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Mit viel Herz und Humor erzählt von Bestseller-Autorin Mina Teichert
Wenn Mathilda könnte, würde sie ihre Krallen ausfahren. Aber sie weiß nicht, wie man das macht. Denn sie hat nicht gelernt, sich gegen andere durchzusetzen und auch mal auszuteilen. Als sie plötzlich vom Land zu ihrer Oma in den Großstadtdschungel ziehen muss und sich inmitten der Mädchengang der Pink Panther wiederfindet, wird’s schwierig, immer nur Ja zu sagen. Mathilda bleibt nur eins: Die Überlebensstrategien für Raubkatzen zu studieren, bevor die Panther-Anführerin Giselle sie in Schwierigkeiten bringt und zu allem Überfluss auch noch den Jungen bekommt, den Mathilda mag.
Von Mina Teichert bereits erschienen:
Ich wollt, ich wär ein Kaktus
Pechsträhnen färbt man Pink
Spring, vor allem über deinen Schatten
Ich glaub, mein Reh pfeift - Oder: Wie sich Glück anschleicht
Begeisterte Leserstimmen zu "Ich wollt, ich wär ein Kaktus":
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Das Buch
Wenn Mathilda könnte, würde sie ihre Krallen ausfahren. Aber sie weiß nicht, wie man das macht. Denn sie hat nicht gelernt, sich gegen andere durchzusetzen und auch mal auszuteilen. Als sie plötzlich vom Land zu ihrer Oma in den Großstadtdschungel ziehen muss und sich inmitten der Mädchengang der Pink Panther wiederfindet, wird’s schwierig, immer nur Ja zu sagen. Mathilda bleibt nur eins: Die Überlebensstrategien für Raubkatzen zu studieren, bevor die Panther-Anführerin Giselle sie in Schwierigkeiten bringt und zu allem Überfluss auch noch den Jungen bekommt, den Mathilda mag.
Die Autorin
© privat
Mina Teichert wurde in dem schneereichen Jahr 1978 in Bremen geboren und lebt mit ihrer kleinen Familie im ländlichen Idyll Niedersachsens. Nachdem sie zunächst als Kind hartnäckig das Ziel verfolgte, Kunstreiterin im Zirkus und Wahrsagerin zu werden, sattelte sie mit vierzehn um und träumte von dort an von der Schriftstellerei. Heute schreibt sie mit Begeisterung Geschichten für Jung und Alt.
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Viel Spaß beim Lesen!
Ich ziehe meine Ohrstöpsel heraus und unterbreche mein Hörspiel von Bibi und Tinas Abenteuer. Inka, meine beste Freundin, sagt immer, ich bin mit fast dreizehn viel zu alt dafür. Aber wenn ich nervös bin oder mich fürchte, höre ich sie gerne. Denn sie haben eine beruhigende Wirkung auf mich, und wenn es heißt: Hex, hex, und alles wird gut. Enemene eins, zwei, drei, bring mir mal das Glück herbei, bin ich zuversichtlich. Als würde alles auf jeden Fall wieder gut werden. Und ein bisschen Glück kann ich wirklich gebrauchen. Mein Leben steht nämlich im Moment kopf. Und zwar so richtig, seitdem Mama krank ist.
Ich blicke an einem anderen Fahrgast vorbei aus dem Fenster des ICEs und wünschte, ich müsste nicht direkt am Gang sitzen. So wie es aussieht, fährt der Zug soeben in den Hauptbahnhof von Bremen, meinem Zielort, ein. Einige Fahrgäste erheben sich bereits, ziehen sich Jacken über, zerren an Koffern und Taschen. Hektik bricht aus. Mama hatte mich ermahnt, meine Sachen rechtzeitig zusammenzupacken, damit ich nichts aus Versehen liegen lasse.
»Mist«, murre ich. Jetzt hab ich den Salat. Ich schließe eilig den obersten Knopf meiner Jeans, den ich immer öffne, wenn ich sitze. Meine Freundin Inka meint, ich hätte ein Foodbaby vom vielen Essen. So nennt sie meinen Bauch, wenn er sich nach der Nahrungsaufnahme wölbt und an eine Schwangere erinnert. Schnell stopfe ich Keksdose, Handy, zwei Bücher und meine Trinkflasche in den Rucksack. Und während ich das mache, bekomme ich plötzlich den Ellenbogen eines Opas volle Möhre ins Gesicht. Rumms!
