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Seitenzahl: 35
DEUTSCH VON FRANZ BLEI
LEIPZIG KURT WOLFF VERLAG 1917
Gedruckt bei E. Haberland in Leipzig-R. Sommer 1917 als dreiundvierzigster Band der Bücherei »Der jüngste Tag«
COPYRIGHT 1917 KURT WOLFF VERLAG • LEIPZIG
»Sarkophag gefunden auf der Straße nach Ostia.« Im Louvre.
Die Neun Musen, und in ihrer Mitte Terpsichore!
Ich erkenne dich, Mänade! Ich erkenne dich, Sibylle! Mit deiner
Hand erwart’ ich keinen Becher mehr noch deinen Busen selbst
Zuckend in deinen Nägeln, Cumeische im Wirbelsturm der goldigen Blätter!
Denn diese dicke Flöte, ganz durchbohrt für deine Finger wie mit
offnen Lippen, bezeugt genug,
Daß du schon nicht mehr nötig hast, dem Hauche sie zu binden, der dich erfüllt
Und der dich, Jungfrau, aufrichtet!
Keine Verrenkungen: nichts stört die schönen Falten deines Gewandes
vom Hals bis zu den Füßen, die es nicht mehr sehen läßt!
Aber ich weiß genug, was dieser Kopf sagen will, der sich zur
Seite wendet, und diese trunkene verschlossne Miene, und dies
Gesicht, das horcht, ganz blitzend vom Jubel des Chors!
Ein Arm allein ist’s nur, was du nicht halten konntest!
Er hebt sich, krümmt sich,
Voll Ungeduld vor Drang, den ersten Takt zu schlagen!
Geheimnisvoller Laut! Werdenden Wortes Beseelung! Klang, dem aller Geist mitschwingt!
Terpsichore, Finderin des Tanzes! wo wäre der Chor ohne den
Tanz? welch andre zwänge
Die acht wilden Schwestern zusammen, den aufsprudelnden Hymnus
zu keltern, und erfände die unentwirrbare Figur?
Zu wem, wenn du dich nicht vorerst aufgerichtet inmitten seines
Geistes, bebende Jungfrau,
Und den du nicht um seinen derben und niederen Verstand gebracht, der
ganz vom Flügel deines Zornes flammt im Salz des knatternden Feuers,
Zu wem wären sie willens einzutreten, die keuschen Schwestern?
Die Neun Musen! Keine ist zu viel für mich!
Ich sehe auf dem Marmor alle neun. Zu deiner Rechten Polyhymnia!
und zur Linken des Altars, auf den du deinen Arm stütztest,
Die hohen gleichen Jungfraun, die Reihe der beredten Schwestern.
Ich will sagen, bei welchem Schritt ich sie halten sah und wie sich
eine in die andre rankte,
Anders als so, daß jede Hand
An Fingern pflücken will, die sich ihr hinhalten.
Und vorerst hab’ ich dich erkannt, Thalia!
Auf derselben Seite hab’ ich Klio erkannt, Mnemosyne erkannt, dich, Thalia, erkannt!
Ich habe euch erkannt, o vollständiger Rat der neun heimlichen, inneren Nymphen!
Ihr aller Rede Mutterschaft! Ihr tiefer Brunnenschacht der Sprache
und Knäuel der lebenden Frauen!
Ihr schöpferische Gegenwart! Nichts würde werden, wäret ihr nicht euer neun!
Und plötzlich, siehe, da der neue Dichter erfüllt von sinnvoller Entladung,
Der schwarze Trubel des ganzen Lebens am Nabel festgebunden
in der Erschütterung des Grundes, öffnet sich der Zugang,
Zersprengt das Gehege, der Hauch aus ihm
Durchbricht die hemmenden Kiefer,
Den bebenden Neunchor mit einem Schrei!
Nun kann er länger nicht schweigen! Die Frage, die von selbst
emporgeschossen, wie Hanf
Den Tagelöhnerinnen, er hat sie für immer vertraut
Dem wissenden Chor des unauslöschbaren Echos!
Nie schlafen alle zugleich! Doch bevor sich die große Polyhymnia aufrichtet,
Oder es ist wohl Urania, die mit den beiden Händen den Zirkel öffnet, Venus ähnlich,
Wenn sie Amor lehrt, ihm den Bogen spannend,
Oder die Lacherin Thalia mit der großen Zehe ihres Fußes leise
den Takt schlägt; oder im Schweigen des Schweigens
Mnemosyne seufzt. —
Die Älteste, die, die nicht spricht! sie ist von ewig gleichem Alter!
Mnemosyne, die nicht spricht.
Sie lauscht, sie sinnt,
Sie fühlt, (sie der innere Sinn des Geistes)
Rein, einfach, unantastbar! sie entsinnt sich.
Sie ist der Schwerpunkt des Geistes. Sie ist die Beziehung, ausgedrückt
durch ein sehr schönes Zeichen. Ihre Haltung ist unaussprechbar,
Auf dem Puls des Seins selber steht sie da.