Mein unverhoffter Pferdesommer - Mina Teichert - E-Book

Mein unverhoffter Pferdesommer E-Book

Mina Teichert

0,0

Beschreibung

Ein neues Pferdeabenteuer ab 10 Jahren von Bestseller-Autorin Mina Teichert über den Traum vom eigenen Pferd: Vollkommen unerwartet erbt Milli ein Pferd, obwohl sie noch nie in einem Sattel gesessen hat! Der braune und ziemlich große Hannoveraner Jupiter wird einfach vor ihrer Haustür abgeliefert und aus Verzweiflung erst mal in der Garage geparkt. Milli versucht sich darauf einzulassen und findet etwas Erstaunliches heraus: Jupiter ist ein ehemaliges Polizeipferd! Als in die Garage eingebrochen wird, wittert Milli sofort Gefahr. Mit einem Polizeipferd voltigierend ins Reiterglück!

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 266

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über das Buch

Vollkommen unerwartet erbt Milli ein Pferd, obwohl sie noch nie in einem Sattel gesessen hat! Der braune und ziemlich große Hannoveraner Jupiter wird einfach vor ihrer Haustür abgeliefert und aus Verzweiflung erst mal in der Garage geparkt. Milli versucht sich darauf einzulassen und findet etwas Erstaunliches heraus: Jupiter ist ein ehemaliges Polizeipferd! Als in die Garage eingebrochen wird, wittert Milli sofort Gefahr.

Der neue Pferderoman der Bestseller-Autorin!

Inhalt

Eine fehlgeleitete Freihauslieferung?

Jupiter

Herzschmerz

Fellpflege und andere Unannehmlichkeiten

Geschichten von Polizeipferden

Ein Pferd für alle Fälle

Instafame

Shopping mit Pferd

Verliebt in ein Gedicht

Wie stürze ich richtig?

Helden auf vier Hufen

Gefahr in Verzug

Ballett und ein Pferd

Rache ist Pferdewurst

Paranoia genießt man besser zu zweit

In letzter Minute

Auf Null

Eingeboxt

Wilde Jänze

Wem gebührt schon Ehre?

Nichts wie es scheint

Naturtalente

Ein und derselbe

Verdammt viele Gefühle

Epilog

Eine fehlgeleitete Freihauslieferung?

Prüfend blicke ich in meinen Spiegel, der hinter der Ballettstange in meinem Zimmer angebracht ist. Mein Haarknoten sitzt perfekt, die Haltung stimmt. Ich beginne mit einem Demi-Plié und beuge die Knie nur so weit, dass die Fersen am Boden bleiben. Dann verlagere ich mein Gewicht auf einen Fuß und gehe in die Drehung, führe sie mehrfach aus. Dabei spotte ich geübt, wie meine Tanzlehrerin es mir beigebracht hat. Das hilft gegen das Schwindelgefühl und sorgt für eine bessere Orientierung bei der Drehung. Diese rasche Kopfbewegung, bei der ein Punkt im Raum fixiert wird, ist ganz typisch für eine Pirouette und wird geradezu in jeder Tanzrichtung ausgeführt. Ich hebe die Arme, mache den Rücken gerade – und plumpse unvermittelt auf die Knie direkt vor den Kleiderschrank, denn ein plötzliches Klingeln an der Haustür bringt mich völlig raus.

Merde, würde Madame Très Jolie jetzt flüstern, wenn sie das gesehen hätte. Meine überaus strenge, aber auch gutmütige Lehrerin spricht Schimpfwörter nie laut aus. Vielmehr haucht sie sie in einem schnellen Takt und verzieht dabei ihren hübschen Mund zu einem Strich. Ich möchte einmal so gut tanzen wie sie. Madame hat sogar beim russischen Staatsballett getanzt und sie bläute uns ein, dass man jede freie Minute üben muss, um so weit zu kommen. Und sie würde immer noch auf der ganz großen Bühne Pirouetten drehen, hätte sie sich nicht schwer bei einem Unfall verletzt.

Schon wieder klingelt es an der Haustür, diesmal länger und ich rapple mich auf. Ich stolpere zum Stativ, um die Aufnahme für meinen Instakanal Millis life in pink zu stoppen.

Warum zum Geier öffnet denn niemand die Tür? Ich klaube mein Handy vom Stativ und öffne die Aufnahme. Sie ist nur halb so gut wie erhofft und ich archiviere sie erst mal. Löschen kann ich sie immer noch.

»Mama, es klingelt!«, rufe ich, werfe mir schlussendlich eine Strickjacke über und eile selbst die Treppe hinab.

»Mama?« Ich stopfe mein Handy in die aufgenähte Tasche der Jacke.

Das Schrillen an der Haustür wird ungeduldiger und ich drücke die Klinke hinunter.

Wenige Atemzüge später gucke ich in das gelangweilte Gesicht eines Typen mit Basecap. Er wedelt mit einem Schwung Papieren und hat einen Kuli in der Hand.

»Ich habe etwas für eine Milla Koch«, sagt der Typ dann gedehnt und blinzelt mich verwirrt an.

