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Ein heftiger Sturm tost durch das Flusstal, als fünf Wolfswelpen geboren werden. Der letzte Welpe ist eine winzige Wölfin, die den Namen "Fünf" erhält. Das Rudel schwört ihr Schutz und Rückhalt und lehrt sie Mut und Weisheit. Fünf wächst heran und träumt davon, die beste Jägerin des Rudels zu werden. Sie muss sich einer Welt voller Abenteuer, aber auch voller Bedrohungen stellen – und eines Nachts sucht ein großes Unglück das Rudel heim. Aufregende Abenteuer, erstaunliche Wunder der Natur und das spannende Leben der Tiere – diese Kinderbuch-Reihe entführt Jungen und Mädchen ab 8 Jahren in die verschiedenen Lebensräume der Erde. Ob im tiefen Meer oder im dichten Wald: In diesen Geschichten erleben Tiere wunderschöne und zugleich bewegende Abenteuer. Mit berührenden und coolen Schwarz-Weiß-Illustrationen. Lehrreich wie ein Sachbuch und berührend wie ein Disney-Klassiker! Für Fans von Peter Wohlleben und Karsten Brensing. Alle Bände dieser Reihe: Das geheime Leben der Tiere (Wald) - Die weiße Wölfin Das geheime Leben der Tiere (Wald) - König der Bären Das geheime Leben der Tiere (Wald) - Stadt der Füchse Das geheime Leben der Tiere (Wald) - Revier der Raben Die Titel sind auf Antolin.de gelistet.
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Seitenzahl: 147
In Erinnerung an O-Six und ihre Tochter Spitfire2006-2012 und 2011-2018
Teil 1: Leben lernen
Ein Anfang
Zottel
Licht
Das Rudel
Das Lied des Rudels
Die Raben
Die beste Jägerin
Der Ruf der Raben
Teil 2: Kenne deinen Platz
Wagtes
Springut
Die Jagd
Verlieren lernen
Kluge Kämpfe
Feuer
Reste
Teil 3: Erkenne deinen Platz
Erster Versuch
Wölfe
Winter
Der falsche Platz
Jägerin
Teil 4: Leben lehren
Wir sind Rudel
Leitwölfin
Wachsen
Ein neuer Anfang
Ein Wiedersehen
Ein Ende
Noch Fragen?
In der Nacht, in der Vollmuts Welpen geboren wurden, ging die Welt unter. Zumindest fühlte es sich für das Wolfsrudel im Flusstal so an. Der Sommer war noch heiß und reif, aber es hatte lange nicht geregnet. Nun toste ein Sturm durchs Tal, wie ihn keiner der Wölfe je erlebt hatte. Er knickte dicke Baumstämme wie Wolfskiefer alte Knochen. Äste und Zweige peitschten durch die Luft. Nadeln, Zapfen und Blätter wirbelten umher.
Die Jungwölfe Wagtes und Zagtoft waren als Wachen abgestellt, doch sie konnten kaum die Augen offen halten. Immer wieder duckten sie sich hinter Felsen. Sogar Breitmaul, der Leitwolf, winselte unbehaglich. Zum Glück konnte das im Tosen des Sturms keiner hören. Niemand möchte sehen, dass sein Anführer Angst hat. Das ganze Rudel war nervös genug. Nur die Leitwölfin in der Wurfhöhle blieb ruhig.
Es war nicht Vollmuts erster Wurf. Sie hatte schon zwölf Welpen geboren, genau in dieser Höhle zwischen den Wurzeln einer umgekippten Föhre, in der sie selbst vor fünf Jahren zur Welt gekommen war. Sie wusste, was sie zu tun hatte. Schon vor Tagen hatte sie die Höhlenwände erweitert, den Boden von Nadeln und Zapfen befreit und darauf geachtet, dass der Eingang die richtige Größe hatte. Sie hatte sogar noch weitere Höhlen gegraben, für den Fall, dass sie vielleicht am entscheidenden Tag aus irgendwelchen Gründen nicht zur Föhre gelangen konnte. Eine Wolfsmutter musste ständig und auf alles vorbereitet sein. Auf Fluten und Waldbrände und feindliche Wolfsrudel … Immer war dabei mindestens eins ihrer Rudelmitglieder um sie herum gewesen und hatte Wache gehalten. Ihre Wölfe brachten ihr Fressen und streiften die Wölfin liebevoll mit dem Kopf. Alle wussten, dass Vollmut gerade Wichtigeres zu tun hatte.
