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Am Ufer von Loch Lomond wird eine Frau tot aufgefunden. Nach wenigen Stunden ist klar, dass es sich um Mary Dutton handelt – eine Polizistin. Gewebeproben belegen unzweifelhaft, dass man sie an einem anderen Ort umgebracht hat. Colin Thane stattet zunächst einmal dem nahe gelegenen Friedenslager einen Besuch ab.
Eine Menge Fragen bleiben offen...
Der Roman Die Tote vom Loch Lomond von Bill Knox (* 1928 in Glasgow; † März 1999) erschien erstmals im Jahr 1986; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1987.
Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.
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Veröffentlichungsjahr: 2022
BILL KNOX
Die Tote vom Loch Lomond
Roman
Signum-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
DIE TOTE VOM LOCH LOMOND
Vorspiel
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebtes Kapitel
Achtes Kapitel
Am Ufer von Loch Lomond wird eine Frau tot aufgefunden. Nach wenigen Stunden ist klar, dass es sich um Mary Dutton handelt – eine Polizistin. Gewebeproben belegen unzweifelhaft, dass man sie an einem anderen Ort umgebracht hat. Colin Thane stattet zunächst einmal dem nahe gelegenen Friedenslager einen Besuch ab.
Eine Menge Fragen bleiben offen...
Der Roman Die Tote vom Loch Lomond von Bill Knox (* 1928 in Glasgow; † März 1999) erschien erstmals im Jahr 1986; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1987.
Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.
ZL 019071732
Von Polizei Helensburgh
An Leitende Dienststelle Dumbarton
Auffindung einer Leiche. Loch Lomond
Heute, etwa 13 Uhr 30, fanden zwei Wanderer, 1) James Mollins, Bear Avenue, Glasgow, Alter 20 Jahre, ohne Anstellung, 2) Sheila Mary Hazel, Friar Square, Clydebank, Alter 19 Jahre, Studentin, bei einer Wanderung am Seeufer in der Nähe von Fean Cove am Fuß einer Felswand die nachstehend beschriebene Leiche. Weiblich, weiß, 30-35 Jahre alt, 1,60 m, mittelschlank, kurzes schwarzes Haar, grüne Augen.
Kleidung: Graue Hose, grüner Pullover, ein weißer Joggingstiefel am linken Fuß, graue Socken, weißer BH, weiße Unterhose. Gelber Metallring, kleiner blauer Stein, keine Gravierung, am dritten Finger der rechten Hand.
Zeugen meldeten Fund telefonisch bei Polizei, Arrochar. Sergeant MacLean und Constable Harrison trafen um 14 Uhr 15 mit Zeugen zusammen, kehrten zum Fundort zurück. (Teil eins einer zweiteiligen Meldung)
ZL 020071735
Von Polizei Helensburgh
An Leitende Dienststelle Dumbarton
Auffindung einer Leiche. Loch Lomond.
(Teil zwei der zweiteiligen Meldung.)
Bei Untersuchung der Toten lassen diverse Verletzungen und Abschürfungen auf einen möglichen Sturz vom Felsen oberhalb Fean Cove schließen. Blutspuren trotz schwerer nächtlicher Regenfälle noch vorhanden. Kleidung an exponierten Stellen nass, unter dem Körper trocken. Suche in der näheren Umgebung erbrachte grünen Anorak aus wasserdichtem Nylon, Größe 40, ohne Herstelleretikett. Zweiter Stiefel oben im Felsen eingeklemmt. Tascheninhalt: kleine Geldsumme (Münzen), eine Tafel Schokolade, Papiertaschentücher, kein Ausweis. Suche im weiteren Umkreis ohne Ergebnis.
Tote um 15 Uhr 40 nach Helensburgh verbracht. Untersuchung durch Dr. J. Farrell. Verletzungen seiner Meinung möglicherweise durch Sturz verursacht, erbittet aber Zuziehung eines Pathologen. Tote vermutlich schon zwischen fünf und acht Tagen tot. Ermittlungen werden weitergeführt. Ende der Meldung. Sergeant Banks.
ZL 005080910
Von Polizei Helensburgh
An Leitende Dienststelle Dumbarton und
Alle schottischen Polizeidienststellen
Unbekannte Tote am Loch Lomond gefunden
Bezug auf gestrigen Bericht. Autopsie ergibt, dass der Tod aufgrund vielfältiger Verletzungen eingetreten ist. Weitere forensische Untersuchungen finden statt.
Zusätzliche Beschreibung der Toten wie folgt:
Alter etwa 37 Jahre. Blinddarmoperation. Alte Fraktur am rechten Handgelenk. Muttermal Innenseite rechter Schenkel. Beschreibung der Zähne: Unterkiefer, vier Schneidezähne, beide Eckzähne und rechter Prämolar; Oberkiefer, vier Schneidezähne, linker Eckzahn, erster Backenzahn rechts, erster und zweiter Prämolar plus zwei Backenzähne. Vier Zähne plombiert. Jetziger Schätzung nach trat der Tod fünf bis sechs Tage vor Auffindung ein. Fingerabdrücke abgenommen und an Headquarters Control, Strathclyde, geschickt. Erbitten Überprüfung der Vermisstenlisten zu eventueller Identifizierung. Ermittlungen im Gebiet Loch Lomond gehen weiter, sind jedoch bisher negativ verlaufen.
Ende der Meldung.
Chief Inspector Hay.
