GEFÄHRLICHE FANGGRÜNDE - Bill Knox - E-Book

GEFÄHRLICHE FANGGRÜNDE E-Book

Bill Knox

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Beschreibung

Als sich der Fischereischutzkreuzer Marlin dem kleinen Hafen an der Westküste von Schottland nähert, weht die Hochzeitsflagge auf einem der Fischerboote. Aber in Port MacFarlane herrscht alles andere als Feststimmung: Ein tödlicher Unfall und der Diebstahl von Hummerfanggerät sorgen für böses Blut unter den Fischern...

 

Der Roman Gefährliche Fanggründe von Bill Knox (* 1928 in Glasgow; † März 1979) erschien erstmals im Jahr 1974; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im gleichen Jahr.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

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Veröffentlichungsjahr: 2021

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BILL KNOX

 

 

Gefährliche Fanggründe

 

Roman

 

 

 

 

Apex Crime, Band 244

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

GEFÄHRLICHE FANGGRÜNDE 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

 

 

Das Buch

 

Als sich der Fischereischutzkreuzer Marlin dem kleinen Hafen an der Westküste von Schottland nähert, weht die Hochzeitsflagge auf einem der Fischerboote. Aber in Port MacFarlane herrscht alles andere als Feststimmung: Ein tödlicher Unfall und der Diebstahl von Hummerfanggerät sorgen für böses Blut unter den Fischern...

 

Der Roman Gefährliche Fanggründe von Bill Knox (* 1928 in Glasgow; † März 1979) erschien erstmals im Jahr 1974; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im gleichen Jahr.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

  GEFÄHRLICHE FANGGRÜNDE

 

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Die Flagge an der Mastspitze des Fischkutters leuchtete im Sonnenschein des Sommernachmittags und flatterte träge in der leichten Brise; eine fröhliche Fahne in Rot und Gold, eine Einladung für alle, die ihre Bedeutung kannten und verstanden.

Aber einen Uneingeweihten verwirrte sie. Auf der Brücke des Fischereischutzkreuzers Marlin, der eben aus den tieferen Gewässern der Inneren Hebriden zurückgekehrt war und jetzt durch den blauen Loch Rudha brummte, stand der Erste Offizier Webb Carrick und blickte wieder zu der merkwürdigen Flagge hinüber. Sie unterschied das eine Boot von all den anderen leeren Masten im kleinen Fischereihafen vor ihnen, und er hatte das unangenehme Gefühl, so ziemlich der einzige auf dem Fischereischutzkreuzer zu sein, der ihre Bedeutung nicht kannte. Die Deckmannschaft am Bug der Marlin deutete schon mit den Fingern und grinste. Selbst der hagere, sonst immer betrübt aussehende Steuermann hatte leise zu summen begonnen, eine fröhliche Weise von den Inseln, die gar nicht zu dem mürrischen Charakter des Mannes passen wollte.

Die Melodie drang sogar durch das Brummen der Dieselmotoren der Marlin und rief bei der rundlichen, bärtigen Gestalt hinter ihnen ein leichtes Lachen hervor.

»Noch nie so ’ne Flagge gesehen, Mister?«, wollte Kapitän James Shannon belustigt wissen. Er wartete die Antwort nicht ab. »Sie brauchen gar nicht im Signalbuch nachzusehen - da ist sie nicht verzeichnet. Wir haben uns einen günstigen Zeitpunkt ausgesucht, was, Steuermann?«

»Aye, Sir.« Der Steuermann entblößte grinsend seine Zahnstummel, blickte aber weiter voraus.

Die Einfahrt nach Port MacFarlane erforderte Umsicht. Bei Unaufmerksamkeit konnte man leicht in den Bereich der Riffe kommen, die sich auf beiden Seiten verbargen.

»Aye, wir kommen genau richtig«, sagte der Steuermann.

»Kurs eins-sieben-null«, schnarrte Shannon plötzlich. Er wartete, bis der Bug der Marlin herumgeschwenkt war und auf ein weißes Haus auf einem Hügel über dem Dorf wies, dann deutete er stumm auf aufgewühltes Wasser, das sich jetzt steuerbord befand, Strudel und Wirbel, die einen unsichtbaren Felszahn anzeigten. Dann ließ er sich aus seinem Sitz herab. Wenn er stand, war er für seine breite Figur überraschend klein.

