Das Vermächtnis von Talbrem (Band 1): Gestohlenes Herz - J. K. Bloom - E-Book + Hörbuch

Das Vermächtnis von Talbrem (Band 1): Gestohlenes Herz E-Book und Hörbuch

J. K. Bloom

4,5

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Beschreibung

Kira-Jane Brooks ist eine Taliducz. Wie alle Bewohner Talbrems kann sie mittels spezieller Edelsteine magische Kräfte beschwören, die ihr das Leben angenehmer gestalten. Aufgewachsen in den höheren Kreisen, hilft die Siebzehnjährige ihrem Vater dabei, die Regierung Talbrems zu unterstützen. Bis zu jenem Tag, als der Verbrecher Cameron sie entführt, um an ein gut gehütetes Familiengeheimnis zu gelangen. Da Kira sich weigert, es ihm zu verraten, stiehlt er ihr Herz. Zwar lebt eine Taliducz auch ohne Herz weiter, allerdings höchstens zwei bis drei Jahre. Cameron stellt ihr damit ein Ultimatum: Entweder sie verrät ihm innerhalb der ihr verbleibenden Zeit, was er wissen will, oder sie stirbt. Kira lässt sich davon nicht einschüchtern und will ihr Herz zurückholen. Dabei muss sie allerdings über ihren Schatten springen und sich mit Kjell, dem Sohn eines Regierungsmitglieds, verbünden, dessen arrogante Art sie verabscheut. Dennoch setzt sie alles auf eine Karte und trifft eine Entscheidung, die nicht nur ihr Herz gefährden könnte, sondern auch jene, für die es schlägt.

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Seitenzahl: 616

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Zeit:14 Std. 40 min

Sprecher:J. K. Bloom
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Mabero

Nicht schlecht

Ein paar interessante Ansätze, aber es hat mich alles nicht so sehr gepackt. Die Charaktere sind mir zu oberflächlich Beschrieben, sodass man nicht so gut mitfühlen kann wie bei anderen Büchern. Habe es nicht bis ganz zum Ende geschafft.
00
LivSalt

Man kann sich nicht von der Lektüre losreißen

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Beliebtheit




Inhaltsverzeichnis

Titel

Informationen zum Buch

Impressum

Widmung

Regierung von Talbrem

PROLOG

Kapitel 1 – ZWISCHEN EINSAMKEIT UND KALTHERZIGKEIT

Kapitel 2 – WIEDER ZU HAUSE

Kapitel 3 – HARTE MASSNAHMEN

Kapitel 4 – ZWISCHEN GLAMOUR UND TODESDROHUNGEN

Kapitel 5 – AUSLIEFERUNG

Kapitel 6 – VOM WEISSEN KLEID ZUR JOGGINGHOSE

Kapitel 7 – VERTRAUEN UNTER WÖLFEN

Kapitel 8 – SWEET HOME

Kapitel 9 – WORTGEWANDT

Kapitel 10 – DRY MARTINI COCKTAIL

Kapitel 11 – DAS TEAM

Kapitel 12 – ALLER ANFANG BEGINNT MIT LÜGEN

Kapitel 13 – WEISE-MOMENTE-ZERSTÖRER

Kapitel 14 – MEN IN BLACK UND RASH

Kapitel 15 – DIE EINLADUNG

Kapitel 16 – TEAMWORK MIT DISCOFOXY

Kapitel 17 – DER SIEG

Kapitel 18 – EIN STARKER GEIST

Kapitel 19 – GERÜCHTEKÜCHE

Kapitel 20 – FRAGEN ÜBER FRAGEN

Kapitel 21 – DAS DATE

Kapitel 22 – EIN UNANGENEHMER KERL

Kapitel 23 – DEM FEIND SO NAH

Kapitel 24 – ENDLOS WIE DAS EISBLAU

Kapitel 25 – VERBOTENE TALIS

Kapitel 26 – EIN RÜCKZUGSORT

Kapitel 27 – MEIN TEUFLISCH GUT AUSSEHENDES JOGGINGHOSEN-MODEL

Kapitel 28 – KALT

Kapitel 29 – PRÜFUNGSANGST

Kapitel 30 – DAS GIFT

Kapitel 31 – DIE HOFFNUNG IM HERZEN

Kapitel 32 – GEBROCHEN UND VERLOREN

Kapitel 33 – DIE WAHRHEIT ÜBER DAS HERZ

Kapitel 34 – EIN TEIL VON DIR

GLOSSAR

Dank

 

J. K. Bloom

 

 

Das Vermächtnis von Talbrem

Band 1: Gestohlenes Herz

 

 

Fantasy

 

Das Vermächtnis von Talbrem (Band 1): Gestohlenes Herz

Kira-Jane Brooks ist eine Taliducz. Wie alle Bewohner Talbrems kann sie mittels spezieller Edelsteine magische Kräfte beschwören, die ihr das Leben angenehmer gestalten. Aufgewachsen in den höheren Kreisen, hilft die Siebzehnjährige ihrem Vater dabei, die Regierung Talbrems zu unterstützen. Bis zu jenem Tag, als der Verbrecher Cameron sie entführt, um an ein gut gehütetes Familiengeheimnis zu gelangen. Da Kira sich weigert, es ihm zu verraten, stiehlt er ihr Herz. Zwar lebt eine Taliducz auch ohne Herz weiter, allerdings höchstens zwei bis drei Jahre. Cameron stellt ihr damit ein Ultimatum: Entweder sie verrät ihm innerhalb der ihr verbleibenden Zeit, was er wissen will, oder sie stirbt. Kira lässt sich davon nicht einschüchtern und will ihr Herz zurückholen. Dabei muss sie allerdings über ihren Schatten springen und sich mit Kjell, dem Sohn eines Regierungsmitglieds, verbünden, dessen arrogante Art sie verabscheut. Dennoch setzt sie alles auf eine Karte und trifft eine Entscheidung, die nicht nur ihr Herz gefährden könnte, sondern auch jene, für die es schlägt.

 

 

Die Autorin

J. K. Bloom schreibt schon, seit sie elf Jahre alt ist. Das Erschaffen neuer Welten ist ihre Leidenschaft, seitdem sie das erste Mal ein Gefühl für ihre Geschichten bekam. Sie ist selbst abenteuerlustig und reist sehr gern. Wenn sie ihre Nase nicht gerade zwischen die Seiten eines Buches steckt, schreibt sie, beschäftigt sich mit ihren zwei Katzen oder plant schon die nächste Reise an einen unbekannten Ort.

 

 

 

 

www.sternensand-verlag.ch

[email protected]

 

1. Auflage, Oktober 2021

© Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2021

Umschlaggestaltung: Alexander Kopainski

Lektorat / Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH | Martina König

Korrektorat 2: Sternensand Verlag GmbH | Jennifer Papendick

Satz: Sternensand Verlag GmbH

 

 

ISBN (Taschenbuch): 978-3-03896-207-6

ISBN (epub): 978-3-03896-208-3

 

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

 

 

Wir alle haben unsere Schattenseiten.

Nur wer mutig genug ist, sich ihnen entgegenzustellen,

wird eines Tages dahinter auch das Licht erkennen.

 

Regierung von Talbrem

PROLOG

 

Vor zwei Jahren …

 

Blut pulsiert in meinen Adern, während sich meine Brust schwer hebt und senkt. Eine Schweißperle läuft mir an der Schläfe entlang und meine aufgeplatzten Lippen brennen. Magie legt sich wie erdrückender Ballast auf mich und macht es mir unmöglich, meine eigenen Kräfte zu benutzen.

Angst und Mut kämpfen im ständigen Wechsel um meine äußerliche Fassung. Es fällt mir schwer, nicht auch noch der Panik zu verfallen. Das wäre mein Ende.

Sechs muskelbepackte Männer starren mich an, wovon zwei meine Arme fest umschlungen halten. Die Stellen, an denen sie mich berühren, pochen unangenehm, als würden sie unter ihren Griffen anschwellen.

Kälte legt sich über mich, da wir in irgendeinem mir fremden Keller sind, der aus nichts weiter als Betonwänden und einem Regal mit einer Werkzeugkiste besteht.

»Ich frage dich noch einmal, Kira. Wo ist der Schlüssel zu Eldorado?«

Von Zorn erfüllte Fuchsaugen mustern mich.

Mein Puls beschleunigt sich. Wie lange soll das noch so weitergehen?

Angestrengt hebe ich den Kopf und sehe in die finsteren dunkelblauen Augen des Mannes, dem es zu verdanken ist, dass ich hier festgehalten und ausgefragt werde. Denn vor mir steht einer der gefürchtetsten Verbrecher Talbrems.

Michael Cameron.

Es ist nicht unsere erste Begegnung, dennoch hoffe ich, die letzte. Denn er sucht nach dem Schatz, nach dem alle suchen, und wird bei mir definitiv nicht fündig werden.

Eldorado. Eine Welt, in der man alles vervielfältigen kann. Wer den Zugang zu ihr hat, kann unvorstellbar reich werden, da diese raumlose schwarze Welt einen Spiegel birgt, der die Macht besitzt, jeden beliebigen Gegenstand zu vervielfachen.

Wenn der Schlüssel zu Eldorado in falsche Hände gerät, könnte dies schwerwiegende Folgen haben. Jeder könnte sich so viel Geld, magische Steine oder andere Gegenstände aneignen, wie er bräuchte. Je nachdem, welches Ziel er verfolgt, könnte es in einer Katastrophe enden.