SHQC 176081544
Von Strathpol HQ (Chief Supt. Gavin)
An Grampian P01HQ Aberdeen (Supt. Lauder)
Bestätigen Telefonat. Am Loch Lomond aufgefundene weibliche Leiche identifiziert als Detective Sergeant Mary Elisabeth Dutton, Polizei Strathclyde, sonderdienstverpflichtet bei Scottish Crime Squad. Det. Sergeant Dutton befand sich zur Zeit ihres Todes im Urlaub. Bitte unterrichten Sie die Angehörigen und drücken Sie ihnen unsere tiefste Anteilnahme aus. Mutter: Mrs. Margaret Mary Dutton, Drybank Farm, Nr. Dyce, ABZ. Zwei unserer Beamten werden heute am späten Nachmittag nach Aberdeen reisen. Wird noch bestätigt. Wir wären dankbar, wenn Sie als Verbindungsmann zur Verfügung stehen würden.
Ende der Meldung.
Aberdeen Press and Journal, Donnerstag, 9. Mai
Dutton, Mary Elizabeth, Det. Sergeant, Polizei Strathclyde, durch Unfall. Tochter des verstorbenen Chief Inspectors Henry John Dutton, Polizei Grampian, und Margaret Mary Dutton, Drybank Farm, Dyce. Zeitpunkt der Beerdigung wird später bekanntgegeben. Bitte keine Blumen und Briefe, aber innigen Dank allen Freunden und Kollegen.
Es war Mai, ein sonniger Dienstagnachmittag. Wie ein flirrender Vorhang lag das Licht über der Skyline von Glasgow, den Bauten aus Glas und Beton, zwischen denen hier und dort ein älteres Schieferdach leuchtete oder ein schlanker Kirchturm in die Höhe ragte. Selbst der Clyde, träge und von einem stumpfen Graublau sonst, funkelte in der Sommersonne auf seinem Weg zwischen den Kränen und Lagerhäusern der langsam sterbenden alten Flussdocks und den sachlichen, modernen Siedlungen hindurch, die das Alte verdrängten.
Das Schulungszentrum der Polizei lag in einem unbesiedelten Gebiet ungefähr drei Kilometer südlich vom Fluss, in günstiger Nähe der Schnellstraße M8. So viele Autos wie an diesem Tag seit Mittag durch seine Tore gefahren waren, hatte es lange nicht mehr gesehen. Es war aber auch ein wichtiger Nachmittag, jedenfalls für die Hundeabteilung. Am Ende eines langen, mühsamen Lehrgangs für die Hunde und ihre Führer stand nun nämlich die Prüfung, die in Form einer öffentlichen Vorführung abgehalten wurde.
Detective Superintendent Colin Thane stand an das weiße Holzgeländer am Rand des Vorführplatzes gelehnt und musterte die Hunde, die in einer geschlossenen Gruppe an der Startlinie auf die nächste Prüfung warteten. Das Fell der Tiere glänzte in der Sonne, Resultat stundenlanger, geduldiger Pflege. Manche zitterten vor Erregung, als spürten sie, dass dies kein gewöhnlicher Tag war. Einer bellte voll Ungeduld.
»Sie haben sich einen guten Tag ausgesucht«, bemerkte er zu dem sehnigen, grauhaarigen Chief Inspector an seiner Seite.
»Stimmt, nicht übel. Ich hoffe nur, am Montag ist es auch so schön.«
»Am Montag?«, fragte Thane.
»Der Feiertag«, erklärte der Chief Inspector geduldig. »Da hab’ ich frei und will zum Fischen.«
Thane wies auf die Hunde.
»Die Burschen scheinen schwer in Ordnung zu sein.«
»Sind sie.« Der andere brummte befriedigt. »Ganz schlaue Teufel, manche von denen. Dafür sind von den neuen Führern einige nicht allzu helle.«
Colin Thane lachte. Chief Inspector Jim Preacher leitete die Hundeabteilung mit bewundernswerter Begeisterung und Hingabe. Manche Leute behaupteten, er belle sogar im Schlaf, und Preacher gab offen zu, dass er die meisten Hunde lieber hatte als die meisten Menschen.
»Ich kann nur sagen - Hut ab!« Thane meinte es ernst. Die Hunde - alle noch jung, nur einer über zwei Jahre alt - hatten bereits eine Probe ihres Könnens gegeben, indem sie allesamt mühelos den Hinderniskurs, der auf dem Platz aufgebaut worden war, bewältigt hatten; eine Serie von Leitern und Mauern, Türmen und Tunnels, dazu noch ein paar besondere Raffinessen, an die kein klardenkender Polizist sich herangewagt hätte.
»Wir bemühen uns.« Preacher war Komplimenten gegenüber immer argwöhnisch. »Ich atme erst auf, wenn die nächste Prüfung vorbei ist.«
Thane nickte. Er hatte schon die meisten Zuschauer hier begrüßt. Sie kamen von den Dienststellen verschiedener Städte und Bezirke sowie von diversen Sondereinheiten; Männer und Frauen vom Rauschgiftdezernat, von der Bombenräumung, von Spezialabteilungen, die sich kein Etikett aufdrücken lassen wollten.
Spätestens bis zum Ende der Woche sollten die Hunde, die hier vorgeführt wurden, alle vergeben werden und irgendwo den aktiven Dienst aufnehmen. Das war einer der Gründe, weshalb er in seiner Eigenschaft als stellvertretender Leiter der Crime Squad an diesem Nachmittag hier war. Der andere lag, könnte man sagen, in einer diplomatischen Mission.
Die Operationsbasis der Crime Squad, einer Eliteeinheit, die häufig geheime Aufträge ausführte, war ein kleines Konglomerat anonymer Gebäude im Bereich des Schulungszentrums Strathclyde. Somit war die Hundeabteilung einer ihrer nächsten Nachbarn. Aber selbst unter den besten Nachbarn kann es einmal zu Zwistigkeiten kommen, und vor kurzem erst hatte es einen Zwischenfall gegeben, einen Frontalzusammenstoß zwischen einem Lieferwagen voller Hunde und einem Fahrzeug der Crime Squad direkt am Tor, der dem nachbarlichen Klima nicht gerade zuträglich gewesen war.
