Forbidden Alchemy 1: Tödlicher Zauber - J. K. Bloom - E-Book

Forbidden Alchemy 1: Tödlicher Zauber E-Book

J. K. Bloom

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Beschreibung

Sinnliche New Adult Fantasy, bei der ein eiskalter Bad Boy auf eine feurige Protagonistin stößt Cara Hartley ist eine talentierte Alchemistin, die nicht nur ihr Handwerk versteht, sondern auch schon seit Jahren mit ihrer Familie vor herrschsüchtigen Magiern verborgen lebt. Doch eines Tages wird sie ausgerechnet vom gefährlichsten aller Magier entführt – Vincent Antilla. Er verlangt von ihr die Anfertigung eines Tranks, dessen Aushändigung beide zur Zielscheibe mehrerer Magier macht. Denn Cara verfügt über geheime Rezepte, die eine ganze Stadt in Schutt und Asche legen könnten. Da ihre alchemistischen Fähigkeiten nicht ausreichen, um gegen ihre Feinde zu bestehen, benötigt sie Vincents Hilfe. Leichter gesagt als getan, wenn man ausgerechnet mit dem Mann an einem Strang ziehen muss, vor dem sich nicht nur alle fürchten, sondern der auch in Cara ein Feuer entzündet, das von keiner Magie gebändigt werden kann ...

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über die Autorin:

J. K. Bloom schreibt schon, seit sie elf Jahre alt ist. Das Erschaffen neuer Welten ist ihre Leidenschaft, seitdem sie das erste Mal ein Gefühl für ihre Geschichten bekam. Sie ist selbst abenteuerlustig und reist sehr gern. Neben ihrer Tätigkeit als Autorin ist sie außerdem auch Grafikdesignerin, Hörbuchsprecherin und Illustratorin. 2014 gewann sie den LYX Storyboard Wettbewerb mit ihrer „Fürsten der Dämonen“-Reihe, die sie gemeinsam mit dem LYX Verlag veröffentlichte. 2020 erhielt sie mit ihrem Buch „Die Drachenhexe 1 – Licht und Schatten“ einen Literaturpreis beim Skoutz Award in der Kategorie Fantasy.

 

Zu diesem Buch:

Cara Hartley ist eine talentierte Alchemistin, die nicht nur ihr Handwerk versteht, sondern auch schon seit Jahren mit ihrer Familie vor herrschsüchtigen Magiern verborgen lebt.

Doch eines Tages wird sie ausgerechnet vom gefährlichsten aller Magier entführt – Vincent Antilla. Er verlangt von ihr die Anfertigung eines Tranks, dessen Aushändigung beide zur Zielscheibe mehrerer Magier macht.

Denn Cara verfügt über geheime Rezepte, die eine ganze Stadt in Schutt und Asche legen könnten. Da ihre alchemistischen Fähigkeiten nicht ausreichen, um gegen ihre Feinde zu bestehen, benötigt sie Vincents Hilfe.

Leichter gesagt als getan, wenn man ausgerechnet mit dem Mann an einem Strang ziehen muss, vor dem sich nicht nur alle fürchten, sondern der auch in Cara ein Feuer entzündet, das von keiner Magie gebändigt werden kann …

 

Forbidden

Alchemy

 

Tödlicher Zauber

 

J. K. Bloom

 

 

 

 

Hinweis zu sensiblen Inhalten: Dieses Buch beinhaltet Szenen mit detaillierten Beschreibungen von Brutalität, Gewalt und Sex.

 

 

 

1. Auflage, Februar 2024

© 2024 J. K. Bloom

Drachenmond Verlag GmbH

J. K. Bloom

Auf der Weide 6

50354 Hürth

www.j-k-bloom.com

Covergestaltung: J. K. Bloom

Lektorat: Regina Meissner

Korrektorat: Federstaub | Julia Weimer

Satz: J. K. Bloom

 

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

Für Julia

weil du wie eine Schwester

für mich bist

 

 

Inhaltsverzeichnis

1

2

3

4

5

6

7

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9

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DanksagunG

1

Ich stand an der Straße und hielt die Augen offen. Autos hupten, Leute redeten und schrien. Aufgemotzte Fahrzeuge erregten mit dem Aufheulen von Motoren die Aufmerksamkeit.

Ich seufzte. Mein Kunde war schon mehr als zehn Minuten zu spät. Lange würde ich nicht mehr warten, denn ich hasste es, wenn man Zeiten nicht einhalten konnte.

Mein Blick glitt gen Himmel, der mit grauen Wolken überzogen war und womöglich der Grund dafür war, dass es sich trotz September beinahe wie Winter anfühlte. Fröstelnd zog ich meine schwarze Lederjacke enger um mich und lehnte mich an die Wand neben dem Obst- und Gemüseladen.

Ich beschloss, eine letzte Zigarette zu rauchen, bevor ich mich wieder auf den Weg nach Hause machen würde. Aus der Innentasche meiner Jacke entnahm ich Schachtel und Feuerzeug, bevor ich mir die Zigarette in den Mund schob und sie anzündete.

Genussvoll atmete ich den Rauch ein und spürte, wie der Qualm sanft meinen Hals hinabglitt.

»Estella?«

Ich drehte meinen Kopf nach links und schaute in die Augen eines schüchtern wirkenden Mannes, der seine Hände nervös in die Hosentasche gestopft hatte. Er presste die Lippen aufeinander und wippte auf seinen Fußballen auf und ab.

Ich lächelte. »Das ist korrekt«, sagte ich freundlich. »Ich gehe davon aus, dass du Liam bist?«

Er nickte und hob beschwichtigend seine Arme. »Es tut mir sehr leid, dass ich mich verspätet habe, aber in der Innenstadt bekommt man so gut wie keine Parkplätze.«

Das Liverpooler Zentrum war vielleicht nicht gerade der beste Ort, um Geschäfte zu machen. Zumal meine Kunden zu neunzig Prozent über das Internet auf mich stießen. Aber ich traf mich absichtlich mit ihnen in der Öffentlichkeit, da man nie wissen konnte, mit wem man es zu tun hatte. Es gab immer wieder Kunden, die glaubten, mich in eine dunkle Gasse locken und ausrauben zu können. Daher ging ich nie unbewaffnet aus dem Haus.

Ich machte eine wegwerfende Handbewegung und hob die Geschenkverpackung vom Boden auf, die ich neben den Füßen abgestellt hatte. Da ich von außen nicht wie eine Dealerin wirken wollte, hatte ich mich dazu entschieden, die Ware zu verschleiern. »Das macht dann hundertfünfzig Pfund.«

»Darf ich vorher reinschauen?«, fragte er vorsichtig.

Ich zuckte mit den Achseln und zog die Öffnung der Tragetasche mit der Aufschrift ›Happy Birthday‹ auseinander. »Klar.«

Er spähte kurz in die Tüte, in der drei kleine Verpackungen mit hellgrünem Pulver lagen.

»Dreimal zehn Gramm.«

Ein Lächeln zeigte sich auf seinen Lippen und er griff nach meiner Hand. Geschickt schob er mir die Scheine zwischen die Finger und nahm anschließend die Tüte an sich. »Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken kann.«

Ich schaute rasch auf die Scheine und zählte sie durch. Er hatte passend bezahlt. Perfekt. »Es freut mich, mit dir Geschäfte zu machen. Solltest du noch etwas brauchen, melde dich gerne bei mir. Du weißt ja, wie du mich erreichst.«

»Hast du die Anwendung dazugelegt?«, wollte er zum Abschluss wissen.

»Sicher. Mach es bitte genau wie beschrieben, ansonsten könnte es fatale Folgen für den Betroffenen haben. Wiege es vorher ab, bevor du es untermischst«, erklärte ich verantwortungsbewusst.

Liam drückte die Tüte glücklich an seine Brust. »Das werde ich! Danke nochmals. Bis dann.«

Wir verabschiedeten uns voneinander und Liam machte auf dem Absatz kehrt. Hinter der nächsten Ecke verschwand er und ich lief ebenfalls zurück zu meinem Auto, das in einer Nebenstraße stand.

Mein Handy klingelte. Ich zog es aus meiner Gesäßtasche. Als ich den Namen ›Aidan Hartley‹ auf dem Display sah, wäre ich am liebsten nicht drangegangen. Ich wusste, dass das Ärger bedeutete. »Hartley«, meldete ich mich mit strenger Stimme.

»Ähm«, ertönte es von der anderen Seite, während ein Kreischen im Hintergrund schrill in mein Ohr drang. Jemand schrie: »Frag sie, wo das Gegenmittel ist! Nana ist noch nicht da.«

»Sei doch mal still! Cara versteht kein Wort«, nörgelte Aidan.

»Was ist los? Könnt ihr zwei auch nur eine Stunde allein sein, ohne gleich die Bude abzufackeln? Was stimmt nicht mit euch? Und wo ist Nana?«, gab ich fauchend von mir.

Gott, meine Geschwister waren manchmal ein einziges Chaos. Kaum ließ man die beiden aus den Augen, stellten sie irgendetwas an. Meistens musste unser Haus darunter leiden. Aber an ganz üblen Tagen traf es auch einen von uns.