»Ich bin Milla Koch«, antworte ich mit einem Lächeln und lasse die Haustür weiter aufschwingen. Unauffällig versuche ich meine Strumpfhose aus der Poritze zu bekommen. Es ist fruchtbar, wenn sie so sehr beim Tanzen verrutscht, dass es wehtut. Einer der wenigen Nachteile von eng anliegenden Tanzoutfits.

Jetzt schaut mich der Typ direkt an und runzelt die Stirn. »Wirklich?«, hakt er nach und ich wundere mich, dass er gar kein Paket dabeihat. Ich weiß, dass meine Mutter ein neues Tütü für mich bestellt hatte, auf das ich sehnsüchtig warte. Klassisch rosa mit ganz viel Tüll.

»Jetzt wo Sie es sagen, stimmt, nein doch nicht«, sage ich sarkastisch. »Natürlich bin ich Milla, warum sollte ich das behaupten, wenn es nicht wahr ist?« Mein Lächeln verrutscht und ich frage mich, ob so etwas in seiner Welt normal wäre?

Nun schaut der Kerl mich ziemlich komisch an und kratzt sich nachdenklich am Kinn. Eine ähnliche Geste, wie sie mein Mathelehrer macht, wenn er nicht weiß, was er noch versuchen soll, um mir Geometrie näherzubringen.

»Du bist nicht volljährig«, stellt er fest.

»Ich bin vierzehn.« Das ist nah dran, finde ich.

»Sind deine Eltern auch zu Hause?« Plötzlich spricht er mit mir, als wäre ich erst fünf Jahre alt. Oder sehr, sehr dumm.

»Ich habe eine Lieferung und brauche eine Unterschrift dafür, weißt du?« Er räuspert sich.

»Ich nehme ständig die Post an. Meine Eltern sind damit einverstanden«, unterstreiche ich und mache mich groß. »Oh, und schreiben kann ich übrigens auch. Hab ich in der Schule gelernt.«

Der Typ lächelt entschuldigend und legt den Kopf schief. »Nein, das ist leider nicht möglich. Diese Post nimmst du besser nicht an, ich fürchte, du bist nicht geschäftsfähig«, meint er dann und sieht sich zur schmalen Anliegerstraße um. Unser hübsches Reihenendhaus liegt in einer Sackgasse, beinahe ruhig in der östlichen Vorstadt und ein Fahrzeug versperrt unsere Auffahrt zur Garage.

Seltsam. Dieser blaue Transporter sieht anders aus, als die meisten Paketzustelldienste fahren. Viel größer.

»Mama!«, brülle ich also ein weiteres Mal über die Schulter ins Haus hinein. Diesmal so laut, dass mir selbst die Ohren klingeln. Zwischen dem Typen und mir dehnt sich die Stille aus.

Unser Mops Hugo kommt kläffend aus dem Wohnzimmer, wenigstens einer, der mich hört. Gekonnt halte ich ihn mit dem Fuß zurück und er schnappt in meine Ballerinas.

»Aus«, knurre ich ihn an und der Mann wird sichtlich nervös.

»Also, ist niemand da?«, will er wissen und weicht vor dem Hund zurück. Ich hole gerade noch mal Luft, da kommt meine Mutter endlich. Sie hat Lockenwickler im Haar und einen Bademantel an.

»Die Post ist da«, kläre ich sie auf und schnappe mir den Hund. Er grunzt, als ich ihn auf den Arm nehme. Über dieses ungebührliche Geräusch höre ich beinahe das Wiehern nicht, das aus diesem mysteriösen Lieferwagen dringt. Nanu?

Mama nimmt die Papiere von dem Mann entgegen und kneift die Augen zusammen.

»Milli, geh auf dein Zimmer«, sagt sie dann knapp und ich muss mich schon sehr über ihren Ton wundern. Als hätte ich irgendetwas falsch gemacht.

»Warum das denn? Was steht denn da?«, will ich wissen und weiche zurück, als meine Mutter dem Mann die Zettel wieder zurückgeben will.

»Das muss ein Irrtum sein«, sagt sie nun zu dem Paketzusteller. Hugo auf meinem Arm hechelt Amok und ich werde fast ohnmächtig von seinem schlechten Atem. Mama sieht aus, als hätte sie es auch gerochen, so blass wie sie wird.

»Das ist doch Ihre Adresse? Und eine Milla Koch wohnt hier auch?«, vergewissert sich der Mann und ich höre ein Poltern von draußen. Blöd, dass ich nichts sehen kann. Ich recke den Kopf, versuche etwas zu erkennen, doch immer ist was im Weg. Egal wie sehr ich mich strecke, zur Seite tänzle oder eine Drehung mache. Der Kirschbaum, die Tanne, der Fremde oder die Hecke.

»Ja, aber …«, meine Mutter verstummt, macht eine hektische Handbewegung, die Hugo den Kopf einziehen lässt.

