DAS GRAB AN DER WESTKÜSTE - Bill Knox - E-Book

DAS GRAB AN DER WESTKÜSTE E-Book

Bill Knox

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Beschreibung

Der Fischereischutzkreuzer Marlin soll nach einem Sturm zwei Zoologen von der Insel North Rona vor der Westküste Schottlands abholen.

Doch die beiden Wissenschaftler liegen in einem Grab verscharrt - zusammen mit einem dritten, unbekannten Mann...

Der Roman Das Grab an der Westküste von Bill Knox (* 1928 in Glasgow; † März 1999) erschien erstmals im Jahr 1976; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im gleichen Jahr.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

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Veröffentlichungsjahr: 2020

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BILL KNOX

 

 

Das Grab an der Westküste

 

Roman

 

 

 

 

Apex Crime, Band 139

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

DAS GRAB AN DER WESTKÜSTE 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

 

 

Das Buch

 

Der Fischereischutzkreuzer Marlin soll nach einem Sturm zwei Zoologen von der Insel North Rona vor der Westküste Schottlands abholen.

Doch die beiden Wissenschaftler liegen in einem Grab verscharrt - zusammen mit einem dritten, unbekannten Mann...

 

Der Roman Das Grab an der Westküste von Bill Knox (* 1928 in Glasgow; † März 1999) erschien erstmals im Jahr 1976; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im gleichen Jahr.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

  DAS GRAB AN DER WESTKÜSTE

 

 

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Der Sturm war vorüber. Lediglich ein finsterer, grauer Novemberhimmel, eine glatte, ölige Dünung, und hier und da einige zerrissene, treibende Inseln dunkelgrünen Seetangs erinnerten an die gewaltige Wetterkatastrophe, die stattgefunden hatte.

Die Wellen umspielten träge den schlanken, schwarzen Schiffsrumpf des Fischereischutzkreuzers Marlin. Eine einzelne Heringsmöwe thronte keck auf der blauen Flagge des Fischereischutz-Geschwaders. Die Fahne war am Heck des Kreuzers befestigt. Andere Möwen, darunter eine Anzahl der großen Polarmöwen mit schwarzen Flügeln, umkreisten das Schiff aufgeregt seit dem Augenblick, als die Marlin vor Anker gegangen war.

Der Fischereischutzkreuzer lag eine Viertelmeile vor den schroffen Nord-Ost-Klippen der Insel. North Rona war klein und abgelegen; ein unbewohnter Fleck auf den Seekarten der schottischen Westküste, etwa fünfzig Meilen von Kap Wrath entfernt, im offenen Atlantik.

Die Marlin war aus einem bestimmten Anlass nach North Rona gefahren, hatte aber bei dem gewaltigen Sturm über eine Woche länger für die Reise gebraucht. Die Männer an Deck waren gerade dabei, ein Schlauchboot an der Bordwand hinabzulassen. Kein Schiff von der Größe der Marlin hätte es gewagt, sich dem Ufer auf mehr als eine Viertelmeile zu nähern - wegen der Felsen und Riffe.

Während die Männer an der Arbeit waren, tauchte ein junger, grauer Seehund an der Wasseroberfläche auf, nicht mehr als einen Steinwurf von der Marlin entfernt. Neugierig und furchtlos schwamm er näher. Da nur selten ein Schiff die Insel ansteuerte, war für den Seehund alles, was er sah, fremd und neu.

Ein Matrose bemerkte den glatten, grauen Kopf in den Wellen. Der Mann grinste und machte die anderen, die das Boot ins Wasser ließen, darauf aufmerksam. Aber die Schiffsirene der Marlin schmetterte gerade wieder einen langen Heulton auf die Insel zu, und seine Worte gingen im Lärm unter.

Über ihnen flogen die Vögel aufgeschreckt durcheinander. Erschrocken verschwand der Seehund mit einer seitlichen, schnellen Tauchbewegung und zeigte für einen kurzen Augenblick seinen geschmeidigen, dunklen Leib. Als er wieder hochkam, war er weiter draußen, immer noch neugierig, aber jetzt vorsichtiger.