Ihr Partner Breitmaul war noch früher als sonst aufgebrochen, um seine Runden zu drehen und nach Beute oder Angreifern Ausschau zu halten. In den kommenden Wochen würde das Rudel eine wichtige Jägerin weniger, aber vier Mäuler mehr zu stopfen haben. Denn dass vier Welpen in Vollmuts Bauch warteten, wusste das Rudel seit Wochen.
Vollmut hatte gar nichts dagegen, dass es nun stürmte und dass Äste und Zweige wie Pfeile und Keulen durch die Luft flogen. Das hieß nämlich, dass auch Angreifer lieber sichere Zuflucht suchten. Solange die Welt toste, würde kein fremdes Rudel, kein Grizzlybär, kein Kojote einen Angriff wagen. Je stürmischer es draußen vor der Wurfhöhle zuging, desto sicherer konnte sich die Leitwölfin im Inneren fühlen.
Inmitten dieser doppelten Sicherheit des Sturms und der Höhle fand der erste Welpe seinen Weg in die Welt. Er war schwarz wie die Nacht. Seine Augen waren geschlossen, wie die aller neugeborenen Wolfsjungen, aber seine kleine Nase zuckte wie ein tanzender Käfer auf einem heißen Stein.
„Willkommen, Tänzler“, summte die Wölfin.
Vor der Höhle riss Breitmaul den Kopf hoch und jaulte in den Sturm. Doch sein Gesang hatte nichts mehr mit Angst zu tun. Es war reine, unbändige Freude. Die fünf anderen Wölfe des Rudels stimmten mit ein und für einen Augenblick übertönte ihr Gesang sogar den Weltuntergang. Das Rudel im Flusstal war um ein Mitglied stärker. Und mit jedem weiteren schwoll das Jubel-Jaulen vor der Höhle weiter an.
„Langstirn“, flüsterte Vollmut und begrüßte ihren jüngsten Sohn, indem sie ihn zärtlich sauber leckte.
Ihm folgte seine Schwester Großfuß. Und mit Braunfleck kam ein weiteres Männchen hinzu. Mit kräftiger Zunge leckte die Leitwölfin ihre Welpen ab und achtete darauf, dass alle zu ihren Zitzen fanden und ihre allererste Mahlzeit bekamen. Die Kleinen fielen und krochen übereinander und tasteten sich Schnauze voran an ihre Mama.
„Willkommen im Leben“, gurrte sie und schloss müde die Augen. Das Rudel war komplett.
Doch gleich darauf riss Vollmut die Augen wieder auf! Was? Das konnte nicht sein! Die Wolfsmutter hatte bei jedem Wurf gespürt, wie viele Welpen sie in ihrem Bauch trug. Diesmal waren es vier gewesen. Doch nun – ringelte sich ein fünfter Welpe auf dem Höhlenboden. Er war winzig, das kleinste Wolfsjunge, das Vollmut je gesehen hatte. Es war heller als seine Geschwister und ein Mädchen. Niemand hatte mit ihr gerechnet.
Das erste Geräusch, das die kleine Wölfin in ihrem Leben hörte, war ein gewaltiger Donnerschlag direkt über der Höhle. Es klang fast, als wäre der Himmel aufgerissen.
„Fünf?“, winselte Vollmut vollkommen überrumpelt.
Das kleine Ding gab ein erstaunlich kräftiges Jaulen von sich.
