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Seitenzahl: 656
The Project Gutenberg EBook of Das heilige Donnerwetter. Ein Blücherroman by Adolf Paul
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Copyright 1918 by Albert Langen, Munich
Alle Rechte,insbesondere der Übersetzung und Dramatisierung, vorbehalten!
Printed in Germany
In schnellem Flug huschte dann und wann der schneeweiße Körper einer Möwe vorüber und leuchtete grell gegen das von keinen Wolken bedeckte Blau des Himmels auf. Aber keiner von den drei jungen Leuten, die nebeneinander auf den zusammengerafften Segeln im Boote lagen, drehte auch nur den Kopf, um die Kunststücke des gewandten Luftseglers zu beachten. Sie starrten unentwegt nach dem kleinen dunklen Punkt, der, kaum noch wahrnehmbar, sich hoch in den Lüften bewegte.
„Aufgepaßt!“ rief der eine halblaut, „seine Kreise werden enger! Er sieht Beute!“
„Er zielt!“ rief der zweite.
„Er fällt!“
Der schwarze Punkt wurde schnell größer, breitete sich zur Fläche aus, gliederte sich, wurde zum Körper, dessen Kopf, Rumpf, Flügel und Schwanz sich scharf von der klaren Luft abzeichneten. Dann schoß er rasch tiefer, hielt jäh an und stürzte pfeilschnell kopfüber in den See.
Mit einem Ruck schnellten die drei jungen Leute empor, standen da kerzengerade im Boot und blickten dem goldbraunen Körper des Raubvogels nach, der ins Wasser hineinschoß, daß der Schaum hoch aufspritzte. Bald kam er wieder zum Vorschein, hob sich zum Flug und steuerte mit ruhigen, kraftvollen Schlägen seiner mächtigen Schwingen in flacher Bahn der Küste zu, einen großen, silberweißen Fisch in den Krallen mit sich führend.
[pg 6]„Der Adler von gestern!“ rief der längste von den dreien. „Ich kenne ihn genau! Die gleiche Größe und Zeichnung! Nicht zu verkennen!“
„Er wird wohl hier in der Gegend nisten!“
„Sicherlich! Denn als er gestern drüben bei Hiddensee fischte, stieg er mit seinem Raub jäh in die Höhe und flog nach Nordost, hierher. Jetzt steuert er flach gegen das Land. Dort auf den Kreidefelsen wird es sein!“
„Schauen wir nach!“
Im Nu saßen zwei an den Riemen, der dritte am Steuer, und von kräftigen Schlägen getrieben, glitt das Boot dem Ufer zu, wo hoch oben auf dem weiß leuchtenden Kreidefelsen ein paar uralte Kiefern wie vorweltliche Riesen ihre knorrigen Kronen aus der saftig grünen Masse des Laubwaldes emporhoben.
Auf diese Bäume setzten sie Kurs. Und lange dauerte es nicht, bis das braungeteerte Boot sich am Geröll des Ufers scheuerte.
Bald war es an Land gezogen, Segel und Ruder versteckt, und die drei Freunde sprangen von Stein zu Stein auf das Gemengsel von Sand, Schlemmkreide und Feuersteinen hinauf, aus dem der schmale Uferstreifen gebildet war, der den Felsenrand vom Wasser trennte.
„In einer der alten Kiefern da oben wird er sein Nest haben!“
„Klettern wir hinauf!“
„Wozu klettern? Weiter nach links weiß ich einen Pfad, der bequem zu steigen ist!“
„Der gerade Weg ist der beste!“ antwortete der, der zuerst geredet hatte – ein lang aufgeschossener Jüngling mit Adlernase und dunklen, blauen Augen. Und ohne sich um die anderen zu kümmern, nahm er entschlossen Anlauf, packte mit kräftigem Griff den nächsten Busch, stemmte die Füße gegen die Spalten und Vorsprünge des Felsens, nahm im ersten Ansturm die halbe Höhe und blieb da auf einem breiteren Vorsprung stehen und blickte hinauf.
[pg 7]„Da ist er wieder!“ schrie er und zeigte auf den Adler, der in raschem Flug wieder seewärts steuerte. „Was sagte ich? Sein Nest ist hier!“
„Vorwärts nur!“
Ein paar kräftige Klimmzüge, ein Keuchen und Fluchen, wenn der Fuß einmal ausglitt und Steine und Sand prasselnd in die Tiefe schickte, dann waren sie oben und fanden da den Dritten im Bunde lachend vor. Denn der bequemere, wenn auch längere Pfad hatte ihn doch zuerst ans Ziel geführt.
„Lache nur!“ rief der Lange. „Hier wärest du nimmermehr heraufgelangt!“
„Wozu denn Wände hochsteigen, wenn es auch so geht?“ antwortete der andere, ohne sich aus der guten Laune bringen zu lassen.
„Um auf dem geraden Weg zu bleiben! Umwege sind Abwege!“
Damit drang er den anderen voran durch den Laubwald nach der Anhöhe, wo in einsamer Majestät eine alte Kiefer thronte. Das Adlernest hatte er bald herausgefunden. Aber wie hinaufkommen? Der riesige, mannsdicke Baum, der es trug, hob sich wie eine Säule zu mächtiger Höhe. Sein von Wind und Wetter glattpolierter Stamm bot dem Kletternden fast gar keine Stützpunkte.
„Wo du da einen bequemeren Umweg finden willst, möchte ich nur wissen!“ rief der Lange.
„Freund Diercks klettert auf die Bäume wie ein Affe, Bruder!“ antwortete der zweite der beiden Bergsteiger. Und Diercks, der seine Kräfte vorhin geschont hatte, spuckte in die Hände, packte den Baumstamm, umschlang ihn mit Armen und Beinen und schob sich so langsam daran hoch, jede Muskel des stämmigen Körpers auf das Äußerste anspannend. Endlos schien es den Untenstehenden, bis sie ihn den Arm über den ersten Ast der Krone schieben sahen, um mit Aufbietung der letzten Kraft den Körper hinaufzuziehen.
[pg 8]Einen Augenblick blieb er sitzen, um Atem zu schöpfen, dann ging es weiter von Ast zu Ast, bis an das Adlernest heran. Ein Blick hinein, ein Aufschrei!
„Gebhard! Siegfried! Ein ausgewachsener Adler!“
„Schon flügge?“
„Sicher! Aber er scheint noch keine Ahnung davon zu haben! Er liegt ganz still!“
„Wirf ihn herunter!“
Einen Augenblick wurde es still da oben. Dann kam ein Aufschrei: „Verflucht! Den Schnabel weiß er schon zu brauchen!“
Dann hörte man nichts mehr als das Geräusch eines zähen Kampfes. Trockenes Reisig und Grasbüschel flogen aus dem Neste zu den Wartenden hinunter, und zuletzt sauste, mit kräftigem Schwung geschleudert, ein fast ausgewachsener junger Adler herab. Zunächst fiel er in schwindelnder Fahrt, dann auf einmal breitete er mit gellendem Aufschrei die Flügel aus, und zum ersten Male trugen sie den Körper in sanftem Flug hinunter und landeten ihn unweit der unten Harrenden. Einen Augenblick blieb er betäubt liegen, dann wurde er von vier kräftigen Fäusten gepackt und ihm eine Kappe über den Kopf gezogen.
Sein Bezwinger war unterdessen heruntergerutscht und kam jetzt heran.
„Den Vogel nehme ich mit nach Hause!“ sagte er. „Da ich ihn fing, ist es nur billig, daß ich ihn behalte!“
„Wo willst du ihn bei euch hintun?“
„In den Hühnerstall, bis ich ihm einen Käfig gebaut habe!“
„Einen Adler in den Hühnerstall tun?“ rief Gebhard, der längere von den beiden Brüdern, entrüstet. „Das geschieht nie und nimmer!“
Und ehe die anderen es sich versehen konnten, riß er die Kappe vom Kopf des Adlers fort und warf den Vogel in die Luft.
„Gebrauche deine Flügel, jetzt wo du weißt, wozu sie taugen!“ rief er.
[pg 9]Der Adler machte ein paar ungelenke Bewegungen mit den Schwingen und setzte sich in einiger Entfernung wieder auf den Rasen, nahm aber dann, von seiner Angst getrieben, noch einmal Anlauf. Zwei, drei Schläge nur mit den Flügeln, und die Unsicherheit war verschwunden, er wagte den Flug und schraubte sich in sanftem Bogen um den Baum herum, bis er ins Nest hineinblicken konnte. Dann war er mit einer schnellen Bewegung darüber und ließ sich rasch hineinsinken.
„So!“ sagte Gebhard und zog seine frei gewordene Kappe wieder über die Locken. „Vor dem Hühnerstall wären wir bewahrt!“
„Du bist nur neidisch,“ murrte sein Freund, „weil du ihn nicht selbst fangen konntest!“
„Dafür konnte ich ihm die Freiheit geben!“ sagte Gebhard, und es wetterleuchtete vor trotzigem Stolz in seinen dunklen Augen. „Frei wie die Luft, die er atmet, muß der König der Lüfte sein! Ich mußte ihm da helfen. Und ich täte es nochmals, ob’s dir paßt oder nicht! Da“ – er zeigte landwärts auf die Wiese unterhalb des Berges –, „da fliegen andere Vögel, die nicht dem Himmel so nahe kommen. Fang’ dir die ein!“
„Die schwedischen Husaren!“ rief Diercks und vergaß über dem Anblick den Adler und seinen Ärger über Gebhards eigenmächtigen Eingriff in seine wohlerworbenen Rechte. Er jauchzte laut den blaugelben Reitersleuten zu, die aus dem Wald heraufsprengten, um in wildem Galopp über die Ebene hinwegzusausen.
