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Mit Hundeblick ins Weihnachtsglück Endlich wieder Weihnachten! Für die fünfunddreißigjährige Elin gibt es keine schönere Zeit im Jahr. Als sie pünktlich zum Advent ihre turbulente Familie besucht, erwartet sie in ihrem verschneiten Heimatdorf eine Überraschung: Ganz unverhofft bekommt sie einen kleinen Hundewelpen geschenkt, der schon bald für Herzklopfen sorgt. Denn kaum hat Elin ein Foto von ihm auf Instagram eingestellt, wird sie von einem Unbekannten angeschrieben, dessen Profilbild einen Hund wie ihren zeigt! Auf leisen Sohlen bahnen sich schnell Gefühle für den mysteriösen Chatpartner an – doch ausgerechnet an Heiligabend bringt mehr als nur eine unerwartete Weihnachtsüberraschung alle Besinnlichkeit durcheinander ...Ein kleiner Welpe führt seine Besitzerin zur großen Liebe – der tierisch romantische Weihnachtsroman »Das Glück liegt unterm Weihnachtsbaum« von SPIEGEL-Bestseller-Autorin Mina Teichert ist die perfekte Winterlektüre für alle Hundeliebhaber und Romantiker!Die Autorin Mina Teichert wurde 1978 in Bremen geboren und lebt heute mit ihrer Familie und zwei Basset-Welpen auf einem Bauernhof. Sie hat bereits erfolgreich Romane, Jugend- und Sachbücher veröffentlicht, darunter den SPIEGEL-Bestseller »Neben der Spur, aber auf dem Weg«.
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Cover & Impressum
Coming home for Christmas
Der erste Schnee
Ode an einen Tannenbaum
Ein Wunder namens George
Weihnachtsbären
Chillen wie ein Schneemann
Leise plätschert der See
Schneeblind
Unsichtbarer Weihnachtswichtel
Mister Grinch
Sternenglanz
Zimteisbomben
Nackt in Lichterketten
Gegen allen Widerstand
Flirt mit Mister Grinch
Brechende Herzen
Offenbarungen
Es weihnachtet sehr
Die verschwundene Oma
Eine böse Geschichte
Mister Santa
Eine schöne Bescherung
Weihnachten
Danksagung
Vielleicht hätte ich vom Gas gehen und einen Gang runterschalten sollen – mein Auto schleudert um die Kurve, ich werde gegen die Fahrertür gedrückt und habe Mühe, auf meiner Spur zu bleiben. Das muss die Vorfreude sein … Mit Herzklopfen, aber unbeschadet biege ich auf die alte Kopfsteinpflasterstraße, die das Jetzt vom Damals trennt, und staune wie so oft nicht schlecht über den Zeitsprung, den ich mache, wenn ich durch Eickstever fahre. Alles in dem kleinen Dorf sieht fast noch genauso aus wie vor dreißig Jahren, als meine Schwester Mieke und ich regelmäßig bei Oma Erna und Opa Henry Ferien machten. Beinahe jeden Winter verbrachten wir auf dem kleinen Bauernhof, den die beiden bewirtschafteten, später Oma allein, und backten Plätzchen, sammelten Tannenzapfen, dekorierten Fenster und bastelten Weihnachtssterne, was das Zeug hielt. Manchmal wurden wir auch im Sommer hier geparkt, wenn unsere Eltern zu viel arbeiten mussten. Und das mussten sie oft als Selbstständige mit einer eigenen Autowerkstatt, die sich keine Angestellten leisten konnte. Heute verstehe ich, was Selbstständigkeit bedeutet; damals war ich oft sauer auf meine Eltern, weil ihr Job grundsätzlich vorging. Manchmal sogar an Weihnachten, der schönsten Jahreszeit überhaupt.
Hach, Weihnachten. An Weihnachten ist das Leben immer in Ordnung, egal, wie sehr es vorher in Schieflage geraten ist. Selbst als meine Eltern sich auseinanderlebten und regelmäßig zu streiten begannen, am Fest der Liebe besannen sie sich eines Besseren, und Frieden hielt Einzug.
Meine Schneekugeln im Kofferraum klirren leise, als die Straße schlechter wird, und ich bremse den Wagen ab. Ups, das war zu doll, hinter mir scheppert es laut, und die oberste Kiste kommt ins Rutschen. Eines meiner Kunstwerke fällt heraus und landet im Fußraum. Glas zersplittert, Wasser und Schnee ergießen sich auf die schwarze Matte, und der kleine Nikolaus aus dem Inneren der Schneekugel verliert seinen Kopf. Kurz sitze ich in einer Erinnerung fest, in der ich selbst aus Wut einen meiner Lieblinge an die nächste Wand meiner Wohnung warf. Männer können einen zum Äußersten treiben.
Schnell schüttle ich das Nachsinnen über Liebeskummer ab und konzentriere mich wieder auf die schmale Straße vor mir. Raureif glitzert auf ihr und überzieht die Natur ringsum mit einem eisigen Gewand, und ich sauge den wundervollen Anblick in mich auf. »Nichts ist so gut gegen schlechte Gedanken wie eine Winterlandschaft«, sagt Oma Erna gern. Und ich kann ihr da nur beipflichten. Ich vermute, dass ich meine Affinität zur dunklen und kalten Jahreszeit von ihr habe.
Der Winke-Weihnachtsmann auf der Armatur meines Wagens wackelt zustimmend mit dem Kopf, und ich muss über meinen Lieblingsbegleiter lächeln, dessen rotes Wams die Sonne mittlerweile ganz schön ausgeblichen hat. Nicht jedem beschert der Sommer einen schönen Teint. Auch mir nicht, denn schon im kleinsten Sonnenstrahl wird meine weiße Haut in Nullkommanichts knallrot. Das habe ich eindeutig von meiner Mutter geerbt, ebenso ihr lockiges Feuerhaar und die schmale Zahnlücke zwischen den Schneidezähnen.
Ich passiere die Schneiderei und biege dahinter auf den Himmelfahrtsweg, der mich zum Fichtenhain führt. Er liegt direkt neben Omas Grundstück, dem Tjarkshof, der das Schlusslicht des Dorfs bildet. Vom Gemüsegarten hat man einen wundervollen Blick über die Felder und den von Eis glitzernden Fluss.
Ach, wie herrlich das Landleben ist. Ich sollte überlegen, die Stadt mit ihrem unruhigen Treiben zu verlassen.
Ich kurble das Fenster meines uralten roten Minis herunter und atme die kalte, klare Luft ein. Es schneit bestimmt bald, das kann ich förmlich riechen. Was das Winterwetter angeht, bin ich auf jeden Fall der beste Frosch. Das erzählt zumindest meine Schwester Mieke jedem, der es hören will.
Das Radio spielt das Weihnachtslied Do you hear what I hear von Jordin Sparks, und ich singe aus voller Kehle mit.
Als ich am alten Gutshof der Familie von Daniel vorbeikomme, nehme ich den Fuß vom Pedal. Irgendetwas passt da nicht ins Bild. Nach dem Tod von Opa Gottwald von Daniel stand der riesige Kasten mit seinen imposanten Fachwerkstallungen ewig und drei Tage leer. Nun sieht er renoviert und vor allem bewohnt aus. Also, seit wann ist der Hof wieder zum Leben erweckt? Und viel interessanter: Wer hat hier Hand angelegt? Und wieso hat mir niemand davon erzählt?
»Seltsam«, murmle ich, linse durch die kahle Eichenhecke hindurch und wundere mich über den neumodernen Stil, der die Schönheit und Nostalgie der alten Villa eindeutig zerstört hat. Irgendjemand hat der Fassade einen grauen Anstrich verpasst, das Sonnengelb aus alten Zeiten ist fort, und die Türme haben schmale, spitz zulaufende Fenster bekommen.