»Milli, nach oben mit dir, hab ich gesagt«, faucht sie dann und faltet im nächsten Moment einen Brief mit nur wenigen mit Computer geschriebenen Zeilen auseinander. Während sie liest, wird mir eiskalt. Denn es geschieht etwas mit ihrem hübschen Gesicht. Ihre Miene wechselt von schockiert zu todtraurig und, als sie sich an die Brust greift, habe ich Angst um sie.

»Mami, was hast du denn?«, frage ich besorgt und tätschle ihren Arm. Hugo beginnt ebenfalls zu jammern und ich flippe gleich aus. Was geht hier nur vor sich?

Ich schaffe es nun doch, einen Blick durchs Fenster zu werfen und erkenne, dass ein zweiter Mann die Laderampe des Transporters öffnet. Und ich traue meinen Augen nicht. Er führt ein Pferd heraus. Es ist braun. Und verdammt groß.

»Können Sie mir sagen, wo ich hier mit einem Pferd hinsoll?«, fragt meine Mutter den nun ziemlich zerknirscht wirkenden Lieferanten. »Wir leben in einer Neubausiedlung. In der Vorstadt.« Mama wischt sich mit einer schnellen Handbewegung eine Träne von der Wange.

Ich verstehe nur Bahnhof. Oder Pferd? Und lasse fast den Mops fallen, während die Informationen in mein Gehirn sickern.

»Das ist nicht mein Problem, gute Frau«, meint der Mann. »Ich muss den Nachlass hier nur abliefern. Der Rest ist Ihre Angelegenheit.« Der Typ zuckt die Schultern, hält Mama jetzt einen Stift unter die Nase und ich grüble über das Wort Nachlass nach. Sind das nicht Besitztümer, die nach dem Tod an Hinterbliebene übergehen? War es letztens nicht bei meiner Freundin Anouk so, dass ihre Eltern ein Haus von der Großmutter auf diese Weise bekamen?

»Wenn Sie nun bitte den Empfang quittieren würden?«, hakt der Mann ungeduldig nach.

Meine Mutter zögert, zupft an ihrem pinken Bademantel und ich bin wie gelähmt. Eine Lieferung für Milla Koch, klingen die Worte wieder in meinem Kopf.

»Mama. Was soll das alles heißen?«, will ich endlich mal wissen und muss schlucken, weil Mama so verzweifelt aussieht. So habe ich sie noch nie erlebt. Nicht mal an dem Tag, als sie unsere Küche beinahe abgefackelt hat, weil sie eine Pfanne auf dem Herd vergessen hatte.

»Meine Cousine Jette ist gestorben«, haucht sie dann ganz leise und unterschreibt den Lieferschein.

»Jette? Die Polizistin?«, versuche ich meine Erinnerungen zusammenzusetzen. Meine Mutter nickt nur.

Ich kann mich kaum an Jette erinnern. Sie lebte alleine, eine Stunde von hier entfernt und war der totale Einzelgänger, wie Papa immer sagt. Wir sahen uns nur selten, aber wenn, dann war sie sehr nett zu mir. Aber was hat das mit dem Pferd zu tun, das nun elegant auf der schmalen Straße umhertänzelt und den Kopf so hochreißt, dass die Mähne fliegt?

»Wenn Sie so gut wären und das Pferd für Ihre Tochter nun übernehmen?« Der Mann zwinkert mir zu, wie ein Verbündeter. So als hätte sich gerade mein sehnlichster Wunsch erfüllt.

Mama und ich folgen ihm wortlos, als er voran zur Straße geht. Mama auf Socken, ich auf meinen seidigen Tanzschuhen. Mein Hirn hat einen Kurzschluss. Und als ich plötzlich eine Führleine in der Hand halte, an dessen Ende ein brauner Gaul hängt, dreht sich meine Welt viel zu schnell.

»Ein Pferd? Für mich?«, hauche ich benommen und schaue zu, wie die Klappe des Lieferwagens geschlossen wird, die Männer eine riesige Kiste in den Vorgarten stellen und anschließend einsteigen. Hugo hockt immer noch in meinem Arm. Stumm glotzt er das mächtige Tier neben mir an. Ich wette, ich sehe in diesem Moment nicht wesentlich intelligenter aus als mein schielender Mops.

»Jette hat es dir vermacht«, sagt Mama und zupft an einem ihrer Lockenwickler. »Du hast dieses Pferd geerbt.«

»Was soll ich denn bitte mit einem Pferd?«, frage ich mich und linse vorsichtig zu dem Riesenvieh hinauf. Es schaut zurück, bläst mir warmen Atem ins Gesicht und spitzt die Ohren. Hugo knurrt leise.

»Wie kommt Jette darauf, dass ich ein Pferdemädchen bin?«, wundere ich mich. »Liegt da wenigstens irgendwo eine Karte bei? Eine Nachricht für mich, was ich damit anfangen soll?« Ich lasse meinen Blick über das Tier wandern, auf der Suche nach so was wie einem Etikett. Geschenke von Jette hatten sonst immer ein Kärtchen angeheftet, auf dem nette Grüße standen. Oder Lebensweisheiten à la Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.

»Das weiß ich auch nicht, Liebes«, gibt meine Mutter zu. Eine Premiere.

