Das Kaufhaus – Zeit der Hoffnung - Susanne von Berg - E-Book

Das Kaufhaus – Zeit der Hoffnung E-Book

Susanne von Berg

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Glanz und Schatten – das größte Kaufhaus Europas in schweren Zeiten. Es ist ein ganz besonderer Tag für Leonhard und Flora Tietz: Sie eröffnen in Köln das größte und modernste Kaufhaus Europas. Doch die Freude über die Krönung ihres Lebenswerks wird dadurch getrübt, dass Leonhard schwer erkrankt ist. Für Flora bricht eine Welt zusammen, unterkriegen aber lässt sie sich nicht. Dann stellt der Ausbruch des Ersten Weltkriegs die Familie Tietz vor ungeahnte Herausforderungen. Gelingt es ihr, die Warenhäuser durch die schwere Zeit zu bringen?  Die Erfolgsgeschichte der Kaufhaus-Dynastie »Hertie« und das berührende Schicksal einer Familie.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 362

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Cover for EPUB

Über das Buch

Emilia wünscht sich, als Ladenmädchen im Kaufhaus Tietz zu arbeiten, um so ihrer Arbeit in der Fabrik zu entkommen. Das breite Warenangebot übt eine unglaubliche Faszination auf sie aus und lässt sie von der großen weiten Welt träumen. Am großen Eröffnungstag der neuen Niederlassung in der Hohen Straße in Köln lernt sie den Tietz-Reklamemaler Jakob kennen und verliebt sich in ihn. Er legt ein gutes Wort für sie bei den Firmengründern ein. Emilia hat Glück, sie kann Leonhard und Flora Tietz von sich überzeugen und erhält die Chance, sich als Verkäuferin zu beweisen. Emilias Leben könnte perfekt sein, wären da nicht der Ausbruch des Ersten Weltkriegs, der die Zukunft des Warenhauses bedroht, und die Sorge um Jakob, der einberufen wird. 

Über Susanne von Berg

Susanne von Berg ist das Pseudonym des Schriftstellers Andreas Schmidt, bekannt durch zahlreiche Kriminalromane. Er lebt und arbeitet als freier Autor und Journalist in seiner Heimatstadt Wuppertal.

Im Aufbau Taschenbuch sind die Bände der Alltagswunder-Saga »Die Zeit der Frauen – Eine große Erfindung«, »Die Zeit der Frauen – Das Versprechen der Zukunft« und »Die Zeit der Frauen – Die Jahre des Aufbruchs« sowie die ersten drei Titel der Kaufhaus-Saga lieferbar.

ABONNIEREN SIE DEN NEWSLETTERDER AUFBAU VERLAGE

Einmal im Monat informieren wir Sie über

die besten Neuerscheinungen aus unserem vielfältigen ProgrammLesungen und Veranstaltungen rund um unsere BücherNeuigkeiten über unsere AutorenVideos, Lese- und Hörprobenattraktive Gewinnspiele, Aktionen und vieles mehr

Folgen Sie uns auf Facebook, um stets aktuelle Informationen über uns und unsere Autoren zu erhalten:

https://www.facebook.com/aufbau.verlag

Registrieren Sie sich jetzt unter:

http://www.aufbau-verlage.de/newsletter

Unter allen Neu-Anmeldungen verlosen wir

jeden Monat ein Novitäten-Buchpaket!

Susanne von Berg

Das Kaufhaus – Zeit der Hoffnung

Roman

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Informationen zum Buch

Newsletter

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Impressum

Wer von diesem Roman begeistert ist, liest auch ...

Kapitel 1

Nachdenklich stand Leonhard Tietz am späten Abend am Fenster der Bibliothek, um in der Stille des Hauses seinen Gedanken nachzuhängen. Mit einem Glas Gewürztraminer in der Hand verharrte er nahezu regungslos und blickte hinaus in den parkähnlichen Garten, der die Villa Tietz im vornehmen Kölner Stadtteil Marienburg umgab. In der Dunkelheit wirkten die weißen Blüten der Schneeglöckchen auf dem kurz geschnittenen Rasen wie leuchtende Farbtupfer. Der Rest des Gartens verlor sich in der Finsternis des Villenviertels.

Im Kamin hinter ihm loderte ein Feuer. Nur das anheimelnde Knacken der brennenden Holzscheite drang an Leonhards Ohren. Obwohl er Musik über alles liebte, hatte er heute darauf verzichtet, das alte Grammophon anzukurbeln, um eine seiner unzähligen Schellackplatten erklingen zu lassen. Ihm war heute nicht nach Musik zumute.

Der Besuch bei Doktor Brenneisen am späten Nachmittag hatte ihm traurige Gewissheit verschafft. Schon das besorgte Gesicht des Mediziners hätte Leonhard wachrütteln sollen. Die Krankheit war zurück. Schonend hatte Doktor Brenneisen ihm das Ergebnis der Untersuchungen, die vor einigen Tagen stattgefunden hatten, mitgeteilt. Nun galt es, das Beste aus der ihm verbleibenden Zeit zu machen.

Ohne es zu bemerken, entrang sich ein schwerer Seufzer seiner Kehle. Die Hoffnung auf wirkungsvolle Medikamente hatte Brenneisen ihm gleich genommen – noch war die Pharmaindustrie nicht so weit, um ihm die heimtückische Krankheit nehmen zu können.