„Den Flug machen wir mit!“ rief er. „Die holen wir noch ein! Rasch, fangen wir ein paar von Vaters Pferden unten auf der Wiese ein und setzen wir ihnen nach!“
Gesagt, getan! Die drei unternehmungslustigen jungen Leute hatten sich bald je ein Pferd eingefangen und ritten, statt den Reitern auf dem großen Fahrwege über Altenkirchen zu folgen, auf ihren ungesattelten Pferden querfeldein nach der Wittower Fähre hin, wo sie gleichzeitig mit den Husaren anlangten.
[pg 10]Diercks fand unter ihnen seinen Bruder vor, der bei den Schweden diente, und viele Bekannte und Freunde außerdem. Über den Zweck des Streifzuges: nach dem Gang der Aushebung auf Rügen zu sehen, wurde er gleich aufgeklärt, und bald plauderten sie über die Aussichten Schwedens, seine pommerschen Grenzen im Kriege gegen Preußen zu verbessern. Denn als Schirmherr des Westfälischen Friedens hatte Schweden sich den Feinden Friedrichs des Großen angeschlossen, die ihn an seinem kühnen Unternehmen hindern wollten, die Landkarte für sich bequemer zu gestalten. Er hob also auch in seinen deutschen Provinzen Kriegsvolk aus. Und da waren die drei waghalsigen Reiter kein unwillkommener Zuzug zu der Schar, durften sich also ohne weiteres anschließen, und trabten vergnügt mit auf dem Wege nach Bergen, bis Venz in Sicht kam. Dort verabschiedeten sich die beiden Brüder von den anderen und ritten nach dem Gutshof hinauf, wo sie bei ihrem Schwager zu Gast waren. Ihr Freund dagegen folgte den Husaren, nicht ohne den lebhaften Neid seiner beiden Gespielen zu erregen, die gern noch weiter mitgeritten wären.
„Weiß Gott,“ sagte der jüngste, „mir ist’s, als gehörte ich zu dem Kriegsvolk und müßte mit, gleichviel wohin! Wäre ich schon siebzehn, wie du, ich ließe mich anwerben!“
„Ich besorg’s dir, Gebhard und mir auch!“
„Die Schulbank zu drücken habe ich satt! Wozu auch, wo’s Pferde gibt? Aber nichts dem Schwager verraten!“
„Ich werde mich hüten! Der schickt mich dann gleich zurück nach der Schweriner Pagenschule, auf daß ich bei den Mecklenburgern graue Haare kriege, ehe ich ein Offizierspatent bekomme! Da möchte ich nicht dienen!“
„Ich auch nicht!“
„Bei den Preußen aber noch weniger! Ich danke für die Fuchtel Fritzens!“
„Ich auch!“
„Bei den Schweden reitet sich’s viel freier und lustiger!“
„Gehen wir zu den Schweden!“
Nachdem sie so im Fluge mit echt jugendlicher Sorg[pg 11]losigkeit diese nicht ganz unwichtige Lebensfrage erledigt hatten, sprangen sie von den Pferden, trieben sie wieder auf die Weide und gingen zum Gutshof hinauf, um den Rest des Tages irgendwie totzuschlagen.
In der darauffolgenden Nacht hatte Gebhard einen sonderbaren Traum.
Von scharfen Krallen an der Brust gepackt, wurde er plötzlich von der Erde gehoben und hoch durch die Lüfte getragen. Schwindelnd schloß er die Augen, sein Atem stockte, sein Herz schlug immer stärker und stärker. Schließlich ging die Aufwärtsbewegung in ein langsames Sinken über, die Krallen ließen ihn los; er fiel, stieß sanft auf den Boden auf, öffnete die Augen und sah über sich den großen Adler kreisen, hörte dessen gellende Schreie, die zu Worten wurden. Und die Worte wiederholten kurz, schneidend, immer wieder seine beiden Vornamen: Gebhard Lebrecht, aber in verkehrter Weise.
„Leb–hart! Geb–recht!
Leb–hart! Geb–recht!“ so kreischte es aus der Höhe. Und der Adler zog immer weitere Kreise, stieg immer höher und verschwand schließlich im tiefen klaren Blau des Himmels, das sich über ihm wölbte, von rotbraunen, knorrigen Ästen und blaßgrünen Kiefernadelbüscheln umkränzt.
Er atmete befreit auf, streckte sich auf dem Lager aus und fand es ganz wie es sein sollte, daß er da oben im Adlernest auf trocknem Gras und Reisig ruhte, statt in seinem Bett.
Dann setzte er sich auf und blickte neugierig über den Rand des Nestes hinaus, sah unter sich wogende Laubkronen, Felder und Wiesen, schneeweiße Kreidefelsen und weit in der Ferne, mit dem Himmel zusammenfließend, das endlose blaue Meer.
Und der Baum wuchs und schob seine Krone mit dem Adlernest immer höher in die schimmernde, klare Luft hinauf. Immer weiter wurde der Rundblick, die Insel rings[pg 12]umher immer kleiner und kleiner. Frei und unbehindert sah Gebhard über das jenseitige Land hinaus, sah Städte, Burgen, Häfen, Wälder, Felder und Wiesen, Flüsse und Kanäle und weit in der Ferne schneeige Gipfel in Sonnenlicht gebadet.
Sein Herz schwoll im starken Glücksgefühl, mit dieser ganzen Herrlichkeit eins zu sein und fest in diesem Boden zu wurzeln. Wonnetrunken ließ er die Blicke immer weiter schweifen, gen Morgen, über das Meer hinaus, wo mächtige Knäuel leuchtenden Dunstes, zu einer gewaltigen Wolkenwand zusammengeballt, in den Strahlen der sinkenden Sonne goldrot aufleuchteten, während von Westen her ein stickiger, schwarzer Nebel langsam herankroch und die ganze strahlende Herrlichkeit zu verdecken begann. Immer mehr verschlang der Nebel von den gesegneten Gestaden, an deren Anblick er sich soeben ergötzt hatte. Bald würde er den Baum erreichen und sein Adlernest und ihn selbst mit einer undurchdringlichen Nebelkappe überziehn.
Eine quälende Angst beschlich ihn. Er blickte hinauf, mit der letzten Kraft seiner Augen das schwindende Licht trinkend. Da sah er den Adler heransausen, hörte wieder sein gellendes Gekreisch:
„Geb–recht! Leb–hart!
Geb–recht! Leb–hart!“
Und der junge Adler, dem er die Freiheit wiedergegeben hatte, war auch dabei. Er tummelte sich in den Lüften, in stolzem Bewußtsein, ganz wie der Alte seine Schwingen gebrauchen zu können, und schrie vor Gier danach, seinen Hunger zu stillen. Mit Windeseile schossen sie auf den im Neste Liegenden herab und gruben ihre Schnäbel in seine Brust. An sein Herz wollten sie heran! Ein mutiges Herz war die rechte Speise für den König der Lüfte! Das Herz wehrte sich aber und flog wie ein gefangener Vogel zwischen den Stäben seines Rippengehäuses hin und her, um sich dem Griff des scharfen Adlerschnabels zu entziehen. Aber das Raubtier ließ nicht von seiner Beute! Immer tiefer wühlte sich sein Schnabel zwischen die Rippen hinein und versuchte das Herz aus [pg 13]seinem Käfig zu reißen. Das Herz aber war tapfer, krampfte sich zusammen und zog den Kopf des jungen Adlers immer tiefer hinein. So kämpfte sein Herz mit dem Raubtier, stählte sich am Kampfe und wurde kräftiger und stärker, bis es ihm schließlich gelang, mit einem gewaltigen Ruck den jungen Adler zwischen die Rippen hineinzuziehen. Und da saß er nun im Brustkorb gefangen wie hinter dem Gitter eines Käfigs, an Stelle des Herzens, das er mit letzter Anstrengung verschlungen hatte. Das Herz pulsierte wohl noch voller Sehnsucht wie vorhin. Aber seine Sehnsucht hatte jetzt die Schwingen des Adlers bekommen und Kraft, ihn hoch über alle Erdenschwere hinauszutragen.
Er brauchte nur zu wollen. Und im nächsten Augenblick stand er drüben auf der gewitterschwangeren Wolkenwand, die sich immer noch hoch über Land und Meer und über allen quälenden Nebeln erhob. Mit Riesenkräften packte er sie und preßte sie zusammen; Blitze zuckten, die Donner grollten, und vom Feuer des Himmels verzehrt, löste sich der schwarze Nebel auf, der schon die Herrlichkeit des ganzen Landes bedeckt hatte, und alles lag wieder im stillen Glanz, befreit da, von der Abendröte umglutet. – –
Aber hoch über ihm, dem es im Traum gegeben wurde, die Blitze des Himmels zu schleudern, kreiste der Aar, dessen Junges ihm ans Herz gewachsen und zum zweiten Herzen geworden war. Und gellend wie die Kriegstrompete schmetterte er sein Gekreisch in die Lüfte hinaus:
„Leb–hart! Geb–recht!