Wahrscheinlich ist es in einer solchen Situation nicht angebracht, die Mundwinkel zu heben und so zu tun, als wäre man gegen einen Verbrecher wie ihn gewappnet. Aber wenn ich um mein Leben bettle, wird es Cameron erst recht dazu anregen, mich zu quälen. Denn dann würde er begreifen, dass seine kleinen Folterspielchen bei mir anschlagen.

Mir fällt es schwer, mutig zu sein, da ich weder einen Fluchtplan habe noch mich darauf verlassen kann, gerettet zu werden. Aber ich muss weitermachen, denn ich rücke langsam in mein eigenes Schachmatt, wenn mir nicht bald etwas einfällt.

Angriffslustig hebe ich das Kinn, um vor Cameron keine Schwäche zu zeigen. »Zum x-ten Mal, ich kann deine Frage nicht beantworten, weil ich den Schlüssel zu Eldorado weder gesehen noch je in meinem Leben besessen habe.«

Langsam wird seine Wissbegier wirklich lästig, zumal Cameron eigentlich ein Mann ist, der Beweise sehen muss, um eine Vermutung aufzustellen. Ich wüsste zu gern, weshalb er immer noch glaubt, dass ausgerechnet ich den Zugang besitzen soll.

Er fährt sich mit der rechten Hand angespannt durch seine kurzen brünetten Haare. »Ich weiß, dass deine verfluchte Mutter dir den Zugang zur Stadt ausgehändigt hat!«, brüllt er und ballt seine Hände wütend zu Fäusten.

Es verpasst mir einen Stich in der Brust, als er Mom ins Spiel bringt. Sie starb an einer unheilbaren Krankheit, als ich dreizehn Jahre alt war, und ihr Verlust schmerzt mich noch immer enorm. Das sind Gefühle, die ich hier und jetzt ganz und gar nicht gebrauchen kann, weswegen ich sie in die hinterste Ecke meiner Gedanken schiebe.

»Wenn du es mir nicht sagst, muss ich dich eben dazu zwingen«, knurrt er.

»Das halte ich für eine dumme Idee«, gebe ich unerschrocken von mir.

Meine Familie genießt in der Regierung von Talbrem eine hohe Position, die wir die ›Gesandten‹ nennen. Der Gesandte selbst und seine engen Angehörigen erhalten besonderen magischen Schutz in Form von weißen Steinen, die am Rücken mit meiner Haut verwachsen sind. Sie bewahren uns davor, echte Folter zu ertragen – und damit meine ich Schmerzen, bei denen ich nicht mehr stehen könnte.

Im Moment werde ich nur von dem brennenden Pochen an meinem Kopf und der Magie gequält, die mich immer mehr zu erdrücken versucht. Cameron hat mich zuvor mit seinem Knüppel an der Stirn getroffen, um mir Angst einzujagen. Weiter darf er jedoch nicht gehen. Wenn er meinen Körper an eine gewisse Grenze treibt, aktiviert sich der Schutz und Cameron wird nicht mehr imstande sein, mich anzufassen. Er wird mir nicht einmal einen meiner dreiundzwanzig Talis entfernen können, die sich an meinem Körper befinden – na ja, zumindest fast. Drei neue dieser nützlichen Kristallsplitter, die Magie enthalten, habe ich an meinem Bein noch nicht schützen lassen, da ich zuvor keine Zeit dafür fand. Allerdings kann Cameron davon unmöglich etwas wissen.

Mir ist bewusst, dass der Verbrecher ein Schlupfloch gefunden hat, sonst hätte er mich nicht entführt. Die Ungewissheit, nicht ahnen zu können, was sein Ass im Ärmel ist, bereitet mir mehr Angst als die Tatsache, gekidnappt worden zu sein.

Ob er mir über mehrere Tage die Lebensessenz entziehen will, um damit letztendlich den Schutz der weißen Steine aufzulösen?

Ich bin durch die Talis nicht unverwundbar, da es immer noch andere Möglichkeiten gibt, mich kleinzukriegen. Aber dafür braucht Cameron Zeit und ich bin mir nicht sicher, ob er die hat. Im Augenblick ist die halbe Regierung samt der Elite hinter ihm her. Eine Gesandtentochter zu entführen, wiegt fast genauso schwer, als würde man das Familienmitglied eines Premierministers verschleppen.

Cameron macht einen galanten Schritt auf mich zu und beugt sich so nah zu mir, dass sich fast unsere Nasenspitzen berühren. »Mag sein, dass die Talis auf deinem Rücken vor mir sicher sind, aber ich glaube kaum, dass du schon einen Schutz für deine neuen hast.«

Was? Wie hat er das herausgefunden? Bisher wussten nur mein Bruder, mein Vater und der Werdt davon – Letztere sind für die Herstellung der Talis verantwortlich. Ich bin mir zu einhundert Prozent sicher, dass sie eine solche Information nicht an falsche Ohren geraten lassen. Doch irgendjemand muss geplaudert haben oder ein Fremder hat heimlich gelauscht, als der Werdt mir die Steine einsetzte.

Cameron muss mir ansehen, dass ich nervös werde – trotz meines guten Pokerfaces. Um die Situation nicht zu verschlimmern, schweige ich und schaue ihn giftig an.

Der berüchtigte Gangster stellt sich wieder aufrecht hin und grinst verschmitzt. »Los, untersucht ihren Körper nach den neuen Talis!«

Ich versuche, mich aus der Umklammerung seiner Männer zu entreißen, doch vergebens. Die breitschultrigen Typen entzweien zuerst meinen teuren Blazer und die Ärmel der darunter liegenden Bluse. Ihre Magie, mit der sie mich fixieren, wirkt sich stärker auf meinen geschundenen Körper aus, sodass Kopfschmerzen hinzukommen, die mir ein unangenehmes Hämmern bereiten.

Die Hände der Männer fahren über meinen Bauch und meine Brüste, um sie nach den Steinen abzutasten. Ein Schaudern überkommt mich und ich schließe die Augen, um die Panik in mir in Schach zu halten. Cameron liebt nichts mehr als wimmernde, weinerliche Mädchen. Außerdem würde es meinen Stolz kränken, mich einfach unterwerfen zu lassen.

Ihre widerlichen Griffe gleiten über jede Stelle meines Oberkörpers, der nur noch durch meinen BH bedeckt ist, doch sie werden natürlich nicht fündig, da sich die Steine woanders befinden.

»Zieht ihr die Hose aus!«, befiehlt der Anführer in gehässigem Tonfall, sodass ich ihm am liebsten ins Gesicht geschlagen hätte.

Ich reiße die Augen auf und drücke mich gegen die Wand, um es ihnen zu erschweren, an den Bund meiner Hose zu kommen. Camerons Männer beweisen mir allerdings erneut, dass sie mir überlegen sind, denn ihre Hände öffnen die Schnalle meines Gürtels und entledigen mich meines Unterteils. Nur wenige Sekunden später stehe ich in Unterwäsche vor ihnen. Das Schamgefühl lässt meinen Kopf glühen, während sechs Männer mich aufmerksam ansehen.

Zum Glück sind sie nicht an meinem Körper interessiert, auch wenn die weißen Steine mich vor einer Vergewaltigung schützen – zumindest hat das die Regierung behauptet, als sie mir eingesetzt wurden. Dennoch genießen meine Entführer den Anblick, der sich ihnen bietet. Wer würde nicht gern eine halb nackte Frau sehen wollen? Ganz besonders, wenn sie einen String trägt, der viel zu viel Haut zeigt.

Am liebsten würde ich den zerstörten Blazer vom Boden aufheben und schützend vor mich halten, doch meine Arme werden noch immer von den Männern fixiert. Aber Cameron ist nicht wegen meines Körpers gekommen, sondern wegen des Spiegels in Eldorado.

Die Folter, die mir bevorsteht, werde ich durchstehen müssen. Wer hätte auch gedacht, dass Camerons Leute es schaffen würden, in unser Anwesen einzudringen, das dauerhaft bewacht wird? Ich kann nur beten, dass die Elite oder Dads Leute mich rechtzeitig finden. Denn weit sind wir wohl nicht gekommen, zumindest glaube ich das. Der Sack, den sie mir über den Kopf gezogen haben, hat verhindert, dass ich sehen konnte, wohin wir laufen.

»Ah, da sind ja die Schätzchen«, ruft Cameron erfreut und streicht mit seinen Fingern über meinen nackten Oberschenkel. »Sie werden ihr Geld wert sein.«

Er will meine Talis verkaufen, da die der Regierungsmitglieder selten sind. Was für ein Dreckskerl.

Ich sehe zu den wunderschön eingearbeiteten Steinen, wovon zwei smaragdgrün schimmern und einer in einem Rubinrot glänzt. Sie sind geschliffen, poliert und werden von einem schwarzen Ring umrandet, der sich mit dem Körper eines Taliducz’ vereint. So werden Personen wie ich genannt, die in der Lage sind, die Magie der Talis zu aktivieren. Die meisten Taliducz leben in Talbrem, aber auch in der Menschenwelt gibt es unzählige von uns. Cameron und seine Schergen zählen leider ebenfalls dazu.

Ich schlucke schwer. Die Qual wird unerträglich sein, besonders wenn er gleich alle drei herausnehmen will. Dabei hat mir der Werdt sie erst vor ein paar Tagen eingesetzt und selbst das war schon schmerzhaft genug.

Die Männer holen aus dem verrosteten Regal in der Ecke einen silbernen Koffer, in dem genau die Instrumente liegen, die im Normalfall ein Werdt besitzt. Die Entnahme eines Talis wird eigentlich unter Narkose durchgeführt, da die Schmerzen weitaus größer sind als beim Einsatz.