»Wollen Sie Bescheid über diese Flagge wissen, Mister?« ließ er sich erweichen.

»Würde mir helfen«, sagte Carrick ruhig.

»Die Hochzeitsfahne eines Fischers, Mister.« Shannon wirkte ungewöhnlich heiter. »Sieht so aus, als ob sie zu Ihrer ersten Inselhochzeit kommen, Mister - und Gott helfe Ihnen bei dem Kater, den Sie hinterher haben werden.«

Carrick musste grinsen. Die Inseln vor der Westküste Schottlands waren für ihr hartes Leben bekannt, für ihr noch härteres Trinken, und Port MacFarlane, das jetzt nahe genug war, dass man irgendwo an Land einen Hund bellen hörte, lag am Südwestrand der Insel Mull. Auf Mull war Selbstgebrannter Schnaps nur dann ungesetzlich, wenn jemand dumm genug war, sich erwischen zu lassen.    

»Wie kommen wir zu einer Einladung, Sir?«, fragte er.

»Wir gehen einfach hin, so wie alle«, erklärte Shannon, vergewisserte sich dann aber: »Stimmt’s, Steuermann?«

»Aye, Kapitän.« Der Steuermann nickte leicht betrübt. »Die letzte Hochzeit hier in der Gegend, auf der ich war, dauerte fünf Tage - so wurde mir wenigstens gesagt. Ich kann mich nur an die ersten drei erinnern, und an die nur ungenau.«

Er ließ die Augen wandern, während er sprach. Shannon brummte eine Warnung, warf ihm einen finsteren Blick zu, und der Mann nahm sich wieder zusammen.

Zwei Minuten später glitt der Fischereischutzkreuzer mit gedrosselten Maschinen an der Mole von Port MacFarlane vorbei und näherte sich einer leeren Anlegestelle am südlichen Ende des langen steinernen Kais. Die Fischereiflotte lag fast verlassen an der anderen Seite des Hafens, aber man konnte Singen, Gelächter und die Klänge eines Akkordeons von dem Kutter mit der Hochzeitsflagge hören. Eine Luke öffnete sich, ein Arm kam kurz in Sicht, und eine leere Flasche flog über Bord.

»Teilen Sie die Wachen ein, Mister«, sagte Shannon nachdenklich und blickte auf die Flasche, die vorbeitanzte. »Während wir hier sind, wird man uns die schottische Gastfreundschaft zeigen. Aber für den Fall, dass die Marlin auslaufen muss, möchte ich genug Mannschaft an Bord haben, die nüchtern ist, um das Schiff in Bewegung zu setzen.«

Ohne auf eine Antwort zu warten, ging er auf die Brücke hinaus und sah noch, wie die Marlin längs am Kai lag. Er warf einen letzten, aufmerksamen Blick auf die Taue und schien zufrieden.

»Maschinen Stop, Sir?«, erkundigte sich Carrick.

»Stop.« Shannon nickte und seufzte ein wenig. »Sollte man mich brauchen, ich bin noch einige Zeit in meiner Kabine - Papierkram, Mister. Die verdammten Monatsberichte ans Amt.«

Carrick legte den Hebel am Maschinentelegraphen auf Maschinen Stop um. Der Antwortzeiger folgte, und die Dieselmotoren verstummten.

Kapitän Shannon hatte die Brücke schon verlassen. Carrick nickte dem Steuermann zu, der sich gegen ein Schott lehnte und sich eine Zigarette drehte, und schlenderte an dem winzigen Kartenhaus vorbei, das achtern lag. Dann ging er die enge Kajütentreppe zum Hauptdeck hinunter und trat an die Reling.

Ungefähr dreißig Boote hatten im Hafen festgemacht. Den Kennzeichen der Fischkutter war zu entnehmen, dass einige von weit her kamen. Die Hochzeitsflagge, die an dem neu aussehenden, mittelgroßen Kutter wehte, mochte sie hergebracht haben.

Carrick zündete sich eine Zigarette an, entspannte sich und sah sich um.