Ich hätte meinen Blumenladen, in dem mein Alchemie-Labor untergebracht war, niemals im eigenen Haus eröffnen dürfen. Egal wie gut ich es absperrte, die Zwillinge schmuggelten sich hinein.

»Also, es war so«, erklärte Aidan mit ruhiger Stimme. »Emilia wollte sich unbedingt die Haare von blond zu pink färben und du hast doch mit Nana mal so eine Farbmixtur kreiert, bei der man seine Farbe nach Belieben wechseln kann.«

»AIDAN!«, brüllte Emilia und ich hörte, wie sie aus lauter Verzweiflung zu weinen anfing. »Hilf mir!«

»Komm auf den Punkt!«, sagte ich zischend.

»Emilias Haare wechseln jetzt alle fünf Sekunden die Farbe und sie muss ja gleich zum Klavierunterricht. Wie soll sie das Miss Perry erklären?«

Gar nicht. Wenn Menschen von unserer Magie erführen und das der oberste Zirkel herausbekäme, müssten wir uns vor Gericht verantworten. Denn in Wahrheit wussten die Magier nicht einmal etwas von unserer Familie. Wir würden schneller entdeckt werden, als uns lieb war.

Ich stieg in meinen schwarzen SUV. Dadurch verband sich mein Handy mit der Freisprechanlage und ich fuhr los. »Sie hat nicht das falsche Pulver genommen, sondern viel zu viel. Die Magie dreht gerade in ihr durch.«

»Hast du gehört, du Dummkopf?«, rief Aidan seiner Zwillingsschwester zu. »Du hättest besser auf Nana oder Cara warten sollen.«

Sie weinte so laut, dass sogar das Armaturenbrett meines Fahrzeuges vibrierte. »Ich will aber in meinen Klavierunterricht! Das ist alles deine Schuld! Du hast gesagt, ich soll lieber mehr nehmen.«

Aidan schrie und das Telefon krachte mit einem Scheppern laut zu Boden. Ich hörte, wie die beiden miteinander zankten. Meine Hoffnung, dass sich ihr Verhalten mit zunehmendem Alter besserte, war vergeblich gewesen. Selbst mit elf Jahren benahmen sie sich noch wie Kindergartenkinder.

»Hört auf!«, brüllte ich wütend durchs Telefon. »Ich bin in fünfzehn Minuten da, okay? Emilia, ruf Nana an und frag sie, wo das Gegenmittel liegt. Sie hat es zubereitet und irgendwo unten im Gewächshaus abgestellt.«

Keiner der beiden schien mich zu verstehen.

Klasse.

Ich legte auf, da ich ohnehin nichts tun konnte. Dad war noch bei der Arbeit und würde erst gegen sieben Uhr abends heimkommen. Normalerweise kümmerte sich Nana um die zwei Chaoten, aber sie schien etwas Wichtiges zu erledigen, sonst hätte sie die beiden nicht allein gelassen.

Ich wüsste nicht, was wir ohne meine Großmutter täten. Seit Mum nicht mehr da war, hatte sich unser Leben ziemlich gedreht. Dad musste mehr schuften, Nana war ins illegale Zaubergeschäft eingestiegen und ich hatte einen Blumenladen eröffnet, um zu verschleiern, was ich wirklich mit den Pflanzen vorhatte, die in unserem riesigen Gewächshaus gezüchtet wurden.

Bislang hatten wir Glück und niemand bekam etwas heraus.

Ich raste durch die Straßen und nahm jede gelbe Ampel mit, die sich mir bot. Selbst wenn sie in dem Moment auf Rot umschlug, dachte ich nicht einmal daran, auf die Bremse zu drücken.

Nach fünfzehn Minuten kam ich in unserer ruhigen Wohngegend im Norden Liverpools an. Das ältere Backsteinhaus hatten wir erst vor ein paar Jahren renovieren lassen, da es vom Vorbesitzer vernachlässigt worden war. Vor dem Eingang meines kleinen Blumenladens parkte ich das Fahrzeug und lief zur Haustür.

Schreie drangen aus der oberen Etage zu mir. »Aidan! Emilia! Zankt ihr noch immer?«, rief ich ihnen zu.

»Cara!«, hörte ich meinen Bruder kreischen. »Sie hat mir das Pulver in den Mund gestopft!«

Also zwei Warnblinkleuchten. Großartig.

Ich stieg die Holztreppen hinauf und schaute den Flur hinunter. Emilia und Aidan lagen auf dem Boden und ihre Haare wechselten nun beide die Farben. Es waren alle Spektralnuancen vertreten. Von Pink zu Blau oder Grün zu Neongelb. Zudem schien es sie nicht zu kümmern, dass ich wieder da war, denn sie rauften weiter miteinander und gaben sich gegenseitig die Schuld für ihr Missgeschick.

Wütend lief ich zu ihnen und trennte sie voneinander. Emilia schien besonders erpicht darauf zu sein, weiter an Aidans T-Shirt zu reißen. »Du bist ein Vollidiot!«

»Hey!«, ermahnte ich sie. »Das sagt man nicht.«

Sie funkelte mich bedrohlich an. »Ach, und du darfst das den Leuten am Handy einfach gegen den Kopf werfen, ja?«

Diese kleine ... Unfassbar.

»Emilia«, knurrte ich. »Hör auf, an meiner Tür zu lauschen. Ich hasse das.«

Sie streckte mir die Zunge heraus.

Also gut. Die harte Tour. Wie sie will.

Obwohl sie schon recht groß war, besaß sie ein Fliegengewicht. Ich warf sie über meine Schulter und ging wieder die Treppe hinunter. »Was hast du vor?«

»Ich werde dir ein wirklich schlimmes Mittel verabreichen. Das wird dir Warzen und eitrige Pickel ins Gesicht zaubern.«

Sie atmete auf. »Nein! Lass mich los!« Mit ihren Fäusten trommelte sie auf meinen Rücken, was zwar wehtat, aber für den Moment auszuhalten war. Diese kleine Göre musste endlich lernen, ein bisschen Respekt vor ihrer großen Schwester zu haben.

Emilia begann wieder zu weinen, als ich das Gewächshaus im Erdgeschoss erreichte. »Cara, nicht! Ich will keine Warzen und Pickel! Bitte!«

»Entschuldigst du dich?«, fragte ich.

»Nein!«

»Dann Warzen und Pickel.«

Sie kreischte und wehrte sich erneut. »Lass mich runter!«

Mein Blumenladen, in dem Sträuße und Pflanzen standen, war von einem weiteren Raum getrennt, der hinter einem Plastikfolien-Vorhang verborgen lag. Um die Ecke gab es ein Labor, in dem ich allerlei alchemistische Substanzen herstellte.

Ich lief an einem Holztisch vorbei, auf dem etliche Töpfe mit unterschiedlichen Kräutern standen. Als ich an unserer Werkbank ankam, riss ich die Schublade auf und fand zahlreiche Reagenzgläser, in denen Flüssigkeiten oder Pulver abgefüllt waren. Ich nahm eins heraus und schaute auf das Etikett, um mir sicher zu sein, dass ich das richtige gegriffen hatte.

›Unreine Haut‹ stand darauf.

Ich warf Emilia von meiner Schulter, hielt aber ihren Arm fest, damit sie nicht davonlaufen konnte. Sie wehrte sich und schrie, als sie das Reagenzglas in meiner Hand sah. Mit meinen Zähnen löste ich den Korken und spuckte ihn auf den Boden. »Letzte Chance, Emilia.«

»Lass mich los!«, rief sie unter Tränen.

Langsam zog ich sie wieder näher an mich, um ein Träufeln auf ihren Kopf anzudeuten. Emilias Schreie wurden so laut, dass ihre schrille Stimme in meinen Ohren klingelte.

Gerade als das Puder auf ihr Haar zu fallen drohte, schob jemand den Vorhang beiseite.

Nana kam herein und sah uns erschrocken an. »Was ist denn hier los?«

»Nana! Sie will mir Warzen und Pickel ins Gesicht zaubern«, kreischte Emilia verzweifelt.

Aidan stand neben uns und sah seine Schwester schadenfroh an. »Tu’s, Cara! Bevor Nana dazwischen geht!«

Ich hob warnend meinen Zeigefinger und funkelte ihn wütend an. »Du bist gleich danach dran, wenn du so weiter machst.«

Sein Lächeln erstarb und er senkte den Blick.

»Cara! Was machst du da?«, wollte Nana mit mehr Nachdruck wissen. Auf ihren Absatzschuhen trat sie zu uns heran und stemmte die Arme in die Hüfte. Obwohl diese Frau über siebzig Jahre alt war, faszinierte es mich immer wieder, wie sie aufgrund von Tränken und vornehmer Kleidung zwanzig Jahre jünger wirkte.

»Die Zwillinge haben wieder verbotenerweise in unseren Zaubersachen herumgeschnüffelt und sie benutzt. Sieh nur, wie ihre Haare aussehen«, sagte ich tadelnd.