Und zu allem Überfluss hatte nun auch noch so ein Schreibtischexperte im Ministerium gefordert, die Crime Squad solle häufiger Hunde einsetzen und zunächst einmal auf Probe einen Polizeihund in ihre Reihen aufnehmen. Bei den Hundeleuten hatte diese Weisung eine gewisse Schadenfreude, bei der Crime Squad bissigen Sarkasmus ausgelöst.
»Jetzt geht’s los.« Preacher gab ihm einen Puff.
Ein junger schwarzer Schäferhund mit kräftiger Brust wurde von seinem Führer, einem jungen sommersprossigen Constable im blauen Overall, auf den Platz geführt.
»Das Grundsätzliche wissen Sie ja, Superintendent«, sagte Preacher. »Die Tiere dieser Gruppe sind alle in zweierlei Richtung geschult - allgemeine Streifenarbeit und besondere Sucharbeit nach Drogen oder Sprengstoff.«
»Und der hier?«
»Das ist Ringo - Bombensuchhund.«
Der große Platz aus zertrampelter brauner Erde war in verschiedene Abschnitte aufgeteilt worden, jeder ungefähr von der Größe eines Tennisplatzes. Der junge Hundeführer ging mit Ringo bis zu einem der Abschnitte, nahm dem Hund die Leine ab und trat zurück.
»Los, Ringo«, sagte Preacher leise, als das wendige, gepflegte Tier sich mit gesenkter Schnauze an die Arbeit machte. »Zeig’s ihnen, Bursche.«
Thane sah fasziniert zu. Er hatte oft bei den Übungen mit den Hunden zugesehen, wusste, dass die Hunde im Anfangsstadium der Ausbildung auf spielerische Weise zum Suchen motiviert wurden. Am Anfang ermunterte man einen jungen Hund, ein mit einem bestimmten Geruch behaftetes Spielzeug, das man wie einen Stock warf, zurückzubringen. Und von da ging es allmählich weiter. Sobald ein Hund gründlich ausgebildet war, konnten seinem Repertoire neue Gerüche zugefügt werden - der Hund wusste, was erwartet wurde.
Der schwarze Schäferhund jedenfalls wusste es genau. Der hatte jetzt das Areal durchstöbert und zog seinen Jagdbereich enger zusammen.
»Zu nervös«, brummte Preacher und wies mit dem Daumen auf den sommersprossigen jungen Mann, der seinen Hund gespannt beobachtete. »Ich meine ihn. Man muss dem Hund Vertrauen zeigen - hab’ ich ihm immer wieder gesagt. Wenn man unsicher ist, dann merkt es das Tier und fühlt sich genauso.« Dann atmete er plötzlich auf. »Braver Bursche - so ist’s richtig.«
Ringo inspizierte bedächtig ein bestimmtes Stück Boden. Es unterschied sich durch nichts vom Rest des Grundes, aber die Zuschauer hatten gesehen, wie ein kleines, in Plastik gewickeltes Stück Geligni dort eingegraben worden war, ungefähr vierzig Zentimeter tief. Danach waren eine Gruppe Instrukteure und ihre Hunde mehrmals über den ganzen Abschnitt hinwegmarschiert.
Der Hund hielt inne, sah sich nach seinem Führer um, scharrte und bellte einmal kurz und hell.
»Führer voran!«, befahl Preacher scharf.
Der sommersprossige Constable wäre beinahe gestürzt, als er über den Platz rannte. Er markierte die Stelle mit einem kurzen, spitzen Stückchen und trat zurück, als der Instrukteur, ein Sergeant, mit einem Spaten kam. Der Sergeant stach ein, zog den in Plastik gewickelten Sprengstoff heraus und hielt ihn hoch. Thane klatschte mit den anderen, während der Constable aufs Knie fiel und den großen schwarzen Hund mit Zuneigung umarmte und an sich drückte. Thane hätte schwören können, dass der Hund grinste.
»Wenigstens mögen sie sich«, meinte Preacher seufzend. »Na, vielleicht bringt der Hund ihn noch zur richtigen Einstellung.«
»Kommt es oft vor, dass sie versagen?«, fragte Thane.
»Bei den Hunden nicht. Bei den Führern häufig.« Preachers schmales Gesicht verriet, dass das seiner Meinung hach ganz normal war. »Ein Hund kommt in der Ausbildung nicht weit, wenn er nicht das richtige Temperament hat, die Hingabe. Viele junge Burschen bilden sich ein, es würde Spaß machen, mit einem Hund herumzuziehen, und kriegen einen Heidenschreck, wenn sie merken, dass da harte Arbeit dazugehört.«
Am Start war schon der nächste Hund, eine junge Labradorhündin. Der Führer war groß und schlaksig, ein älterer Mann mit einem verschlafenen, verlebten Gesicht. In dieser Prüfung musste der Hund eine kleine Menge Kokain aufspüren, die, in Silberfolie verpackt, ebenfalls vierzig Zentimeter tief vergraben war.
»Das ist Goldie«, sagte Preacher. »Die macht’s ganz anders - das garantiere ich Ihnen.«
Die Labradorhündin blieb stehen, als ihr die Leine abgenommen wurde. Dann setzte sie sich, kratzte sich kurz, sah sich um, gähnte.
»Typisch Frau.« Preacher gestattete sich einen Anflug bissiger Erheiterung. »Die hat überhaupt keine Schwierigkeiten - aber sie stöbert bestimmt erst eine Weile herum, zieht eine kleine Schau ab, tut so, als hätte sie die größte Mühe. Deshalb haben wir sie mit Jock Dawson zusammengespannt. Der arbeitet genauso.«
Thane musterte den lässig dastehenden Mann. Er hatte die Hände in den Hosentaschen, wirkte völlig entspannt.
