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Ein kleines Hotel am Ufer des Loch Ness. Eine verschwundene Frau. Die fieberhafte Suche nach ihrem Geheimnis.
Loch Ness, 1933: Nach einem schrecklichen Unglück will die junge Hannah ihrer lieblosen Ehe entfliehen. Sie findet Zuflucht in einem kleinen Hotel mitten in den schottischen Highlands. Dort begegnet sie dem Reporter Angus und fasst Vertrauen zu ihm. Er hilft ihr dabei, sich ihren Traum von einem Leben als Journalistin zu erfüllen. Doch als kurz darauf ein seltsames Ungeheuer im See gesichtet wird, strömen Reporter in den kleinen Ort, und Hannah fürchtet um ihre Sicherheit. Denn sie hat ein Geheimnis, das ihr gefährlich werden könnte ...
2022: Im Leben der erfolgreichen True-Crime-Podcasterin Scarlett läuft vieles nicht so, wie sie es sich wünscht: Ihre Beziehung geht in die Brüche, in ihrer WG fühlt sie sich unwohl, und ihr Chef nimmt sie nicht ernst. Dann soll sie für ihren Podcast nach einer vor Jahren verschwundenen Frau forschen, die angeblich etwas mit dem Tod ihres berühmten Mannes zu tun hat. Kurzentschlossen macht Scarlett sich auf den Weg zum Ufer des Loch Ness, um dort nach den Spuren der verschwundenen Hannah zu suchen.
Die emotionale Geschichte zweier nach Selbstbestimmung strebender Frauen, inmitten der schottischen Highlands – atmosphärisch und voller Wendungen, für die Leserinnen von Lucinda Riley, Kate Morton und Kate Riordan
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Seitenzahl: 432
Ein kleines Hotel am Ufer des Loch Ness. Eine verschwundene Frau. Die fieberhafte Suche nach ihrem Geheimnis.
Loch Ness, 1933: Nach einem schrecklichen Unglück will die junge Hannah ihrer lieblosen Ehe entfliehen. Sie findet Zuflucht in einem kleinen Hotel mitten in den schottischen Highlands. Dort begegnet sie dem Reporter Angus und fasst Vertrauen zu ihm. Er hilft ihr dabei, sich ihren Traum von einem Leben als Journalistin zu erfüllen. Doch als kurz darauf ein seltsames Ungeheuer im See gesichtet wird, strömen Reporter in den kleinen Ort, und Hannah fürchtet um ihre Sicherheit. Denn sie hat ein Geheimnis, das ihr gefährlich werden könnte ...
2022: Im Leben der erfolgreichen True-Crime-Podcasterin Scarlett läuft vieles nicht so, wie sie es sich wünscht: Ihre Beziehung geht in die Brüche, in ihrer WG fühlt sie sich unwohl, und ihr Chef nimmt sie nicht ernst. Dann soll sie für ihren Podcast nach einer vor Jahren verschwundenen Frau forschen, die angeblich etwas mit dem Tod ihres berühmten Mannes zu tun hat. Kurzentschlossen macht Scarlett sich auf den Weg zum Ufer des Loch Ness, um dort nach den Spuren der verschwundenen Hannah zu suchen.
Die emotionale Geschichte zweier nach Selbstbestimmung strebender Frauen, inmitten der schottischen Highlands – atmosphärisch und voller Wendungen, für die Leserinnen von Lucinda Riley, Kate Morton und Kate Riordan
Kerry Barrett wurde in Edinburgh geboren, zog aber als Kind mit ihren Eltern nach London, wo sie auch heute noch mit ihrem Mann und ihren beiden Söhnen lebt.
Schon als Kind war sie ein großer Bücherfan und ihre Arbeit als Fernsehjournalistin hat den Wunsch noch verstärkt ihre eigenen Bücher zu schreiben. Dabei liebt sie vor allem Geschichten, in denen es ein Geheimnis in vergangenen Zeiten zu entschlüsseln gibt.
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Kerry Barrett
Das Geheimnis der Nebelfrau
Aus dem Amerikanischen von Uta Hege
Cover
Titel
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Titelinformationen
Informationen zum Buch
Newsletter
Widmung
1 — Hannah
2 — Scarlett
3 — Hannah
4 — Scarlett
5 — Hannah
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7 — Scarlett
8 — Hannah
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10 — Scarlett
11 — Hannah
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13 — Scarlett
14 — Hannah
15 — Scarlett
16 — Hannah
17 — Scarlett
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20 — Scarlett
21 — Hannah
22 — Scarlett
23 — Hannah
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25 — Scarlett
26 — Hannah
27 — Scarlett
28 — Hannah
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30 — Scarlett
31 — Hannah
32 — Scarlett
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34 — Auszug aus dem Tagebuch von Hannah Snow
Anmerkung von Kerry Barrett
Danksagung
Impressum
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Für meinen Sohn Sam.
Dein unbedingter Wunsch, Loch Ness zu sehen,
hat diese Reise ausgelöst und mich zu der Geschichte inspiriert.
Hannah
1933
»Du siehst bezaubernd aus. Dein Bräutigam wird hingerissen sein.« Mit diesen Worten legte Tante Beatrice mir ihre Hände auf die Schultern, drehte mich zum Spiegel, und ich starrte auf das Bild, das ich dort sah.
Der Schleier, den die Frauen der Snow-Familie immer schon getragen hatten, und der Kopfschmuck waren viel zu groß für mein Gesicht. Ich wirkte wie ein kleines Mädchen, das Verkleiden spielte. Und so fühlte ich mich auch.
»Ich sehe furchtbar aus.«
»Papperlapapp«, beschied mir Tante Beatrice. »Lawrie wird entzückt sein, wenn er dich so in der Kirche sieht.«
Das wagte ich zwar zu bezweifeln, doch ich biss mir auf die Lippe, nickte knapp und hoffte, dass das Flattern meiner Nerven mir nicht anzusehen war.
Auch Tante Beatrice sah in den Spiegel, und als sie mein Unbehagen spürte, stieß sie einen leisen Seufzer aus.
»Hannah.«
Ich hielt ihrem Blick stand, und leicht verlegen wandte sie sich ab.
»Du tust das Richtige für die Familie.«
Ich nickte abermals.
»Und selbstverständlich wird auch Lawrie von der Heirat profitieren, denn er bekommt sein Erbe schließlich nur …«
»Ich weiß. Doch so, wie du es formulierst, klingt es, als gingen wir eine rein geschäftliche Verbindung ein.«
Ich sah, dass Tante Beatrice noch etwas sagen wollte, und hatte das entsetzliche Gefühl, sie könnte behaupten, dass die Hochzeit zwischen Lawrie und mir das im Grunde ja auch war. So aber wollte ich nicht darüber denken. Ich kannte Lawrie kaum, deswegen liebte ich ihn nicht. Doch er war nett und attraktiv, er hörte mir zu, und vielleicht würde aus der Heirat eines Tages ja so etwas wie die Romanzen, die ich gerne las oder im Kino sah. Ich kehrte Tante Beatrice den Rücken zu und strich über die Vorderseite meines Hochzeitskleids.
»Bei dieser Hochzeit können alle nur gewinnen«, sagte ich und hoffte, dass es halbwegs fröhlich klang.