Nana seufzte und massierte sich die Stirn. Dabei fiel ihr eine weiß-graue Strähne aus der Hochsteckfrisur. »Kinder, ihr sollt die Sachen nicht anrühren. Wie oft muss ich das noch betonen?«

»Emilia war schuld! Sie wollte eine andere Haarfarbe!«, verpetzte mein Bruder sie gleich. »Danach hat sie mir die Schuld gegeben und das Pulver in meinen Mund gestopft.«

»Schluss!«, herrschte Nana uns an. »Cara, lass Emilia los.«

Ich tat, was sie mir auftrug, denn mit Nana war nicht zu spaßen. Wenn sie ihre Stimme hob und diesen wütenden Blick aufsetzte, wussten wir alle, dass wir besser kuschten, sonst würde sie sich in einen Tornado verwandeln.

Emilia ballte die Hände zu Fäusten und blieb mit zornigem Ausdruck kerzengerade stehen. Sie hatte schon einmal am eigenen Leib erfahren, was geschehen würde, wenn man auf Nana nicht hörte. Seitdem gehorchte sie. Allerdings nur bei Großmutter.

Ich hob den Korken vom Boden auf und verschloss das Reagenzglas, um es zurück in die Schublade zu stellen.

»Das bleibt nicht ungestraft, ihr zwei.« Zwischen Nanas Brauen bemerkte ich eine tiefe Falte. Oh, sie war wirklich wütend. »Ich löse den Zauber nun auf und dann wirst du in deinen Klavierunterricht gehen. Aidan begleitet dich und holt dich auch wieder ab.«

Mein Bruder nahm tief Luft und sah Nana entsetzt an. »Was? Wieso ich?«

»Weil du deine Schwester hättest aufhalten können. Stattdessen hast du es zugelassen. Wenn ihr zurück seid, überlege ich mir, welche Strafe für euch zwei angemessen ist.« Ihre Stimme erinnerte mich an ein Grollen aus der Ferne.

Aus einem Schrank entnahm Nana einen verschließbaren Aufbewahrungsbecher, stellte ihn auf der Werkbank ab und griff nach einem Löffel aus einem Körbchen. Anschließend öffnete sie den Behälter und tat etwas Pulver auf das Besteck.

Sie stellte sich vor die Kinder und pustete es in deren Gesichter. Sie kniffen die Augen zusammen und ließen den Zauber über sich ergehen. Tatsächlich verblassten die bunten Farben abrupt und sie erhielten ihre natürlichen Haarfarben zurück. Emilias Strähnen wurden wieder blond und Aidans dunkelbraun.

»So und nun ab nach oben!«, befahl sie.

Ohne ein Wort gingen sie zurück in den Flur und liefen die Stufen hinauf.

Nana wandte sich mir zu. Ihr Blick hatte noch immer diese Härte. »Was?«, fragte ich.

»Sei nicht immer so gemein zu den beiden«, rügte sie mich. »Sie sind noch Kinder.«

Ich breitete die Arme aus. »Wie bitte? Nana, wie oft haben wir den zwei schon gesagt, dass sie hier nicht reindürfen? Die sind schlimmer als Fred und George Weasley.«

Nana zog ihre Brauen zusammen. »Wer?«

Ich machte eine wegwerfende Handbewegung. Auch wenn ich ihre Antwort erschreckend fand, konnte ich es ihr nicht verübeln. Harry Potter war nicht ihre Generation. »Vergiss es.«

Nana zog eine Zeitung aus ihrer Gucci-Tasche und reichte sie mir. Ich blinzelte kurz bei dem teuren Accessoire, obwohl es mich nicht wunderte. Wenn Nana auf etwas viel Wert lag, dann war es ihr äußerliches Erscheinungsbild.

Meine Großmutter seufzte. »Lies.«

Es war besonderes Papier. Man konnte die Zeilen und Bilder darauf nur entschlüsseln, wenn man über ein gewisses Pulver verfügte, das sie sichtbar machte. Da Nana dies bereits getan hatte, überflog ich rasch die Artikel.

Allerdings wusste ich schon, worauf sie deutete, denn es stand in großen Druckbuchstaben auf der ersten Seite: ›HÄRTERE BESTRAFUNG FÜR ALCHEMISTEN – SCHWARZE ZAHLEN SIND HÖHER ALS ERWARTET‹.

Ich presste die Lippen aufeinander und sah Nana über den Rand der Zeitung an. »Sie wollen uns nur Angst einjagen, das ist alles.«

Sie seufzte und setzte sich auf den Hocker neben der Werkbank. »Wenn diese verdammten Magier nur nicht so unfassbar eitel und stolz wären, gäbe es dieses Problem erst gar nicht.«

Magier und Alchemisten hatten vor sehr vielen Jahrhunderten Hand in Hand gelebt. Denn wir entwarfen für sie magische Zaubermittel, mit denen die Magier ihre Fähigkeiten erlangten. Umgekehrt brauchten wir Alchemisten aber auch sie, da sie mit ihrer Magie die Pflanzen veränderten, um Zaubermittel überhaupt herstellen zu können. Es war also ein Geben und Nehmen, ohne die wir unser Dasein nicht ausleben konnten.

Der Ursprung unserer Geschichte lag tief in der Vergangenheit, die von Ritualen, göttlichen Gaben und Wundern erzählte. Was davon allerdings nur Fiktion war und wie es letztendlich wirklich zur Entstehung unserer Gattungen kam, konnte niemand sagen.

Nach einem langen Krieg hatte sich unser Zusammenhalt geändert. Wir Alchemisten wurden unterdrückt und mussten unter der Herrschaft der Magier leben.

Sie waren nicht fähig, sich selbst Zaubermittel herzustellen. Neunzig Prozent unserer Erzeugnisse funktionierten nur, wenn wir einen Tropfen alchemistischen Blutes hinzufügten.

»Aber so sind sie, Nana. Genau aus dem Grund verstecken wir uns doch. Auch wenn sie von uns abhängig sind, haben wir keinerlei Chance gegen sie. Durch ihre Magie sind sie uns haushoch überlegen, weswegen ja auch ein Magier-Zirkel an der Spitze ist«, erklärte ich bedauernd.

»Es ist gut so, wie es ist«, sagte sie und verschränkte die Arme vor der Brust. »Die Magier müssen sich nicht wundern, dass sich die Alchemisten vor ihnen verstecken. Trotz des Friedens leben sie immer noch in Unterdrückung.«

Da gab ich ihr recht. Jeder registrierte Alchemist war an Pflichten und strenge Gesetze gebunden – ganz anders als diese hochnäsigen Magier. Ich hasste sie – nicht alle, aber die meisten. Zudem hatte eine begangene Straftat härtere Konsequenzen für uns – ganz im Gegensatz zu den Magiern. Meistens endete es für uns mit dem Tod oder in ewiger Gefangenschaft.

Sollte jemals herauskommen, dass wir keine registrierten Alchemisten waren, würden wir uns vor dem Gericht verantworten müssen. Zwar blühte uns nicht direkt der Tod, aber vermutlich würden wir irgendeinem der hohen Herrschaften dienen. Denn die Magier benutzten uns wie Werkzeuge und gingen mit den meisten Alchemisten auch genauso um. Sie würden mich von meiner Familie trennen, da ein fähiger Alchemist für einen Magier-Haushalt ausreichte. Dabei wollte ich frei sein und mein Leben so gestalten können, wie ich es für richtig hielt.

Jeder sollte das. Aber die Magier bestanden auf ein anderes Rechtssystem.

Aus dem Flur hörten wir, wie Emilia und Aidan mit einem »Bis später« aus dem Haus verschwanden.

Da wir nun allein waren, sah Nana mich ernst an. »Ich möchte, dass du aufhörst, mit Zaubermitteln zu dealen, Cara.«

Mein Mund wurde ganz trocken. Was sagte sie da?

 

2

Bist du verrückt? Damit verdiene ich das meiste Geld!«, rebellierte ich.

Nanas Miene veränderte sich nicht. »Dein Vater wird dir dazu heute Abend ebenfalls etwas sagen. Wenn irgendwann ein Magier herausfindet, dass du eine unregistrierte Alchemistin bist, lieferst du damit unsere gesamte Familie aus. Willst du das?«

»Natürlich nicht!«

»Dann hör auf damit. Es reicht schon, dass wir die Mittel für unseren eigenen Bedarf anfertigen.«

»Und was ist mit den Schulden, die wir wegen dem Haus noch abbezahlen müssen? Das finanziert sich nicht von Liebe und Luft!«

Nana seufzte. »Das weiß ich doch. Du findest schon eine neue Einnahmequelle.«

Mir blieb der Mund offen stehen. »Und was ist mit deinen Deals?«

Die Falte erschien wieder zwischen ihren Brauen. O je. »Ja, aber diesen Menschen vertraue ich! Du verkaufst das Zeug an Fremde!«

Mit Nana zu diskutieren, brachte nichts, weswegen ich ihr den Rücken zukehrte und zurück ins Haus verschwand.

»Wo willst du hin?«

»Dieser Diskussion entgehen«, antwortete ich genervt.