»Die Krebsforschung steckt noch in den Kinderschuhen«, hatte Wilhelm Brenneisen ihm mit bedauernder Miene mitgeteilt. »Es braucht viel Geld und Zeit, um wirkungsvolle Präparate zu entwickeln.«

»Geld habe ich genügend«, war Leonhards Antwort gewesen. »Ich werde alles daran setzen, die Forschung zu unterstützen. Damit kann ich auch anderen Menschen helfen, die von der Krankheit betroffen sind.«

»Geld haben Sie, mein lieber Tietz«, hatte Brenneisen ihm bestätigt. »Aber es braucht auch Zeit. Und die, fürchte ich, haben wir in Ihrem Falle bedauernswerterweise nicht.«

Leonhard Tietz war kurz erschrocken gewesen über die schonungslosen Worte des Mediziners, doch im Grunde genommen war er Brenneisen sehr dankbar für dessen Ehrlichkeit. Und so hatte Leonhard Tietz am Abend den Heimweg nach Marienburg angetreten. Seine Familie hatte ihn in sich gekehrt und wortkarg erlebt, besonders Flora war besorgt gewesen. Doch Leonhard hatte um Zeit gebeten, die er bräuchte, um ihre Fragen beantworten zu können. Und so hatte Flora ihn nicht weiter bedrängt. Er würde ihr alles berichten. Nur nicht heute.

Wehmütig dachte er zurück an die Zeit im fernen Birnbaum. Sie hatten sich in dem kleinen Dorf in Posen kennengelernt, waren sich schnell nähergekommen und hatten herausgefunden, dass sie wie füreinander geschaffen waren. Und so hatte Flora keine Minute gezögert, als er sie gefragt hatte, ob sie ihn nach Stralsund begleiten würde. Dort hatte er mit einem alten Schulfreund eine Firma für Posamentierwaren übernommen. Flora war nicht von seiner Seite gewichen und hatte auch keine Bedenken geäußert, als er seine Anteile an der Fabrik wieder abgegeben hatte, um mit dem Erlösung eine neue Existenz zu gründen. War ihnen die Suche nach einer anderen beruflichen Herausforderung anfangs auch schwergefallen, so hatte Flora sich schließlich für den Kurzwarenladen von Albert Holst, einem alten und kranken Kaufmann, begeistern können.

Floras Traum war es gewesen, den Laden des Herrn Holst zu übernehmen. Nach einigen Verhandlungen hatten sie das heruntergewirtschaftete Geschäft an der Ossenreyer Straße von ihm erworben, es gründlich renoviert und mit neuem Leben erfüllt. Dabei war es nicht nur bei einem frischen Anstrich und dem Einbau größerer Fenster geblieben: Flora und er hatten zahlreiche Ideen in ihre Arbeit einfließen lassen. Fortan wurde beim Einkauf nicht mehr gefeilscht, auch das Anschreiben gehörte der Vergangenheit an. Schnell hatte sich die Kundschaft daran gewöhnt, Festpreise zu bezahlen, und erhielt im Gegenzug beste Qualität zu ehrlichen Preisen. Ihre Entscheidungen gaben ihnen recht, und der kleine Laden wurde schon bald durch ein größeres Ladenlokal ersetzt.

Zwischenzeitlich hatte Leonhard seiner geliebten Flora einen Antrag gemacht, und sie hatten geheiratet und ihrem gemeinsamen Leben damit einen neuen Höhepunkt verliehen. Zwei Söhne und zwei Töchter hatten ihre Familie vervollständigt – Alfred Leonhard, Luise, Änne und Gerhard. Zu ihrem privaten Glück kam der Umstand, dass der berufliche Erfolg anhielt. Daher hatte Floras Bruder Sally mit seiner Frau ein zweites Geschäft in Schweinfurt eröffnet. Auch Flora und Leonhard hatte es nicht länger an der Küste gehalten. Sie waren der Kaufkraft der ständig wachsenden Arbeiterschicht gefolgt und in Elberfeld an der Wupper heimisch geworden. Dort war in den letzten Jahren eine Industriestadt entstanden, die dem britischen Manchester in nichts nachstand. Auch hier hatten sie zunächst ein kleines Ladenlokal angemietet, das sie aber schon nach zwei Tagen wieder schließen mussten, weil es ausverkauft war.

Da es kein geeignetes Objekt gegeben hatte, hatte Leonhard einen Architekten mit den Planungen eines neuen, großen Warenhauses beauftragt. Nach ein paar erfolgreichen Jahren standen die Zeichen weiter auf Expansion. Flora und Leonhard verließen das enge Tal der Wupper und zogen ins rheinische Köln, während sich Floras zweiter Bruder Max um das Geschäft in Elberfeld kümmerte. Im vornehmen Kölner Stadtteil Marienburg konnte Leonhard seiner Flora endlich den langgehegten Traum von einer Villa am Stadtrand erfüllen. Seitdem lebten sie am Rhein, und die sprichwörtliche rheinische Fröhlichkeit tat ihnen gut.

Nun lag der Firmensitz also bereits einige Jahre in Köln. Fünf Jahre waren ins Land gegangen, seit ihr ältester Sohn Alfred nach Berlin gefahren war, um zu erwirken, dass erstmals die Aktien der neu gegründeten Leonhard Tietz Aktiengesellschaft an der Börse gehandelt wurden. Bei seinem Aufenthalt in der Hauptstadt hatte er seine zukünftige Frau Margarete kennen- und liebengelernt. Die beiden waren inzwischen verheiratet und glückliche Eltern eines einjährigen Sohnes, und Alfred war seitdem für das Geschäft in Düsseldorf verantwortlich.