Sie seufzte abermals und schüttelte den Kopf. »Ach, Hannah, mir ist klar, du hättest aus deinem Leben etwas anderes machen wollen. Aber ich habe dir schon hundertmal erklärt, dass du kein Geld mehr hast. Wir haben also keine andere Wahl.«
»Ich könnte mir eine Arbeit suchen, statt für Geld mit einem praktisch unbekannten Mann den Bund fürs Leben einzugehen. Inzwischen gibt es jede Menge Frauen, die selbst Geld verdienen und nicht mehr auf irgendwelche Männer angewiesen sind.«
Mit diesen Worten wandte ich mich wieder meiner Tante zu, und als sie meinen herausfordernden Blick bemerkte, straffte sie die Schultern, richtete sich kerzengerade auf und sagte wie jedes Mal, wenn es um dieses Thema ging: »Mag sein. Aber die Frauen der Snow-Familie gehen keiner Arbeit nach.«
»Nur werde ich bald keine mehr von ihnen sein. In Zukunft bin ich Hannah Wetherby.«
»Durch deine Heirat wirst du Mrs Lawrence Wetherby«, verbesserte mich Tante Beatrice. »Und Lawrie wird das Erbe bekommen, seine Position in der Regierung festigen, und deine Zukunft wird gesichert sein.«
»Er hat gesagt, dass er mir bei der Suche nach Arbeit helfen wird.«
Ungläubig hob sie eine ihrer sorgfältig gezupften Brauen. »Ach ja?«
»Er hat gesagt, ich könnte Journalistin werden.«
»Wirklich?«
»Frauen können heute jede Arbeit machen, die sie machen wollen«, erklärte ich. »Warum also nicht Journalistin?«
Mit einem amüsierten Lächeln meinte Tante Beatrice: »Ja, klar.«
»Lawrie kennt Gott und die Welt und hat gesagt, dass er ein gutes Wort für mich einlegen wird.«
Jetzt lachte Tante Beatrice. Es klang ungewohnt, und ich war mir nicht sicher, ob es mir gefiel.
»Dann freue ich mich schon auf die von dir geschriebenen Artikel in der Times«, erklärte sie in einem Ton, der mehr als deutlich machte, dass sie sicher niemals etwas in der Zeitung lesen würde, was von mir geschrieben worden war. Dann tätschelte sie mir den Arm und meinte: »Na, dann komm. Auf geht’s.«
Ich atmete tief durch, doch statt mir den verflixten Schleier aus den Haaren zu reißen, meine Beine in die Hand zu nehmen und davonzulaufen, blickte ich noch einmal auf mein Spiegelbild und flüsterte: »Na dann, auf Wiedersehen, Hannah Snow.«
*
Tatsächlich lief die kurze Trauung in geschäftsmäßiger Atmosphäre ab. Ich hatte keine Brautjungfern, und die Zahl der Gäste war begrenzt. Auf meiner Seite der Kirche saß nur Tante Beatrice in kerzengerader Haltung und mit ernstem Blick, und auf der Seite meines zukünftigen Gatten saß sein Bruder Simon in der ersten Reihe und verzog wie immer sauertöpfisch das Gesicht.
Die anderen Gäste waren mir unbekannt. Vielleicht das Personal aus dem Büro in Lawries Wahlbezirk und ein paar andere Abgeordnete des Unterhauses. Ich hatte keine Ahnung, wer die Leute waren, doch im Grunde war mir das auch vollkommen egal.
Als der Vikar uns feierlich zu Mann und Frau erklärte, küsste mich Lawrie wie ein netter Onkel auf die Stirn und bot mir seinen Arm. Er wirkte abgrundtief erleichtert, und auch Tante Beatrice strahlte, als hätte es die Sonne endlich hinter einer dichten Wolkenwand hervor geschafft. Sie war mich endlich los. Was weiter aus mir würde, wäre nicht mehr ihr Problem.
Zu meiner Überraschung machte mir das anschließende Hochzeitsfrühstück sogar Spaß. Wir waren im Royal Hotel in Westminster, und mein frischgebackener Gatte stellte mich seinen Freunden und Kollegen vor. Sein Bruder, der meist unberechenbar und niederträchtig wurde, sobald er etwas getrunken hatte, schien sich zu benehmen, und – Wunder über Wunder – selbst Tante Beatrice nahm das angebotene Gläschen Sherry an und unterhielt sich lächelnd mit der Gattin eines Parlamentsmitglieds.
»Hannah?«
Ich drehte meinen Kopf und sah, dass Lawrie neben mich getreten war. Er war Mitte dreißig und damit deutlich älter als ich mit meinen neunzehn Jahren, doch er war attraktiv, charmant und wirklich klug und hatte sich als rechte Hand unseres Finanzministers bereits einen Namen in der Politik gemacht.
»Na komm, ich will dich ein paar weiteren Leuten vorstellen.«
Ich ließ mich von ihm zu zwei Männern führen, deren Gesichter täglich in den Zeitungen zu sehen waren. Der erste war Finanzminister Neville Chamberlain, und mit einem Lächeln registrierte ich den stolzen Blick meines Mannes, weil er zu unserem Empfang gekommen war. Der zweite war ein hohes Tier im Außenministerium.
»Darf ich den Herren meine Frau vorstellen? Hannah Wetherby«, wandte sich Lawrie unseren Gästen zu, und Mr Chamberlain nahm meine ausgestreckte Hand.
»Es ist mir eine Freude«, sagte er mit einem warmen Funkeln in den Augen.
Der andere Mann hingegen schien sich über mein Hinzutreten weniger zu freuen. Ich reichte ihm die Hand, und ohne sich mir auch nur vorzustellen, nahm er sie und ließ sie sofort wieder los. Deswegen sagte ich: »Es tut mir leid, wir stören offenbar ein wichtiges Gespräch.«
Er wandte sich über meinen Kopf hinweg an meinen Mann. »Ich habe Chamberlain gerade erzählt, was es in Deutschland Neues gibt.«
»Bitte, Mr Bishop«, fiel ihm Mr Chamberlain ins Wort. »Ich glaube nicht, dass eine junge Dame an ihrem Hochzeitstag so langweilige Dinge hören will. Erzählen Sie, Mrs Wetherby, haben Sie den neuesten Roman von Agatha Christie schon gelesen? Ich hatte leider selbst bisher noch keine Zeit, aber es heißt, er wäre wieder einmal wunderbar …«
»Ich lese nicht so gerne Bücher«, gab ich vor, obwohl ich Detektivromane liebte, doch jetzt interessierte mich etwas anderes mehr. »Tatsächlich lese ich eher Zeitung, und ich wüsste wirklich gern, ob der Premierminister trotz der Wahlen in Deutschland mit den europaweiten Abrüstungsbemühungen fortfahren will. Wäre das klug?«
»Tja, nun …«, wich Mr Chamberlain verlegen aus, doch da ich jede Menge Fragen hatte, fuhr ich ungerührt fort.
»Und wie steht es um die Gesundheit des Premiers? Geht es ihm gut genug, um in die Schweiz zu reisen, wird ihn sein Arzt nach Genf begleiten?«
Mr Bishop runzelte die Stirn und fragte: »Wetherby?«
Verlegen blickte Lawrie zwischen mir und Mr Bishop hin und her.
»Wenn Deutschland wirklich vorhat, wieder aufzurüsten, sollte der Premierminister …«
»Wetherby!«, fuhr Mr Bishop Lawrie ungehalten an. Ich verstummte, und noch während ich den Mann mit einem überraschten Blick bedachte, legte Lawrie eine Hand auf meinen Arm.
