Das Geheimnis der Rabenblüter - J. K. Bloom - E-Book
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Das Geheimnis der Rabenblüter E-Book

J. K. Bloom

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Beschreibung

In Seras Heimat Lucra werden magiebegabte Menschen verachtet – ganz besonders wenn sie von königlichem Blute sind. Dadurch hat sie kein Anrecht auf die Krone, sondern nur ihr zukünftiger Ehemann – sofern dieser gewillt wäre, jemand Magiebegabten als seine Frau zu nehmen. Als Seras Vater, der König, an alle Länder eine Einladung versendet, um einen heiratsfähigen Prinzen für seine Tochter zu finden, erhält er nur Ablehnungen – bis auf eine. Der jüngste von sieben Prinzen aus dem gefürchteten Reich Tenebras, Valerian Rabenblut, gibt sich mit einer Hochzeit einverstanden. Für Sera bricht eine Welt zusammen, da sie nicht nur Tenebra und dessen grauenvolle Kreaturen fürchtet, sondern auch den dunklen Prinzen, über den schreckliche Gerüchte kursieren. Doch als sich beide auf den Weg zu Valerians Heimatland machen, ahnt Sera nicht, dass die gefährlichste aller Kreaturen längst ein Teil ihrer Zukunft ist und ihr Herz gefährlich schnell zum Schlagen bringt.

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Das Geheimnis der Rabenblüter

J. K. BLOOM

Copyright © 2024 by

Drachenmond Verlag GmbH

Auf der Weide 6

50354 Hürth

https://www.drachenmond.de

E-Mail: [email protected]

Lektorat: Stephan Bellem

Korrektorat: Michaela Retetzki

Layout Ebook: Stephan Bellem

Satz: Katharina V. Haderer & Astrid Behrendt

Umschlag- und Farbschnittdesign: Alexander Kopainski

www.kopainski.com

Bildmaterial: Shutterstock & Creative Market

Karte: J. K. Bloom

ISBN 978-3-95991-858-9

Alle Rechte vorbehalten

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Danksagung

Drachenpost

1

BEGABT

SERA

Ich las viel, verschlang ein Buch nach dem anderen und liebte es, in fantastische Welten abzutauchen, die jegliche Vorstellungskraft sprengten. Denn jede Geschichte war besser als meine Realität.

Obwohl mich alle im Schloss respektvoll behandelten, fühlte ich mich wie ein Vogel in einem goldenen Käfig. Niemand bekam mehr Regeln auferlegt als ich. Mein Leben wurde seit meiner Geburt kontrolliert.

Es gab keinen Moment, in dem ich allein war. Zu jeder Zeit sah man wachsam in meine Richtung, prüfte, ob mir Gefahr drohte – oder ich zu einer werden könnte.

Die Bibliothek war einer der wenigen Räume, in denen ich mich wohlfühlte. Ein Ort, an dem ich mich frei bewegen konnte. Zwischen mit Büchern gefüllten Regalen, umgeben vom Duft alten Pergaments und Holz. Behütet von über tausend Geschichten, die mich in ihre Welten entführten.

Gerade in diesem Moment ritt ich durch ein fernes Land, überlebte einen finsteren Wald und erschlug zum guten Schluss einen mächtigen Drachen, der eine Burg mit einem Schatz bewachte.

Der Sieg war mein. Nun ja, fast.

»Prinzessin Sera«, ertönte die Stimme meiner Zofe Ela und riss mich dabei aus meiner abenteuerlichen Reise.

Mir entfuhr ein genervtes Stöhnen. »Ja?«

»Ich hole Euch für Euren Magieunterricht ab.«

Natürlich. Wie könnte ich den auch versäumen? Mein Vater wäre zutiefst betrübt darüber.

Ich verabscheue mein Leben. Mit jedem Atemzug.

Widerwillig schlug ich das Buch zu und legte es auf den Tisch, damit ich es morgen zu Ende lesen konnte. Anschließend erhob ich mich vom Sessel und gesellte mich zu meiner Zofe. Sie knickste vor mir. »Bitte hier entlang.«

Obwohl ich die Korridore in- und auswendig kannte, ließ es mein Vater immer noch nicht zu, dass ich allein durch die Gänge streifte. Stets musste mich jemand begleiten.

Wir bogen auf dem Korridor zweimal ab und landeten schließlich in einem aus Marmor gebauten Saal. Meine Schläppchen gaben Tapsgeräusche von sich, und ich spiegelte mich im grauen Fliesenboden. Säulen stützten die hohe Decke, und in der Mitte befand sich bereits mein Lehrer für magische Künste.

»Sera«, begrüßte mich Qualis, der in unserem Land Lucra als der fähigste Primagis galt. Vater hatte ihn vor einigen Jahren ins Schloss bestellt, um meine Magie perfektionieren zu können.

»Dann lasse ich Euch nun allein«, verabschiedete sich Ela mit einem höflichen Knicks, verschwand auf den Korridor und zog die Tür hinter sich zu.

Ich stieß einen Schwall Luft aus, visierte den Stuhl in einer Sitzecke an und ließ mich darauf nieder. »Gestern habe ich geübt.«

Qualis musterte mich streng mit seinem hellgrauen Auge. Er hatte bei einem früheren Kampf gegen einen außer Kontrolle geratenen Primagis das linke verloren und trug daher eine Augenklappe. »Ohne Aufsicht?«

Ich hob süffisant einen Mundwinkel. »Ganz wie ein ungehorsames Mädchen.«

Qualis erwiderte meine Mimik. »Rebellisch wie immer also.«

Er verstand mich von allen Bediensteten im Schloss am besten. Denn er sah meinen Käfig, den mein Vater jedes Mal ausblendete, wenn ich ihn bat, mir mehr Freiheiten zu schenken. Wenn es nach ihm ginge, sollte ich dankbar für meine Magie und mein königliches Blut sein.

Aber das war ich nicht. Ich hasste es. Mit jeder Faser meines Körpers. Ohne meine Macht würde ich vielleicht anders behandelt werden und ein anderes Leben führen.

Doch leider konnte man sich die Magie nicht aus dem Körper schneiden. Gäbe es eine solche Möglichkeit, hätte ich keinen Moment gezögert, um sie zu ergreifen.

Trotz Qualis’ sanfter Miene lag darin etwas Ernstes. »Du weißt, dass es trotzdem wichtig ist – egal wie sehr du deine Kräfte nicht ausstehen magst. Andere haben weniger Glück und müssen getötet werden.«

Ich presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen. »Ich weiß.«

Er kam auf mich zu und hielt mir die Hand hin. »Heute verspreche ich dir auch, dich weniger hart ranzunehmen.«

Das entlockte mir ein amüsiertes Schnauben. »Ist das gerade eine Herausforderung, Qualis?«

Er grinste schelmisch. »Vielleicht.«

Ich griff nach seiner Hand und ließ mich von ihm wieder auf die Beine ziehen. Anschließend brachte ich mich in Position und stellte mich mit ausreichend Abstand vor ihn.

Ich betrachtete meinen Lehrer und blieb am Symbol auf seiner dunkelblauen Robe hängen. Es stellte eine Hand dar, in der sich eine Sonne und ein Halbmond befanden, die der angebliche Ursprung aller Magie waren. Vor sehr vielen Jahrhunderten sollen sie in menschlicher Gestalt in unsere Welt gekommen sein und beschlossen haben, die Menschen mit Magie zu beschenken. Deswegen wurden sie von uns Magii verehrt.

Nun ja, ich respektierte sie. Mehr aber auch nicht.

Qualis straffte die Schultern und strich sich ein paar Strähnen seines schwarzgrauen Haares aus dem Gesicht. Nach einigen Atemzügen schien er für den Kampf bereit zu sein. »Fangen wir mit den vier Elementen an.«

Ich nickte und hob die Arme vor mich. Noch bevor Qualis den ersten Zug machen konnte, beschwor ich die Magie in mir. Sie floss wie ein warmer Strom von meinem Herzen zu den Fingerspitzen. Wenn sie besonders mächtig war, kribbelten meine Hände oder begannen sogar zu zittern.

Mit meiner Vorstellungskraft steuerte ich die Macht und formte ein Bild vor meinem geistigen Auge. Durch die vielen Bücher, die ich in den letzten Jahren verschlungen hatte, hatte meine Fantasie zugenommen. Denn je klarer die Vorstellung im Kopf wurde, desto gewaltiger wirkte sich der Zauber aus.

Qualis und ich fingen immer mit dem Element Feuer an. Zwei mächtige Flammen schossen aus meinen Handflächen und prallten mit enormer Kraft gegen die meines Lehrmeisters. Der Laut dröhnte in meinen Ohren, und ich senkte den Blick, da die Brunst eine enorme Hitze ausstrahlte. Sie brannte schwarze Flecken in die danebenstehenden Säulen.

»Nächstes Element!«, rief Qualis.

Ich riss die Arme zurück, wiederholte den Vorgang in meinem Körper und schleuderte ihm nun eine Wassermasse entgegen. Wie eine Welle schlug sie ebenfalls gegen die von Qualis. Tropfen bespritzten die weißen Wände, und riesige Pfützen bildeten sich auf dem Boden.

Der Raum war so erbaut, dass es in der Mitte ein Loch gab, durch das das Wasser abfließen konnte.

Nässe bespritzte mein Gesicht und tränkte mein dunkelrotes Kleid.

»Nächstes!«, bellte er wieder.