„Fünf?“, jaulte Zottel, die Jungwölfin, die vor dem Höhleneingang lag und ihre neugierige Schnauze durch die Öffnung geschoben hatte. Sie betrachtete ihre jüngeren Geschwister und zog beim Anblick ihrer kleinsten Schwester die Lefze hoch. „Bist du sicher, dass das ein Wolf ist, Mama? Es sieht aus wie ein blasser Maulwurf. Vielleicht hast du versehentlich einen Maulwurf ausgebuddelt. Wir sollten es lieber –“
Vollmut, die das Baby gerade liebevoll ableckte, riss den Kopf hoch und knurrte Zottel an. Sofort warf die sich auf den Boden und winselte. Sie war zu weit gegangen. Ihre Mutter schien an dem jämmerlichen kleinen Ding zu hängen.
Und ob sie das tat! Das spürte Fünf von ihrem ersten Atemzug an. Sie merkte es daran, wie ihre Mama sie sanft zwischen die Zähne nahm und an eine freie Zitze bugsierte. Wie sie ihr den warmen Atem ins Gesicht pustete, bis Fünf nieste. Wie sie ihr vorsichtig übers feuchte Fell leckte. Und dann das himmlischste Gefühl von allen: warme Muttermilch im Maul, in der Kehle, im kleinen Bauch. Fünf seufzte. Die Welt war ein ganz ausgezeichneter Ort. Sie konnte es kaum erwarten, mehr zu erleben. Sie wusste nicht, dass sie ein gutes Stück kleiner war als ihre Geschwister. Und als ihrem Bruder Braunfleck seine eigene Zitze aus dem Maul rutschte und er beschloss, es mal bei der seiner Schwester zu versuchen – da trat ihm Fünf beherzt ins Gesicht.
Vollmut lachte schnaubend auf. Und auch Zottel im Eingang ließ belustigt die Zunge aus dem Maul hängen.
„Guter Tritt“, stellte sie anerkennend fest.
„Deine Schwester ist klein“, sagte Vollmut. „Umso mehr Platz hat sie, zu wachsen. Und bis dahin – passen wir auf sie auf. Auch der größte Wolf ist allein verloren. Wir sind alle Teil des Rudels, nur das Rudel ist stark.“
„Ja, Mama!“, jaulte Zottel schnell und schob sich wieder nach draußen, um den anderen zu sagen, dass das Wolfsrudel im Flusstal fünf neue Welpen hatte. Und dass besser keiner Witze über den blassen Maulwurf machte, wenn er nicht von Mama gebissen oder vom Maulwurf getreten werden wollte.
Am nächsten Morgen hatte sich die Welt beruhigt. Der Fluss war noch reißend und schleppte haufenweise Zweige, Äste und Blätter mit sich, aber die Luft war klar. Einer nach dem anderen steckten die anderen Wölfe ihre Köpfe in die Höhle und warfen einen Blick auf ihre neuen Rudelmitglieder. Einer nach dem anderen konnte sich davon überzeugen, dass Welpe Nummer fünf tatsächlich außergewöhnlich winzig war. Sonst schien es ihr aber an nichts zu fehlen.
Fünf lernte schnell, dass es noch vier von ihrer Sorte gab. Sie konnte die anderen zwar weder hören noch sehen, doch immer wieder rollte einer ihrer Brüder oder ihre Schwester Großfuß auf sie. Beim Trinken fand Fünf das störend. Dabei verlor sie manchmal ihre Zitze und musste sie dann erst umständlich wieder suchen. Deshalb trat sie in solchen Fällen mit den Pfoten zurück. Am besten funktionierte das, wenn sie beide Hinterbeine gleichzeitig benutzte. Dafür wurde sie jedes Mal von Mama mit einer warmfeuchten Zungenmassage belohnt, also machte sie offenbar alles richtig. Das Leben schien eine sehr angenehme Sache zu sein. Man musste nur trinken, solange man wollte, und sich dann möglichst nah an Mama kuscheln, um sich vom anstrengenden Trinken zu erholen. Und wenn man dann wieder aufwachte, brauchte man bloß noch seine Zitze zu finden …
Doch irgendwann wachte Fünf auf, und konnte weder die Zitze noch Mama Vollmut finden. Sie stolperte immer wieder gegen die anderen vier Welpen, die genauso verwirrt suchten, bis etwas vollkommen Neues passierte:
Fünf entdeckte, dass der Platz um sie herum offenbar deutlich größer war und sie sehr viel weiter kriechen konnte als erwartet. Und schließlich roch sie etwas, das sie entfernt an Mama Vollmut erinnerte – und dann auch wieder nicht. Fünf stieß mit ihrer Nase gegen das, was nicht Mama Vollmut war – und wurde von einer fremden Zunge abgeleckt. Das war zwar nicht unangenehm, aber sie hatte nicht vor, sich einfach von jedem ablecken zu lassen.