»So geht das einfach nicht«, erklärte Mr Bishop, dem inzwischen eine heiße Zornesröte ins Gesicht gestiegen war. »Bitte mäßigen Sie Ihre Frau, und darf ich Sie vielleicht daran erinnern, dass Gespräche über Angelegenheiten unseres Staates nicht ins Schlafzimmer gehören?«
Ich wandte mich Lawrie zu, in der sicheren Erwartung, dass er Mr Bishop erzählen würde, dass ich jeden Tag den Politikteil in der Zeitung las, dass ich die Parlamentsdebatten häufig direkt mitverfolgte und er durchaus Wert auf meine Meinung legte.
Stattdessen drückte er mir leicht den Arm und wandte sich mit einem nachsichtigen Lächeln seinen Gästen zu. »Es tut mir leid, die Herren. Meine Gattin interessiert sich sehr für Politik und hat schon öfter scherzhaft angemerkt, dass sie gern für eine Zeitung schreiben würde.« Er lachte und ignorierte meinen bösen Blick.
»Sie würde uns ganz schön auf Trab halten, nicht wahr?«, fuhr er mit ungewöhnlich lauter Stimme fort. »Wir haben also wirklich Glück, dass sie sich für den Ehestand entscheiden hat.«
Leise lachend blickte Mr Chamberlain mich an, und für einen grauenhaften Augenblick dachte ich, er würde mir vielleicht noch in die Wange kneifen wie ein stolzer Großvater. Dann aber schnalzte Mr Bishop mit der Zunge, und ich wusste nicht, ob sein Missfallen dem Kollegen, Lawrie, mir oder uns allen dreien galt.
»Nehmen Sie sie an die Kandare«, sagte er zu Lawrie, der sich mir zuwandte.
»Lauf los und unterhalte dich mit deiner Tante, Liebling«, bat er mich. »Ich komme gleich nach.«
Wütend schüttelte ich seine Hand ab, die immer noch auf meinem Arm lag, nahm eine kerzengerade Haltung ein und wandte mich dem widerlichen Mr Bishop zu. »Was halten Sie von Mr Roosevelt, Sir? Glauben Sie, sein Plan für die Erholung der US-Wirtschaft geht auf?«
Jetzt packte Lawrie meinen Ellenbogen und zog mich zur Seite. »Am besten suchen wir zusammen nach deiner Tante Beatrice. Würden mich die Herren bitte kurz entschuldigen?«
Aufgebracht und wenig sanft zerrte er mich vorbei an unseren Gästen durch den Raum. Ich selbst jedoch war noch viel wütender, entzog ihm meinen Arm und fuhr ihn an: »Hör auf! Und schubs mich nicht so herum.«
»Du kannst diese Männer nicht so in die Zange nehmen«, raunte er mir zu. »So etwas ge…«
»Was?« Ich funkelte ihn zornig an.
»So etwas gehört sich nicht.«
»Ach nein?«
»Du bist schließlich keine Journalistin, Hannah.«
»Nein, und das ist wirklich schade. Aber ich dachte, da du jetzt mein Mann bist, könntest du mir …«
»Hannah«, stieß er seufzend aus. »Meine Arbeit ist sehr wichtig. Für mich selbst und auch für dich. Deswegen muss ich respektabel sein.«
»Natürlich musst du das. Aber muss ich das deshalb auch?«
Bei meiner Frage reckte er das Kinn. »Du weißt, wie sehr ich es mag, dass du dich so für meine Arbeit interessierst. Am Frühstückstisch oder bei einem Drink vor dem Abendessen tausche ich mich gerne mit dir über alle diese Dinge aus, aber du bist jetzt meine Frau, das heißt, dass du an meiner Seite stehst und über meine Scherze lachst und zu allem nickst, was ich sage. Und dass du nicht mit meinen Kollegen über Politik sprichst oder dich, um Himmels willen, vor allem nicht in Mutmaßungen über die Gesundheit unseres Regierungschefs ergehst.«
»Und warum nicht?«, fragte ich und kam mir vor, als schimpfe mich ein strenger Lehrer aus. »Ich wollte einfach wissen, wie es dem Premierminister geht.«
Verzweifelt starrte er an die Decke. »Weil du jetzt meine Frau bist«, wiederholte er und warf die Hände in die Luft. »Weil du jetzt Teil von etwas bist, das größer ist als du und ich.«
Wir sahen einander an, und gegen meinen Willen hatte ich plötzlich Mitgefühl mit ihm und murmelte: »Es tut mir leid.«
Er legte seine Hand in meinen Nacken, küsste mich auf die Stirn und stellte fest: »Es war ein langer Tag, und langsam wird es für uns Zeit, ins Bett zu gehen.«
Ich fragte mich, ob er mir damit vorschlug, was ich dachte. Zwar hatte er körperliche Nähe bisher weitestgehend vermieden, aber vielleicht hatte er ja einfach nur bis nach der Hochzeit warten wollen. Bei dem Gedanken wurde ich nervös. Er war ein attraktiver Mann, und möglicherweise würde ich in dieser Nacht erfahren, aus welchem Stoff all die von mir verschlungenen Bücher und die Filme, die ich mir im Kino angesehen hatte, waren …
»Am besten gehst du an die Bar und holst dir einen Drink«, schlug Lawrie vor. »Ich muss noch kurz mit Neville sprechen.«
Also hatte ich mich offenbar geirrt.
Ich setzte ein gezwungenes Lächeln auf. »Und danach könnten wir hinauf in unser Zimmer gehen.«
Sein übertriebenes Nicken zeigte, dass er alles andere als begeistert war.
»Auf jeden Fall«, stimmte er zu. »Auf jeden Fall.«
Verwirrt und immer noch etwas verärgert blieb ich stehen und sah ihm nach, als er zurück zu seinen Kollegen ging. Dann aber machte ich entschlossen auf dem Absatz kehrt und ging zur Bar.
»Was darf ich Ihnen servieren, Madam?«
Ich hievte mich in meinem Hochzeitskleid auf einen Barhocker und sah den Barmann fragend an. »Was ist das Stärkste, das Sie haben?«
»Ein Old Fashioned?«
»Machen Sie mir bitte einen.« Ich lenkte meinen Blick zurück auf meinen Ehemann.
Plötzlich schwang sich jemand auf den Hocker neben mir. »Und Sie sind die frischgebackene Mrs Wetherby.«
Ich drehte meinen Kopf und sah, dass neben mir ein schöner junger Mann in meinem Alter saß. Er bat um einen Scotch und schaute mich aus dunklen Augen an. »Lawries Frau.«
»Das bin ich«, gab ich zu und überlegte, wer er war. Er war zu jung, um schon im Parlament zu sitzen, und ich wusste, dass der widerliche Simon Lawries einziger Verwandter war.
»Ich hoffe, Ihnen ist bewusst, dass er ein Scheißkerl ist.«
Mir entfuhr ein überraschtes Lachen, doch als ich ihn forschend ansah, kam er mir trotz seiner harschen Worte vielmehr traurig als erbost vor.
»Lawrie kann ein Wichtigtuer sein.« Ich nahm den ersten Schluck von meinem Drink, und während mir der Whisky in der Kehle brannte, fügte ich hinzu: »Aber wir haben jede Menge Spaß, wenn wir zusammen sind.«
»Ich konnte eben sehen, dass er wütend auf Sie war.«
Ich wurde rot und räumte seufzend ein: »Ich rede ziemlich viel, und er war offenbar der Ansicht, dass ich seinen Kollegen gegenüber eine Spur zu weit gegangen bin.«
»Und deshalb hat er Ihnen Vorwürfe gemacht?«
»Ein bisschen«, gab ich zu. »Aber schließlich war es auch ein langer Tag.«
»Für ihn wird die Karriere stets an erster Stelle kommen.« Er trank einen großen Schluck von seinem Scotch. »Ihm geht es vor allem um seinen Ruf«, erklärte er in einem Ton, als wäre das etwas Verwerfliches.
