächlich so dachten. Wenn sie recht hatten, würde Aurora, ihre neue Heimat, als die erste Spacerwelt, die man besiedelt hatte, durch die gleiche Regel der Symmetrie die letzte von den fünfzig sein, die sterben würde. In dem Fall könnte sie schlimmstenfalls ihre eigene ausgedehnte Lebenszeit überdauern, und das würde dann reichen müssen.

Wieder suchten ihre Augen die Sterne. Es war hoffnungslos. Für sie war es unmöglich herauszufinden, welcher jener Lichtpunkte Solarias Sonne war. Sie stellte sich vor, dass es einer der helleren sein müsste; aber selbst davon gab es Hunderte.

Sie hob den Arm und machte das, was für sie ihre »Daneel-Geste« war. Dass es dunkel war, störte dabei nicht.

Roboter Daneel Olivaw stand fast im gleichen Augenblick neben ihr. Jemand, der ihn vor etwas mehr als zwanzig Dekaden gekannt hätte, als Han Fastolfe ihn konstruiert hatte, hätte an ihm nicht den geringsten Unterschied feststellen können. Sein breites Gesicht mit den hohen Wangenknochen und dem kurzen, bronzefarbenen, nach hinten gekämmten Haar, die blauen Augen, sein großer, wohlproportionierter und perfekt humanoider Körper wären ihm so jung und so emotionslos wie eh und je vorgekommen.

»Kann ich Ihnen in irgendeiner Weise behilflich sein, Madam Gladia?«, fragte er mit gleichmäßiger Stimme.

»Ja, Daneel. Welcher von diesen Sternen ist die Sonne Solarias?«

Daneel blickte nicht nach oben. »Keiner von ihnen, Madam Gladia«, sagte er. »Derzeit geht Solarias Sonne etwa um drei Uhr zwanzig morgens auf.«

»Oh?«, staunte Gladia. Irgendwie hatte sie angenommen, jeder Stern, für den sie sich gerade zufällig interessierte, würde jederzeit sichtbar sein, wenn es ihr in den Sinn kam, ihn sehen zu wollen. Natürlich gingen sie zu unterschiedlichen Zeiten auf und unter – das wusste sie. »Dann habe ich wohl ins Nichts gestarrt.«

»Wie ich aus den menschlichen Reaktionen gelernt habe«, meinte Daneel, als wollte er sie trösten, »sind die Sterne immer schön, ob nun ein bestimmter von ihnen sichtbar ist oder nicht.«

»Ja, wahrscheinlich«, sagte Gladia etwas bedrückt und richtete die Liege mit einem kurzen Schalterdruck auf. Sie stand auf. »Aber ich wollte Solarias Sonne sehen – aber so sehr auch nicht, dass ich hier bis drei Uhr zwanzig sitzen bleiben würde.«

»Selbst wenn Sie das täten«, meinte Daneel, »würden Sie ein Teleskop brauchen.«

»Ein Teleskop?«

»Ja. Die Sonne ist mit bloßem Auge nicht sichtbar, Madam Gladia.«

»Das wird ja immer schlimmer!« Sie wischte über ihre Hose. »Ich hätte dich vorher fragen sollen, Daneel.«

Jeder, der Gladia vor zwanzig Dekaden gekannt hatte, als sie auf Aurora eingetroffen war, hätte eine Veränderung feststellen können. Im Gegensatz zu Daneel war sie nur ein Mensch. Sie war immer noch hundertfünfundfünfzig Zentimeter groß; fast zehn Zentimeter weniger als die ideale Größe für eine Spacerfrau. Sie hatte darauf geachtet, sich ihre schlanke Gestalt zu bewahren, und an ihrem Körper war keine Spur von Schwäche oder Steifheit zu bemerken. Aber ihr Haar zeigte ein paar graue Strähnen, und es gab da ein paar feine Fältchen um ihre Augen und eine Andeutung von Körnigkeit an ihrer Haut. Es war durchaus möglich, dass sie noch weitere zehn oder zwölf Dekaden lebte; aber dass sie nicht länger jung war, war nicht zu leugnen. Doch das störte sie nicht.

»Kannst du alle Sterne identifizieren, Daneel?«, fragte sie.

»Ich kenne die, die für Menschen mit bloßem Auge zu sehen sind, Madam Gladia.«

»Und du weißt, wann sie auf- und untergehen, und zwar für jeden Tag des Jahres?«

»Ja, Madam Gladia.«

»Und auch sonst alles Mögliche, was sie betrifft?«

»Ja, Madam Gladia. Dr. Fastolfe hat mich einmal gebeten, astronomische Daten zu sammeln, um sie jederzeit zur Hand zu haben, ohne seinen Computer konsultieren zu müssen. Er sagte immer, es sei sympathischer, wenn ich da wäre, um sie ihm zu sagen, als das seinem Computer zu überlassen.« Und dann, als hätte er ihre nächste Frage vorausgeahnt: »Warum das so sein sollte, hat er mir nicht erklärt.«

Gladia hob den linken Arm und machte die entsprechende Bewegung. Ihr Haus war sofort beleuchtet. In dem weichen Licht, das jetzt zu ihr drang, bemerkte sie unterschwellig die schattenhaften Gestalten einiger Roboter, achtete aber nicht darauf. In jeder geordneten Niederlassung gab es stets Roboter in Reichweite der Menschen, sowohl zu deren Sicherheit als auch, um ihnen zu dienen.

Gladia warf einen letzten flüchtigen Blick zum Himmel, wo die Sterne jetzt schwächer zu leuchten schienen. Sie zuckte die Achseln. Was hätte es ihr schon genützt, wenn sie die Sonne jener Welt hätte sehen können, die jetzt verloren war – ein schwacher Punkt unter vielen anderen? Ebenso gut konnte sie sich willkürlich einen Punkt auswählen und sich sagen, dieser Punkt sei die Sonne Solarias, und dann ihn anstarren.

Ihre Aufmerksamkeit wandte sich R. Daneel zu. Er wartete geduldig auf sie, und sein Gesicht lag zum größten Teil im Schatten.

Sie ertappte sich erneut bei dem Gedanken, wie wenig er sich doch verändert hatte, seit sie ihn das erste Mal gesehen hatte, damals vor so langer Zeit, als sie in Dr. Fastolfes Niederlassung angekommen war. Natürlich war er einige Male repariert und überholt worden; das wusste sie. Aber es war ein vages, unbestimmtes Wissen, das man von sich schob und auf Distanz hielt.

Das war ein Teil der typischen, übertriebenen Empfindlichkeit, die die Menschen hier an sich hatten. Zwar pflegten die Spacer sich mit ihrer eisernen Gesundheit zu brüsten und damit, dass sie dreißig bis vierzig Dekaden lebten; aber ganz immun gegenüber dem Angriff des Alters waren sie nicht. Einer von Gladias Oberschenkelknochen saß in einem Hüftgelenk aus Titan-Silikon. Ihr linker Daumen war künstlich, obwohl niemand das ohne eine Ultraschalltomografie hätte feststellen können. Selbst ein paar ihrer Nerven waren nachgezogen. Und so ziemlich jeder Spacer ähnlichen Alters von jeder der fünfzig Spacerwelten würde so etwas von sich sagen müssen – nein, neunundvierzig, denn Solaria durfte man nicht länger mitzählen.

Irgendwelche Hinweise auf solche Dinge freilich galten als ein Höchstmaß an Obszönität. Die ärztlichen Aufzeichnungen, die notwendig waren, da es ja sein konnte, dass Nachbehandlungen erforderlich wurden, wurden nie freigegeben. Das Einkommen der Chirurgen, das beträchtlich höher als selbst das des Vorsitzenden war, war zum Teil deshalb so hoch, weil sie praktisch Ausgestoßene der Gesellschaft waren. Immerhin wussten sie Bescheid.

Das alles war ein Teil der Fixiertheit der Spacer auf ihr langes Leben und darauf, nicht zuzugeben, dass es so etwas wie Alter gab. Aber Gladia hielt sich nicht mit irgendwelchen Ursachen oder Analysen auf. Sie fühlte sich bei solchen Gedanken einfach unruhig und unwohl. Wenn es eine dreidimensionale Karte ihrer Person gäbe, in der alle Prothesen, alle reparierten Körperteile rot eingezeichnet wären, im Gegensatz zum Grau ihres natürlichen Ichs, so würde sie aus der Ferne rosa erscheinen – wenigstens stellte sie sich das so vor.

Aber ihr Gehirn war noch intakt und vollkommen; und solange das so war, war auch sie intakt und vollkommen, ganz gleich, was mit dem Rest ihres Körpers geschah.