Morgen würden sie einen weiteren Meilenstein feiern, denn die Eröffnung des prächtigsten und größten Warenhauses im Kaiserreich stand unmittelbar bevor.

Dann würde Alfred die Leitung des neuen Hauses übernehmen und sein jüngerer Bruder Gerhard nach Düsseldorf gehen, um das Haus an der Königsallee zu führen. Jetzt waren beide Söhne in den Vorstand des Konzerns eingezogen und trafen ihre Entscheidungen an der Seite von Leonhard. Flora und Alfreds Frau Margarete kümmerten sich aufopferungsvoll um soziale Projekte in Köln und um die Reklame für die Tietz-Warenhäuser. Die Zeichen standen weiterhin auf Erfolg, und inzwischen besaß die Familie achtzehn Kaufhäuser in Deutschland und acht im benachbarten Belgien.

Leonhard könnte stolz sein auf das, was er mit seiner Flora erreicht hatte. Von kleinen Kaufleuten waren sie zu wohlhabenden Unternehmern geworden, die nicht nur in Köln ein sehr hohes Ansehen genossen. Doch leider waren die entbehrungsreichen Jahre nicht spurlos an ihm vorübergegangen. In letzter Zeit häuften sich seine Arztbesuche. Leonhard hatte es sich trotzdem nicht nehmen lassen, jeden Schritt des Neubaus an der Hohe Straße zu begleiten. Aber sobald das Warenhaus seine Pforten geöffnet hatte, würde er sich wieder um seine Gesundheit kümmern müssen. Das war er seiner Flora schuldig.

Es war spät geworden, und im Haus herrschte schon seit Stunden Nachtruhe. Alle waren längst zu Bett gegangen, nur ihn zog nichts in die weichen Laken. Zu aufgewühlt war er, wenn er an den morgigen Tag dachte. Er würde ein Zeichen setzen mit der Eröffnung des neuen Kaufhauses. Deshalb hoffte er, dass ihm noch genügend Zeit blieb, um den Erfolg des größten Tietz-Warenhauses genießen zu können.

Den lang gezogenen Seufzer, der über seine Lippen kam, bemerkte er ebenso wenig wie das feuchte Schimmern seiner braunen Augen. Nachdenklich betrachtete er sich im Spiegelbild der Fensterscheibe. Alt war er geworden, alt und grau. Sein Gesicht wirkte eingefallen, die Falten waren tiefer geworden, dunkle Ringe lagen unter seinen Augen. Sein einst dichtes schwarzes Haar war dünner geworden. Der Vollbart war gewichen, seit einigen Jahren schon trug Leonhard einen sorgfältig gestutzten Kinnbart und unter der Nase einen prächtigen Kaiser-Wilhelm-Bart, den er jeden Morgen sorgsam zwirbelte, bevor er das Haus verließ. Dennoch, darüber war sich Leonhard im Klaren, war er, nicht zuletzt wegen seiner Krankheit, zu einem alten Mann geworden.

Nichts ist unendlich, dachte er schwermütig und leerte sein Glas. Seufzend wandte er sich vom Fenster ab. Nachdem er das benutzte Weinglas auf das Kabinett gestellt hatte, löschte er das Licht in der Bibliothek und wandte sich zum Gehen. Höchste Zeit ins Bett zu kommen, morgen wird ein großer Tag. Er hoffte, dass er noch genügend Kraft aufbringen konnte, um das Ereignis gebührend zu feiern.

*

Längst hatte sich die Nacht über das Severinsviertel gesenkt. In den engen Straßen zogen noch einige Nachtschwärmer von Wirtshaus zu Wirtshaus, während in den kleinen Wohnungen der umliegenden Häuser langsam die Nachtruhe Einzug hielt.

Auch im Heim der Familie Abel kehrte jetzt Stille ein. Die Kinder waren längst im Bett, während Hermine Abel damit beschäftigt war, die kleine Küche aufzuräumen. Nur Emilia, ihre älteste Tochter, zog es nicht in das Kastenbett ihrer bescheidenen Kammer.

Sorgenvoll betrachtete Hermine das sechzehnjährige Mädchen. »Wat es?«, fragte sie Emilia. »Wells de net schlofe gonn?« Sie klapperte mit dem Geschirr herum und wandte Emilia den Rücken zu, während sie weitersprach. »Morje öm sechs muss de en d’r Fabrik sie.«

Emilia schüttelte den Kopf. Sie war von zierlicher Statur, hatte die dunkelblonden Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und trug eine einfache stahlgraue Schürze. »Nein«, sagte sie leichthin. »Morgen zieht es mich nicht in die Schokoladenfabrik.« Seit zwei Jahren arbeitete Emilia als Stollwerckmädchen in der großen Fabrik. Eigentlich fühlte sie sich in der Schokoladenfabrik gut aufgehoben. Einmal hatte man sie sogar auf den Turm des imposanten Backsteinbaus gelassen, um ihr den Blick über die Stadt und auf den Dom zu erlauben. Doch mit ihren sechzehn Jahren hatte Emilia große Pläne. Sie wollte weiterkommen als ihre Mutter, mehr tun, als sich um Kinder und den Haushalt kümmern. Und sie hatte nicht vor, ihr Leben im Zwielicht der Fabrik der Gebrüder Stollwerck zu fristen. Daran änderte auch der Umstand, dass während der Arbeitszeiten der süße Duft von wohlschmeckender Schokolade unwiderstehlich durch das Veedel wehte, nicht viel. Emilia würde sich für die Gleichberechtigung von Mann und Frau einsetzen, doch sie ahnte, dass es bis dahin noch ein weiter Weg sein würde. Und so lange gab sie sich allzu gern ihren Träumen hin.