Am anderen Ende des Raumes brach Lawrie wegen etwas, das einer der Kollegen gesagt hatte, in Gelächter aus, und etwas unbehaglich sagte ich zu dem Mann neben mir: »Ich weiß nicht, ob das stimmt.«
Er hob abermals sein Glas und trank den Rest von seinem Scotch aus. »Und er erwartet, dass es stets nach seinem Willen geht.«
Er kannte Lawrie offenbar wirklich gut, denn diese Eigenschaft war auch mir schon an meinem Gatten aufgefallen. Das war nicht Lawries Schuld. Er war so erzogen worden und setzte auf charmante Weise seinen Willen durch. Wahrscheinlich meinte er es gut, doch anders als ich, die ich meine Eltern früh verloren hatte und bei meiner wenig warmherzigen Tante hatte leben müssen, hatte er den Anspruch, dass die Dinge liefen, wie es ihm gefiel.
Als ich den Blick auf Lawrie lenkte, sah ich etwas weiter meinen Schwager Simon stehen. Er hörte zu, wie Lawrie sich mit den Ministern unterhielt, und verzog wie so oft verächtlich das Gesicht.
Es machte Simon wütend, dass ich Lawries Frau geworden war, denn wenn sein Bruder bis zu seinem fünfunddreißigsten Geburtstag keine Ehefrau gefunden hätte, hätte nach dem Testament ihres jüngst verstorbenen Vaters Simon als der Erstgeborene das Erbe bekommen, und jetzt hatten wir diese Hoffnungen zerstört. Lawrie sagte immer, dass sein Vater keinem seiner beiden Söhne zugetan gewesen sei, und auch wenn ich keine Ahnung hatte, ob das stimmte, fand ich es ziemlich grausam, in dem jüngeren Sohn die Hoffnung auf ein Erbe wachzurufen und den Älteren zu zwingen, diese Hoffnung zu zerstören.
Lawrie hatte mir erzählt, dass Simon eben wie die meisten jüngeren Brüder sei: etwas wild und leichtsinnig. Was meiner Meinung nach ein allzu mildes Urteil war, denn Simon war ein Spieler, borgte Geld von Freunden, und wenn die ihm nichts mehr gaben, lieh er es von Leuten, die es ihm nicht so einfach nachsahen, wenn er etwas schuldig blieb. Deswegen hatte Lawrie ihn schon des Öfteren ausgelöst.
Er trank zu viel, war faul und hatte nicht den lockeren Charme, der Lawrie zu eigen war. Er war sehr schnell beleidigt, meistens furchtbar schlecht gelaunt und mir genauso unsympathisch wie ich ihm. Dennoch konnte ich ihm nicht verdenken, dass er wütend war, weil er nun nicht mehr an sein Erbe kam. Ich hatte Lawrie vorgeschlagen, Simon eine monatliche Apanage zu zahlen und die Wogen so zu glätten, doch er hatte die Idee mit einem müden Lachen abgetan.
»Simon wird auch so genug zum Leben haben. Mehr Geld kann man ihm nicht anvertrauen. Mein Vater wusste, was er tat. Glaub mir, wenn Simon unser Erbe in die Hände bekäme, wäre innerhalb von ein paar Wochen kaum noch etwas davon übrig«, hatte Lawrie mir erklärt und dann das Thema abgehakt.
Als ich jetzt beobachtete, wie Simon aus zusammengekniffenen Augen Lawrie fixierte, der ins Gespräch vertieft war, nahm ich mir vor, noch einmal mit meinem Mann zu reden. Denn wenn Simon weiterhin nicht gut auf uns zu sprechen wäre, würde er uns sicher jede Menge Scherereien machen.
Der junge Mann neben mir folgte meinem Blick und stellte fest: »Sein Bruder ist tatsächlich noch schlimmer. Lawrie ist nur unachtsam, Simon dagegen richtiggehend grausam.«
»Wer sind Sie?«, fragte ich. »Und woher kennen Sie meinen Mann?«
Er richtete sich auf. »Ich heiße Freddie, und ich bin … ein alter Freund.«
»Er hat Sie bisher nie erwähnt.« Aus irgendeinem Grund machte er mich nervös.
»Ach nein?« Ein unglückliches Lächeln huschte über sein Gesicht. »Das wundert mich.«
»Was meinen Sie damit, er wäre unachtsam?«
»Sehen Sie das anders?«
»Nein.« Ich sah noch mal zu Lawrie hinüber, der sich ein Glas von einem Tablett nahm, ohne der Bedienung auch nur zuzunicken. »Ich wüsste einfach gern, warum Sie das gesagt haben.«
»Wissen Sie, dass Lawrie seinen Wagen gegen einen Baum gefahren hat?«
»Das hat er mir erzählt.«
»Aber das hat ihn nicht geschert, weil er sich einfach einen neuen kaufen wird.«
»Er geht mit seinen Sachen wirklich nicht besonders achtsam um«, pflichtete ich ihm bei. »Wenn irgendwas zerbricht, ersetzt er es kurzerhand.«
»Er bricht auch andere Menschen oder vielmehr deren Herzen«, stellte Freddie düster fest.
Ich rollte mit den Augen, denn ich wusste, dass ein Mann in Lawries Alter und mit seinem Aussehen sicher alles andere als unerfahren war. Doch seine früheren Affären gingen mich nichts an.
»Hatte er mal ein Verhältnis mit Ihrer Schwester?«, fragte ich spitz. »Oder hat er Ihnen die Freundin ausgespannt?«
Der junge Mann schob sich so dicht neben mich, dass ich den Alkohol in seinem Atem roch.
»Er bricht die Herzen anderer Menschen«, wiederholte er, und etwas verlegen nahm ich einen Schluck von meinem Drink. Ich hatte keine Freude mehr an dem Gespräch, doch wie es aussah, hatte Freddie mir noch etwas zu sagen. Er presste seinen Mund noch etwas dichter an mein Ohr und stieß verbittert aus: »Männer wie er galten schon früh als die vielversprechende junge Generation, und wenn einer dieser tollen Kerle jemanden mit seinem Verhalten verletzt hat, konnte ihm das herzlich egal sein.«
»Sie haben im Großen Krieg gekämpft.«
Freddie zuckte mit den Achseln, und ich wäre gerne etwas von ihm abgerückt, doch ich wollte nicht unhöflich wirken.
Jetzt lehnte er den Kopf an meine Stirn und meinte dumpf: »Das ganze Elend, das sie mit den Partys, mit dem Alkohol, den Drogen und den … Bettgeschichten angerichtet haben, hat sie nicht geschert.«
Ich wich so schnell vor ihm zurück, dass ich beinah das Gleichgewicht verlor. »Hören Sie auf.«
Er packte meinen Arm, damit ich nicht von meinem Hocker fiel, und wieder huschte dieses unglückliche Lächeln über sein Gesicht. »Haben Sie sich je gefragt, was Lawrie treibt, wenn er das Haus verlässt?«
»Nein.«
»Wenn er erst spät am Abend von der Arbeit kommt?«
»Er ist Staatssekretär«, rief ich ihm in Erinnerung. »Da hat man keine festen Arbeitszeiten wie in einem anderen Büro.«
»Genau. Am besten reden Sie sich das auch weiter ein.«
Jetzt hatte ich genug gehört. Ich glitt von meinem Hocker, aber als ich mich zum Gehen wandte, packte Freddie meine Hand. Mein Blick fiel auf seine langen, eleganten Finger.