Meine Muskeln beginnen zu zittern, da ich Angst vor der Pein habe, die mich erwartet.

Die Männer drücken meinen Rücken hart gegen die Betonwand und fixieren mich erneut mit ihrer Tali-Magie, sodass ich weder nach jemandem schlagen noch treten kann.

Mein Puls beschleunigt sich, als ich sehe, wie Cameron ein Skalpell in die Hand nimmt und es auf meine Haut setzt. Mit seiner freien Hand fährt er sanft über meinen Oberschenkel.

»Eigentlich tue ich kleinen Mädchen nicht gern weh.«

›Kleinen Mädchen?‹ Ich bin siebzehn und keine zwölf Jahre mehr.

Er lächelt mich gespielt traurig an. »Für mich warst du immer die zarte Rose der Regierung, stets bemüht, ein strahlendes Lächeln aufzusetzen und in die Fußstapfen deines Vaters zu treten.« Er seufzt theatralisch und umrandet mit dem Skalpell beinahe zärtlich den Stein auf meiner Haut, während das kalte Metall mir eine Gänsehaut verpasst. »Aber du bist anders, Kira. Gefährlicher als deine Mutter, doch dafür naiver als dein Vater.«

Er zwinkert mir zu und ich verdrehe unwillkürlich die Augen.

Was für ein Wichtigtuer.

Cameron ist dafür bekannt, dass er ein wenig verrückt ist und viel zu selbstsicher durchs Leben geht, obwohl er von ganz Talbrem gesucht wird. Durch seine Anhänger und geheimen Verstecke war er allerdings nie aufzufinden.

Er ist nicht der erste Verbrecher, der es darauf angelegt hat, von meinem Vater vernichtet zu werden. Schon einige davor haben geglaubt, dass sie mit den Kindern von Gesandten leicht fertigwerden würden. Wer öfter im Rampenlicht steht, muss besonders auf seine Familie achten und auf die, die ihm etwas bedeuten. Aber wir werden auf solche Situationen vorbereitet, daher sind wir robuster, als manche denken.

Ich stoße einen Schwall Luft aus. »Ich weiß nicht, wie lange du mich bereits im Auge hattest, Cameron, aber es wird das letzte Mal gewesen sein. Das wirst du bereuen.«

Zuvor hat es zwar verbale Drohungen seinerseits gegeben, aber nun scheint er sie in die Tat umgesetzt zu haben. Die Entführung zeigt mir, wie ernst es ihm mit Eldorado ist.

Er lacht höhnisch. »Das denke ich nicht, denn ich werde in wenigen Sekunden etwas gegen deinen Vater in der Hand haben, das ihn in die Knie zwingt.«

Wovon spricht er? An meine restlichen Talis wird er erst einmal nicht herankommen. Genauso wenig kann er mich in körperlich schwache Zustände bringen oder mich meiner Ehre entwürdigen. Dennoch will ich wissen, was er nun schon wieder geplant hat. Hat er noch ein Ass im Ärmel?

»Was meinst du damit?«

Camerons dunkle Augen blitzen amüsiert auf, als genieße er es, mir überlegen zu sein. Er schweigt jedoch und stößt die Spitze des Skalpells ohne Vorwarnung schmerzhaft in meine Haut. Mein Puls beschleunigt sich und ich beiße fest die Zähne zusammen, um einen Schrei zu vermeiden.

Sei stark, Kira. Sei stark!

Doch Cameron geht es langsam und qualvoll an, sodass ich bereits beim ersten Stein meine Klagelaute nicht länger zurückhalten kann. Es fühlt sich an, als würde er mir ein Stück Haut herausschneiden. Blutrinnsale laufen an meinem Oberschenkel hinab, die offene Wunde brennt wie Feuer und Tränen rinnen meine Wangen hinunter. Adrenalin schießt durch meine Adern und verleiht mir mehr Kraft, um mich zu wehren. Ich kämpfe gegen die Griffe der Männer an, die es nicht einfach haben, mich an Ort und Stelle zu fixieren.

Als Regierungsmitglied durchläuft jeder eine Zusatzprüfung, die den Körper und den Geist stärkt. Man wird widerstandsfähiger gemacht, weil es gerade in den hohen Kreisen von Talbrem gefährlich zugeht.

Nachdem Cameron alle drei Talis entfernt hat, brechen meine Beine zusammen. Die Männer lockern ihre Griffe, sodass ich mit dem nackten Hintern auf dem Beton aufkomme. Meine Brust ist nass, Schweißperlen tropfen mir an den Schläfen hinab. Mein Körper zittert wie Espenlaub, weil ich all meine Kraft für den Schmerz aufgebraucht habe. Cameron hat nichts aus mir herausbekommen und das soll auch so bleiben.

Ich bin nicht die Besitzerin des Schlüssels zu Eldorado, doch ich weiß, wer ihn behütet, und das darf Cameron niemals herausfinden. Es würde ein regelrechtes Chaos in Talbrem entfesseln, wenn er in falsche Hände geriete.

Er hat mich mit seiner Foltermethode an meine Grenzen getrieben, meine Schutz-Talis schweigen allerdings noch. Die blutende Wunde brennt wie Glut und ich traue mich nicht einmal, das verletzte Bein zu bewegen. Meine Glieder fühlen sich schwer und erschöpft an und ich muss darum kämpfen, nicht in Panik zu verfallen.

Cameron kann mich hier nicht festhalten. Das ist einfach unmöglich. Wir sind nicht einmal durch ein Portal gesprungen, um mich an einen unbekannten Ort zu bringen, denn das hätte ich gespürt, da man eine plötzliche Raumveränderung wahrnimmt. Sei es eine andere Luft oder stark schwankende Temperaturen – es wäre mir aufgefallen.

Sollte ich seine Drohung ernst nehmen? Was könnte er gegen meinen Vater in der Hand haben?

Auf Camerons Lippen erkenne ich ein stolzes und zugleich gehässiges Grinsen. »Du bist tough, meine kleine Rose. Aber leider nicht stark genug für das, was ich dir nehmen werde.«

Er will mir etwas nehmen? Denk nach, Kira! Was könnte das sein?

In Camerons Augen lodert das Vergnügen. Warum hat er mich nicht fortgebracht? Mein Verstand läuft auf Hochtouren, weil es mir ungeheure Angst einjagt, nicht zu wissen, was sich in seinen Gedanken abspielt.

Wenn er mich hierbehielte, hätte er damit die Regierung nur mehr am Hals, was er allerdings vermeiden will, da er sonst seine Machenschaften einschränken muss, um keine Spuren zu hinterlassen. Allerdings wäre das nicht sein Stil, es sei denn, es gäbe keinen anderen Weg.

»Aber leider nicht stark genug für das, was ich dir nehmen werde«, hallen seine Worte erneut in meinen Gedanken wider.

Da legt sich plötzlich ein Schalter in mir um, als mir klar wird, was Camerons Ass im Ärmel ist.

Bei den Ahnen! Das kann er nicht machen! Nein, nein, nein! Dann bin ich verloren. Erledigt.

Ich reiße panisch meine Augen auf, denn es gibt nur noch eines, das er mir entfernen kann.

Er will mein Herz.

»Du kranker Bastard!«, fluche ich geschwächt.

»Also, Männer, wenn ihr Ms. Kira-Jane Brooks festhalten würdet, damit ich mir ihr Herz holen kann«, befiehlt er seinen Männern, die wieder Hand an mich legen.

Obwohl mein Körper vollkommen erschöpft ist, versuche ich, mich zu wehren, da es das Letzte ist, was ich noch tun kann. Wenn Cameron mein Herz besitzt, ist das Spiel vorbei. Dann werde ich sehr bald sterben.

»Es wird auch gar nicht wehtun.«

Ich bin nicht der Typ, der gern bettelt oder fleht, doch ohne mein höchstes Gut werde ich nur noch zwei bis drei Jahre leben können, bis der plötzliche Tod einsetzt. Die Magie hält uns weiter am Leben, allerdings nicht für lange. Ich habe Dad versprochen, sein Amt zu übernehmen, an seiner Seite zu bleiben und der Regierung zu dienen. Aber wie soll ich das tun, wenn mein Herz fehlt?

»Warte, warte!«, entfährt es mir unsicher. »Ich kann für dich nach dem Schlüssel suchen.«

Cameron hält inne und mustert mich interessiert. »Ach ja? Das würdest du für mich tun?« Er denkt kurz darüber nach und lächelt dann amüsiert. »Wenn du mir verrätst, wo der Schlüssel zu Eldorado ist, verspreche ich dir aufrichtig, dass du dein Herz zurückbekommen wirst.«

Er stellt mir ein Ultimatum. Ich bin also geliefert.

Ich kann ihm die Macht über den Spiegel von Eldorado nicht aushändigen, das ist zu gefährlich. Und das wäre es nicht wert. Ein Leben für ein paar Tausend. Denn Cameron würde mit Eldorado die mächtigsten Talis vervielfachen, um selbst stärker zu werden. Er würde die Regierung angreifen, die er von allem am wenigsten ausstehen kann.

Ich habe Cameron eindeutig unterschätzt und seine geplanten Züge absolut nicht kommen sehen.

Die Figuren sind gefallen.

Schachmatt, Kira.

»Einverstanden«, sage ich mit zusammengebissenen Zähnen und senke die Lider. Vielleicht kann ich ihn austricksen, indem ich ihn mit einer Illusion täusche. Aber könnte ich den Schlüssel so perfekt kopieren, dass es nicht auffällt?