»Er scheint zu wissen, was er tut.«
»Das weiß er. Er arbeitet schon lange mit Hunden - aber er braucht einen neuen Hund.« Preacher warf seinem Gast einen seltsamen Seitenblick zu. »Na, was halten Sie von den beiden?«
Thane wartete. Die Labradorhündin drehte eine gemütliche Runde durch den ihr zugeteilten Abschnitt. Damit fertig, legte sie eine Pause ein, um sich wiederum zu kratzen. Dann trottete sie davon, hielt an und setzte sich. Ohne auf einen Befehl zu warten, schlenderte der lange Constable ebenso gemächlich zu ihr hin. Er kramte in seinen Taschen nach dem Markierungsstab, konnte ihn nicht finden und grub stattdessen den Absatz eines Stiefels in die Erde.
»Da ist es.« Jim Preacher zuckte resigniert die Achseln, während derselbe Instrukteur wieder mit seinem Spaten ans Werk ging und das in Silberfolie verpackte Kokain herauszog. Er wartete, bis Applaus und Gelächter sich legten. »Nun?«
»Nicht übel«, meinte Thane.
»Ich hoffte, dass Sie das sagen würden«, meinte Preacher mit Unschuldsmiene. »Sie wissen doch, dass Ihre Abteilung einen Hund haben will.«
»Ich weiß, dass man uns einen aufs Auge drücken will«, korrigierte Thane trocken. Er ahnte schon, was kommen würde. »Sie meinen...?«
»Goldie und Dawson.« Preacher strahlte vergnügt. »Sie gehören Ihnen, Superintendent. Viel Spaß mit den beiden - sie können morgen anfangen.« Er machte eine Pause. In seinen Augen blitzte es. »Ich wüsste kein Gespann, das ich Ihnen lieber zuschanzen würde. Ihre Abteilung verdient schließlich das Beste, stimmt’s?«
Thane holte tief Atem. Er hatte das unangenehme Gefühl, dass die Hundeleute soeben wieder eine Runde gewonnen hatten. Aber er konnte es nicht ändern.
»Gut, morgen«, stimmte er zu. »Und, Chief Inspector...«
»Sir?« Preacher grinste immer noch.
»Sie sind ein ganz gerissener Schurke, wenn mich nicht alles täuscht.«
Preacher tat tief gekränkt.
Colin Thane sah sich noch ein paar Hunde an, dann ging er. Zu Fuß waren es zwei Minuten zu den Büros der Crime Squad, und der Nachmittag war so schön, dass es dumm gewesen wäre, sich zu ärgern. Als er den Vorführplatz hinter sich gelassen hatte, ging er ein wenig schneller, spürte das kurze Gras weich und elastisch unter seinen Füßen und begann leise vor sich hin zu summen.
Er war groß, Anfang vierzig, ein gutaussehender Mann mit klaren grauen Augen, dichtem dunklem Haar, regelmäßigen Gesichtszügen. Er trug einen leichten Tweedanzug, dazu ein weißes Hemd und eine ruhige Krawatte - ein Geschenk seiner Tochter - und braune Slippers, alt genug, um so richtig bequem zu sein. Er hatte vielleicht ein paar Pfund Übergewicht.
Der Rest war nicht so offenkundig - eine lange Laufbahn bei der Polizei, die in einem der härtesten Glasscherbenviertel Glasgows begonnen hatte, wo er Streife gegangen war. Vor seiner Beförderung zum Superintendenten und stellvertretenden Leiter der Crime Squad war er der jüngste Dezernatsleiter bei der Kriminalpolizei Glasgow gewesen.
Der Weg dorthin war hart und gefährlich gewesen. Bisher hatte er überlebt.
Das Hauptgebäude der Dienststelle war ein moderner Flachbau, unauffällig von Fernsehkameras überwacht. Als Thane hineinging, überlegte er, wie er Jack Hart, dem Dienststellenleiter, die Nachricht von den beiden neuen Mitarbeitern überbringen sollte.
Hart mochte überhaupt keine Polizeihunde. Vor langer Zeit hatte ein großer, aufgeregter Dobermann ihn mit einem flüchtigen Dieb verwechselt. Hart, damals noch Sergeant, hatte die Wunde mit fünf Stichen nähen und sich gegen Tetanus impfen lassen müssen. Die Mitarbeiter seiner Abteilung hatten gesammelt und dem Dobermann einen Knochen in Geschenkpapier geschickt.
Nein, Hart würde nicht erfreut sein.
Er trat durch die Glastür in ein hell erleuchtetes Foyer. Die junge Frau am Empfang war eine gutaussehende und glücklich verheiratete Beamtin, die schon zweimal wegen besonderer Tapferkeit ausgezeichnet worden war. Sie machte derzeit keinen aktiven Dienst, weil sie schwanger war.
»Superintendent.«
Sie gehörte zu den Frauen, die immer ein Lächeln parat haben. Aber an diesem Nachmittag nicht. Ihr Gesicht war blass, und sie schien zornig zu sein.
»Commander Hart möchte Sie sofort sprechen.«
»Was los?« Er sah an ihr vorbei. Die Monitore flimmerten bläulich, einer von mehreren Fernschreibern klapperte. Aber Maggie Fyffe, Harts Sekretärin, die im Vorzimmer das Regiment führte, war nirgends zu sehen. »Was gibt’s denn?«
»Es ist wegen Mary Dutton. Kann sein, dass es gar kein Unfall war.« Die Frau biss sich auf die Unterlippe. »Ich war gestern auf ihrer Beerdigung. Wir haben die Ausbildung zusammen gemacht.«
Thane war wie vom Donner gerührt. Doch ehe er etwas sagen konnte, hörte er das rasche Klappern hoher Absätze auf dem Steinfußboden, und Maggie Fyffe kam den Korridor von Jack Harts Büro entlang. Mittleren Alters, immer schick gekleidet, immer beherrscht, das war Maggie Fyffe, die Witwe eines Polizeibeamten.