Wir brachen gleichzeitig ab und beschworen den Wind. Der heftige Stoß warf mir mein dunkelblondes Haar über die Schultern und schleuderte sogar einen Stuhl in der Sitzecke nach hinten. Die Wandkerzen erzitterten, und ich war froh, dass wir nicht in der Nacht übten, sonst wäre es recht finster im Saal geworden. Zwar gab es eine Glaskuppel an der Decke, aber sie war nur bei Tag von Nutzen.

»Jetzt das letzte Element!«

Der Boden brach krachend auf, und graue Felsen ragten schräg aus dem Riss hervor. Wie scharfe Speere durchstießen sie die von Qualis. Teile des zersplitterten Marmors landeten vor meinen Füßen.

Ich rief die Magie wieder zurück. Die Felsen verschwanden in dem Riss, aus dem sie hergekommen waren, und hinterließen eine hässliche Furche im Boden. Schweiß stand mir auf der Stirn, den ich mit dem Handrücken wegwischte.

Qualis’ Brust hob und senkte sich ebenfalls vor Anstrengung. »Sehr gut«, lobte er mich. Anschließend wandte er Wiederherstellungsmagie an, die den Saal in seine ursprüngliche Form zurückbrachte. Die Erde verschwand unter dem Marmor, und die schwarzen Brandspuren lösten sich in Luft auf.

Bedauernd sah ich Qualis beim Prozess zu.

Er bemerkte meinen Blick. »Du wirst diese Fähigkeit irgendwann ebenfalls beherrschen. Alles braucht seine Zeit, Sera.«

»Wir könnten ja schon mal damit anfangen«, versuchte ich ihn zum gefühlt hundertsten Mal zu überreden.

Qualis senkte die Hände und hob eine Braue. »Netter Versuch.«

Ich verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust. »Wie lange willst du denn noch warten? Oder traust du einer Siebzehnjährigen eine solche Macht nicht zu?«

»Sobald du die Heilung perfektioniert hast, reden wir über die Wiederherstellung, weil –«

Ich beendete seinen angefangenen Satz, da ich diese Lehre schon etliche Male vernommen hatte. »Jede Fähigkeit aufeinander aufbaut. Was der Grund ist, weshalb viele Primagii ihre eigene Magie nicht beherrschen können.«

Qualis stemmte die Hände in die Hüften. »Na siehst du. Anscheinend hörst du mir ja doch zu.«

Ich verdrehte die Augen. »Habe ich nicht letztens sogar eine Krankheit geheilt?«

Qualis nickte stolz. »Aber das war längst nicht alles. Du brauchst zum Beispiel viel zu lange für eine tiefe Wunde. Wenn du willst, gehen wir morgen noch mal ins Kloster und üben.«

So hilfreich die Heilmagie auch war, es brach mir jedes Mal das Herz, zu einem Ort zu gehen, an dem so viel Elend herrschte. Diese Menschen litten unter den unterschiedlichsten Erkrankungen. Von unheilbaren innerlichen bis zu verheerenden äußerlichen. Ich hatte das Kloster mit Bauchweh betreten und wieder verlassen, da meine Kraft nicht ausreichte, um jedem zu helfen.

Aber auf eine andere Weise könnte ich meine Heilkräfte sonst nicht verbessern.

»Wie steht’s um deine Element-Kombinationen?«, hakte er neugierig nach.

Das weitreichende Gebiet der Zerstörungsmagie, wozu auch die Elemente zählten, hatte ich fast gemeistert. Um ihm zu beweisen, dass ich bereit war, andere Magiegebiete zu erlernen, beschwor ich erneut meine Macht.

Ich schloss die Lider, um mich auf meine Vorstellungskraft zu fokussieren. Da auf dem Boden immer noch Wasser lag, nutzte ich dieses und kombinierte es mit dem Element Wind. Ich spürte eine zarte Böe, die meine Fußknöchel umwehte, und lenkte sie zu den Pfützen. In meinem Kopf formte ich das klare Bild eines runden Kreises und eines Sichelmondes.

Anschließend öffnete ich die Lider und visierte eine Stelle über dem Wasser an. Der Wind verband sich mit dem Element, und meine Fantasie erledigte den Rest. Die Oberfläche kristallisierte und wurde zu Eis, welche das Kunstwerk darstellte, das ich mir soeben ausgemalt hatte.

Qualis nickte anerkennend. »Schön. Das klappt immer besser.«

Da ich gerade motiviert war, erstellte ich weiteres Eis und formte daraus mehrere scharfe Pfeilspitzen, die ich in die Luft hob. Sie schwebten neben meinem Körper, als wären sie jederzeit bereit anzugreifen.

Mein Lehrer verlor sein Lächeln. »Was haben wir über Waffen gesagt, Sera?«

Abrupt ließ ich die Spitzen fallen, die wie Glas auf dem Marmor zerschellten. Ich grinste frech. »Darf ich mir keinen Spaß mehr erlauben?«

Qualis schien es tatsächlich nicht witzig zu finden. »Wir üben damit, wenn du deinen Schild ordentlich aufrechterhalten kannst. Aber das wirst du erst meistern, wenn du den Magiebereich der Heilung abgeschlossen hast.«

Ich zog beleidigt eine Schnute. »Wann soll das passieren? Wenn ich zwanzig Jahre bin und Vater mich mit irgendeinem reichen Prinzen verheiratet hat?«

Mein Lehrer seufzte. »Über dieses Thema rede ich nicht mit dir, und das weißt du.«

An wirklich miesen Tagen, in denen mir mein goldener Käfig zu viel wurde, lieh Qualis mir oft sein Ohr. Ich konnte mit ihm über fast alles reden, da wir uns einander vertrauten, aber über meine Pflichten als Prinzessin sprach er nicht. Er meinte, dass es ihn nichts anging und ich sowieso nicht die Macht dazu hätte, diese Entscheidung zu beeinflussen.

Etwas Gutes hatte meine Magie. Nur Prinzen, die verrückt genug waren, sich auf eine Primagis einzulassen, würden mich zur Braut wählen. Denn das Risiko war zu groß, dass ich die Kontrolle verlor. Und da es kaum solche heiratsfähigen Männer gab, könnte es lange dauern, bis Vater jemand Geeigneten fand.

Ich war eine Gefahr, auch wenn es einige Menschen gab, die unsere Magie verehrten.

»Mein neuer Gemahl könnte seinen eigenen Lehrmeister mitbringen und dich ersetzen«, erwähnte ich. »Denn er wäre dann der König von Lucra.«

Ich wusste, dass Qualis mich mochte. Zugegeben, manchmal wünschte ich mir, mein eigener Vater besäße dieselben Gefühle wie Qualis für mich.

Qualis ging auf meine Anmerkung nicht ein und konzentrierte sich lieber wieder auf den Unterricht. »Lass uns weitermachen.«

Enttäuscht senkte ich die Mundwinkel, gehorchte jedoch. »Wie du meinst.«

2

UNWÜRDIG

VALERIAN

VOR EINIGEN WOCHEN …

Gott, wie ich ihn hasste.

Dieses dämliche Grinsen. Diesen Spott in seinen bronzefarbenen Augen. Diese Macht, die er jedes Mal über mich ausübte, weil er ein Primagis war und ich nicht.

Belian kam auf mich zu, hob die Faust und schlug mir zum wiederholten Mal mit solcher Wucht ins Gesicht, dass mein Kopf herumflog und ich zur Seite kippte. Ich spuckte Blut auf den Boden und ließ den sengenden Schmerz über mich ergehen.

Ich hasste mich. Diese Schwäche. Dieses beschissene Verhängnis. Einfach alles.

Belian griff nach meinem schwarzen Haar und zerrte mich wieder auf die Knie. Ich unterdrückte einen Schrei.

Mein zweitältester Bruder kam mir nun so nah, dass ich seinen Atem auf meiner Wange spürte. Er sah mir direkt in die Augen. »Sieh dich an. Was bist du nur für eine Schande für die Familie. Du kannst nichts. Was bringt dir schon dein Schwert und dein Schild?«

Ich spürte, wie unermessliche Wut in mir brodelte und ein Brennen auf der Haut auslöste. Ein Keuchen entfuhr mir bei dem Gefühl, das mir viel zu vertraut war.

Nein, Val. Nicht jetzt. Nicht hier. Beherrsche dich.

Obwohl ich meinen Bruder über alles verachtete, mäßigte ich mich, schluckte den Zorn hinunter und atmete tief durch.

Daraufhin warf er mich wieder zurück auf den Boden, wobei sich ein stechender Schmerz durch meine Schläfe zog. Vermutlich hatte ich mir gerade die Haut an den scharfen Schottersteinen aufgerissen.

Aber ich hatte es verdient.

Belians Schritte verstummten in der Ferne, und ich blieb liegen. All meine sechs Brüder waren als Primagii geboren worden – nur ich nicht. Die Ausnahme. Der Schandfleck. Der Erbe, der es zu nichts bringen würde. Ich wäre nicht einmal fähig, den Orden der Rabenblüter zu übernehmen, da ich ohne Magie niemanden von Flüchen befreien konnte.

Donner grollte über mir, und nur wenige Augenblicke später prasselte eiskalter Regen auf mich herab. Hier in den Bergen, hoch oben im Norden, war die Kälte ein tödlicher Feind. Ehe man es sich versah, hatte sie ihre Krallen ausgefahren, um einen in den Tod zu zerren.