Leb–hart! Geb–recht!“
Er erwachte jäh und lag noch lange, ehe es ihm klar wurde, daß es nur ein Traum gewesen war und daß er in seinem Bette lag in seiner Schwester Haus zu Venz auf Rügen und nicht im Adlernest draußen auf den Felsen von Stubbenkammer. Und er starrte seinen Bruder Siegfried fragend an, der lange draußen seinen Namen gerufen hatte und jetzt mit Freund Diercks hereinstürmte, um ihn aus dem Schlafe aufzurütteln.
[pg 14]„Auf!“ riefen sie, „heraus aus dem Nest! Heute fangen wir den jungen Adler wieder ein!“
„Den Adler?“ fragte Gebhard und rieb sich die Augen und griff sich an die Brust, wo er ihn hineingeträumt hatte. „Meine Mütze zieht ihr ihm aber nicht mehr über den Kopf! Das gibt dann wieder Träume, wenn ich sie aufsetze!“
Er sprang aus dem Bett, schlüpfte in die Kleider, gab sich kaum noch Zeit, den bereitstehenden Morgentrunk zu schlürfen, sagte seiner Schwester rasch guten Morgen und war eben im Begriff, den anderen auf neue Abenteuer zu folgen, als sein Schwager, der Kammerjunker von Krackwitz, ihn aus dem Fenster seines Arbeitszimmers rief.
„Ihr müßt euch heute ohne Gebhard behelfen“, sagte er, ohne ihren langen Gesichtern Beachtung zu schenken. „Ich brauche ihn hier!“
Dagegen war nichts zu wollen. Gebhard mußte mit sehnsüchtigen Augen die anderen abziehen sehen und ging dann zu seinem Schwager hinein.
Der Kammerjunker war ein solider, ehrenfester Mann, ohne jeglichen Hang zu abenteuerlichen Träumereien, stand mit beiden Füßen fest auf dem Boden realer Tatsachen und packte das Leben von der nützlichen Seite an, wie sich’s für einen Mann von Grundsätzen gehört.
Nach gebührender Hervorhebung des Umstandes, daß er gewissermaßen an Vaters Stelle stünde, nachdem er Gebhard in seinem Hause aufgenommen hatte, führte er dem jungen Schwager zu Gemüt, er dürfe das Leben nicht zu sehr auf die leichte Achsel nehmen. Er sei bereits sechzehn, also in einem Alter, wo der Ernst des Lebens zu beginnen und das Spiel aufzuhören hätte! Ob er sich schon Gedanken über die Zukunft gemacht habe? Und was er wohl zu werden gedenke?
„Soldat wie der Vater und die Brüder!“
Das wäre ja alles gut und schön! Aber – wo er der Jüngste unter sieben Brüdern sei, die alle dienten! Und bei [pg 15]dem beschränkten Einkommen seines Vaters? Ohne Zuschuß vom Vater könne er nicht daran denken, auf der Offizierslaufbahn vorwärts zu kommen!
„So hilf du mir!“
Dem wäre er wohl nicht abgeneigt! Aber gegen die militärische Laufbahn hätte er seine Bedenken! Erstens gehöre Rügen zu Schweden. Er wäre also Schwede und könnte ihn wohl durch seinen Einfluß in schwedischen Diensten vorwärtsbringen! Aber – das hätte seine zwei Seiten! Mit der schwedischen Macht ginge es abwärts. Lange würden die Schweden ihre deutschen Besitzungen nicht mehr behaupten können! Eines Tages käme man unter andere Herrschaft, und er hätte dann von vorne anzufangen. Denn lieber gar nicht! Lieber Landwirt werden! Da könne er besser helfen! Er würde ihn in allen Stücken unterrichten und ihm dann helfen, eine einträgliche Pachtung zu bekommen, damit er auf eigene Beine käme im Leben! Das wäre doch die Hauptsache! Und hätte er dann noch das Glück, eine Frau zu finden, die auch nicht mit leeren Händen käme, dann wäre er sein eigener Herr. Und dann – wenn’s nicht anders ginge, und wenn die Lust in ihm übermächtig werden würde –, dann wäre es immer noch Zeit, zur Fahne zu gehen! –
Bei der Rede des Schwagers wurde es ihm zumute wie gestern, als er die Gespielen davon sprechen hörte, den jungen Adler in den Hühnerstall zu sperren. Alles in seinem Innern lehnte sich dagegen auf.
Die graue Alltäglichkeit eines unbemerkten Schicksals sagte ihm wenig zu. Im Spiele mit den Rostocker Bürgerssöhnen war er stets der Führer gewesen, der sie alle anfeuerte, allen voranstürmte und die Palmen des Sieges an sich riß! Nur so und nicht anders konnte er sich das Leben denken! Aber tagaus, tagein hinter dem Pfluge torkeln, das sagte ihm ganz und gar nicht zu. Er antwortete nicht. Und der Schwager, der sah, wie schwer ihm die Entscheidung wurde, drang nicht weiter in ihn, sondern machte ihm nur den Vorschlag, vorläufig auf seinem Gute alles zu erlernen. Er setzte ihm sogar ein Gehalt aus, sobald er sich eingearbeitet [pg 16]haben würde, und lud ihn zu einem Ritt durch die Felder ein, um erst alles in Augenschein zu nehmen.
Gebhard folgte ihm schweigend.
Kaum saß er aber im Sattel, so war die Mißstimmung verflogen. In der Phantasie trabte er jetzt nicht aus, um die Erdarbeiter zu inspizieren, sondern stürmte an der Spitze einer Schar Reiter auf den Feind los. Und der Schwager hatte Mühe, ihm zu folgen.
Als sie nach einem erfrischenden Ritt zurückkehrten, strahlten Gebhards Augen wieder in voller Lebenslust, seine Stirn war klar. Er tat sich gütlich bei einem reichlichen Mittagsmahl und empfing so den von der Adlerjagd zurückkehrenden Bruder. Der hatte geholfen, den jungen Adler wieder einzufangen. Und Freund Diercks hatte den Wildvogel geradeswegs nach Gagern gebracht, damit Gebhard ihm nicht wieder die Freiheit gäbe!
Abends aber, als sie zu Bett gingen, flüsterte ihm der Bruder etwas zu, das sein Blut in Bewegung brachte.
„Morgen in aller Früh’, ehe der Schwager munter wird, geht’s nach Bergen!“
„Nach Bergen?“
„Ja, zu den Husaren! Ich lasse mich bei den Schweden einstellen! Du auch!“
„Ist es denn möglich?“
„Diercks hat es mit mir ausgemacht. Er will auch selbst Handgeld nehmen, wie sein Bruder!“
„Was wird der Vater sagen?“
„Gar nichts! Und wenn schon –, sobald wir Handgeld genommen haben, nützt es ihm nichts!“
„Aber der Schwager?“
„Der wird schon aufbegehren! Aber das geht uns nichts an! Mit dem werden wir schon fertig!“
„Denkst du, daß man uns nimmt? Bin ich nicht zu jung?“
„Keinesfalls! Auf das Körpermaß kommt es an, und das hast du! Ich weiß außerdem, daß man uns will!“
[pg 17]„Ganz gewiß?“
„Ganz bestimmt! Gestern, als wir uns von den Husaren trennten und nach dem Gasthof galoppierten, da sagte der Hauptmann zu Diercks: ‚Die beiden Jungen hole ich mir noch! Sie reiten ja wie die Deibel!‘ Und er mußte ihm versprechen, uns morgen zu ihm nach Bergen zu bringen! Ich gehe auf alle Fälle hin!“
Gebhard sagte nichts. Er ging anscheinend ruhig zu Bett. Aber er vermochte kein Auge zuzutun. Er war jetzt am Scheideweg, wo es galt, entweder den breiten gesicherten Weg zu wählen, den ihm der Schwager wies, oder den Weg seiner Träume, deren Ziel er noch nicht sah, auf den es ihn aber mit aller Macht hintrieb. Lange lag er da und sann. Plötzlich setzte er sich im Bett auf. „Was ist aus dem Adler geworden?“ fragte er.
„Der Adler?“ antwortete der Bruder halb im Schlaf. „Den wollte Diercks mit einer Kette an einem Pfahl im Garten anschließen, bis sein Käfig fertig wird!“ Und damit schlief er ein.
Als Gebhard aber den Bruder fest schlafen hörte, stand er auf, zog sich rasch an, schlich leise aus der Kammer hinaus, die Treppe hinunter, durch den Garten und auf den Weg nach Gagern. Dort schwang er sich über den Gartenzaun und fand schnell den Pfahl, an den der Adler gefesselt war. Mit einer mitgeführten Kneifzange hatte er bald das Fußeisen durchschnitten, ergriff den Vogel, warf ihn in die Luft und sah, wie er auf mächtigen Schwingen durch die Nacht davonschwebte. Unbemerkt, wie er gekommen, ging er dann wieder nach Hause, schlüpfte rasch ins Bett und schlief bald ebenso fest wie der Bruder – jetzt aber ohne zu träumen.