»Gehen Sie gleich rein«, sagte sie. »Und vergessen Sie die Hunde.«
Er ging den Korridor entlang bis zu der Tür mit dem Schild »Dienststellenleiter« und drückte auf den Signalknopf daneben. Das grüne Licht flammte augenblicklich auf, und er trat ins Zimmer, nickte den beiden Männern zu, die ihn erwarteten, und schloss die Tür hinter sich.
Jack Hart, ein melancholisch wirkender Mann mit einem faltigen Gesicht und hohen Backenknochen, hatte eine dünne Akte aufgeschlagen vor sich auf dem Schreibtisch liegen. Der Mann, der ihm gegenübersaß, war Tom Maxwell, sein anderer Stellvertreter.
»Sie haben es gehört?«, fragte Hart ohne Umschweife.
»Mary Dutton.« Thane setzte sich in den freien Sessel neben Maxwell.
»Detective Sergeant Dutton«, sagte Hart betont förmlich. Sonnenlicht strömte durch das große Fenster hinter ihm, floss auf seinen Schreibtisch, ließ sein Gesicht im Schatten. »Wie gut haben Sie sie gekannt?«
Thane schüttelte den Kopf.
»Ich habe in zwei Fällen mit ihr zusammengearbeitet, mehr nicht.«
Er wartete. Er kam mit beiden Männern gut zurecht, obwohl er der jüngste der drei war. Zwischen Hart und Maxwell jedoch spürte er an diesem Tag eine gewisse Spannung; es war so, als wäre er mitten in etwas hineingeplatzt.
»Berichten Sie, Tom«, befahl Hart.
»Mary hat fast ein Jahr für mich gearbeitet - und ich kannte ihren Vater.« Maxwell sprach ruhig und nüchtern. Man hätte diesen grauhaarigen, mittelgroßen, dezent gekleideten Mann leicht mit einem Bankdirektor verwechseln können. Beim Gehen zog er ein Bein etwas nach, bleibende Erinnerung an einen Sturz vom Dach, als er einen bewaffneten Räuber gejagt hatte. »Nach einer Weile hatte sie Lust, etwas anderes zu tun, und wechselte zu einer der geheimen Überwachungseinheiten über. Das war noch vor Ihrer Zeit.«
»Sie kannten sie also recht gut«, meinte Thane vorsichtig.
Maxwell zuckte die Achseln.
»Ich denke schon. Besser als die meisten hier, aber das will nicht viel besagen. Sie behielt vieles für sich.«
»Sie war außerdem eine verdammt gute Beamtin«, unterbrach ihn Hart mit kaum verschleierter Ungeduld. »Colin, die Beerdigung war gestern in Aberdeen. Tom war unser offizieller Vertreter - das wissen Sie.«
»Wir sind mit zwei Wagen hinaufgefahren. Außerdem kamen Kollegen aus Strathclyde und aus Aberdeen - sie erinnern sich noch an ihren Vater.« Maxwell verzog flüchtig das Gesicht. »Ich bin hinterher noch geblieben, um mit ihrer Mutter zu sprechen, zu sehen, wie sie zurechtkommt - das Übliche eben.«
Thane nickte. Er hatte diese Aufgabe schon zweimal in seiner Laufbahn übernehmen müssen. Ihn verlangte nicht nach einem dritten Mal.
»Tom...« Hart sagte es beinahe flehend und trommelte mit den Fingern einer Hand leicht auf den Schreibtisch.
»Er braucht den Hintergrund«, versetzte Maxwell scharf. »Verdammt noch mal, Jack, sie war eine von uns.«
Hart runzelte die Stirn. Sein Ton war frostig, als er antwortete.
»Ich habe nicht die Absicht, das zu vergessen, Tom.«
Thane hielt sich heraus. Mary Dutton - er hatte eine vage Vorstellung von einem stupsnasigen Gesicht und kurzem schwarzem Haar. Sie war rundlich gewesen und hatte ein herzhaftes Lachen gehabt. Aber sonst? Es war nicht leicht, sich richtig zu erinnern.
»Ich habe mit ihrer Mutter gesprochen«, wiederholte Maxwell entschlossen. »Sie kommt zurecht. Das ist ihre Art. Es war aber noch jemand da, eine Freundin von Mary.«
»Sheila Swann«, murmelte Hart mit einem Blick in die aufgeschlagene Akte. »Alter dreißig, unverheiratet, lebt und arbeitet in Glasgow, Beruf: Sozialarbeiterin. Weiter, Tom.«
»Ich bemühe mich«, sagte Maxwell verschnupft. »Sheila Swann war gerade aus dem Urlaub zurück. Sie war in Spanien und hat heute wieder zu arbeiten angefangen.« Er hielt inne, griff in sein Jackett und zog aus der Innentasche eine bunte Ansichtskarte. »Das erwartete sie in ihrem Büro - eine Karte von Mary Dutton.«
Thane nahm die Karte. Die Fotografie zeigte eine Ansicht des Loch Lomond - blaues Wasser, grüne Hügel, im Vordergrund ein Fleck violettes Heidekraut.
»Sie rief mich in ihrer Mittagspause an«, erklärte Maxwell kurz. »Ich bin sofort hingefahren und hab’ mir die Karte geben lassen. Lesen Sie sie.«
Thane drehte die Karte um. Sie war am 12. Mai in einem Ort namens Arrochar abgestempelt. Er wandte seine Aufmerksamkeit der großen, festen Handschrift zu, las, hielt verblüfft inne, las den Text noch einmal. Jetzt wusste er, warum Hart und Maxwell so gespannt waren.
Herrliches Wetter, genieße alles. Friedenslager gut. Aber zwei alte Kunden hier aufgetaucht - weiß Gott, warum, friedlich sind die bestimmt nicht. Mache mich davon, ehe sie sich an mich erinnern. Hoffe, Spanien war schön. Alles Liebe, Mary.