Und das brachte sie zu Daneel zurück. Obwohl sie ihn seit zwanzig Dekaden kannte, gehörte er ihr erst seit dem letzten Jahr. Als Fastolfe gestorben war (wobei die Verzweiflung sein Ende vielleicht beschleunigt hatte), hatte er alles der Stadt hinterlassen, so wie es allgemein üblich war. Zwei Dinge freilich hatte er Gladia vererbt (sah man einmal davon ab, dass er sie als Eigentümerin ihrer Niederlassung und seiner Roboter und anderer Legate bestätigt hatte, mit dem dazugehörigen Grund).

Und dazu hatte auch Daneel gehört.

Gladia fragte: »Erinnerst du dich an alles, was du im Laufe von zwanzig Dekaden je deinem Gedächtnis eingeprägt hast, Daneel?«

Daneel antwortete darauf bedächtig: »Ich glaube schon, Madam Gladia. Natürlich würde ich es nicht wissen, wenn ich irgendetwas vergessen hätte, denn dann wäre es vergessen, und ich könnte mich auch nicht daran erinnern, es mir je gemerkt zu haben.«

»Das ist keineswegs logisch«, sagte Gladia. »Du könntest dich sehr wohl daran erinnern, es zu wissen, aber nicht imstande sein, im Augenblick daran zu denken. Ich hatte schon häufig etwas sozusagen auf der Zungenspitze, war aber nicht imstande, es herauszubekommen.«

»Ich verstehe nicht, Madam«, sagte Daneel. »Wenn ich etwas wüsste, dann wäre es doch ganz sicher zur Hand, wenn ich es brauchte.«

»Perfektes Wiederauffinden?«

Sie gingen langsam zum Haus.

»Lediglich Auffinden, Madam. Ich bin so konstruiert.«

»Und wie lange noch?«

»Ich verstehe nicht, Madam.«

»Ich meine, wie viel wird dein Gehirn halten können? Mit den angesammelten Erinnerungen aus ein wenig mehr als zwanzig Dekaden – wie lange hält es das noch durch?«

»Das weiß ich nicht, Madam. Im Augenblick bemerke ich noch keine Schwierigkeiten.«

»Das wirst du vielleicht auch nicht – bis du plötzlich entdeckst, dass du dich an nichts mehr erinnern kannst.«

Daneel wirkte einen Augenblick lang nachdenklich. »Das mag so sein, Madam.«

»Du weißt doch, Daneel, dass nicht all deine Erinnerungen in gleicher Weise wichtig sind.«

»Darüber kann ich nicht urteilen, Madam.«

»Andere können das. Es wäre durchaus möglich, dein Gehirn zu säubern, Daneel, und es dann unter Aufsicht nur mit dem wichtigen Inhalt an Erinnerungen wieder zu füllen – sagen wir mit zehn Prozent des Ganzen. Dann würdest du viele Jahrhunderte länger fortfahren können, als du es sonst könntest. Mit wiederholten Behandlungen dieser Art könntest du unendlich lang fortfahren. Das ist natürlich eine teure Prozedur, aber ich wäre da nicht kleinlich. Du wärest es wert.«

»Würde man mich in dieser Angelegenheit befragen, Madam? Würde man meine Zustimmung zu einer solchen Behandlung einholen?«

»Selbstverständlich. In einer solchen Angelegenheit würde ich dir nichts befehlen. Das wäre ein Verrat an Dr. Fastolfes Vertrauen.«

»Ich danke Ihnen, Madam. In dem Fall muss ich Ihnen sagen, dass ich mich nie freiwillig einer solchen Prozedur unterziehen würde, sofern ich nicht feststellen würde, dass ich tatsächlich meine Erinnerungsfunktion verloren habe.«

Sie hatten jetzt die Tür erreicht, und Gladia blieb stehen. Sie schien ehrlich erstaunt. »Warum in aller Welt nicht, Daneel?«

Daneel antwortete darauf mit leiser Stimme: »Es gibt Erinnerungen, deren Verlust ich nicht riskieren darf, Madam; weder unabsichtlich noch infolge fehlerhafter Entscheidung seitens jener, die die Prozedur durchführten.«

»Wie das Auf- und Untergehen der Sterne? Verzeih mir, Daneel, ich wollte mich nicht lustig machen. Was für Erinnerungen meinst du?«

Und als Daneel diesmal antwortete, war seine Stimme noch leiser: »Madam, damit meine ich meine Erinnerungen an meinen ehemaligen Partner, den Erdenmenschen Elijah Baley.«

Und Gladia stand wie vom Blitz gerührt da, sodass schließlich Daneel die Initiative ergreifen und das Signal geben musste, dass die Tür sich öffnete.

2

Roboter Giskard Reventlov wartete im Wohnzimmer, und Gladia begrüßte ihn mit dem gleichen Anflug von Verlegenheit, die sie stets empfand, wenn sie sich ihm gegenübersah.

Im Vergleich zu Daneel war er primitiv. Er war ganz offensichtlich ein Roboter – aus Metall gebaut, mit einem Gesicht, an dessen Ausdruck nichts Menschliches war; mit Augen, die schwachrot glühten, was man sehen konnte, wenn es dunkel genug war. Im Gegensatz zu Daneel, der Kleidung trug, vermittelte Giskard nur die Illusion von Kleidung – wenn auch eine geschickte Illusion, denn Gladia selbst hatte sie entworfen.

»Nun, Giskard«, sagte sie.

»Guten Abend, Madam Gladia«, sagte Giskard und neigte dabei leicht den Kopf.

Gladia erinnerte sich an die Worte von Elijah Baley vor langer Zeit. Sie waren wie ein Flüstern in den Tiefen ihres Gehirns.

»Daneel wird sich um dich kümmern. Er wird dein Freund und zugleich dein Beschützer sein, und du musst ihm Freundin sein – um meinetwillen. Aber auf Giskard sollst du hören. Er soll dein Berater sein.«

Gladia hatte die Stirn gerunzelt. »Warum er? Ich bin gar nicht sicher, ob ich ihn mag.«

»Ich verlange auch nicht, dass du ihn magst. Ich bitte dich nur, ihm zu vertrauen.«

Warum er das wollte, sagte er nicht.

Gladia versuchte, dem Roboter Giskard zu vertrauen, und war froh, dass sie gar nicht erst zu versuchen brauchte, ihn zu mögen. Er hatte etwas an sich, das sie frösteln machte.

Daneel und Giskard waren viele Dekaden lang praktisch Teil ihrer Niederlassung gewesen, wenn auch Fastolfe in all der Zeit nominell der Besitzer gewesen war. Erst auf seinem Totenbett hatte Han Fastolfe das Eigentum an ihnen tatsächlich übertragen. Giskard war der zweite Gegenstand nach Daneel, den Fastolfe Gladia hinterlassen hatte.

Sie hatte zu dem alten Mann gesagt: »Daneel genügt schon, Han. Deine Tochter Vasilia würde gern Giskard haben, dessen bin ich ganz sicher.«

Fastolfe lag still im Bett, die Augen geschlossen, und sah friedlicher aus, als sie ihn seit Jahren gesehen hatte. Er gab nicht gleich Antwort, und einen Augenblick lang dachte sie, er hätte sich so still aus dem Leben geschlichen, dass sie es gar nicht bemerkt hatte. Instinktiv verstärkte sich der Druck ihrer Hand an der seinen, und seine Augen öffneten sich.

Er flüsterte: »Biologische Töchter sind mir gleichgültig, Gladia. Zwanzig Dekaden lang habe ich nur eine echte Tochter gehabt, und das warst du. Ich möchte, dass du Giskard bekommst. Er ist wertvoll.«

»Warum ist er wertvoll?«

»Das kann ich nicht sagen. Aber seine Anwesenheit hat immer beruhigend auf mich gewirkt. Du darfst ihn nie weggeben, Gladia. Das musst du mir versprechen.«

»Ich verspreche es«, sagte sie.

Und dann hatten sich seine Augen ein letztes Mal geöffnet, und seine Stimme hatte, als würde sie ein letztes Reservoir der Kraft finden, in fast natürlichem Tonfall gesagt: »Ich liebe dich, Gladia, meine Tochter.«

Und Gladia hatte gesagt: »Ich liebe dich, Han, mein Vater.«

Das waren die letzten Worte gewesen, die er gehört und gesagt hatte. Plötzlich hielt Gladia die Hand eines Toten und brachte es nicht über sich, sie loszulassen. Und so kam es, dass Giskard ihr gehörte. Und doch vermittelte er ihr ein Gefühl des Unbehagens, und sie wusste nicht, warum das so war.