»Kingche, träumst de?«, säuselte die Stimme ihrer Mutter.

»Nur ein wenig«, gab Emilia mit rotem Kopf zu. »Ich muss morgen nicht arbeiten.«

»Jitt et nit.« Hermine Abel sank auf einen der sechs knarrenden Küchenstühle und betrachtete ihre älteste Tochter, als sei sie von allen guten Geistern verlassen.

»Doch, das gibt’s.« Tatsächlich war es nicht üblich, dass die Schokoladenmädchen, wie sie im Severinsviertel liebevoll genannt wurden, unter der Woche freimachen durften. Um der Arbeit fernbleiben zu können, musste schon ein triftiger Grund vorliegen.

»Ach so«, nickte ihre Mutter. »Darf mer denn erfahren, woröm et dat Mamsell morje nit in der Schokoladenfabrik trick?«

»Natürlich.« Emilia schnalzte genießerisch mit der Zunge. »Mich zieht es morgen früh zur Eröffnung des neuen Tietz.«

»Wat wells de dann beim Tietze Leonhard?« Hermine runzelte die Stirn. Emilia sah ihr förmlich an, dass ihre Mutter kurz davor stand, zu fühlen, ob sie Temperatur hatte. »Jeht’s dir jood?«

»Ja, es geht mir gut.« Emilia musste lachen. »Sehr gut sogar.« Sie konnte es kaum erwarten, das neue Tietz an der Hohe Straße erstmals in Augenschein zu nehmen. Zwar hatte es bereits eine Vorbesichtigung für einen kleinen Kreis von weiblichen geladenen Gästen gegeben, doch Emilias Familie gehörte nicht zur elitären Kölner Gesellschaft und so musste sie sich bis zum offiziellen Eröffnungstag gedulden.

Weil ihr Vorgesetzter das aber niemals als einen wichtigen Grund, der Arbeit fernzubleiben, akzeptiert hätte, musste eine Notlüge her. So hatte sie dem strengen Herrn Küppers vom Tod einer Tante im Bergischen Land erzählt. Daraufhin hatte Küppers ihr sein Beileid ausgesprochen und den freien Tag genehmigt.

»Wat wells de dann beim Tietz?«, fragte Hermine, als Emilia nicht gleich antwortete. »De kanns dir er Saache do sowieso net erlauben.«

Emilia musste lachen. »Ich liebe die modernen Mehrabteilungswarenhäuser in Paris, Mailand und Rom.« Sie atmete ein paarmal tief durch. »Da kann ich von der großen weiten Welt träumen, weißt du?«

»Nee. Woß isch net.« Hermine schüttelte den Kopf. »Wenn ding Va noch leeve plaatz, d’r plaatz dir wat anderes kalle!«

Als die Rede auf ihren im letzten Jahr gestorbenen Vater kam, wurde Emilia kurz traurig. »Ich weiß«, sagte sie leise. »Aber ich möchte einmal die große weite Welt spüren, um meine Ziele nicht aus den Augen zu verlieren.« Bevor Hermine Einspruch einlegen konnte, erhob sie sich, küsste ihre Mutter auf die Wange und wünschte ihr eine gute Nacht. Das missbilligende Kopfschütteln von Hermine Abel übersah sie, als sie eilig die Küche verließ, um sich weitere Diskussionen mit ihrer Mutter zu ersparen. Außerdem musste sie sich noch überlegen, was sie morgen anziehen sollte. Eine Idee hatte sie bereits …

*

Margarete blinzelte, als Alfred sich unruhig im Bett herumwälzte. Sie kannte den Grund für seine Aufregung und vermied es, ihn darauf anzusprechen. Als er sich schließlich gegen fünf Uhr aus dem Bett schälte, stellte sie sich schlafend. Sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er Zeit für sich brauchte. Große Ereignisse warfen in der Villa Tietz ihre Schatten voraus, und so war es kaum verwunderlich, dass Alfred die letzte Nacht eher ruhelos verbracht hatte. Auch Margarete war mehrmals wach geworden, hatte sich aber stets leise verhalten. Sie wusste, dass er sie nicht stören wollte, und tat so, als würde sie schlafen.