„Blitz und Donner!“ fluchte der Wachposten am Eingang zum Zeltlager, das sich am Waldessaum breitete. „Hier kann einer tagaus, tagein sich mit dem saudummen Postenstehen die Beine in den Leib treten! Himmeldonnerwetter! Wer endlich einmal dreinhauen dürfte! Zu denken, was ich alles an Beute gemacht hätte – von den Gefangenen nicht zu reden! Leutnant hätte ich schon sein können – Rittmeister sogar – wer weiß, vielleicht bald General! Man hat’s gesehen!“
„Sachte, sachte!“ mahnte ein alter Graubart, der am Schilderhaus lehnte, nahm die Pfeife aus dem Mund und klopfte sie an der Stiefelsohle aus. „Als ich dereinst ins Feld zog, da hatte ich wohl auch wie du den Marschallsstab im Tornister, obwohl ich bloß ein Trommlerjunge war. Und so muß es sein. Die wenigsten erwischen ihn aber! Mir gelang’s schon! Daß ich aber auf meinen alten Tag nur Futtermarschall beim Regiment werden sollte – darauf hätte ich damals nicht schwören mögen!“
Er schwieg plötzlich, hielt die Hand vors Auge und blickte über die Felder hinaus, zwischen denen sich die Landstraße heranschlängelte. Ein plötzliches Klappern von eilenden Hufen hatte seine Aufmerksamkeit geweckt.
Der Wachposten hielt in seinem Hin- und Hertrotten inne und blickte auch hin.
„Ein durchgegangenes Pferd!“
„Wenn der sich nicht das Genick bricht!“
„Himmelsakra! Hecke und Graben im Flug genommen! Ratsch über die Wiese!“
„Jetzt klabastert’s schon auf der Landstraße! Das weiß den Weg nach deiner Futterkiste!“
„Dann wird’s auch wissen, wie leer sie ist! Heißa! Hussassah!“ schrie der Alte und trat zur Seite. Denn jetzt sauste es heran mit rasender Schnelligkeit. Dann: ein Ruck [pg 19]– alle viere in die Erde gestemmt – den Reiter in elegantem Bogen abgeschleudert und – war’s Zufall, war’s Instinkt – still stand es gerade vor dem Futtermarschall, zitternd, schaumbedeckt und leise wiehernd, als ahne es dessen nahe Beziehung zum Hafertrog.
Die beiden Husaren hielten sich die Seiten vor Lachen.
„Habt Ihr’s aber eilig, junger Herr!“ sagte der Alte.
„Ich habe nur Eure Fahne gegrüßt!“ sagte Gebhard, der schon wieder auf den Beinen war, und zeigte auf das blaugelbe Tuch, das über ihren Häuptern flatterte. Denn er und kein anderer war’s, der in dieser übereilten Weise das schwedische Lager gestürmt hatte. „Die anderen sind aber gehörig nachgeblieben!“ fügte er hinzu und blickte über den Weg hinaus. „Sie haben’s nicht gemerkt, als ich ihnen ausgerückt bin. Der Adebar auf der Wiese, der paßte aber auf, ließ dicht hinter mir ein Klappern steigen, und mein Brauner legte gleich los wie gestochen!“
Er versetzte dem Pferd einen Klaps auf die Lende, ging dann herum, faßte es beim Kopf und blies ihm beruhigend in die Nüstern.
„Ein Angsthuhn bist du“, gab er ihm kosend seinen Denkzettel und wandte sich dann an den Alten mit einer Frage nach der Regimentsschreiberei.
„Ihr wollt Euch als Rekrut bei uns eintragen lassen?“
„Das stimmt! Zeige mir nur den Weg!“
„Kehrt lieber um! Oder, meinetwegen, geht zu den Preußen! Bei uns ist für Euch kein Fortkommen! Das heißt, wenn Ihr vorwärts wollt! Rückwärts reiten wir schon!“
„Halt’s Maul!“ rief der junge Husar ärgerlich. „Und paß auf, was du redest! Wer wird sein eigenes Nest beschmutzen!“
„Ich nicht! Durch mich wurde es nicht beschmutzt! Durch dich auch nicht, obwohl du auch weidlich schimpfst!“
„Ich?!“
„Eben du! Und solange ich dich kenne! Bist Husar, bist ein Reitersmann und hast kein Pferd, wie so viele [pg 20]vom Regiment! Und du kriegst auch keins, wie brav du auch schimpfst! Und – wie schaut’s mit der Montierung aus?“
„Kann ich dafür, daß die Offiziere das Geld für die Ausrüstung am Spieltisch vertun?“
„Nein! Aber du kannst deinen Schnabel halten, statt von deinen Vorgesetzten schlecht zu reden!“
„Wie redest denn du?!“
„Mein Reden ist eines Mannes Rede! Aber du, Lausbub, hast das Maul nicht so weit aufzureißen! Erst etwas mitmachen und dann reden! Ich,“ – der Alte richtete sich auf und schlug sich auf die Brust, „ich war mit bei Narwa, bei Riga, bei Clissow und Holofzin – leider aber auch bei Pultawa! Als Trommlerjunge zog ich aus mit König Karl dem Zwölften, Gott hab’ ihn selig“ – er zog ehrfurchtsvoll den Hut bei Nennung des Königs. „Mit ihm zog ich aus, um den Moskowiter zu verprügeln, und machte das ganze tolle Abenteuer mit bis zum Kalabalik in Bender. Der große Krieg mit dem Moskowiter und dann mit den Polacken, das war der Anfang vom Ende. Dir wünsche ich, daß du den Schluß nicht sehen mußt. Denn er wird uns wenig Ehre bringen!“
Der Wachtposten machte achselzuckend kehrt und fing wieder sein Hin- und Herwandeln an.
„Kann ich dafür, daß die Offiziere das Geld für die Ausrüstung am Spieltisch vertun?“
Gerhard stand da, das Pferd am Zügel, und fragte nochmals ungeduldig:
„Der Weg nach der Regimentsschreiberei?“
Der Alte beachtete die Frage kaum, setzte sich gemächlich auf einem Feldstein zurecht, zog den Tabaksbeutel, stopfte die Pfeife, schlug Feuer, setzte sie in Brand und zeigte auf die Fahne, deren tiefblaues Tuch sich in wogenden Wellenlinien warf. Sie breitete sich aus, ließ ihr gelbes Kreuz in der Sonne aufleuchten und sank dann in sanft weichenden Buchten zurück, um wieder Wind zu fangen und von neuem das Spiel zu beginnen.
„Die Fahne,“ sagte der Futtermarschall, „die kann sich schon sehen lassen! Auf die könnt Ihr stolz sein, aber nicht auf die Regierung, die heute ihre Ehre so mäßig schirmt! [pg 21]Einst – so vor hundertundfünfzig Jahren war’s wohl –, da flatterten die blauen Fahnen mit dem gelben Kreuz lustig übers Meer hinaus. Nach allen Richtungen hin flogen sie, als wollten sie den schäumenden Fluten Eystrasalts zurufen: ‚Fortan seid ihr schwedisch – die ganze Ostsee ist von jetzt ab ein schwedischer Binnensee!‘ Als ich mit dem hochseligen König Karl“ – er zog wieder den Hut – „in den Krieg zog, da hielten wir noch das ganze Land um die Ostsee herum. Als wir aber nach achtzehn Jahren wieder geschunden nach Hause zurückkehrten – da wagte die blaugelbe Fahne sich kaum noch im Baltikum zu zeigen, die moskowitischen Mordbrenner verheerten aber lustig die schwedischen Küsten, und rein aus Gnaden ließ man uns beim faulen Friedensschluß das bißchen Pommern und die Insel. Und die sollen wir jetzt auch noch verlieren! Zu dem Zweck ziehen wir jetzt mit leeren Kriegskassen, auf lahmen Pferden hinaus in den Krieg! Und das wollt Ihr, junger Herr, noch mitmachen?!“
„Den Weg nach der Regimentsschreiberei will ich wissen, weiter nichts!“ rief Gebhard nochmals ungeduldig und schlang die Zügel um das Handgelenk.
„Ich werde Euch schon den Weg zeigen! Aber wißt Ihr auch, warum Ihr ihn gehen werdet?“
„Warum denn sonst! Um mich bei euch Schweden als Kämpfer anwerben zu lassen!“
„Als Kämpfer wofür?“
„Für die Krone Schwedens –“
„Für die kämpfen wir Schweden längst schon nicht mehr! Wir führen nur noch die Kriege der anderen Mächte – bald Englands, bald Rußlands, bald Frankreichs, je nachdem – und tun es auch jetzt, nachdem jene Mächte unseren Reichsrat gekauft haben, und ziehen gegen Preußen und gegen den Schwager unseres Königs, weil – nun eben weil unser König eine Schlafmütze ist!“
„Du sollst wider die Majestät unseres allergnädigsten Herrn nichts sagen!“ rief die Schildwache ärgerlich und blieb vor dem Futtermarschall stehen. Der aber ließ sich nicht dreinreden.
[pg 22]„Ich pfeife auf solche Herrschaft“, rief er. „Das ganze Land lacht über den dicken Holstein-Gottorper, dem die Zarin unsere Königskrone über die Nachtmütze stülpte, weil er ihr Neffe war!“
„Halt’s Maul!“
„Den Weg nach der Regimentsschreiberei?“ rief Gebhard immer ungeduldiger.