Port MacFarlane war ein kleiner Ort mit weißen, schiefergedeckten Häusern, die sich am Ufer entlangzogen. Am Hafen standen ein paar größere Gebäude, und wo die von Heidekraut überwucherten Hügel anstiegen, lagen ein paar einzeln stehende Gehöfte. Webb Carrick überlegte, dass er in den zwei kurzen Jahren beim Fischereischutz wenigstens hundert solcher Fischerdörfer entlang der Nordwestküste Schottlands gesehen hatte.

Und er dachte, dass auch ohne die Verheißung der Hochzeitsflagge die Mannschaft der Marlin diesmal froh war, wieder in einem Hafen zu sein. Zehn Tage lang hatte der schlanke, graue Fischereischutzkreuzer mit seiner Besatzung von vierundzwanzig Mann die Gewässer um die Hebriden überwacht. Fast die ganze Zeit über hatte sich das Wetter am Rande eines Sturms bewegt, und über die Marlin waren manchmal schwere Sturzseen hinweggefegt.

Das hieß, dass die Mannschaft ihr Maß an blauen Flecken davongetragen hatte, und dass jeder von ihnen ein paarmal bis auf die Haut durchnässt worden war. Eine übliche, langweilige Routinefahrt - Carrick verzog bei dem Gedanken das Gesicht und stützte sich mit den Ellbogen auf die Reling.

Von der Zigarette fiel etwas Asche auf die Jacke seiner Uniform, und er klopfte sie ab. Unter der Jacke trug er einen ehemals weißen Wollpullover, und auf dem Kopf saß die Mütze mit dem goldenen Anker des Fischereischutzes. Die Beine hatte er weit gespreizt, ganz unbewusst, obwohl das Schiff jetzt nicht mehr stampfte und rollte. Webb Carrick war stämmig gebaut, einssechsundsiebzig groß und hatte das wettergegerbte Gesicht, das sein Beruf mit sich brachte.

Es war ein breites Gesicht mit dunkelbraunen Augen und noch dunklerem Haar. Ein Gesicht, das gewöhnlich unbekümmert wirkte, doch mit Lippen, die ein bisschen zu schmal waren, um auf den Gedanken kommen zu können, er ließe sich leicht herumkommandieren. Selbst Kapitän Shannon hatte sich damit abfinden müssen. Aber zugleich hatten die zwei Jahre beim Fischereischutz tiefere Linien in sein Gesicht gegraben, als all die Jahre bei der Handelsmarine zuvor. Er war erst einunddreißig.

Er lehnte immer noch an der Reling, zog an der Zigarette und schnippte den Stummel fort, als er hinter sich ein lautes Räuspern vernahm. Er drehte sich um und nickte dem massigen Riesen zu, der das als Einladung auffasste, mit an die Reling zu treten.

»Ich hab’ über den Landurlaub nachgedacht, Sir.« Der Maat William Clapper Bell, über einsachtzig groß und ganz irische Unschuld, versuchte, in seiner Stimme jedes persönliche Interesse zu unterdrücken. »Wissen Sie, mir ist es ganz gleich. Ich kann mir nicht einmal ein Bier leisten, Sie wissen schon, was ich meine...«

»Schon wieder?«, fragte Carrick matt. »Was war’s denn diesmal, Clapper? Poker mit der Hafenwache oder das sonnabendliche Würfeln im Maschinenraum?«

»Nein, von denen hab’ ich mich ferngehalten. Der Koch hat mich nur mit Siebzehn und vier aufs Kreuz gelegt.« Clapper Bell verzog das Gesicht und kratzte sich wegen so viel Ungerechtigkeit im Leben den Kopf mit dem kurzen, hellroten Haar. »Trotzdem, die Mannschaft möchte wissen, ob sie...«

»Wer nicht zur Wache eingeteilt ist, kann an Land«, unterbrach ihn Carrick. »Aber weisen Sie darauf hin, dass der Alte sagt, wir bleiben in Bereitschaft - passen Sie auf, dass die es sich hinter die Ohren schreiben.«

»Mach’ ich.« Clapper Bell nickte und machte dann eine erwartungsvolle Pause. »Wissen Sie, wenn ich mit etwas Geld in der Tasche an Land könnte, dann könnte ich sicher ein Auge auf alles haben. Aber, wie ich schon sagte...«

Carrick seufzte und fasste in die Hosentasche. Clapper Bell und er waren die Tauchgruppe der Marlin, und diese Art von Zusammenarbeit führte zu einer besonderen Bindung.