Sie folgte mir ins Wohnzimmer. »Du bringst unsere ganze Familie in Gefahr, Cara! Verstehst du das?«

Ich weiß das, hätte ich am liebsten gesagt, aber die Wahrheit war, dass ich von dem Geld lebte. Mit dem Blumenladen konnte ich mich kaum über Wasser halten und auch wenn ich noch bei meiner Familie wohnte, wollte ich irgendwann einmal ein eigenes Leben führen.

Vielleicht hätte ich doch studieren sollen.

Nana war die beste Alchemistin in ganz Liverpool. Es hatten sich sogar schon hohe Magier aus den oberen Kreisen an sie gewandt, weil andere keine geeigneten Rezepte besaßen oder unfähig waren, bestimmte Mittel herzustellen. Natürlich wickelte Nana den Handel immer anonym ab, um unseren Namen nicht zu verraten. Wir benutzten beide das Pseudonym Estella, auch wenn es ursprünglich Nanas Idee gewesen war.

Sie misstraute jedem Fremden, was ich nicht so sah. Natürlich hatte ich bei jedem neuen Deal ein mulmiges Gefühl, doch ich war vorsichtig und recherchierte ein wenig über meine Kunden, bevor ich ihren Auftrag annahm.

»Die Magier verstehen keinen Spaß. Wenn sie uns erwischen, gefährdest du auch Aidan und Emilia. Willst du, dass sie von ihrer Familie getrennt werden? Sie sind erst elf Jahre alt. Wir müssten das Haus und das Leben aufgeben, das wir hier führen und vielleicht sogar England verlassen!«

»Ich bin super vorsichtig, Nana«, beteuerte ich und hob abwehrend meine Arme. »Ich nenne nur unseren Decknamen – sonst nichts. Ehrlich!«

»Cara«, sprach sie mich in einem Ton an, der mir Gänsehaut bereitete. »Du hast eine Website erstellt. Die kann man zurückverfolgen.«

Immer musste sie mir ein schlechtes Gewissen machen. »Gut, dann lösche ich die Seite und suche meine Kunden auf der Straße.«

»Zudem ist der Verkauf von Zaubermitteln genauso illegal wie Drogen zu verticken.«

Ich stöhnte gefrustet. »Und was soll ich an deiner Stelle tun? Mit dem Blumenladen kann ich mir kein Leben aufbauen und auch sonst habe ich keinen nützlichen Beruf gelernt.«

Nanas hellblaue Augen musterten mich. »Das stimmt doch gar nicht. Warum versuchst du es nicht wieder als Biologielaborantin?«

Ich zischte herablassend. »Ich habe nicht drei Jahre gelernt, um den ganzen Tag mit Stäbchen in Scheiße herumzuwühlen.«

Nana zuckte zusammen. »Cara, achte auf deine Wortwahl«, schalt sie mich. »Es gibt sicher Labore, in denen du dich nicht um so etwas kümmern musst.«

»Ja, ich würde gern in die Forschung gehen, aber dafür müsste ich Naturwissenschaften studieren und eventuell einen Doktor haben.«

»Und wenn du Assistentin wirst?«

Ich rümpfte die Nase und merkte, dass wir uns im Kreis drehten. »Lass gut sein, Nana.«

»Nein«, blieb sie hartnäckig, während ich mich auf das dunkle Ledersofa fallen ließ. »Ich mache mir Sorgen um unsere Familie.«

Vom Wohnzimmertisch nahm ich mein Notizbuch, in dem ich all meine Zauber-Kreationen aufschrieb, die ich im Laufe der Jahre entwickelt hatte. Ich hatte bereits fünf eigene Mittel erstellt, wovon allerdings nur eins mein ganzer Stolz war: der Empathie-Trank. Er erlaubte nicht nur die Gefühle anderer zu lesen, sondern sie auch zu beeinflussen.

Nana war beeindruckt gewesen und hatte gemeint, dass die Regierung viel Geld für das Mittel zahlen würde. Aber wir durften uns ja nicht als Alchemisten ausgeben, sonst würden die Magier von uns Kenntnis erlangen.

»Also gut«, meinte sie schließlich, lief zu mir herüber und nahm mir das Buch aus der Hand.

»Hey!«

Nana setzte sich auf den Wohnzimmertisch und legte mein Notizbuch beiseite. »Eigentlich habe ich deinem Vater versprochen, es nicht zu erwähnen, aber du lässt mir gerade keine andere Wahl.«

Ich richtete mich auf. »Was?«

»Wir werden beschattet, Cara«, sagte sie mit leisem Tonfall.

Mein gesamter Körper spannte sich an. Das änderte die Situation drastisch. »Von wem?«

»Von wem wohl!«, entgegnete Nana aufgebracht. Sie senkte wieder ihre Stimme, als befürchtete sie, jemand könnte uns belauschen. »Vom obersten Zirkel!«

Dem Zirkel der Schwarzmagie. Meine Kehle wurde ganz trocken.

Ich schluckte und krallte meine Hand ins Kissen, das ich auf meinen Schoß gezogen hatte. »Bist du dir sicher?«

Sie nickte. »Deinem Vater ist es zuerst aufgefallen. Als er die Arbeit verlassen hat, sind ihm zwei Gestalten gefolgt. Er konnte sie zwar abhängen, doch gleich am nächsten Tag sah er sie von seinem Büro aus in den Schatten lauern. Daraufhin habe ich mich aufgemacht, um den beiden nachzugehen, da ich wissen wollte, mit wem wir es zu tun haben.«

Meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. »Ja, und dann?«

»Ich habe sie bis zu einem Wagen verfolgt, auf dessen Rückseite ich das Zeichen des Zirkels der Schwarzmagie gesehen habe.«

Mir klappte die Kinnlade hinunter. »Aber wieso ausgerechnet die Schwarzmagier?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Die meisten von ihnen verfolgen unregistrierte Alchemisten, weil sie gemerkt haben, dass wir immer weniger werden, da sich viele, wie wir, vor der Regierung verstecken.«

»Scheiße«, entfuhr es mir. »Warum hast du mir das nicht schon eher erzählt? Ich habe mich heute in Liverpool mit jemandem getroffen und etwas verkauft. Was ist, wenn sie mich beobachtet haben?«

Nana runzelte die Stirn. »Dann verstehst du nun endlich unsere Situation?«

Mir entfuhr ein Seufzer. »Ja.«

»Bislang scheinen sie nur deinen Vater zu beschatten, aber er wird ihnen nicht immer entkommen können. Sobald sie wissen, wo wir wohnen, kann ich mir gut vorstellen, dass sie das Haus nicht mehr aus den Augen lassen werden«, erklärte Nana bedauernd.

»O Gott«, entfuhr es mir frustriert, während in mir allmählich die Angst hochkroch. Liverpool war mein Zuhause. Ich würde niemals zulassen, dass sie mich meiner Heimat entreißen – ganz zu schweigen meiner Familie.

»Wenn sie wirklich hinter ihm her sind, brauchen sie nur zur Bank zu gehen, in der dein Vater arbeitet. Sie werden einen Wahrheits-Zauber auf einen Angestellten anwenden und so seine Adresse herausfinden.«

Ich hielt die Hände an meinen Kopf. »Das ist furchtbar, Nana. Wir sind in Gefahr.«

»Das versuche ich dir die ganze Zeit schon zu sagen.«

Ich begann zu begreifen, wie gefährlich meine Arbeit nun sein könnte. Daher hatte ich keine andere Wahl, als Nanas Bitte nachzukommen. »Das mit Dad hättest du auch gleich verraten können!« Verärgert stand ich auf und lief zur Treppe. »Ich lösche die Website.«

Unruhig eilte ich in mein unaufgeräumtes Zimmer, das im ersten Stock lag. Da ich die meiste Zeit unten im Blumenladen war, kam ich kaum dazu, hier Ordnung zu machen. Freizeit erhielt ich eher selten. Dafür arbeitete ich zu hart.

An meinem Schreibtisch klappte ich den Laptop auf. Auch wenn es wehtat, meine Arbeit mit einem Klick aufzulösen, war die Angst, von den Magiern entdeckt zu werden, größer.

Mein Finger zitterte, als ich den Mauszeiger über den alles entscheidenden Button schweben ließ. Doch meine Familie war mir wichtiger. Ein Leben ohne sie konnte ich mir nicht vorstellen, weswegen ich bereit war, alles in Kauf zu nehmen, um sie zu beschützen. Das Dealen war zwar meine beste Einnahmequelle, allerdings würde mir Geld nichts mehr bringen, wenn die Magier mich als Alchemistin entlarvten.

Ich drückte auf den Button und bestätigte meine Entscheidung nochmals in einem weiteren Fenster. Danach war meine Website fort.

In meiner Brust spürte ich einen Stich, allerdings fühlte ich mich auch erleichtert. Ein weiteres Risiko war aus dem Weg geräumt.