Allerdings hatte ich oft ans Sterben gedacht. Verschmäht von einigen meiner Brüder, geächtet vom Vater, unnütz für das eigene Volk. Worin sollte mein Sinn bestehen? Atmen allein reichte nicht.

»Val«, ertönte in der Ferne eine vertraute Stimme. »Steh auf.« Jemand stupste mich sanft mit dem Fuß an, sodass ich mich endlich bewegte und dabei merkte, wie steif mein Körper durch die Kälte geworden war. »Willst du hier draußen verrecken?«

Blinzelnd bemühte ich mich, gegen den Regen anzukommen, der in meine Augen fiel. Ich erkannte kahl rasierte Seiten am Kopf, auf deren Haut schwarze Symbole prangten.

Cevian, das drittälteste Rabenblut, kam, um mich zum vermutlich unendlichsten Mal vor dem Tod zu retten. Er passte als Einziger auf mich auf.

Er packte mich am Kragen und zog mich auf die Beine. »Na komm schon«, murrte er, und gemeinsam liefen wir in den nahe gelegenen Stall, in dem unsere Pferde standen. Erschöpft ließ ich mich auf einen Heuballen fallen.

»Belian?«, fragte er nach einer gefühlten Ewigkeit des Schweigens.

Ich nickte nur.

»Reden bringt nichts. Er hat sich auf dich eingeschossen.«

»Solang Alvarian kein Machtwort spricht, wird sich daran auch nichts ändern«, gab ich in einem gleichgültigen Tonfall von mir. Denn der Älteste von uns sieben interessierte sich ebenso wenig für mich. Zwar hatte er es nie ausgesprochen, doch ich war ihm so egal wie sein Weib, das er nur für seine Erben benutzte. Ein Mittel zum Zweck.

Cevian atmete lange aus. »Trotzdem«, meinte er und musterte mein von Belian geschundenes Gesicht. »Das muss aufhören.«

Was du nicht sagst … Allerdings hörte ich diese Worte nicht zum ersten Mal. Belian glaubte, er sei unbesiegbar und es gebe nichts, was er nicht bekomme. Vater und Alvarian waren die Einzigen, die ihm Einhalt geboten. Doch solang niemand von ihnen ihm etwas verbot, machte er, was er wollte.

In meinen Augen war Belian das schwärzeste Schaf unserer Herde. Denn er behandelte niemanden gut. Hinter seinen Absichten steckte immer ein Plan, der ihm einen Vorteil verschaffte. Selbst die Dienerinnen flohen vor ihm, da sie wussten, was ihnen blühte, wenn sie sich auf einen Mann wie ihn einließen.

Das war mit ein Grund, weshalb ich vorhin von meinem Bruder verprügelt worden war. Ich konnte nicht wegsehen. All diese Frauen, die er wie sein Eigentum beanspruchte, weil er als Sohn des Königs die Macht dazu besaß.

Cevian legte eine Hand auf meine geschwollene Wange, doch ich zog den Kopf weg. »Es geht schon«, nörgelte ich.

Mein Bruder ließ von mir ab und lehnte sich nach vorn. »Was war es dieses Mal?«

Ich zischte verächtlich. »Das Übliche.«

Cevian presste die Lippen aufeinander, da es ihm ebenfalls nicht gefiel, wie Belian die Dienerinnen behandelte. Meinen Vater interessierte es erst recht nicht, was Belian anstellte, solang es nicht seine eigenen Pläne beeinflusste oder den Ruf des Ordens schädigte.

Es waren allerdings nicht nur die Frauen, sondern auch andere Bedienstete, die Belian nur schief anzusehen brauchten, um eine Tracht Prügel einzustecken. Sie fürchteten ihn am meisten.

Cevian klopfte mir auf die Schulter. »Ich lasse dir eine Decke bringen. Du erfrierst sonst noch.« Damit erhob er sich vom Heuballen und verschwand aus dem Stall.

Ich versank noch eine Weile in meinen Gedanken und versuchte, das Hämmern der Blutergüsse zu ignorieren. Allerdings hatte sich Belian dieses Mal tatsächlich nicht zurückgehalten.

»Sir Valerian«, ertönte eine zarte Stimme im Stall.

Ich drehte den Kopf zum Eingang und erkannte die Dienerin, die sich Belian vorgeknöpft hatte. Ihr Anblick rief in mir wieder das grausame Bild hervor, das mich zur Weißglut getrieben hatte. Belians Tat war der Grund, weshalb ich einen Kampf mit meinem Bruder wagte, auch wenn ich wusste, dass ich ihn verlor.

In ihren Augen schimmerten Tränen. »I-ich … Es …« Sie schluckte schwer und machte noch einen Schritt auf mich zu. »Vielen Dank, dass Ihr mich eben gerettet habt.«

Ich machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ja ja, schon gut.« Sie war nicht der erste Mensch, für den ich Belians Zorn auf mich nahm. Davor hatte er auch schon den Stallburschen auf dem Gewissen, weil er sich nicht zuerst um Belians Pferd gekümmert hatte. Oder ein alter Mann, der ihm einfach nur im Weg stand.

Wegzusehen würde mich genauso zu einem Täter machen, deswegen kämpfte ich lieber.

Sie schaute prüfend über ihre Schulter, bevor sie auf mich zukam und neben mir stehen blieb. »Ich bin eine Demagis, Sir. Zwar sind meine Heilkräfte nicht so ausgeprägt wie die Eurer Brüder, aber gewährt es mir dennoch, mir Eure Wunden anzusehen.«

Ich schüttelte den Kopf, ohne die Magd anzublicken. »Das brauchst du nicht. Ich komme schon klar.«

Doch die Frau blieb. »Dann nehmt dies hier als Zeichen meiner Dankbarkeit.«

Nun machte ich mir die Mühe, sie näher zu betrachten. Sie trug eine Decke auf ihren Armen und legte sie mir um die Schultern.

Als ich gerade dachte, die Magd würde verschwinden, nahm sie meine Hand und legte ein Stück Pergament hinein. Ihre Haut wärmte meine zitternden Finger.

Verwundert sah ich zu ihr hoch, während ihre Miene kaltem Marmor glich. »Ich weiß um Eure … Problematik. Vermutlich ist es nichts, aber trotzdem ist es vielleicht einen Versuch wert. Es gibt kaum Leute, die von ihm wissen, aber seine Schmiedekünste haben noch nie jemanden enttäuscht.«

Damit löste sie sich von mir und verließ den Stall.

Nicht ahnend, was sie damit andeutete, entfaltete ich das Stück Pergament und entdeckte eine selbst gekritzelte Karte. Sie zeigte unsere Berge, in denen der Orden erbaut wurde, und etwas abseits davon, Richtung Süden, war eine Stelle mit einem Kreuz markiert. Sie befand sich nicht in Tenebra, sondern im Land Lucra.

Merkwürdig. Wenn ich sie richtig verstanden hatte, sprach sie von einem außergewöhnlichen Schmied, der die Problematik mit meinen Brüdern zu lösen vermochte. Meinte sie meine nicht vorhandene Magie?

Da der Schmied nicht gleich ums Eck war, würde ich bei einer entsprechenden Gelegenheit bei ihm vorbeischauen. Immerhin lag Lucra südlich. Wenn ich Tenebra verlassen würde, musste ich meinem Vater einen triftigen Grund vorweisen.

Ich faltete das Pergament sorgsam zusammen und ließ es in meiner Lederrüstung verschwinden. Anschließend erhob ich mich und spürte dabei, wie mir jeder einzelne Muskel wehtat. Für einen kurzen Moment bereute ich es, die Hilfe der Demagis abgelehnt zu haben. Belian hatte sich tatsächlich nicht zurückgehalten. Zwar war ich der beste Kämpfer in ganz Tenebra, aber gegen Magie hatte ich dennoch keine Chance.

Mit einem genervten Stöhnen verließ ich den Stall.

Vater rief uns nur wenige Tage nach dem Vorfall zu sich in den Empfangssaal. Das Gebäude, in dem wir wohnten, wurde der Glaspalast genannt. Gleich unter ihm, in einer Bergmulde, befand sich der Orden der Rabenblüter, in dem wir Verfluchten halfen, sich von ihrem Leid zu befreien. Außerdem bildeten wir die Magii-Jäger aus, Pri- und Demagii sowie kampffähige Menschen aus allen Ländern, die sich dazu bereit erklärten, außer Kontrolle geratene Magii zu töten.

Der Glaspalast war vor sehr vielen Jahren eine Kirche gewesen, die mit Magie umgebaut wurde. Dadurch war es äußerst hell in den Innenräumen, da die Sonnenstrahlen fast jeden Winkel erreichen konnten. Nur die Räume im West- und Ostflügel, in denen wir schliefen, wurden aus Stein gebaut. Ansonsten bestand jede Fassade aus Glas oder Eis. Sie war das Bauwerk unserer Vorfahren, die den Orden gegründet hatten und sich zum Herrscher Tenebras erklärten.

Die Schritte meiner Brüder hallten auf dem weißen Marmorboden, und Belian traf als Letzter ein. Er warf mir einen kurzen Blick zu, als amüsierte er sich weiterhin über meinen geschundenen Zustand. Ich hatte mich noch immer nicht behandeln lassen.

Cevian platzierte sich neben mir, als wäre er jederzeit bereit einzugreifen, falls Belian wieder einen Versuch starten sollte, mich zu ärgern. Ich war meinem Bruder dafür dankbar, trotzdem wollte ich nicht, dass sich irgendeiner von ihnen in meine Angelegenheiten einmischte. Wenn ich mich von anderen beschützen ließ, wirkte ich schwach. Und das würde mich zu einer weitaus größeren Beute machen, als ich es ohnehin schon war.