»Nun, Giskard?«, sagte sie erneut. »Ich habe versucht, Solaria zwischen den Sternen am Himmel zu erkennen. Aber Daneel sagt, dass ich es erst um drei Uhr zwanzig sehen kann und selbst dann ein Teleskop brauchen würde. Hättest du das gewusst?«

»Nein, Madam.«

»Sollte ich all die Stunden warten? Was meinst du?«

»Ich schlage vor, Madam Gladia, dass es für Sie besser wäre, zu Bett zu gehen.«

Irgendetwas in Gladia bäumte sich dagegen auf. »Wirklich? Und wenn ich mich dafür entscheide aufzubleiben?«

»Das ist nur ein Vorschlag, Madam. Aber Sie werden morgen einen schweren Tag haben und werden es ohne Zweifel bedauern, den Schlaf versäumt zu haben, wenn Sie jetzt aufbleiben.«

Gladia runzelte die Stirn. »Weshalb werde ich morgen einen schweren Tag haben, Giskard? Mir ist nichts von bevorstehenden Schwierigkeiten bekannt.«

Giskard antwortete: »Sie haben eine Verabredung, Madam, mit einem gewissen Levular Mandamus.«

»So, habe ich das? Wann ist das passiert?«

»Vor einer Stunde. Er hat fotofoniert, und ich habe mir die Freiheit genommen …«

»Du hast dir die Freiheit genommen? Wer ist er?«

»Er ist Mitglied des Robotik-Instituts, Madam.«

»Dann ist er ein Untergebener von Kendel Amadiro.«

»Ja, Madam.«

»Dann sollst du wissen, Giskard, dass ich nicht im Geringsten daran interessiert bin, diesen Mandamus zu sehen oder sonst irgendjemanden, der in irgendeiner Verbindung zu dieser giftigen Kröte Amadiro steht. Wenn du dir also die Freiheit genommen hast, mit ihm in meinem Namen eine Verabredung zu treffen, dann wirst du dir jetzt die weitere Freiheit nehmen, ihn sofort anzurufen und die Verabredung abzusagen.«

»Wenn Sie das als Befehl bestätigen werden, Madam, und zwar so entschieden und so stark Sie können, dann werde ich versuchen zu gehorchen. Aber vielleicht werde ich das nicht können. Sehen Sie, nach meinem Urteil würden Sie sich selbst Schaden zufügen, wenn Sie die Verabredung absagten. Und ich darf durch nichts, was ich tue, zulassen, dass Sie Schaden erleiden.«

»Vielleicht ist dein Urteil falsch, Giskard. Wer ist dieser Mann, dass es mir Schaden bereiten könnte, wenn ich ihn nicht empfange? Dass er Mitglied des Robotik-Instituts ist, macht ihn doch kaum wichtig für mich.«

Gladia wusste sehr wohl, dass sie ihren Unwillen ohne Grund an Giskard ausließ. Die Nachricht, dass man Solaria aufgegeben hatte, hatte sie erregt. Und ihre Unwissenheit, die sie an einem Himmel nach Solaria suchen ließ, an dem Solaria nicht zu finden war, war ihr peinlich.

Natürlich, es war Daneels Wissen gewesen, das ihre eigene Unwissenheit so deutlich hatte werden lassen; und doch hatte sie nicht ihm gezürnt – aber Daneel sah natürlich menschlich aus, und so behandelte Gladia ihn auch automatisch so, als wäre er ein Mensch. Der Schein war alles. Giskard sah wie ein Roboter aus, also konnte man leicht auch annehmen, dass er keine Gefühle besaß, die man verletzen konnte.

Und dann reagierte Giskard auch überhaupt nicht auf Gladias Unwillen. (Nicht dass Daneel reagiert hätte, wenn es dazu gekommen wäre.) Er sagte: »Ich habe Dr. Mandamus als Mitglied des Robotik-Instituts beschrieben. Aber vielleicht ist er mehr als das. In den letzten paar Jahren war er die rechte Hand Dr. Amadiros. Das macht ihn wichtig, und man darf ihn nicht leichtfertig ignorieren. Es wäre nicht gut, Dr. Mandamus zu beleidigen, Madam.«

»Nein? Mir ist dieser Mandamus egal, ganz zu schweigen von Amadiro. Ich nehme an, du erinnerst dich, dass Amadiro einmal, als er und ich und die Welt noch jung waren, sich die größte Mühe gegeben hat zu beweisen, dass Dr. Fastolfe eines Mordes schuldig sei, und dass seine Machenschaften nur durch etwas, das an ein Wunder grenzte, verhindert werden konnten.«

»Ich erinnere mich sehr wohl, Madam.«

»Welche Erleichterung. Ich hatte schon befürchtet, dass du das in zwanzig Dekaden vergessen hättest. In diesen zwanzig Dekaden hatte ich nichts mit Dr. Amadiro zu tun und auch mit niemandem, der mit ihm in Verbindung steht. Und es ist meine Absicht, dabei zu bleiben. Es ist mir egal, welchen Schaden ich mir selbst zufügen könnte oder welche Konsequenzen das haben könnte. Ich werde diesen Dr. Wie-auch-immer-er-heißen-mag nicht empfangen. Und in Zukunft wirst du keine Verabredungen in meinem Namen treffen, ohne mich zu befragen oder zumindest zu erklären, dass solche Verabredungen vorbehaltlich meiner Zustimmung gelten.«

»Ja, Madam«, sagte Giskard. »Aber wenn ich Sie darauf hinweisen darf …«

»Nein, das darfst du nicht«, sagte Gladia und wandte sich von ihm ab.

Während sie sich drei Schritte von ihm entfernte, herrschte Schweigen. Dann sagte Giskards ruhige Stimme: »Madam, ich muss Sie bitten, mir zu vertrauen.«

Gladia blieb stehen. Warum gebrauchte er gerade diesen Ausdruck?

Wieder hörte sie jene Stimme aus der Vergangenheit: »Ich verlange auch nicht, dass du ihn magst. Ich bitte dich nur, ihm zu vertrauen.«

Ihre Lippen pressten sich zusammen, und sie runzelte die Stirn. Widerstrebend drehte sie sich um.

»Nun?«, sagte sie, beinahe unfreundlich. »Was hast du zu sagen, Giskard?«

»Nur, dass zu Lebzeiten Dr. Fastolfes auf Aurora das galt, was er sagte, und nicht nur auf Aurora, sondern auch auf den anderen Spacerwelten. Demzufolge hat man es den Menschen der Erde erlaubt, unbehindert zu verschiedenen geeigneten Planeten der Galaxis auszuwandern. Die Welten, die sie besiedelt haben und die wir heute die Siedlerwelten nennen, blühen und gedeihen. Doch jetzt ist Dr. Fastolfe tot, und seinen Nachfolgern fehlt das Prestige, das er genoss. Dr. Amadiro ist bei seinen gegen die Erde gerichteten Ansichten geblieben, und es ist durchaus möglich, dass er jetzt mit diesen Ansichten triumphiert und dass die Politik der Spacerwelten sich ändert und sich gegen die Erde und die Siedlerwelten richtet.«

»Wenn das so ist, Giskard, was kann ich dann dagegen tun?«

»Sie können Dr. Mandamus empfangen und vielleicht herausfinden, weshalb es für ihn so wichtig ist, mit Ihnen zu sprechen, Madam. Ich kann Ihnen versichern, er hat sich sehr darum bemüht, so früh wie möglich ein Gespräch mit Ihnen führen zu können. Er hat darum gebeten, Sie um acht Uhr früh treffen zu dürfen.«

»Giskard, ich empfange niemals jemanden vor Mittag.«

»Das habe ich ihm erklärt, Madam. Für mich war dieser hartnäckige Wunsch, Sie trotz meiner Erklärung bereits zur Frühstückszeit zu sehen, ein Maß seiner Verzweiflung. Mir schien es wichtig herauszufinden, weshalb er so verzweifelt war.«

»Und wenn ich ihn nicht empfange, könnte mir daraus – das ist doch deine Ansicht, nicht wahr? – persönlicher Schaden erwachsen? Ich frage nicht, ob es der Erde oder den Kolonisten oder sonst jemandem schaden wird. Wird es mir schaden?«

»Madam, es könnte der Erde und den Kolonisten in Bezug auf ihre Möglichkeiten, die Galaxis zu besiedeln, schaden. Dieser Traum ist vor mehr als zwanzig Dekaden im Geist von Detektiv Elijah Baley entstanden. Wenn also der Erde Schaden zugefügt wird, dann würde damit seine Erinnerung entweiht. Sehe ich es denn falsch, wenn ich meine, dass jeder Schaden, der seinem Vermächtnis zugefügt wird, auch von Ihnen wie ein persönlicher Schaden empfunden würde?«

Gladia war verblüfft. Zweimal im Laufe der letzten Stunde war Elijah Baley ins Gespräch gekommen. Er war schon lange tot – ein kurzlebiger Erdenmensch, der vor mehr als sechzehn Dekaden gestorben war –, und doch konnte die bloße Erwähnung seines Namens sie auch heute noch erschüttern.