Er legte die Karte auf Harts Schreibtisch und verfluchte im Stillen den Telegrammstil von Ferienpostkarten.
»Die hat sie am zwölften Mai abgeschickt - drei Tage nach ihrem Urlaubsanfang«, bemerkte Hart. »Der Autopsie zufolge ist sie entweder am zwölften oder dreizehnten Mai gestorben. Genauer lässt es sich nicht bestimmen.«
Thane holte tief Atem.
»Was ist mit diesem Friedenslager? Und den beiden alten Kunden?«
Maxwell war wieder an der Reihe.
»Wir wussten von dem Lager. Es ist in den Bergen oberhalb von Arrochar. Rettet die Welt! Weg mit der Bombe! Meditiert für den Frieden!« Er zuckte die Achseln. »Das war Marys Stil. Aber was sie in ihrer Freizeit tat...«
»Und die zwei alten Kunden?«
»Kann jedes Ganovenpaar sein, mit dem sie je zu tun hatte«, knurrte Maxwell gereizt. »Ihre Mutter hatte ebenfalls eine Karte von ihr bekommen. Am selben Tag. Auf der stand nur, es wäre alles bestens.«
Thane legte die Karte auf Harts Schreibtisch. Draußen ließ jemand ein Auto an, in einem der Nachbarbüros läutete ein Telefon. Er sah Hart an.
»Was sonst noch?« Das konnte nicht alles sein. Da war er sicher.
»Nicht viel - jedenfalls noch nicht. Aber wir können ja mal versuchen, die Informationen, die wir haben, miteinander zu verknüpfen.« Das Telefon nebenan hörte auf zu läuten, während er sprach. »Wir wissen, dass Mary an dem fraglichen Morgen das Friedenslager verließ - allein, wie sie gekommen war, offenbar ohne Erklärungen. Sie hatte einen Rucksack bei sich, der bisher nicht gefunden wurde. Nach dem, was Sheila Swann uns berichtete, hatte sie ursprünglich vor, eine Woche in dem Lager zu bleiben.«
»Und dann stürzt sie von einer Felswand ab«, warf Maxwell bitter ein. »Alle sagen, wie schrecklich, aber keiner kommt auf den Gedanken, mal nachzufragen, ob sie wirklich gestürzt ist oder ob sie gestoßen wurde. Auch ich nicht.«
»Nein, keiner von uns.« Hart presste die Lippen aufeinander. »Klar gesagt, Colin - es sah nach Unfall aus, und so wurden denn auch alle Indizien von Anfang an gedeutet. Ich will niemandem einen Vorwurf machen, so etwas kommt immer wieder vor. Vielleicht ist man unaufmerksam, oder vielleicht will man die Sache schnell zum Abschluss bringen, um es den Angehörigen zu erleichtern.«
»Ja, aber die Autopsie?« Thane war verwirrt.
Wieder begann das Telefon nebenan zu läuten. Thane wünschte, es würde jemand abheben. Er hätte gern die Akte genommen, die vor Hart lag, aber er wusste, dass er warten musste.
»Ich habe eine Kopie des Berichts.« Hart machte eine unmutige Handbewegung. »Tod infolge vielfältiger Verletzungen, augenscheinlich infolge eines Sturzes, eine vage Bemerkung darüber, dass man eventuell weitere Untersuchungen durchführen wird.« Er zog ein Gesicht. »Tja, jetzt sind die Freunde von der Pathologie etwas unglücklich. Sie sind dabei, ihren ersten Befund zu überprüfen und einen neuen Bericht vorzubereiten.«
»Und wie kommt das? Hat man Ihnen das gesagt?«
»Nein.« Das Telefon im anderen Büro hatte zu läuten aufgehört, aber von draußen kam ein neues Geräusch, das Knattern eines Rasenmähers, der abgeschnittenes grünes Gras speiend am Fenster vorüberfuhr. Hart wartete, bis der Lärm etwas nachließ. »Das ist eine der Fragen, die Sie als erste klären müssen.«
Thane warf Tom Maxwell einen Seitenblick zu. Das sonst so ruhige, freundliche Gesicht des anderen war steinern. Er machte eine unterdrückte Bemerkung.
»Ich habe es Ihnen erklärt, Tom. Ich bin hier der Chef, ich habe so entschieden.« Hart schüttelte nicht ohne Teilnahme den Kopf. »Sie haben nicht genug Distanz - als Freund der Familie und so weiter.« Er wandte sich Thane zu, vielleicht um sich bei ihm Unterstützung zu holen. »Wollen Sie die praktische Seite hören? Morgen beginnt der Prozess gegen die Brüder Carran. Soll ich dem Richter sagen, dass der Hauptzeuge der Krone nicht kommen kann, weil er zu viel zu tun hat?«
Darauf gab es keine Antwort. Die Brüder Carran hatten sich als Designberater ausgegeben und unter diesem Etikett gnadenlose Erpressergeschäfte betrieben, durch die sie viele Menschen seelisch zerstört und finanziell ruiniert hatten. Zwei der Opfer hatten Selbstmord begangen. Die beiden Erpresser waren monatelang überwacht worden, ehe es Tom Maxwell endlich gelungen war, sie zu überführen. Der Erfolg war nur durch einen hohen Einsatz an Geduld und Arbeitskräften möglich geworden; auf keinen Fall durfte man ihn jetzt aufs Spiel setzen.
»Also.« Hart nahm ihr Schweigen als hinreichende Antwort. »Colin, setzen Sie alles, was möglich ist, auf Sparflamme. Den Rest teile ich neu zu.« Er schob die Akte über den Schreibtisch. »Das ist für Sie. Sprechen Sie mit Sheila Swann, versuchen Sie, hinsichtlich dieses Autopsie-Durcheinanders Klarheit zu bekommen...«
»Wer macht das denn?«, fragte Thane.