Nachdem auch das Echo des Sirenengeheuls verklungen war, richtete Kapitän James Shannon sein stabiles Seefernglas auf das Ufer. Der Kapitän war ein kleiner, plumper Mann mit einem graumelierten Bart. Nach etwa einer Minute senkte er das Glas und brummte ungeduldig vor sich hin.

»Wie steht’s bei Ihnen, Mister?«, fragte er schroff. »Etwas gesehen?«

»Immer noch nichts, Sir.« Während er sein eigenes Fernglas von den Augen nahm, stahl sich ein Grinsen über das breitknochige Gesicht des Ersten Offiziers Webb Carrick. Wie gewöhnlich war das Ufer von North Rona belebt mit grauen Seehunden, aber beim Sirenengeheul des Fischereischutzkreuzers erschraken sie und tauchten blitzschnell unter. »Na ja, sie werden schon noch kommen.«

»Typisch Zoologen«, sagte Shannon finster. Während er sich mit beiden Händen am polierten Teakholz der Brückenreling festhielt, kaute er für einen Moment an seinem Bart. »Zeit spielt keine Rolle für sie - und sie glauben, das gilt für alle.«

Carrick nickte; er verstand Shannons Ungeduld. Der Fischereischutzkreuzer befand sich auf einem Routineeinsatz. Und wenn dieser erledigt war, hatte die Marlin laut Befehl ihre Patrouille zu beenden und sich zur Flottenbasis an der Clyde-Mündung zu begeben. Einige neue elektronische Geräte mussten installiert werden, währenddessen würde die Mannschaft eine zusätzliche Freizeit bekommen - um die Shannon aus einem persönlichen Grund ungewöhnlich besorgt zu sein schien.

Zwei Männer hätten nun eigentlich am Strand der kleinen Insel stehen sollen; Zoologen, die vom Naturschutzamt bezahlt wurden. Sie waren dorthin gebracht worden, um eine zweiwöchige Untersuchung der Seehundkolonie durchzuführen. Infolge des Sturms waren sie gezwungen gewesen, eine weitere Woche auf der Insel zu verbringen. Durch das Fernglas betrachtet, war ihr Lager nichts weiter als ein Zelt, das innerhalb der Mauern einer niedrigen, zerbröckelten Ruine aufgerichtet worden war. Der Platz war gut ausgewählt, geschützt durch eine Klippe auf beiden Seiten, nahe bei einem der wenigen sicheren Landungsplätze von North Rona.

Aber obgleich die Sirene der Marlin, seit sie vor Anker gegangen war, mehrere Heultöne von sich gegeben hatte, war von den beiden Männern nichts zu sehen.

»Hm - ich habe nachgedacht, Sir.« Der diensthabende Steuermann stand hinter ihnen und räusperte sich umständlich. Er war ein magerer, stets traurig dreinschauender Typ, der von der Ostküste stammte, schlechte Zähne und ein feierliches Getue an sich hatte, das an die Atmosphäre eines Friedhofes erinnerte. »Wenn man bedenkt, dass die beiden studierte Burschen sind, werden sie sich vielleicht etwas umgesehen haben. Sie können genauso gut auf der anderen Seite der Insel sein, und es wird eine Weile dauern, bis sie zurückkommen.«

»Ja, oder sie sind fortgegangen, um irgendwo eine Partie Bingo zu spielen«, erwiderte Shannon sarkastisch.

Der Steuermann zuckte zusammen, abrupt hörte er zu sprechen auf, als er merkte, dass dicke Luft herrschte. Dann war Stille; nur die einschläfernden Vibrationen der beiden starken Dieselmotoren der Marlin waren auf Deck zu vernehmen. Es war, als ob das ganze Schiff die Ungeduld des Kapitäns mitempfinden würde.