»Ich werde hier sein«, sagte er. »Hier unten in der Bar. Falls Sie noch einmal reden wollen.«
»Sicher nicht.«
»Vielleicht ja doch.«
Wir starrten einander kurz an, doch dann bestellte er sich einen zweiten Scotch, und beunruhigt sah ich mich nach Lawrie um. Er stand allein ein wenig abseits, beobachtete Freddie, und ich konnte deutlich sehen, dass er alles andere als glücklich über das Erscheinen dieses jungen Mannes war.
»Ein alter Freund also.« Ich atmete tief durch, zwang mir ein Lächeln ins Gesicht und ging zurück zu meinem Ehemann.
Scarlett
Heute
»Du siehst toll aus«, stellte meine beste Freundin Robyn fest. »Sehr schick. Wie eine Gewinnerin.«
»Ich sehe vollkommen idiotisch aus.« Behutsam legte ich mein Smartphone auf den Rand des Waschbeckens und zog den herzförmigen Ausschnitt meines Bleistiftkleids im Stil der Fünfzigerjahre zurecht. Ich hatte auch mein Haar entsprechend dieser Zeit frisiert und mir geschwungene Lidstriche gemalt. Als ich das Haus verlassen hatte, hatte mir der Look gefallen, doch bei meiner Ankunft hatte mich der Mut verlassen, weshalb ich jetzt auf dem Klo war und am Telefon mit Robyn sprach.
»Hier tragen alle Frauen Kostüme.« Ich starrte auf ihr Gesicht auf meinem kleinen Bildschirm.
»Ganz sicher nicht. Du bist auf einem Event für Podcaster, und du weißt selbst, dass ihr alle Spinner seid, Scarlett.«
»Na, vielen Dank.«
Sie kicherte, bevor sie mich mit sanfter Stimme fragte: »Bist du wegen Charlie so nervös? Weil du ihn gleich da draußen siehst?«
»Ich sehe ihn die ganze Zeit.«
»Aber im wahren Leben hast du ihn zuletzt vor einer halben Ewigkeit gesehen.«
Ich ging in eine der Kabinen und nahm auf dem Toilettendeckel Platz.
»Willst du jetzt etwa Pipi machen?«, kreischte Robyn. »Ich bin nicht bereit, mit dir zu sprechen, während du pinkelst!«
»Ich sitze auf dem Klodeckel.«
Sie sah mich aus zusammengekniffenen Augen an. »Wenn ich es rieseln höre, bin ich weg.«
Ich lachte, doch mein Herz war nicht dabei.
»Ich hätte einfach gern, dass es ihm leidtut«, sagte ich.
»Ich weiß, Schätzchen.«
»Dass ihm bewusst wird, was ihm fehlt.«
»Das wird es, wenn er dich in diesem Outfit sieht.«
Ich schüttelte den Kopf. »Er bringt tatsächlich Astrid mit. Ich habe ihren Namen auf der Sitzordnung gesehen.«
»Was?«, stieß Robyn wütend aus. »Wie hat er das geschafft? ,Schatz, du hast doch sicher Lust, mit mir zu einer Preisverleihung zu gehen, bei der der Podcast von mir und meiner Ex nominiert ist’, oder wie?«
»Jedenfalls kommt sie mit.«
»Na und? Du willst den blöden Sack doch sowieso nicht mehr zurück.«
»Auf keinen Fall«, stimmte ich zu, auch wenn ich mir da nicht so sicher war.
»Und du wirst diesen Preis gewinnen und jede Menge Aufmerksamkeit und vor allem neue Hörerinnen und Hörer kriegen, und dann kannst du endlich deinen Job beim Sender schmeißen und dich voll auf deine Podcasts konzentrieren.«
»Hoffen wir’s.«
»Und dein Dad wird sagen: ,O mein Gott, ich fasse nicht, dass meine Tochter eine preisgekrönte Podcasterin ist. Jetzt werde ich vor meinen alten Kumpels mit ihr angeben und endlich nicht mehr versuchen, andere Jobs für sie zu finden.‹«
»Du glaubst doch selbst nicht, dass das jemals passieren wird.« Ich musste trotzdem lachen, denn der Knoten, der sich jedes Mal in meinem Hals bildete, wenn mein Vater erwähnt wurde, löste sich durch Robyns Imitation.
»Und dann kannst du Charlie endlich in die Wüste schicken.«
»Aber ich brauche ihn.«
Sie schnaubte verächtlich. »Du brauchst ihn längst nicht mehr. Am Anfang war er dir mit seinen Kontakten vielleicht nützlich, doch inzwischen kennst du selbst genügend Leute, und vor allem bist du es, die die ganze Arbeit macht.«
»Aber der Podcast ist nach ihm benannt.«
»Dann machst du eben einen neuen Podcast, der dann unter deinem Namen läuft. Ich fand schon immer, dass Burns’ ungelöste Fälle ziemlich dämlich klingt.«
Mit einem neuerlichen Lachen sagte ich: »Du hast es wieder mal geschafft, dass es mir besser geht. Ich danke dir.«
»Nichts zu danken«, antwortete sie und warf mir eine Kusshand zu. »Ich gehe jetzt ins Bett, denn das Baby raubt mir jede Energie.« Sie wies auf ihren kaum merklichen Bauchansatz. »Aber gib mir Bescheid, wenn du gewonnen hast.«
»Das mache ich.« Ich legte auf, betätigte, obwohl ich gar nicht auf dem Klo gewesen war, die Spülung, verließ die Kabine und zog noch ein letztes Mal an meinem Oberteil.
Die Preisverleihung fand in einem dieser etwas abgeranzten Londoner Hotels statt, die immer aussahen, als wären sie vor fünf Jahren noch furchtbar glamourös gewesen. Ich nahm mir ein Glas Sekt von dem Tablett, das der blasierte Kellner in den Händen hielt, und atmete tief durch, bevor ich durch die Tür des Ballsaals trat.
Es wimmelte dort schon von Leuten, die sich unterhielten, und ich schaute mich nach Charlie um, der allerdings noch nirgendwo zu sehen war. Ich stand weiter bei der Tür und kam mir wie eine Spielverderberin vor. Da ich bei einem Radiosender arbeitete, für den praktisch jeder einen Podcast machte, kannte ich natürlich jede Menge Leute, aber bisher hatte ich noch niemand Bekanntes entdeckt und wurde abermals nervös. Wahrscheinlich wäre es das Beste, einfach wieder heimzufahren.
Dann kam Bewegung in eine Gruppe von Leuten, die in einer Ecke standen, und ich sah Charlie. Er war groß und kaum zu übersehen. Er lachte, und zu meinem Ärger sah er in dem Hemd mit offenem Kragen wieder mal fantastisch aus. Wahrscheinlich hatte er seinen Schlips schon nach drei Sekunden abgelegt, wie immer. Und neben ihm stand eine durchtrainierte blonde Frau mit straffen Schultern, die vor Energie nur so strotzte und so groß wie Charlie war. Das musste Astrid sein. Na toll.
Ich kippte meinen Sekt herunter und beschloss zu gehen. Ich hatte keine Chance, den Abend unbeschadet und vor allem halbwegs würdevoll zu überstehen.