»Jetzt?« Hart gestattete sich ein frostiges Lächeln. »Gott persönlich, könnte man sagen.«
»MacMaster?« Thane schnitt eine Grimasse.
Professor Andrew MacMaster hatte den Lehrstuhl für forensische Medizin an der Universität Glasgow inne, begegnete den meisten seiner Kollegen mit milder Verachtung und machte keinen Hehl daraus, dass die Polizei für ihn ein Haufen analphabetischen Gesindels war. Doch MacMaster, ein steifer, alter Herr, gehörte zu den Kapazitäten seines Fachgebiets in Westeuropa. Wenn er einen Fall übernahm, wenn er einen Fehler entdeckte, dann war damit zu rechnen, dass jemand dafür geradestehen musste.
»Richtig«, bestätigte Hart. »Er erwartet Sie heute Nachmittag.«
Thane seufzte. »Wie stehen wir mit Strathclyde?«
Das war wichtig. Sergeant Mary Dutton, offiziell immer noch Beamtin des Bezirks Strathclyde, wenn auch zur Crime Squad abgestellt, war im Zuständigkeitsbereich der Polizei Strathclyde ums Leben gekommen. Beamte dieser Dienststelle hatten die üblichen Ermittlungen durchgeführt, hatten sie identifiziert. Von Rechts wegen war es ihr Fall.
Doch die Crime Squad nahm wie immer eine Sonderstellung ein. Von der Staatsregierung finanziert, keiner regionalen Polizeidienststelle unterstellt, konnte sie völlig selbständig handeln und arbeiten, ihre eigenen Fälle auswählen, gleich, in welchem Revier. Als Leiter der Crime Squad konnte Jack Hart alle regionalen Grenzen und das Polizeiprotokoll ignorieren - jedenfalls in den meisten Situationen. Im Allgemeinen bemühte er sich um eine Art diplomatischen Verständnisses, tat dann doch, was er für richtig hielt.
»Der dortige Assistant Chief Constable weiß, dass wir eingreifen.« Hart sprach mit Bedacht. »Es passt ihm nicht recht, aber ich hab’ eine Abmachung mit ihm getroffen, die er seinem Chef verkaufen kann. Fürs erste ist es unsere Operation. Später, je nachdem, wie die Dinge sich entwickeln, wenn wir beispielsweise auf einen Mörder Jagd machen sollten, wird es eine Gemeinschaftsoperation. Keinesfalls möchte ich Krieg mit Strathclyde - schon gar nicht in dieser Sache. Ist das klar?«
Sie nickten beide, Maxwell immer noch verdrossen.
»Gut.« Hart lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Das wär’s dann auch schon - das heißt, nein, eines noch, Colin. Der Mann, der bei Strathclyde die Ermittlungen geleitet hat, war Ihr Freund Phil Moss.«
Thane war betroffen. Inspector Phil Moss gehörte zum leitenden Stab der Dienststelle Strathclyde. Vorher hatte er mehrere Jahre lang mit Thane bei der Kriminalpolizei zusammengearbeitet. Sie waren ein Gespann gewesen und noch immer gute Freunde.
»Der hat eine Abreibung verdient«, knurrte Maxwell.
»Möglich - vielleicht aber auch nicht.« Hart sah Thane an. »Es ist zu früh, da etwas zu sagen. Ich möchte jedenfalls nicht, dass sich hier irgendjemand zum Richter aufwirft.«
Er sah auf seine Uhr, ein Zeichen, dass die Besprechung beendet war. Doch als Thane und Maxwell aufstanden, hob er die Hand.
»Warten Sie, Colin. Ich brauche Sie noch einen Moment.«
Maxwell zuckte die Achseln und ging. Als die Tür krachend hinter ihm zufiel, schüttelte Hart seufzend den Kopf.
»Der gute Tom ist ganz schön wütend, und mir ginge es wahrscheinlich nicht anders«, bemerkte er. Er nahm sich eine Zigarette und zündete sie an. »Also - was ist nun mit dieser blöden Hundegeschichte?«
Thane hatte die Hunde beinahe vergessen.
»Einer fängt morgen bei uns an.«
»Großartig«, meinte Hart sarkastisch. »So ein riesengroßes, zotteliges, sabberndes Ungeheuer, wie?«
»Eine Labradorhündin.« Thane merkte, dass er sprach, als müsste er den Hund verteidigen. »Ich hab’ sie bei der Arbeit gesehen - sie ist gut.«
»Sie, er - was spielt das schon für eine Rolle?« Hart zog an seiner Zigarette und betrachtete Than stirnrunzelnd. »Ach so, stimmt ja, Sie haben selbst einen Hund.«
»Ja.« Einen ungebärdigen Boxer namens Clyde, der regelmäßig Chaos im Hause Thane anrichtete.
»Kein Mensch ist vollkommen.« Hart schwieg einen Moment. »Gut, uns wird schon was einfallen für das Hundevieh, wenn es erstmal hier ist.« Damit war die Angelegenheit für ihn vorläufig erledigt. »Zurück zu Mary Dutton. Sagen Sie ein paar Worte zu den Leuten. Sie wissen inzwischen Bescheid, aber machen Sie’s amtlich.«
Thane nickte. Als er sich mit seiner Akte in der Hand zum Gehen wandte, sah er, wie Hart eine andere Akte vom Boden aufhob. Sie war gelb und viel dicker, der Wirtschaftsplan der Crime Squad für das kommende Jahr.
Jack Hart arbeitete bereits seit zwei Wochen an dem Plan. Bald würde er ihn vor einem Ausschuss aus Ministern und hohen Beamten vertreten und durchboxen müssen. Nicht überall fand man die Existenz der Crime Squad notwendig; Hart würde wahrscheinlich mit Engelszungen reden müssen.