Cameron beugt sich zu mir und seine knochigen Finger fahren sanft über meine Wange. »Gut, meine kleine Rose. Ich verlasse mich auf dich.«

Wie groß ist die Chance, dass ich mein Herz wirklich je wiedersehen werde? Cameron wird bereits so viele Jahre gesucht. Weshalb sollte ich eine Chance haben?

Die Enttäuschung überrollt mich wie ein schwerer Stein und ich versuche, nicht daran zu denken, dass ich meinem Ende bereits entgegensehe.

Meine Familie kommt mir in den Sinn und all die Versprechungen, die ich ihnen gemacht habe. Dads Amtsübernahme, Moms letzte Bitte, Lus wahre Bestimmung …

Es tut mir so leid.

Meine Sicht verschwimmt und ich lasse das Kinn auf meine Brust fallen, damit Cameron meine Tränen nicht sieht.

Ist das wirklich mein Ende? Nur noch ein paar Jahre, die mir bleiben?

Bevor ich einen letzten Versuch starten kann, um mich zu retten, schlägt mir einer der muskulösen Jungs so hart ins Gesicht, dass mir schwarz vor Augen wird.

Kapitel 1 – ZWISCHEN EINSAMKEIT UND KALTHERZIGKEIT

 

Heute

 

Ich stelle den Fernseher leise, um ungestört telefonieren zu können. Anschließend wähle ich nervös Dads Nummer. Es dauert nicht lange, bis er abhebt und seine dunkle Stimme am Hörer ertönt.

»Kira.«

»Hey, Dad«, beginne ich mit freundlicher Stimme, schließlich ist es mein Ziel, ihn von einer Lüge zu überzeugen. »Wie geht’s?«

Meine Hand zittert, während ich das Handy halte und darauf hoffe, dass er mir meine Anspannung nicht anmerkt.

»Mir geht’s gut, und dir?«, antwortet er in einem so distanzierten Tonfall, dass man meinen könnte, er würde diese Frage nur aus reiner Höflichkeit stellen.

»Ja, alles prima.«

Ich schließe ausatmend die Lider und rufe mir meine zurechtgelegte Rede in Erinnerung, mit der ich ihn hoffentlich davon überzeugen kann, zurück nach Talbrem reisen zu dürfen.

»Ich wollte fragen, ob es für dich in Ordnung ist, dass ich heute nach Hause komme. Nur einen Tag wenigstens.«

Seit der Entführung hat sich mein Vater mir gegenüber sehr verändert. Der warmherzige, freundliche Dad, zu dem ich respektvoll aufgesehen habe, ist nun ein fremder Mann für mich. Zuerst brach er unsere regelmäßigen Vater-Tochter-Gespräche ab und antwortete nur noch auf meine Fragen, wenn es sein musste. Danach ging er auf alle Veranstaltungen allein, als würde er mich vor der Öffentlichkeit fernhalten wollen. Ich war kein Teil seines Teams mehr, sondern nur noch die namentlich genannte Tochter, die in ihrem goldenen Käfig festgehalten wird.

»In New York hast du alles, was du brauchst. Deinen Arbeitsplatz und ein ganzes Anwesen für dich. Du brauchst Talbrem nicht mehr«, argumentiert er, was mich umso wütender macht.

Will er mich auch noch von meinem Bruder trennen? Oder von Tante Elaine, Dads Schwester? Das kann doch nicht sein Ernst sein!

Dad und ich haben vor dem Vorfall über alles geredet, Meetings gemeinsam besucht und mit anderen Gesandten neue Gesetze entworfen. Ich vermisse dieses Gefühl und bin zugleich traurig, dass zwischen uns nun eine tiefe Kluft herrscht, die niemand von uns beiden zu überwinden versucht. Ich bin so oft auf ihn zugegangen, doch mehr als seine kalte Schulter zeigte er mir nicht. Er antwortete in knappen Sätzen und versuchte, unser Gespräch schnell zu beenden.

Meine eigentliche Arbeit in Talbrem wurde in die Menschenwelt verlegt – genauer gesagt in ein altes Anwesen in New York, an einen Schreibtisch. Dad ist sozusagen mein Chef, da er als Gesandter für die Regierung arbeitet. Besprechungen führe ich nun über einen Videochat, Daten und Fakten erledige ich an meinem Computer und alles andere wird bestmöglich von New York aus koordiniert.

Ich weiß, weshalb Dad sich verändert hat. Er ist so geworden, weil Cameron mir mein Herz nahm und er sich die Schuld dafür gibt. Er versinkt immer tiefer in dieser Reue, je mehr Zeit vergeht und je näher damit der Moment rückt, in dem meine endet. Durch mein verlorenes Herz bin ich nicht wirklich krank oder körperlich beeinträchtigt. Die Entnahme hinterließ zwar einen seelischen Schmerz und das laute Ticken einer Uhr in mir, aber mehr ist nicht geschehen.

Wir wissen nicht, wann der plötzliche Tod einsetzen wird. Ein Arzt wäre in der Lage, kurzfristig festzustellen, ob es bereits morgen oder in ein paar Tagen passieren könnte. Durch besondere Tests kann man einen ungefähren Zeitraum abschätzen, in dem ich meinen letzten Atemzug tue, aber bisher habe ich mich davor gesträubt. Ich will nicht wissen, wann ich sterbe.

Und ja, auch an mir nagt dieses Thema. Ich fühle mich, als hätte ich die Diagnose ›Krebs im Endstadium‹ erhalten, und muss nun mit dem Gedanken leben, dass morgen vielleicht mein letzter Tag ist. Manchmal kann ich deswegen nächtelang nicht schlafen und versuche mit aller Kraft, mich davon abzulenken, um nicht erneut in ein Tief zu fallen.

Die Einsamkeit in New York und die Langeweile haben mich damals fast zerfressen. Jeden Morgen musste ich darum kämpfen, mich aus meinem Bett zu quälen, mir einzureden, dass nicht alle Hoffnung vergebens ist. Aber das fiel mir nicht leicht, weswegen regelrechte Tränenausbrüche und Wutanfälle meine Stimmung trübten. Ich fühlte mich wie ein Vogel mit gebrochenen Flügeln, eingesperrt in einem engen Käfig, weder eine Familie noch ein Ziel vor Augen. Mein Alltag bestand eine sehr lange Zeit aus Arbeiten, Spazierengehen, Fernsehen und Trübsalblasen.

Als mich schließlich Emily besuchte, fasste ich dank ihrer aufbauenden Worte und ihrer Hartnäckigkeit das erste Mal wirklich Fuß in meiner aussichtslosen Situation. Wenn es meine beste Freundin nicht gegeben hätte, würde ich mich noch heute unter einer Decke verkriechen.

Tränen bahnen sich einen Weg in meine Augen, doch ich blinzle sie schnell weg. »Bitte, Dad. Du kannst es mir nicht verbieten, Talbrem zu besuchen. Es ist genauso mein Zuhause wie deines. Außerdem würde ich ja nur eine Nacht bleiben und keine ganze Woche.«

Ich lasse meine Stimme mitleiderregend klingen, damit er spürt, wie sehr ich meine wahre Heimat vermisse.

Es wird für einen Moment still am Telefon und ich glaube, zu ahnen, dass mein Vater über die Entscheidung nachdenkt.

»Ich finde, das ist keine gute Idee.«

Meine Muskeln beben vor Anspannung und ich versuche, so gut es geht, meine Wut unter Kontrolle zu bringen. »Hör zu, Dad. Dass ich nun hier lebe, ist die eine Sache, aber glaube ja nicht, dass du mich auch von Luca fernhalten kannst. Er hat bereits jetzt schon ein schweres Leben und braucht mich.«

Er zögert noch immer. »Ich –«

»Ich habe meinen Bruder seit Wochen nicht gesehen. Komm schon. Eine Nacht. Nicht mehr.«

Dad seufzt, doch als die folgenden Worte über seine Lippen kommen, überschwemmt mich die Erleichterung.

»Eine Nacht. Nicht mehr«, wiederholt er. »Ich sage Carl Bescheid. Er wird dich gleich zum Bahnhof bringen.«

Oh heiliger Talismon, er hat zugestimmt!

Am liebsten hätte ich vor Freude gejubelt, doch ich muss mich beherrschen, damit mein Vater keinen Verdacht schöpft. Zwar stimmt es, dass ich meine Heimat vermisse, aber meine Rückkehr nach Talbrem hat auch noch andere Gründe. Überschwängliche Glückseligkeit ist er von mir nicht gewohnt, da ich seit der Entführung ihm gegenüber ebenfalls kalt und abweisend bin.

Wie er mir, so ich ihm.

»Danke«, sage ich erleichtert.

Mein Vater legt auf.

Mit einem Strahlen im Gesicht lasse ich mich rückwärts aufs Bett fallen und atme tief durch. Es wird immer schwerer, Dad davon zu überzeugen, nach Talbrem reisen zu dürfen. Er glaubt, dass ich in dieser New Yorker Dracula-Festung besser beschützt werde, wobei ich das für vollkommenen Blödsinn halte. Denn es macht keinen Unterschied, wo ich wohne. Cameron könnte überall sein.

Als ich mich erhebe, lausche ich wieder den Nachrichten. Ich schnappe mir aus dem Schuhschrank ein Paar Pumps und kehre damit zum Bett zurück. Da ich nun meinen Plan in die Tat umsetzen kann, wähle ich aufgeregt in meinen Kontaktdaten Emilys Nummer aus, die meiner besten Freundin in Talbrem. Nach dem zweiten Freizeichen geht sie ran.

»Ja, Kay?«

Ich verdrehe die Augen. Ich hasse Spitznamen, doch Emily ärgert mich ab und an damit – was ich ihr aber nicht übel nehme.