»Scarlett, wenn ich mich nicht irre, sitzen Sie an meinem Tisch.«
Ich kniff die Augen zusammen und schlug sie wieder auf, als mir ein älterer Mann mit zwei Drinks entgegenkam.
»Gervase.« Ich setzte ein gezwungenes Lächeln auf. »Dann sitzen wir also nebeneinander? Wie lustig.«
Ebenfalls mit einem Lächeln drückte er mir eins der beiden Gläser in die Hand und gab mir einen Wangenkuss, wobei er seinen Blick in meinen Ausschnitt wandern ließ.
Ich machte einen Schritt zurück, und er erklärte mir in einem Ton, als spräche er zu einem unsichtbaren Publikum: »Beruflich mögen wir Rivalen sein, aber privat sind wir die besten Freunde.«
»Ach.«
»Und selbstverständlich kenne ich auch Ihren Vater schon seit einer Ewigkeit. Wir geht’s dem alten Draufgänger?«
»Sehr gut, danke der Nachfrage.« Mein Vater, der lange Zeit als Nachrichtensprecher gearbeitet hat und deshalb im ganzen Land bekannt war, hatte diesen aufgeblasenen Kerl noch nie gemocht. Und auch wenn ich in den allermeisten Fällen anderer Meinung war als er, stimmte ich ihm in dieser Hinsicht zu.
Gervase Desmond war ein pensionierter Radiomoderator, der wie Charlie und ich einen True-Crime-Podcast produzierte und im Gegensatz zu uns nach seinen Jahren bei der BBC Beziehungen in alle Richtungen und darüber hinaus Tausende von Hörerinnen und Hörern hatte und der seine Podcasts – anders als ich – sicher nicht in einem alten Wäscheschrank mit Decken an den Wänden rundherum aufnahm. Natürlich war er für den größten Preis – den »Podcast des Jahres« – nominiert, während Charlie und ich nur im Rennen um die »Beste Podcastfolge« waren, und zwar für die Ermittlungen zu einem vermeintlichen Betrugsfall aus den Achtzigerjahren, bei dem es um von Firmenkonten abgezweigte hohe Geldsummen gegangen war.
Im Grunde drehte sich unser Podcast lediglich um die Berichterstattung über ungelöste Fälle, aber dieses Rätsel hatten wir – das heißt, auch wenn das vielleicht unbescheiden klang: ich ganz allein – gelöst.
Charlie, der tatsächlich bei der Polizei arbeitete, hatte bis zum Schluss darauf bestanden, dass die arme Angestellte Shirley Pilgrim schuldig war. Man hatte sie schon früh in Verdacht gehabt, doch niemals vor Gericht gestellt, und die Gerüchte hatten ihr in all den Jahren danach das Leben schwer gemacht. Dann aber hatte ich den wahren Schuldigen gefunden: einen ärgerlichen Fehler in den Büchern, der dem damaligen Mitarbeiter in der Buchhaltung, dessen Schrift man nur mit Mühe hatte lesen können, unterlaufen war.
Wir hatten für die Lösung dieses Rätsels jede Menge Aufmerksamkeit in den Medien bekommen, und Tausende von Leuten hatten sich den Podcast angehört. Doch Charlie liebte es, im Mittelpunkt zu stehen, und hatte all die Lorbeeren eingeheimst. Das hatte mich derart gewurmt, dass es mit unserer ohnehin schwierigen Beziehung weiter bergab gegangen war.
Ich war es leid gewesen, dass er mich für selbstverständlich nahm, und hatte ihn um etwas Zeit gebeten, damit wir uns beide überlegen konnten, ob wir miteinander weitermachen wollten oder nicht. Zu der Zeit hatten wir bereits jahrelang zusammengewohnt, auch wenn wir nie verheiratet waren. Im Grunde war ich mir nicht sicher, ob ich je eine Hochzeit wollte, und ich wusste auch nicht, ob ich je würde Kinder kriegen wollen, obwohl alle meine Freundinnen gerade Babys hatten oder schwanger waren und mich meine Frauenärztin warnte, dass es ab fünfunddreißig schwieriger werden könnte.
Trotzdem hätte es mir gefallen, nicht nur neben Charlie her zu leben und darauf zu warten, was das Leben mit uns machte, sondern aktiv zu planen, wie wir leben wollten.
Es hatte ihn schockiert, als ich mir eine Auszeit nehmen wollte, und er hatte mir versprochen, sich zu ändern. Aber ich war standhaft geblieben, damit wir uns mit etwas Abstand zueinander überlegen konnten, was uns jeweils im Leben wichtig war.
Zuversichtlich, dass ich dort nur ein paar Wochen bleiben würde, hatte ich mir ein WG-Zimmer gesucht, doch gefühlt keine fünf Minuten später hatte er Astrid aufgegabelt, und wir hatten unseren Podcast über Zoom aufgenommen, weil er es für unangebracht hielt, wenn wir die ganze Zeit zusammen wären.
Aus diesem Grund war ich nicht gerade versessen darauf, an diesem Abend unsere erfolgreiche Podcastfolge zu feiern, auch wenn eine Preisverleihung durchaus etwas Besonderes war.
Ich nahm den ersten Schluck von meinem Drink, folgte Gervase zu unserem Tisch und gab mir alle Mühe, nicht hinzusehen, als Charlie neben Astrid seinen Platz ganz vorn im Saal einnahm.
*
Der Abend zog sich endlos hin, zum Glück jedoch erzählte Gervase gern Geschichten, wodurch alle an unserem Tisch unterhalten waren. Ich sprach kaum ein Wort, schob missmutig mein Essen auf dem Teller hin und her, trank zu viel und gab mir alle Mühe, nicht zuzuschauen, wie mein Ex verliebte Blicke auf die makellose Astrid warf. Mit solchen Blicken hatte er mich nie bedacht. Sein Arm lag auf der Rückenlehne ihres Stuhls, und hin und wieder strich er mit dem Daumen über ihren nackten Arm, woraufhin sie sich lächelnd an ihn lehnte. Tatsächlich waren sie ein wunderschönes Paar. Ich hätte fast vor Selbstmitleid geweint, und eilig wischte ich mir die verräterischen Tränen mit den Fingerspitzen fort.
»Sie haben Ihren Eyeliner verschmiert«, bemerkte Gervase und schenkte mir noch einmal nach. Obwohl ich nichts mehr hätte trinken sollen, ließ ich es geschehen.
»Verflixt.« Ich griff nach einem Löffel, hob ihn vor mein Gesicht und sah darin ein Nilpferd, dessen absichtlich zerzauste Bienenkorbfrisur in Auflösung begriffen war. »Ich werde kurz zur Toilette gehen und mich wieder frisch machen.«
»Nicht jetzt«, befahl Gervase mir streng. »Sie wollen doch wohl dabei sein, falls da oben gleich Ihr Name fällt.«
»Und die Gewinner sind«, verkündete in diesem Augenblick der Moderator auf dem Podium, »Charlie Burns und Scarlett Simpson für Burns’ ungelöste Fälle, Folge fünf, Die Unschuld der Shirley Pilgrim.«
»Verdammt.« Ich hielt mir abermals den Löffel vor das Gesicht, doch durch das Reiben mit dem Finger wurde die verfluchte Mascara noch mehr verwischt. »Ich sehe furchtbar aus. Ausgerechnet jetzt, wenn ich auf die Bühne muss.«
Ich richtete mich eilig auf, und krachend fiel der Kellnerin in meinem Rücken das Tablett mit zwei halb vollen Kaffeetassen sowie einem Rest Rotwein aus der Hand und direkt in meinen Schoß. Ich rang nach Luft und lehnte mich zurück, mein Kleid voller Kaffee- und Rotweinflecken.