»Wie können diese Dinge plötzlich so ernst geworden sein?«

»Das ist keineswegs plötzlich, Madam. Seit zwanzig Dekaden sind die Menschen der Erde und die Menschen der Spacerwelten parallele Wege gegangen, und nur die weitsichtige Politik Dr. Fastolfes hat es verhindert, dass es zu einem Zusammenstoß gekommen ist. Doch Dr. Fastolfe musste sich die ganze Zeit mit einer starken Opposition auseinandersetzen. Jetzt, da Dr. Fastolfe tot ist, ist diese Opposition viel mächtiger geworden. Die Aufgabe von Solaria hat den Einfluss der Opposition wachsen lassen – und aus den Kräften, die heute noch die Opposition bilden, kann bald die herrschende politische Gruppierung hervorgehen.«

»Warum?«

»Das, was auf Solaria geschehen ist, Madam, ist ein klarer Hinweis, dass die Stärke der Spacer im Schwinden begriffen ist. Daraus müssen viele Auroraner den Schluss ziehen, dass jetzt gehandelt werden muss, ehe es zu spät ist.«

»Und du meinst, es sei wichtig, dass ich diesen Mann empfange, um all das zu verhindern?«

»Das meine ich in der Tat, Madam.«

Gladia schwieg einen Augenblick lang und erinnerte sich erneut, wenn auch widerstrebend, daran, dass sie Elijah einmal versprochen hatte, Giskard zu vertrauen. Schließlich meinte sie: »Nun, eigentlich will ich es nicht, und ich glaube auch nicht, dass es irgendjemandem nützen wird, wenn ich diesen Mann empfange, aber – nun gut, ich werde ihn empfangen.«

3

Gladia schlief, und das Haus war finster – nach menschlichen Begriffen –, und dennoch lebte es, herrschten in ihm Bewegung und Aktivität; denn für die Roboter gab es viel zu tun, und sie arbeiteten mit Infrarotlicht.

Die Niederlassung musste nach den unvermeidbaren, Unordnung schaffenden Aktivitäten des Tages wieder in Ordnung gebracht werden. Vorräte mussten hereingebracht, Unrat beseitigt, Gegenstände gesäubert und poliert oder aufbewahrt werden. Geräte mussten überprüft und instandgesetzt werden. Und dann war da stets die Wachpflicht.

Es gab keine Schlösser an den Türen; man brauchte sie nicht. Auf Aurora gab es keinerlei Gewaltverbrechen – weder gegen menschliche Wesen noch gegen ihren Besitz. Es konnte nichts Derartiges geben, da jede Niederlassung, jedes menschliche Wesen zu jeder Zeit von Robotern bewacht wurde; und das war wohlbekannt und galt jedem als selbstverständlich. Der Preis für diese Ruhe und diese Sicherheit war, dass stets Roboterwächter Dienst tun mussten. Sie wurden nie gebraucht – aber nur deshalb, weil sie stets zugegen waren.

Giskard und Daneel, deren Fähigkeiten intensiver und allgemeiner als die der anderen Roboter der Niederlassung waren, hatten keine spezifischen Pflichten, sofern man die Verantwortung für das ordentliche Funktionieren aller anderen Roboter nicht als spezifische Pflicht zählte.

Um drei Uhr morgens hatten sie ihre Runden draußen auf dem Rasen und in dem kleinen Wäldchen beendet und sich vergewissert, dass all die Außenwächter ihre Funktionen erfüllten und dass keine Probleme im Entstehen waren.

Sie trafen sich an der Südgrenze der Ländereien der Niederlassung und unterhielten sich eine Weile in ihrer abkürzenden äsopischen Sprache. Sie verstanden einander gut; schließlich hatten sie viele Dekaden der Kommunikation hinter sich und brauchten sich auch nicht mit den gekünstelten Feinheiten menschlicher Sprache abzumühen.

Daneel sagte in fast unhörbarem Flüsterton: »Wolken. Unsichtbar.«

Hätte Daneel für menschliche Ohren gesprochen, dann hätte er gesagt: »Wie du siehst, Freund Giskard, hat sich der Himmel bewölkt. Wenn Madam Gladia gewartet hätte, um Solaria zu sehen, wäre ihr das ohnehin nicht gelungen.«

Und Giskards Antwort, »Wie vorhergesagt. Unterredung besser«, war das Äquivalent von »Der Wetterbericht hat es vorhergesagt, Freund Daneel, und man hätte das als Vorwand gebrauchen können, um Madam Gladia früh zu Bett zu bringen. Mir schien es jedoch wichtiger, dieses Problem in aller Offenheit in Angriff zu nehmen und sie zu überreden, diese Unterredung zuzulassen, von der ich dir schon erzählt habe.«

»Mir scheint, Freund Giskard«, sagte Daneel, »es ist dir hauptsächlich deshalb schwergefallen, sie zu überreden, weil die Aufgabe von Solaria sie erregt hat. Ich bin einmal mit Partner Elijah dort gewesen, als Madam Gladia noch Solarianerin war und dort lebte.«

»Ich war immer der Ansicht«, sagte Giskard, »dass Madam Gladia auf ihrem Heimatplaneten nicht glücklich war; dass sie ihre Welt gern verlassen hat und niemals die Absicht hatte, dorthin zurückzukehren. Und doch stimme ich darin mit dir überein, dass es sie belastet, dass Solarias Geschichte zu Ende gegangen ist.«

»Ich verstehe diese Reaktion von Madam Gladia nicht«, sagte Daneel, »aber es kommt ja oft vor, dass die menschlichen Reaktionen sich nicht logisch aus den Ereignissen ableiten lassen.«

»Deshalb ist es ja manchmal so schwierig zu entscheiden, was einem menschlichen Wesen Schaden bereitet und was nicht.« Giskard hätte das mit einem Seufzen sagen können, vielleicht sogar einem etwas gereizten Seufzen, wäre er ein Mensch gewesen. So brachte er es lediglich als eine emotionslose Einschätzung einer schwierigen Situation vor. »Dies ist einer der Gründe, weshalb mir scheint, dass die Drei Gesetze der Robotik unvollständig oder jedenfalls ungenügend sind.«

»Du hast das schon früher gesagt, Freund Giskard, und ich habe mich bemüht, es zu glauben, aber es ist mir nicht gelungen«, sagte Daneel.

Giskard sagte eine Weile nichts und meinte dann: »Intellektuell denke ich, dass sie unvollständig oder ungenügend sein müssen. Aber wenn ich versuche, das zu glauben, dann gelingt das auch mir nicht, weil die Gesetze mich binden. Wenn ich nicht an sie gebunden wäre, dann würde ich ganz sicher auch glauben, dass sie unzulänglich sind.«

»Das ist ein Paradoxon, das ich nicht verstehen kann.«

»Ich auch nicht. Und doch empfinde ich einen Zwang, dieses Paradoxon zum Ausdruck zu bringen. Gelegentlich fühle ich sogar, dass ich kurz davorstehe, zu begreifen, in welcher Hinsicht die Drei Gesetze unvollständig oder ungenügend sein könnten – so wie in meinem Gespräch heute Abend mit Madam Gladia. Sie fragte mich, inwieweit es ihr persönlich Schaden bereiten könnte, die Verabredung nicht einzuhalten, die ich getroffen habe – persönlich, sagte sie, und nicht nur Schaden im abstrakten Sinne –, und ich war außerstande, die Frage zu beantworten, weil das den Geltungsbereich der Drei Gesetze übersteigt.«

»Du hast perfekt geantwortet, Freund Giskard. Es hätte Madam Gladia tief getroffen, wenn die Erinnerung an Partner Elijah Schaden gelitten hätte.«

»Das war die beste Antwort innerhalb des Geltungsbereichs der Drei Gesetze. Aber es war nicht die beste mögliche Antwort.«

»Und was war die beste mögliche Antwort?«

»Das weiß ich nicht, weil ich es nicht in Worte, ja nicht einmal in Konzepte fassen kann, solange die Gesetze mich binden.«

»Es gibt nichts außerhalb der Gesetze«, sagte Daneel.