»Dad hat mir erlaubt, nach Talbrem kommen zu dürfen«, überbringe ich ihr gleich die gute Nachricht. »Du gehst doch heute Abend mit mir zum Fest, oder?«

Ich versuche, mir meine Schuhe anzuziehen, während Schritte auf dem Korridor ertönen. Jemand klopft an die Tür, öffnet sie und streckt seinen Kopf durch den Spalt. Es handelt sich um unseren älteren Butler Carl. Er räuspert sich und legt die Stirn in Falten. Das grau-weiße Haar hat er heute zurückgekämmt und sich in einen feinen schwarzen Anzug geworfen.

»Ms. Brooks? Soll ich Ihnen beim Packen helfen?«

Ich habe schon längst alles vorbereitet, auch wenn es noch nicht ganz klar war, ob ich nach Talbrem darf.

Ich wende meinen Kopf zu der Stimme. »Nein, danke. Ich bekomme das schon allein hin.«

»In Ordnung, dann warte ich unten auf Sie.«

Die Tür wird geschlossen und als Carls Schritte auf dem Korridor verklungen sind, gebe ich Emily mit einem knappen »Er ist weg« das Zeichen dafür, weiterzusprechen. Der Butler darf nicht mitbekommen, dass ich etwas im Schilde führe, denn er ist die größte Petze, die es in diesem Anwesen gibt.

Ich schnappe mir von meinem schön sortierten Schminktisch ein Haarband, klemme das Handy zwischen Ohr und Schulter und binde mir meine schwarzen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen, damit sie mich nicht stören. Anschließend nehme ich das Mobiltelefon wieder in die Hand.

»Du hast schon gepackt, oder?«, bemerkt Emily, da sie mich von all meinen Freunden einfach am besten kennt.

Ich lächle stolz, auch wenn sie es nicht sehen kann. »Natürlich.«

Mir ist bewusst, dass mein Vorhaben, mit Emily heimlich auf das heutige Fest zu gehen, in den Augen meines Vaters äußerst riskant wäre, aber ich ertrage es nicht mehr, tatenlos herumzusitzen und andere eine Lösung für das Problem suchen zu lassen. Ich möchte nicht gefangen sein, sondern etwas bewirken. Das schaffe ich nur, wenn ich handle. Mein Herz kehrt ganz sicher nicht von allein zurück. Daher muss ich Cameron oder zumindest einen seiner Anhänger finden und dafür sorgen, dass ich mein Herz wiederbekomme. Und bei einem Fest wie dem, das bevorsteht, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ich Erfolg haben könnte.

Die Nachrichtensprecherin zieht meine Aufmerksamkeit auf sich, als sie ihre Stimme hebt. »›Das Lied der Ahnen‹, das Lieblingsfest von Talregnum. Erst letztes Jahr haben unzählige Regierungsmitglieder und auch Botschafter an dieser wundervollen Festivität teilgenommen. Hier haben wir einen kleinen Rückblick des Vorjahres.«

Als die kurzen Videos abgespielt werden, will ich mich wieder Emily widmen, die etwas gesagt zu haben scheint, während ich der Stimme der Nachrichtensprecherin gelauscht habe. Doch dann blicken vom Bildschirm aus eisblaue Augen in meine.

Diese unvorstellbar schönen Farben, die mich an Schnee und Kälte erinnern, gehören zu Kjell Evensen, dem Sohn des I. Gesandten. Einem Kerl, dem man lieber nicht über den Weg läuft, geschweige denn sich mit ihm anfreundet.

»Kira? Hallo? Hörst du mir zu?«, ruft Emily laut durchs Handy und ihre Stimme zerrt mich aus meiner Träumerei.

»Sorry«, sage ich beschämt und schiebe den Gedanken an Kjell beiseite.

Emilys Antwort ertönt erst nach einem genervten Seufzer. »Ich bin mir nicht sicher, ob das eine gute Idee ist. Dein Dad wird ausrasten, wenn er das rausbekommt.«

Ich schnalze mit der Zunge. »Selbst wenn. Es wäre mir egal, Emy. Mein Vater kann mich nicht einsperren, bis ich hier verrecke.«

»Denkst du nicht, er ahnt es bereits?«

»Und wenn schon. Ich habe ihn am Telefon weichgeklopft und er hat zugestimmt. Sobald ich in Talbrem bin, kann mich nichts mehr davon abhalten«, gebe ich entschlossen von mir.

Sie atmet tief aus. »Du und dein Dickkopf … Auf der Party werden nicht nur Freunde und Kollegen sein, sondern auch Verbrecher, die sich auf das Fest schleichen.«

Ich lache freudlos auf. »Wie zum Beispiel Cameron? Es wäre zu schön, um wahr zu sein, denn dann kann ich ihm so richtig in den Hintern treten.«

Dad hat Angst, dass Cameron sich erneut an mir vergreifen könnte, und sucht nicht nur vergeblich nach ihm, sondern auch nach Eldorado. Für mich würde er selbst den Schlüssel aushändigen, nur damit Cameron mir mein Herz zurückgibt. Denn Dad ahnt nicht, wer das Siegel besitzt, das die Tür beschwört, um die Welt betreten zu können.

Diese verdammte Stadt der Vervielfältigung ist meine allergrößte Bürde. Nur ich kenne den Besitzer ihres Zugangs und könnte ihn Cameron verraten, um mein Leben zu retten. Aber das würde ich niemals tun. Nicht nur, weil ich Luca über alles auf der Welt liebe, sondern auch, weil ich es Mom vor vielen Jahren versprochen habe, kurz bevor sie starb, und damit zur Erbin des begehrtesten Geheimnisses in Talbrem wurde.

Als Emily mir damals aus meinem Tief half, sagte sie zu mir, dass ich mich nur selbst fertigmachen würde, wenn ich mich in meinem Zimmer verschanze. Und so erfanden wir gemeinsam Jane Lay. Meine geheime Identität, mit der ich mir meine Freiheit zurückeroberte, die Vater mir nahm.

»Hast du dir dein Outfit schon zurechtgelegt?«, will Emily wissen.

Ich erhebe mich vom Bett, nachdem ich meine Pumps endlich angezogen habe, und werfe mir meine Reisetasche über die Schulter. Mit einem schnellen Klick auf der Fernbedienung schalte ich den Bildschirm aus.

Draußen auf dem langen, edlen Korridor eile ich in die Richtung der Treppe, die zum Erdgeschoss führt. Die Säulen bestehen aus Marmor, das Geländer aus Kalkstein und die Teppiche sind rot mit goldenen Rändern. Alles wirkt wie in einer alten Festung aus dem 15. Jahrhundert.

»Sicher. Wir ziehen das heute Abend durch. Du hast es versprochen.«

Sie seufzt. »Ich muss dir ganz ehrlich sagen, dass ich mich unwohl dabei fühle. Was ist, wenn Cameron dich durchschaut?«

Mir entfährt ein genervter Laut. »Emy, er wird nicht da sein, aber vielleicht seine Anhänger. Er ist nie in der Nähe meines Vaters, weil er zu große Angst davor hat, erwischt zu werden«, erkläre ich, obwohl ich genau das Gegenteil hoffe. Ein kleiner, naiver Teil von mir glaubt, dass Cameron das Risiko, zu erscheinen, dennoch eingeht und ich ihn auf dem Fest erwische. Emily gefiel die Idee von Anfang an nicht, aber als meine beste Freundin will sie mich unterstützen, wo sie kann.

Sie grummelt etwas Unverständliches, das wie ein »Wenn du meinst« klingt, bevor sie weiterspricht: »Und deine Identität?«

»Die werden doch Jane Lay zu sehen bekommen. Wie wir es geplant haben«, flüstere ich nun, aus Angst, Carl könnte es mit seiner Taliducz-Magie wahrnehmen.

Ich lege meine freie Hand ans Treppengeländer und gehe die Stufen hinunter, an deren Ende mich der Butler mit ernstem Blick erwartet. Bevor ich etwas verraten könnte, verabschiede ich mich schnell von meiner Freundin.

»Wir sehen uns später, Emy. Ich muss Schluss machen.«

»Geht klar. Ich bringe die Chips mit, kümmere du dich um den Dip«, sagt sie und ich muss mir ein Grinsen verkneifen.

Wir haben irgendwann eine eigene Sprache entwickelt, mit der wir uns auf jede erdenkliche Weise sofort verstehen. Die Chips sind die Eintrittskarten für das Fest, auf das wir heute Abend gehen werden, und mit dem Dip meint sie Jane Lay.

Was wäre ich nur ohne meine schräge Freundin?

Wir verabschieden uns beide mit einem »Bis später«.

Ich begrüße Carl mit einem freundlichen Lächeln und drücke ihm meine Reisetasche in die Hand.

Draußen öffnet der Butler mir die Tür der Limousine und ich steige ein. Nachdem er ebenfalls auf seinem Sitz Platz genommen hat, schaut er prüfend in den Rückspiegel und ich setze mir eine schwarze Sonnenbrille auf, damit er so wenig wie möglich von meiner Mimik erkennt. Carl würde meinem Vater alles verraten, wenn er wüsste, dass ich wieder einmal etwas Verbotenes vorhabe.

Um von der Menschenwelt nach Talbrem zu kommen, fahren wir auf einen Asphaltplatz in der Nähe des New Yorker Flughafens. Als wir im fünften Untergeschoss eines Parkhauses ankommen, öffnet Carl mir die Tür.