Entgeistert riss die Kellnerin die Augen auf.
»Lassen Sie mich Ihnen helfen«, bot Gervase eifrig an und fuhr mit seiner Stoffserviette über meine feuchte Brust.
»Das mache ich selbst.« Ich riss ihm die Serviette aus der Hand und sah aus dem Augenwinkel, wie Charlie Richtung Bühne ging. Ich konnte unmöglich mit verschmiertem Eyeliner und Rotwein auf dem Kleid vor das Publikum treten, deshalb lehnte ich mich resigniert auf meinem Stuhl zurück, murmelte der Kellnerin »Schon gut, es war nicht Ihre Schuld« zu und tupfte mir den Kaffee von den Armen ab.
»Wir sind hocherfreut, dass wir den Preis bekommen haben«, sagte Charlie auf dem Podium. Er sah sehr gut dort oben aus, unendlich stolz und selbstbewusst, und auch ich war glücklich, denn die unzähligen Stunden der Recherche, die vielen Gespräche, die Bearbeitung des Podcasts noch bis in die frühen Morgenstunden, ehe ich dann hundemüde, aber glücklich für die Frühstücksshow direkt zum Sender gefahren war, hatten sich gelohnt.
»Ich weiß, verglichen mit der Arbeit, die ich als Detective leiste, wirkt das Podcasting frivol«, fuhr Charlie fort. Ich rollte mit den Augen, weil ihm seine Arbeit bei der Polizei in meinen Augen übertrieben wichtig war. Auf Partys sprach er von sich selbst manchmal als DC Burns und tat dann lachend so, als wäre ihm das aus Versehen herausgerutscht. Und jedes Mal ließ er es so aussehen, als wäre meine Tätigkeit bei Britain Live die einer kleinen Sendeassistentin und nicht so wichtig.
»… ich denke gern, dass unser Podcast etwas bewirkt«, schloss Charlie seine Rede. Ich hatte ihm nicht richtig zugehört und wusste nicht, ob er mich auch nur mit einem Wort erwähnt hatte. Ich blickte auf die Bühne, wo er, die Trophäe in den Händen, kurz vom Rednerpult aufsah.
»Mein Gott, ich habe ganz vergessen, dass ich selbstverständlich auch noch Danke sagen will.« Er schlug sich an die Stirn. Die Leute lachten, und ich lächelte, weil ich jetzt endlich an der Reihe war.
»Natürlich danken wir zunächst Shirley Pilgrim, die mit uns ihre Erinnerungen durchforstet hat«, setzte Charlie an. »Und meinen Kollegen bei der Metropolitan Police …«
»Ach, du bist bei der Met? Das hast du ja noch nie erzählt«, murmelte ich wütend vor mich hin.
»… für die Kontakte, die sie mir vermittelt haben«, fuhr Charlie fort. »Und natürlich gibt es einen weiteren Menschen, den ich nicht vergessen darf.«
Ich richtete mich auf und hoffte nur, ich hätte all den Wein und den Kaffee von meinen Armen abgewischt. Gervase nickte mir anerkennend zu.
»Meine wundervolle Freundin Astrid Nilson«, sagte Charlie und warf ihr eine Kusshand zu. »Sie ist der Grund, warum ich jeden Morgen aufstehe, und der mit Abstand wunderbarste Mensch, der mir in meinem Leben je begegnet ist. Ich danke dir.«
Er winkte mit der Trophäe, sprang von der Bühne und nahm Astrid in den Arm. Die Leute waren entzückt von dieser süßen Geste, und ich wollte vor Scham im Erdboden versinken.
»Das ist jetzt etwas peinlich«, stellte Gervase fröhlich fest. »Ich dachte eigentlich, den größten Teil der Arbeit an dem Podcast hätten Sie gemacht.«
»So war es auch.«
»Sie haben die Recherche durchgeführt, den ganzen Technikkram – die Aufnahmen, die Bearbeitung und so – erledigt, und Sie haben auch das Skript geschrieben, oder nicht?«
»Das habe ich«, stieß ich zwischen zusammengebissenen Zähnen aus.
»Und was trägt unser guter Charlie zu der ganzen Sache bei?«
»Unser guter Charlie geht mir einfach furchtbar auf den Zeiger«, fauchte ich, schob meinen Stuhl zurück, nahm meine Tasche und ging zur Tür.
Jetzt würde ich auf jeden Fall nach Hause fahren.
»Scarlett?«, erklang plötzlich Charlies Stimme, doch ich setzte meinen Weg zum Ausgang fort.
»Bleib stehen, Scar.«
Ich fuhr zu ihm herum.
»Dann weißt du also doch noch, wie ich heiße?«, zischte ich.
Zumindest wirkte er leicht verlegen. »Wo warst du?«, fragte er verwirrt. »Ich dachte, dass du zu mir auf die Bühne kommst.«
»Eine der Serviererinnen hat Rotwein über mich gekippt.« Ich streckte meine rot befleckten Arme aus und starrte ihn so finster an, dass er sich das Gelächter über dieses Missgeschick verkniff.
»Ich hätte mich bei dir bedanken sollen. Das ist mir in der Aufregung dort oben durchgerutscht.« Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Es tut mir leid.«
»Schon gut.« Ich zuckte mit den Achseln, denn plötzlich war ich wieder völlig nüchtern und total erschöpft. »Ich werde jetzt nach Hause fahren.«
»Nein, warte kurz.«
»Was willst du, Charlie?«
»Vielleicht haben wir einen neuen Fall. Der Typ, der mich deswegen angerufen hat, will morgen mit uns sprechen. Es ist wichtig, dass du kommst.«
»Für mich oder für dich?«, fragte ich spitz, denn mir war klar, dass Charlie ohne mich bei solchen Treffen aufgeschmissen war.
»Bitte, Scar. Ich habe doch gesagt, es tut mir leid. Jetzt stell dich nicht so an. Du musst zu diesem Treffen kommen.«
»Nenn mich nicht Scar. Und sag mir ja nicht, was ich zu tun oder zu lassen habe.«
Er blickte mich verzweifelt an. »Bist du denn morgen frei?«
»Nein«, log ich.
»Kannst du die anderen Termine dann vielleicht verschieben? Dieser Typ hat jede Menge Geld und sagt, dass er uns für die Ermittlungen bezahlen will.«
»Er will uns dafür bezahlen?« Ich runzelte die Stirn. »Das kommt mir seltsam vor. Wir sind schließlich keine Detektive, und was ist, wenn wir etwas finden, was ihm nicht gefällt? Vor allem darfst du dich doch sicher nicht dafür bezahlen lassen, wenn du neben deiner Arbeit für die Met recherchierst.«
»Ich bin mir nicht ganz sicher«, gab er zu. »Aber er könnte dich bezahlen, und du bezahlst dann mich.«
»Genau, das wäre sicher vollkommen korrekt.« Wie so oft in letzter Zeit dachte ich, wie glücklich er sich wegen seines guten Aussehens schätzen konnte, weil er eindeutig nicht die hellste Kerze auf der Torte war.