Wie schade – steht das Ding nicht unter Denkmalschutz? Hätte man die alten Elemente nicht beibehalten können? Und viel schlimmer: Nicht eine Lichterkette oder Laterne schmückt das Gutshaus. Wie traurig.
Ich bemerke, dass sich jemand hinter den schweren Vorhängen bewegt, und lasse vor Schreck den Motor absaufen. Erkennen kann ich die Gestalt nicht, aber sie ist auf jeden Fall groß. Ertappt hebe ich die Hand zum Gruß, doch der Stoff wird mit einer schnellen Bewegung wieder zugezogen und mein Blick ausgesperrt. Wie peinlich, was sollen die Bewohner denn jetzt von mir denken?
»Was wohl, Elin? Zu blöd zum Autofahren und neugierig wie die Stasi«, antworte ich mir selbst, während ich den Schlüssel im Zündschloss drehe. Mein Auto mit dem wunderschönen Namen Rudolph schnurrt wie ein Kätzchen, und ich fahre vorsichtig an, stelle mein Radio lauter, bevor sich dieses schrecklich unweihnachtliche Bild in mein Hirn brennt, und lausche Sleigh Bells.
Dumm nur, dass ich es nicht lassen kann, in den Rückspiegel zu gucken, als ich eine Bewegung hinter mir ausmache. Ein Mann in Anzug hetzt zu seinem teuren Auto, steigt ein und fährt viel zu schnell los. Ich habe kaum Zeit, um auszuweichen, als er vom Hof donnert und mich beinahe schneidet.
»Na, frohes Fest!« Meine Reifen drehen durch, ich lenke gegen, und das Bodyboard und der Schwimmreifen meines Exverlobten Stefan, die ich ganz oben auf die Kisten der Rückbank als Geschenke für die Kids meiner Schwester gequetscht habe, landen auf dem Beifahrersitz und erinnern mich an das Loch in meinem Herzen. O nein! Nicht denken, nicht, aus … Ich schlucke, beginne den Text des Weihnachtslieds mitzuschmettern, um zu verhindern, dass sich Stefans Gesicht vor mein inneres Auge schiebt. Er hat letztes Jahr zu einer unsäglich unpassenden Zeit mit mir Schluss gemacht. An Heiligabend. An einem Tag, den ich eigentlich mit meiner Familie hätte verbringen sollen und es dennoch nicht getan habe, aus Liebe zu ihm. Weil ihn als Einzelkind einer kleinen Familie das wilde Treiben meiner Bande von Jahr zu Jahr mehr überforderte, bis wir schließlich zu Hause blieben und bei uns feierten.
»Ich will das Fest der Liebe mit dir allein genießen«, wie er gern betonte. Und dann das.
Diese Altlast steckt mir noch immer in den Knochen, und es wird Zeit, dass ich die Dinge, die er nie abgeholt hat, loswerde. In den letzten Wochen ist mir immer klarer geworden, wie unterschiedlich wir beide sind. Doch die Frage, warum zum Geier mir das ganze acht Jahre lang nicht aufgefallen ist, geht in einem Ringdingelingelingaus dem Radio unter.
Ich grinse irre und trete aufs Gas, als ich endlich durch den Fichtenhain rausche und bald darauf die großen Eichen passiere, die die Hofeinfahrt zum Tjarkshof säumen. Sie flechten ihre kahlen Äste ineinander und bilden ein mit Lichterketten geschmücktes Dach. Ich bin verzaubert von dem Glitzern, das über mir schwebt, während ich unter ihnen hindurchtauche und auf das rote Backsteinhaus zuhalte. Miekes Jeep parkt vor der windschiefen Scheune, in der einst drei Kühe standen, die für frische Milch am Morgen sorgten. Ich kann sie beinahe riechen, die Milch, und die Zimtsterne, die Oma darauf bröselte, um dem Getränk das gewisse Etwas zu verleihen.
Ich parke vor dem Wohnhaus, dessen altes Dielentor durch eine wunderschöne Glasfront ersetzt wurde. Im Inneren brennt der Kamin, und noch ehe ich Rudolphs Motor ausgestellt habe, fliegt die blaue Seitentür des Bauernhauses auf, und Mieke winkt mir zu. Mein Herz hüpft.
»I’m coming home for Christmas!«, rufe ich ihr beim Aussteigen zu, und wir fallen uns in die Arme. Ich drücke sie fest an mich, sauge ihren Geruch ein und schließe einen Moment lang die Augen, bevor ich meine Finger über ihre Rippen tanzen lasse. Sie ist schlank geworden und hat ihre Haare, die ihr früher weit über die Schultern fielen, zu einem kurzen akkuraten Bob geschnitten.
»Hey, nice. Ich mag deine Frisur«, sage ich und nehme Abstand, um sie genauer zu begutachten. Ihre Wangen sind rosig wie immer, wenn sie aufgeregt ist, und ihre wasserblauen Augen sehen wie das Spiegelbild meiner eigenen aus.
»Danke, war nicht meine Idee.« Sie zieht eine Grimasse, und ich stutze.
»Wessen denn dann? Wollte Noan eine andere Frau in seinem Bett?«, scherze ich und knutsche sie auf den Haaransatz.
»Nein, es waren die Zwillinge und ein Spiel, das sich Schnappschnapp-Haare-ab nennt.« Mieke seufzt. »Da schläft man einmal am Nachmittag auf der Couch ein, wacht wieder auf und hat nicht mehr alle Locken am Kopf.«
Ach du meine Güte! Meine Lippen formen ein O. Ich weiß nicht recht, was ich dazu sagen soll, also halte ich lieber den Mund und spare mir nichtfachmännische Erziehungsratschläge.
»Aber toll, dass du endlich da bist«, zwitschert Mieke in mein Ohr, als sie mich noch einmal an sich drückt. »Du siehst super aus, Haare gefärbt?«
»Ein bisschen«, gebe ich die unechten blonden Strähnchen im roten Haar zu und nehme ihre warmen Hände in meine. Sie trägt ein Pflaster am Daumen und zuckt unter meiner Berührung zurück.
»Auch die Zwillinge?«
»Nein.« Sie lacht. »Wusstest du, dass Backöfen total heiß werden, wenn man Kekse in ihnen backt?«, fragt sie ironisch, entzieht sich mir und öffnet im nächsten Moment ganz selbstverständlich den Kofferraum meines Autos, um meine Sachen auszuladen. Als hätte sie Sorge, ich könnte es mir anders überlegen und wieder davonfahren, wenn sie mein Gepäck nicht kidnappt. Der Wind frischt auf und fährt mir ins Kleid. Sofort huscht eine Gänsehaut über meinen Rücken.
»Hätte Oma dich nicht warnen können vor der Hitze des bösen Backofens?«, spiele ich auf unsere Kindertage an, als Oma uns einen enormen Schrecken einjagte, indem sie jedes Mal, wenn wir dem alten Kohleofen zu nahe kamen, so laut brüllte, dass selbst der Letzte im Dorf es hätte hören müssen: »Vorsicht! Ganz heiß!« Nicht immer waren wir darauf vorbereitet, und ich muss zugeben, es fruchtete. Irgendwann fügte Oma dann noch hinzu, dass wir uns nur in der Nähe des Ofens aufhalten durften, wenn wir fett genug seien, was dazu führte, dass wir ihn von da an ganz mieden. Noch heute mag ich das Märchen von Hänsel und Gretel nicht sonderlich.