Nana erschien im Türrahmen. »Wenn sich die Lage wieder beruhigt hat, kannst du deine Arbeit vielleicht wieder aufnehmen.«

Ich klappte den Laptop zu. »Wie denkst du, könnten sie uns gefunden haben? Wie sind wir in ihren Verdacht geraten? Vor allen Dingen Dad. Er hat schon seit Jahren keine Zaubermittel mehr gebraut.«

»Das ist eine gute Frage. Ich weiß es nicht.«

Ich wandte mich ihr zu, als mir ein erschütternder Verdacht einfiel. »Denkst du, jemand hat uns verraten?«

Nana riss die Augen auf, da sie zu verstehen schien, auf wen ich anspielte. »Auf keinen Fall! Will würde uns niemals in den Rücken fallen. Er versteckt sich doch selbst.«

»Ich meine nicht Will, sondern vielleicht jemand aus seiner Familie, dem wir weniger nah stehen.«

»Unsinn! Seine Familie ist treu, das weißt du.«

William Edward Shirley war vier Jahre älter als ich und mein einziger Kindheitsfreund, mit dem ich noch immer in Kontakt stand. Er und seine Familie hatten sich damals ebenfalls aus dem Zirkel zurückgezogen und einen Unfall vorgetäuscht, um frei sein zu können. Sie erhielten einen neuen Nachnamen, zogen nach Liverpool und gaben sich als Menschen, statt Magier aus. Durch diese Täuschung konnten sie zumindest ohne die Gesetze ihrer Gattung leben.

Denn auch für Magier konnte das Leben in dieser strengen Gemeinschaft unerträglich werden.

Will war der beste Beweis, dass nicht alle von ihnen Tyrannen waren, die uns Alchemisten wie Werkzeuge behandelten.

Zudem hatte Will einmal erwähnt, dass der Auslöser, den Zirkel zu verlassen, der Tod seines Großvaters gewesen sein musste. Er war zu sehr in die Machenschaften des Zirkels der Schwarzmagie verwickelt, was nicht nur ihn selbst, sondern auch seine Familie gefährdete. Schließlich brachten die Schwarzmagier den Großvater zum Schweigen und Wills Familie beschloss, ihnen den Rücken zuzukehren.

Nachdem mir das nochmals bewusst geworden war, kam mir meine Frage albern vor. Nein, seine Familie würde das niemals tun. »Du hast recht. Tut mir leid.«

Nana seufzte schwer. »Er sollte unbedingt mal wieder vorbeikommen. Es gibt ein paar neue Kräuter, die er segnen muss.« Sie beugte sich zu mir und griff sanft nach meiner Hand. »Du weißt, Cara, ich würde dir nie eine Schuld zuweisen, aber bist du dir absolut sicher, dass du bei all deinen Deals vorsichtig gewesen bist?«

Ich wusste, dass sie das fragen würde. Zurecht, wie ich nun erkannte. Meine Geschäfte stellten das größte Risiko dar. Dadurch fühlte ich mich mieser denn je. »Ja, auf jeden Fall.«

Doch im selben Moment fiel mir mein Spezialauftrag ein, den ich vor zwei Monaten für eine hohe Person angefertigt hatte. Er hatte mir seinen Namen nicht verraten, allerdings war ich mir sicher, dass er zu den hohen Kreisen zählte, denn er investierte verdammt viel Geld für das Zaubermittel.

Es hatte sich dabei um eine Spezialanfertigung eines Tranks gehandelt, mit dem man die Wahrheit aus jemandem herausbekommen konnte, ohne dass der Betroffene es bemerkte. Das Mittel konnte nur von Alchemisten mit besonderen Rezepturen angefertigt werden und da ich eine aufmerksame Schülerin meiner Großmutter gewesen war, reicherte ich es an. Es hatte mich beinahe eine Woche gekostet.

O Mann. Jetzt kam ich mir noch beschissener vor – auch wenn ich nur wenige Male ein Zaubermittel mit diesen Rezepten hergestellt hatte. Allein das Wissen, über das ich verfügte, war schon gefährlich genug.

»Ich bereite schon mal das Abendessen vor«, meinte Nana. »Hilfst du mir?«

Ich nickte und folgte ihr hinunter in die Küche.

 

 

3

Bevor Emilia und Aidan vom Klavierunterricht zurückkehrten, tauchte mein Vater auf. Er stieß mit einem Seufzer die Tür auf und ließ erschöpft den Kopf sinken. »Hallo«, rief Dad kraftlos durch den Flur. Da sich die Küche gleich links befand und wir die Tür nicht geschlossen hatten, konnten wir ihn bestens verstehen.

»Wurdest du verfolgt?«, rief Nana zurück.

»Nein«, murrte er. »Habe sie abgehängt.«

Als Dad im Türrahmen auftauchte, schaute er vorwurfsvoll zu mir. Sein dunkelbraunes, mit grauen Strähnen durchzogenes Haar stand in einige Richtungen ab, so als wäre er gerannt.

»Nana hat mir alles erzählt«, sagte ich rasch, ehe Dad zum Zug kam.

Nana und ich kümmerten uns gerade ums Abendessen, wobei ich den Knoblauch in einer Pfanne anbriet.

Die dunkelbraunen Augen, die ich von ihm geerbt hatte, sahen mich aufmerksam an. »Was hast du ihr alles erzählt, Ma?«

Nana zuckte mit den Schultern. »Ich finde, wir sollten nichts vor ihr verheimlichen. Sie ist erwachsen.«

»Ja, schon, aber ...« Dad musterte mich zuerst streng, bevor er lange ausatmete und mich fragte: »Hast du wenigstens deine Webseite gelöscht und das Dealen eingestellt?«

»Selbstverständlich«, entgegnete ich mit einem gehobenen Mundwinkel. »Ich bin nicht dumm, Dad. Mir ist die Gefahr sehr wohl bewusst.«

Er lächelte matt. »Das wollte ich damit nicht sagen, nur ...«

Aufmunternd klopfte ich ihm auf die Schulter. »Schon gut. Wir stehen das gemeinsam durch.«

Im Flur hörte ich, wie die Tür aufgesperrt wurde und Emilia und Aidan heftig diskutierten.

Dad seufzte. »Die beiden haben mir noch gefehlt.« Er lief in den Korridor hinein. »Was ist denn nun schon wieder los?«

Ich hörte meinen Geschwistern gar nicht richtig zu, denn sie sprachen gleichzeitig und man konnte kaum etwas verstehen. Anscheinend hatte mein Bruder Emilias Klavierkünste kritisiert, worüber sie sich nun stritten.

Ich gab das Hühnchen in die Pfanne und schüttete die geschnittenen Zwiebeln dazu. Anschließend würzte ich das Essen, während Nana den Salat wusch und Tomaten kleinhackte.

Nachdem wir fertig waren, stellten wir das Essen auf den Tisch und forderten Dad, Emilia und Aidan auf, Platz zu nehmen.

Als wir saßen und gemeinsam aßen, blickte ich auf den freien Stuhl neben Dad. Obwohl es schon elf Jahre her war, dass Mum spurlos verschwand, versetzte es mir jedes Mal einen Stich, wenn ich daran dachte, dass sie nicht bei uns war.

Emilia und Aidan konnten meinen Schmerz nicht nachvollziehen. Denn es war kurz nach der Geburt der Zwillinge gewesen, als Mum eines Abends nicht mehr nach Hause zurückkehrte. Sie wollte in der Stadt Besorgungen erledigen. Ich erinnerte mich sogar noch daran, wie sie es mir mitgeteilt hatte, bevor sie durch die Tür ging.

Nach vier Tagen fand die Polizei ihr Auto, das abgelegen von Liverpool auf einem Parkplatz stand. Meine Mutter und ihre Wertsachen waren verschwunden.

»Cara«, begann Emilia und schob sich ein Stück Hähnchen in den Mund. »Fanscht schu mit Aidan unsch mir –«

Ich hob meine Hand. »Emilia! Kauen, schlucken und dann reden.«

Dad pflichtete mir mit einem kräftigen Nicken bei.

Sie tat, was ich ihr sagte – wenn auch mit einem Augenrollen. »Kannst du mit Aidan und mir in die Stadt fahren? Im Smiggle haben sie meine Lieblingsbuntstifte im Angebot.«

Meine Lippen wurden zu einer schmalen Linie. »Ich fahr doch nicht extra in die Stadt, um Stifte zu kaufen, Emilia.«

Sie hob die Brauen und zog beleidigt eine Schnute. »Aber für deine Deals fährst du immer, ja?«

Dad wandte seinen Kopf zu ihr. »Hey! Wir haben gesagt, dass wir darüber nicht reden. Es gibt keine Deals mehr, klar? Damit ist jetzt Schluss.«

Aidan hob aufmerksam den Kopf. »Wieso?«

»Darum«, begründete Nana streng.

Emilia schaltete sich wieder dazu. »Das ist kein Grund.«

»Es ist jetzt gut«, ermahnte Dad mit dunkler Stimme und beide hielten ihren Mund. Wenn es jemanden gab, der über Nana stand, dann war es Dad. Denn seine unnachgiebigen Blicke wirkten manchmal noch furchteinflößender.

Dad und Nana unterhielten sich nach einer Weile über die Arbeit und tauschten Geschäftsideen aus. Nana hatte nämlich vor ihrer Rente ebenfalls in einer Bank gearbeitet.

Nach dem Essen lief ich hinauf in mein Zimmer und checkte auf meinem Handy die neuen Nachrichten ab. Tatsächlich waren es nur zwei. Die eine kam von meiner Freundin Chloe und die andere war von Will.