»Du weißt doch sonst alles«, erinnere ich sie. Und wenn sie es mal nicht weiß, tut sie zumindest immer so, als wüsste sie es doch.

»Ich weiß es wirklich nicht. Ich muss diesen Notar anrufen, der auf dem Zettel vermerkt ist, den der Bote mir gegeben hat. Der verwaltet den Nachlass von Jette.« Mama zuckt die Schultern, zerrt den Gürtel ihres Bademantels fester.

»Ist das jetzt ein Grund zur Panik, wenn du mal nicht weißt, was zu tun ist?« Das Pferd senkt den Kopf, streift mit seiner großen Nase mein Gesicht und ich quieke panisch auf. Das Tier ist mir einfach viel zu groß. Warum hat man mir kein Meerschweinchen vererbt? Oder einen zweiten Mops? Oder einen Goldfisch? Oh nein, den besser nicht. Mit Goldfischen habe ich ganz schlechte Erfahrungen gemacht.

»Es war nun mal Jettes letzter Wille.« Mama seufzt, lächelt tapfer, als der alte Herbert mit seinem Dackel vorbeikommt und seinen Augen nicht traut.

»Oh, was ist das denn für ein Ungetüm?«, fragt er und schwingt dabei den Gehstock. »Ist das Vieh bei der Seuchenkasse gemeldet?«

»Aber natürlich«, antwortet meine Mutter und winkt freundlich. Herbert hat immer was zu meckern und Hugo beginnt zu kläffen. Fast rechne ich damit, dass das Pferd nun ausrastet und mich umrennt. Es sind ja bekanntlich Fluchttiere und ich hatte so was oft im Fernsehen gesehen. Doch es bleibt ganz cool. Cooler als ich zumindest, denn ich tipple unruhig auf der Stelle. Weiß nicht, wohin mit meinen kostbaren Füßen. Es wäre nicht auszudenken, wenn das Pferd sie treffen würde. Das wäre es dann mit meiner Profikarriere als Tänzerin. So ein Trümmerbruch hat schon so einigen Ballerinas das Leben versaut.

»Und was ist mit meinem Willen? Man hätte mich ja mal fragen können«, rege ich mich nun auf und weiche einmal mehr quiekend zurück, als das Tier einen Schritt auf mich zu macht.

»Ist das jetzt so eine ’nem geschenkten Gaul, schaut man nicht ins Maul Geschichte?«, frage ich und versuche an mein Handy zu kommen.

Ich seh’ schon, das ist nicht mein Tag.

»Der letzte Wille ist heilig«, findet meine Mutter und bekreuzigt sich auch noch. Ich bin getauft, aber wir gehen nur zu Weihnachten in die Kirche. Also, was soll das auf einmal?

»Na toll, dann lern ich jetzt also reiten, oder was?«, frage ich und Hugo niest. Das Pferd brummt wie zur Antwort und ich presse unseren Hund fester an meine Brust. Wer kann schon wissen, ob Hunde und Pferde sich gut verstehen. Ein Tritt von diesen Hufen und mein Hund ist Geschichte. So obsolet wie die Dinosaurier. Apropos, ist man sich sicher, dass Pferde nicht mit den Urzeitriesen verwandt sind? Bei der Größe?

Beim nächsten Herzschlag öffnet Mama die Garagentür und winkt mich zu sich. Papa ist gerade mit unserem Kombi zur Arbeit, weshalb sie leer ist.

»Tu es erst mal hier rein«, meint meine Mutter irrwitzig. Ich habe absolut keine Ahnung, wie man ein Pferd führt. Geschweige denn, wie man mit ihnen kommuniziert. Ich versuche es einfach mal mit einem Schnalzgeräusch. Und oh Wunder, es funktioniert.

»Braves Hottehü.« Vorsichtig zupfe ich an dem Strick und mache ein paar Schritte voraus. Das große Tier kommt mir einfach nach. Seine Hufe machen laute Geräusche auf den Pflastersteinen und es muss seinen Kopf einziehen, als wir in die Garage gehen. Mama nimmt mir den vor Aufregung röchelnden Hugo ab und ich parke das Pferd genau in der Mitte. So weit, so irre.

Vorsichtig hebe ich die Hand und lasse meine Finger sacht über die Pferdenase streichen. Sie ist weich, samtig und warm. Die langen Haare an seiner Schnauze kitzeln.

»Du bist echt eine witzige Lieferung«, sage ich und muss dann doch lächeln. »Wie eine fehlgeleitete Amazon-Sendung.« Das glaubt meine Freundin Anouk mir nie. Ich verschlucke ein Kichern.

»Ich lache später, ich muss das erst mal verdauen«, meint meine Mama und zerrt im nächsten Moment die Kiste aus dem Vorgarten zu uns in die Garage. Ich schätze, da ist Pferdezubehör drin. »Und ich muss deinen Vater anrufen.«

»Na, dann viel Spaß. Der wird begeistert sein«, prophezeie ich. »Er wollte nicht mal Hugo haben.«

Der Mops schaut mich erschrocken an. »Sorry, Buddy. Aber so war es.« Wir brauchten zwei Jahre und drei Monate, bis wir Papa überredet hatten. Ein Hund stand nicht auf seinem Lebensplan und er hatte Angst, dass er ins Haus macht. Darüber braucht er sich bei einem Pferd zumindest keine Gedanken machen. Soweit ich weiß, leben die in Ställen und kommen nicht aufs Sofa.