Ich sehe Sterne, ganz viele funkelnde, und Tränen schießen mir in die Augen. Der Opa merkt gar nicht, was passiert ist, und geht einfach weiter. Inka hätte ihn jetzt angefaucht, ich hingegen kämpfe gegens Heulen an.
Komm schon, Mathilda. Nur die Harten kommen in den Garten!
Der Gang zwischen den Sitzen füllt sich mit Leuten. Ich stehe auf, taumle ein wenig und wünsche mir irgendeinen Hex-Hex-Spruch, der mich nicht allein reisen lässt.
Aber ich bin ja schon groß. Mit zwölf drei viertel ist man nämlich quasi Teenager und nah an der Volljährigkeit dran. Das behauptete zumindest Oma, als wir darüber gesprochen haben, wie ich zu ihr kommen könnte. Sie hat ein bisschen recht, und Mama geht es einfach zu schlecht, als dass sie sich auch noch um mich kümmern könnte. Sie würde die nächsten Wochen sowieso in einer Rehaklinik verbringen müssen und ich die Sommerferien nun mal in der Stadt. So weit, so abenteuerlich. Man wächst mit seinen Aufgaben, stand in einem Buch, das ich neulich gelesen habe.
Ich denke an meine Oma. Jemand meinte mal, sie sei ein komischer Vogel. Sie arbeitet in einer Kunstgalerie und hat früher Tigerbabys die Flasche gegeben. Als ehemalige Tierpflegerin kommt das vor, besonders bei einer Expertin für Raubkatzen. Und sie war die Beste, heißt es. Niemand weiß so viel über Katzen wie sie. Und sie hat gestern am Telefon versprochen, sie würde aus mir eine Überlebenskünstlerin im Großstadtdschungel machen. Ich bin gespannt!
Laut seufzend zerre ich meinen Koffer vom Sitz neben mir.
Ist ja nicht so, dass ich mit Inka hätte in den Urlaub fahren können. Nach Holland an den Strand. Inka und Mathilda, ein Dreamteam für alle Fälle, hätte es heißen können. Doch Mama meinte, das sei zu teuer für uns. Jetzt sieht der Slogan meines Lebens anders aus: Mathilda im Dschungel.
»’tschuldigung«, murmle ich, als ich mich samt Gepäck in den schmalen Gang schiebe. Eine Frau mit Hut ist so nett und lässt mich vor, und ich watschle in Richtung Ausstieg voran.
Ach, Oma. Hoffentlich finde ich dich schnell …
Der Zug geht in die Eisen, das Gewicht meines Koffers zieht mich so abrupt nach vorne, dass ich stolpere.
Die Frau hinter mir greift beherzt meinen Arm und stoppt meinen drohenden Sturz. »Holla, schnell hoch mit dir«, höre ich eine erheiterte Stimme und fange ein Lächeln auf.
»D-danke«, hauche ich.
Wieder bremst der Zug, ein Ruck geht durch mich hindurch. Ich bin wirklich froh, dass die nette Dame mit Hut beginnt, sich mit mir zu unterhalten.
»Ganz allein unterwegs?«, fragt sie und lächelt lieb. Ich nicke.
»Meine Oma wartet auf dem Bahnsteig. Ich verbringe die ganzen Ferien bei ihr.« Ich hole Luft. »Ein Abenteuer sozusagen.«
»Das hört sich toll an, dann wünsche ich dir einen zauberhaften Aufenthalt in Bremen. Vielleicht bist du dann ja zum großen Stadtfest noch da?«
»Ein Fest?«, hake ich nach. Oma hatte mir nichts davon erzählt.
»Ja, mit Musik und Tanz. Das ist jedes Jahr ganz wunderbar«, erzählt sie mir und zwinkert lustig.
Ich lächle zurück, schaue durchs Glas der Tür und die ganzen Menschen dort auf dem Bahnsteig verschwimmen zu einem Mischmasch aus Farben. Ich angle nach meinem Handy, hoffe, Oma hat mir geschrieben, wo sie auf mich wartet. Mit Entsetzen stelle ich fest, dass der Akku leer ist. Aaah! Ich hätte nicht so lange Bibi und Tina hören sollen, wenngleich ich sie jetzt noch mehr im Reallife gebrauchen könnte. Und ein ordentliches Hex, Hex!