Also machte ich einen Schritt nach vorn und ergriff das Wort. »Ihr habt uns rufen lassen, Vater?«

Im Gesicht des Königs Samuel von Tenebra zeichneten sich tiefe Furchen ab, und seine blassblauen Augen waren mit den Jahren zu zwei dunklen Höhlen geworden. Der graue Bart war nicht mehr als ausgedünntes Haar, und auf dem Kopf besaß er nur noch einen Flaum. Unsere Mutter hatte bereits vor zehn Jahren das Zeitliche gesegnet, obwohl sie deutlich jünger als Vater war.

Alvarian hatte immerhin schon die Dreißig erreicht, während ich als Jüngster gerade einmal neunzehn Jahre alt war.

Er hob seinen dürren, zittrigen Arm. »Nun, meine Söhne, ich erhielt eine Einladung von König Leris Aives, dem Herrscher von Lucra.«

Das erweckte mein Interesse. Es war ungewöhnlich, überhaupt irgendeine Einladung zu erhalten, da die meisten Länder uns fürchteten. Denn im Gegensatz zu ihnen konnten wir mit Magie umgehen und hießen sie willkommen, statt sie zu verachten.

»Der König sucht für seine Tochter, Prinzessin Sera Aives, die nun in einem heiratsfähigen Alter ist, einen geeigneten Kandidaten als Gemahl«, erklärte er und hob den Brief in die Höhe. Ich erkannte selbst aus dieser Distanz das Wachssiegel mit dem Feuerzeichen, das das Wappen Lucras symbolisierte.

Alvarian schnaubte belustigt. »Tja, da ich, Cevian, Damian und Everian bereits verheiratet sind, ist diese Chance für uns verspielt.«

Belian trat vor und rieb sich nachdenklich das Kinn. Auf seinen Lippen lag wieder jenes Lächeln, das ich nur allzu gut kannte. »Eine Prinzessin, ja? Wie könnte ich dazu Nein sagen? Das wird … äußerst interessant. Besonders, weil sie doch eine Primagis ist.«

Wut keimte wieder in mir auf, und ich ballte eine Hand zur Faust. Dieser … Lüstling!

Gerade als ich einen mutigen Schritt nach vorn machte, um Vater davon zu überzeugen, mich ebenfalls als Kandidaten zu entsenden, ergriff er das Wort. »Keiner von euch ist geeignet«, donnerte er wütend. »Denn dieser Brief ist nur an einen bestimmten meiner Söhne gerichtet.«

Plötzlich sahen all meine Brüder mich an.

Vater nickte. »Nach lucreischen Gesetzen muss der spätere König ebenfalls von königlichem Blut sein und darf über keinerlei magische Fähigkeiten verfügen. Pri- oder Demagii haben kein Anrecht auf den Thron.«

Für einen Moment setzte mein Herzschlag aus, und meine Gedanken begannen sich zu überschlagen. Mehrere Puzzleteile fügten sich nun zusammen, und ich verstand mit jedem Mal mehr die Situation.

Dieser Brief war ein verzweifelter Hilferuf. Die anderen Länder würden keinen ihrer Söhne entbehren, um sich mit einer Primagis zu vermählen. Sie fürchteten sich viel zu sehr vor ihrer Magie. Genau aus dem Grund hatte uns Leris einen Brief zukommen lassen, weil er keine andere Wahl hatte. Soviel ich wusste, starb seine Frau bei der Geburt von Sera, und er hatte danach auch nicht mehr geheiratet. Als sich herausstellte, dass seine Tochter über Magie verfügte, war es allerdings zu spät. Nun trat das Unausweichliche ein, und der König musste einen Nachfolger erwählen. Seine Tochter durfte er nicht auf den Thron setzen. Ihm blieb also keine andere Wahl, als den Prinzen zu wählen, der sich als einziger nicht vor Magie fürchtete.

»Er?«, spie mein viertältester Bruder Damian aus. Er spuckte mir vor die Füße. »Willst du damit sagen, dass dieses halbe Hemd nun mit einem ganzen Land belohnt wird? Das ist nicht gerecht! Belian wäre viel geeigneter als König. Er hat eher ein Recht darauf als dieser … Schandfleck.«

Im Stillen ärgerte ich mich über seine Behauptung. Dennoch bewahrte ich Ruhe.

Damian verachtete mich neben Belian ebenfalls. Doch statt es mir mit Gewalt heimzuzahlen, hetzte er lieber Bedienstete gegen mich auf und verbreitete falsche Gerüchte.

Aber gerade seine Reaktion brachte mich auf einen weiteren Gedanken. Obwohl ich keinerlei Interesse an einem Thron, geschweige denn an einer Krone hatte, war es der einzige Ausweg aus dieser Hölle. Ich würde in Lucra leben, mein eigenes kleines Heim besitzen und ein für alle Mal meine Brüder loswerden.

Es wäre wie eine Erlösung. Denn alles war besser, als länger hierzubleiben.

»Ja, nur ist Belian ein Primagis und damit unwürdig«, warf der König ein.

»Unwürdig?«, keifte dieser bei Vaters Bemerkung. Sein Gesicht war vor Zorn verzerrt. »Valerian ist unwürdig!«

Irgendwie hatte ich im Gefühl, dass ich dafür später noch eine weitere Tracht Prügel von ihm erhielt.

Aber auch das war mir nun gleich. Diese Gelegenheit war meine einzige Chance. Ganz gleich, was mich in Lucra erwartete, wenn ich sie nicht ergriff, wäre ich ein Narr.

»Ich mach’s«, stimmte ich meinem Vater zu und kam nicht drum herum, Belian ein verstohlenes Grinsen zuzuwerfen.

Leb wohl, du elendiger Mistkerl! Leb wohl, grauenvolle Familie!

Zwar würde ich einige meiner Brüder vermissen, da sie immer auf mich aufgepasst hatten, aber damit käme ich schon klar.

»Was ist mit unserem … Verhängnis?«, wandte Everian, das fünfte Rabenblut, besorgt ein. Neben Cevian hatte ich ihn am zweitliebsten. Er war der Vernünftigste von allen.

»Davon steht nichts in den lucreischen Gesetzen, trotzdem wäre es besser, wenn Leris nichts davon weiß.«

Ich nickte, um ihm deutlich zu machen, dass ich unser Geheimnis für mich bewahren würde. Nun ja, zumindest so lange, bis wir vermählt wären. Denn in unserer ersten Nacht würde sie vermutlich merken, dass ich etwas vor ihr verbarg.

»So sei es«, verkündete mein Vater. »Ich werde dem König antworten, und sobald ich eine Rückmeldung erhalte, wirst du dich auf den Weg nach Lucra machen.«

Ich spürte, wie ein enormer Ballast von meinen Schultern fiel. Es war, als hätte mir jemand die Hand gereicht, um mich von einem Ort des Schreckens wegzuführen.

»Allerdings habe ich eine Bedingung«, wandte mein Vater ein, was mich die Stirn runzeln ließ. Irgendwie ahnte ich nichts Gutes. »Ich möchte, dass du sie nach eurer Vermählung hierherbringst. Unverzüglich.«

Ich breitete die Arme aus. »Wieso?«

Vater lachte und zuckte nur mit den Schultern. »Ich will doch meine Schwiegertochter kennenlernen.« Ich wusste, dass es nicht der einzige Grund war. Ihn allerdings danach auszufragen, war genauso hoffnungslos, wie gegen Belian anzukommen. Vater gab nur das preis, was für unsere Ohren bestimmt war, ansonsten schwieg er wie ein Grab.

Mein zweitältester Bruder warf nun mir einen verstohlenen Blick zu, bei dem er siegreich grinste.

Aber gegen den Befehl unseres Königs konnte sich niemand stellen. Finster sah ich ihn an. »Wie du wünschst.«

3

HOFFNUNGSLOS

SERA

Am nächsten Tag traf ich erst im Speisesaal auf meinen Vater. In seinem goldweißen Gewand ließ er sich am Ende des langen Tisches auf dem königlichen Stuhl nieder und schob sich das erste Stück Brot in den Mund. Seine grauen Haare waren zurückgekämmt, und in seinem Bart bemerkte ich einige Krümel, die sich darin verfangen hatten.

Mit wolkengrauen Augen, die ich von ihm geerbt hatte, sah er in meine Richtung. »Wie kommst du mit deinem Magieunterricht voran, Liebes?«

»Gut«, gab ich wie jedes Mal als Antwort. Ohne aufzusehen, bestückte ich meinen Teller mit einigen Obstsorten. Je weniger Blickkontakt ich mit ihm hielt, desto eher würde er mich in Ruhe lassen.

»Ich habe gehört, dass du mit Qualis heute wieder ins Kloster gehst.« Seiner dunklen Stimme nach zu urteilen, gefiel ihm das Vorhaben nicht. Er wusste allerdings, dass es keine andere Möglichkeit gab, meine Fähigkeiten zu erweitern. »Zehn meiner Männer werden euch begleiten.«

Da ich diesen Entschluss absolut übertrieben fand, verdrehte ich unauffällig die Augen. »Und du denkst, die reichen?«

Dieses Mal sah ich ihn an, um seine Reaktion zu prüfen. Zwischen Vaters Brauen bemerkte ich eine tiefe Falte. Er erkannte, dass es Ironie war, die er an mir ganz besonders nicht ausstehen konnte. »Hör auf damit, Sera. Es dient zu deinem Schutz, und das weißt du.« – ja, vor mir selbst!