»Ach, hör mir auf. Erna macht den Tasmanischen Teufeln echte Konkurrenz«, lässt meine Schwester mich nun wissen und meint ihre kleinen Zwillinge, die sich ihrer Meinung nach nur als Mädchen tarnen und in Wahrheit ganz andere Wesen sind.
»Oma ist doch ein Schatz.« Ich wuchte meinen Koffer mit Sternenprint aus dem Wagen und gleich hinterher die Elchtasche, die mit meiner gut sortierten Auswahl an Wintermützen gefüllt ist.
»Voll und ganz auf Weihnachten eingestellt, was?« Mieke grinst und greift sich auf meine Bitte hin den obersten Karton mit Schneekugeln, die ich speziell für jedes einzelne Familienmitglied angefertigt habe. Für Mieke eine mit einem Herzen aus Eis mit funkelndem Glitter und für ihre Mädchen Einhörner in Schneelandschaften, die sich je nach Winkel verändern und aufbäumen.
Ich lasse meiner großen Schwester den Vortritt in ihr Haus und bewundere, was Noan und sie daraus gemacht haben. Der Flur, der bei meinem letzten Besuch noch zum Teil Stall war, ist mit weißen Holzdielen ausgelegt, und die dunklen Fachwerkbalken fügen sich in die helle Optik des großzügigen Hauses wunderbar ein. Man ist sofort mitten im Geschehen, der Esstisch dominiert den Raum und ruft einen förmlich zu sich, um an ihm zu verweilen. Während Mieke mir aus meiner roten Tweedjacke hilft, um sie an die Garderobe aus Hirschgeweihen zu hängen, lasse ich meinen Blick schweifen. Sie müssen neue Wände gezogen haben, die Raumaufteilung ist anders. Ich drehe mich um die Achse und stolpere über einen Inlineskater.
»Hoppla«, stößt Mieke aus und stützt mich, bevor ich falle. »Hier musst du immer ein wenig aufpassen, wo du hintrittst. Die Kids lassen alles herumliegen.«
»Brauche ich eine Unfallversicherung?«, frage ich vorsichtshalber nach, als ich die beiden kleinen Mädchen bemerke, die sich halb hinter der Ecke zur Küche verstecken. Ich habe sie beinahe zwei Jahre nicht gesehen, und sofort ereilt mich ein schlechtes Gewissen, weil ich so sehr mit mir und meinen Lebensumständen beschäftigt war. Aber ein Geschäft aufzubauen ist nun mal nicht leicht. Besonders für eine Chaotin wie mich. Und den Verlust der Mutter verarbeitet auch jeder anders.
»Hey, ihr beiden Süßen.« Ich hebe meine Hand zum Gruß, und die beiden Lockenköpfe über moccafarbenem Teint, den sie von ihrem Papa geerbt haben, sehen sich skeptisch an.
»Ist das etwa Tante Elin?«, fragt eines der Mädchen, das eine prägnante Zahnlücke hat, die sie als Nane enttarnt.
Libi, ihre Schwester, runzelt die Stirn auf die gleiche Weise, wie Mieke es gern tut. »Nee, ich glaub nicht. Die sah auf den Bildern irgendwie anders aus.«
Oje, die meinen mein Gewicht. Ganz sicher. Ich lächle, und Mieke kommt mir zu Hilfe.
»Wo ist euer Anstand geblieben? Kommt gefälligst hierher und sagt richtig Guten Tag, sonst petze ich es dem Weihnachtsmann«, meckert sie, und die beiden parieren. Fast denke ich, sie wollen mich mit ihren ausgestreckten Armen umhauen, doch dann packt jede von ihnen beherzt eine meiner Hände und rüttelt daran.
»Guten Tag und allerherzlichstes Willkommen«, zirpen sie.
»Hallo, ihr Lieben. Ihr seid echt groß geworden«, stelle ich fest und nehme wahr, wie die beiden schelmische Blicke tauschen.
»Das kommt von der guten Landluft, sagt Oma«, antworten sie im Chor und stellen sich sogleich auf die Zehenspitzen.
»Ach so? Na dann guck ich mal, ob ich auch noch ein bisschen wachse.« Täte mir gut bei meinen mickrigen einszweiundsechzig. Model wird man damit nicht. Auch nicht Curvy-Model.
»Kannste ja probieren, aber ich glaub, das wird nichts mehr.« Libi bohrt ungeniert in der Nase und rollt den ergatterten Popel zu einer hübschen kleinen Kugel.
Mieke seufzt lang gezogen. »Ach, Libi. Wie alt bist du? Zwei?«
»Musst du doch wissen, du bist meine Mama«, antwortet die Kleine, während sie den Popel an ihrem braunen Cordkleid mit Blumenprint abwischt, das exakt das gleiche ist wie das ihrer Schwester Nane.
»Bestehen die Mädchen immer noch darauf, die gleichen Klamotten zu tragen?« Ich stelle meinen Koffer ab und gehe in die Hocke. »Wer von euch ist eigentlich die Ältere?«, frage ich, obwohl ich weiß, dass es Libi ist, die ganze acht Minuten früher auf die Welt kam.
»Warum?« Die Frage kommt erneut wie aus einem Mund.
»Na, weil die Ältere natürlich dafür sorgen muss, dass ihr beide einen guten Eindruck beim Weihnachtsmann macht, damit er dieses Jahr garantiert zu euch kommt. Und die Zeit ist knapp, nur noch dreizehn Tage.« Ich gucke auf meine Armbanduhr, als könnte ich dort ablesen, wie viele Stunden ihnen bleiben.
»Dafür ist Phoebe da«, entgegnet Nane. »Die ist nämlich viel älter als wir beide.« Die Zwillinge geben mit den Fingern einen sehr knappen Abstand an, und ich muss kichern. Ihre Teenagerschwester ist ganze elf Jahre früher als die Zwillinge auf die Welt gekommen. Mieke war gerade erst neunzehn und ungeplant schwanger geworden, was für ziemlichen Trubel in der Familie sorgte. In diesem Moment bin ich einmal mehr begeistert, wie toll sie und Noan alles gemeistert und was für tolle Kinder die beiden haben.
»Na gut, hopp-hopp«, mischt sich Mieke ein. »Lauft mal nach oben und holt eure Schwester, dann können wir gemeinsam Kaffee trinken und Weihnachtsstollen essen.«
Die Mädchen beginnen wie verrückt zu klatschen, allem Anschein nach ist Kuchen immer noch ein Zauberwort. Dann singen sie eine eigenartige und sehr schräge Version von Jingle Bells, während sie die Treppe hinaufpoltern. Dabei verliert Libi (oder ist es Nane?) einen Hausschuh und stolpert gefährlich. Mieke zuckt zusammen, lässt beinahe meinen Karton mit den Kugeln fallen, und mir bleibt fast das Herz in der Brust stehen.
»Gott, die bringen mich noch mal ins Grab«, stöhnt meine Schwester. »Wir waren erst letzte Woche mit Libi in der Notaufnahme … Sie hatte sich eine Perle in die Nase gesteckt.«
»Okay.« Seltsame Idee, denke ich und lasse mich von meiner Schwester in die Küche geleiten. Ich erkenne einige alte Möbel, die schon zu Omas Zeiten hier standen. Meine Finger fahren über das Eichenholz des alten Büfetts und stoppen bei einem Zinnsoldaten, der neben der Zuckerfee steht.