»Reichen zwei Pfund für den Anfang?«, fragte er.

»Wie immer«, sagte der Bootsmann und grinste glücklich. Dann deutete er auf das flatternde Rot-Gold der Hochzeitsflagge. »Hat es Ihnen Kapitän Shannon schon gesagt?«

»Was gesagt?« Carrick spürte, wie der Bootsmann seinen Spaß hatte.

»Ein gerissener alter Kerl«, sagte Clapper Bell leise, blickte sich rasch um, ob auch niemand in der Nähe sei. »Wir sind doch ganz zufällig auf Routinefahrt hergekommen, wie? Und wir bleiben vielleicht ein paar Tage hier, stimmt’s?«

Carrick nickte. »Und?«

»Die Hochzeit ist morgen. Der Vater des Mädchens war Seemann, ein alter Freund vom Alten - und verdammt noch mal, das ganze Dorf wusste, dass wir heute einlaufen würden.« Beils Stimme drückte Anerkennung aus. »Ganz schön gerissen ist der.«

Carrick stieß einen leisen Pfiff aus. »Sind Sie sicher?«

»Würd’ ich was sagen, wenn ich’s nicht wär’?« Der Bootsmann gab sich verletzt. »Ich hab’ so ’nen Kerl am Kai gesehen, als wir anlegten...«

Wenn Clapper Bell etwas sagte, dann war es offiziell. Er wusste anscheinend immer alles, und zwar ganz genau.

»Was haben Sie noch gehört?«, fragte Carrick.

»Das Mädchen heißt Mhari MacLean. Sie ist wieder nach Hause gekommen, nachdem sie eine Zeitlang in London gearbeitet hatte, und sie heiratet einen Schiffer, der Roddy Fraser heißt.« Bell schüttelte den Kopf und legte die Stirn in Falten. »Über den weiß ich nicht viel. Es gab mal einen Dan Fraser, der ein paar Jahre lang vor Mallig auf einem alten Boot gearbeitet hat. Das war vielleicht ein wilder Kerl. Aber ob’s da eine Verbindung gibt...«

»Werden Sie schon rauskriegen«, sagte Carrick und löste sich von der Reling. »Ich geh’ nach unten. Und vergessen Sie nicht, dass Sie mir zwei Pfund schulden.«

»Die sind so sicher wie in ’ner Bank«, versicherte ihm der Bootsmann.

 

In seiner Kajüte zog Carrick die Seestiefel aus, legte sich ein paar Minuten hin und ging dann in die Kombüse, um eine Tasse Kaffee zu trinken.

Als er wieder auf das Hauptdeck kam und auf die Gangway zuging, verstellte ihm plötzlich der Zweite Offizier Jumbo Wills den Weg. Wills verdankte seinen Spitznamen seiner Figur.

»Webb, die Hochzeit morgen«, fing Wills an. »Clapper meint...«

Carrick unterbrach ihn: »Ich weiß.«

»Aber was machen wir, wenn wir mitten in der Feier raus müssen?« Das junge, sommersprossenübersäte Gesicht Wills’ legte sich in Falten. »Wer bringt die Marlin dann hier raus?«

»Da ist was dran«, stimmte ihm Carrick zu. »Sagen wir, Sie machen das, Jumbo - mit einer Hand, wenn’s drauf ankommt. Die Chance, berühmt zu werden.«

»Darauf bin ich nicht scharf.«

Carrick gab ein mitleidiges Geräusch von sich und ging an Land. Dort sah er sich neugierig um. Von den Kaianlagen konnte man eine Menge über Fischerdörfer lernen. Port MacFarlane war keine Ausnahme. Der Ort sah nach Wohlstand aus. Hier und da waren Netze zum Trocknen aufgehängt, aber viele waren es nicht im Vergleich zu den Stapeln von Hummerkörben, die gut in Schuss waren. Er sah eine Menge Holzkästen, in denen die Hummer sorgfältig auf Eis gepackt lebend verschickt wurden.