Wie soll ich denn jetzt meine Oma finden? Zwischen diesen Millionen von Leuten? Das Blut rauscht wieder lauter durch meine Adern und ich blinzle gegen die Tränen an. Und schon werde ich mit Sack und Pack nach draußen gespült. Die nette Frau ist weg und ich stoppe mit meinem riesigen Koffer irgendwo im Meer der umhereilenden Menschen. Neben einem Mülleimer, aus dem ein hässlicher Gestank aufsteigt. Ich wünsche mich zurück aufs Land. Da weiß man wenigstens meistens, was da so stinkt.
Es vergehen lange Sekunden und ich bin mutterseelenallein. Vermutlich werde ich demnächst mit einem Foto auf Milchtüten verewigt: Vermisste Schülerin in Großstadt verloren gegangen. Hinweise bitte an die hiesige Polizei.
Apropos Polizei … Ich drehe mich um die eigene Achse. Läuft hier vielleicht ein Hüter des Gesetzes rum? Dann könnte ich ihm Arbeit ersparen und mich gleich selbst als vermisst melden.
Ehe ich mich weiter in meine Panik reinsteigere, legt sich eine Hand auf meine Schulter. Ich wirble herum.
»Oma Mecky!« Gott sei Dank! Sie drückt mich fest an sich und ich atme ihren Duft tief ein. Sie riecht immer ein wenig nach Vanille und Sonnenschein, und ich schlinge sofort meine Arme um ihre schmale Mitte, will sie nie wieder loslassen.
»Mathilda, mein süßes Miezekätzchen! Es ist so schön, dich zu sehen. Wie war deine Reise?«, murmelt sie mir ins nussbraune Haar.
»Grauenhaft. Ich muss zugeben, volle Schulbusse sind nichts gegen volle Züge.« Und selbst da hatte ich schon mal Platzangst bekommen.
Oma lacht und mich rempelt schon wieder jemand an. Es ist enorm, wie eilig es alle Menschen hier haben. Es wird gedrängelt und gerannt. Selbst die Wartenden scheinen keine Zeit zu haben. Als würde die Zeit hier ganz anders vergehen als bei uns auf dem Land. Verrückt!
»Deine Mama ist übrigens wohlbehalten in der Klinik angekommen«, lässt Oma mich wissen, als sie meinen Koffer auf eine Rolltreppe hievt.
Ich angle nach dem Saum ihrer Safarijacke. Oma trägt immer Klamotten, die sie an Afrika erinnern. Manchmal ist sie bunt wie ein Papagei und dann wieder grau-grün gestreift wie auf der Pirsch.
»Und es geht ihr ganz gut. Sie hat ein schönes Zimmer mit Blick auf einen zauberhaften Wald. Aber das wird sie dir heute Abend selbst erzählen können, wenn sie dich anruft«, erzählt Oma weiter.
»Okay.« Ich kann es kaum erwarten. Die letzten Tage, als sie ins Krankenhaus musste und operiert wurde, waren scheußlich gewesen. Ich glaube, ich hatte noch nie so viel Angst um meine Mama. Und ich werde das Gefühl auch nicht los, dass mir nicht alles berichtet wird, was ihren Gesundheitszustand angeht. Auch wenn mein Onkel Lutz, der zuletzt auf mich aufgepasst hat, meinte, Mama ist bald wieder wie neu. Und sie habe nur so etwas wie eine verschleppte Erkältung.
Ich muss zugeben, ich bin froh, Lutz los zu sein. Er hat ständig das Fernsehprogramm bestimmt, konnte nicht mal Spaghetti kochen und hat nach der Badbenutzung nie gelüftet.
»Hast du schon Hunger, mein kleines Miezekätzchen?«, fragt mich Oma und legt den Arm um meine Schultern. Sie nennt mich schon immer so, auch wenn ich nicht weiß, warum. Ich habe rein gar nichts Katzenhaftes an mir. Ich hab nicht mal Krallen …
»Ein bisschen Appetit habe ich schon«, gebe ich zu. Wie zur Antwort knurrt mein Magen, als wir in die riesige Bahnhofshalle mit den Essensständen laufen. Hier riecht es schon viel besser als auf dem Bahnsteig.