Mieke stellt meinen Karton mit den Schneekugeln ab und seufzt: »Ich schwöre dir, die Zwillinge drehen zur Weihnachtszeit noch mal richtig auf. Manchmal denke ich wirklich darüber nach, ihnen Glühwein in den Tee zu geben, damit sie müde werden.«
»Wäre ’ne Idee.« Ich schmunzle und frage mich, wie ich mit hyperaktiven Kindern klarkäme. Nicht, dass sich diese Frage gerade stellt, ich weiß ja nicht mal, ob für mich der Zug nicht schon abgefahren ist. Immerhin bin ich schon vierunddreißig – und weit und breit ist kein Mann in Sicht.
»Tja, was wäre Weihnachten ohne Kinder?«, frage ich, während meine Hände auf der Anrichte eine Keksdose mit Tannenprint finden.
»Billiger«, höre ich eine Stimme antworten, als ich mir gerade einen Keks in den Mund schiebe. Ich wirble herum.
»Oma!«, nuschle ich erfreut und kaue hektisch. Ihr rosiges Gesicht wird von schönem Zuckerwattehaar eingerahmt, und obwohl sie einen Rollator vor sich herschiebt, sieht sie gesund aus, die alte Dame. Und das mit fünfundachtzig stolzen Jahren.
»Ja, wer denn sonst?«, fragt sie mich keckernd. »Schön, dass du dir auch mal die Ehre gibst und vorbeischaust. Ich wusste schon gar nicht mehr, wie du aussiehst«, tadelt sie mich, und ich schließe die kleine Frau in meine Arme.
»Tut mir so leid, ich wollte wirklich viel früher vorbeikommen.« Und wie oft. Bestimmt viermal habe ich meinen Besuch jedoch verschieben müssen, weil entweder wichtige Termine beruflicher Natur dazwischenkamen oder Liebeskummer. Oder die Erkenntnis, dass sich alles verändert hat, seit unsere Mutter nicht mehr da ist. Ihre letzten Jahre hatte sie mit Oma hier gelebt und auf sie achtgegeben.
Ich nehme mir beiläufig vor, eine Schneekugel zu entwerfen, die bei Kummer dieser Art tröstlich sein könnte. Vielleicht eine mit Figuren, aus deren Köpfen sich befreite Vögel erheben und durch die Flocken tauchen wie Fische durch Flussströmungen?
»Erzähl das dem Weihnachtsmann«, brummt Erna und kneift mir in die Wange. Ich komme mir augenblicklich wieder vor wie fünf. Nicht das schlechteste Gefühl – in dem Alter war alles perfekt, und ich fand Jungs noch doof.
»Ach, Omi, ich hab dich so vermisst«, wird mir schlagartig bewusst. Ich lächle und greife ihr unter den Arm, um sie an den Tisch zu führen, damit sie sich setzen kann. Allerdings entzieht sie sich sehr schnell meiner Hilfe, und ich muss an ein Telefonat mit Mieke denken, die sich über Omas Starrsinn ärgerte. Ich kann das Augenrollen meiner Schwester spüren, der Omas Manöver nicht entgangen ist.
»Und, wie geht es dir so?«, frage ich Erna und rücke mir einen Stuhl ganz dicht an sie heran, um ihr so nahe zu sein, wie es geht.
»Bestens, hier ist total viel los. Ständig werde ich zu Veranstaltungen eingeladen«, erzählt sie und schiebt mit einer beiläufigen Bewegung die Keksdose aus meiner Reichweite.
»Ach, Oma«, seufzt Mieke.
»Was denn, ist doch so«, beharrt sie und faltet ihre knorrigen Hände auf der Tischplatte vor dem Adventskranz.
»Veranstaltungen sind doch toll. So was wie Kaffeefahrten oder Seniorentanz?« Ich schaue meine Schwester fragend an, und sie lächelt schief, bevor sie sich abwendet, um Kaffee aufzusetzen.
»Erna meint Beerdigungen. Kennst du noch Amanda Roginsky?«
»Und ob! Die hat mir mal eine mit ’nem Besen übergebraten, weil wir eines Sommers auf die Idee kamen, ihre Kirschen zu pflücken.«
»Die ist tot.« Mieke hört sich unchristlich teilnahmslos an.
»Oh, die Arme.« Tot zu sein ist so endgültig, dass es mir immer ein bisschen Angst macht. Egal, wen es trifft.
»Wieso? Die war krank. Wenn ihr mich fragt, kann sie froh sein, dass sie endlich jemand abgeholt hat«, meint Oma, guckt unschuldig und zündet die Kerzen auf dem Kranz an. »Fragt sich nur, wer das war. Personal von oben oder von unten.«
»Oma!« Mieke sieht jetzt doch entsetzt aus, und ich muss lachen. Oma hat es schon immer rausgehabt, andere aus der Reserve zu locken.
»Mein guter Freund Albert ist ebenfalls über den Jordan gegangen«, plaudert sie weiter und nimmt sich ein Plätzchen aus der Keksdose, ohne mir eines anzubieten. Es hat eine Sternform und rosa Zuckerguss. Sieht lecker aus.
»Das tut mir sehr leid für dich«, sage ich leise. »Ich weiß, wie gern ihr euch hattet.« Seit Opas frühem Tod vor achtundzwanzig Jahren ist Oma allein geblieben, machte aber nach dem Ableben von Alberts Frau vor zehn Jahren immer mal wieder Scherze, dass aus ihnen ja jetzt was werden könne. Obwohl unsere Mutter Mieke und mich gottesfürchtig und mit hohen moralischen Vorstellungen erzogen hat, mochte ich Omas Sarkasmus und ihre derben Scherze schon immer.
»Ja, nun. Gut, dass ich ihm bei unserem letzten Kartenspiel gesagt habe, er solle mir einen Platz neben sich freihalten, falls er zuerst dran ist.« Oma schiebt ihre Unterlippe vor wie ein schmollendes Kind. »Hätte nur nicht gedacht, dass es zwei Wochen später schon passiert.«
Ich lächle traurig und lege meine Hand auf ihre. »Das macht er ganz bestimmt, dir einen Platz im Himmel freihalten.«
Oma runzelt die Stirn und grübelt. »Mieke, da war dieses Jahr doch noch jemand, dem wir die letzte Ehre erwiesen haben?«
»Ja, der alte Müller ist gestorben.« Die Kaffeemaschine brummt und gluckst.
»Richtig.« In Omas blauen Augen blitzt es kurz. »Das war toll, da habe ich zwei meiner alten Schulkameraden wiedergetroffen«, berichtet sie und futtert noch einen Keks. Dann kräuseln sich ihre Lippen, und sie gibt die Keksdose endlich für mich frei. Ich greife zu, streichle sie wie einen Schatz, bevor ich sie öffne.
»Na, wenigstens etwas Gutes, nicht wahr?« Vorsichtig beiße ich einem Weihnachtmannkeks den Kopf ab und fange die Krümel in meiner Handfläche.
»Gut, bis sie Oma gebeten haben zu gehen«, mischt Mieke sich ein, stellt Weihnachtstassen vor uns auf den Tisch und sieht Oma Erna mit einer Mischung aus Tadel und Belustigung an.
»Wie meinst du das?«, hake ich nach, während ich mir den Rest des Gebäcks in den Mund stopfe.
»Oma hat nach der Trauerrede vorgeschlagen, einen Strauß Blumen zu werfen, um zu gucken, wer als Nächstes dran ist.«
Ich pruste los, verschlucke mich an den Kekskrümeln, und Oma zuckt unschuldig mit den Achseln. »Die haben alle gar keinen Humor.«
»Oma, so was kannst du doch nicht machen! So ein Witz schockiert die trauernden Familienangehörigen.« Als unsere Mutter beerdigt wurde, hätten wir so einen Scherzbold bestimmt geteert und gefedert. Selbst Oma.