»Wenn ich ein Mensch wäre«, sagte Giskard, »könnte ich über die Gesetze hinaussehen. Und ich denke, Freund Daneel, dass du früher dazu imstande sein könntest, über sie hinauszusehen als ich.«

»Ich?«

»Ja, Freund Daneel. Ich denke mir schon lange, dass du, obwohl du ein Roboter bist, in bemerkenswerter Weise wie ein menschliches Wesen denkst.«

»Es ist nicht richtig, das zu denken«, sagte Daneel langsam, fast als leide er Schmerzen. »Du denkst solche Dinge, weil du in das Bewusstsein der Menschen hineinsehen kannst. Das verzerrt dich und wird dich möglicherweise am Ende zerstören. Für mich ist dieser Gedanke ein unglücklicher. Wenn du dich davon abhalten kannst, mehr, als du unbedingt musst, in den Geist der Menschen hineinzusehen, dann solltest du das tun.«

Giskard wandte sich ab. »Ich kann es nicht verhindern, Freund Daneel. Ich würde es nicht verhindern wollen. Ich bedaure, dass die Drei Gesetze mich abhalten, diese Fähigkeit mehr zu nutzen. Ich kann nicht tief genug forschen – aus Furcht, Schaden anzurichten. Ich kann nicht direkt genug Einfluss ausüben – aus Furcht, ich könnte Schaden anrichten.«

»Und doch hast du Madam Gladia sehr geschickt beeinflusst, Freund Giskard.«

»Nein, nicht wirklich. Ich hätte ihr Denken modifizieren und sie dazu bringen können, das Gespräch ohne Widerspruch zu akzeptieren. Aber der menschliche Geist ist so kompliziert, dass ich nur sehr wenig zu tun wage. Jede Veränderung, die ich hervorrufe, zieht weitere Veränderungen nach sich, die ich nicht überblicke und die vielleicht Schaden bewirken könnten.«

»Und doch hast du Madam Gladia beeinflusst.«

»Das brauchte ich nicht. Das Wort ›Vertrauen‹ hat eine große Wirkung auf sie und macht sie aufgeschlossener. Das ist mir schon in der Vergangenheit aufgefallen. Aber ich gebrauche das Wort nur mit der größten Vorsicht, um seine Wirkung nicht abzuschwächen. Ich habe schon oft darüber nachgedacht, warum das so ist. Aber ich kann nicht einfach in ihrem Geist nach einer Lösung suchen.«

»Weil die Drei Gesetze es nicht gestatten?«

Das schwache Leuchten in Giskards Augen schien sich zu verstärken. »Ja. Die Drei Gesetze stehen mir in jedem Stadium im Wege – aber ich kann sie nicht modifizieren, eben weil sie mir im Wege stehen. Und doch habe ich das Gefühl, sie modifizieren zu müssen, weil ich fühle, dass eine Katastrophe heraufzieht.«

»Das hast du schon früher gesagt, Freund Giskard, aber du hast nicht erklärt, welcher Art diese Katastrophe ist.«

»Weil ich es nicht weiß. Sie basiert auf der wachsenden Feindschaft zwischen Aurora und der Erde. Aber wie sich das zu einer tatsächlichen Katastrophe entwickeln wird, kann ich nicht sagen.«

»Ist es möglich, dass es vielleicht gar keine Katastrophe geben wird?«

»Das glaube ich nicht. Ich habe bei gewissen auroranischen Amtsträgern, denen ich begegnet bin, eine Aura der Katastrophe gefühlt – so als warteten sie auf einen Triumph. Ich kann das nicht genauer beschreiben und kann auch nicht tiefer sondieren, um eine bessere Beschreibung liefern zu können, weil mir die Drei Gesetze das nicht gestatten. Das ist ein weiterer Grund, weshalb das Gespräch mit Mandamus morgen stattfinden muss. Es wird mir die Gelegenheit liefern, sein Bewusstsein zu studieren.«

»Und wenn du dabei nichts erfährst?«

Obwohl Giskards Stimme keine Emotion im menschlichen Sinne ausdrücken konnte, war die Verzweiflung in seinen Worten nicht zu verkennen. »Dann werde ich hilflos sein«, sagte er. »Ich kann nur den Gesetzen folgen. Was könnte ich sonst tun?«

Und Daneel sagte leise und niedergeschlagen: »Nichts.«

4

Gladia betrat ihr Wohnzimmer um 8.15 Uhr. Sie hatte Mandamus (seinen Namen hatte sie sich mit einigem Widerstreben eingeprägt) absichtlich und nicht ohne eine gewisse Boshaftigkeit auf sie warten lassen. Sie hatte sich auch große Mühe mit ihrem Aussehen gegeben und (zum ersten Mal seit Jahren) unter den grauen Strähnen in ihrem Haar gelitten und dabei den flüchtigen Wunsch verspürt, sie hätte sich, wie es auf Aurora fast allgemein üblich war, das Haar färben lassen. Indem sie so jung und so attraktiv wie möglich aussah, hätte sie diesen Büttel Amadiros noch stärker in die Defensive drängen können.

Sie war fest entschlossen gewesen, ihn auf den ersten Blick unsympathisch zu finden, war sich dabei aber natürlich der bedrückenden Möglichkeit bewusst, dass er sich als jung und attraktiv erweisen könnte; dass ein sonniges Gesicht sich von ihrer Erscheinung zu einem strahlenden Lächeln veranlasst sehen könnte und dass sie sich, wenn auch widerstrebend, zu ihm hingezogen fühlen könnte.

Demzufolge beruhigte sie sein Anblick. Jung war er, ja. Wahrscheinlich hatte er noch nicht einmal sein erstes halbes Jahrhundert hinter sich; aber er hatte nichts daraus gemacht. Er war groß, vielleicht eins fünfundachtzig, schätzte sie, aber zu dünn; das ließ ihn hager erscheinen. Sein Haar war für einen Auroraner eine Spur zu dunkel, seine Augen von etwas blassem Braun, sein Gesicht zu lang, seine Lippen zu dünn, sein Mund zu breit und sein Teint nicht hell genug. Aber was ihm ganz besonders den Anschein der Jugend raubte, war sein Ausdruck – denn der war zu finster, zu humorlos.

Gladia erinnerte sich unwillkürlich an die historischen Romane, die zurzeit auf Aurora so große Mode waren (Romane, die ausnahmslos auf der primitiven Erde spielten), was höchst seltsam war für eine Welt, die die Erdenmenschen in zunehmendem Maße hasste, und dachte: Der ist ja das typische Bild eines Puritaners.

Sie empfand Erleichterung und hätte beinahe gelächelt. Gewöhnlich wurden Puritaner als Bösewichte geschildert; und ob nun dieser Mandamus tatsächlich ein Puritaner war oder nicht, war es jedenfalls bequem, dass er wie einer aussah.

Nur als er zu reden begann, war Gladia enttäuscht, denn seine Stimme war weich und klang musikalisch. (Um dem Stereotyp zu entsprechen, hätte er näseln müssen.)

Er sagte: »Mrs. Gremionis?«

Mit einem Lächeln, das herablassend wirken sollte, spreizte sie die Finger. »Mr. Mandamus – bitte, nennen Sie mich Gladia. Alle tun das.«

»Ich weiß, dass Sie Ihren Vornamen beruflich nutzen …«

»Ich nutze und benutze ihn in jeder Weise. Und meine Ehe ist vor einigen Dekaden in Freundschaft beendet worden.«

»Sie hat lange gehalten, glaube ich.«

»Sehr lange. Sie war ein großer Erfolg. Aber selbst große Erfolge haben ihr natürliches Ende.«

»Ah«, sagte Mandamus salbungsvoll. »Wenn man den Erfolg über sein natürliches Ende fortsetzen will, kann das leicht zum Versagen führen.«

Gladia nickte und meinte mit der Andeutung eines Lächelns: »Wie weise für jemanden, der so jung ist. Aber wollen wir nicht in den Speisesaal gehen? Das Frühstück ist fertig, und ich habe Sie sicher schon lange genug aufgehalten.«

Erst als Mandamus mit ihr kehrtmachte und seinen Schritt dem ihren anpasste, bemerkte Gladia, dass er von zwei Robotern begleitet wurde. Für einen Auroraner war es völlig undenkbar, irgendwohin ohne robotisches Gefolge zu gehen. Aber solange Roboter stillstehen, nimmt das auroranische Auge sie nicht wahr.

Gladia erkannte mit schnellem Blick, dass es sich um neueste Modelle handelte, sichtlich teuere Modelle. Ihre Pseudokleidung war kunstvoll und vollendet und – wenn auch nicht von Gladia entworfen – doch erstklassig. Das musste Gladia, wenn auch widerstrebend, zugeben. Sie würde herausfinden müssen, wer sie entworfen hatte, denn sie erkannte den Stil nicht – und am Ende erwuchs ihr da irgendwo neue, starke Konkurrenz. Sie ertappte sich dabei, wie sie den Stil der Pseudokleidung bewunderte, der bei beiden Robotern derselbe war, doch jedem seine Individualität ließ. Die beiden waren unverwechselbar.