„Wartet lieber ab, bis unsere Regimentsschreiberei in Preußen steht!“ murrte eigensinnig der Alte, „denn so wird’s bald kommen!“
„So wird’s nicht kommen! Himmelkreuzdonnerwetter noch einmal!“ schrie der junge Husar wütend. „Sorgt nur für gute Pferde, setzt uns Jungen in den Sattel und gebt uns Leute an die Spitze, die reiten können, dann sollt Ihr was erleben! Mordselement, Herr! Hört nicht auf den Unglücksraben! Geht nur immer in die Regimentsschreiberei! Geradeaus geht der Weg, dann links in die erste Gasse gebogen, und dann fragt Euch vor! Und Gott befohlen!“
Gebhard hörte den Abschiedsgruß nicht mehr. Er saß schon im Sattel und galoppierte ins Zeltlager hinein, gerade als sein Bruder und sein Freund unten auf der Landstraße zum Vorschein kamen, ihren Pferden die Sporen gaben und ihm in vollem Trab nachsetzten, ohne sich um den Anruf der Torwache zu kümmern.
War das eine Jagd! Über Felder und Wiesen flogen die Sturmvögel des Alten Fritzen – seine schwarzen Husaren, mit dem Totenkopf an der Stirn – auf die Landstraße zu, um die Schweden abzuschneiden, ehe sie zur Brücke gelangten.
Eine kleine Patrouille der Blaugelben nur war es, aber gut beritten.
Wie die Teufel pfefferten sie los, daß die Satteltaschen flogen, allen voran ein baumlanger, schlanker Kornett, der die Kameraden durch nie ermüdendes Zurufen anfeuerte.
Vorwärts ging es über Stock und Stein. Aber die [pg 23]Schwarzen waren nicht schlechter beritten. Dicht vor der Brücke gerieten die Gegner aneinander, mit einer Wucht, daß alles sich zu einem unentwirrbaren Knäuel von wild um sich schlagenden Pferdeleibern und dreinhauenden Reitersleuten verwickelte.
Die Säbel blitzten, Kommandorufe schmetterten, Schimpfwörter flogen hin und her.
„Warum trägst du deine Rippen draußen auf dem Rock, statt im Busen, wie sich’s gehört?“ rief der Kornett und ritzte mit dem Säbel die gelbe Verschnürung seines Gegners auf. „Und den Totenkopf trägst du auf dem Tschako, statt im Schädel! Hast wohl nichts als Häcksel drinnen!? Wie? Wollen mal nachschauen!“
Und er versetzte dem Gegner einen gewaltigen Hieb nach dem Kopf. Aber der war nicht saumselig. Er parierte mit einer Doppelterz, daß Gebhard der Säbel aus der Hand flog und seine Kopfbedeckung denselben Weg nahm.
„Die Mütze her!“ schrie Gebhard zornesrot, gab seinem Pferd die Sporen, flog dem Frechen an die Gurgel, packte mit eisernem Griff sein Handgelenk, als dieser zum tödlichen Streich ausholte, riß ihm den Säbel aus der Hand, die Mütze vom Kopf, hieb ihn vom Pferd herunter, stülpte sich die Mütze auf und – heißa, hussassa! – eine Gasse durch die sich balgende Rotte gebahnt, über die Brücke gesprengt! Und dann frei wie ein Vogel weitergesaust nach dem Quartier, um Meldung zu erstatten. Die anderen folgten.
„Ich hätte gern die ganze Uniform zum Ansehen mitgebracht! Und den Kerl, der drin steckte, auch!“ sagte Gebhard, als er vor dem Rittmeister stand und ihm den eroberten Tschako zeigte. „Es ist eine ganz neue Sorte von Gegnern, schwarz mit grünen Aufschlägen, grünem Kragen, gelber Verschnürung und diesem Tschako! Ich sehe die Uniform zum ersten Male!“
„Ich nicht“, sagte der Rittmeister. „Aber als Gegner erst heute! Es sind die Bellingschen Husaren! Der Preußenkönig hat Verstärkungen geschickt, wie es scheint! Von seinen besten Reitern! Wir werden zu tun bekommen!“
[pg 24]„Gott geb’s!“ sagte Gebhard.
„Der Oberst Belling ist ein ganzer Kerl! Ich sah ihn einst bei Eurem Schwager! Beim Krackwitzen auf Rügen, mit dem er verwandt sein soll. Er wird uns zu schaffen machen!“
„Wir ihm auch!“ trotzte Gebhard. „Die Mütze möchte ich behalten! Bald hole ich mir den Rest von der Uniform!“
„Das tut nur!“ lachte der Rittmeister und verabschiedete ihn.
Er tat’s auch binnen kurzem. Aber in anderer Weise, als er’s sich dachte.
„Ihr reitet zu toll, junger Herr“, sagte der alte Futtermarschall und streichelte das Pferd, als Gebhard sich einige Tage später in den Sattel schwang. „Man braucht nicht gleich wie’n Gewitter dreinzusausen und das Pferd zuschanden zu reiten. Die Feinde laufen auch so!“
„Wer ein Blitzpferd zwischen den Schenkeln hat –“, lachte Gebhard.
„Dem geht es früher oder später durch! Das hat man gesehen!“
„Jetzt bleibe ich im Sattel! Jetzt bin ich drin!“
„Das wart Ihr auch, als Ihr in unser Lager auf Rügen hineingaloppiertet! Und wurdet doch abgeworfen!“
„Halt’s Maul!“ rief Gebhard ärgerlich, gab seinem Pferd die Sporen und folgte den anderen, denen er bald weit voraus war.
Die Schweden waren dabei, einen Vorstoß in die Uckermark zu machen und tasteten sich durch den Kavelpaß, an der pommerschen und mecklenburgischen Grenze vorwärts, die Preußen vor sich hertreibend. Gebhard, der mit seinen Leuten immer den anderen voran war, um aufzuklären, hatte Glück. Denn durch das schneidige Vorgehen der Sparreschen Husaren wurden eben seine grimmigsten Gegner, die schwarzen Bellingschen Husaren, abgeschnitten. Aber sie schlugen sich durch. Und als die Schweden wieder zurückgingen, um Quartiere zu suchen, waren jene gleich hinterher [pg 25]wie ein Schwarm Hornissen und waren aus Verfolgten Verfolger geworden.
Gebhard, dem es mehr zusagte, den Feind zu suchen als vor ihm zurückzugehen, blieb ihm mit der Nachhut fest an der Klinge.
„Bischt zurückbliewe, Bübele?“ rief ihm ein hünenhafter Kerl von den Bellingschen zu, mit dem er oft Hieb und Schimpfwörter gewechselt hatte. „Eil’ dich! Sonst fange dir die andere den Fisch aus der Ostsee vor der Nas’ weg!“
„Erst schlachte ich mir ein paar von euch schwäbischen Krähen zum Angelfraß!“ lachte Gebhard und zog vom Leder.
„I werd’ di scho’ schlachte, Bübele!“ rief der Lange und ritt auf ihn zu. Gebhard warf aber sein Pferd herum und entging so mit knapper Not der Gefahr, umgeritten zu werden.
„Hast wohl das Reiten auf der Schulbank gelernt?“ höhnte Gebhard.
„I bring di noch auf die Schulbank! I schaff’ dir noch Maniere!“ rief der Lange, feuerte seine Pistole auf das Pferd Gebhards ab, daß es sich bäumte und den Reiter abwarf, fing dann mit geschicktem Schwung den Fallenden auf, zog ihn quer über seinen Sattel und sprengte davon.
Und Gebhard ließ es zu. Im Augenblick des Fallens ging mit ihm eine sonderbare Veränderung vor. Er war aus der Wirklichkeit jäh wieder in seinen Traum versetzt, fühlte sich wieder, von den Adlerkrallen gepackt, im weiten Flug durch die Lüfte fortgetragen, schloß die Augen und erwartete nun, im Adlernest zu landen. So lebhaft war die Vorstellung, daß alles andere um ihn schwand und er wie gelähmt dalag und sich ohne Widerstand fortführen ließ. Er sah nichts, hörte nichts und wußte nicht, was mit ihm geschah.
Durch die ohnmachtähnliche Lähmung aller Sinne drangen ins Bewußtsein nur die Worte des alten Futtermarschalls, die er ihm zurief, als er heute zu Pferde stieg: „Wie’s anfängt, so hört’s auch auf.“
[pg 26]Das war also das Ende!
Der Oberst Belling, ein würdiger, freundlich dreinblickender Herr mit gerötetem Gesicht und ergrautem Schnurrbart, ließ den gefangenen schwedischen Kornett vorführen. Er betrachtete wohlgefällig die jugendliche, schlanke Gestalt und das bartlose Gesicht, aus dem Jugendfrische und trotziger Wagemut hervorleuchteten.