»Wie du meinst«, murrte ich und schob mir eine Traube in den Mund.

Manchmal fragte ich mich, ob mein Vater ein anderer Mensch geworden wäre, wenn Mutter meine Geburt überlebt hätte. Obwohl ich sie nie kennengelernt hatte, vermisste ich sie auf seltsame Weise. Denn ohne sie hatte ich immer das Gefühl, unvollständig zu sein. Besonders in Vaters Nähe.

»Ich möchte außerdem mit dir über etwas anderes sprechen«, begann er, und ich wusste, dass nun ein unangenehmes Thema folgte, bei dem ich sowieso kein Mitspracherecht besaß.

Daher schwieg ich.

»Es geht um den heiratsfähigen Kandidaten, den ich erwähnt habe.«

Ich hielt inne und merkte, wie mir der Appetit verging. Die zweite Traube, die ich essen wollte, warf ich wieder auf meinen Teller zurück. Schließlich ließ ich mich gegen die Lehne meines Stuhls fallen und sah ihn gleichgültig an. Ich wollte nicht, dass er meinen Zorn sah. »Fahr fort.«

»Er wird morgen eintreffen«, gestand er.

Ich verschluckte mich an meiner eigenen Spucke, als ich scharf einatmete. »Wie bitte?«, entfuhr es mir hustend. »Du bestellst ihn hierher, ohne mich darüber zu informieren, aus welchem Land er kommt, und ohne zu fragen, ob mir ein Treffen recht wäre?«

Nun flackerte in Vaters Miene Wut auf. Er funkelte mich an, und die Gabel, die er in seiner Faust hielt, zitterte. »Hast du eigentlich eine Ahnung, dass von acht Ländern, denen ich eine Einladung zu einem Ball geschickt habe, nur einer zugesagt hat?«

Mein Zorn verschwand augenblicklich, als hätte jemand sämtliche Luft aus meiner Lunge gepresst. »Was?«, kam es leise über meine Lippen.

»Acht Einladungen, Sera, und sieben Ablehnungen! Verstehst du das? Niemand will eine Primagis zur Frau.«

Diese Erkenntnis traf mich hart. Härter als ein Schlag ins Gesicht. Härter als die Tatsache, vor Tausenden von Leuten gedemütigt worden zu sein.

Sieben Prinzen lehnten mich ab, weil sie mich als zu gefährlich erachteten.

Mein Magen krampfte, und ich senkte den Blick.

»Deine Mutter hatte vor dir einige Fehlgeburten – du warst praktisch unser erster Erfolg. Ich habe es nicht übers Herz gebracht, neu zu heiraten, weil ich deine Mutter zu sehr liebte. Wenn ich schon davor gewusst hätte, dass Gott dich zu einer Primagis auserwählt hat, hätte ich jedoch keinen Moment gezögert. Aber dafür ist es nun zu spät. Ich bin bereits zu alt, um Kinder zu zeugen. Deine Fähigkeiten tauchten erst mit zwölf Jahren auf, was das Schicksal unseres Königreiches besiegelte. Daher bleibt mir keine andere Wahl, als dem einzigen Kandidaten deine Hand zu versprechen.« Er warf seine Keule auf den Teller, als wäre ihm selbst der Appetit vergangen. »Also, wenn der Prinz morgen eintrifft, wirst du dich benehmen und dich von deiner besten Seite zeigen. Hast du verstanden?«

Ich wollte schreien, weinen und um mich schlagen. Aber ich beherrschte mich und ließ Vaters Worte über mich ergehen. Ich war die einzige Erbin Lucras, welches das größte Reich unseres Kontinents war. Meine Magie brachte Schmach über unseren königlichen Namen Aives. Jahrelang hatte meines Vaters Blutlinie männliche, nicht magiebegabte Erben geboren, sodass die Nachfolge gesichert war.

Aber dann kam ich. Der Schandfleck, der alles zerstörte.

»Wenn es dir so wichtig ist, dann ändere einfach das Gesetz«, kam es zischend über meine Lippen.

»Das geht nicht so einfach! Auch Könige schwören Eide, und eine Änderung würde zu Aufständen im Land führen. Das kann ich nicht riskieren.« Er schnaubte. »Eine Primagis an der Macht. Die Leute würden das Weite suchen.«

Unter meinen Lidern spürte ich ein Brennen. »W-wer …« Ich holte tief Luft, um meine Fassung wiederzugewinnen. »Wer ist der Kandidat?«

Eigentlich wären alle Länder geeignet – bis auf eines. Doch ehe ich den Gedanken beenden konnte, sprach Vater meine schlimmste Befürchtung aus. »Ein Prinz aus Tenebra.«

Das Land der dunklen Flüche. Die Leute fürchteten und mieden es, soweit es ihnen möglich war. Laut der Aussagen von Reisenden wandelten in ihren Wäldern grauenvolle, tödliche Kreaturen, die selbst Monster aus Albträumen übertrafen.

Trotz allem war es das reichste Land auf dem Kontinent. Das lag daran, dass sie über Primagii verfügten, die in der Lage waren, Flüche zu brechen. Sie eröffneten hoch im Norden eine Heilstätte, die sich der Heilige Rabenblutsorden nannte. Erschaffen von einer mächtigen Primagii-Familie, die einen Weg gefunden hatte, Verfluchte von ihrem Leid zu befreien. Auf dem ganzen Kontinent gab es keine Einrichtung, die dies übertrumpfen konnte.

Denn Flüche waren wie ein Todesurteil. Irgendwann wurden sie übermächtig und nahmen den befallenen Wirt ganz für sich ein. Meistens endete es mit dem Tod.

Ich berührte die Stelle, an der mein Herz schlug. »Tu mir das nicht an«, hauchte ich. Mir entfloh eine einsame Träne, die meine Wange hinunterfloss.

Allerdings schien meine Reaktion Vater nur noch zorniger zu machen. In ihm loderte schon seit Längerem eine Wut. Eine, die sich beim ersten Anzeichen meiner Magie offenbart und sich in all den Jahren danach zu einem verheerenden Inferno entwickelt hatte. Und nun brach es aus jeder Faser seines Körpers.

Er griff nach dem scharfen Messer und schlug dessen Spitze in den Holztisch hinein. »Schweig! Wegen dir muss ich diese Maßnahmen treffen! Wegen dir bin ich gezwungen, mein geliebtes Land an einen Tenebra-Prinzen abzugeben! Wegen dir setze ich einen Fremden auf meinen Thron!«

Seine Worte fühlten sich wie Dolchstöße an. Einer nach dem anderen bohrte sich in meine Brust. »Du könntest mich mit einem Grafen verheiraten!«, entgegnete ich, um irgendetwas zu retten.

»Unsere Gesetze besagen, dass nur königliches Blut eine Lucra-

Krone tragen darf! Willst du, dass unsere Blutlinie verunreinigt wird? Es reicht schon, dass du Magie in dir trägst, zerstöre sie nicht auch noch mit unwürdigem Blut«, feuerte er mir erbost entgegen und stand abrupt vom Stuhl auf, der scheppernd nach hinten fiel.

Mit einem wütenden Schnauben kehrte er mir den Rücken zu und ließ mich im Saal allein.

Mir gingen tausend Gedanken durch den Kopf. Ein Teil von mir fühlte sich für diese Misere verantwortlich, der andere wollte toben und alles vom Tisch reißen.

Doch letztendlich gewann Ersteres und begann mich Stück für Stück aufzufressen. Ich enttäuschte meine Familie, entehrte meinen Vater und beschmutzte den königlichen Namen Aives mit einem Schandfleck, der sich in Geschichtsbüchern verewigen würde.

All die Welten aus der Bibliothek kamen mir wieder in den Sinn. Die tollkühnen Heldentaten von Legenden, deren Namen man niemals vergessen würde. Männer, die Monster bezwangen. Frauen, die ihren Mut zusammennahmen und ihre Stimme erhoben. Krieger, die ganze Schlachten gewannen und deren Siege Jahrhunderte danach noch gefeiert wurden.

Und ich …

Ich war keiner dieser Leute. Ich wäre die Figur, bei deren Erwähnung man das Gesicht verzog und über deren Taten kein Wort gesprochen werden durfte.

Das war zu viel.

Warum hat mich Gott mit einer solchen Gabe bestraft? Reichte es ihm nicht, dass er uns Mutter wegnahm? Musste er auch noch ihr Kind mit einer solchen Bürde bestrafen?

Ich legte das Gesicht in meine Hände und gab dem Druck in meiner Brust nach. In letzter Zeit hatte ich all meine Gefühle in mir zurückgehalten, aber nun war ich nicht mehr fähig dazu.

Meine Existenz war ein einziger Fluch. Ein Fluch, der von niemandem gebrochen werden konnte.

Ich las die Zeilen immer wieder und wieder. Obwohl ich jeden Buchstaben erfasste, drang nichts davon bis zu meinen Gedanken durch.

Es war sinnlos.

Seufzend klappte ich das Buch zu und legte es beiseite. Mein Herz war gebrochen. Vater hatte es mir aus der Brust gerissen. Zwar waren wir uns noch nie wirklich nah gewesen, aber jetzt wusste ich, wie sehr er mich mit jeder Faser seines Körpers hasste.