Ich hatte nicht viele Freunde, da ich mich seit meinem Abschluss an der High School in die Arbeit gestürzt hatte. Ich hatte meine Ausbildung als Biologielaborantin begonnen, vor sieben Monaten beendet und beschlossen, etwas anderes machen zu wollen. Da war mir die Idee mit dem Blumenladen gekommen und dass ich mein Zaubermittel-Geschäft weiter ausbauen könnte. Ich kündigte meinen Job und konzentrierte mich nur noch auf die Deals.

Chloe hatte aufgrund ihrer herausragenden Noten das Glück, in Oxford studieren zu dürfen. Daher sahen wir uns selten. Wir trafen uns meistens nur, wenn sie in ihren Semesterferien ihre Familie besuchen kam. Zudem war sie ein Mensch, weswegen ich ihr nie etwas über mein geheimes Dasein als Alchemisten erzählen durfte.

Ansonsten war mir niemand bis auf Will von meinen Freunden geblieben.

Aber mehr brauchte ich auch nicht. Schließlich hielt mich meine Familie genug auf Trab.

Will fragte, wann er uns wieder besuchen dürfte.

Seine Nachricht hätte nicht passender sein können.

 

Wie wäre es mit Samstag? Du isst einfach mit uns zu Abend. Nana und ich kochen ;)

 

Da er sowieso gerade online war, antwortete er sofort.

 

Klar, gerne! Soll ich den Nachtisch mitbringen?

 

Gern!

 

Cool, dann bis Samstag :*

 

Bis Samstag <3

 

Den restlichen Abend verbrachte ich damit, mich im Internet über den Zirkel der Schwarzmagie schlau zu machen. Alles, was ich bisher darüber wusste, hatte ich aus den Zeitungen oder Nachrichten erhalten. Daher wollte ich bei meiner Recherche besonders gründlich sein, um kein Detail zu verpassen.

Die Menschen ahnten nichts von Alchemisten und Magiern. Wir wurden wie eine streng geheime Gesellschaft behandelt, in die nur die wichtigsten Personen eingeweiht wurden. Manche profitierten von einer Zusammenarbeit mit einem Magier oder Alchemisten, während es auch Gruppen gab, die unsere Existenz für Hokuspokus-Blödsinn hielten.

Manchmal fühlte ich mich ein wenig wie eine Außerirdische, die der Area 51 entkommen war und nun in der normalen Welt ein eigenständiges Leben führen wollte. Denn es war verboten, sich vor den Menschen als Alchemist oder Magier zu präsentieren.

Im Internet gab es einige geheime Foren oder Webseiten, auf denen Alchemisten oder Magier über das Leben unserer Gattungen schrieben. Menschen, die auf diese Seiten stießen, hielten die Verfasser der Artikel für Sektenmitglieder oder verrückte Gruppen, die an höhere Mächte glaubten. Dabei war es unsere Art der Nachrichtenweitergabe.

Auf einem nur für uns bestimmten Blog entdeckte ich einen gut zusammengefassten Artikel über den Zirkel der Schwarzmagie. Er wurde von einem älteren Mann namens Christoph Antilla angeführt, der selbst keine Kinder hatte. Sein Bruder Elias allerdings besaß drei Söhne, wovon einer jedoch ein Bastard war.

Vincent Antilla.

Nana hatte mir mal von einem Skandal berichtet, über den sogar noch Jahre danach geredet wurde. Liierungen, die nicht innerhalb eines Zirkels geschlossen wurden, waren verpönt. Sein Vater hatte sich auf eine Frau aus dem Zirkel der Heilmagie eingelassen, die von ihm schwanger geworden war.

Es gab etliche Gerichtsprozesse und letztlich entschied Christoph Antilla gemeinsam mit seinen Beratern, dass sein Bruder Elias niemals Präsident werden dürfte. Nur im absoluten Ausnahmefall, wenn kein Antilla mehr das Amt übernehmen könnte, würde diese Regel außer Kraft gesetzt werden. Christophs Nachfolger sollte zudem einer von Elias’ reinen Söhnen werden. Vincent wurde diese Chance aufgrund seiner Herkunft aberkannt.

Der Skandal wurde allerdings erst bekannt, als Vincent bereits fünf Jahre alt war. Währenddessen hatte Elias mit seiner heute geschiedenen Ehefrau einen weiteren Sohn zur Welt gebracht.

Eine richtige Patchwork-Familie. Irgendwie bemitleidenswert.

Auf einem Blog hatte die Reporterin eine umfassende Recherche veröffentlicht, in der sie das Leben von Vincent schilderte. Er hatte zu niemanden einen guten Draht, bis auf seine Mutter.

Mit achtzehn Jahren wanderte er nach Nepal aus, um seine magischen Fähigkeiten zu perfektionieren. Die Mönche trainierten dort nach einer altbewährten Methode, die aus einem Magier eine Art Killermaschine machte. Danach ging er eineinhalb Jahre zur Army und ließ sich direkt ins Ausland versetzen. Doch wie es schien, reichte ihm das nicht und Gerüchten zufolge arbeitete er eine Zeitlang als Auftragsmörder. Mit dreiundzwanzig Jahren wurde er von der US-Regierung als Spion für spezielle Missionen in aller Welt eingesetzt.

Er musste bloß immer eine Regel einhalten: Die Arbeit durfte nichts mit der Familie Antilla zu tun haben. Denn er schien mit seinem Vater Elias ein so schlechtes Verhältnis zu haben, dass er ihm aus dem Weg ging. Die Distanz zu seiner Herkunft war ihm wichtiger als alles andere.

Aktuell schien er als Spion zurückgetreten zu sein und befand sich angeblich wieder in Nepal. Die Reporterin berichtete, dass die Zahl von Vincents Opfer hoch wäre und ihn viele der Länder fürchteten. Andere Quellen meldeten, dass die größten Mächte, wie Russland, die USA oder sogar China ihn anwarben, da er bislang bei keiner seiner Missionen gescheitert war. Allerdings lehnte er die Anfragen aus unerfindlichen Gründen ab.

Ich bekam bei dem Artikel eine regelrechte Gänsehaut. Dieser Typ gehörte in meinen Augen eingesperrt. Wie konnte unser Zirkel nur so jemanden tolerieren?

Vincent stellte eine Gefahr dar und statt dieser Einhalt zu gebieten, ließ ihn die Regierung einfach seiner Wege gehen. Entweder war die Angst bereits zu groß oder sie hielten an dem Glauben fest, dass er keine Bedrohung werden würde.

Selbst die Reporterin schrieb am Ende ihres Artikels, dass sie vermutete, Vincent wäre so geworden, weil er von den Antillas geächtet wurde – insbesondere von seinem Vater. Er war nie wirklich ein Teil der prominenten Familie und durch diese Verachtung würde in ihm ein Hass brodeln, der irgendwann ausbrechen musste.

Ich klappte den Laptop zu und atmete lange aus. Obwohl ich niemals in Berührung mit diesem Vincent kommen würde, wollte ich nicht wissen, zu was er fähig wäre, wenn er in Liverpool, dem Sitz seines Zirkels, mal richtig aufräumte.

Hoffentlich standen uns die Götter dann bei.

 

4

Die nächsten Tage verliefen zäh und ich merkte, wie sehr mir das Dealen fehlte. Zwar hatte ich in den letzten Monaten einen großen Teil meines Verdienstes beiseitegelegt, trotzdem machte ich mir Sorgen um die Zukunft.

Dad beschloss, sich vorübergehend in ein Hotel einzuquartieren, aus Angst, uns in Gefahr zu bringen. Das bereitete mir nur größeren Kummer. Wir telefonierten jeden Abend, damit ich mich vergewissern konnte, dass es ihm gut ging.

Nana wurde nachdenklicher und stiller. Ständig erwischte ich sie im Gewächshaus und sah zu, wie sie irgendwelche Tränke oder Pulversorten herstellte. Wenn ich sie danach fragte, meinte sie, sie würde nur unseren Vorrat aufstocken. Allerdings glaubte ich ihr nicht. Irgendetwas bereitete ihr Unruhe.

Emilia und Aidan hatten wir erzählt, dass Dad auf Geschäftsreise war und eine Weile außer Haus bliebe. Es machte sie traurig, doch ich versuchte sie, so gut es ging, abzulenken. Nana und ich teilten schon genug Sorgen. Wir wollten den Zwillingen keine Angst machen.

Am Samstag kam schließlich Will vorbei, wofür ich dankbar war. Er lenkte uns ein wenig ab.

Ich stellte den Blumenstrauß, den er mitgebracht hatte, in eine Vase und platzierte diese anschließend auf dem Esstisch. Nana trat in den Raum und bestaunte die Blütenpracht. »Oh, Will! Die sind aber hübsch.«

Er neigte knapp den Kopf. »Danke, Mabel. Ich dachte mir, dass sie euch gefallen könnten.«

Sie nahmen sich in den Arm und anschließend betrachtete Nana ihn ausgiebig. »Mensch, was hast du da für einen tollen Anzug an. Du solltest öfters Smokings tragen.«

Ich kicherte leise.