So leise wie möglich stand Alfred auf. Auch während er sich ankleidete, vermied er unnötigen Lärm und schlich sich danach vorsichtig aus dem Schlafzimmer. Sobald er die Tür hinter sich geschlossen hatte, atmete Margarete tief durch. Sie hörte, wie sich Alfreds Schritte in Richtung Treppe entfernten. Jetzt würde sie auch keinen Schlaf mehr finden. Einen Moment lag sie regungslos da und lauschte dem Zwitschern der Vögel in den Bäumen hinter dem Haus. Als sie erkannte, dass jeder Versuch, noch einmal einzuschlafen, scheitern würde, warf sie die Bettdecke zur Seite und erhob sich. Nachdem sie in ihre Filzpantoffeln geschlüpft war, durchschritt sie das Schlafzimmer und trat ans Fenster, um es zu öffnen. Die kühle Luft drang in den Raum. Tief atmete sie ein und genoss den noch frischen Morgen über Marienburg. Der Garten erstreckte sich unter einem noch grauen Himmel. Fröstelnd wandte sich Margarete vom Fenster ab und widmete sich ihrer Morgentoilette. Nachdem sie gewaschen war, trat sie in das angrenzende Boudoir. Im Ankleidezimmer gab es eine Kommode mit Spiegel, einen etwas größeren Ankleidespiegel und einen Kleiderschrank aus schwerem und edlem Mahagoniholz, an den sie jetzt trat. Sie warf einen Blick hinein und entschied sich schließlich für das dunkelblaue Kleid, das ihr Alfred von seiner letzten Parisreise mitgebracht hatte. Margarete war froh, dass das Tragen eines Korsetts, das den Busen betonte und für eine Wespentaille sorgte, nicht mehr en vogue war. Sie fragte sich, wie die Frauen das überhaupt so lange ausgehalten hatten. Nachdem sie in ihr Kleid geschlüpft war, betrachtete sie sich prüfend im Ankleidespiegel, der in der Ecke neben dem Fenster stand. Das edwardianische Baumwollkleid in edelstem Ozeanblau schimmerte je nach Lichteinfall wie Samt und Seide. An Dekolleté, den Ärmeln und der Taille gab es cremefarbene Stickereien aus feinster Spitze. Damit konnte sie sich heute sehen lassen. Zufrieden wandte sie sich ab, schüttelte die Betten auf und schloss das Fenster. Durch die geschlossene Zwischentür, die zum Kinderzimmer führte, hörte sie die Stimme ihres Sohnes Wolfgang. Lilly, das Kindermädchen, war bereits bei ihm. Die beiden unterhielten sich, Wolfgang brabbelte aufgeweckt vor sich hin.

Als Margarete zufrieden auf den Korridor trat, hing der würzige Geruch von frisch aufgesetztem Kaffee in der Luft. Kurz blieb sie stehen und atmete den Duft tief ein, dann ging sie weiter. Margaretes Weg führte sie über die breite Treppe ins Erdgeschoss zum Speisezimmer. Die Tür stand offen, und so verharrte sie einen Augenblick. Alfred befand sich alleine im Esszimmer und schien ihre Ankunft nicht bemerkt zu haben. So nutzte sie die Gelegenheit, ihn zu beobachten. Mit einem verliebten Lächeln auf den Lippen lehnte sie im Türrahmen. Obwohl sie sich schon so lange kannten, schlug ihr Herz bei seinem Anblick immer noch ein paar Takte schneller. Sie liebte ihn wie am ersten Tag. Gerne erinnerte sie sich an ihre eigenartige erste Begegnung, damals in Berlin. Alfred hatte sich als Ladendetektiv im Warenhaus seines Onkels Hermann ausgegeben – ein Vorwand, um sie kennenzulernen, wie sich später herausgestellt hatte.

Alfred blätterte, wie an jedem Morgen, im Wirtschaftsteil der Kölnischen Zeitung. Als Geschäftsmann war er daran interessiert, wie es um die Kaufkraft der Menschen am Rhein bestellt war.

Lächelnd stieß sich Margarete vom Türrahmen ab und trat näher. Der dicke Teppich dämpfte ihre Schritte, so dass Alfred sie erst wahrnahm, als sie schon hinter ihm stand, die Arme um ihn schlang und sich zu ihm herabbeugte, um ihren Mann zu küssen.

»Guten Morgen, Herr Tietz.«

Mit einem Lächeln auf den Lippen ließ er die Zeitung sinken. Das Papier raschelte vernehmlich. »Guten Morgen, Liebes.« Er faltete das Journal zusammen und legte es auf den Tisch neben dem Teller.

Ein warmes Lächeln lag auf Alfreds Lippen. »Ich hoffe, du hast gut geschlafen?«

»Aber ja.« Margarete schmiegte sich an ihn. »Ich habe sogar sehr gut geschlafen.« Sie zog eine Grimasse. »Was man von dir ja wohl nicht behaupten kann.« Margarete setzte sich zu ihm. Ein Dienstmädchen erschien lautlos auf der Bildfläche, um ihr einen Kaffee zu servieren.

»Ach ja«, seufzte Alfred, als sie wieder alleine waren. »Die bevorstehende Eröffnung ist tatsächlich eine aufregende Sache.«

»Immerhin ist das neue Tietz das größte Warenhaus im Kaiserreich«, stimmte Margarete ihm zu. Sie wusste, was das neue Haus in bester Lage ihrem Schwiegervater, aber auch ihrem Mann bedeutete. Es würde das Flaggschiff des Konzerns bilden. »Deinem Vater dürfte damit ein Geniestreich gelingen.«

»Allerdings.« Alfred lachte leise. »Wie so oft in den letzten Jahren. Er scheint ein glückliches Händchen zu haben, wenn es ums Geschäft geht.«

»In der Tat«, stimmte Margarete ihm zu und nahm am reich gedeckten Tisch Platz. Kurz war sie versucht, Alfred auf die sich häufenden Arztbesuche ihres Schwiegervaters anzusprechen, entschied sich dann aber dagegen. Sie wollte, dass ihr Mann sich auf den großen Eröffnungstag freuen konnte. Dass etwas mit Leonhard im Argen war, spürte sie. Flora, ihre Schwiegermutter, machte seit einiger Zeit immer wieder Andeutungen, wenn es um Leonhards Gesundheitszustand ging. Es belastete sie, dass es ihm nicht gut ging und sie offenbar machtlos war. So setzte sie alle Hoffnung auf die Ärzte. Doch das sollte an diesem Tag kein Thema sein, und so vermied es Margarete, Trübsal zu blasen. Gegen neun Uhr war ein großer Empfang vor dem Tietz geplant. Namhafte Gäste hatten ihr Kommen angesagt, sogar der Oberbürgermeister und seine Gattin standen auf der Gästeliste.