Kapitel 2 – WIEDER ZU HAUSE

 

»Ich denke, ab hier benötigen Sie die Sonnenbrille nicht mehr. In Talbrem ist es bewölkt und windig, Ms. Brooks«, informiert Carl mich.

Ich zucke mit den Schultern und rücke mein Accessoire auf der Nase zurecht. »Ich denke, das entscheide ich selbst vor Ort.«

Du wirst aus meiner Miene nichts lesen können.

Der Butler bestätigt meine Entscheidung mit einem Nicken und schließt das Auto ab, bevor wir uns zum Fahrstuhl aufmachen. Für die Menschen ist er gewöhnlich, bringt sie von einem Stockwerk zum anderen, doch für uns ist er ein Portal nach Talbrem. Wir müssen natürlich darauf achten, dass wir allein im Aufzug sind, wenn wir die Welten wechseln, ansonsten könnte das für Menschen gefährliche Konsequenzen haben. Die Magie würde ihre Körper verzehren, da sie keinen Tali besitzen, der ihnen Einlass in unsere Welt gewährt. Es würde sie sprichwörtlich zerreißen – was eine ziemliche Sauerei wäre.

Wir stellen uns hinter zwei andere Taliducz, die ich an ihren bunten Talis erkenne, die stolz an ihren Armen und Beinen funkeln – für Menschen sind die Steine nicht sichtbar. Es ist nicht außergewöhnlich, hier auf Gleichgesinnte zu treffen, denn in New York leben so einige Taliducz. Schließlich existieren ungefähr drei Millionen von uns auf der Welt, der Großteil hält sich allerdings in Talbrem auf. Der Rest hat beschlossen, sein Leben in der Menschenwelt zu verbringen, wo die Nutzung von Magie allerdings verboten ist. Die Menschen wissen von unserer Existenz nichts, was gut so ist. Es würde nur Chaos auslösen.

Carl und ich lächeln den beiden zur Begrüßung zu, bevor sie in den Fahrstuhl steigen.

Als ich an meine drei Steine denke, die mir vor zwei Jahren gewaltsam entnommen wurden, läuft mir ein Schauer über den Rücken. An der Stelle, an der ich sie verloren habe, glänzt nun eine hässliche Narbe. Wenn ich mit dem Finger darüberfahre, fühlen sich die kreisrunden Stellen der damaligen Talis wie wulstige Brandnarben an.

Carl besteht darauf, den Fahrstuhl allein mit mir zu benutzen, weswegen wir warten, bis der Aufzug zurückkehrt. Wenige Minuten später springen die Türen erneut auf und wir steigen ein.

»Denken Sie daran, Ms. Brooks, dass Ihr Vater Sie abholen wird und ich Sie morgen früh wieder heimbringen werde. Das bedeutet, dass ich um zehn Uhr am Anwesen bin, um Sie zurück in die Menschenwelt zu bringen«, erklärt der Butler mir mit ausdrucksloser Stimme.

»Verstanden, Carl.«

Oh, wenn er wüsste.

Der erste Tali, den alle Taliducz erhalten, sieht aus wie ein ovaler schwarzer Onyx, der den Zugang nach Talbrem ermöglicht. Mein eigener prangt unterhalb des rechten Schulterblatts, neben meinen neunzehn anderen Talis, die ich mir im Laufe des Lebens angeeignet habe.

Steine kann man wie ein Produkt in einem Geschäft kaufen. Manche sind billig, dafür jedoch nicht sonderlich hilfreich oder gar stark. Andere hingegen kosten viel Geld, besitzen aber dementsprechend mächtige Fähigkeiten. Sie sind nicht unzerstörbar. Wenn man nicht richtig aufpasst, können sie zerbrechen oder rissig werden, wodurch die Magie verwirkt und der Stein nutzlos ist.

Carl nimmt einen Schlüssel aus seiner Hosentasche und steckt ihn oberhalb der Bedientasten des Lifts in ein Loch. Dabei dreht er ihn einmal zurück und zweimal nach vorn. Eine kleine Klappe geht über unseren Köpfen auf und ein kuppelförmiger Scanner sucht nach unseren Talis, die den Zugang nach Talbrem ermöglichen. Nach der Erfassung gehen die Fahrstuhltüren zu und der Aufzug setzt sich in Bewegung. Wir fahren hinunter, oder besser gesagt, ohne es körperlich zu merken, nach Talbrem hinein.

Als die Türen sich wieder öffnen, befinden wir uns in einem riesigen Korridor, in dem es Hunderte von Fahrstühlen gibt. Über jedem von ihnen steht die Stadt, in die der Aufzug zurückfährt, wenn man ihn benutzt.

Eigentlich sind die Fahrstühle nicht unbedingt notwendig, um nach Talbrem zu reisen. Ich hätte mich auch mit einem Portal direkt dorthin bringen können, aber Dad mag es nicht, wenn jemand mittels eines Portals in sein Haus gelangt. Außerdem gehört diese Art von Kristallsplittern zu den teureren Talis, was gut mit dem Kauf eines Autos zu vergleichen wäre. Normale Haushalte besitzen ein bis zwei Fahrzeuge, wir – die höheren Klassen – etliche, da wir es uns leisten können. Die Fahrstühle sind für die weniger vermögenden Taliducz praktisch, da sie von der Regierung gestellt wurden und kostenlos nutzbar sind.

Bevor ich nach New York geschickt wurde, musste ich den direkten Zugang zu meinem Zimmer in Talbrem aufgeben, da Dad mir die Möglichkeit verwehren wollte, heimlich zurückzukehren.

Als wir den Korridor hinuntergehen, blicke ich flüchtig auf die leuchtenden roten Digitalanzeigen, auf denen die jeweiligen Städte abgebildet sind. Dubai, London, Washington, Paris, Vaduz, Amsterdam, Warschau und noch viele mehr. Auf den Fluren tummeln sich hektische Taliducz, die ein- und ausreisen.

Als wir das Ende des Ganges erreichen, landen wir in der riesigen Eingangshalle, die mit allerlei Tali-Magie erfüllt ist. Sie prickelt sanft auf meiner Haut, als wäre sie beinahe greifbar.

Dieser Ort wird als Talbrem-Bahnhof bezeichnet, da man von hier aus durch die ganze Welt reisen kann. Vor allem das Fußvolk Talbrems nutzt ihn. Die Reichen verwenden fast nur Portal-Talis, um schnell von A nach B zu gelangen. Aber auch nur, weil sie durch den Besitz dieser Steine viele verschiedene Orte als Teleportpunkt magisch festhalten können.

Ich besitze eine eigene Schatulle dafür – nun ja, ich besaß sie einmal. Dad hat die Steine nach meiner Entführung vorübergehend konfisziert. Einer der zwei Portal-Talis an meinem Rücken ist wirkungslos, da ich vor Dads Augen die Zielpunkte löschen lassen musste. Er hat mich damals direkt in mein Zimmer nach Talbrem geführt. Der andere bringt mich ins Foyer des Regierungsgebäudes von Talregnum – was mir aber nicht weiterhilft, da ich ja in Talbrem wohnen will. Erst wenn ich neue Punkte setze, kann ich den Stein wieder nutzen.

Dad hat wirklich keine Mühen gescheut, was das angeht. Mit einem sogenannten Portal-Aufhebungs-Tali ist man in der Lage, Portalpunkte nicht nur sichtbar zu machen, sondern sie auch aufzulösen. Die Angestellten meines Vaters analysieren daher ab und an die Räume des Anwesens, weswegen meine Chance, einen heimlich zu erstellen, damit zunichtegemacht wird.

Das Gebäude ähnelt einer Flughafenhalle, in der es Essensstände oder sogar Restaurants gibt, die man nutzen kann, während man auf seinen Durchlass oder den Abholdienst wartet. Nur dass hier statt Flugzeugen Aufzüge das Reisen ermöglichen und der Bahnhof auch als Treffpunkt dient.

Als wir auf den Ausgang zugehen, rennt eine Frau in die Arme eines Mannes, der sich im Wartebereich von seinem Sitzplatz erhebt. Er nimmt sie freudig in die Arme und wirbelt sie einmal um seine eigene Achse.

Früher hat Dad mich auch so aufgefangen, wenn wir uns eine Zeit lang nicht gesehen hatten. Er steckte voller Leben und Glück … zumindest vor Moms Tod. Meine Entführung war nicht das erste Ereignis, das ihm so zusetzte.

Ich seufze und wende den Blick ab.

Nachdem wir den großen Platz erreicht haben, der mit wenigen Sitzbänken und Bäumen bestückt ist, erkenne ich auf dem Parkplatz neben der Halle ein auf uns wartendes schwarzes Auto.

»Hier entlang, Ms. Brooks«, ruft Carl und lotst mich zum Wagen.

Bevor ich Carl folge, bleibe ich kurz stehen, schließe die Augen und atme die frische Luft ein. Es tut so verdammt gut, wieder in Talbrem zu sein, der Welt, in der ich geboren wurde. Ich gehöre einfach hierher, weil ich nur an diesem wundervollen Fleck frei sein kann und meine Magie nicht verstecken muss, so wie in der Menschenwelt.

Mit einem glücklichen Strahlen werfe ich einen kurzen Blick auf die hohen Gebäude von Talregnum, das unten im Tal liegt und wie eine Metropole aussieht. Das Zentrum ist in verschiedene Viertel eingeteilt, in denen hochrangige und reiche Taliducz leben. In der Mitte sticht eine silbern glänzende Fassade hervor, die zum Regierungsgebäude gehört und damit das Herz der Stadt kennzeichnet.