Manche Dinge geschehen aus heiterem Himmel. Und sie können einem echt die Socken ausziehen. Oder, wie in meinem Fall, die rosa Ballerinas, in denen ich eben noch für den nahenden Auftritt auf dem Sommerfest geübt habe.

Und ich bin weiß Gott kein Fan von ungeplanten Ereignissen. Als meine Mutter einmal eine Überraschungsgeburtstagsparty für mich gemacht hat, musste ich mich vor lauter Stress übergeben. Unschöne Sache. Besonders, wenn man es ganz heimlich versucht und auf die Schnelle nur ein Paar Stiefel findet. Und sich später herausstellt, dass es die von der besten Freundin waren. Ein Glück ist Anouk nicht nachtragend und hat ein gutes Herz. Sie macht mir auch vor jedem Ballettauftritt Mut, wenn meine Nerven mal wieder flattern. Und das tun sie oft. Vermutlich bin ich das nervöseste Mädchen unter der Sonne.

Deshalb rufe ich nun meine beste Freundin an, damit sie mir beisteht. »Nouki, das wirst du mir nicht glauben«, hauche ich ins Handy.

»Ruf mich nicht an, schreib ’ne WhatsApp«, begrüßt sie mich.

»Nein, du musst sofort herkommen«, beeile ich mich zu sagen, bevor sie einfach auflegen kann. Das tut sie gerne, weil sie es hasst zu telefonieren. Elendig lange Sprachnachrichten sind kein Problem, aber telefonieren stresst sie.

»Du weißt doch, dass ich ein Tutorial ausprobieren wollte. Ich kleb gerade Lashes«, erinnert sie mich an ihr Vorhaben, TikTok-Videos zu drehen. Einen Moment wird es still. Bis auf den Krach vom nahen Neubaugebiet zumindest.

»Lass die falschen Wimpern und schwing deinen Arsch hierher. Ich hab ein Pferd geerbt«, haue ich dann raus.

»Was?« Stille entsteht. »Sehr witzig, Milli.«

Ich zucke, als das Pferd mit dem Maul nach meiner Hand angelt. Es hat bestimmt Hunger. Es denkt bereits, meine Finger sind kleine rosa Karotten und wird mich einfach fressen.

»Kein Scherz«, jammere ich.

»Ich bin gleich da!«, sind Anouks Worte, bevor sie einfach auflegt. Und ich bin froh, dass sie nur wenige Querstraßen weiter wohnt.

Jupiter

Zweifellos würde das alles in einer Katastrophe enden. Anouk ist Feuer und Flamme für das Pferd. Sie vergräbt zum hundertsten Mal ihr Stupsnäschen in dessen Mähne und kommt aus dem Plappern gar nicht mehr heraus. Mama hat sich mit Papa zu einem Krisengespräch zurückgezogen und den Babysitter-, pardon, Pferdesitterjob ganz uns überlassen.

Ich musste den Wallach schon zweimal davon abhalten, seine Nase in Papas Angelegenheiten zu stecken. In diesem Fall sein Werkzeugregal. Und dann hat er auch noch in meinen Dutt gebissen, weil er wohl dachte, es sei etwas zu fressen.

»Lass dich nicht von ihm unterkriegen«, rät mir Anouk und klimpert mit ihren falschen Wimpern. »Du musst ihm sagen, wer hier die Bosslady ist«, klugscheißt sie und ich falte seufzend den Zettel wieder zusammen, auf dem nur eine kleine Notiz steht: Nachlass von Jette Hoops, Wallach Jupiter. Und die Adresse des Notars. In Anouks Augen glimmt die Pferdebegeisterung und ich überlege, ihr mein Erbe einfach zu schenken. Jupiter, so heißt der braune Wallach, verdient einen Besitzer, der ihn liebt. Vor allem, weil er Jette ziemlich am Herzen lag.

»Hab ich schon versucht, aber Jupiter ist bestimmt taub«, vermute ich und lasse mich auf den Boden sinken. Wie lange wird das Gespräch meiner Erziehungsberechtigten denn noch dauern?

Anouk kichert, krault Jupiters Hals und er macht ein komisches Gesicht dabei. Er zieht die Oberlippe hoch, lässt sie lustig kreisen und zeigt dabei große gelbliche Zähne. Fast sieht es aus, als würde er lachen.

»Oh, guck mal. Wie niedlich. Er mag das«, meint Anouk und macht weiter. »Du solltest das auch versuchen. So freundet man sich mit Pferden an«, klugscheißt sie weiter.

Ich runzle die Stirn. »Woher willst du das denn wissen?«

»Hab ich gelesen, du kannst es googeln«, ist nicht gerade die Antwort, die mich beruhigt.