Will strafte mich mit einem strengen Blick, bei dem ich wusste, dass er ihn nicht ernst meinte. Er wandte sich wieder Nana zu. »Danke. Das freut mich. Mit meiner Beförderung bin ich nun verpflichtet, etwas extravaganter auszusehen.«

»Oh, meinen Glückwunsch!«, sagte Nana begeistert und klatschte in die Hände, ehe sie in die Küche verschwand.

Will arbeitete in einem großen Konzern der Pharmaindustrie. Da seine Noten für ein medizinisches Studium zu schlecht waren, hatte er sich einen anderen Weg gesucht, um Menschen zu helfen. Zwar waren Medikamente nicht immer die Lösung für ein Problem, aber immerhin retteten sie auf eine gewisse Weise ebenfalls Leben.

Wir sahen uns kurz über den Tisch hinweg an, bevor ich begann das Besteck neben den Tellern zu verteilen. Wills Miene wurde ernster und er lehnte sich gegen einen der Stühle. »Cara, was ist los?«

Ich schaute zu ihm auf. »Was meinst du?«

Er seufzte. »Ich glaube, ich kenne dich nun lange genug, um zu wissen, dass dich etwas bedrückt. Du bist ziemlich still.«

Da konnte ich ihm nicht widersprechen. Will war so etwas wie mein bester Freund, da wir uns selbst als Kinder fast alles erzählt hatten. Doch seitdem wir beide arbeiten gehen mussten, wurden unsere Treffen seltener und darunter litt unsere Beziehung.

»Es ist alles in Ordnung, ehrlich.«

Ich log ungern. Aber mit diesem Thema wollte ich Will wirklich nicht konfrontieren. Wir behielten die Beschattungen unserer Familie vorerst für uns, auch wenn wir Will vertrauen konnten.

Seine Lippen wurden zu einer schmalen Linie. »Du weißt, dass du mit mir reden kannst. Vielleicht kann ich helfen. Ihr seid wie eine zweite Familie für mich.«

Seine Worte berührten mich, dennoch blieb ich stark. »Wirklich«, sagte ich und setzte das schönste Lächeln auf, das ich aufbringen konnte. »Uns geht es gut.«

Er merkte, dass er keinen Schritt vorankam, und akzeptierte mit einem Nicken meine Entscheidung.

»Erzähl mal. Wie nennt sich deine Position jetzt?«

Zuerst zögerte Will, doch dann ging er auf meine Frage ein. »Ich bin Bereichsleiter und habe über vierzig Leute unter mir. Daher muss ich öfters an Meetings teilnehmen und ein paar mehr Überstunden leisten. Aber am Wochenende nehme ich mir frei, das habe ich mir fest versprochen.«

»Das klingt toll«, sagte ich fasziniert und betrachtete Will nochmals genauer.

Der schwarze Smoking stand ihm tatsächlich sehr gut und mit den blonden Haaren und den blauen Augen könnte man glatt dahinschmelzen. Auf der High School hatten die Schülerinnen ihn immer für den heimlichen Zwillingsbruder von Ryan Gosling gehalten. Als er sich dann auch noch einen Bart wachsen ließ, war’s um die Mädels geschehen. Will wurde zum richtigen Womanizer.

Er bekam dadurch die ein oder andere Freundin, aber seine Beziehungen hielten nie lange. Will war nicht untreu, sondern eher zu beschäftigt für eine feste Bindung. Er vernachlässigte seine Freundinnen schnell, wodurch die Verhältnisse in den meisten Fällen auseinanderbrachen.

Daher konnte ich mich glücklich schätzen, dass er zumindest unsere Familie, so oft es ihm möglich war, besuchte. Dadurch wusste ich, dass wir ihm wichtig waren, und das schätzte ich.

»Wie geht’s deinen Eltern? Alles in Ordnung bei euch?«

Er lächelte und umfasste die Lehne des Stuhls vor sich. »Ja, alles bestens. Die beiden vereisen in letzter Zeit ziemlich viel, als würden sie all das nachholen, was sie in ihrer Jugend verpasst haben.« Er lachte leise. »Na ja, du kennst sie ja.«

Das tat ich. Sie hassten es zu Hause zu sitzen und konnten nie lange an einem Ort bleiben. Da Will ausgezogen war, mussten sie kein Auge mehr auf ihn werfen, was das Verreisen vereinfachte.

»So!«, meldete sich Nana und stellte eine Auflaufform mittig auf den Tisch. »Setzt euch, Kinder. Ich rufe die anderen beiden Strolche.«

Ich nahm gegenüber von Will Platz, während Nana die Treppe hinaufschrie: »Emilia! Aidan! Kommt runter, es gibt Essen.«

»Warten wir nicht auf deinen Vater?«, fragte Will irritiert.

Mein Körper spannte sich an und ich wich seinem Blick aus. »Nein, er ist auf Geschäftsreise.«

»Wusste gar nicht, dass Bankangestellte so etwas tun«, meinte er.

Daraufhin zuckte ich nur mit den Schultern.

Die Zwillinge kamen die Treppe hinuntergestürmt und blieben neben unserem Gast stehen. »Will!«, rief Emilia und warf sich in seine Arme. Meine Schwester war schon immer heimlich in ihn verliebt – natürlich auf eine kindliche Art. Sie meinte einmal, dass Will ihr perfekter Märchenprinz sei. »Wie schön, dass du uns besuchen kommst. Ich habe dich schon vermisst.«

Ich verdrehte die Augen. »Emilia, es ist nun gut. Wir wollen essen«, ermahnte ich sie.

Sie ließ nur zögerlich von Will ab und setzte sich mit glänzenden Augen neben ihn.

Will wuschelte durch Aidans braunes Haar. »Hallo, Großer. Alles fit?«

Aidan nickte.

Sie zogen sich kurz in die Arme, bevor sich mein Bruder neben mich setzte. Nana nahm am Kopf des Tisches Platz. »Guten Appetit alle zusammen.«

Meine Großmutter wirkte tatsächlich besser gelaunt, seitdem Will da war. Seine Anwesenheit schien sie etwas abzulenken.

Nach dem Essen räumten wir gemeinsam auf. Emilia und Aidan verschwanden nach oben, um irgendein Videospiel zu zocken.

Anschließend begaben wir uns in den Garten, in dem das Gewächshaus stand. Dort zeigte Nana Will jede Pflanze, die von seiner Magie gesegnet werden musste. Dieser Vorgang war nötig, um später Zaubermittel herzustellen. Tatsächlich war es nicht mehr als eine einzelne Berührung, bei der Will einen kleinen Teil seiner Magie hineinfließen ließ.

Mein bester Freund fing ein Thema an, das mir Bauchschmerzen bereitete. »Habt ihr auch die härteren Maßnahmen für die Alchemisten gelesen? Ich musste sofort an euch denken und mache mir ehrlich gesagt Sorgen.«

Nana atmete angespannt aus. »Es ist furchtbar. Aber ich denke, sie wollen damit nur einige der Alchemisten hervorlocken. Sie haben geschrieben, dass die Strafe milder ausfallen würde, wenn man sich freiwillig stellt. Angeblich.«

Ich traute diesen Hochstaplern auch nicht. Sie gaben sich gnädig in der Presse, doch in Wahrheit brachen sie ihre Versprechen und taten das, was sie für richtig hielten.

»Ach was. Wir kommen klar, Will«, sagte ich in einem besonnenen Tonfall. »Wir haben so viele Jahre im Verborgenen gelebt und das wird auch weiterhin so bleiben. Unsere Familie ist vorsichtig.«

Er hob kurz seine Mundwinkel und schaute uns dann nacheinander an. »Trotzdem. Wenn irgendetwas sein sollte, meine Familie ist für euch da. Ihr habt uns bereits so viele Male geholfen.«

Nana machte einen Schritt auf ihn zu und berührte seine Hand. »Danke. Das wissen wir zu schätzen.«

Und das taten wir auch. Aber dennoch waren Nana und ich uns in einem Punkt einig: Wir wollten die Shirleys auf keinen Fall in diese Sache mithineinziehen.

 

Nachdem Will wieder gegangen war, fiel ich erschöpft ins Bett und kuschelte mich in meine Decke ein. Auf meinem Handy recherchierte ich noch ein wenig über die tatsächlichen Strafen, die einen erwarteten, wenn man als Alchemist entlarvt wurde.

Auf einer unbedeutenden Klatschseite schrieb eine Journalistin, dass sie von zuverlässigen Quellen wusste, Vincent Antilla wäre nach Liverpool zurückgekehrt. Aktuell schien er sich in seinem Anwesen aufzuhalten, würde allerdings nicht lange bleiben.

Mein Magen verkrampfte sich.

 

5

Am Montag quälte mich Emilia mit ihren Lieblingsbuntstiften, da das Angebot nur noch diese Woche galt. Sie nervte so lange, bis ich nachgab, mich mit beiden ins Auto setzte und ins Zentrum nach Liverpool fuhr.