„Hey!“, rief Fünf. „Wer ist da?“
„Ich bin’s“, sagte Zottel vergnügt. „Deine große Schwester Zottel.“
„Meine Mama ist weg“, jaulte Fünf empört. „Ich will meine Mama zurück. Ich will keine Zottel.“
Zottel jaulte wieder. „Mama kommt zurück, wenn sie gefressen hat, kleiner Maulwurf. Solange passe ich auf euch auf.“
Inzwischen waren auch die anderen Welpen hinter Fünf versammelt. Und weil sie genau im Höhleneingang stand, lief einer nach dem anderen von hinten auf und schubste sie immer wieder gegen Zottel.
„Hier stimmt was nicht“, jammerte Braunfleck. „Mama ist weg und ich rieche was Komisches.“
„Das ist Zottel“, erklärte Fünf über die Schulter. „Sie sagt, sie passt auf uns auf.“
„Was ist ein Zottel?“, fragte Langstirn.
„Hat es Zitzen?“, fragte Tänzler.
„Hast du Zitzen?“, fragte Fünf Zottel frech.
„Ja, aber nur Mama kann euch füttern“, erklärte Zottel. „Und jetzt marsch, zurück in die Höhle, bevor euch jemand sieht.“
Sie stupste die Welpen mit der Schnauze zurück in die Höhle und lachte erfreut, als sie die empörten Quieklaute ihrer Geschwister hörte.
„Frechheit“, rief Braunfleck. „Sie hat uns umgeworfen!“
„Und uns ausgelacht“, knurrte Großfuß.
„Dabei hat sie noch nicht mal Zitzen“, maulte Tänzler.
„Wir müssen Mama zurückholen“, sagte Fünf und gähnte.
Die anderen vier gähnten ebenfalls.
„Genau!“, rief Großfuß und legte sich auf den Boden.
Langstirn hatte sich schon eingerollt und schmatzte genießerisch, als würde er von Milch träumen. Seine Geschwister drückten sich eng an ihn und rollten sich ebenfalls ein.
„Die Zottel kann was erleben“, murmelte Fünf.
Als sie wieder aufwachte, spürte sie die Wärme ihrer Mutter, hatte ihren Geruch in der Nase und fand nach kurzem Suchen eine Zitze.
Sofort leckte Vollmut ihr Kleinstes zärtlich ab. Fünf wollte ihr erzählen, dass Zottel fies und dass es kalt und milchlos gewesen war ohne ihre Mama, aber erst mal musste sie trinken und dann schlief sie wieder ein. Als sie das nächste Mal aufwachte, hatte sie ihre Beschwerde vergessen.
Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war oder dass Zeit überhaupt vergehen konnte, doch irgendwann wachte Fünf auf und öffnete ihre Augen. Zum ersten Mal.
„Oh“, sagte sie verwundert. „Das ist neu.“
Da, wo sie ihre Mama riechen und spüren konnte, war ein großer schwarzer Umriss. Fünf drehte den Kopf und entdeckte neben sich die Umrisse ihrer Geschwister. Sie lachte jaulend auf.