„Name?“
„Blücher!“
„Vorname?“
„Gebhard Leberecht!“
„Vater?“
„Christian von Blücher, Rittmeister in der hessischen Armee!“
„Geboren wo?“
„In Rostock, zweiundvierzig!“
„Also achtzehn Jahre! Er ist zu jung, um schon Kornett zu sein. Was hat sich Sein Vater dabei gedacht?“
„Ich habe ihn gar nicht danach gefragt!“
„So ist Er hinter dessen Rücken zum Militär gegangen!“
„Ich und mein Bruder auch!“
„Hat es denn so gebrannt?“
„Das freie Leben wollt’ ich – wollte ein Pferd zwischen den Schenkeln, hatte es satt, die Schulbank zu reiten! Mir brummt noch der Schädel von all dem Latein!“
„Schon gut! Aber warum denn gleich in ausländischen Dienst? Warum zu den Schweden? Gab’s für einen Mecklenburger nichts Näherliegendes – wenn’s schon Ausland sein mußte? Preußen zum Beispiel?“
„Bei den Preußen dienen schon zwei meiner Brüder. Und was sie zu melden wußten, verlockte mich nicht.“
„Bei uns Preußen gibt’s eben Disziplin!“
„Bei den Schweden auch, Herr Oberst!“ versetzte Gebhard, und seine Haltung straffte sich. „Das schwedische Regiment lag übrigens gerade auf Rügen, wo ich zu Besuch war!“
[pg 27]„Und da war das die nächste Gelegenheit, von der Schulbank fortzukommen“, lachte der alte Herr. „Denn das war wohl dabei die Hauptsache! Wo war Er denn auf Rügen?“
„Beim Kammerherrn von Krackwitz, der mein Schwager ist.“
„Da sind wir ja in Familie miteinander“, rief der Oberst. „Der ist auch mein Verwandter! Dann bleibe Er nur bei mir! Da werde ich schon für Ihn sorgen, damit Er ein rasches Fortkommen findet! Will Er in mein Husarenregiment eintreten? Zunächst als Kornett?“
„Dem König von Schweden habe ich den Fahneneid geschworen!“
„Der schwedische König kann Ihn vom Eid entbinden, und wird es auch tun, wenn Er darum nachsucht und gute Gründe gibt. Versteht Er: gute Gründe.“
Gebhard schüttelte den Kopf.
„So höre Er einmal und denke Er darüber nach! Was fesselt Ihn an die Schweden? Doch nicht die Aussicht, nach jahrelanger Kriegsgefangenschaft bei mir, als Kornett zu ihnen zurückzukehren? Tritt Er bei mir ein, ist Er in kurzer Zeit Leutnant und, wer weiß, vielleicht bald Rittmeister! Das kann bei den Schweden lange dauern! Ich dagegen werde demnächst ein zweites Bataillon meines Regiments, im ganzen fünf Schwadronen, anwerben, und lange dauert’s nicht, dann schaffe ich noch ein drittes Bataillon. Wer bei mir Offizier ist, hat also schnelle Beförderung zu gewärtigen. Schlage Er nur ein!“
„Ich bin an meinen Eid gebunden, Herr Oberst!“
„Ich will Ihn gewiß nicht dazu verführen, gegen Ehre und Gewissen zu handeln. Ich will Ihm aber etwas sagen. Ich werde in aller Form bei den Schweden um Abschied für Ihn einkommen. Ich werde erbötig sein, ihnen einen gefangenen Offizier für Ihn freizugeben. Und außerdem schreibe ich dem König von Preußen und schlage Ihn als Kornett bei meinen Husaren vor. Dann sitzet Er wieder frei im Sattel und kann drauflosreiten, was Ihm wohl doch die Hauptsache zu sein scheint. Sonst kann Er lange die Pritschen in den [pg 28]Kasematten drücken, und die sind bei uns Preußen weit unbequemer als die Rostocker Schulbänke! Für ein gutes Pferd will ich überdies Sorge tragen! Laß Er mich nur machen, dann kommt alles auf die beste Art in Ordnung, Sein Gewissen bleibt unberührt, und der König von Preußen hat einen Offizier mehr nach seinem Sinn! Einverstanden?“
Er hielt seine Hand hin.
Gebhard schlug ein, und so kam er endlich auf den rechten Pfad im Leben.
Als er nach kurzer Verhandlung seinen Abschied aus dem schwedischen Dienst hatte – als die Bestätigung des Alten Fritz als Kornett bei den Bellingschen Husaren eingegangen war, und er, in seinem Quartier, vor dem Spiegel stand, da trat ihm da ein baumlanger, spindeldürrer, bartloser Husar entgegen, den er sich erst genau besehen mußte, um mit ihm auf vertrauten Fuß zu kommen. Ein schwarzer Pelz mit grünen Aufschlägen, gelbe Schnüre über der Brust, auf dem Kopf den Tschako mit dem Totenschädel – das war ein ganz anderer Kerl als der blaugelbe, den er soeben ausgezogen hatte.
„Allezeit bereit, soll das heißen! Das merke dir!“ nickte er seinem Gegenüber zu und tippte leicht auf den Totenschädel! „Hast alles, was du brauchst: die nötige Länge, den forschen Blick! Fehlt nichts, als daß dir der Himmel einen Schnurrbart ins Gesicht pflanzt!“
Sein Spiegelbild machte ein Gesicht, als wollte es sagen: „Was soll ich mit der Pflanzung?“
„Du nichts! Aber die holden Mägdelein, denen sie auf die Lippen fällt! Die werden es schon wissen!“
Den dreieckigen Hut mit der zerrissenen Tresse verkehrt auf dem Kopf, den blauen, verschlissenen Waffenrock mit den roten Aufschlägen halboffen um den hageren Leib, Schnupftabak über der gelben Weste, Puder auf der Schulter, die schwarzen Samthosen in den hohen Stiefeln verschwindend, die Rechte schwer auf dem Krückstock ruhend, den schweren Kopf mit den vorquellenden Augen vorgestreckt, so stand der Große König, einem alten Raubvogel mit zerzaustem Gefieder nicht unähnlich, im Kreise seiner vierbeinigen Lieblinge und hielt Musterung.
Durch die offene Tür zum Arbeitszimmer sah er seine Kabinettsräte mit ihren Schreibtafeln warten, um die Fortsetzung seines Diktats aufzunehmen.
Der Kammerdiener meldete den General von Lölhöffel, Inspekteur der Kavallerie, der zur Audienz befohlen war.
„Warte Er, Lölhöffel!“ rief der König hinaus, ohne zur Tür zu gehen. „Erst muß ich bei meinen Hunden nach dem Rechten sehen. Dann kann Er mir von den Kavalleriepferden mitsamt ihren Reitern referieren, so Er mir etwas Erbauliches zu melden weiß.“
Die allerhöchsten Hunde waren eben dabei, höchstihro Mahlzeit einzunehmen, von betreßten Lakaien mit Mundtüchern über den Arm alleruntertänigst assistiert.
Nichts auf dieser Welt vermochte sonst den Gebieter Preußens von seiner Arbeit abzulenken, außer der Sorge um das Wohlbefinden seiner vierbeinigen Familienmitglieder. Für sie hatte er immer einige Minuten übrig. Auf die Meldung hin, daß das Diner der hohen Vierfüßler aufgetragen sei, erhob er sich denn auch mitten im Diktat eines Briefes und verfügte sich ins Schlafzimmer, um die Haupt- und Staatsaktion der Abfütterung in höchsteigener Person zu überwachen.
[pg 30]Er hatte befohlen, ihnen heute einen Extraleckerbissen von gebratenem und gesottenem Hühnerfleisch zu geben, und paßte genau auf, daß jedes Vieh sein ihm zugedachtes Teil ordnungsgemäß erhielt und daß keins übervorteilt wurde.
Kosenamen für die Hunde, Scheltworte und gelegentlich auch Stockschläge für die Lakaien halfen da aus.
Zwischendurch, wenn die Köter sich gelegentlich so ins Abnagen der Knochen vertieften, daß sie Ruhe hielten, setzte der König durch die offene Tür sein Diktat fort. Aber ohne die Hunde aus den Augen zu verlieren.
„Schreibe Er also weiter, wo wir aufhörten!“ rief er hinein. Und die Kabinettsräte senkten die Griffel auf ihre Schreibtafeln. Der König diktierte: „Die Einfuhr von Kaffee ist, wie befohlen, tunlichst zu beschränken. – Hat Er das?“
„Zu Befehl!“
Der König nahm bedächtig eine Prise Schnupftabak aus der Dose, die er nebst dem Krückstock in der Rechten hielt, pfropfte sich die Nase damit voll und meditierte dabei halblaut vor sich hin:
„Jeder Lump will heutzutage Kaffee trinken! Der pure Übermut! Biersuppe tut’s ebensogut! Die trank ich selbst, als ich jung war! Das ist weit gesünder! Und das Geld geht nicht außer Landes! – – Tu beau, Alceste!“ rief er einem der Windspiele zu. „Gönne den anderen auch das Leben! – – Weiterschreiben!“
Die Kabinettsräte gaben acht, und der König diktierte weiter.
„Den Beuchower Gemeindeältesten wird auf ihre Eingabe beschieden, der Invalide Faber bleibet im Amte! Für die Volksschule dorten ist er gut genug! Es genüget uns vollauf, wenn auf dem platten Lande die Kinder Lesen und Schreiben lernen! Wissen sie zuviel, so laufen sie in die Städte und wollen Sekretärs werden und so etwas. Das ist nichts! Der Invalide Faber bleibet ihnen! Die sollten sich was schämen, Leute, die fürs Vaterland alles geopfert, nicht versorgt wissen zu wollen! Wo er sich überdies nützlich macht, den [pg 31]Leuten das Vieh hütet und auch den Nachtwächterdienst versieht, so haben die Beuchower alles mögliche Gute von ihm und haben nichts mehr zu wollen! – – Der Alkmene läßt du den Knochen! Ich komme dir sonst!“
Wieder drohte er einem der Lieblinge mit seinem Krückstock und wandte sich dann zur Tür.
„Macht also die Briefe zur Unterschrift fertig!“ verabschiedete er die Kabinettsräte, die sich verneigten und gingen. „Laß Er jetzt hören, Lölhöffel! Was bringt Er mir heute?“
Der General von Lölhöffel trat näher an die Tür heran und blickte in das Schlafzimmer hinein.