Mein Blut war das Einzige, was ihn davon abhielt, mich aus dem Schloss zu jagen. Wenn ich mit meinem baldigen Gemahl Kinder zeugte, würden zumindest diese unsere Blutlinie weitertragen. Dabei konnte ich nur hoffen, dass keiner von ihnen zu einem Primagis oder Demagis wurde.

Demagii waren Menschen mit schwachen Fähigkeiten, die kleine Wunden heilten oder eine winzige Flamme in ihrer Hand beschworen, die gerade einmal für den Docht einer Kerze ausreichte. Sie wurden im Gegensatz zu uns nicht verachtet, da sie nicht die Kontrolle verlieren konnten und keinen großen Schaden anrichteten.

Trotzdem war jedes Leben besser, das nicht von Magie gebrandmarkt wurde.

»Prinzessin Sera?«, ertönte erneut die Stimme meiner Zofe Ela.

Ich brachte es nicht über mich, sie anzusehen. »Kommst du, um mich zu Qualis’ Unterricht zu geleiten?«

Sie zögerte kurz. »Unter anderem, Mylady.«

Nun sah ich doch zu ihr. »Unter anderem?«, wiederholte ich verblüfft.

»Ich …« Sie atmete lange aus und machte einen Schritt auf mich zu. »… mache mir, ehrlich gesagt, Sorgen. Ich habe mitbekommen, wie Euer Vater wutentbrannt den Speisesaal verlassen hat.«

Ela kannte mich schon seit meinem elften Lebensjahr. Damals war sie selbst gerade siebzehn Jahre alt geworden und hat die Stelle als meine Zofe erhalten. Daher kannten wir uns schon recht lange, und ich wusste, dass ich ihr vertrauen konnte. Wir hatten uns oft über den königlichen Hof lustig gemacht oder einige Geheimnisse miteinander geteilt. Sie berichtete mir von den Aktivitäten bei den Bediensteten, während ich sie mit neuen Geschichten über den Adel unterhielt. Ela hatte außerdem gute Ratschläge parat, bei denen die meisten von ihrer Mutter stammten. Sie schaffte es dadurch häufig, meine Wut zu besänftigen oder mich auf andere Gedanken zu bringen.

Dafür war ich dankbar.

Sie kam von allen Vertrauten am ehesten an die Bezeichnung Schwester heran. Allerdings verhinderte unser Stand es, dass wir es vor anderen zeigen durften. Wir mussten immer eine gewisse Distanz wahren, da sie in der Hierarchie unter mir stand – auch wenn ich sie niemals auf diese Weise betrachten würde.

Ich wusste, sie würde mir liebend gern ihr Ohr leihen, und ihr Rat würde mir mit Sicherheit guttun, doch dieses Problem konnte nicht schöngeredet werden. Mein Schicksal war unausweichlich.

Zudem war ich zu ausgelaugt, um noch einmal über das Thema zu sprechen. Müde warf ich ihr ein Lächeln zu. »Mach dir keine Sorgen. Es ist alles in Ordnung.«

Mit ihren dunkelbraunen Rehaugen sah sie mich bedauernd an. »Ich verstehe.«

Sie glaubte, ich vertraue ihr nicht, aber das war nicht der Fall. Da gerade niemand in der Nähe war, nahm ich sanft ihre Hand in meine. »Ich muss zuerst meine Gedanken sortieren. Zudem ist gerade kein guter Zeitpunkt, um darüber zu reden.«

Ela wirkte etwas beruhigter. »Ihr wisst, dass ich für Euch da bin.«

Das war sie, und dafür mochte ich sie.

Ich löste mich von ihr und schaute wieder nachdenklich zu meinem Buch. Da fiel mir etwas ein, und ich wandte mich an meine Zofe. »Was weißt du über die Nachfolger aus Tenebra?«

Zugegeben, aufgrund meiner magischen Begabung hatte ich meine Stunden eher in das Aufrechterhalten meiner Fähigkeiten investiert. Andere Länder interessierten mich kaum, ganz zu schweigen Tenebra. Daher hatte ich mich nie über sie informiert. Vater sprach zwar über den einen oder anderen König, allerdings hörte ich nie richtig zu.

Da Ela mitbekommen hatte, dass mein Vater für mich heiratsfähige Kandidaten suchte, brauchte sie bei dieser Frage nur eins und eins zusammenzuzählen. Sie bemühte sich, ihre Vermutung nicht nach außen dringen zu lassen, allerdings verrieten ihre Augen ihre Bestürzung. »Nun ja, soviel ich weiß, besitzt der König sieben Söhne, wovon der älteste eines Tages den Thron übernehmen soll.«

»Sieben?«, entfuhr es mir überrascht.

Sie nickte. »Der König Tenebras heißt Samuel Rabenblut und scheint Eures Vaters Feind zu sein – oder zumindest jemand, den er nicht besonders gut leiden kann.« Ela trat noch näher an mich heran und sprach nun mit gedämpfter Stimme. »Die ersten vier Söhne sind bereits mit einfachen Mägden verheiratet. Mit Mägden!«

Ich blinzelte. Das war in der Tat ungewöhnlich. »Aber wie kann Vater das zulassen? Dadurch verunreinigen sie ihr königliches Blut, was bedeutet, dass auch die Prinzen nicht rein wären.«

Sie zuckte mit den Schultern. »Das weiß ich nicht. Ich glaube, ihnen geht es nur darum, Erben zu zeugen. Mit wem sie das tun, scheint ihnen gleichgültig zu sein.«

Das entsetzte mich, auch wenn es, auf meine Situation bezogen, etwas Gutes war. Denn würde mein Vater mir das erlauben, könnte ich jeden alleinstehenden Mann in Lucra heiraten. Das schloss auch Vaters Gefolgsleute ein, die zumindest einem höheren Stand angehörten. Mir wäre irgendeiner seiner loyalen Männer lieber als ein Prinz aus Tenebra.

»Aber sind sie dann nicht Primagii?«, hakte ich erschüttert nach. Magiebegabte konnten nicht über Lucra herrschen. Das ließen unsere Gesetze nicht zu.

Ela blickte kurz über ihre Schulter, bevor sie sich zu mir beugte und flüsterte: »Gerüchte besagen, dass der jüngste Sohn über keinerlei Magie verfügt. Er ist ein normaler Mensch.«

Zwar war Magie auch vererbbar, allerdings war die Wahrscheinlichkeit nur dann sehr hoch, wenn zwei Menschen mit solch einer Begabung ein Kind zeugten.

Mir wurde plötzlich ganz anders, und ich begann zu verstehen, weshalb Vater überhaupt einen Brief nach Tenebra geschickt hatte. Er hatte sich genau den Prinzen herausgesucht, der als einziger infrage käme, um sich mit mir zu vermählen.

Ich sank auf meinen Stuhl und starrte gedankenversunken in die Leere.

Soweit ich wusste, verehrte Tenebra Magiebegabte. Schließlich waren auch sie es, die andere von Flüchen befreien konnten. Ihr Orden wurde von den verschiedensten Leuten aufgesucht, in der Hoffnung, dass sie Verfluchten helfen konnten. Erst vor einigen Monaten hatte ich von einem Grafen mitbekommen, dass er seinen Sohn für ein Jahr dort hingeschickt hatte und dieser nun wieder gesund zurückgekehrt war.

Ela strich mir sanft über das wellige Haar. »Es tut mir leid, Mylady. Ehrlich. Ich wünschte, ich hätte einen Rat für Euch, aber …« Ihre Stimme brach ab, und sie schwieg für einen kurzen Augenblick. »Egal was auch kommen mag. Seid gewiss, ich werde nicht von Eurer Seite weichen, wenn Ihr jemanden zum Reden braucht.«

Es tröstete mich, mir ihres Beistands sicher zu sein. Aber es beruhigte mich dennoch nicht im Geringsten. Denn jeder Gedanke an morgen drängte mich dazu, wegzulaufen.

Ich schloss die Lider und senkte den Kopf.

Alles fühlte sich so hoffnungslos an.

4

EINGESCHÜCHTERT

SERA

In unserem Kloster wurde ich von den Nonnen mit einem sanften Lächeln begrüßt. Einige berührten meine Hände und verneigten sich tief. Für sie bedeutete Qualis’ und mein Erscheinen Hoffnung. Denn wir waren die mächtigen Primagii, die den Leidenden den Schmerz nahmen. Zwar wusste ich, dass sich einige Demagii um die Belange der Gequälten kümmerten, aber ihre Fähigkeiten reichten nicht für jede Erkrankung.

In einem einfach gehaltenen Raum, in dem nur ein Schreibtisch und ein altes Regal mit Pergamenten standen, trafen wir auf Abt Edward, der das Kloster leitete. Er war der einzige Primagis hier.

Doch aufgrund des hohen Alters waren seine Fähigkeiten stark eingeschränkt. Er hatte nicht mehr die Kraft dazu.

Der kleine buckelige Mann verneigte sich vor meinem Lehrmeister und mir. »Seid gegrüßt, Prinzessin Sera und Meister Qualis.«

»Wir kommen, um Sera in der Kunst der Heilmagie zu üben«, begann Qualis höflich.