Mandamus bemerkte ihren schnellen Blick und deutete ihren Ausdruck mit beunruhigender Akkuratesse. (Er ist intelligent, dachte Gladia enttäuscht.) Er sagte: »Das Äußere meiner Roboter ist von einem jungen Mann im Institut entworfen worden, der sich bis jetzt noch keinen Namen gemacht hat. Aber das wird er doch, glauben Sie nicht?«

»Ganz entschieden«, sagte Gladia.

Gladia rechnete nicht damit, dass der andere vor dem Ende des Frühstücks ein ernsthaftes Gespräch versuchen würde. Es galt als ein Höchstmaß an schlechter Erziehung, während der Mahlzeiten von irgendetwas anderem als von Trivialitäten zu sprechen. Und Gladia vermutete, dass Mandamus sich nicht gerade gut auf Trivialitäten verstand. Es gab natürlich das Wetter. Die letzten, jetzt zum Glück der Vergangenheit angehörenden Regengüsse wurden erwähnt und die Aussichten für die bevorstehende trockene Jahreszeit. Dann folgte die fast obligatorische Lobeshymne auf die Niederlassung der Gastgeberin, die Gladia mit geübter Bescheidenheit akzeptierte. Sie tat nichts, um es dem Mann leichter zu machen, und ließ ihn ohne Hilfe nach weiteren Themen suchen.

Schließlich fiel sein Auge auf Daneel, der still und reglos in seiner Wandnische stand. Mandamus schaffte es, seine auroranische Gleichgültigkeit zu überwinden und ihn zur Kenntnis zu nehmen.

»Ah«, sagte er, »das ist offensichtlich der berühmte R. Daneel Olivaw. Er ist absolut unverkennbar. Ein wirklich bemerkenswertes Exemplar.«

»Sehr bemerkenswert.«

»Er gehört jetzt Ihnen, nicht wahr? Gemäß Fastolfes Testament?«

»Gemäß Doktor Fastolfes Testament, ja«, sagte Gladia mit leichter Betonung.

»Es verwundert mich wirklich, dass die Versuche des Instituts mit humanoiden Robotern gescheitert sind. Haben Sie einmal darüber nachgedacht?«

»Ich habe vom Scheitern der Versuche gehört«, sagte Gladia vorsichtig. (War es etwa das, worauf er hinauswollte?) »Aber ich muss gestehen, dass ich mich nicht sehr damit befasst habe.«

»Die Soziologen versuchen immer noch, es zu begreifen. Wir im Institut sind jedenfalls nie ganz über diese Enttäuschung hinweggekommen. Uns schien das eine so natürliche Entwicklung. Einige von uns glauben, dass Fa… dass Doktor Fastolfe irgendwie etwas damit zu tun hatte.«

(Er hatte es vermieden, den Fehler ein zweites Mal zu machen, dachte Gladia. Ihre Augen verengten sich. Für sie war jetzt klar, dass er sie aufgesucht hatte, um nach Material zu suchen, das dem armen, guten Han schaden würde.)

So meinte sie gereizt: »Wer das denkt, ist ein Narr. Wenn Sie das denken, bin ich nicht bereit, diesen Ausdruck zurückzunehmen.«

»Ich gehöre nicht zu denen, die das denken, und zwar hauptsächlich deswegen, weil ich nicht sehen kann, was Dr. Fastolfe getan haben könnte, um ein Fiasko daraus zu machen.«

»Warum sollte überhaupt jemand etwas tun müssen? Es läuft doch darauf hinaus, dass die Öffentlichkeit sie nicht haben wollte. Ein Roboter, der wie ein Mann aussieht, tritt in Wettbewerb mit einem Mann. Und einer, der wie eine Frau aussieht, eben mit einer Frau. Und wer will das schon? Die Menschen auf Aurora jedenfalls wollten diesen Wettbewerb nicht. Müssen wir da weiter suchen?«

»Sexueller Wettbewerb?«, fragte Mandamus ruhig.

Einen Augenblick lang suchte Gladias Blick den seinen und hielt ihn fest. Wusste er von ihrer lange zurückliegenden Liebe zu dem Roboter Jander? Und wenn er es wusste, hatte es etwas zu bedeuten?

Aber an seinem Gesichtsausdruck war nichts, das darauf hingewiesen hätte, dass seine Worte irgendeinen versteckten Sinn vermitteln sollten.

Schließlich sagte sie: »Wettbewerb in jeder Hinsicht. Wenn Dr. Han Fastolfe etwas getan hat, das zu einem solchen Gefühl beitrug, dann dies, dass er seine Roboter in zu menschlicher Weise gebaut hat. Aber das war auch das Einzige.«

»Ich denke, Sie haben doch darüber nachgedacht«, sagte Mandamus. »Das Problem ist, dass den Soziologen die Furcht vor Konkurrenz mit zu menschlichen Robotern als Erklärung zu vereinfacht erscheint. Das allein würde nicht ausreichen. Und irgendwelche anderen, wesentlichen Motive für eine solche Aversion waren nicht festzustellen.«

»Die Soziologie ist keine exakte Wissenschaft«, sagte Gladia.

»Aber auch nicht völlig unexakt.«

Gladia zuckte die Achseln.

Nach einer längeren Pause meinte Mandamus: »Jedenfalls hat uns das davon abgehalten, Kolonisierungsexpeditionen richtig zu organisieren, ohne humanoide Roboter, die den Weg bereiten …«

Das Frühstück war noch nicht ganz beendet; aber für Gladia war es klar, dass Mandamus die Trivialitäten einfach ausgegangen waren. Und so sagte sie: »Wir hätten ja selbst gehen können.«

Jetzt war Mandamus an der Reihe, die Achseln zu zucken. »Zu schwierig. Außerdem sind diese kurzlebigen Barbaren von der Erde mit Erlaubnis Ihres Dr. Fastolfe wie eine Heuschreckenplage ausgeschwärmt, zu jedem Planeten, den sie erreichen konnten.«

»Es gibt immer noch viele verfügbare Planeten. Millionen. Und wenn sie es können …«

»Natürlich können sie es«, sagte Mandamus mit plötzlicher Leidenschaft. »Das kostet viele das Leben. Aber was ist das schon für sie? Der Verlust einer Dekade vielleicht, das ist alles. Und es gibt Milliarden von ihnen. Wenn ein oder zwei Millionen bei der Kolonisierung sterben – wer bemerkt das schon? Und wem macht es etwas aus? Denen nicht.«

»Ich bin ganz sicher, dass es ihnen etwas ausmacht.«

»Unsinn! Unser Leben ist länger und deshalb wertvoller, und deshalb achten wir ganz natürlicherweise auch mehr darauf.«

»Und so sitzen wir hier und tun nichts anderes, als uns über die Kolonisten von der Erde zu erregen, darüber, dass sie bereit sind, ihr Leben zu riskieren und demzufolge das Erbe der Galaxis anzutreten.«

Gladia war nicht bewusst, dass sie ein sonderliches Prosiedler-Vorurteil empfand; aber sie wollte Mandamus einfach widersprechen. Und während sie sprach, wurde ihr klar, dass etwas, das als bloßer Widerspruch begonnen hatte, durchaus einen Sinn ergab und vielleicht sogar ihre Gefühle widerspiegelte. Außerdem hatte sie von Dr. Fastolfe in seinen letzten, enttäuschten Jahren oft ähnliche Dinge gehört.

Auf Gladias Zeichen hin wurde der Tisch schnell und geschickt abgedeckt. Sie hätten das Frühstück fortsetzen können; aber das Gespräch ebenso wie die Stimmung waren für eine zivilisierte Mahlzeit ungeeignet geworden.

Sie begaben sich in den Wohnraum zurück. Seine Roboter folgten ihm und ebenso auch Daneel und Giskard, wobei alle ihre Nischen fanden. (Mandamus hatte bezüglich Giskards keine Bemerkung gemacht, dachte Gladia; aber weshalb hätte er das auch tun sollen? Giskard war durch und durch altmodisch, ja sogar primitiv und im Vergleich zu den wunderschönen Exemplaren in Mandamus’ Gefolge völlig unbeeindruckend.)

Gladia nahm Platz und schlug die Beine übereinander, wobei ihr völlig bewusst war, dass der durchsichtige untere Teil ihrer Hosenbeine dem immer noch jugendlichen Aussehen ihrer Beine schmeichelte.

»Darf ich jetzt den Grund erfahren, weshalb Sie mich sprechen wollten, Dr. Mandamus?«, sagte sie, nicht gewillt, die Dinge noch weiter hinauszuschieben.

Darauf sagte er: »Ich habe die schlechte Angewohnheit, nach den Mahlzeiten medizinischen Gummi zu kauen. Das hilft meiner Verdauung. Würde Sie das stören?«

»Es würde mich ablenken«, sagte Gladia steif.