»Heute werden wir Geschichte schreiben«, versicherte Alfred ihr. »Die halbe Welt schaut nach Köln, denn so etwas Großes gibt es im Kaiserreich noch nicht.«

»Es werden schon Wetten darüber abgeschlossen, wann Wertheim wohl nachzieht«, feixte Margarete, während sie sich ein Brot mit Marmelade bestrich. Sie wusste, dass der alte Wertheim der Erzfeind ihres Schwiegervaters war. Immer wieder gab es zwischen den Kontrahenten Machtkämpfe. Doch in Köln hatte Georg Wertheim noch kein Kaufhaus errichtet. Dafür gab es ein großes Warenhaus am Leipziger Platz in Berlin – und natürlich im fernen Stralsund. Somit war es für sie nur eine Frage der Zeit, bis Wertheim auch das Rheinland für sich entdeckte, um dem Tietz Konkurrenz zu machen.

»Er wird nicht nach Köln kommen.« Lautlos waren Leonhard und Flora Tietz in den Raum getreten. Um Leonhards Mundwinkel huschte ein siegessicheres Lächeln. »Und selbst wenn, sind wir ihm schon einige Schritte voraus.«

»Guten Morgen.« Flora lächelte freundlich. Auch sie trug ein elegantes Kleid, das dem bevorstehenden Anlass angemessen war. Der dunkelgrüne Stoff schimmerte wie Seide im warmen Sonnenlicht, das sich inzwischen den Weg durch die Wolken gebahnt hatte. Margaretes Schwiegereltern nahmen am Tisch Platz und warteten, bis das Dienstmädchen ihnen Kaffee und Tee brachte.

»Und selbst wenn – es wäre nicht das erste Mal, dass Georg Wertheim den Kürzeren zieht«, schmunzelte Leonhard und schob sich den Stuhl am Kopf der Tafel zurecht. Ein schelmisches Lächeln lag auf seinem Gesicht. »Aber die Ambitionen unseres Konkurrenten sollen uns heute nicht kümmern.« Niemand widersprach ihm. Zwei Dienstmädchen betraten den Raum und servierten Leonhard und Flora ihr Frühstück.

Leonhard hob die Tasse und setzte eine feierliche Miene auf. Es war, als würde er ein Glas erheben, um einen Trinkspruch zum Besten zu geben. »Heute soll ein guter Tag werden für unseren Konzern, für die Belegschaft und nicht zuletzt für die Familie.«

»Das wird es ganz sicher«, versicherte Flora ihm mit geröteten Wangen. Margarete sah ihr die Aufregung an. Im Gegensatz zu Leonhard Tietz war ihre Schwiegermutter trotz ihrer neunundfünfzig Jahre kaum gealtert, seit sie sich zum ersten Mal begegnet waren. Flora Tietz war eine herzensgute, intelligente Frau, und sie arbeitete unermüdlich. Wenn sie ihrem Mann und den Söhnen nicht bei der Gestaltung neuer Reklame half, brachte sie sich gemeinsam mit Margarete in die Unterstützung von sozialen Projekten ein. Ihrer Meinung nach gab es immer noch zu viel Armut in der Stadt am Rhein.

»Wo steckt eigentlich mein Enkel?« Leonhard blickte sich suchend um und schien die Stille erst jetzt zu bemerken. Immer, wenn Wolfgang im Raum war, herrschte munteres Leben.

»Als ich mich fertig gemacht habe, war Lilly bereits bei ihm«, antwortete Margarete. »Ich denke, Wolfgang wird uns gleich Gesellschaft leisten.«

»Das ist gut.« Leonhard nickte zufrieden, bevor er sich wieder seinem Frühstück widmete. Irgendwie schien er zu spüren, dass alle Blicke auf ihm ruhten.

»Ja«, sagte er mit einem sinnigen Lächeln auf den Lippen. »Ich komme nicht umhin zuzugeben, dass dies ein aufregender Tag wird.« Er nahm die Hand seiner Frau und drückte sie. »Zwar waren wir schon bei der Eröffnung von vierundzwanzig Warenhäusern dabei, doch heute wird ein besonderer Tag.«

»Das wird es«, pflichtete ihm Flora bei. Sie wusste, dass ihr Mann es sich nicht nehmen lassen wollte, das neue Warenhaus eigenständig zu führen. Auch die Vorstandsarbeit des Konzerns würde im Haus an der Hohe Straße stattfinden. Über Langeweile würde sich Leonhard in den kommenden Wochen also kaum beklagen können. Margarete betrachtete ihre Schwiegermutter mit einem Seitenblick. Bei aller Freude lag auch Sorge in Floras Gesicht, denn sie wusste um den gesundheitlichen Zustand ihres geliebten Mannes und schien zu fürchten, dass er sich mit der zusätzlichen Aufgabe zu viel Arbeit aufbürdete. Doch Flora gönnte ihm die Vorfreude von ganzem Herzen, das sah Margarete ihr an, als sie sich zu Leonhard hinüberbeugte, um ihn zu küssen.