Ihre Mutter sah sie neugierig an und stupste sie in die Seite. „Was ist denn so komisch?“
„Das sind Großfuß, Langstirn, Braunfleck und Tänzler?“, fragte Fünf. „Die sind ja winzig.“
Vollmut gluckste. „Sie sind klein. Alle Welpen sind klein. Ihr wachst noch. Vielleicht werdet ihr sogar größer als ich.“
Fünf riss ihre Augen weiter auf. „Wir? Bin ich auch so winzig?“
Ihre Mama leckte sie ab. „Du bist schon viel größer als noch vor einigen Wochen.“
Die Nachricht gefiel Fünf nicht. Sie war klein? Sie fühlte sich überhaupt nicht klein. Neugierig drehte sie sich um sich selbst und entdeckte fasziniert, dass sie einen Schwanz an ihrem Hinterteil hatte, wofür auch immer der gut sein mochte. Und dass es eine Stelle der Höhle gab, die viel heller war als der Rest. So hell, dass Fünf ihre Augen zukneifen musste, weil es im Kopf weh tat. Es dauerte eine Weile, bis sie sich daran gewöhnt hatte. Dann tapste sie beherzt auf das helle Licht zu – und heulte aus Protest, als ihre Mama sie im Nacken packte und wieder zurück zu ihren Geschwistern setzte.
„Nein, nicht. Och, Mama! Ich will da rüber.“
„Ich weiß, Fünf, aber deine Geschwister sind noch nicht so weit. Wenn sie die Augen öffnen, macht ihr alle zusammen euren ersten Ausflug aus der Höhle.“
Enttäuscht warf sich Fünf zwischen ihre Brüder und Schwester und fing an, jedem das Gesicht abzulecken.
„Mach mal die Augen auf, Langstirn. Komm schon, du schaffst das, Braunfleck.“
„Hör auf!“, rief Langstirn und wand sich unter ihrer Zunge.
„Was meint sie mit Augen aufmachen?“, fragte Großfuß.
„Mama, was sind Augen?“, fragte Braunfleck.
„Keine Ahnung“, brummte Tänzler, „aber sie ist lästig.“
Fünf gab auf. „Wie lang muss ich denn noch warten?“, fragte sie ihre Mama.
„Warten? Wölfe warten nicht. Wir ruhen, wir sammeln Kräfte, wir beobachten, wir lernen.“
Fünf legte den Kopf zur Seite und dachte nach. „Was mach ich denn dann, bis die anderen die Augen aufmachen?“
„Wachsen.“
Fünf jaulte begeistert. Das war eine ausgezeichnete Idee.
„Und wie mach ich das?“
Vollmut stupste sie vorsichtig zu einer Zitze. „Wer wachsen will, muss fressen.“
Das war eine interessante Information. Fressen konnte Fünf. Und wenn sie dadurch größer wurde, dann würde sie von jetzt an noch mehr fressen. Sie kuschelte sich eng an ihre Mama und fing an zu trinken und zu wachsen. Doch das Licht am Ende der Höhle ließ sie dabei nicht mehr aus den Augen.
Als die Welpen endlich das erste Mal aus ihrer Höhle krabbelten, hatte der Herbst schon seine üppigen Farben großzügig verteilt. Die Bäume waren rot und orange und gelb geworden, aber noch trennten sie sich nicht von ihren Blättern und Nadeln.
Das ganze Rudel war vor der Höhle versammelt, um die neuen Wölfe zu begrüßen. Ganz vorn, mit hoch erhobenem Kopf, erwartete Breitmaul seine Jungen. Zu seiner Rechten stand Schnapper, bereit, seine Neffen und Nichten zu begrüßen. Hinter ihm tänzelten die Jungwölfe Zagtoft und Wagtes aufgeregt auf der Stelle. Zottel bemühte sich angestrengt, möglichst gleichgültig zu wirken, doch ihr ganzer Körper war angespannt von den Ohren bis zur Schwanzspitze. Ein gutes Stück noch hinter den Jährlingen lümmelte Springut an einem Felsen. Er war der älteste Wolf des Rudels und wusste, dass alle anderen vor ihm an der Reihe waren. Es störte ihn nicht, er war geduldig.