»Ich hab dir deinen Lieblingskartoffelauflauf gemacht, der wartet im warmen Ofen auf uns beide.« Oma manövriert mich sicher durch eine Gruppe Asiaten und steuert den Ausgang an. Ich beeile mich, mit ihr Schritt zu halten. Mir wird immer schwindeliger von den vielen Menschen. Mit Inka könnte ich jetzt an einem feinen Sandstrand liegen. Das wäre perfekt gewesen. Ein Buch in der einen und ein Eis in der anderen Hand. Inka versteht mich ohne viele Worte. Sie würde mir meinen Frust in diesem Moment im Gesicht ablesen können, trotz meines sturen Lächelns, das ich zur Schau trage.
Plötzlich packt Oma mich am Jackenkragen, hält mich zurück. Ein schrilles Klingeln ertönt, die Straßenbahn hatte ich nicht kommen sehen.
»Mathilda, Augen auf! Du musst aufpassen, wo du hinläufst«, sagt Oma erschrocken und ich blinzle sie an. »Du hast einen nicht sonderlich ausgeprägten Selbsterhaltungstrieb, was? Da-ran müssen wir unbedingt arbeiten!« Oma schnauft, unterdrückt ein Kopfschütteln. In ihrer Zeit in Afrika war sie vielen Gefahren ausgesetzt. Sie hat sogar einen Flusspferd-Angriff überlebt, was nicht jeder von sich behaupten kann. Löwen sind nichts gegen übellaunige Hippopotamus.
Ich stimme Oma einfach mal zu. Um hier zu überleben, muss ich wohl noch viel lernen.
»Komm, wir fahren mit der Straßenbahn.« Oma nimmt mir den Koffer ab, sprintet los und ich hinterher. Diesmal nicht, ohne mich genauer umzublicken.
Vermutlich habe ich im echten Leben noch nie so viele exotische Menschen gesehen. Bei uns auf dem Dorf ist Marisol, eine Spanierin mit kaffeebrauner Haut, die außergewöhnlichste Frau weit und breit. Und hier treffen verschiedenste Sprachmelodien aufeinander. Es ist beinahe berauschend schön und ich blicke mich fasziniert um.
Wenige Bahnstationen später steigen Oma und ich wieder aus. Leider erwischt mich als Nächstes fast ein Fahrrad. Ich kann den Windhauch, der mir gerade um die Ohren gepfiffen hat, immer noch spüren.
Oma ist jetzt sauer. Sie reckt ihre Faust und brüllt dem Fahrer eine Beleidigung nach. Ein Megaspaß bis hierhin, finde ich. Nicht!
Als wir endlich an dem großen und wunderschönen Haus ankommen, in dem Oma wohnt, stockt mir der Atem. Es ist wie aus der Zeit gefallen. Umringt von Neubauten ist es das einzige Haus, das bestimmt zweihundert Jahre alt ist. Es hat Balkone, riesige Fenster und zauberhafter Blauregen klettert an der lilafarbenen Fassade empor.
»Da wären wir«, verkündet Oma stolz, während sie die Tür aufsperrt. Mein Koffer poltert über die Türschwelle in den hellen Flur, von dem sich eine Treppe hinauf bis in den vierten Stock windet. Laut Oma befinden sich in jedem Stockwerk zwei Wohnungen und insgesamt 22 Bewohner im gesamten Haus. So viele Leute wohnen in unserer ganzen Straße.
Aus dem Keller dröhnt ein dumpfes Geräusch. Ich lehne mich übers Geländer, schaue hinab. Schwärze starrt zu mir zurück und eine Gänsehaut läuft mir über den Rücken.
Oma drückt auf den silbernen Knopf eines winzigen Aufzugs, weil sie den Koffer auf gar keinen Fall in den vierten Stock, in dem sie wohnt, schleppen will. Mir wäre die Treppe lieber, denn der Aufzug ist so klein wie der Hamsterkäfig von Otto, dem Haustier von Inka. Und ich hasse Enge!
»Es gibt hier Kinder in deinem Alter, du wirst sicher schnell Freunde finden«, meint Oma, während sich die Tür des Käfigs schließt. »Und eine Eisdiele und zwei Pizzerien sind gleich um die Ecke.«
Ich blende ihr Geplapper aus, weil ich damit beschäftigt bin, überhaupt zu atmen. Denn der Lift schießt mit Lichtgeschwindigkeit in die Höhe und stoppt bereits nach wenigen Millisekunden mit einem lauten Ping im vierten Stock.