„Melde gehorsamst, Majestät! Zunächst hätte ich das Abschiedsgesuch des Rittmeisters von Blücher von den Bellinghusaren Allerhöchstdero Entscheidung zu unterbreiten!“
„Der Rittmeister bleibet in Dienst!“
„Der Rittmeister besteht aber inständigst auf seine Entlassung!“
Der König blickte den General scharf an.
„Ist der Kerl noch nicht mürbe? Wie lange sitzet er schon?“
„Zu Befehl“, sagte Lölhöffel und salutierte. „Der Rittmeister hat bereits mehr denn dreiviertel Jahr strengen Arrest gehabt!“
„Viel zu wenig für einen Offizier, der sich unterfängt, seinem König despektierlich zu kommen! Die Offiziers sollen lernen sonder Räsonieren, Ordres zu parieren! Sie haben sich nicht in meine Politik zu melieren!“
„Melde gehorsamst: von politischer Wühlerei steht in der Konduite des Rittmeisters von Blücher nichts!“
„Dann schreibe Er das hinein!“
„Zu Befehl!“
Der König blickte seinen General an.
„Er muckst wohl mit mir? Wer mein General sein will, muß auf Subordination halten!“
„Zu Befehl!“
[pg 32]„Nun, hatte ich meinen Truppen in Polen befohlen, die Polacken milde zu behandeln, oder hatte ich es nicht befohlen? Antworte Er!“
„Zu Befehl! Es sollte alles vermieden werden, was die Krone Preußen bei der polnischen Bevölkerung verhaßt machen könnte!“
„Sehe Er, so war das! Das hatten wir, die wir wissen, was wir wollen, bei der Besetzung des polnischen Landes ausdrücklich befohlen! Und da muß mir jener Sausewind mit dem Kopf durch die Wand wollen und setzet mir alles in Feuer und Flammen! Er hat überdies noch die Keckheit, ob seines Ungehorsams avancieren zu wollen! Und will noch meinen Rock ausziehen, weil ihm das nicht gelang! Lassen wir ihn nur ruhig weiterbrummen, bis Er ein Einsehen hat! Ihm schadet’s nicht, und der Dienst gewinnt!“
Lölhöffel räusperte sich, salutierte nochmals und wagte eine Entgegnung.
„Es ist meine Pflicht als Inspekteur der pommerschen Kavallerie, Eure Majestät darauf aufmerksam zu machen, daß der Rittmeister von Blücher immerdar ein eifriger und meritierter Offizier war!“
„Davon müßte ich doch wissen!“
„Er hatte im letzten Kriege nicht das Glück, unter den Augen Eurer Majestät zu kämpfen!“
„Das hat mit meinem Wissen nichts zu schaffen! Wir pflegen uns auch so nicht all die jungen Leutnants zu merken, die uns einmal an der Nase vorbeilaufen! Und wissen doch in der Armee Bescheid! – – Halte Hektor zurück, du dummer Esel!“ fuhr er plötzlich den hinter ihm stehenden Lakaien an. „Er überfrißt sich sonst! – – Mußt dir mehr Zeit nehmen, du gutes Tier!“
Er kraute den Liebling und streichelte ihn zärtlich. Seine Augen leuchteten auf einmal freundlich, und er wandte sich bedeutend weniger kratzbürstig dem General zu.
„Immerhin lese Er mir des Rittmeisters von Blücher Konduite vor!“
[pg 33]Lölhöffel suchte unter den Papieren in seinem Portefeuille ein Dokument heraus, hielt es militärisch steif vor sich hin und las mit lauter Stimme vor:
„Trat mit achtzehn Jahren von den Schweden über, erhielt die königliche Bestallung als Kornett im Husarenregiment von Belling, wurde am 4. Januar 1761 Sekondeleutnant, am 11. Juli 61 Premierleutnant, focht 62 in der Armee des Prinzen Heinrich, Königliche Hoheit, Korps Seydlitz, als die Bellingschen die Reichsarmee bis Hof in Bayern zurücktrieben, machte da, bei Auerbach, 500 Gefangene, wurde mit nur 60 Mann bei Libkowitz von 200 Österreichern angegriffen, machte 60 Gefangene, wurde in der Schlacht bei Freiberg verwundet –“
„Ein braver Offizier,“ sagte der König, „ich erinnere das alles jetzt ganz gut! Soll aber ein gar wüster Spieler und Duellant sein und auch hinter den Weiberschürzen her – wie alle von den Bellingschen! Ein Zigeunerregiment ist das immer gewesen und keine Husaren!“
Er stieß mit dem Krückstock hart auf dem Boden auf.
„Gib doch dem Hund zu trinken,“ schrie er dem Lakaien zu, „du siehst ja, daß er erstickt!“
Dem Hund wurde Wasser gegeben, seine Schnauze und Pfoten mit Servietten abgewischt. Schweifwedelnd schlich er an den König heran und leckte ihm die Hände.
„Ein wüster Duellant – ein Raufbruder!“ wiederholte der König. „Er sieht, ich kenne meine Leute!“
„Zu Befehl! Der Säbel saß ihm stets locker in der Scheide“, sagte Lölhöffel trocken und blickte in sein Dokument. „Hier steht noch angeführet, daß der Regimentsadjutant Blücher wegen Herausforderung seines Chefs, des Obristen Belling, strafversetzt werden mußte!“
„Was sagte ich!“ knurrte der König gallig. „Ein aufrührerischer Krabat! An seinen Chef wollte er heran! Und nun möchte er gar an uns selbst sein Mütchen kühlen! Ich werde ihn schon Mores lehren!“
Er erhob den Stock und schlug auf den Tisch. „Keinen [pg 34]Pardon vor ihm! Keinen Pardon! Und den Abschied auch nicht!“
„Wollen Majestät gnädigst verstatten? Hier steht noch von einer öffentlichen Belobigung des gedachten Rittmeisters aus Allerhöchstdero eigenem Munde!“
Lölhöffel zeigte auf sein Dokument.
„Wo hatte ich? Wann hätte ich?“
„Bei einer Revue in Stargard Anno siebenzig!“
„In Stargard? Laß Er sehen!“ Der König blieb stehen und dachte nach. „Recht hat Er – der von Blücher war’s! Der hatte mit einer Handvoll Leute dreihundert konföderierte Polacken angegriffen, vier Rittmeisters und achtzig Mann gefangengenommen! Und Er selbst, Lölhöffel, mußte ihn, auf meinen Befehl, vor der Front loben! So war’s! Sehe Er, unser Gedächtnis pariert Ordres noch besser, als unsere Offiziere es manchmal tun! – Ein braver Mann! Ein tapferer Mann! Können solche Leute immer gut gebrauchen! Der Rittmeister bekommt seinen Abschied nicht!“
„Sein Chef, der General von Lossow, befürwortet die Entlassung!“
„Der von Lossow ist ein Besserwisser und ein Streber. Der soll mir nichts weismachen wollen. Weswegen mag er den Rittmeister nicht leiden?“
Lölhöffel las in seinem Papier nach und blickte dann den König an.
„Zu Befehl! Eben wegen der Verfehlung, die Majestät soeben Höchstselbst an ihm zu rügen geruhte! Weil er entgegen des Allerhöchsten Verbots die Polacken durch sein allzu forsches Zugreifen aufreizte, als er eine seiner Postierungen ermordet vorfand!“
„Mir sind die Einzelheiten der Geschichte entfallen!“ sagte der König. „Wir haben so viel und weit Schlimmeres im Leben erfahren! Erzähle er mir! Wo hatte der Blücher zugegriffen? Wen hatte er –?“
„Einen polnischen Landgeistlichen in der Gegend von Kalisch, den er als Anstifter in Verdacht hatte. – Er ließ ihn aufheben und, da er nicht bekennen wollte, sans façon[pg 35]vor eine frisch aufgeworfene Grube stellen, die Augen verbinden und eine Salve über seinen Kopf abfeuern!“
„Das wird dem hübsch in die Glieder gefahren sein!“
„Vor Schreck ist er fast ums Leben gekommen!“
„Groß wäre der Schaden nicht gewesen! Unrecht ist ihm sicherlich auch nicht geschehen!“
„Zu Befehl! Seine Schuld war mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen! Nur nachweisen ließ sich nichts!“
„Der Rittmeister tat gegen Befehl, dafür gebührte ihm Strafe. Er handelte aber ansonsten brav! Das wollen wir ihm lohnen! Sage Er einmal, Lölhöffel, wieso kommt jener Brausekopf dazu, mir einen despektierlichen Brief zu schreiben?“
„Er fand sich unverdienterweise übergangen! Er glaubte als ältester Stabsrittmeister ein Anrecht auf die erledigte Schwadron des abgehenden Majors von Zülow zu haben, die einem anderen gegeben wurde!“
„Was heißt Anrecht? Die Schwadrons vergebe ich! Ein Anrecht außer Unserer Entschließung gibt’s nicht! Und wider Unsere Entschließung hat niemand aufzubegehren. Der Rittmeister war ungehorsam – dafür wurde er im Avancement mit Recht übergangen! Er schrieb uns einen despektierlichen Brief, dafür sitzet er in Arrest! So er sich aber demütiget, wollen wir ihn begnadigen und ihn befördern. Schreibe Er: der Rittmeister von Blücher wird zum Major befördert! – – – Nein, noch nicht! Erst soll er abbitten! Sonst denkt er, er hätte es uns abgetrotzt!“
Lölhöffel räusperte sich, blickte den König unsicher an und wagte dann doch noch der Gnaden des Königs anheimzustellen, dem Rittmeister, der trotz seines Eigensinnes und seines jähzornig aufbrausenden Temperaments ein verdienter, tapferer Soldat sei, die ersehnte und erflehte Beförderung zum Major zuteil werden zu lassen. Um so eher, da gedachter von Blücher im Begriff sei, zu heiraten und einen Hausstand zu begründen – –
Damit kam er an den Unrechten.