»Der Tod gehört zu uns, Täubchen. Er ist ein Schatten zwischen Tag und Nacht und liegt stets über uns allen. Ohne Ausnahme«, säuselt sie, als trüge sie ein Gedicht von Shakespeare vor.
»Wo sie recht hat …«
Ich bemerke erst jetzt, dass sich jemand unserer Runde genähert hat. Auch Oma zuckt zusammen und legt im nächsten Moment ihre Hand auf die Brust.
»Herrgott noch eins, Phoebe. Dir binde ich bald ein Glöckchen um den Hals, damit du dich nicht immer so anschleichst«, meckert sie laut. Ich muss grinsen; diesen Ton hatte sie früher schon gut drauf. Eine Mischung aus Feldwebel und Frau des Weihnachtsmanns. Hart, gleichzeitig jedoch rund, lieb und überschwänglich.
Phoebe reicht mir wohlerzogen die Hand. Ihre braunen Korkenzieherlocken stehen ihr wirr vom Kopf ab, als käme sie gerade aus dem Bett. Vorn auf ihrer Nase prangt ein fieser Teenagerpickel, den sie versucht hat, mit Make-up zu verdecken, was ihr allerdings misslungen ist, da er dadurch noch mehr auffällt. Sie trägt eine schwarze Adidas-Leggins und einen weiten Pullover dazu. Ihre Haut hat einen etwas helleren Ton als die der Zwillinge, und ihre Haare haben einen leichten Rotstich, der sich ganz klar vonseiten der Tjarksfamilie durchgemogelt hat.
»Ich hab so einiges an Weihnachtsglöckchen im Wagen. Vielleicht nehmen wir eines davon?«, schlage ich fröhlich vor, und die Miene des Teenagermädchens wird eisig. Holla, die Waldfee! Bei unserem letzten Treffen war sie noch zutraulicher.
»Hallo, Tante Elin, wie geht es dir?«, leiert sie eine Anstandsfrage herunter.
»Super, und dir?« So schnell lasse ich ihre Hand nicht wieder los. »Und freust du dich schon so sehr auf Weihnachten wie ich?«
»Keiner freut sich so übertrieben darauf wie du, mein Herz«, erinnert mich Mieke, gießt dampfenden Kaffee in meine Tasse und flucht, als sie kleckert.
»Sag mal, wer ist eigentlich im alten Gutshof eingezogen?«, mache ich einen Gedankensprung. Phoebe entzieht mir ihre schlanke Hand.
»Der Junior von Daniel. Der hat den alten Kasten aus den Schulden gelöst, sagt man.« Mieke kippt auch noch die Milch daneben, als Phoebe aus Versehen an den Tisch stößt, während sie sich mit sauertöpfischer Miene zu uns setzt.
»Das ist voll der Spacken«, teilt sie uns ihre Meinung mit. »Clarissa sagt, der ist wie seine Eltern: versnobt bis zum geht nicht mehr.«
»Ach ja?« Ich kann mich müde daran erinnern, dass die von Daniels drei Söhne hatten. Allesamt dezent unangenehm. Aber gut aussehend.
»Das Einzige, was an dem interessant ist, sind seine Autos«, ergänzt Phoebe und angelt ein Handy aus der Aufnähtasche ihrer Sportleggins.
»Na ja, einen Audi finde ich jetzt nicht so spannend. Nur teuer«, überlege ich und denke an den Beinahezusammenstoß vor seinem Grundstück. Ich für meinen Teil liebe meinen Rudolph, auch wenn er so alt ist, dass er noch einen Choke hat und mir manchmal absäuft, wenn ich ihm zu viel Benzin durchlasse.
»Ich mag Audis und BMWs. Aber der von Daniel fährt auch so ältere Cars, darunter einen Chevrolet.« Phoebe legt ihr Handy beiseite, und als sie ihre lackierten Fingernägel betrachtet, möchte ich sie gern in weihnachtlicher Farbgestaltung beraten.
»Du kennst dich ganz gut mit Autos aus, was? Hast du das von deinem Opa?«, will ich wissen und denke liebevoll an Paps, der sich mit seiner Freundin gerade auf Weltreise befindet. Phoebe wird unter dem forschenden Blick ihrer Mutter plötzlich knallrot. Das ist schon mal weihnachtlicher als das Blau ihres Nagellacks.
»Nein, die Lütte hat ’nen Freund«, mischt sich Oma ein. »Ich wäre ja dafür, dass man ihr einen Keuschheitsgürtel anlegt. Nicht, dass der Welpe noch Welpen bekommt.« Ungerührt taucht sie einen Keks in ihren Kaffee.
»Oh, Oma, echt.« Phoebe steht geräuschvoll auf, der Tisch bekommt einen erneuten Stoß, und Miekes Kaffee schwappt über den Rand. »Du kannst auch einfach mal ’ne Runde chillen.«
»Grillen? Wir haben Winter.« Oma schüttelt ihren Kopf und schnalzt missbilligend mit der Zunge, wie sie es immer tat, wenn Mieke und ich zu gierig Keksteig naschten. »Diese Jugend von heute. Wollen immer alles durcheinanderbringen.«
»Hey, wo willst du hin, Madame?« Mieke schnippt hilflos mit den Fingern, und ihre Tochter dreht sich müde zu ihr um.
»Ins Bett.«
»Du hast bis eben geschlafen, es ist Tag«, behauptet Mieke, obwohl ich ja sagen würde, dass wir frühen Abend haben. Mein Blick wandert aus dem Fenster – draußen dämmert es, die Lichterketten schicken ihr Licht über den Hof und lassen den Frost glitzern.
»Das ist mir gar nicht aufgefallen.« Phoebe unterdrückt ein Gähnen und geht einfach weiter.
»Teenager sind immer müde«, erinnere ich meine Schwester an unsere Jugend. Oder traurig, füge ich in Gedanken hinzu und denke an Miekes Grufti-Phase, in der sie ausschließlich Schwarz trug, weil sie die Welt als ungerecht empfand. Dabei hatte sie mit allem so viel Glück. Sie war gut in der Schule, schlank und beliebt.
»Dann bring wenigstens Elins Sachen in ihr Zimmer, wenn du schon keine gute Gesellschaft sein willst.« Das war eher ein Befehl als eine Bitte, gewürzt mit einem klaren Vorwurf.
Es entsteht eine Pause, in der man eine Schneeflocke fallen hören könnte. Dann setzt Phoebe ein Lächeln auf und antwortet zuckersüß: »Aber natürlich. Nichts lieber als das.« Der Lockenkopf schnappt sich meinen Koffer und erinnert mich kurz an Mieke, als sie in diesem Alter war, und ich überlege, ob ich mein Zeug nicht lieber selbst aufräumen sollte. Nicht, dass Phoebe vor lauter unterschwelligem Zorn noch in mein Gepäckstück beißt und mir die Sternmotive verkratzt.
Während sie die Treppe hinaufpoltert, dieses Mal kein bisschen um Lautlosigkeit bemüht, angelt Mieke nach einem kleinen Fläschchen, das in einem Regal schräg hinter ihr steht.
»Lebkuchenlikörchen?«, fragt sie in die lustige Runde, und ich denke über Bombenentschärfungen und Teenagerstimmungsschwankungen nach. Mieke hat nicht zu viel versprochen – hier ist echt gut was los. Das wird bestimmt ein sehr interessantes Weihnachten mit ordentlich Spaß.