»Sie können ihnen tatsächlich nicht die Schuld geben«, warf Carrick vorsichtig ein und riskierte dabei dieselbe Abfuhr. »Sie hatten eine Menge Zeit zu vertreiben - und sie wussten nicht, wann wir hier auftauchen.«

»Jeder kann mal einen Defekt an seinem Funkgerät haben«, gab Shannon müde zu. »Aber hören wir uns lieber ihre eigene Entschuldigung an, Mister.«

Carrick zuckte die Achseln und schwieg. Die beiden Männer waren mit Vorräten an Land gegangen, die einen Monat reichen würden, und mit einem kleinen Notsender - es waren früher schon Besucher auf North Rona gestrandet. Als der Sturm losbrach, hatten sie einige Male durchgegeben, dass alles in bester Ordnung sei. Dann war plötzlich jeglicher Kontakt abgebrochen, aber dies war ebenfalls schon öfters passiert. Naturschutzleute waren bekanntlich tollpatschig, was die Bedienung von Funkgeräten anbelangte.

»Schlauchboot fertig?«, fragte Shannon.

Carrick ging auf die andere Seite der Kommandobrücke und warf einen Blick nach achtern. Das kleine Schlauchboot war im Wasser und stieß mit jeder hereinkommenden Welle leicht an den Rumpf der Marlin.

»Fertig, Sir«, bestätigte er über die Schulter.

»Dann geht und sucht die beiden Wandervögel«, befahl Shannon. Er zögerte und schaute finster um sich, weil er sich an ein anderes Problem erinnerte. »Nehmen Sie unsere Passagiere mit, Mister. Ich habe ihnen gesagt, dass sie eine Stunde an Land gehen können, während das Lagerzubehör an Bord gebracht wird. Eine Stunde, mehr nicht! Haben Sie schon mit ihnen gesprochen?«

»Ein bisschen«, gab Carrick zu und merkte, dass dies wohl kaum die richtige Antwort war bei Shannons augenblicklicher Laune. »Sie scheinen ziemlich friedfertig zu sein.«

Es war eine Überraschung gewesen an diesem Morgen, als noch zwei Naturschutzleute, diesmal ein Mann und ein Mädchen, an der Pier aufgetaucht waren, kurz bevor die Marlin von Port Angus aus in See stechen wollte. Der Fischereikreuzer war über Nacht in dem Fischerdorf vor Anker gelegen, wo ursprünglich für die Fahrt nach Süden aufgetankt werden sollte, und hatte dann den Befehl erhalten, die beiden Männer auf North Rona abzuholen. Passagiere waren in den Papieren nicht erwähnt worden, aber die beiden Neuankömmlinge konnten Unterlagen vorweisen, an deren Gültigkeit nicht zu zweifeln war - im anderen Fall wären sie nicht an Bord gelassen worden.

»Offizielles Anhaltergesindel«, brummte Shannon. »Sie arbeiten an einem dieser Regierungserlasse, die niemand liest. Wissenschaftliches, zweideutiges Geschwätz, Statistiken, und einige glanzvolle Bilder, die das Ganze hervorheben.« Er griff nach dem Brückentelefon. »Ich werde sie herrufen. Aber nur eine Stunde, Mister, vergessen Sie das nicht.«

»Aye-Aye, Sir«, sagte Carrick pflichtbewusst.

Er drehte sich um, nickte dem Steuermann kurz und mitfühlend zu und verließ die Brücke. Unten in seiner engen Zwischendeckkabine schloss er die Tür hinter sich und kicherte. Kapitän Shannon war im Begriff, sich wieder einmal einem seiner regelmäßigen explosiven Höhepunkte zu nähern.

Die Kabine war spärlich möbliert; sie hatte ein einziges Bullauge, das einen Ausblick auf die fünfzehn Zentimeter darunterliegende Wasseroberfläche freigab. Es war die Art von Atmosphäre, in der sich wohl jeder Fremde wie im Gefängnis vorgekommen wäre, obgleich Carrick es mit der Zeit ganz lustig fand. Er saß auf der Koje und zog die langen Seestiefel aus. Dann schlüpfte er in ein Paar Lederschuhe, die besser geeignet waren, um an Land auf den Felsen herumzuklettern. Seine Uniformjacke vertauschte er mit einem dunkelblauen, wasserdichten Anorak.

Während er den Reißverschluss hochzog, sah er in sein gebräuntes Gesicht im Spiegel über dem winzigen Waschbecken und schnitt eine Grimasse. »Du wirst einfach nicht gescheiter«, sagte er betrübt zu sich selber.