In Talregnum befindet sich all das, was es in der Menschenwelt auch gibt. Einkaufsstraßen, große Konzerne und Unternehmen, Banken, talbremische Universitäten, Wohnblöcke … Alles, was eine Großstadt ausmacht.

Ich folge dem Butler und bemerke, wie ein Schatten über mich gleitet. Manche der Taliducz besitzen einen Tali, der sie schweben lässt. Sie surfen sozusagen in der Luft, andere laufen, als würden sie auf unsichtbaren Pfaden gehen.

Wenn ich das erste Mal in Talbrem wäre, würde ich diesen Ort für vollkommen surreal halten. Genau deshalb wird er auch »Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten« genannt. Dabei haben die Vereinigten Staaten einmal diesen Titel getragen.

Im Fahrzeug, zu dem Carl mich führt, erkenne ich durch die Scheiben auf den vorderen Sitzen zwei Schattenumrisse und kann mir denken, um welche beiden Personen es sich handelt. Dad und Paul, der Butler des Anwesens in Talbrem.

Der schlaksige grauhaarige Mann steigt in einem schwarzen Anzug aus dem Wagen und begrüßt uns mit einem freundlichen Lächeln. »Ms. Brooks. Wie schön, Sie nach so langer Zeit wiederzusehen.«

Ich erwidere seine Geste. »Es freut mich auch sehr, Paul.«

Mit seiner Hand deutet er auf den Wagen und öffnet mir die Tür zu den Rücksitzen, die durch getönte Scheiben vor neugierigen Blicken verborgen sind. Bevor ich einsteige, winke ich Carl zu, der Paul meine Tasche reicht und sich mit einem höflichen Nicken verabschiedet.

Als ich sitze, zucke ich zusammen, denn schmale Arme schlingen sich um meinen Körper. Überrascht entdecke ich blaue Augen, die mich sehnsuchtsvoll ansehen.

»Lu«, hauche ich und ziehe ihn liebevoll an mich. Erleichterung überkommt mich, als ich meinen kleinen Bruder wiedererkenne. Ich bin so froh, ihn zu sehen und zu wissen, dass es ihm gut geht.

»Ich habe dich so vermisst, Kira«, nuschelt er glücklich an meiner Schulter.

Als wir uns voneinander lösen, streiche ich ihm behutsam über seine schwarzen Haare, die wir von Dad geerbt haben. Dabei atme ich den Duft von Rosmarin und Orange ein. »Ich dich auch, mein Kleiner.«

Mein Bruder ist eine der wichtigsten Personen in meinem Leben. Dad hält ihn von der Öffentlichkeit fern und wenn jemand nach seiner Herkunft fragt, ist er nur mein Cousin weit entfernten Grades. Es war Moms ausdrücklicher Wunsch, Luca von Talregnum fernzuhalten und ihn vor der Regierung zu verstecken. Nur ich kenne den Grund, weshalb er so streng behütet werden muss.

Luca besitzt in seinem Nacken das Siegel, das die Tür zu Eldorado beschwört. Mein Bruder ist der Schlüssel, nach dem alle suchen. Doch niemand nimmt das Zeichen auf seiner Haut wahr, da ein mächtiger Illusionszauber es versteckt hält, den Mom damals auf meinen Bruder gewirkt hat.

Niemand weiß, dass der VI. Gesandte der Regierung, Adriel Franzis Brooks, einen Sohn namens Luca hat. Nun ja, bis auf die Familie, ein kleiner Teil des Personals und meine beste Freundin. Mein kleiner Bruder führt daher ein sehr eingeschränktes Leben in einem noch viel engeren goldenen Käfig als ich. Er darf die Außenwelt von Talbrem nie betreten, es sei denn, Dad erlaubt es ausnahmsweise. Genau wie heute. Ohne Luca danach fragen zu müssen, weiß ich, dass er Vater angebettelt hat, mich vom Bahnhof abholen zu dürfen. Für ihn bin ich die einzige Person auf der Welt, die sein Leid nachvollziehen kann.

»Wie geht es dir?«, frage ich und drücke ihm einen Kuss auf die Stirn.

»Gut. Aber Dad ist sauer, weil ich wieder darum gebeten habe, mitzukommen«, murrt er.

Mein Blick wandert nach vorn. Dad sitzt auf dem Beifahrersitz, während Paul am Lenkrad Platz nimmt und den Motor startet. Der Anblick meines Vaters schürt die Wut in mir, da ich mir bereits denken kann, dass Tränen geflossen sind, als Luca darum bitten musste. Was soll denn groß passieren, wenn er im Wagen bleibt?

»Hallo, Dad«, begrüße ich ihn in einem gefühllosen Tonfall.

Er schaut kurz über seine Schulter zu mir. »Hallo, Liebling.«

Seine Stimme ist so frostig wie eine Schneeböe.

Ich hasse es, wenn er seine Reue und Trauer an Luca auslässt, der es schon schwer genug hat.

»Du weißt, dass ich deinen Besuch in Talbrem nicht gern dulde«, reibt er mir erneut das leidige Thema unter die Nase, als wir auf die Anfahrtsstraße lenken, auf der sich ein Stau gebildet hat. Am Ende der Strecke gibt es ein Portal, das auf die Talis reagiert, die am Fahrzeug befestigt wurden. Unseres kann bis zu zwanzig Orte bereisen, die sich alle in Talbrem befinden.

Eigentlich sind diese Fahrzeuge überflüssig, aber es gibt Taliducz, die gern den Alltag oder das Leben der Menschen nachahmen und deshalb auf das Autofahren nicht verzichten möchten. Wir verknüpfen unsere Gegebenheiten mit ihren Gewohnheiten, weil wir von ihnen abstammen und es sich im Laufe der Zeit so entwickelt hat.

Außerdem gehört es mittlerweile zur Etikette Talbrems, mit dem Wagen vorzufahren, wenn man jemanden besucht, statt durch ein Portal zu springen und plötzlich vor der Tür des Anwesens zu stehen. So etwas ist bei der High Society verpönt und wirft ein schlechtes Licht auf denjenigen. Es sei denn, man ist gut befreundet oder verwandt. Allerdings sollte man ein gewisses Vertrauen zueinander besitzen, bevor man die Etikette ignoriert und einfach durch ein Portal hereinspaziert kommt. Selbst bei Emilys Zuhause würde ich so etwas niemals machen, aus Respekt ihren Eltern gegenüber.

Ich zucke mit den Schultern und tue so, als wäre es mir gleich. »Mir ist bewusst, dass du mich nicht gern duldest.«

Als wir immer weiter nach vorn rollen, gibt Paul auf einem Tastenfeld eine dreistellige Zahlenkombination ein, die den Tali aktiviert, der uns das Portal zu unserem Anwesen öffnet. Der stählerne Ring, durch den jede Art von Fahrzeug fahren kann, bildet eine riesige Scheibe, die wie ein schwarzes Loch wirkt. Paul tritt aufs Gas und wir fahren auf die andere Seite.

Durch ein Portal zu gehen oder zu fahren, spürt man nicht einmal – nun ja, bis auf die plötzliche Veränderung der Temperatur oder der Luft. Es ist, als würde man einen anderen Raum betreten. Der einzige Nachteil an Portalen ist, dass sie sich erst nach fünf Sekunden schließen, da die Magie ihre Zeit braucht, bis sie sich aufgelöst hat. Wenn man also verfolgt wird, sollte man sich erfolgversprechendere Fluchtmöglichkeiten suchen.

Wir landen in unserem eigenen Parkhaus, das sich direkt unter dem Anwesen befindet. Paul hält zwischen Dads anderen überflüssig teuren Autos und öffnet uns anschließend die Tür.

Mein Vater räuspert sich, als er aussteigt. »Ich habe eure Tante Elaine gebeten, heute Abend nach euch beiden zu sehen«, sagt er an mich und Luca gewandt.

Ich erhebe mich ebenfalls vom Sitz und trete auf den asphaltierten Boden. Mein Bruder tut es mir gleich. Dads Aussage quittiere ich mit einem weiteren Schulterzucken und folge Paul zum Aufzug, den der Butler mit einem speziellen Schlüssel öffnet.

Für einen kurzen Moment überlege ich, ob Tante Elaine meinem Plan im Weg stehen könnte, schließlich werde ich heute Abend nicht da sein, um mich mit ihr zu beschäftigen, sondern stattdessen auf das Fest gehen.

Am liebsten hätte ich wütend gegen die Wand neben mir geschlagen. Dad traut mir nicht und sein Argwohn muss gestiegen sein, als ich ihn erneut darum gebeten habe, nach Talbrem kommen zu dürfen. Er ahnt, dass ich etwas vorhabe.

Wäre ja nicht das erste Mal.

Genau aus dem Grund hat er wohl Tante Elaine hierherbestellt. Sie soll ein Auge auf mich haben.

Clever, Dad. Aber nicht clever genug.

Es wird mich nicht davon abbringen, meinen Plan in die Tat umzusetzen. Ich werde eine Lösung finden.

»Ich habe Tante Elaine lange nicht gesehen«, gebe ich mit einem Lächeln zurück, um mir keine Unsicherheit anmerken zu lassen.

Als die Aufzugtüren sich schließen, sieht Dad mich noch ernster an. »Ich warne dich nur ein einziges Mal, Kira. Wenn du mit deinem Besuch irgendetwas bezweckst, wirst du Ärger bekommen.«

Ich schnaube empört.

Es tut mir leid, Dad. Ich hasse es, diese böse Trumpfkarte zu benutzen.

»Ja, lass uns streiten, so kurz vor dem Ende …«

Ich bin nicht stolz darauf, immer wieder auf demselben Thema herumzureiten. Allerdings hoffe ich inständig, dass er dann endlich damit aufhört, seine Wut auf Cameron an mir auszulassen.