»Ach, da sag ich nicht Nein, Herzchen«, zwitschert Oma vergnügt und hält Mieke ihre Tasse mit Kaffee entgegen. Mir fällt ein, dass wir unseren ersten Übungsalkohol unter ihrer Aufsicht genossen hatten, da sie der Meinung war, lieber zusammen saufen und die Tücken kennenlernen als auf sich allein gestellt. Ich war vierzehn, Mieke ein Jahr älter, und auf mich wirkten der überdosierte Wachholderlikör und die anschließende Begegnung mit der Kloschüssel durchaus abschreckend. Zumindest bis ich zwanzig war. Meine Schwester brachte die inszenierte Bekanntschaft mit Alkohol allerdings eher auf den Geschmack, und von da an mopste sie regelmäßig Prosecco und Sekt für sich und ihre Freundinnen aus dem Schrank.
Der Kamin knistert leise im Hintergrund, und mir fällt auf, dass hier noch einiges an weihnachtlicher Dekorationsarbeit geleistet werden muss. Sogar der Baum fehlt, den wir früher bereits am ersten Advent aufstellten, obwohl unsere Mutter jedes Jahr schimpfte, das sei ja nun wirklich viel zu früh. Für uns Kinder hingegen konnte die Tanne nie zeitig genug im Raum stehen, und meistens setzten wir uns durch.
Mieke trinkt ihren Kaffee mit Schuss in großen Zügen leer. Oma steht ihr in nichts nach, und ich gucke die beiden perplex an.
»Und sonst so?«, frage ich nach einer Weile, in der sich die Stille im Raum unangenehm ausgebreitet hat.
»Och, sonst ist alles gut. Wir freuen uns auf den Weihnachtsbasar«, meint Mieke und lächelt.
»Ja, der Basar. Der ist lustiger als Beerdigungen«, pflichtet Oma ihr bei.
Ich male mir eine neue Szene für meine Schneekugeln aus: einen bunten Marktplatz unter Sternen mit fröhlichen Menschen, die an winzigen Buden stehen oder tanzen. Ich nehme mir vor, jeden Moment auf diesem weihnachtlichen Event mit jeder Faser meines Seins zu genießen und voll und ganz auszukosten. Es wird ganz sicher ein Highlight meines Jahrs.
Es ist Samstag, der Tag vor dem dritten Advent und mein großer Tag auf dem historischen Weihnachtsbasar unseres verschlafenen Örtchens. Es werden Hunderte Besucher von weit entfernt anreisen, um Punsch und Glühwein aus eigener Herstellung und die legendären Rossbratwürste zu probieren und natürlich den alten traditionellen Weihnachtsmarkt zu besuchen. Zum Glück haben die Zwillinge noch nicht herausgefunden, was in einer Rossbratwurst so drinsteckt – sie sind die totalen Pferdemädchen und können sogar schon ein bisschen reiten, wie Mieke mir erzählt hat.
Der gestrige Abend verlief zu meiner Überraschung dann doch noch ziemlich entspannt. Mieke und ich saßen lange am Kamin und redeten über alte Zeiten. Darüber, dass Oma so ein Goldschatz war und in diesen Tagen nicht mehr ist. Aus irgendeinem Grund hat sie Miekes Mann Noan auf dem Kieker und ärgert ihn, wo es nur geht. Bevor sie ins Bett ging, fragte sie allen Ernstes, wer denn den Schwarzen ins Haus gelassen habe, und setzte voll auf Rassismus, da Noan aus Äthiopien stammt und kaffeebraune Haut hat. Noch als Kleinkind kam er nach Deutschland und wurde hier adoptiert, als er vier Jahre alt war. Meine Schwester lernte er auf einer Party eines gemeinsamen Bekannten kennen.
Ich versuche immer noch, Omas Spitzen mit der Frau von früher zusammenzubringen, und frage mich, ob sie sauer über die Bevormundung in ihrem eigenen Haus ist. Dabei meinen es Mieke und Noan nur gut mit ihr, und ich wette, in einem Heim würde sie sich nicht gerade wohler fühlen. Jedenfalls bewundere ich Noans Gelassenheit, mit der er jede ihrer Spitzen weglächelt.
Ich atme tief durch und schüttle die Gedanken ab. Jetzt muss ich wirklich ranklotzen, um alles für den Basar vorzubereiten. Phoebe hat mir versprochen, früh aufzustehen und mir zu helfen, meine Ausrüstung und die Waren zu verladen. Und das ist einiges. Unzählige Kisten mit meinen Artikeln, Klappstühle, Dekoration aus dem alten Stall. Holzrinde, Tannenzapfen und Stroh. Nur von Phoebe ist nichts zu sehen.
»Jetzt reicht’s mir aber, die schmeiß ich aus den Federn!«, brummt Noan mit einem Blick zur Uhr und legt seine Zeitung samt Lesebrille zur Seite.
»Aber sei nicht so streng, sonst hängt der Haussegen den ganzen Tag schief«, bittet Mieke mit einer Spur Verzweiflung in der Stimme. »Das kann ich heute echt nicht gebrauchen.« Sie beginnt, den Frühstückstisch abzuräumen, und ich trinke den letzten Schluck meines Weihnachtsmandarinentees und helfe ihr.
»Unsere Tochter muss nicht immer mit Samthandschuhen angefasst werden«, antwortet Noan. »Sie ist schon verzogen genug, sie wird noch ein grauenbarer Egoist.« Ich muss über sein lustig verdrehtes Adjektiv schmunzeln – so was passiert ihm manchmal, wenn er sich ärgert. »Wenn ich faul war, hat mir meine Mutter eine Standpauke gehalten, die sich gewaschen hat.« Er macht ein unbehagliches Gesicht, steht auf und haucht Mieke im Vorbeigehen einen Kuss auf die Wange.
Ich schaue aus dem Küchenfenster, an dem sich wunderschöne Eisblumen breitgemacht haben, und kann durch die Fichten am Ostende des Hofs einen Teil des alten Gutshofs ausmachen. Er thront wie immer erhaben über allem und strahlt in seinem neuen Glanz.
»Schatz, deine Mama in allen Ehren, aber sie ist nicht hier und braucht die Kooperation des Teenagers heute nicht. Ich schon.« Während Mieke das Geschirr in die Spülmaschine stopft, wirft sie mir einen vielsagenden Blick zu. Wir haben uns schon oft über die Erziehungsmethoden von Noans Mutter Helga unterhalten, mit deren Ansätzen Mieke so gar nicht einverstanden ist, besonders nicht mit der stillen Treppe, auf der Noan als Kind viele Stunden sitzen musste, um über seine Taten nachzudenken.
»Ich hab da eine Idee«, sage ich und krame nach meinem Handy. »Phoebes Boxen im Zimmer haben doch Bluetooth, oder?« Noan hält in der Tür inne, und Mieke nickt.
»Ja, wieso?«
»Na ja, du hast doch gesagt, dass sie ihre Elektrogeräte, sprich Fernseher und Soundsystem, zur Stabilisierung der Stromrechnung nie ausstellt«, ich grinse, »also kann ich mich mit denen verbinden.« Mieke macht ein neugieriges Gesicht, und Noan setzt ein fettes Feixen auf. Im Nu habe ich ein hübsches Weihnachtslied ausgewählt und stelle es an. Urplötzlich dröhnen die Trompeten von Stop the Cavalry durchs Haus und lassen es erbeben. Oma, die vor dem Kamin sitzt, fällt ihr Strickzeug aus der Hand, und in Phoebes Zimmer, das in etwa über der Küche liegt, poltert es. Jona Lewie beginnt seinen Text zu singen, und ich tippe wie wild auf meinem Handy, um den Sound leiser zu stellen. Es klappt nicht.
Blöde Technik.
»Auweia«, stöhnt Mieke. »Die hat ihre Boxen aber aufgedreht.«
Die Zwillinge kommen die Treppe herunter und sehen in ihren roten Schlafanzügen aus wie zwei Weihnachtskobolde. Sie blicken sich irritiert um.