Die beiden sind trotz ihrer vielen gemeinsamen Jahre noch wie ein frisch verliebtes Paar, dachte Margarete und betrachtete ihren Mann. Auch Alfred war immer noch ein sehr aufmerksamer Ehemann und ein liebevoller Vater. Sie hoffte, dass ihre Liebe nach all der Zeit nicht verblassen würde.

*

Emilia hatte sich für einen langen, dunkelgrünen Rock entschieden, dazu trug sie eine cremefarbene Edwardian-Bluse von La Mode mit großen silbernen Knöpfen und einem steifen Kragen. Auf dem Kopf hatte sie einen eleganten, farblich passenden Hut mit breiter Krempe. Auf der Hutkrone befand sich ein Band aus feinstem Brokat mit floralem Muster. Normalerweise trug Emilia diese Kombination nur zu festlichen Anlässen, zu groß war die Gefahr, dass Rock und Bluse verschmutzen konnten.

Doch für das einfache Stollwerck-Mädchen war heute ein ganz besonderer Anlass. Sie hatte einen freien Tag und freute sich darauf, das neue Tietz in Augenschein nehmen zu können.

Nach einem eiligen Frühstück verabschiedete sie sich von ihrer Mutter, die ihrer Idee, zum Warenhaus zu fahren, immer noch nicht viel abgewinnen konnte, und von den Geschwistern. Ein wenig enttäuscht stellte Emilia, auf der Straße angekommen, fest, dass die Sonne sich wohl auch heute nicht blicken lassen würde. Köln befand sich unter einer dicken Wolkendecke, und ein kühler Wind fegte durch die Straßen, auf denen trotz der frühen Stunde schon reger Betrieb herrschte. Am belebten Chlodwigplatz bestieg sie den elfenbeinfarbenen Wagen mit dem grünen Schriftzug »Bahnen der Stadt Cöln«, nahm auf einer der hölzernen Bänke Platz und fuhr bis zur Haltestelle Neumarkt. Während die Bahn quietschend durch die Straßen rumpelte, betrachtete Emilia die Mitreisenden. Teilnahmslose, gelangweilte Mienen, einige Männer versteckten sich hinter ihrer Zeitung, während Frauen und Kinder aus dem Fenster blickten. Von hier aus war es ein Katzensprung bis zur Hohe Straße, Ecke Schildergasse. Mit jedem Meter, den sie zu Fuß in Richtung Innenstadt zurücklegte, wurden die Straßen voller. In Köln tobte das rheinische Leben, doch an diesem Morgen zog es besonders viele Menschen aller Altersklassen in die Stadt. Emilia konnte sich vorstellen, woran das lag: Immerhin hatte Leonhard Tietz, der Kaufhauskönig, sein neues Warenhaus als moderne Attraktion der Stadt angekündigt. Das lockte Männer und Frauen in Scharen an. Die Spannung stieg, und Emilia konnte es kaum erwarten, bis sie vor dem neuen Tietz stand. Als sie an der Schildergasse um die Ecke bog, traute sie ihren Augen kaum: Vor dem gigantischen Neubau hatte sich ein Menschenmeer gebildet, das nur darauf wartete, ins Tietz strömen zu können. Doch noch war es nicht so weit.

Kapitel 2

Das neue Warenhaus war ein Meisterstück des Architekten Wilhelm Kreis, der schon das Tietz in Elberfeld entworfen und damit für Aufsehen im ganzen Reich gesorgt hatte. Doch jetzt hatte sich Kreis selbst übertroffen. Wie ein Bollwerk ragte das Kaufhaus in bester Lage der Kölner Innenstadt in die Höhe. Es war prächtiger und größer als alles, was er bisher geplant hatte.

Vor drei Jahren hatte Wilhelm Kreis Leonhard, Gerhard und Alfred Tietz die ersten Entwürfe für das neue Flaggschiff ihres Warenhauskonzerns präsentiert, und Alfred erinnerte sich daran, als sei es gestern gewesen. Kreis hatte ihnen Baupläne für ein gigantisches Mehrabteilungskaufhaus nach französischem Vorbild gezeigt, das sich in das vorhandene Ensemble bis hin zur vor einigen Jahren eröffneten Jugendstilpassage in der Straße An Sankt Agatha einfügte. Wie schon in Düsseldorf und Elberfeld, so hatte Wilhelm Kreis auch diesmal den Bildhauer Johannes Knubel für die Gestaltung der Fassaden gewinnen können. So war ein wahrer Prachtbau an der Hohe Straße/Ecke An Sankt Agatha entstanden, auf den die Welt schauen sollte. Es gab Säulen, die an einen Palast erinnerten, Arkaden und edle Hölzer, wie man sie aus den vornehmen Häusern in Paris kannte.

Für Köln würde das neue Tietz eine Sensation werden, davon war Alfred überzeugt. Hatte sein Vater doch schon das erste Kölner Verkaufshaus als eine »Sehenswürdigkeit der Stadt mit sämtlichen Bedarfsartikeln« beworben. Diese Artikel wurden von nun an in nicht weniger als vierzig prall gefüllten Schaufenstern präsentiert und auf vier Etagen zum Verkauf angepriesen.