Dad schweigt und senkt seinen Blick. Er weiß, dass er im Unrecht ist, aber seine Angst gewinnt jedes Mal und drängt ihn dazu, mich unter allen Umständen beschützen zu müssen. Er hat Mom verloren und er fürchtet sich vor dem Gefühl, erneut eine weitere geliebte Person gehen lassen zu müssen.

Mir geht es nicht anders. Ich will, dass niemand wegen mir leiden muss, nur weil ich bald nicht mehr da sein werde.

Dad entfernt sich nicht nur von mir, sondern auch von Luca. Nach meinem Tod wird er ihn wohl nicht einmal mehr die Sonne sehen lassen.

Ich lege ein künstliches Lächeln auf meine Lippen und will mich an die Hoffnung klammern, mein Herz zurückzuholen – ganz gleich, wie weit entfernt dieses auch ist. Wenn ich ebenfalls nicht mehr da bin, wird mein Vater sich vor anderen verschließen. Dabei braucht Luca jemanden an seiner Seite.

Die Aufzugtüren öffnen sich und ich atme den Duft von Orange und Rosmarin ein. Luca riecht immer danach, weil er sich am meisten von allen zwischen diesen Wänden aufhält. Das ganze Haus duftet so, da wir Talis angebracht haben, die dieses Aroma versprühen.

Dad bleibt auf dem Flur stehen. »Elaine wird gegen acht Uhr hier sein. Macht bis dahin keine Dummheiten. Ich komme spät nach Hause, also denke ich, dass wir uns erst morgen sehen.«

Er macht auf dem Absatz kehrt und läuft den riesigen Korridor hinunter, in die Richtung seines Arbeitszimmers.

Paul tritt vor und verneigt sich höflich. »Wenn Sie mich brauchen, ich bin jederzeit für Sie da. Ich werde das Abendessen vorbereiten.«

Als auch der Butler verschwunden ist, ergreift Luca meine Hand. »Kira, was hast du damit gemeint, als du sagtest ›Ja, lass uns streiten, so kurz vor dem Ende …‹?«, wiederholt er meine Worte und in mir zieht sich etwas zusammen.

Mist, ich habe meinen Bruder vollkommen ausgeblendet, als ich diese Wörter ausgespuckt habe. Und nein, mein Bruder weiß nichts von meinem verschwundenen Herzen, da es ihn in dasselbe schwarze Loch werfen würde wie einst bei Moms Tod.

Als die Elite mich nach der Übergabe des Lösegeldes bewusstlos im Keller gefunden hatte, brachten sie mich ins Krankenhaus. Ein Arzt, den Dad schon seit seiner Jugend kennt, hat sich um mich gekümmert und ist außer meinem Vater, Emily und Tante Elaine der Einzige, der von meiner Herzlosigkeit weiß.

Ich lege Luca einen Arm um die Schultern und tue sorglos. Mit seinen elf Jahren hat er fast meine Größe erreicht. »Damit meine ich das Ende unserer Freundschaft, wenn er sich mir gegenüber weiter so distanziert verhält«, erkläre ich und zwinkere ihm zu.

Luca seufzt und lässt traurig den Kopf hängen. »Denkst du, Dad hat irgendwelche Probleme? Du arbeitest doch mit ihm zusammen. Hast du etwas mitbekommen?«

Ich verdrehe die Augen und tue, als wären Dads Launen keine große Sache. Es würde mir Bauchweh bereiten, zu wissen, dass Luca unter seinem herzlosen Verhalten leidet. Deshalb gebe ich immer vor, dass unsere Familie keine Probleme hätte und Luca sich in all seiner Einsamkeit nicht den Kopf zerbrechen müsse. Denn das würde ich nicht ertragen.

»Luca, Dad ist sehr beschäftigt und er hat manchmal viel um die Ohren. Dann ist er nur etwas müde und erschöpft, verstehst du?«

Er nickt und schweigt.

Ich hoffe, er glaubt mir.

Wir laufen den Korridor entlang und ich betrachte den einzigartigen Stil des Hauses. Das Anwesen in Talbrem ist mir lieber, da es viele große Fenster gibt, Natursteinwände, schwarzgrauen Granitboden, einen Brunnen im Foyer und viele Schlingpflanzen, die den Ort zu etwas Idyllischem machen. Unsere Familie war schon immer naturverbunden, doch nur in Talbrem ist es möglich, Dinge zu tun, die in der Menschenwelt undenkbar wären. Deshalb können wir gezähmte Tiger oder herumfliegende Papageien im Haus wohnen lassen, wovon der eine normalerweise viel zu gefährlich wäre und der andere wohl wegfliegen würde. Mit Magie manipulieren wir ihre Instinkte, um sie an das Haus anzupassen. Dank unserer Talis gibt es keine Grenzen. Sie machen den Ort zu etwas Lebendigem und genau aus dem Grund bin ich lieber hier als in dem alten Graf-Dracula-Schloss, wie ich das Anwesen gern betitele.

Wir laufen die Treppe hinauf, deren Geländer aus massivem Vollholz besteht. Efeu hat sich darum geschlungen und durch die riesigen Fenster scheint die Sonne herein, die sich durch den Wolkenschleier am Himmel drückt.

Ich grinse breit und nehme die Sonnenbrille von der Nase.

Von wegen bewölkt und windig, Carl.

Oben in Lucas Wohnabteil, das so groß wie die Wohnung einer sechsköpfigen Familie ist, setzen wir uns auf sein Himmelbett.

»Wenn Dad oder Elaine nicht da sind, ist Paul immer in meiner Nähe«, erklärt Luca und spielt am Saum seines weißen Hemdes herum. »In den letzten Tagen bin ich öfter allein, weil niemand für mich Zeit hat.«

Ich senke traurig den Blick und nehme tröstend seine Hand. »Ich bin auch eingesperrt, weißt du. Dad lässt mich nirgends mehr hingehen und das liegt daran, dass er Angst um uns hat. Durch seinen Job bei der Regierung hat er mehr Feinde als Freunde. Er glaubt, dass diese sich an seinen Schwächen vergreifen, und Dads Schwäche sind wir beide, Luca.«

Er nickt verständnisvoll. »Aber niemand weiß doch, dass es mich gibt. Selbst wenn Dad hohen Besuch bekommt, ist es mir ausdrücklich verboten, mein Wohnabteil zu verlassen.« Er schüttelt den Kopf und erhebt sich mit geballten Fäusten. »Wieso macht er das, Kira? Dich kennen sie doch schon!«

Ich weiß, dass ich wieder eine böse Karte aufs Spielfeld bringe, doch damit Luca keinen Verdacht schöpft, habe ich keine andere Wahl, als auf Dads Seite zu stehen.

»Und was ist mit mir passiert, Luca?«

Den Vorfall vor zwei Jahren hat er mitbekommen, da er überall in den Medien war. ›Tochter des VI. Gesandten entführt. – Entführer fordern hohes Lösegeld. – Tochter des VI. Gesandten schwer verletzt im Krankenhaus aufgenommen. – Kira Brooks durch Lösegeld befreit.‹

Dieser Mistkerl hat nicht nur mein Herz bekommen, sondern auch jede Menge Kohle, was sozusagen der Trost dafür sein soll, dass Cameron noch immer nicht den Schlüssel zu Eldorado in Händen hält.

Ich hole leise Luft. »Denkst du, das Geschehen vor zwei Jahren habe ich bereits vergessen? Ich habe noch immer Albträume und Angst davor, dass mir so etwas wieder passiert. Ich bin froh, von Vater beschützt zu werden. Diese Mistkerle haben mich gequält und schrecklich behandelt. So etwas würde ich niemandem wünschen.«

Okay, das war nur die halbe Wahrheit. Natürlich bin ich gegen meine Gefangennahme in meinem eigenen Zuhause, aber Luca soll verstehen, wie wichtig es ist, ihn zu behüten. Wenn irgendjemand von seiner Existenz erfährt, würde man herausfinden wollen, weshalb Dad ihn so abschottet. Selbst einige der Angestellten wissen nicht einmal, dass Luca hier lebt.

Mein Bruder sieht mich noch eine Weile skeptisch an, als würde er mir nicht glauben wollen. Doch als ich ihn anlächele, weicht auch seine zweifelnde Mimik. »Tut mir leid, Kira. Aber dieses Leben ist so schwer, wenn man so viele Einschränkungen und Verbote hat.«

Ich verstehe meinen kleinen Bruder nur zu gut. »Komm her«, flüstere ich und strecke meine Arme nach ihm aus. Er lässt sich von mir an sich ziehen. »Ich versuche, Dad dazu zu überreden, dass ich öfter hierherkommen darf, in Ordnung?«

Er nickt und in seinen Augen kann ich einen kleinen Hoffnungsschimmer erkennen. Sein Leben ist härter als meines, auch wenn seine Uhr nicht so laut tickt wie meine. Dennoch besitzt er keinen einzigen Freund, da er nicht einmal eine Schule besuchen darf oder Kontakt zur Außenwelt hat, sondern Privatunterricht bekommt. Außerdem wird sein Drang, nach draußen zu gehen, mit jedem Tag stärker.

Vielleicht können wir eine Lösung für Luca finden, wenn er etwas älter ist.

»Übst du mit mir? Vor zwei Tagen hat Dad mir einen neuen Tali geschenkt. Ich kann mich jetzt unsichtbar machen«, erklärt Luca euphorisch und springt von der Bettkante. »Warte! Ich zeig’s dir.«