Carrick ging weiter, und in seine Nase stieg der gewohnte Geruch nach Benzin und Dieselöl, nach verfaulendem Tang und Fischabfällen, und er bemerkte, dass viele Hütten am Kai neu gestrichen waren und eine Anzahl neuer Autos herumstand.

Dann blickte er gewohnheitsmäßig zurück auf den hohen, schrägen Bug und den einzigen Schornstein der Marlin.

Selbst nach zwei Jahren konnte er kaum glauben, welche Aufgaben sie zu leisten hatte. Sie war nur sechzig Meter lang und legte in einem Jahr durchschnittlich siebzehntausend Seemeilen zurück. Die zerrissene, lange Westküste Schottlands auf und ab. An Inselketten und Riffen entlang, mit ihren Strudeln und wilden Gezeitenströmungen. Diese Westküste galt allgemein als eine der tückischsten auf der Welt, so, wie sie für Fischer zu einer der ergiebigsten zählte. Der Schauplatz einer Industrie, in der Abermillionen umgesetzt wurden und in der jeder Schiffseigner ein eigensinniger Individualist war. Ein Individualist, der die Vorschriften des Fischereischutzes nur als eine dieser verdammten Belästigungen wie Steuer und Großhändler ansah.

Die Marlin und ihre Schwesterschiffe vertraten die Obrigkeit in diesen gefährlichen Fanggründen fast auf sich allein gestellt. Auf ihren Decks befanden sich keine Geschütze. Aber die dreißig Knoten Geschwindigkeit, die ihr die zwei starken Dieselmotoren verschafften, wirkten abschreckend, ebenso das blaue Emblem des Fischereischutzes an ihrem geraden Steven und natürlich vor allem die Person ihres Kapitäns.

Shannon war Superintendent des Fischereiwesens und hatte die Macht, in den meisten Streitfällen Anklagevertretung und Richter in einer Person zu sein. Er verfügte über ein Schiff von vierhundert Tonnen, über Können und Erfahrung eines ganzen Lebens und über eine Mannschaft von zwanzig Leuten nebst drei Offizieren. Das waren seine Mittel, um an einer Küste für Ordnung zu sorgen, wo die Schlauheit der Fischer, die hier auf Fang ausliefen, noch schärfer als die der Riffe war. Unberechenbare Leute, von den Inseln geprägt.

Carrick erinnerte sich, wie er zum Fischereischutz gekommen war.

Er hatte keine Stellung, hatte ein eben erworbenes Kapitänspatent in der Tasche, aber kein Schiff in Aussicht, und war dann zu einer Unterredung bei der Behörde gebeten worden. Die Unterredung hatte er mit einem neuen Patent als Assistant Superintendent des Fischereiwesens verlassen.

»Ein Polizist, der zur See fährt, und mit Pensionsberechtigung, wenn Sie es so lange aushalten«, hatte Shannon den Beruf umrissen, als er sich an Bord der Marlin meldete. »Wir wissen nicht, aus welchem Holz Sie geschnitzt sind, aber wenn wir draußen zwischen den Inseln im aufgewühlten Wasser sind, wird sich das schnell genug zeigen.«

Er musste eine Menge Vorschriften über Netzgrößen, Schonzeiten und so weiter lernen und dabei immer im Auge behalten, dass kein Fischer mit einiger Selbstachtung die Vorschriften je genau befolgte, wenn Aussicht auf reichen Fang bestand.

Es sei denn, natürlich, dass die Marlin oder eins ihrer Schwesterschiffe in der Nähe war und sie zögern ließ.

Carrick lächelte bei dem Gedanken und ging weiter, bis er dicht vor dem Kutter mit der Hochzeitsflagge stand. Aus seiner Hauptkabine tönte immer noch Akkordeonmusik, untermalt von Stimmen und Gelächter. Das breite kleine Schiff hieß Razorbill, und ein Sonntagsmaler hatte das Bild des Seevogels, der ihm den Namen gegeben hatte, auf beide Seiten des Steuerhauses gemalt.