(Wenn er nicht kauen konnte, würde das von Nachteil für ihn sein. Außerdem, dachte Gladia bei sich, sollte er in seinem Alter noch nichts brauchen, um seine Verdauung zu fördern.)

Mandamus hatte bereits ein kleines, rechteckiges Päckchen halb aus der Brusttasche seiner Tunika gezogen. Jetzt schob er es zurück, ohne sich die Enttäuschung anmerken zu lassen, und murmelte: »Selbstverständlich.«

»Ich hatte gefragt, weshalb Sie mich sprechen wollten, Dr. Mandamus.«

»Es sind tatsächlich zwei Gründe, Lady Gladia. Der eine ist persönlicher Natur, der andere offiziell. Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich zuerst die persönliche Angelegenheit anspreche?«

»Lassen Sie mich in aller Offenheit sagen, Dr. Mandamus, dass mir die Vorstellung schwerfällt, dass es irgendwelche persönlichen Angelegenheiten zwischen uns geben könnte. Sie sind im Robotik-Institut tätig, nicht wahr?«

»Ja, das ist richtig.«

»Und stehen, wie man mir sagt, Amadiro nahe.«

»Ich habe die Ehre, mit Doktor Amadiro zusammenzuarbeiten«, sagte er mit leichter Betonung.

(Jetzt zahlt er es mir zurück, dachte Gladia, aber ich werde nicht darauf eingehen.)

Vielmehr sagte sie: »Amadiro und ich hatten vor zwanzig Dekaden Kontakt miteinander, und das war höchst unangenehm. Ich hatte seitdem keinen Anlass, noch einmal mit ihm in Verbindung zu treten. Ebenso wenig hätte ich mit Ihnen als einem engen Mitarbeiter Amadiros einen Kontakt haben wollen. Aber man hat mich davon überzeugt, dass das Gespräch wichtig sein könnte. Persönliche Angelegenheiten allerdings würden dieses Gespräch ganz sicherlich für mich völlig unwichtig machen. Wollen wir also zu Ihrem offiziellen Anlass kommen?«

Mandamus’ Lider senkten sich, und eine leichte Rötung, die vielleicht Verlegenheit andeutete, breitete sich über seinen Wangen aus. »Dann gestatten Sie mir, dass ich mich noch einmal vorstelle. Mein Name ist Levular Mandamus, Ihr Nachkomme fünften Grades. Ich bin der Ur-Ur-Urenkel von Santirix und Gladia Gremionis. Umgekehrt gesagt, sind Sie meine Ur-Ur-Urgroßmutter.«

Gladia blinzelte schnell und versuchte sich den Schock nicht anmerken zu lassen, den sie empfand (was ihr freilich nicht ganz gelang). Natürlich hatte sie Nachkommen, und es gab keinen Grund, warum dieser Mann nicht einer davon sein sollte.

Doch sie sagte: »Sind Sie sicher?«

»Ganz sicher. Ich habe eine genealogische Suche durchführen lassen. Schließlich werde ich nach all den Jahren wahrscheinlich einmal Kinder haben wollen. Und ehe ich ein Kind haben kann, wäre eine solche Suche ohnehin Vorschrift. Falls es Sie interessiert – unser Muster ist M-W-W-M.«

»Sie sind der Sohn des Sohnes der Tochter der Tochter meines Sohnes?«

»Ja.«

Gladia fragte nicht nach weiteren Einzelheiten. Sie hatte einen Sohn und eine Tochter gehabt. Sie hatte ihre Mutterpflichten perfekt erfüllt; aber die Kinder hatten zu gegebener Zeit natürlich ihren eigenen Weg eingeschlagen. Was Nachkommen über diesen Sohn und diese Tochter hinaus anging, so hatte sie, wie es auf den Spacerwelten ganz normal und üblich war, nie nach ihnen gefragt, und sie interessierte sich auch nicht für sie. Jetzt, wo sie einem von ihnen begegnete, war sie Spacer genug, um sich immer noch nicht dafür zu interessieren.

Der Gedanke verlieh ihr völlige Stabilität. Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und wurde ganz ruhig. »Nun gut«, sagte sie. »Sie sind mein Nachkomme fünften Grades. Wenn das die persönliche Angelegenheit ist, die Sie mit mir besprechen möchten, so ist sie für mich unwichtig.«

»Das verstehe ich voll und ganz, Ahnin. Was ich mit Ihnen besprechen möchte, ist auch nicht meine Abkunft, sondern die schafft nur die Grundlage. Sie müssen wissen, dass Dr. Amadiro diese verwandtschaftliche Beziehung bekannt ist, zumindest vermute ich das.«

»Tatsächlich? Wie kam es dazu?«

»Ich glaube, dass er in aller Stille alle genealogisch überprüfen lässt, die eine Tätigkeit im Institut aufnehmen.«

»Aber warum?«

»Um genau das herauszufinden, was er in meinem Fall herausgefunden hat. Er ist kein Mensch, der dazu neigt, anderen zu vertrauen.«

»Das verstehe ich nicht. Wenn Sie mein Nachkomme fünften Grades sind, warum sollte das für ihn dann mehr bedeuten, als es mir bedeutet?«

Mandamus strich sich nachdenklich mit den Knöcheln der rechten Hand über das Kinn. »Die Abneigung, die er für Sie empfindet, ist in keiner Weise geringer als Ihre Abneigung für ihn, Lady Gladia. Wenn Sie bereit waren, um seinetwillen ein Gespräch mit mir abzulehnen, dann ist er ebenso bereit, mir um Ihretwillen jegliche Vorzugsbehandlung zu versagen. Noch schlimmer könnte es sein, wenn ich ein Nachkomme Dr. Fastolfes wäre – aber nicht viel.«

Gladia richtete sich steif in ihrem Stuhl auf. Ihre Nasenflügel bebten, und sie sagte mit angespannter Stimme: »Was erwarten Sie dann eigentlich von mir? Was soll ich tun? Ich kann Sie nicht zum Nicht-Nachkommen erklären. Soll ich eine Durchsage im Hypervision veranlassen, dass Sie mir gleichgültig sind und dass ich mich von Ihnen lossage? Würde das Ihren Amadiro zufriedenstellen? Wenn ja, dann muss ich Sie warnen – das werde ich nicht tun. Ich werde nichts tun, um diesen Mann zufriedenzustellen. Wenn das bedeutet, dass er Sie entlässt und Sie Ihrer Karriere beraubt, um damit seine Missbilligung Ihrer genetischen Herkunft auszudrücken, dann wird Sie das lehren, sich das nächste Mal mit einer vernünftigeren, weniger bösartigen Person einzulassen.«

»Er wird mich nicht entlassen, Madam Gladia. Ich bin ihm viel zu wertvoll, wenn Sie mir bitte diese Unbescheidenheit verzeihen wollen. Trotzdem hoffe ich, eines Tages sein Nachfolger als Leiter des Instituts zu werden, und das – dessen bin ich ganz sicher – wird er nicht zulassen, solange er mir auch nur verdachtsweise eine Abkunft unterstellt, die noch schlimmer ist als die von Ihnen.«

»Bildet er sich denn ein, der arme Santirix sei noch schlimmer als ich?«

»Ganz und gar nicht.« Mandamus’ Gesicht rötete sich wieder, und er schluckte; aber seine Stimme blieb gleichmäßig und fest. »Ich will Sie nicht beleidigen, Madam. Aber ich bin es mir selbst schuldig, die Wahrheit zu erfahren.«

»Was für eine Wahrheit?«

»Ich stamme von Ihnen im fünften Grade ab. Das steht klar und deutlich in den genealogischen Akten. Aber ist es möglich, dass ich ebenfalls im fünften Grade nicht von Santirix Gremionis, sondern von dem Erdenmenschen Elijah Baley abstamme?«

Gladia stand so schnell auf, als hätten die unidimensionalen Kraftfelder eines Marionettenspielers sie gehoben. Dass sie aufgestanden war, war ihr gar nicht bewusst.

Dies war das dritte Mal in zwölf Stunden, dass der Name jenes weit zurückliegenden Erdenmenschen erwähnt worden war, und dies von drei verschiedenen Individuen.