»Natürlich«, sagte der Abt und deutete auf die Tür. »Ihr seid uns immer herzlich willkommen.«

Er führte uns auf den Flur und ging voraus. Qualis blieb dicht neben mir und beugte sich unauffällig in meine Richtung. »Die Soldaten berichteten mir, dass es heute offensichtlich einen Streit zwischen deinem Vater und dir gegeben hat.«

Gab es eigentlich irgendjemandem in diesem Schloss, der nicht davon wusste? Ich unterdrückte ein genervtes Stöhnen. »Es war belanglos.«

»Ich kenne dich, Sera. Das war es nicht. Zudem weiß ich auch darüber Bescheid, dass ihr morgen hohen Besuch bekommt. Daher kann ich mir gut vorstellen, was dich bedrückt.«

Qualis war genau wie Ela. Sie hörten beide aufmerksam zu und konnten schnell einzelne Puzzleteile zusammenfügen. »Keine Sorge, es gehört zu deinem Lieblingsthema«, meinte ich ironisch.

Er schnaubte neben mir. »Das stimmt. Doch auch wenn ich nicht gern darüber rede, beeinträchtigt es dennoch deine magische Begabung. Vielleicht kann ich die Entscheidung hinauszögern, indem ich deinem Vater erkläre, dass es deine primagischen Fähigkeiten belastet.«

Ich schätzte Qualis’ Hilfe sehr, trotzdem war es keine Lösung. Früher oder später würde ich mich dem Prinzen stellen müssen, und eine Heirat war unausweichlich. Mein Vater würde sich von nichts auf der Welt davon abbringen lassen. Sein Land und die Krone waren ihm dafür zu wichtig. Denn meine Erben waren die Hoffnung unserer Blutlinie.

Da ich nur eine Frau war, hatte ich zu gehorchen. Denn wenn ich das nicht tat, würde mir mein Vater alles wegnehmen, was ich liebte. Angefangen mit meinen geliebten Büchern aus der Bibliothek.

»Danke«, flüsterte ich und warf ihm ein Lächeln zu, damit er nicht allzu beunruhigt war. »Aber ich bringe es lieber gleich hinter mich.«

In Qualis’ hellgrauem Auge bemerkte ich Bedauern.

Der Abt führte uns zu einem großen Raum, in dem etliche Betten standen, in denen die Kranken lagen. Die Nonnen kümmerten sich um sie, während wir den ersten ansteuerten. Es war ein junger Kerl, dessen Bein schwer verletzt war. Er musste erst vor Kurzem aufgenommen worden sein, denn seine Wunde blutete durch den Verband, den man ihm angelegt hatte. Schweiß stand ihm auf der Stirn, und er atmete schwer. Seine Lider flackerten, und innerlich schien er Höllenqualen zu leiden.

Ich setzte mich auf die Bettkante und legte sanft die Hand auf seine Brust. Der Kerl mit dem wilden blonden Haar öffnete schwach seine Lider. »Hallo«, begrüßte ich ihn mit freundlicher Stimme. »Mein Name ist Sera, und ich bin hier, um dir zu helfen.«

Zum einen wäre es unwichtig, ihm meinen Titel zu verraten, zum anderen wollte ich es auch nicht. Es war mir lieber, wenn sie mich für eine Fremde hielten, die sie von ihrem Leid erlöste.

Der Kerl schien unter einem Fieberwahn zu leiden, denn er ergriff meine Hand und legte ein müdes Lächeln auf. »Seid Ihr ein Engel?«

Das entlockte mir ein leises Lachen. Zwar versuchte ich, so wenig wie möglich aufzufallen, allerdings durfte ich mein silbernes Diadem, das mich als eine Frau des Adels kennzeichnete, nicht absetzen. Da es im Schein des Lichtes glänzte, musste der Kerl es für einen Heiligenschein halten. »Nein, aber ich bin hier, um dir den Schmerz zu nehmen.«

Das erleichterte ihn, und er stieß ein hörbares Stöhnen aus. »Danke.«

Qualis setzte sich neben mich und begann, mit dem Messer den Verband aufzuschneiden. Die Bewegung schmerzte dem Kerl.

Nachdem die Wunde offen lag, sog ich scharf die Luft ein. Irgendetwas hatte ihn gebissen. Vermutlich ein Wolf oder etwas Größeres. Blut sickerte aus seiner Wunde, und sie roch bereits faul. Verdammt, wie lang lag der Arme bereits hier?

Ich riss mich zusammen und atmete flach. Der zuvor eingeatmete Duft von Blut war allerdings geblieben. Als ich die ersten Male hier gewesen war, musste ich ständig mit der Ohnmacht kämpfen, da ich all das Elend noch nicht gewohnt war.

Aber nun wusste ich, wie ich mich einigermaßen in den Griff kriegen konnte. Ich hielt meine Hände nur einen Fingerbreit über die Wunde. Wärme drang in meine Haut, und ich konnte das feuchte Blut förmlich spüren.

»Schließe die Augen«, wies mich Qualis an.

Ich tat, was er mir auftrug, und fokussierte mich auf die Wunde. All die Umstände um mich herum dabei auszublenden, glich einer regelrechten Hürde.

»Nun heile die Wunde mit deiner Vorstellungskraft.«

Aufgrund des vielen Blutes und des Stoffes, der mit der Verletzung verklebt war, erschwerte es mir die Möglichkeit, ein genaues Bild vor meinem geistigen Auge zu erschaffen. Ich blendete die Hindernisse aus, versuchte mir auszumalen, wie sein Bein aussähe, wenn er keine Hose trug und keine rote Flüssigkeit über seine Haut laufen würde.

Nachdem ich das geschafft hatte, nahm ich eine imaginäre Nadel und nähte die Hautstücke wieder zusammen. Während ich diesen Gedankenvorgang mit höchster Konzentration ausführte, heilte ich den Kerl.

»Sehr gut«, lobte mich Qualis mit seiner sanften, dunklen Stimme.

Da ich noch recht ungeübt war, brauchte ich eine Weile, bis ich jeden Hautfetzen zugenäht und mir vorgestellt hatte, wie jedes Gewebe an seinen Ursprung zurückkehrte.

Schließlich gab mir mein Lehrmeister das Zeichen zum Einhalt, indem er mich an der Schulter antippte, und ich öffnete die Lider. Der Kerl war nach wie vor geschwächt, aber dafür hob und senkte sich seine Brust gleichmäßiger.

Ich nahm einen tiefen Atemzug, während Qualis auf ein anderes Bett deutete. »Auf zum Nächsten.«

Dann blies ich die gestaute Luft wieder aus.

Gott, wieso war Heilmagie nur so anstrengend?

Ich war vollkommen erschöpft, nachdem ich mit Qualis das Kloster verlassen hatte. Umgeben von zwanzig Soldaten – ja, mein Vater nahm sich meine Ironie zu Herzen – gingen wir zur Kutsche hinüber, die für uns bereitgestellt wurde. Meine Arme zitterten, und ich war heilfroh, dass meine Füße es noch schafften, mich zu tragen.

Dennoch tat mir jeder Muskel weh. Ich wusste gar nicht, wie ich später meinen Tanzunterricht durchhalten sollte. Vermutlich würde ich zusammenbrechen.

Wir stiegen ein, und die Kutsche fuhr die Hauptstraße hinauf, bis sie die Tore unseres Schlosses passierte. Auf dem Vorplatz stiegen wir aus. Ich verabschiedete mich von Qualis, der sein eigenes Gemach aufsuchte, während ich mich, in Begleitung von zwei Soldaten, zu meinem begab.

Die kleine Pause in der Kutsche hatte meinen Gliedern gutgetan. Da ich nun etwas Zeit für mich hatte, öffnete ich die Flügeltüren zu meinem Balkon und atmete tief ein. Frische Luft wehte mir entgegen, und ich setzte mich auf das weiße Geländer. Die Beine ließ ich über dem tiefen Abgrund baumeln und genoss die Aussicht auf die mit Schnee bedeckten Berge in der Ferne. Unsere Stadt lag in einem Tal, das gerade in den Wintermonaten ziemlich zugeschneit war.

Der Anblick erinnerte mich an eine Freiheit, die ich niemals haben würde. Ich stellte mir oft vor, wie ich mich in einen Vogel verwandelte, meine Flügel ausbreitete und dem Horizont entgegenflog. Niemand hielt mich auf. Niemand würde mir folgen können. Nur der Himmel und ich.

Bevor sich die Sonne dem Untergang neigte, genoss ich die restlichen Sonnenstrahlen, die auf mein Gesicht hinabschienen. Der Frühling war meine liebste Jahreszeit, da alles zu blühen anfing. Ob es in Tenebra genauso aussah wie hier? Soviel ich wusste, lag das Land im Norden und war von hohen Bergen umgeben.

Ich schüttelte den Kopf und war über den Gedanken entsetzt. Noch war nichts entschieden, und ich zerbrach mir bereits jetzt schon den Kopf über ein fremdes Land?

Vermutlich war ich zu müde, um überhaupt klar zu denken.

Ehe ich entschied, in mein Zimmer zurückzukehren, ertönte plötzlich neben mir das Krächzen eines Raben. Ich erschrak so sehr, dass ich beinahe nach vorn gefallen wäre. Im letzten Moment konnte ich mich fangen und stieg von der Brüstung herunter.

Der Rabe nahm mich ins Visier.

Verwundert über den Mut des Tieres, legte ich den Kopf schief und betrachtete es ausgiebig. »Du bist mir ja ein aufdringliches Kerlchen«, bemerkte ich, auch wenn es völlig abwegig war, mit einem Raben zu sprechen. Er konnte mir ohnehin nicht antworten.

Ich machte hastige Armbewegungen, um ihn fortzuscheuchen, doch er blieb.

Das war ungewöhnlich und irgendwie … unheimlich.