Die Mannschaft des Kutters musste stolz auf ihr Schiff sein, gepflegt wie es war. Die sauber aufgerollten Taue, das frisch gescheuerte Deck und der neue Anstrich ließen eher auf ein Ausstellungsstück als auf ein Fahrzeug schließen, mit dem der Lebensunterhalt verdient werden musste.

»He, Sie da oben!«, rief es vom Vorderdeck der Razorbill, und er sah jemanden heraufgrinsen. »Kommen Sie runter, Freund - jedermann ist willkommen!«

»Willkommen wozu?«

»Zu einem guten Schluck, der einem von diesen Idioten den Schritt ins eheliche Glück erleichtern soll.« Der Mann unten war groß und schlank und hatte langes, schwarzes Haar, das bis auf die Schultern fiel, zeigte seine weißen Zähne und sagte mit einer angenehmen Baritonstimme im Tonfall des westlichen Schottlands: »Möge der Herr sich seiner erbarmen - die Hexe, die er heiraten will, wird ihn ganz schön unter ihre Fuchtel kriegen.«

»Ein guter Grund«, stimmte Carrick fröhlich zu.

An der Kaimauer war eine eiserne Leiter befestigt, er kletterte hinunter und sprang dann auf das Deck des Kutters. Die schlanke, große Gestalt blieb abwartend, die Daumen hinter den breiten Ledergürtel gehakt, stehen. Das Gesicht hatte die Bronzefarbe gut gegerbten Leders, und der Fremde trug ein altes rotes Wollhemd, schwarze Jeans und abgetragene Basketballstiefel.

»Sie sind von dem Aufpasserboot, stimmt’s?«, sagte er.

»Carrick, Erster Offizier.« Carrick nickte. »Und Sie?«

»Dan Fraser - heute Gastgeber und morgen Trauzeuge. Es ist mein kleiner Bruder Roddy, den es morgen erwischt. Kommen Sie, ich bringe Sie zu ihm, Carrick...« Fraser drehte sich halb um, um voranzugehen, dann hielt er inne und zwinkerte ihm zu. »Ihr Zweiter war vor einer halben Stunde da. Meine Güte, der Mann kann vielleicht trinken!«

»Der hat das auch geübt«, sagte Carrick.

»Wie das so geht, bei dem Beruf.« Der Fischer winkte ihm, und Carrick ging ihm über Deck nach, dann durch eine enge Luke hinunter ins Logis.

Die Kabine - Kojen an den Wänden und ein Tisch in der Mitte - war eigentlich ziemlich geräumig, aber im Augenblick war sie zum Bersten voll. Die Luft war blau vor Tabakqualm, und es stank nach Alkohol. Man trank, sang oder versuchte, den allgemeinen Lärm zu übertönen. Der Akkordeonspieler, ein dicker, glatzköpfiger Fischer, stand auf einem Stuhl und ersetzte Können durch Lautstärke.

»Erst einmal etwas zu trinken.« Fraser drängte Carrick an den Tisch, auf dem Steingutkrüge und Flaschen standen. »He, etwas zu trinken für den Fischereischnüffler, Archie.«

Wer auch Archie war, Carrick bekam einen Zinnbecher in die Hand gedrückt, der etwas enthielt, das wie Whisky aussah. Während sich Dan Fraser mit ihm durch die Menge drängte, entdeckte Carrick ein paar Leute von der Mannschaft der Marlin, die freundschaftlich den Fischern auf die Rücken klopften und lachten.

»Da wären wir, Carrick«, erklärte Fraser. »Hier ist mein Bruder Roddy. Roddy, verdammt noch mal, steh auf, hier ist noch so ein Fischereischnüffler, der auf deine Gesundheit mit dir anstoßen möchte.«

Eine jüngere Ausgabe von Fraser, aber womöglich noch größer als er, rappelte sich von einer Koje hoch, auf der er gesessen hatte. Er hatte einen etwas glasigen Blick, grinste aber freundlich und hielt den Becher in seiner Hand hoch.

»Zum Wohl, Mister«, sagte er mit träger Zunge.