In Port Angus gab es drei Hotels, wovon zwei nur im Sommer für den Fremdenverkehr geöffnet waren. Aber das dritte war ganzjährig in Betrieb, und dort hatte er den größten Teil der vergangenen Nacht verbracht und mit einem extrovertierten, norwegischen Haifischkutter-Kapitän getrunken. Zuerst hatte es sich gelohnt - der Norweger gab ihm einige Tips über polnische Schlepper, die sich in verbotene Fischgründe eingeschlichen hatten.

Aber auf den Inseln hatte der Whisky, den man im Hotel in der Flasche servierte, nicht unbedingt eine Ähnlichkeit mit der Sorte, die auf dem Etikett stand. Als Beweis spürte er immer noch ein gewisses unangenehmes und hammerähnliches Klopfen im Kopf.

Er sah es ein. In den zwei vollen Jahren, die er sich nun mit. dem Fischereischutz der Inseln abgab, müsste er eigentlich etwas gelernt haben.

Im einunddreißigsten Lebensjahr hatte der stämmige, muskulöse Carrick, hundertsechsundsiebzig Zentimeter groß, allerdings eine Menge neuer Erfahrungen gesammelt. Erfahrungen und Erinnerungen, die zu den Fältchen rund um seine dunkelbraunen Augen geführt hatten.

Der Erste Offizier besaß Augen, die auf einen gutmütigen, aber grimmigen Humor schließen ließen. Er hatte schwarzes Haar. Sein breitknochiges Gesicht war nicht gerade schön, seine Lippen eine Spur zu schmal. Der schmale Mund konnte einen warnen, sein Spiel mit ihm zu treiben, ihn herumzukommandieren.

Das war während seiner bisherigen zweijährigen Tätigkeit beim Fischereischutzdienst von nicht geringer Bedeutung gewesen. Seine davorliegende Dienstzeit bei der Handelsmarine lag jetzt weit in der Vergangenheit.

Nach seiner Tätigkeit auf riesigen Öltankern war dieser Wechsel am Anfang ein richtiger Alptraum für ihn gewesen. Ein eben erst erworbenes Kapitänspatent in der Tasche, aber kein Schiff in Aussicht, war er zu einer Unterredung bei einer schottischen Fischereibehörde gebeten worden. Das muffige Büro lag bei den Leith Docks. Als die Unterredung beendet war, besaß er ein neues Patent, das ihn zum stellvertretenden Leiter des Fischereiwesens und zum Ersten Offizier des Fischereischutzkreuzers Marlin machte.

»Vom Standpunkt eines Fischers aus gesehen sind Sie nun eine Kreuzung zwischen einem Polizisten, der zur See fährt, und einem Zivilbeamten«, war Kapitän Shannons erste Bemerkung gewesen, als sich Carrick damals an Bord meldete. »Aber Sie werden lernen, Mister.«

Carrick erinnerte sich wieder an Shannons Ungeduld und an die beiden Männer auf der Insel. Er öffnete einen Schrank, steckte zwei Schachteln Zigaretten in seine Taschen und verließ die Kabine.

Wieder gab die Sirene des Fischereischutzkreuzers einen langgezogenen Heulton von sich, während er nach achtern ging, wo der Motor des im Wasser liegenden Schlauchbootes bereits zu tuckern anfing. Seine beiden Passagiere warteten schon auf dem Deck zusammen mit Jumbo Wills, dem jungen, sommersprossigen Zweiten Bootsmann.

»Alles bereit«, meldete Wills etwas neidvoll, während er einen kurzen Blick auf das Mädchen an seiner Seite warf. Dann runzelte er die Stirn. »Aber ich verstehe nicht, warum der Alte gesagt hat, wir sollen das Schlauchboot benutzen. In der Barkasse hätten wir mehr Platz gehabt.«

»Bequemlichkeit«, sagte Carrick neutral.