Ihre Stimme schien überhaupt nicht die ihre zu sein. »Was meinen Sie?«

Auch er stand jetzt auf und trat zwei Schritte zurück. »Mir scheint das ganz einfach«, sagte er. »Ist Ihr Sohn, mein Ur-Urgroßvater, das Produkt einer sexuellen Vereinigung mit dem Erdenmenschen Elijah Baley? War Elijah Baley der Vater Ihres Sohnes? Ich weiß nicht, wie ich es noch einfacher ausdrücken sollte.«

»Wie können Sie es wagen, eine solche Andeutung zu machen, ja auch nur so etwas zu denken?!«

»Ich wage es, weil meine Karriere davon abhängt. Wenn die Antwort ›Ja‹ lautet, könnte es sein, dass mein professionelles Leben ruiniert ist. Ich will ein ›Nein‹ hören, aber ein unbestätigtes ›Nein‹ nützt mir nichts. Ich muss imstande sein, Dr. Amadiro zum geeigneten Zeitpunkt einen Beweis zu liefern, und ihm zeigen können, dass seine Missbilligung meiner Abkunft mit Ihnen enden muss. Schließlich ist mir klar, dass die Abneigung, die er Ihnen gegenüber, ja selbst Dr. Fastolfe gegenüber empfindet, nichts ist – überhaupt nichts – im Vergleich mit der unglaublichen Intensität, mit der er den Erdenmenschen Elijah Baley hasst und verabscheut. Es ist nicht nur die Tatsache, dass er ein Kurzlebiger ist, obwohl der Gedanke, barbarische Gene geerbt zu haben, mich sehr beunruhigen würde. Ich glaube, wenn ich den Beweis vorlegen könnte, dass ich von einem Erdenmenschen abstamme, der nicht Elijah Baley war, dann könnte er das abtun. Aber der Gedanke an Elijah Baley – und nur an den – treibt ihn in den Wahnsinn. Ich weiß nicht, warum das so ist.«

Die mehrfache Wiederholung von Elijahs Namen hatte ihn für Gladia fast wieder lebendig erscheinen lassen. Ihr Atem ging heftig und tief, und sie genoss die schönste Erinnerung, die sie in ihrem Leben gekannt hatte.

»Ich weiß, warum«, sagte sie. »Das kommt daher, dass Elijah es geschafft hat, obwohl alles gegen ihn stand, obwohl ganz Aurora gegen ihn war, Amadiro in dem Augenblick zu vernichten, in dem jener Mann glaubte, den Erfolg in der Hand zu halten. Elijah tat das, indem er nichts als seinen Mut und seine Intelligenz einsetzte. Amadiro hatte in der Person eines Erdenmenschen, den er gleichgültig verabscheut hatte, seinen Meister gefunden – und konnte nichts anderes tun, als ihm hilflosen Hass entgegenzuschleudern. Elijah ist jetzt seit mehr als sechzehn Dekaden tot, und immer noch kann Amadiro nicht vergessen, kann nicht verzeihen, kann die Ketten nicht lösen, die ihn in Hass und Erinnerung an jenen Toten binden. Und ich will es nicht zulassen, dass Amadiro vergisst oder aufhört zu hassen, solange das jeden Augenblick seiner Existenz vergiftet.«

Mandamus hatte ihren Ausbruch unbewegt angehört, und jetzt sagte er: »Ich sehe, dass Sie Grund haben, Dr. Amadiro Böses zu wünschen. Aber welchen Grund haben Sie, mir Böses zu wünschen? Dr. Amadiro glauben zu lassen, ich sei ein Nachkomme Elijah Baleys, wird ihm das Vergnügen bereiten, mich zu vernichten. Warum sollten Sie ihm ohne Not dieses Vergnügen bereiten, wenn das gar nicht stimmt? Geben Sie mir deshalb den Beweis, dass ich von Ihnen und Santirix Gremionis abstamme oder von Ihnen und sonst irgendjemandem – nur nicht Elijah Baley.«

»Sie Narr! Sie Idiot! Warum brauchen Sie den Beweis von mir? Sehen Sie sich doch die historischen Unterlagen an. Sie werden dort die genaue Zeit finden, die Elijah Baley auf Aurora verbracht hat. Sie werden den genauen Tag finden, an dem ich meinen Sohn Darrel geboren habe. Sie werden finden, dass Darrel mehr als fünf Jahre nachdem Elijah Aurora verlassen hat zur Welt gekommen ist. Und Sie werden auch finden, dass Elijah nie nach Aurora zurückgekehrt ist. Nun, glauben Sie denn, dass ich fünf Jahre lang schwanger war? Dass ich fünf galaktische Standardjahre lang einen Fötus in mir getragen habe?«

»Ich kenne die Statistiken, Madam. Und ich glaube nicht, dass Sie fünf Jahre schwanger waren.«

»Warum kommen Sie dann zu mir?«

»Weil mehr daran ist als nur das. Ich weiß – und ich kann mir vorstellen, dass es Dr. Amadiro auch weiß –, dass der Erdenmensch Elijah Baley, wie Sie sagen, zwar nie auf den Boden Auroras zurückgekehrt ist, sich aber einmal in einem Schiff aufgehalten hat, das ein oder zwei Tage im Orbit um Aurora war. Ich weiß – und ich kann mir vorstellen, dass Dr. Amadiro das sehr wohl auch weiß –, dass der Erdenmensch zwar das Schiff nicht verlassen und Aurora besucht hat, doch Sie Aurora verlassen und das Schiff besucht haben; dass Sie mehr als einen Tag lang auf dem Schiff geblieben sind und dass dies etwa fünf Jahre nach dem Aufenthalt des Erdenmenschen auf Aurora stattgefunden hat; etwa um die Zeit, um es genau zu sagen, um die Sie Ihren Sohn empfangen haben.«

Gladia spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich, als sie die ruhigen Worte des jungen Mannes hörte. Der Raum um sie wurde dunkel, und sie schwankte.

Sie spürte, wie starke Arme sie umfingen, und wusste, dass es die Arme Daneels waren. Sie spürte, wie sie langsam und vorsichtig auf ihren Stuhl gesetzt wurde.

Sie hörte Mandamus’ Stimme, als käme sie aus großer Ferne.

»Ist das nicht die Wahrheit, Madam?«, fragte er.

Und das war es natürlich.

II.   Der Ahne?

5

Erinnerung!

Etwas, das natürlich stets vorhanden ist, aber gewöhnlich verborgen bleibt. Und etwas, das dann, manchmal, mit dem richtigen Anstoß, plötzlich hervortritt, klar und deutlich, in Farbe, hell, bewegt und lebend.

Sie war wieder jung; jünger als dieser Mann, der da vor ihr saß – jung, um Liebe und Leid zu empfinden –, nachdem ihr lebender Tod auf Solaria seinen Höhepunkt erreicht hatte, im bitteren Ende jenes ersten, den sie als ihren »Ehemann« empfunden hatte. (Nein, selbst jetzt würde sie seinen Namen nicht aussprechen, nicht einmal in Gedanken.)

Doch aus ihrem damaligen Leben waren ihr die Monate aufwallender Gefühle mit dem zweiten – Nicht-Mann – näher, auf den dieser Begriff zugetroffen hatte. Man hatte ihr Jander, den humanoiden Roboter, gegeben, und sie hatte ihn ganz zu dem ihren gemacht, bis er, so wie ihr erster Mann, plötzlich tot war.

Und dann, endlich war da Elijah Baley, der nie ihr Ehemann gewesen war, dem sie nur zweimal begegnet war, im Abstand von zwei Jahren, jedes Mal nur ein paar Stunden an ein paar wenigen Tagen. Elijah, dessen Wange sie einmal mit der bloßen Hand berührt hatte und dabei aufgeflammt war; und dessen unbekleideten Körper sie später in ihren Armen gehalten hatte und dabei ganz in Flammen gestanden war.

Und dann ein dritter Ehemann, mit dem sie ruhig und in Frieden gelebt hatte; ein Frieden, in dem sie mit Triumphlosigkeit für Nichtelend bezahlt hatte; ein Leben, in dem sie am Vergessen festhielt, um das Vergangene nicht noch einmal durchleben zu müssen.

Bis eines Tages (sie wusste nicht genau, wann das gewesen war; jener Tag, der so in ihre schlafenden, von Qualen freien Jahre hereingebrochen war) Han Fastolfe, nachdem er sich angemeldet hatte, aus seiner angrenzenden Niederlassung herübergekommen war.

Gladia betrachtete ihn mit einiger Sorge, denn er war ein viel zu beschäftigter Mann, um einfach nur einen nachbarschaftlichen Besuch zu machen. Nur fünf Jahre waren seit jener Krise verstrichen, aus der Han als führender Staatsmann Auroras hervorgegangen war. In Wahrheit war er der Vorsitzende des Planeten, wenn auch ein anderer diesen Titel trug, und damit der wahre Führer aller Spacerwelten. Er hatte nur so wenig Zeit, ein Mensch zu sein.

Diese Jahre hatten ihm ihr Zeichen aufgeprägt – und würden das auch weiterhin tun, bis er traurig starb, in dem Gefühl, versagt zu haben, obwohl er nie eine Schlacht verloren hatte. Kendel Amadiro, der besiegt worden war, war ein lebender Beweis dafür, dass häufig der Sieg die größere Last sein kann.