Und dann explodierte eine Kugel aus hellbeigem Fell aus dem Höhleneingang und schoss geradewegs auf Breitmaul zu. Der Leitwolf wich nicht zurück, blickte aber von sehr weit oben verwirrt auf das Fellknäuel, das zu seinen Füßen gelandet war.
„Ups, Entschuldigung“, sagte Fünf, ohne dabei allzu besorgt zu wirken. „Hallo, Papa.“ Sie stupste ihren Vater gegens Knie, drehte sich zur Seite und tapste dann entschlossen auf die Bäume am Horizont zu.
Das ganze Rudel folgte Fünf mit den Blicken, unschlüssig, wie man damit umgehen sollte, dass ein Welpe die offizielle Begrüßung sausen ließ.
„Darf sie einfach abhauen?“, fragte Wagtes unsicher.
Doch da schoss bereits Vollmut aus der Höhle, packte Fünf im Nacken und brachte sie zurück.
„Du hast aber gesagt, ich darf!“, protestierte Fünf. „Ich wollte doch nur –“
„Ruhe“, knurrte Vollmut leise.
Als sie Fünf vor dem Höhleneingang absetzte, kamen zögerlich auch ihre Geschwister hervor. Sie zumindest begriffen den Zauber des Augenblicks und begegneten ihm mit großer Ehrfurcht.
Langstirn, Braunfleck, Großfuß und Tänzler wagten sich nur vorsichtig und auch bloß einige Schritte weit aus der Höhle und kniffen dabei die Augen immer wieder zusammen. Vollmut hatte vorsorglich die sanfte Nachmittagssonne für ihren ersten Ausflug gewählt, doch auch ihre Strahlen waren noch grell für die Kleinen. Fünf hingegen gewöhnte sich schnell daran. Sie hatte Tage vor ihren Geschwistern die Augen geöffnet und jeden Tag ungeduldig den Eingang beobachtet.
Breitmaul trat vor seine Welpen, streckte die Vorderbeine durch, bis sein Kopf auf einer Höhe mit dem der Kleinen war und legt den Kopf zur Seite.
„Willkommen in eurem Zuhause“, sagte er warm. „Dies ist das Flusstal, das schönste Revier weit und breit – und es gehört unserem Rudel.“
Fünf Augenpaare starrten Breitmaul an.
Er ging von einem zum anderen und leckte sie sorgfältig ab. „Das Rudel heißt euch willkommen. Es wird für euch sorgen, jetzt und immer.“
Nach ihm trat Schnapper vor und leckte die Welpen ab. „Ich bin euer Onkel Schnapper. Ich werde meine Beute, mein Wissen und meine Stärke mit euch teilen. Jetzt und immer.“
„Ich passe auf euch auf“, versprach Zottel. „Jetzt und immer.“
„Ich laufe vor euch im Schnee und bahne euch den Weg“, sagte Zagtoft stolz. „Jetzt und immer.“
„Ich stehe euch bei der Jagd bei“, erklärte Wagtes. „Jetzt und immer.“
„Und ich lehre euch, Wölfe zu sein“, fügte Vollmut hinzu. „Und euren Platz zu kennen.“
Fünf schluckte und hielt den Schwanz zwischen den Beinen. Das schien ein wichtiger Moment zu sein. Auch wenn sie noch nicht so ganz begriff, warum. Vor lauter Wichtigkeit wagte keiner der Welpen, sich zu bewegen. Sie blickten nur von ihrer Mama zu den anderen Wölfen und wussten nicht, was sie jetzt tun sollten. Da warf sich Springut mit einem Mal zwischen die Welpen, fegte Langstirns Pfoten vom Boden und zog Braunfleck in eine Umarmung. Die steife Ernsthaftigkeit des Augenblicks war zerbrochen. Die Welpen quiekten und japsten und sofort kamen Tänzler, Großfuß und Fünf ihren Geschwistern zu Hilfe und warfen sich ebenfalls auf Springut, der bald um Gnade winselte. Er hatte als einziger Wolf nicht offiziell verkündet, was seine Aufgabe im Rudel war. Die Kleinen wussten es auch so.