»Ich glaube nicht, dass sich Ihr Kapitän über unseren Komfort allzu viele Gedanken macht«, sagte das Mädchen trocken zu Jumbo Wills. Sie hatte eine heisere, fast träge Stimme, aber ein leichtes Lächeln nahm etwas von der Härte ihrer Worte, als sie hinzufügte: »Und wir haben längst begriffen, was man von uns hält, nicht wahr, Andrew?«

Der zweite Passagier, ein großgewachsener, kahlköpfiger Mann in mittleren Jahren, nickte verwirrt. Er trug einen grauen Pullover, der an den Ellenbogen geflickt war, ungebügelte Tweedhosen und Stiefel aus Armeebeständen.

»Eine Stunde an Land, mehr nicht«, sagte er niedergeschlagen. »Trotzdem, wir werden eben das Beste daraus machen.«

Andrew Hendry, ein Naturschutz-Seniorbeamter, machte den Eindruck, als ob er mit Tieren besser zurechtkommen würde als mit Menschen. Aber Helen Kingsley, seine Forschungsassistentin, glich das wahrscheinlich wieder aus. Sie mochte etwa Ende zwanzig sein, hatte graugrüne Augen, denen nichts zu entgehen schien, und ihr langes, kastanienbraunes Haar war hinten zu einem praktischen, aber reizenden Pferdeschwanz zusammengebunden.

Wahrscheinlich hatte sie auch eine gute Figur, überlegte Carrick, obgleich es schwierig war zu ahnen, was unter der wattierten blauen Jacke und der dunkelgrünen Keilhose, die sie trug, verborgen war. Außerdem hatte sie eine Kameratasche über der Schulter hängen, während Hendry eine ungeeignete Aktenmappe mit sich herumtrug.

»Trotzdem hätten wir die Barkasse nehmen sollen«, brummte Wills, der mit den Händen in den Taschen seines ölverschmierten Overalls danebenstand, vor sich hin, »so hätte ich es wenigstens gemacht.«

»Dann sagen Sie es ihm doch«, schlug Carrick höhnisch vor.

Wills errötete und zuckte die Achseln. Es gab eigentlich nur zwei Dinge in seinem Leben, die er fürchtete - seekrank zu wer

den, was ungefähr einmal auf jeder Fahrt vorkam, und mit Shannon in Konflikt zu geraten, was mindestens ebenso oft passierte.

»Das Schlauchboot ist großartig«, besänftigte sie Andrew Hendry. »Wir sind bereit.«

Carrick ließ ihm den Vortritt an dem schwankenden Fallreep. Unten erhob sich eine vertraute, vierschrötige Gestalt von der Heckruderbank des Schlauchbootes, um Hendry behilflich zu sein. Der Bootsmann der Marlin, William Clapper-Bell, ein großer, bärbeißiger, liebenswürdiger und rothaariger Glasgow-Ire, verstaute Hendry am Bug des Bootes und schaute dann grinsend hinauf, als Helen Kingsley herabzuklettern begann.

»Immer mit der Ruhe, Mädchen.« Er stimmte seine Bewegung genau mit der nächsten Welle ab und schnappte Helen dann von der Leiter mit Händen wie Bärentatzen. »Da wären wir - nehmen Sie sich vor der Gischt in acht, wenn wir losfahren.«

Carrick kletterte hinunter, hockte sich neben Bell nieder und nickte mit dem Kopf. Der stämmige Bootsmann gab ein Signal, das Tau wurde von einem Matrosen eingeholt, und als Bell das Gas aufdrehte, kam der Außenborder mit seinen vierzig Pferdestärken voll in Schwung.

Das Schlauchboot bewegte sich, auf- und niedertanzend, in einer flotten Kurve vom Fischereikreuzer weg und hinterließ eine schäumende Kielwasserspur. Am Bug duckte sich Andrew Hendry noch tiefer und hielt ein Stück Segeltuch über sich wie einen Umhang. Einen Teil davon überließ er Helen Kingsley. Clapper- Bell, der sich immer noch eifrig um die Ruderpinne bemühte, grinste bei diesem Anblick und beugte sich so weit zur Seite, dass seine Lippen nahe an Carricks Ohr kamen.

»Hübsches, kleines Mädchen, das wir da bei uns haben«, erklärte er, durch das Krächzen des Motorenlärms kaum hörbar. »Fest gebaut und richtig geformt. Sie verstehen, was ich meine?«

»Bleiben Sie mit den Gedanken bei der Arbeit!« gab ihm Carrick kalt zur Antwort.