Jupiter schielt zu mir herüber und nimmt dann einen großen Schluck aus dem Wassereimer. Er trinkt wie ein Elefant. Bald schon muss ich zum dritten Mal neues holen.

»Was können wir ihm denn nun zu essen machen?«, frage ich mich. Unseren Vorrat an Möhren hat er schon bekommen. Ebenso zwei Äpfel. Und er sieht immer noch ziemlich hungrig aus, wenn man mich fragt.

»Na, Pferde fressen Gras. Wir sollten mit ihm in den Garten.« Anouk zuckt die schmalen Schultern.

»Ich weiß nicht«, zögere ich und höre die Verbindungstür zum Haus. Die Garage hat quasi drei Ein- und Ausgänge. Vorn das Tor, hinten eine Metalltür und eine, die direkt in den Hauswirtschaftsraum führt.

Papa und Mama kommen mit ernster Miene zu uns in die Garage.

»Und, was machen wir jetzt?«, will ich von ihnen wissen.

»Ich fahre gleich los und klappere die Bauernhöfe ab. Das Pferd kann ja nicht auf Dauer in der Garage bleiben«, meint Papa, kratzt sich im Nacken und seufzt, wie er es oft tut, wenn er von einer Situation nicht begeistert ist.

»Und ich besorge Heu und Stroh und erkundige mich nach einem Stall. Oder einer Weide, wo das Pferd stehen kann.«

Mir liegt immer noch die Frage auf der Zunge, was ist, wenn ich Jupiter gar nicht behalten will? Aber Anouk ist ein riesiges Hurra ins Gesicht geschrieben.

Und meine Mama streichelt Jupiters Nase und sieht dabei fast zufrieden aus.

»Jette hat Pferde schon immer geliebt«, sagt sie gedehnt. »Und ich habe meiner Cousine sehr viel zu verdanken, weißt du?« Nur kurz blickt sie zu mir und schwelgt in Erinnerungen. »Als damals meine Mama starb, hab ich sogar bei ihr gelebt. Sie war wie eine Schwester für mich.«

Ich kann mir nicht vorstellen, wie es sein mag, so früh elternlos zu sein wie meine Mama. Sie war nicht viel älter gewesen als ich jetzt.

»Das verstehe ich, Frau Koch. Wir werden uns ganz toll um Jupiter kümmern«, verspricht Anouk und ich stimme ihr zu.

Was wohl meine Mitschüler sagen werden, wenn ich ihnen erzähle, dass ich stolze Pferdebesitzerin bin? Einige von ihnen werden vielleicht vor Neid vergehen. Andere werden sich nur wieder lustig machen, besonders Tina, die Oberzicke. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, mir das Leben schwer zu machen. Am liebsten nennt sie mich und Anouk »Hupfdohlen«, weil wir Ballett tanzen. Das findet sie mega uncool. Was sie hingegen nicht uncool findet, ist Erik. Und der interessiert sich für mich, was sie ziemlich verärgert.

Hach, Erik. Er ist so süß und wohnt nicht mal weit von mir entfernt. Jedes Mal, wenn ich ihn treffe, schwirren Tausende Schmetterlinge in meinem Bauch umher und mir wird ganz schwindelig. Was er wohl von einem Pferd hält?

»Erde an Milli«, höre ich plötzlich meinen Namen.

»Was?«

»Ob du einverstanden bist?«, hakt mein Papa nach.

»Mit was?«

»Dass wir den Notartermin morgen abwarten. Und dann entscheiden, was mit dem Pferd passieren soll.« Es muss so einiges mächtig durcheinandergelaufen sein mit dieser Erbschaft. Mama hatte drei Stunden lang telefoniert und sich sehr gewundert, dass sie so spät von Jettes Tod erfahren hat, obwohl sie ihre einzige Verwandte hier in Deutschland ist. Jettes Mutter in Finnland wurde zwar informiert, hatte kurz darauf aber einen Schlaganfall, weshalb sie Mama nicht kontaktieren konnte. Sie lag über einen Monat im Krankenhaus und konnte erst nicht mehr sprechen. Manchmal kommen viele schlimme Dinge auf einmal zusammen, als wenn sie sich gegenseitig anzögen. Zum Glück ist Jettes Mama, Tante Marit, jetzt wieder auf dem Weg der Besserung.

»Von mir aus«, stimme ich einfach mal zu. »Aber nicht, dass ihr denkt, ich mutiere über Nacht einfach so zu einem Pferdemädchen. Das wird nicht passieren«, bin ich mir sicher und Jupiter spitzt die Ohren. Sein Blick, mit dem er mich bedenkt, hat auf einmal etwas derart Intensives, dass ich mich ihm kaum entziehen kann. Hat er etwa verstanden, was ich gesagt habe?

»Also, ich würde mich freuen, wenn ich einfach so ein Pferd bekommen würde«, entgegnet mir Anouk und ich strecke ihr die Zunge raus. Sie tut gerade so, als wäre ich undankbar. Das ist mal wieder klar, dass sie ihre Meinung nicht für sich behalten kann. Aber dafür liebe ich sie ja auch. Ehrlichkeit ist so wichtig in einer Freundschaft.