Oma redet vergnügt weiter. Sie erzählt mir etwas von Meloneneis und Schokostreuseln, mein Magen krampft. Für einen Moment habe ich Angst, der Fahrstuhl könnte mich fressen bei dem Versuch, meiner Oma zu folgen. Wie in diesem Horrorfilm, den ich unerlaubt mit Inka gesehen habe. Manchmal verfluche ich Inkas Vorliebe für Gruselgeschichten.
Ich quieke wie ein Meerschwein und laufe Oma schnell hinterher. Froh, dass ich diese Hürde geschafft habe und noch am Leben bin, atme ich dankbar aus.
Oma sperrt eine mit Holzschnitzereien verzierte Tür auf.
»Trautes Heim, Glück allein.« Ein grüner Dschungel empfängt uns beim Betreten der Wohnung. Riesige Farne und Schlingpflanzen, die sich an Rankhilfen die Wände entlanghangeln. Die hohen Decken sind mit Stuck verziert, und die Türen sind alle viel größer als bei uns zu Hause. Oma hatte zwar von ihrer neuen Wohnung in der Stadt erzählt, aber da sie gerne zu uns aufs Land kommt, um uns zu besuchen, hatte ich ihr neues Heim bisher noch nie gesehen.
»Wow, das sieht krass schön aus«, muss ich zugeben. Fehlt nur noch die Geräuschkulisse eines Urwaldes und das Spektakel wäre perfekt.
Ich schaue mich weiter um. In jedem Zimmer stehen Hunderte Blumen, und es grünt und grünt wie in einem Blumenladen. Nur im Gästezimmer, in das Oma mir mit dem Koffer hilft, sieht es anders aus. Es ist schlicht in Grau, Rosa und Weiß gehalten. Auf der rechten Seite steht ein großes Schlafsofa, das bereits ausgezogen und mit Bettwäsche versehen ist. Und vor dem Fenster befindet sich ein Schreibtisch.
»Ich hoffe, dir gefällt es hier ein kleines bisschen, Miezekätzchen?«, fragt Oma hoffnungsvoll und ich nicke.
Ich betrachte die von Oma selbst gemalten farbenfrohen Bilder an den Wänden von Tigern, verborgen in Farnen, Löwen mit Kronen und Leoparden im Sprint. Sie stammen bestimmt aus der Zeit, als es nichts anderes als Großkatzen für Oma gab. Als Tierpflegerin in den verschiedensten Wildtierreservaten der ganzen Welt päppelte sie unzählige Raubkatzen auf. Sie war so etwas wie die Raubkatzenmama schlechthin und hatte nicht nur Tiger mit der Flasche großgezogen.
»Ich werde es hier bestimmt ganz gut aushalten«, beschließe ich und habe trotzdem sofort Heimweh.
Oma parkt den Koffer vor dem Kleiderschrank und klatscht in die Hände. »Wie wäre es erst mal mit einer schönen Portion Auflauf und danach einem Eis?«
»Auf jeden Fall! Ich bin hungrig wie ein Tiger«, gebe ich zu und bin mir sicher, essen hilft gegen alles. Auch gegen Heimweh.
Der nächste Morgen hat es in sich. Oma bittet mich, nach dem Frühstück den Müll runterzubringen. Durch den Keller in den Hinterhof. An sich kein großes Problem, wenn ich nicht so unüberlegt im Schlafanzug vor die Tür treten würde. Ich habe Inka am Handy und lausche ihrer Beschreibung des Hotels in Holland, in das sie und ihre Familie gerade eingecheckt haben.
»Ich könnte heulen, weil du nicht hier bist«, kräht sie in den Hörer. »Es wäre so viel besser, das mit dir gemeinsam zu genießen. Den Pool, den Strand und die Jungs. Einer ist echt hot, sag ich dir.«
Ich seufze, schlendere mit der Mülltüte zum Aufzug und zögere. »Du fehlst mir auch. Ich hoffe nur, ich komme in einem Stück wieder zu Hause an.« Stirnrunzelnd warte ich darauf, dass sich die Tür des silbernen Käfigs für mich öffnet. Warum habe ich so ein ungutes Gefühl bei diesem Teil?