»Super. Jetzt ist Phoebe mit Sicherheit wach«, meint Noan ungerührt und breitet die Arme für die kleinen Mädchen aus. Libi springt todesmutig von der zweiten Stufe, und Nane macht es ihr nach.
»Na, ihr Zwerge? Gut geschlafen?«, fragt Noan und hievt die beiden auf seine Hüfte.
»Wie ein Brummbär«, meint Libi und streckt sich.
»Wie zwei Brummbären«, erinnert sie Nane und flüstert Noan irgendetwas ins Ohr.
Im Obergeschoss knallt eine Tür, und bald darauf steht das Teenagermädchen schnaufend vor uns, während ich wie wild mit dem Finger auf das Display meines Handys einhacke.
»Wer zum Teufel tut mir so was an?«, fragt Phoebe säuerlich, als ich es endlich schaffe, die Musik abzustellen. Einen Wimpernschlag lang überlege ich, meine Beteiligung an dem Weckmanöver zu leugnen, doch ich bin bereits enttarnt.
»Tut mir leid, das war ich«, sage ich möglichst zerknirscht. »Mein Handy hat sich aus Versehen mit deinen Boxen verbunden.« Ich muss mir ein Lachen verkneifen, weil Phoebe ziemlich lustig aussieht – ihre Frisur gleicht einem Vogelnest, und ihre rechte Wange ziert ein veritabler Kissenabdruck.
»Ach so«, brummt sie versöhnlich und schleicht zum Tisch, um sich eines der frisch aufgebackenen Zimtbrötchen zu nehmen, von denen ich bereits drei verdrückt habe.
»Wolltest du Tante Elin nicht helfen, die Sachen aus dem Schuppen ins Auto zu laden?«, erinnert Mieke ihre Tochter, die meinem Blick ausweicht. Ich muss daran denken, dass ich Phoebe noch weit nach Mitternacht gehört habe, wie sie durch den Flur ins kleine Bad und anschließend in ihr Zimmer, das direkt neben meinem liegt, geschlichen ist. Wie ein kleines Gespenst, das herumspukt. Sie ist sicher noch todmüde.
»Ja, ich zieh mich nur an, dann bin ich da«, verspricht sie mit einem zaghaften Lächeln, stopft sich das halbe Brötchen in den Mund und verschwindet wieder nach oben.
»Super, da sind wir ja einen Schritt weiter«, freut sich Mieke und nimmt mir zwei Marmeladengläser ab, bevor ich den Tisch abwische.
»Papa, wir wollen zu Weihnachten ein Pony«, zwitschern die Zwillinge und wuscheln von beiden Seiten durch Noans Haare.
»Ein Pony wollt ihr? Immer noch?«, fragt er, küsst die beiden auf die Stirn, und Mieke seufzt.
»Ja, ja. Ein Pony.« Die Mädchen verfallen in einen Singsang.
»Mmh, sonst gibt es doch immer Gans zu Weihnachten«, mischt sich Oma Erna von ihrem Sessel am Kamin aus ein. »Na ja. Pony wäre mal was anderes. Kennt sich jemand mit der Zubereitung aus?«
Die Zwillinge schauen sich erschrocken an, und Noan lacht schallend los. »Fabelhaft«, sagt er und freut sich, dass ausnahmsweise mal die Kinder und nicht er Opfer von Omas Spott sind.
»Wir wollen es nicht essen, Oma!« Noan lässt die Kinder zu Boden, woraufhin sie herumschwirren wie zwei kleine Brummkreisel. Bei einem rasanten Manöver fallen sie beinahe übereinander.
»Was, wieso denn nicht?«, hakt Erna nach und winkt die beiden Wirbelwinde zu sich.
»Weil wir keine Pferde essen«, erklären sie, und Libi klettert auf den Schoß der Fünfundachtzigjährigen, die sie fest an sich drückt wie mich und Mieke früher, sodass mir warm ums Herz wird.
»Wollt ihr jetzt etwa auch Vegetarier werden wie eure Schwester?«
Mieke sorgt sich, weil Phoebe beschlossen hat, aus ethischen Gründen auf möglichst viele tierische Produkte zu verzichten. Ich für meinen Teil finde es gut, wenn man sich hauptsächlich von pflanzlicher Nahrung ernährt – es lebe das liebe Vieh! –, würde für ein ordentliches Steak jedoch dann und wann eine Ausnahme machen.
Nane winkt kichernd ab. »Nein, ich mag Mortadella.«
»Genau. Wir mögen Mortadella.« Libi drückt Oma einen dicken Kuss auf die Wange und rutscht mit dem Hintern in die Stricknadeln.
»Das finde ich gut. Dann muss ich das Weihnachtspony nicht allein essen.« Erna knutscht zurück und rettet ihre Stricknadeln.
»Was essen denn Vegetartiana eigentlich zu Weihnachten?«, fragt Libi und runzelt angestrengt die Stirn. Nane zuckt mit den Achseln. »Den Tannenbaum, vielleicht?«
Bestechende Logik, muss ich zugeben. Oma lacht sich scheckig. Derweil beschließe ich, schon mal allein alles zusammenzusuchen, was ich so brauche für den Basar. Die Zeit läuft schließlich nicht gerade langsam, und ich habe noch viel zu tun. Also gehe ich zur Garderobe, um mir meinen roten Tweedmantel zu greifen. Dazu setze ich meine Pudelmütze mit Tannenoptik auf den Kopf. Voilà, fertig ist die Weihnachtsfrau.
Es ist ein wunderschöner kalter Wintermorgen, wie ich ihn mag, und ich spüre eine tiefe Freude in mir aufsteigen, als ich zur Scheune hinüberlaufe. Zum Glück packt Noan mit an. Er räumt meinen Mini erst einmal komplett aus, bevor er damit anfängt, ihn neu einzuladen. Und ich muss zugeben, er kann Tetris spielen. Ob er es heimlich auf der stillen Treppe geübt hat und damit die Zeit totschlug?
Wenig später kommt Phoebe dazu und bringt mir eine Thermoskanne mit heißem Kaffee mit, den ich in den Fußraum des Beifahrersitzes stelle. Als der Wagen voll ist, bringen Phoebe und ich zwei übrig gebliebene Kästen mit Deko zurück in die Scheune, und ich kann es nicht lassen, Opas alte Werkstatt zu betreten. Hier brachte er mir das Glasblasen bei, und mich überkommt ein seltsames Gefühl, fast wie ein Déjà-vu, nur viel intensiver. Beinahe kann ich Opas Lieblingsstücke von denBeatles hören, die während seiner Arbeit stetig liefen, und seinen Tabak riechen.
Phoebe stellt geräuschvoll ihre Kiste in ein schiefes Regal. »Ist eigentlich ganz hübsch hier, oder?« Sie duckt sich unter einem Spinnennetz im Türrahmen hindurch und deutet auf die schönen Sprossenfenster und die offenen Balken über uns, in denen Daten und Zeichen eingeritzt sind. Man könnte das Gebäude prima ausbauen und zu einem zauberhaften und individuellen Wohnraum umgestalten. Wenn man mir freie Hand ließe, würde ich einen sicheren Anwärter für Schöner Wohnen kreieren.
»Ja, es ist mehr als schön«, sage ich leise. Für einige Sekunden schließe ich die Augen, lasse Bilder von einer Wohnküche mit Kamin und einem möglichen Badezimmer im Geiste entstehen, experimentiere mit Farben und denke mir Wände weg.