»Tu ich ja auch irgendwie«, gebe ich zu und lasse meine Hand über das seidige Fell des Wallachs streichen. Es ist so warm und weich. Nicht zu vergleichen mit Hugos Strubbelhaaren.

»Super, also dann ran ans Werk«, meint Papa mit einer Spur Verzweiflung in der Stimme und schnappt sich die Autoschlüssel.

»Ich hab eine Idee«, freut sich Anouk.

»Lass hören.«

»Für meine Kaninchen sammle ich immer am Wegesrand Löwenzahn. Das können wir für Jupiter doch auch machen!«

Jupiter wiehert ganz leise. Es hört sich an wie eine begeisterte Zustimmung.

»Da müssen wir aber lange pflücken«, fürchte ich und bekomme im nächsten Moment einen Müllsack von meiner Mutter in die Hand gedrückt.

»Kann schon sein, aber hast du eine bessere Idee?«

Ich will ihr antworten, dass ich noch weiter üben wollte. Dass ich lange kein Video für meinen Kanal hochgeladen habe. Und meine Follower mir bestimmt flöten gehen, wenn nicht bald was Interessantes nachkommt. Die Community kann so hart und unbeständig sein, wenn man sie schlecht unterhält.

Ich seufze und folge Anouk aus der Garage. Jupiter findet das jetzt gar nicht gut und wiehert klagend. Es ist seltsam, aber der Laut sticht in meinem Magen und ich muss den Impuls unterdrücken, sofort zurückzulaufen, um ihn zu trösten.

Wenig später finde ich mich auf den Knien am Straßengraben wieder. Das Gras hier steht hoch und wir rupfen, was das Zeug hält.

»Das wird Jupiter bestimmt schmecken«, meint Anouk und zupft schneller. Sie schaut sich immer mal wieder über die Schulter um, wenn Autos an uns vorbeifahren. Es muss seltsam aussehen, was wir hier machen.

»Meine Schwester besitzt eine halbe Bibliothek mit Pferdebüchern. Ich kann bestimmt welche ausleihen«, meint sie und ich muss an was ganz anderes denken. An einen besonderen Moment mit Erik in der Schulbücherei.

»Ja, das wäre toll. Aber, was ich dir noch erzählen wollte: Erik hat mir doch vor den Ferien dieses Witzebuch empfohlen, weißt du noch?« Kurz sehe ich den dunkelblonden Jungen vor mir, wie er mich anlächelt und in meinem Magen flirrt etwas hoch. Vermutlich diese Schmetterlinge.

»Klar, weiß ich das«, strahlt Anouk mich an und schließt den ersten Sack mit Gras. Er ist so voll, dass er beinahe platzt.

»Ganz hinten in dem Buch steht eine Notiz. Weißt du, was da steht? Traumgirl. Meinst du, er hat es dort hineingeschrieben?« Das frage ich mich schon seit gestern Abend, nachdem ich es entdeckt habe. Sollte er mir deshalb das Buch empfohlen haben, um mir eine geheime Nachricht zukommen zu lassen? Das wäre so was von romantisch!

»Traumgirl also?« Anouk denkt nach, fährt sich dabei durchs lange hellbraune Haar. »Möglich wäre es ja. Allerdings ist er ja sonst auch nicht auf den Mund gefallen.«

Das stimmt. Ich kenne kaum jemanden, der so selbstbewusst ist wie Erik. Ich hingegen bin immer nervös, wenn ich ihn sehe.

»Aber es wäre ja schon süß, oder?« Sollte er mich nicht gemeint haben und ich spreche ihn darauf an, wäre es allerdings peinlich. Ich höre auf Gras zu rupfen und denke nach. Die Autos rauschen auf der Straße weiter an uns vorbei. Die Sonne wärmt meinen Rücken und mir wird heiß.

»Na ja, Jungs denken ja dann doch irgendwie anders als wir Menschen«, ist Anouks Meinung dazu und ich kichere.

»Du meinst anders als wir Mädchen«, korrigiere ich sie. Doch mein Lachen vergeht mir ganz schnell wieder, als jemand mit einem Fahrrad neben uns anhält. Ich wirble herum, verstecke den vollen Sack mit Gras hinter mir, was natürlich nicht klappt, und starre ausgerechnet in das Gesicht von Tina.

»Was macht ihr da?«, will sie wissen und sieht einmal wieder mega aus. Sie trägt einen Prada-Gürtel und ein Guess-Kleid. Es sitzt perfekt und unterstreicht ihre weibliche Figur, die alle so toll an ihr finden.

»Wir studieren das Verhalten von Gräsern und Blattgrün auf Wiesen und an Straßengräben«, plappere ich einfach drauflos. »Wieso?«

»Ist das nicht ein bisschen weird?« Und da ist es, dieses Stirnrunzeln der Verachtung.

»Kein bisschen. Und was machst du so?«, springt mir Anouk beiseite und schließt den zweiten Müllbeutel voller Gras.

»Ich bin auf dem Weg ins Freibad. Die halbe Schule trifft sich dort. Hat euch denn keiner was gesagt?«, fragt sie mit gespieltem Bedauern.