Wir stellten das Fahrzeug in einem Parkhaus ab und liefen ins Einkaufsviertel. Vor dem Laden namens Smiggle blieb ich kurz stehen, während Emilia hineinrannte. Aidan folgte ihr. »Hey!«, rief ich ihnen hinterher, doch da waren sie schon zwischen den Regalen und Tischen verschwunden.

Es war einiges los im Geschäft.

Auch wenn mich keine der Waren wirklich interessierte, sah ich mich um. Es gab hauptsächlich Produkte für Schulkinder, wie Ranzen, Mäppchen, Stifte und vieles mehr. Als mir irgendwann langweilig wurde, begann ich verstohlen meine Mitmenschen ins Visier zu nehmen. Viele der Kinder jauchzten, wenn ihnen etwas besonders gefiel, andere hörten ihren Eltern nicht einmal zu.

Gerade als ich zur Kasse schaute, die direkt neben dem Schaufenster stand, bemerkte ich auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine Gestalt, die an der Wand eines Geschäftes lehnte. Anhand der Statur wusste ich sofort, dass es sich dabei um einen Mann handelte. Er trug eine schwarze Sonnenbrille, eine Lederjacke, braune Stiefel und eine dunkelgraue Jeans. Seine Haare waren blond und an den Seiten kürzer. Er hatte sie sich zurückgestrichen, was ihm etwas Jungenhaftes verlieh.

Dennoch jagte mir sein Anblick einen Schauer über den Rücken. Irgendwie machte er mir Angst.

Zudem sah er zu unserem Laden hinüber und für einen kurzen Moment glaubte ich sogar, dass er mich fixierte. Aber das könnte auch an meinem Verfolgungswahn liegen, den ich seit der Beschattung entwickelt hatte.

Ich wandte mich von ihm ab und lief zu Emilia und Aidan, die sich um die letzte Packung der Buntstifte stritten. Mein Bruder wollte sie plötzlich ebenfalls haben, obwohl er noch nicht einmal malte.

Als ich erneut zum Schaufenster sah, war der Typ verschwunden.

Okay, keine Panik. Er ist bestimmt aufgebrochen, nachdem ich ihm den Rücken zugekehrt hatte. Kein Grund, gleich einen Verdacht zu hegen, beruhigte ich mich selbst.

»Cara! Sag ihr, dass wir uns die Stifte teilen müssen«, murrte Aidan, während er seine Hand in Emilias Gesicht drückte, um sie von sich zu stoßen.

Meine Schwester riss an seinem T-Shirt. »Gib sie mir zurück!«

Ich schnappte mir ohne Vorwarnung die Verpackung und drückte sie an meine Brust. »Würdet ihr euch bitte einmal benehmen, wenn wir weggehen? Das ist ja nicht mehr auszuhalten«, meckerte ich und funkelte Aidan böse an. »Es sind Emilias Stifte. Sie hat sie gewollt und sie bekommt sie auch. Außerdem malst du keine Bilder. Also hör auf, immer deine Schwester zu ärgern.«

Emilia verschränkte die Arme vor der Brust und stellte sich demonstrativ neben mich. »Genau!«

»Und du! Hör auf, das Ganze noch verschlimmern zu wollen«, rügte ich sie.

Sie verzog beleidigt den Mund zu einer Schnute.

Aidans Miene wurde zornig. »Immer bist du auf ihrer Seite!«

»Das stimmt nicht«, entgegnete ich, während bereits einige Kunden zu uns herübersahen. »Bitte, such dir etwas aus und dann verschwinden wir wieder.«

Aidan stieß einen langen Atemzug aus, bevor er einen Affen vom Tisch nahm und ihn an sich drückte.

Ich wusste, dass er das nur aus Trotz tat.

Emilia hob eine Braue. »Bist du dafür nicht etwas zu alt?«

Aidan zischte. »Ich kaufe, was ich will!«

Ich schnappte mir den Affen. »Meinetwegen.« Bevor Aidan noch einen Wutanfall bekam, nutzte ich die Chance und lief mit den beiden zur Kasse.

Nachdem ich die Ware bezahlt hatte, verließen wir den Laden und mein Blick glitt erneut über die Einkaufsstraße, um nach dem Kerl Ausschau zu halten, der eben noch an der Wand des Geschäfts gelehnt hatte.

Plötzlich wollte ich so schnell wie möglich nach Hause. Aktuell war es keine gute Idee ins Zentrum zu fahren, aber ich konnte die Zwillinge nicht im Haus einsperren, da sie sonst Verdacht geschöpft hätten und wüssten, dass etwas nicht stimmte.

Emilia zeigte voller Vorfreude auf einen Laden. »Oh! Können wir noch da rein? Ich will mir das neue Mario Kart ansehen, das letzte Woche erschienen ist.«

Aidan war ebenfalls Feuer und Flamme für ihre Idee. »Bitte!«, flehte er.

Irgendwie brach es mir das Herz, den beiden ihren Wunsch zu verweigern, da ich sie ungern in ihrem Leben einschränkte.

Ich sah mich erneut um. Kein merkwürdiger Typ zu sehen.

Die zwei traten vor mich, falteten ihre Hände und wirkten wie verlorene Hundebabys, die mich bettelnd ansahen. Wer konnte bei diesen Kulleraugen schon ›Nein‹ sagen?

Ich atmete lang aus. »Also gut, aber nur noch dieser Laden und dann ist Schluss.«

Sie jauchzten dankbar und stürmten ins Geschäft hinein, ohne auf mich zu warten. Ich blieb vor dem Eingang stehen und sah, wie sie sich vor den großen Bildschirm stellten, an dem die Konsole angeschlossen war.

Aidan zeigte Emilia voller Begeisterung, wer seine Lieblingsfigur bei Mario Kart war und wie man am besten die Runden gewann. Obwohl er nur ein paar Minuten älter als Emilia war, profilierte er sich meistens als der Klügere der beiden.

Emilia wollte ebenfalls nach dem Controller greifen, da es nur einen zum Ausprobieren gab. Dadurch brach ein Streit los, der allerdings nicht lange anhielt. Sie einigten sich darauf, dass jeder eine Runde spielen durfte.

Mein Herz begann unaufhaltsam zu pochen. Die Angst wurde so groß in mir, dass meine Hände schweißnass wurden. Irgendetwas stimmte nicht.

Nervös schaute ich über meine Schulter und blickte zu einer Seitenstraße, an dessen Fassade ein Kerl lehnte.

Ich vergaß zu atmen. Der Typ mit der Sonnenbrille.

Das war keine Einbildung. Dieses Mal war ich mir ganz sicher. Er beobachtete uns.

Fuck! Fuck! Fuck!

Die Panik drohte in mir die Oberhand zu gewinnen, doch mit aller Gewalt unterdrückte ich die Furcht in mir und lief schnellen Schrittes in den Laden hinein. »Emilia! Aidan! Wir gehen.«

Meine Geschwister drehten sich bedauerlich zu mir um. Insbesondere Emilia wirkte geknickt. »Ich war noch gar nicht dran.«

»Los!«, sagte ich mit einem solch strengen Unterton, dass ich mich für den Moment wie Nana anhörte.

Allerdings schien er Wirkung zu zeigen, denn sie ließen vom Controller ab und liefen mit mir nach draußen. Als ich wieder zur Seitenstraße schaute, war der Kerl erneut verschwunden.

Shit, wo war er hin?

Ich konnte fast nicht mehr atmen. Mein Körper zitterte ununterbrochen und ich raste beinahe durch die Einkaufsstraße. Die beiden konnten kaum mithalten.

»Cara, warum rennst du so?«, nörgelte Aidan schnaufend.

»Ich bin im Zeitdruck«, log ich.

»Hast du noch einen Termin?«, kam es von Emilia.

»Ja.«

Schließlich erreichten wir nach fast zehn Minuten das Parkhaus und ich blieb vor dem Eingang stehen, um mich umzusehen. Eine leise Stimme redete mir ein, ihn abgehängt zu haben, allerdings wollte ich daran nicht glauben.

Gerade als ich die Tür aufriss, entdeckte ich ihn. Er kam auf direktem Wege Richtung Eingang gelaufen.

Scheiße!

Ich packte Aidan an den Schultern und sah ihn eindringlich an. »Ihr wisst, wo mein Auto steht, ja?«

Er erkannte, dass etwas nicht stimmte und hielt wie erstarrt inne. Dann nickte er kaum merklich.

Ich drückte ihm meinen Schlüssel, meine Tasche und das Handy in die Hand. »Lauft, so schnell ihr könnt zum Fahrzeug, sperrt euch ein und ruft Nana an. Habt ihr mich verstanden?«

In einer solchen Situation schaffte ich es nicht, meine Angst zu unterdrücken. Auch wenn meine Stimme überraschend beherrscht klang.

Ich riss die Tür auf und sah meine Geschwister an, die wie versteinert waren. »Los!«, schrie ich laut, um sie aus ihrer Starre zu reißen.

Sie machten, wenn auch zögerlich, auf dem Absatz kehrt und rannten ins Parkhaus hinein. Ich knallte hinter ihnen die Tür zu und wollte mich im selben Moment dem Fremden zuwenden, als dieser auch schon vor mir stand, meinen Hals packte und mich gegen die Tür schlug.

---ENDE DER LESEPROBE---