»Mama hat gemeint, wenn wir Kinder später auch auf dem Hof leben wollen, könnten wir hier ausbauen. Allerdings müsste man mich schon töten, damit ich das tue.« Phoebe grinst schief, ihre Wangen bekommen Grübchen.
»Was? Du möchtest nicht hier alt werden?« Ich reiße mich vom Anblick der Feuerstelle und der verwaisten Werkbank los und winke Phoebe hinter mir her, um mich in mein Weihnachtselfinkostüm zu schmeißen, in dem ich mich hinter meinen Verkaufstresen stellen werde.
»Boah, du siehst echt nice aus«, so das Kompliment meiner Nichte, als sie mir dabei hilft, den Reißverschluss im Rücken zu schließen.
»Dankeschön.« Ich zupfe an meinem blondierten Feuerhaar und binde es gekonnt auf meinem Hinterkopf zusammen. »Hab ich selbst genäht, nach dem Vorbild der Schneekönigin.« Ich liebe dieses Märchen, auch wenn es echt grausig ist. Eine Kindesentführung mit ungewissem Ausgang quasi. Doch am Ende siegt die Liebe über die Kälte im Herzen, und alles wird gut. Hach, wäre es doch im wahren Leben auch so. Ich finde, jeder hat sein Happy End verdient.
»Ist echt hübsch.« Phoebe lächelt und lässt ihre Finger über die Eiszapfenknöpfe wandern, mit denen ich den Mantel zusammenhalte, der das Outfit krönt.
»Soll ich dir auch eins nähen?«, frage ich und genieße diesen ehrlich schönen Moment. »Wir könnten dir zusammen etwas entwerfen, das zu dir passt.« Ich stelle es mir toll vor, so ein gemeinsames Projekt. Wir könnten quatschen und uns richtig kennenlernen. Phoebe hat sich sehr verändert in den letzten Jahren, und ich spüre diese ganz bestimmte Einsamkeit, die jeden Teenager eine gewisse Zeit lang begleitet. Junge Menschen haben oft den Eindruck, niemand würde sie richtig verstehen.
Ich kenne die Einsamkeit nur zu gut, und sie kennt mich. Nach Stefans hartem Abschied kehrte dieses Gefühl aus der Teenagerzeit zurück. Bis ich mich endlich entschied, mich wieder zu öffnen und mich aus meiner Werkstatt und Wohnung zu wagen und zurück ins Leben zu tauchen. Mit ganz viel Optimismus.
»Hört sich gut an«, antwortet Phoebe, als ich fast nicht mehr damit rechne. Wie auf einen Himmelswink beginnt es zu schneien, als wir zum Auto gehen. Kleine Flocken tänzeln zu Boden und legen sich in Phoebes Kringelhaar.
»Schau mal, der erste Schnee!«, freut sie sich und breitet die Arme aus. Wir blicken zusammen in die zinngrauen Wolken. Wie von selbst finden sich Phoebes und meine Hände, und wir drehen uns gemeinsam im Kreis. Mieke und ich haben das früher so lange gemacht, bis eine von uns rücklings im Schnee landete. Ich kann mich ganz genau daran erinnern, und das glückliche Gefühl von damals rüttelt an mir und lässt mich glucksen.
»Ich liebe den Winter«, singe ich. Phoebe kommt zum Stehen, als sie bemerkt, wie ihr Vater uns von der Scheune aus sichtlich erheitert beobachtet.
»Ja, der ist toll.« Sie vergräbt ihre Hände tief in den Taschen, und ich bekomme ein Schleudertrauma von der Geschwindigkeit ihres Stimmungswechsels.
»Okay, dann fahr ich jetzt mal lieber zum Marktplatz«, verkünde ich. »Nicht, dass ich noch auf dem Weg im Schnee stecken bleibe.« Was sehr unwahrscheinlich ist bei der Intensität des Schneetreibens, das einem eher schwachen Versuch gleicht, den Winter einzuläuten.
»Gute Fahrt.« Phoebe grinst.
»Ich sehe dich später.« Ich öffne die Fahrertür.
»Nicht, wenn ich dich zuerst sehe«, scherzt Phoebe, während sie sich umdreht und ich in meinen Mini steige. Mein Atem lässt kleine Wölkchen vor meinem Gesicht entstehen, und ich überprüfe mein Make-up. Ich habe meinem Teint einen gewissen Schimmer verliehen und blauen Lidschatten aufgetragen.
»Wenn mich die Zwillinge lassen, komme ich bei deinem Stand vorbei«, verspricht mir Phoebe, bevor sie in Richtung Haus davontrabt.
Ach, lieber Weihnachtsmann, wenn du mich hören kannst, lass mich eine Freundschaft zu diesem Mädchen aufbauen. Ich war doch immer brav!, denke ich, während ich den Motor starte.
Die Schneeflocken werden jetzt dicker und legen sich über die Landschaft, überziehen alles mit einem sanften Weiß. Der Mini holpert über eine Baumwurzel, und wir tauchen in den Fichtenhain ein. Die Glöckchen an meinem Rückspiegel klingeln um die Wette, und ich schalte das Radio ein. Last Christmas, I gave you my heart. Aus voller Kehle schmettere ich mit. Nach etwa acht Minuten erreiche ich den Basarplatz mit seinem alten Brunnen und der kleinen Kirche. Rund fünfzig hübsche Holzverkaufshütten reihen sich auf dem Platz aneinander und werden gerade eingeräumt und dekoriert. Um elf Uhr werden die ersten Besucher kommen. Ich lasse meinen Blick schweifen auf der Suche nach Onkel Heinz, der versprochen hat, mich hier in Empfang zu nehmen. Ich entdecke ihn Pfeife rauchend vor der alten Apotheke und drücke reflexartig auf die Hupe. Der Laut zerreißt den Frieden des Treibens, und alle Anwesenden schauen sich zu mir um. Ups.
Onkel Heinz winkt, zeigt mir, wo ich parken soll, und weist mir eine der niedlichen Hütten zu, die so hübsch in Lichterketten gehüllt sind. Alles riecht nach Zimt, Vanillekipferln und Räuchermännchen. Einfach herrlich.
»Na, min Dirn?«, sagt Heinz und drückt mich an sich, als ich aus dem Auto gestiegen bin. Seine Hände sind rau und packen wie immer fest zu. »Hübsch schaust aus.« Er tätschelt meinen Kopf, wie er es gern mit seinen Jagdhunden macht, und ich grinse hilflos.
»Ich hab viel von dir gehört; Mieke hat mich auf dem Laufenden gehalten, was dein Stadtleben angeht. Du hast immer noch keinen Mann abgekriegt, was?«
»Ähm …«
Er legt seinen Arm um mich. »Mach dir nichts draus. Jeder Topf findet irgendwann seinen Deckel, nicht wahr? Meine Monika kam auch erst, als ich vierzig war.« Er lächelt aufmunternd und kratzt sich nachdenklich am Kopf. »Schau, ich hab dir alles vorbereitet, da kannst du deine Schneegestöberdinger gut präsentieren.«
»Schneekugeln«, korrigiere ich ihn. »Und Christbaumschmuck.«
»Meine Monika hat dir sogar eine Decke gehäkelt, die sollst du für die Auslage benutzen und deine Kugeln draufstellen, gell?«
»Ihr seid Schätze!«
»Gerne, min Dirn.« Er lacht heiser und tätschelt mich erneut. »Du und deine Schwester, ihr seid die wahren Schätzchen.« Fröhlich zwinkert er mir zu.
Ich stecke meine Hände in die aufgenähten Taschen meiner Elfenjacke. »Ach, hör doch auf«, flüstere ich verlegen, und er hebt seine buschigen Augenbrauen.