»Wieso in einem Stück? Was ist denn los bei dir?«, will Inka sofort wissen und ich schicke ihr ein Foto vom Aufzug. Ich bin gerade dabei einzusteigen, da höre ich Inkas Warnung in meinem Ohr. »Oh mein Gott! Tu es nicht! Geh da unter gar keinen Umständen rein!«
Augenblicklich trete ich zurück. Mir rutscht die Mülltüte aus der Hand und macht ein schmatzend-knirschendes Geräusch. Ich klaube sie wieder auf.
Die Tür des Aufzugs schließt sich, ohne dass ich drin bin, und ich meine, ein Fauchen dabei zu hören. Das ist doch nicht möglich, oder?
»Jeder weiß doch, dass diese Dinger, wenn sie so alt sind wie dieses Exemplar, abstürzen können. Und meistens sind sie sogar verflucht«, ist sich Inka sicher.
»Laut Oma nicht.« Bei Auflauf und Minz-Eis hatte sie mir versichert, dass der Aufzug wie auch die gesamte Bausubstanz des uralten Hauses tipptopp in Ordnung sind. Ich trete weiter rückwärts, schaue übers Treppengeländer in die Tiefe.
»Tu es einfach nicht! Womöglich beamt dich das Ding noch in eine Parallelwelt. Und wir wissen beide, du bist echt nicht taff genug, um das zu überstehen.« Inka kichert.
»Vielen Dank, beste Freundin, für dein Vertrauen in meine Fähigkeiten«, knurre ich und mache mich daran, die Treppenstufen hinabzulaufen. Ich bin jetzt schon erledigt, wie soll ich nur jemals wieder hier hinaufkommen? Vermutlich hat Mama recht, dass ich etwas mehr Sport machen sollte, wenn ich gesund bleiben will. Und Gesundheit ist so wichtig.
»Ist nur nett gemeint«, antwortet Inka. »Es gibt vieles zwischen Himmel und Hölle, was uns den Kopf kosten könnte«, erklärt sie locker vom Hocker und ich nehme die nächsten Stufen.
»Werd mal präzise, ich weiß nicht, worauf du hinauswillst …«
Vermutlich hat ihre Behauptung ihren Ursprung in ihrer neuen Lektüre. Sie liest gerade ein Gruselbuch über Hexen und Zauberer. Wie sie berichtete, spielen Henker auch eine Rolle, was ihre Kopf-ab-Fantasie erklären würde.
»Wusstest du, dass man von einem Wirbelsturm gevierteilt werden kann?«, fragt sie mich und ich schwinge die Mülltüte um die Ecke.
»Quatsch!«
»Doch, doch. Und man kann vom Blitz zerstückelt werden.«
»Ist das wissenschaftlich belegt?«
»Logo.« Also nicht. Sie plaudert von Hunderten Gefahren. Von Mädchengangs sagt sie allerdings nichts.
Und so stehe ich plötzlich mit einer Mülltüte in der Hand und im himmelblauen Schlafanzug im zweiten Stock und renne direkt in eine hinein. Oje!
»Na, so was. Wen haben wir denn da?« Eine schlanke Blondine im pinkfarbenen Kleid, etwa so alt wie ich, versperrt mir den Weg. Sie ist hübsch, trägt einen strengen Zopf und ist phänomenal geschminkt. Vermutlich will sie dadurch älter wirken oder besonders hip. Und es gelingt ihr meiner Meinung nach sogar richtig gut. Aber was weiß ich schon, ich hab mich nur ein Mal geschminkt und einen Anschiss meiner Mutter kassiert. Sie sagte, natürliche Schönheit braucht keinen Tuschkasten fürs Gesicht. Inka und ich waren da immer anderer Meinung, weshalb wir uns in der Schule manchmal heimlich Lidschatten aufgetragen haben.
Ich lasse mein Handy sinken, beende das Gespräch mit meiner Freundin, ohne mich zu verabschieden. Was doof ist, denn wenn ich Inka nie wieder sprechen sollte, wären ihre letzten Worte in meinem Ohr Der Tod ist nichts für Feiglinge gewesen.
»Mathilda«, würge ich schließlich meinen Namen hervor. Spott schlägt mir entgegen.