Bell blinzelte, drehte sich in eine bequemere Sitzposition und konzentrierte sich auf die Landung. Schon zeigten sich fremdartig aussehende Felszacken über der grauen Wasseroberfläche, und verschiedene Strudel und Wirbel ließen Gefahren ahnen, die darunter lauerten.

Carrick überließ ihm das Landungsmanöver. Der rothaarige Glasgower und er selber waren das Taucherteam der Marlin, und diese Art der Zusammenarbeit führte zu einer besonderen Bindung, die wichtiger war, als irgendeine Art von formeller Disziplin. Sogar Kapitän Shannon akzeptierte diese Auffassung widerwillig.

Während das Schlauchboot sich in Richtung Ufer durch die Felsenzacken schlängelte, drehte sich Carrick um und blickte zur Marlin zurück.

Er hatte sich immer noch nicht an den neuen Anstrich gewöhnt. Der Rumpf war jetzt schwarz und der Aufbau grau. Bis vor kurzem hatten alle Fischereischutzboote dasselbe einheitliche Kriegsmarine-Grau. Aber ein schwarzer Rumpf war Teil einer neuen Darstellungspolitik, die auf Ministeriumsebene entschieden worden war - ein Versuch, das Aussehen der Flottille von dem der Patrouillen-Boote der ROYAL NAVY zu unterscheiden.

Welche Farbe sie auch immer hatte, die Marlin schaute nüchtern aus. Sie war sechzig Meter lang, hatte vierhundert Bruttoregistertonnen und die Kraft eines Miniatur-Zerstörers mit ihren dreißig Knoten Geschwindigkeit, die ihr die beiden zweitausend PS-Dieselmotoren verschafften. Die einzige Ausnahme war, dass sich auf ihren Decks keine Geschütze befanden, die ihre schlanke Linie vom Bug bis zu ihrem eleganten Fleck verunstalteten.

Aber die dreißig Knoten Geschwindigkeit wirkten abschreckend genug, ebenso das blaue Emblem des Fischereischutzes, und vor allem der Kapitän. Er war der Leiter des Fischereiwesens und hatte eine Mannschaft von zwanzig Matrosen nebst drei Offizieren unter sich. Zusammen mit den anderen Booten des Schutzgeschwaders sicherten sie das Gebiet der gesamten, heimtückischen und gefährlichen, schottischen Westküste ab.

Wo immer sich das Fischereigeschäft abspielte, mussten diese Boote im Einsatz sein. Die Marlin allein legte im Jahr durchschnittlich siebzehn tausend Seemeilen zurück - sie war verantwortlich für Ruhe und Ordnung, hielt das Gesetz aufrecht und erledigte noch eine Anzahl anderer Aufgaben.

Einschließlich des Transportes von Naturschutzleuten, wie jetzt.

Das Schlauchboot geriet in einen Wasserwirbel, der von einem Unterwasser-Riff erzeugt wurde. Die Gischt sprühte über Bord, und Andrew Hendry, der ziemlich unglücklich dreinschaute, griff nach einer Sicherheitsleine. Helen Kingsley jedoch schien in ihrem Element zu sein. Mit leuchtenden Augen versuchte sie, Carricks Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und deutete nach rechts.

Sie hatten Begleitung bekommen, eine ganze Seehundfamilie, die von einem großen, kampferprobten Seehundbullen angeführt wurde. Als das Schlauchboot das Rudel achtern zurückließ, lenkte das Mädchen sein Interesse auf die anderen Scharen von Seehunden, die überall zwischen den Uferfelsen verstreut waren.

Kurz darauf nahm Clapper-Bell das Gas weg und ließ den Motor noch einmal kurz aufheulen. Der Boden des Schlauchbootes streifte den kiesbedeckten Untergrund, als Bell den Motor ganz stoppte und die Schraube hochklappte. Dann wurden sie von einer nachfolgenden Welle weiter hoch auf den Strand getragen, und der leichte Bootskörper war in Sicherheit.