Beleidigt verschränkte ich die Arme vor der Brust. »Willst du etwas von mir?«

Der Rabe krächzte erneut, als würde er mir tatsächlich antworten. Aber das wäre ja verrückt.

Da erinnerte ich mich daran, dass Ela mir heute Morgen Kekse aus der Küche mitgebracht hatte. Sie standen noch immer auf dem Beistelltisch neben meinem Sofa. Vielleicht hatte er die Kekse gesehen, bemerkt, dass ich mein Zimmer verlassen hatte, und die Gelegenheit ergriffen, einen Annäherungsversuch zu wagen.

Als die Idee Form annahm, hob ich beschwichtigend die Hände. »Warte hier.«

Ich lief in mein Zimmer zurück und schnappte mir den Teller mit den Keksen. Auf dem Balkon bemerkte ich, dass der Rabe tatsächlich auf mich gehört hatte.

Er sah mich aufmerksam an.

Vorsichtig näherte ich mich und stellte den Teller vor ihm ab. Es dauerte keinen Wimpernschlag, bis er sich auf das Gebäck stürzte und es Stück für Stück verschlang.

Eine Weile sah ich ihm dabei zu. Mir kam der Gedanke, den Raben zu berühren, ich befürchtete jedoch, dass er dann die Flucht ergreifen würde. Trotzdem wollte ich mein Glück versuchen.

Ganz langsam hob ich den Arm und näherte mich ihm. Kurz bevor ich seine Federn erreicht hätte, hielt er für den Moment inne. Ich wollte gerade wieder meine Hand zurückziehen, als er sich dazu entschloss, genüsslich weiterzufressen.

Schließlich berührte ich mit den Fingerspitzen seine weichen Flügel. Ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen. Noch nie war ich einem wilden Tier so nah gewesen. Zwar hatte ich mal unsere Hauskatze gestreichelt oder mit einem unserer Wachhunde gespielt, aber einen Raben berührte ich gerade zum ersten Mal.

»Wenn du morgen wiederkommst, gebe ich dir weitere Kekse. Aber nicht zu viele, sonst schaffst du es nach ein paar Tagen nicht mehr zu fliegen«, scherzte ich amüsiert.

Der Rabe verschlang den letzten Keks, und ich zog die Hand zurück. In der Hocke hielt ich die Arme um meine Beine geschlungen und sah den Vogel neugierig an.

Er blickte wieder zu mir auf und legte den Kopf schief. Irgendetwas schien er von mir zu erwarten.

»Was? Willst du etwa noch mehr?«, fragte ich verblüfft.

Er krächzte, was beinahe wie ein Ja klang.

Ich verzog beleidigt den Mund zu einer Schnute. »Ziemlich gefräßig für so ein kleines Wesen.«

Er hüpfte über den Teller und rückte näher zu mir auf.

Diese Reaktion überraschte mich erneut, und ich verlor das Gleichgewicht, wobei ich auf meinen Hintern plumpste. Da meine Beine angewinkelt blieben, machte der Rabe einen Satz und nutzte zusätzlich seine Flügel, um auf meinen Knien zu landen. Ich spürte seine Krallen, die mir zum Glück nicht die Haut aufschürften, da der Stoff sie daran hinderte.

Was war nur los mit diesem Vogel?

»Morgen, in Ordnung?«, fiepte ich – fast sogar eingeschüchtert. Ich war zwischen beeindruckt und unheimlich hin- und hergerissen.

Daraufhin breitete der Rabe seine Flügel aus und flog davon.

Ich brauchte noch einen Moment, bis ich mich gefangen hatte.

Das war die seltsamste Begegnung, die ich je in meinem Leben hatte – und das auch noch mit einem Tier. Ob der Vogel verzaubert war? Ela hatte mir mal erzählt, dass sie von Reisenden ein solches Gerücht aufgeschnappt habe. Primagii schienen also in der Lage zu sein, Tiere zu manipulieren.

Es klopfte an der Tür, und meine Zofe trat ein. »Mylady, seid Ihr bereit für –« Dann entdeckte sie mich auf dem Balkon. »Sera! Alles in Ordnung bei Euch?«

Mir entfuhr ein Seufzer.

Ich konnte ihr ja schlecht erklären, dass mich ein Rabe überwältigt hatte.

5

GEEIGNET

SERA

Mein ganzer Körper bebte. Alles in mir schrie nach Flucht.

Unruhig huschten meine Blicke zu den seitlichen Ausgängen, die mich zu den Korridoren führen würden, über die ich zurück in mein Gemach käme.

Allerdings würde es nichts an meiner Situation ändern. Nichts an der Tatsache, dass vor den schweren Türen des Thronsaales der Prinz aus Tenebra stand. Nichts an der unschönen Wahrheit, dass dieser mich zu seiner Braut machen würde. Nichts an der Zukunft, die früher oder später unweigerlich eintreten würde.

Mein Schicksal war besiegelt. Alles, was ich jetzt noch tun konnte, war, das Beste aus dem zu machen, was mir bevorstand.

Die Türen wurden aufgestoßen, und ich hörte auf zu atmen, als könnte ich dadurch die Zeit anhalten.

Ein groß gewachsener Mann mit breiten Schultern und einer silber-schwarzen Lederrüstung betrat den Raum. Zuallererst fielen mir seine ebenholzfarbenen, stufigen Haare auf, wovon einige Strähnen in seine Stirn fielen. An den Seiten waren sie kürzer und verliehen ihm dadurch etwas Zwangloses. Er besaß markante Wangenknochen und einen schmalen Kiefer. Dennoch wirkten seine Züge männlich und unerschrocken.

Aber was mir wirklich die Sprache verschlug, waren seine Augen. Sie wirkten wie flüssige Bronze.

Ich wollte es nicht zugeben, aber es wäre gelogen, wenn ich etwas anderes behaupten würde: Er war unfassbar gut aussehend. Beinahe wie … eine dunkle Schönheit.

Doch sein Blick dämpfte meine Faszination für den Prinzen, denn dieser hätte selbst den mutigsten Mann eingeschüchtert. Er war von solcher Finsternis erfüllt, dass eine Gänsehaut meine Arme überzog. Das rief mir wieder in Erinnerung, wen ich da eigentlich vor mir stehen hatte.

Mein Herz klopfte wie wild in der Brust. Ich fürchtete diesen Mann. Mit jedem Atemzug ein bisschen mehr. Denn in seiner Nähe kam ich mir unbedeutend und klein vor.

Mein Vater schien ebenfalls im ersten Moment in einer Art Starre gefangen gewesen zu sein, aus der er sich nun löste. Freundlich breitete er die Arme aus. »Prinz Valerian! Welch Freude, dass Ihr es wohlbehalten zu uns geschafft habt.«

Doch bevor der Prinz meinen Vater ansah, blickte er in meine Richtung. Alles in mir gefror zu Eis. Wenn er einen anvisierte, wurde die Angst nur noch größer. Es war ein unbeschreiblich schreckliches Gefühl.

Und diesen Mann sollte ich heiraten? Vater musste verrückt sein! Der Prinz wirkte, als würde er jedem, der ihn auch nur schief ansah, die Kehle aufschlitzen.

Panik erfüllte mich, und ich blickte rasch zu Boden, um den Prinzen nicht länger ansehen zu müssen.

Es war eine Bestrafung. Eine, von der ich nicht wusste, ob ich sie überleben würde.

Vater … Hasst du mich wirklich so sehr? Bedeute ich dir gar nichts?

Unter meinen Lidern bemerkte ich aufs Neue ein Brennen, und der Drang zu fliehen wurde mit jedem Moment enormer. Er ließ mich fast nicht mehr klar denken.

Ich berührte meinen Hals, als könnte ich die unsichtbare Schnur, die mir mit jedem Mal mehr die Luft zum Atmen nahm, von mir reißen. Aber es wurde nur schlimmer.

»Kommt«, forderte mein Vater den Prinzen auf und deutete auf die Tür, die zum Speisesaal führte. Etliche Diener standen daneben, bereit, jeden Wunsch von unseren Lippen abzulesen. »Ihr habt sicher Hunger.«

Beim Gedanken an Essen verdrehte sich mir der Magen.

Als ich es wieder wagte, den Prinzen anzusehen, fiel mir auf, dass er mich immer noch anstarrte. Er würdigte meinen Vater keines Blickes.

Zumindest, bis er einen Entschluss zu fassen schien.

Nun sah er zum König und drückte ihm seinen schwarzen Helm in die Hand. »Seid so gut und haltet das, verehrter König von Lucra.« Seine Stimme klang genau so, wie er aussah. Finster, beherrscht und gefährlich.

Doch was er nun vorhatte, ließ mich nach hinten ausweichen. Er kam direkt auf mich zu und blieb nur einen Schritt von mir entfernt stehen. Selbst seine Nähe raubte mir jeglichen Atem. Ich verwandelte mich regelrecht in eine Salzsäule.

Mit seinen Bronzeaugen musterte er mich von Kopf bis Fuß. »Du fürchtest dich?«, fragte er und klang dabei ein wenig amüsiert. »Eine Primagis?«

Keine Höflichkeiten. Kein Respekt. Keine Angst. Die wenigen Sätze machten mir gleich klar, was er von mir hielt. Nämlich nichts.

Aber weshalb hatte er dann der Einladung zugestimmt? Wenn ich in seinen Augen nichts wert war, hätte er wie seine Brüder jede andere zu seiner Braut nehmen können. Ob es ihm vielleicht nur um den Thron ging?