[pg 36]„Heiraten will er?“ schrie der König außer sich und stieß mit seinem Stock mehrfach auf den Boden auf. – „Was erzählt Er mir da für Räubergeschichten, Lölhöffel? Weiß Er nicht, daß es sich vor die Husaren nicht schickt, wenn sie Weibers nehmen? Daß sie dann keinen Schuß Pulvers mehr wert sind?! Weiß Er nicht, daß ich vor alle derartigen Mariagen einen greulichen Abscheu habe? Wie kann Er indizieren, daß wir einen Menschen von solcher Fermete noch befördern? Er ist wohl des Teufels?!“
Der König redete sich immer mehr in die Wut hinein und schrie, daß die Hunde ängstlich wurden, ihm winselnd um die Beine liefen und den General gar auch noch anknurrten, weil er den Zorn ihres Herrn geweckt und ihre Ruhe gestört hatte!
„Ruhe, ihr Biester! Oder wollt ihr etwa auch mariage tun?“ schrie der König und schlug nach seinen Lieblingen, zum maßlosen Staunen der Lakaien. „Ruhe, Mene! Tu beau Alceste! Wo hat Er das Gesuch des Rittmeisters, Lölhöffel? Geb Er den Wisch her!“
Und er riß dem General das Papier aus der Hand, humpelte, so gut es ging, auf seinen alten gichtischen Beinen an ihm vorbei ins Arbeitszimmer hinein, warf das Papier auf die schräge Tischplatte, ergriff einen Federkiel, stieß ihn mit Wucht in die Tinte, daß sie weit herumspritzte, kratzte dann mit zitteriger Hand eiligst ein paar Worte unter das Gesuch und sprach sie, wie immer, beim Schreiben laut vor sich hin.
„Der Rittmeister von Blücher kann sich zum Teufel scheren!“
Er warf den Federkiel fort.
„Mag er sich in des Teufels Namen kopulieren lassen, soviel er will! Aber unter meine Husaren führet er keine Schürzenwirtschaft ein! Basta!“
Dann ließ er den General stehen, eilte mit gehobenem Stock wieder ins Schlafzimmer hinein, wo die Hunde nur mit Mühe von den Lakaien gebändigt werden konnten, und hieb – nicht die Hunde – aber die Diener durch, die so [pg 37]schlecht aufpaßten, daß ihm heute keine Ruhe zum Regieren blieb!
Und Lölhöffel zog mit langem Gesicht ab. Es war ein schnöder Abschied für einen langgedienten, braven Offizier wie Blücher. Aber mit der Despektierlichkeit durfte man dem Alten Fritz nur vorsichtig nahen! Und mit der mariage nimmermehr!
„Hätte ich noch den schwarzen Dolman angehabt,“ sagte der Rittmeister Blücher und hieb Treff-As auf den Tisch, daß er zitterte, „weiß der Deibel, ich hätte mir vielleicht doch noch die Sache überlegt! Denn den hatte ich mir sozusagen mit der Waffe in der Hand erobert und in Ehren getragen! Im roten Dolman hatte ich immer das Gefühl: den ziehst du bald wieder aus! Gemütlich war’s ja nicht, drin zu stecken, nachdem der Alte Fritz die von Gersdorffschen aufgelöst hatte und uns kommandierte, in ihre entehrte Pelle zu schlüpfen! Trotzdem ziehe ich sie mit Wonne wieder an, wenn’s endlich so weit gediehen ist mit der königlichen Gnade! Kinder!“ rief er, schob seinen Stuhl zurück und füllte die Gläser, während der Postmeister die Karten mischte und der Apotheker Gewinn und Verlust der letzten Runde getreulich buchte. „Mit keinem König möchte ich tauschen, so vergnügt bin ich heute!“
„Nun ja,“ schmunzelte der Postmeister, „du hast auch alle Ursache! Reiten, jagen, das Mädchen geküßt, die Karte in fröhlicher Runde gebogen, was willst du mehr?“
„Gewinnen!“ antwortete für ihn der Apotheker, der jetzt mit seiner Rechnung im reinen war. „Gewinnen will er!“
„Gewinnen, verlieren, gleichviel!“ lachte Blücher. „Nur nicht sein Leben lang hinter dem Ofen hocken, oder die Nase über die Schmöker hängen und Kriegsgeschichte oder so ’n [pg 38]Zeug pauken! Kriegsgeschichte, pfui Deibel! Als Soldat mache ich Kriegsgeschichte und schreibe sie in Blut oder beschreibe sie beim Rotspon! Die Tinte lasse ich die Federfuchser saufen!“
„Nun, die Kriegsgeschichte wird dir wohl nicht allzu lästig, seitdem du des Königs Rock auszogst!“ versetzte der Apotheker.
„Wenn ich auch den Rock auszog, mit Leib und Seele blieb ich doch Soldat! Sollst sehen, bald reite ich wieder an der Spitze meiner Schwadron, die mir von Rechts wegen zukommt!“
„Sei froh, solange du’s nicht nötig hast! Genieße dein Leben! Hast ja alles, was der Mensch sich wünschen kann: eine brave, liebe Gattin, prächtige Kinder, giltst als einer unserer besten Landwirte hier in Pommern – was willst du mehr?“
„Red’ keinen Schwefel!“
„Na, höre einmal!“ sagte der Apotheker, „um nichts gab dir wohl der König neuntausendfünfhundertfünfzig Taler Meliorationsgelder für dein Gut?“
„Neuntausendfünfhundertfünfzig, ja! Das war so recht der Alte Fritz! Zehntausend voll hätte er mir ruhig geben können. Aber nein, er mußte noch etwas davon abstreichen, um seinen Sparsinn zu befriedigen! Sonst hätte ihm die ganze Sache keinen Spaß gemacht! Und nun muß ich mich hier am Spieltisch mit euch abrackern, um die Summe wieder abzurunden!“
„Das tust du auch redlich!“ lachte der Apotheker. „Aber nach unten hin scheint’s mir!“
„Verliere ich, so gewinne ich auch – das Geld wie das Majorspatent, und sitze im Sattel, ehe ihr’s ahnt!“ rief Blücher übermütig. „Dieser Haufen Taler auf Pik-Dame gesetzt, daß es so kommt!“
Er nahm eine Handvoll Talerstücke aus einem auf einem Stuhl neben ihm stehenden, mit Geld gefüllten Suppenteller, setzte auf die Karte und verlor.
„Verflucht! Die Dirne ging mir durch die Lappen mit [pg 39]dem Geld! Die Schwarzen waren mir niemals hold! Eine Blonde her! Coeur-Dame gewinnt! Coeur-Dame war mir stets gewogen! Siehst du, was sagte ich? Hab’ Dank, holde Schöne! Her mit dem Geld! Kinder, ich könnte die ganze Welt in Trümmer schlagen, so vergnügt bin ich! Eine Kraft ist in mir! Himmeldonnerwetter! – Ein Schwert in der Faust, einen Gaul unter mir, Feinde genug zum Dreinhauen, was brauche ich mehr?!“
„Glück im Spiel!“
„In der Liebe, du Giftmischer! Ich pfeife auf alles andere!“
„Nun“, sagte der Apotheker und strich wieder den Einsatz ein. „Das hättest du erreicht!“
„Noch einmal zur Attacke auf Fortuna, das Luderchen!“ rief der Rittmeister, „Karten her! Und hier der Rest!“
Er leerte seinen Suppenteller auf den Tisch, nahm neue Karten und verlor noch einmal.
„Blasen wir die Reserve heran!“ sagte er, ohne darum seine gute Laune zu verlieren. „Ich hole Sukkurs!“
Er stand auf, ging ins Nebenzimmer, öffnete die Ofentür, steckte die Hand hinein, zog sie aber gleich wieder leer heraus und machte ein langes Gesicht. Kniete dann nieder und blickte in den Ofen.
„Da soll mir der Donner dreinschlagen!“ fluchte er. „Drei Suppenteller voll Geld stellte ich drinnen parat, zwei nahm ich heraus, wo zum Kuckuck blieb der dritte?“
„Haben Panje Rittmeister etwas verloren?“ flötete hinter ihm plötzlich die Stimme seiner alten polnischen Wirtschafterin.
Er schnellte empor.
„Hast du etwas gefunden, Sonja?“
„Kann sein!“ schmunzelte die Alte.
„Etwa einen Teller –?“
„Einen Suppenteller – –“
„Mit –?“
„Mit etwas drauf, was hier im Hause nicht lange darauf zu bleiben pflegt! Etwas, was Panje Rittmeister und [pg 40]seine bürgerlichen Freunde meistens zum Spaß zum Fenster hinaus zu werfen pflegen!“
„Zum Spaß?! I, du dummes Luder, das geschieht gewiß nicht zum Spaß! Das werfen wir zum Fenster hinaus, damit es zum Schornstein wieder hereinkommt! Verstehst du?“
„Ach so! Dazu stellen Panje Rittmeister die Suppenteller in den Ofen?“