Zusammen zerrten sie das Boot noch etwas höher, und dann ließ Henry als erster los und atmete tief und erleichtert auf, während er sich umsah.

»Ich bin kein Experte, wenn es um Boote geht«, gab er zu und nahm ein schmutziges Taschentuch, mit dem er sich die Nässe abschrubbte, die auf seinem kahlen Schädel glänzte. »Nun, wollen wir zum Lagerplatz gehen?«

Sie stapften los, einer hinter dem andern, über den knirschenden Kies, und die Seehunde, die am nächsten lagen, wichen zurück. Wo der Kiesstrand aufhörte, folgte zerbröckelter Felsen, auf dem sich spärlicher Graswuchs 'angesiedelt hatte. Da war auch ein alter, fast überwachsener Pfad, der aus flachen Steinplatten bestand. Sie folgten diesem und kamen direkt zu der alten Ruine mit dem weißen Zelt.

»Jemand zu Hause?«, brüllte Hendry hoffnungsvoll und umklammerte seine Aktenmappe fester.

Die Zeltleinwand bewegte sich, und sie vernahmen ein Klappern. Dann, als sie gerade die niedrigen Steinmauern erreicht hatten, rannte ein Schaf aus dem Zelt, sprang auf der anderen Seite über die Mauer und ergriff meckernd die Flucht.

»Einer Ihrer Leute?«, fragte Carrick trocken.

Hendry zuckte lächelnd die Achseln, drehte sich zu Helen Kingsley um und schlug vor: »Sie könnten einige Fotos machen, solange wir hier warten müssen.«

Sie nickte und ging einige Schritte weiter, während sie die Kameratasche öffnete. Carrick sprang über die Mauerruine und ging hinüber zum Zelt. Die Türklappe aus Segeltuch war nicht verschnürt; er schwang sie auf und trat hinein.

Im Dämmerlicht sah er einen kleinen Tisch auf der Seite liegen, Geschirr war auf dem Boden verstreut. Das war bestimmt das flüchtende Schaf, aber sonst schien das Zelt ordentlich zu sein, unberührt. Zwei Betten aus Segeltuch, auf denen Schlafsäcke lagen, standen da, daneben erhob sich ein Stapel Proviantschachteln, das Sendegerät thronte auf einer Holzkiste. In der Mitte befand sich ein Kerosinherd, der mit einer Art Kamin ausgerüstet war, so dass der Rauch ins Freie dringen konnte.

Aber die Luft im Zelt war kalt und feucht. Carrick berührte den Herd, dessen Metall ohne jegliche Wärme war. Der Kasten des Senders fühlte sich genauso eisig und feucht an, und, als er sich gerade stirnrunzelnd darüber beugte, raschelte das Segeltuch hinter ihm, er drehte sich um.

»Ich habe mich ein bisschen umgesehen da draußen«, sagte Clapper-Bell und trat ein. Er blieb unschlüssig stehen und strich sich mit der Hand verwirrt übers Kinn. »Sir, haben Sie nicht auch das verrückte Gefühl, dass dieses Quartier seit längerer Zeit nicht benutzt worden ist?«

Carrick nickte schweigend und sah auf seine Armbanduhr. Zwanzig Minuten waren vergangen, seit die Marlin ihr erstes Sirenenzeichen gegeben hatte. Jeder, der irgendwo auf der Insel herumspazierte, hätte in dieser Zeit mühelos das Zelt erreichen können.

»Also?« Bell sah ihn fragend an.

»Sprechen wir zuerst mit Hendry«, sagte Carrick und verließ das Zelt.

Der Naturschutzbeamte saß, mit einem verwirrten Ausdruck auf seinem hageren Gesicht, auf der alten Mauer. In einiger Entfernung war Helen Kingsley mit ihrer Kamera beschäftigt.

»Immer noch kein Zeichen von ihnen«, sagte Hendry mit einem angstvollen Unterton in der Stimme. »Was ist nur los mit ihnen?«

Carrick schüttelte den Kopf und war sich gleichzeitig bewusst, dass er sich nicht einmal an die Namen der beiden Männer erinnerte. Einer der beiden war groß, jung und blond; der andere war älter - aber drei Wochen waren vergangen, seit die Marlin sie hier abgesetzt hatte. Es war sogar schwierig, sich an ihre Gesichter zu erinnern.