»Wir können uns doch einfach mit ihm treffen und ihn fragen, was genau er von uns will. Im Ernst, es geht um Tausende von Pfund.«
»Um Tausende?«
»Genug, damit du deinen Job beim Sender schmeißen kannst. Oder auf jeden Fall genug, dass du dir eine eigene Wohnung suchen kannst.«
Er sah mich flehend an, und seufzend antwortete ich: »Ich habe morgen frei, aber das ist noch keine Zusage. Ich werde mir noch überlegen, ob ich zu dem Treffen komme oder nicht.«
»Okay, dann sehen wir uns morgen, Scar.«
Er nickte gut gelaunt, und ich zeigte ihm den Mittelfinger und ging zum Lift.
Hannah
1933
Natürlich hatten wir die Hochzeitssuite gebucht. Ich wollte mir mein neues schimmerndes Satinnachthemd anziehen, mich in die Tür des Badezimmers stellen, einen Arm gegen den Rahmen gestützt, und mit sanfter Stimme fragen: »Denkst du, dass du mit mir glücklich werden kannst?«
Dann würde Lawrie meine Hand nehmen, mich eine Pirouette drehen lassen und so leidenschaftlich küssen, dass mir schwindlig würde … aber vielleicht hatte ich mir einfach auch zu viele Kinofilme angesehen.
Die Wirklichkeit sah nämlich völlig anders aus.
Ich brachte meine leicht beschwipste und erstaunlich rührselige Tante zum Taxi, winkte ihr, und als ich wieder in den Ballsaal kam, war Lawrie nirgendwo zu sehen.
»Mr Wetherby ist bereits hinaufgefangen«, klärte der Empfangschef mich auf und reichte mir einen großen Holzanhänger mit dem Zimmerschlüssel. »Er hat gesagt, er würde Sie dann oben sehen.«
»Danke.«
Leicht verärgert, weil mein Mann, statt noch auf mich zu warten, unsere Hochzeitsfeier bereits ohne mich verlassen hatte, fuhr ich mit dem Fahrstuhl hinauf und öffnete die Tür der Hochzeitssuite. Von einem großen Raum mit einem Sofa und zwei ausladenden Sesseln führte eine Tür ins Bad und eine zweite in das angrenzende Schlafzimmer.
Mein Mann saß auf dem Bett und sah mit seinem offenen Hemdkragen und dem zerzausten Haar sehr attraktiv und … fürchterlich elend aus.
»Hannah«, sagte er, als ich den Raum betrat und blickte zu mir auf. »Oh, Hannah.«
»Was ist los?«
Er hatte rote Augen, so als hätte er geweint, und hielt ein Whiskyglas in der Hand.
»Was ist?« Hastig trat ich an das Bett, auf dem er saß.
»Es geht mir gut.« Er atmete tief durch. »Ich bin einfach betrunken und etwas sentimental, sonst nichts.«
Dann stellte er das Glas ab, streckte die Hände nach mir aus, schlang mir die Arme um die Taille, zog mich an sich, lehnte seinen Kopf an meine Brust, und ich strich ihm über das Haar.
»Ich danke dir.«
»Wofür?«
»Dass du tatsächlich meine Frau geworden bist.«
Ich überspielte meine Sorge, weil er alles andere als glücklich klang, und lachte leise auf. »Ich sollte mich bei dir bedanken, schließlich gab es in ganz London keinen begehrteren Junggesellen als dich.«
Er lehnte sich zurück, hielt aber weiter meine Hüfte fest. »Nicht mehr.«
Ich schob ihm eine Haarsträhne aus der Stirn und küsste seinen wirren Schopf. »Das ist kein Grund, um derart unglücklich zu sein, immerhin war ich ebenfalls ziemlich umschwärmt.«
Ich scherzte, um die Stimmung aufzuhellen, aber Lawrie blieb ungewöhnlich ernst.
Ich hatte keine Ahnung, was ich machen sollte, also setzte ich mich neben ihn, legte die Hand auf seinen Oberschenkel und fragte mich, ob ich ihn küssen sollte, weil er selbst vielleicht zu schüchtern war. Er wandte mir das Gesicht zu und sah mich an. Ich legte meine Hand in seinen Nacken und zog seinen Kopf zu mir heran, doch als ich meinen Mund auf seine Lippen presste, machte er sich stöhnend von mir los.
»Ach, Hannah.«
In Erinnerung an Norma Shearer, deren Filme ich mehr als einmal gesehen hatte, stand ich ein wenig unbeholfen auf, da das Bein, das ich unter mich gezogen hatte, eingeschlafen war, griff hinter meinen Rücken und versuchte, die verflixten Schnüre meines Hochzeitskleides aufzuziehen. Wenn es nach Tante Beatrice gegangen wäre, hätte ich mich nach der Trauung umgezogen, doch obwohl ich mich des Schleiers, der mir nicht gestanden hatte, schnellstmöglich entledigt hatte, hatte ich das Kleid den ganzen Abend lang tragen wollen. Was ich in diesem Augenblick zutiefst bereute, weil ich jetzt darin gefangen war.
Mit roten Wangen bat ich Lawrie: »Könntest du …?«
Als er sich nicht bewegte, blickte ich ihn etwas verlegen über meine Schulter an. »Ich wollte mir mein Nachthemd anziehen.«
Er holte tief Luft, stand auf und band mein Kleid … wieder bis oben zu. Dann trat er einen Schritt zurück, ich spürte seinen Atem im Nacken.
»Was macht du da? Gefalle ich dir nicht?«, stieß ich mit rauer Stimme aus.
»Nein«, gab er zurück. »Darum geht es nicht, Hannah.«
Ich wirbelte zu ihm herum. Mit den geröteten Augen und der unglücklichen Miene sah er einfach schrecklich aus.
»Und worum geht es dann?«
Verzweifelt warf er seine Hände in die Luft. »Das alles hier, es ist einfach praktisch.«
Diese Antwort traf mich wie ein Fausthieb in den Bauch. »Praktisch?«
»Wir haben beide etwas davon. Das Geld aus meinem Erbe …«
»Das Geld ist mir egal! Ich habe dich nicht deswegen geheiratet.« Ich schluckte und gab zu: »Zumindest nicht nur.«
»Doch«, erwiderte er sanft. »Wir kriegen durch die Heirat beide, was uns wichtig ist. Ich brauchte eine Frau, um an mein Erbe zu gelangen, und du brauchtest finanzielle Sicherheit.« Er atmete geräuschvoll aus. »Ich kann dir nicht die Art von Mann sein, die du vielleicht haben möchtest.«
Ich war den Tränen nah. Ich schämte mich, weil mir all das nicht bewusst gewesen war. Und dann empfand ich plötzlich heißen Zorn und stieß ihn derart wütend fort, dass er zwei Schritte zurücktaumelte.
»Ich brauche keine finanzielle Sicherheit«, fuhr ich ihn an. »Die ist mir vollkommen egal.«
»Aber Beatrice hat mir doch deutlich zu verstehen gegeben …«
»Beatrice geht es immer nur um das, was für sie selbst das Beste ist«, erklärte ich, und meine Stimme wurde schrill, als ich begriff, dass ich von ihr verkauft worden war. »Sie hat mich ohne Rücksicht auf meine Gefühle oder meine Zukunft einfach dem Höchstbietenden übergeben.«
»Das stimmt nicht ganz, denn ich bewundere dich wirklich sehr.«
»Ach ja?«, schrie ich ihn an. »Und was bedeutet das?« Ich atmete bebend ein. »Ich wusste, dass dies keine Liebesheirat ist, aber ich dachte, wir wären trotzdem ein Paar und würden zueinanderfinden.«