»Doch, klar, aber wir haben halt schon was vor. Wir sammeln Futter für …« Ich stoße Anouk an. »… für meine Kaninchen.«

»Ganz schön viele Kaninchen, was?« Tina schwingt sich wieder aufs Rad und tritt in die Pedale. Mein Grinsen friert auf meinem Gesicht ein, als sie sich noch mal zu uns umdreht.

»Erik wird auch da sein. Er hat mich auf ein Eis eingeladen. Ich dachte, du solltest das wissen«, zwitschert sie und ich wünsche ihr einen Fahrradunfall. Einen ganz kleinen natürlich nur, bei dem sie sich aufgeschürfte Knie holt oder so.

»Wieso sollte Milla das bitte interessieren?«, findet meine beste Freundin als Erste Worte dafür. Denn mein Mund ist plötzlich staubtrocken und ich krieg keinen Ton heraus. Ob sie lügt?

»Och, ich dachte ja nur, weil sie in ihn verknallt ist«, fügt Tina noch an. So ein scheinheiliges Biest. Und ich sorge mich, ob ein Pferd mir gefährlich werden könnte, wo das offensichtliche Monster Prada trägt.

»Ich wünsche dir viel Spaß«, entscheide ich zu rufen und schultere den Müllsack. »Hoffentlich reicht seine Spendierfreudigkeit für mehr als ein Wassereis.«

Ich wünschte, meine Worte könnten wahr werden und er gibt nicht mehr als fünfzig Cent für sie aus. Fast rechne ich damit, dass Tina noch etwas Bissiges darauf antwortet. Stattdessen fährt sie einfach still grinsend weg und lässt mich mit erstarrten Schmetterlingen im Bauch zurück.

»Mach dir nichts draus«, sagt Anouk. »Jungs flirten immer mit mehr als einem Mädchen«, versucht sie mich zu beruhigen. »Das ist ganz normal, so wollen sie ihren Marktwert steigern. Hab ich mal gelesen.«

»Komm, lass uns lieber beeilen. Jupiter sollte nicht so lange auf uns warten müssen«, lenke ich vom Thema weg.

»Du hast recht.« Anouk hüpft voller Energie neben mir her.

»Ich hab übrigens mal gegoogelt. Wusstest du, dass Pferde im Stehen schlafen können? Sie legen sich nur hin, wenn sie sich ganz sicher und geborgen fühlen«, berichtet sie mir.

»Ne, wusste ich nicht.« Meine Gedanken sind immer noch bei Erik. Warum hat er mich nicht gefragt, ob ich auch ins Freibad komme? Flüchtig checke ich meine Nachrichten, aber da ist nichts von ihm.

»Sie können sozusagen die Bänder und Sehnen der Beine verschließen und haben so einen sicheren Stand, wenn sie einschlafen. Und meistens entlasten sie ein Hinterbein und stellen es auf. Also, ich kann nur im Sitzen pennen, vor allem in der Schule.« Anouk lacht und ich versuche es auch.

»Stell dir mal vor, wir könnten im Stehen schlafen, das wäre lustig. Aber wir sind ja keine Fluchttiere und müssen Hals über Kopf wegrennen können. Ich schätze, wir sind eher so was wie Raubtiere«, meint Anouk und biegt in unsere Anliegerstraße.

»Auf jeden Fall«, stimme ich ihr zu. »Guck dir Tina an, die ist mit Hyänen verwandt«, finde ich. Ihr Lachen ist mindestens genauso hässlich wie das dieser Viecher.

»Thihihi. Stimmt.« Anouk wird schneller, schultert tapfer die Säcke und ich mühe mich mit einem ab.

»Guck mal. Dein Vater ist wieder zurück.« Jetzt entdecke ich den Kombi auch und wir beginnen zu rennen. Es sieht so aus, als lade er Strohballen aus dem Kofferraum. Ui, das wird wohl Dreck machen. Sonst darf nicht mal Hugo ohne Schutzdecke für die Polster mitfahren.

»Warte, wir helfen dir«, biete ich sofort an und höre ein lautes Poltern aus der Garage gefolgt von einem spitzen Schrei meiner Mutter. Erschrocken gucken wir drei uns an. Anouks Mund formt ein Oh und mein Vater reißt das Garagentor auf. Jupiter steht mit weit aufgerissenen Augen da und bewegt sich nicht. Sein Hals ist gestreckt und der Wallach zittert leicht. Vor ihm liegt das Werkzeugregal. Es ist von der Wand gekippt. Mama hockt daneben und versucht den Strick vom Metall zu lösen, an dem sie das Pferd offenbar festgebunden hatte.

»Ich hab ihn nur kurz festgemacht. Ich musste ans Telefon«, verteidigt sie ihre Nachlässigkeit und spricht beruhigend auf das sichtlich unsichere Pferd ein. Jupiter trötet durch seine Nüstern, weil ein kleiner Akkubohrer zum Leben erwacht ist und auf dem Boden umhersurrt. Ich schnappe ihn und mache ihn aus. Dann halte ich Jupiter meine Hand entgegen.