»Ich werde nachsehen«, sagte er kurz.

Er verließ das Lager und erklomm einen mit Felsen übersäten Hang. Von dort aus hatte er einen freien Blick über die kleine Insel bis hinüber zu der leeren, grauen Weite des Atlantik auf der anderen Seite.

North Rona hatte im Norden die Form einer schmalen Halbinsel aus Felsgestein. Im Süden war die Insel breiter, eine baumlose, mit Gras bewachsene Fläche; auf der einen Seite war ein kugelförmiger Hügel zu sehen, und auf der anderen die Ruinen eines kleinen Dorfes. Carrick erblickte da und dort weidende Schafe und ab und zu einen merkwürdig veranlagten Seehund, der ihnen Gesellschaft leistete.

Aber das war alles. Keinerlei Zeichen von Menschen; nicht einmal ein Hinweis, dass überhaupt welche existierten.

Er gab auf, kletterte den steilen Abhang wieder hinunter und schüttelte den Kopf, als er die wartende Gruppe am Lager erreichte.

»Immer noch nichts«, sagte er niedergeschlagen.

»Ich verstehe das nicht«, bemerkte Hendry hilflos. »Es sei denn, sie hätten irgendeinen Unfall gehabt...«

»Es sieht ganz danach aus«, brummte Bell.

»Und was machen wir jetzt?«, erkundigte sich Helen Kingsley ungeduldig.

»Eine richtige Rettungsmannschaft muss geholt werden, vermute ich«, warf Hendry finster ein. »Wir schaffen das nicht allein.«

Carrick nickte. Sie hatten ein Funkgerät im Schlauchboot; der Erste Offizier sah Bell an: »Clapper, gehen Sie runter zum Boot und benachrichtigen Sie den Alten!«

»In Ordnung.« Bell zögerte. »Was ist mit dem Gerät im Zelt? Sollte ich es nicht mit diesem zuerst probieren?«

»Später«, sagte Carrick. »Ich möchte alles in dem Zustand prüfen, wie es bei unserer Ankunft gewesen ist.«

Bell trottete in Richtung Strand davon. Hendry stand einige Zeit unschlüssig da und kaute an der Unterlippe; dann plötzlich drehte er sich um und kraxelte den Hang hinauf, über den Carrick gerade heruntergekommen war.

»Lassen Sie ihn gehen«, sagte Helen Kingsley leise. »Er regt sich immer gleich so auf, wenn etwas schiefgeht.«

»Und zieht vor, es zu verstecken?«, erkundigte sich Carrick.

»Ja.« Sie schaute der dünnen, emporkletternden Gestalt nach. »Ich glaube, er fühlt sich - hm, verantwortlich, sollte etwas Schlimmes passiert sein. Er arrangierte dieses Forschungsunternehmen, und die beiden Männer sind gute Freunde von ihm.«

»Wie gut kennen Sie sie?«, fragte Carrick, als Hendry den Bergkamm erreicht hatte und außer Sicht war.

»Ich bin ihnen nur zweimal begegnet.« Sie lehnte sich an das grobe Mauerwerk. »Sie sind als Universitätsdozenten in Edinburgh tätig. Aber ich weiß, dass sie erfahrene Außendienstleute sind, und außerdem ist dies nicht ihr erster Aufenthalt auf North Rona.«

»Na ja, es ist mein erster«, sagte Carrick und zog eine Packung Zigaretten aus der Tasche. »Ich erinnere mich nicht an Einzelheiten, was die beiden betrifft, obwohl wir sie hierher gebracht haben.«

»David Murray und John Edwards« - sie nahm die ihr angebotene Zigarette, beugte sich über das angeknipste Feuerzeug und zog dankbar den Rauch ein. - »Murray ist ungefähr im gleichen Alter wie Andrew Hendry. John Edwards ist viel jünger und ein athletischer Typ.«

»Sie schienen beide ganz gut zu wissen, wie man sich vor Problemen fernhält«, sagte Carrick, in Gedanken versunken.