Er hatte erwartet, vor der Tür auf Maxwell zu stoßen, aber der Korridor war leer, und die Tür zu Maxwells Büro war geschlossen. Im Dienstraum, der etwas weiter hinten lag, war Betrieb, wie immer am späten Nachmittag. Es war die Zeit, wo die ersten Leute von der Tagesschicht auf die Dienststelle zurückkamen und die ersten Nachtschichtbeamten ihren Dienst antraten. Man tauschte die letzten Neuigkeiten und ein bisschen Klatsch aus, während dauernd irgendein Telefon läutete und hier und dort eine Schreibmaschine klapperte.
Thane ging hinein. In dem großen, luftigen Raum befanden sich ungefähr zwanzig Männer und Frauen; die meisten standen in kleinen Gruppen beieinander. Nur wenige sahen so aus, wie man sich einen Polizeibeamten vorstellt, einige hätte man für hartgesottene Ganoven halten können. Die Atmosphäre war im Gegensatz zu sonst spürbar gedämpft, und als man auf Thane aufmerksam wurde, trat beinahe völlige Stille ein.
Mit einem raschen Blick vergewisserte sich Thane, dass die beiden Leute da waren, mit denen er regelmäßig zusammenarbeitete: Sergeant Francey Dunbar, Mitte Zwanzig, mit dichtem, rabenschwarzem Haar und einem schmalen Oberlippenbärtchen; und Sandra Craig, groß, schlank, rothaarig, in Jeans und kariertem Hemd. Während Dunbar mit halbgeschlossenen Augen, die Füße auf dem Schreibtisch wie dösend auf seinem Stuhl hockte, unterhielt sich Sandra mit einem breitschultrigen, unrasierten Beamten, der allgemein der »Gorilla« genannt wurde.
Thane nickte Dunbar und Sandra Craig kurz zu und wies mit dem Kopf auf sein Büro. Er wusste, dass die anderen im Raum auf eine Erklärung von ihm warteten.
»Sie haben alle gehört, dass Mary Dutton ums Leben gekommen ist«, sagte er laut. »Wir wissen noch nicht mit Sicherheit, wie es geschehen ist, aber wir sind entschlossen, es herauszufinden. Wenn es soweit ist, erfahren Sie die Einzelheiten so schnell wie alle anderen.« Er machte eine kurze Pause. »Wer hier war mit ihr befreundet?«
Einen Moment lang blieb es still. Er sah, wie einige Leute die Stirn runzelten, ratlose Blicke tauschten. Dann meldete sich eine zierliche junge Frau mit blondem Haar. Sie war stark geschminkt, trug einen kurzen Lederrock und hatte einen hautengen Pullover an.
»Ich, Sir. Zumindest haben wir manchmal miteinander geredet. Aber sie war nicht sehr mitteilsam.«
»Hat sie mal von einer Sheila Swann gesprochen?«
Die hübsche Blonde nickte. Sie hatte den Dienstgrad eines Sergeants, hatte ein abgeschlossenes Jurastudium und war am Abend mit einem Steward einer holländischen Luftfahrtgesellschaft verabredet, der Gold schmuggelte. Der »Gorilla« würde sie unauffällig begleiten, um ihr Beistand zu leisten, falls die Sache gefährlich wurde.
»War sie gut mit ihr befreundet?«, fragte Thane.
»Sie hat eigentlich nie von jemand anderem gesprochen.«
Thane sah die junge Frau nachdenklich an. Der holländische Steward hatte ihnen, ohne es zu wollen, einige Türen geöffnet; jetzt war es an der Zeit, ihn festzunehmen.
»Was passiert heute Abend mit Ihrem fliegenden Holländer?«
»Er hat mich zum Essen eingeladen.« Die Blonde lächelte. »Wir schnappen ihn uns, sobald er bezahlt hat. Es sei denn...«
»Nein, nein, machen Sie nur.« Der Holländer musste dringend aus dem Verkehr gezogen werden. »Aber vielleicht brauche ich später Hilfe.«
Die Blonde nickte.
Thane drehte sich um, ging aus dem Dienstraum hinaus und den Korridor entlang zu seinem Büro. Er ließ die Tür offen und legte die Akte Dutton auf seinen Schreibtisch.
Das Zimmer war nur etwa halb so groß wie das Jack Harts, aber im Vergleich zu den Büros, in denen er früher gesessen hatte, beinahe luxuriös. Mit dem Dienstgrad stieg bei der Polizei eben auch der Komfort, dazu gehörte das Bild an der Wand ebenso wie der Teppich auf dem Boden. Durch das Fenster des Raumes blickte man auf den Parkplatz und ein kleines Wäldchen dahinter.
Thane starrte einen Moment lang geistesabwesend hinaus, fuhr leicht zusammen, als er ein diskretes Klopfen an der Tür hörte, und drehte sich um. Francey Dunbar und Sandra Craig traten gemeinsam ein. Sandra setzte sich ruhig in einen Sessel, während Dunbar mit einem Minimum an Kraftaufwand die Tür mit dem Fuß zudrückte und dann seinen Lieblingsplatz einnahm - lässig an Thanes großen grauen Aktenschrank gelehnt.
»Wieso wir?«, fragte Dunbar ohne Umschweife. »Sie war doch Superintendent Maxwells Mitarbeiterin.«
»Genau das ist die Antwort«, erwiderte Thane. »Überlegen Sie sich das mal.«
Dunbar zog eine Grimasse. Sandra Craig krauste die Stirn.
»Sollten wir alles andere stehen und liegen lassen, Sir?«, fragte sie. »Auch das Whiskygeschäft?«
»Wo’s da jetzt gerade kritisch werden könnte«, brummte Francey Dunbar.