»Alles Gute«, wünschte ihm Carrick und nahm einen Schluck. Im nächsten Augenblick hatte er eindeutig das Gefühl, als würde ihm die Schädeldecke weggesprengt und als würde sich flüssiges Feuer den Schlund hinunterfressen. Er schluckte schwer, und Tränen traten ihm in die Augen. Er blickte die Brüder an. »Was ist das für ein Zeug?«

»Der beste dreimal gebrannte Gerstensaft aus den Bergen, verdanken wir einem Vetter von uns«, sagte Dan Fraser stolz. »So was kriegen Sie nicht oft vorgesetzt.«

»Das glaub’ ich.« Carrick nahm vorsichtig einen zweiten Schluck.

»Nun, vielleicht ist^ das Zeug noch ein bisschen jung«, gab Dan Fraser leicht widerstrebend zu. »Ein paar Monate Reife machen was aus, aber dazu war keine Zeit.«

»Weil wir es gebraucht haben.« Roddy Fraser blickte sich ein wenig schwankend in der Kabine um. »Aber beklagen tut sich niemand. Trinken Sie also aus, Carrick. Ist noch eine Menge davon da.«

Das Akkordeon jaulte wieder los, und aus dem Haufen von Fischern löste sich eine Gestalt und bahnte sich ihren Weg zu ihnen her. Mit offenem Mund und trüben Augen starrte sie Carrick durch den Qualm an.

»Ich kenne Sie«, sagte der Mann. »Sie sind der Aufpasser, der - aye, Sie sind der Aufpasser, der letzten Monat an Bord der Anna B. kam.«

Er erinnerte sich an den Mann. Er hieß Christie, und als das Enterkommando der Marlin die Anna B., einen zerschrammten Kutter, auf dem gern geschmuggelt wurde, betreten wollte, war Christie mit einer Eisenstange auf sie losgegangen.

»Nichts für ungut«, grinste Christie, rülpste und blieb, wo er war. »Haben Sie schon mal die Frasers bei ihren Tricks erwischt?«

»Bis jetzt noch nicht.« Carrick schüttelte den Kopf. »Wir können nicht überall sein.«

»Es würde uns nichts ausmachen.« Dan Fraser lachte ungerührt. »Wir sind zwei unabhängige, gesetzestreue Geschäftsleute. Vor allem jetzt, was, Roddy?«

»Ja.« Der Jüngere saß wieder auf der Koje und versuchte, seine Stirn intelligent in Falten zu legen. »Wir haben ein neues Boot und Geld auf der Bank - alles, weil wir nachgedacht haben, Carrick. Köpfchen und - und Absatzpolitik.«

»Dank seinem Köpfchen und meiner Kraft«, bestätigte der Bruder fröhlich. »Zuerst haben wir das Fischen mit Netzen aufgesteckt und uns gedacht, dass Hummer unsere Beute sind. Da steckt hier in der Gegend das meiste Geld drin. Dann haben wir uns überlegt, wie wir §ie am besten an den Mann bringen.«

»Ich habe eine Menge Hummerkörbe am Kai gesehen«, meinte Carrick.

»Nur ein paar davon gehören uns«, erklärte Roddy Fraser eilfertig, aber seine Zunge wollte nicht mehr ganz so richtig. »Die anderen Boote können machen, was sie wollen, aber wir meinen, dass Hummerfallen altmodisch sind. Wir wissen, wo wir nachsehen müssen, und wir gehen runter und holen sie vom Grund.«

»Mit Tauchausrüstung?« Carrick war überrascht. Mit Atemgeräten nach Hummern tauchen war nicht neu, aber da gab es gewöhnlich Schwierigkeiten mit erbosten Fischern, die Fallen benutzten.

»Atemgeräte, Lagerung und dann Transport per Flugzeug«, bestätigte Dan Fraser schwungvoll. »Lassen Sie es sich von Roddy erzählen - aber wenn er nüchtern ist.«

»Dann erzählen Sie es uns anderen ruhig weiter«, sagte Christie mit undeutlicher Stimme. »Sie hätten eine Menge von uns als Zuhörer.«

Ein anderer Fischer packte Christie beim Arm und murmelte etwas, aber Christie schüttelte ihn ab.