Wäsche, Bekleidung und sogar Pelze standen zum Verkauf, dazu Teppiche, wertvolles Porzellan, Gläser und silberglänzendes Besteck, ja, selbst vollständig eingerichtete Küchen konnte die Kundschaft im neuen Tietz erwerben. Der Duft nach frischer Farbe hing in der Luft, alles strahlte und glänzte mehr, als Alfred es sich in seinen kühnsten Träumen vorgestellt hatte. Kurz dachte er an seine Idee für einen neuen Kundendienst:

Wer einen Einkaufswert von zehn Mark überschritt, dem wurde die gekaufte Ware auf Wunsch kostenlos nach Hause geliefert. Für diesen Kundendienst hatte sich Alfred bei seinem Vater eingesetzt, seit er die Lieferautos bei Onkel Hermann in Berlin erstmals gesehen hatte. So musste niemand mehr zusehen, wie er seine Einkäufe nach Hause bekam.

Margarete, die nicht von seiner Seite wich, war sichtlich beeindruckt von der Menschenmenge, die sich vor dem Tietz versammelt hatte. »Das ist unglaublich«, bemerkte sie. Alfred nickte. Auch er hatte Ähnliches noch nicht erlebt.

»Wir werden die Menschen im gesamten Reich nach Köln locken«, behauptete Leonhard mit einem wissenden Lächeln auf den Lippen. Sie befanden sich im Erdgeschoss des noch geschlossenen Warenhauses und schritten über den Läufer zum Eingang, vor dem sich die Menschenmenge drängelte. Man konnte es kaum erwarten, dass das Tietz erstmals seine Pforten öffnete und einen Ausblick auf das Sortiment preisgab.

»Ein Meisterstück«, bestätigte auch Flora. Gerhard befand sich einen halben Schritt hinter ihnen. Üblicherweise scheute er einen derartigen Rummel, doch angesichts der bevorstehenden Eröffnung war auch er in freudiger Erwartung.

Im Gegensatz zu Alfred und Leonhard war er von zurückhaltender Natur und überließ den anderen das Reden, wann immer es ging. Doch obwohl er ein eher ruhiger Mensch war, konnte er sich dennoch über das große Ereignis freuen, schließlich hatte auch er seit einiger Zeit einen Posten im Vorstand inne und setzte sich unermüdlich für den Erfolg des Konzerns ein.

In den Gängen standen adrett gekleidete Ladenmädchen Spalier, die sich auf die ersten Kunden freuten. Alfred hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, sich sämtliche Gesichter der Belegschaft zu merken. So waren die jungen Frauen anfangs überrascht gewesen, dass er sie alle beim Namen begrüßen konnte. Einige waren aus anderen Warenhäusern nach Köln rekrutiert worden, andere hatten Flora und Margarete eingestellt, um dem wachsenden Ansturm auf das Tietz gerecht werden zu können.

»So«, riss Leonhard seine Söhne aus den Gedanken. »Dann wollen wir mal.«

»Wieder einmal ist es so weit, und wir eröffnen ein neues Haus«, bemerkte Flora mit feierlichem Unterton in der Stimme. Sie nahm Leonhards Hand und schaute ihm überglücklich in die Augen. »Ich bin so stolz auf dich, Leo.«

Leonhard winkte ab und wirkte für einen Moment fast verlegen. »Ach was«, brummte er in tiefster Bescheidenheit. »Es ist ja nicht das erste Mal.«

»Aber es ist das größte Warenhaus«, erinnerte Alfred ihn. »Mutter hat recht – heute ist es etwas ganz Besonderes.«

»Na von mir aus.« Leonhard lächelte versonnen und blickte sie nacheinander an. »Wenn ihr es sagt, dann wird es wohl stimmen.« Er seufzte, und Alfred sah, dass sein Vater gegen die Freudentränen ankämpfte. Dennoch schimmerten Leonhards Augen feucht. »Und noch etwas.« Er betrachtete seine Söhne mit bedeutungsvollem Blick. »Dies hier wird euer Warenhaus werden.«

»Hast du dich umentschieden?«, fragte Gerhard sichtlich überrascht. Er warf seinem Bruder einen verdutzten Blick zu. »Ich dachte, du wirst das Haus leiten?«

»Das werde ich auch, Gerhard, das werde ich.« Der Vater nickte. »Dennoch ist es an der Zeit, in die zweite Reihe zurückzutreten und meine Söhne nach vorn zu lassen. Also gewöhnt euch daran, dass ihr in diesem Hause den Hut aufhabt.« Er lächelte die beiden jungen Männer verschmitzt an. Alfred blieb nicht verborgen, dass ihre Mutter blass geworden war. Verwundert beschloss er, sie später darauf anzusprechen. Natürlich war es niemandem in der Familie entgangen, dass Leonhard Tietz in jüngster Vergangenheit öfters Zeit für Arztbesuche beanspruchte.

»Dann mal los«, sagte Alfred, um die Situation aufzulockern. Dies war nicht der richtige Augenblick für trübe Gedanken. »Öffnen wir unser Haus – die Leute warten schon ungeduldig.«

»Ja.« Leonhard nickte und zog den Schlüsselbund aus der Tasche seines schwarzen Jacketts. Noch nie hatte es sich Alfreds Vater nehmen lassen, ein neues Warenhaus am ersten Tag eigenhändig aufzuschließen. So traten er, Margarete, Flora und Gerhard zur Seite. Draußen tobte ein Menschenmeer, das den Einlass jetzt kaum noch erwarten konnte.

»Auf unser neues Warenhaus!« Leonhard atmete tief durch, Alfred hielt kurz die Luft an, während sein Vater den Schlüssel im Schloss drehte und die große Tür des portalähnlichen Haupteingangs öffnete. Jubel wurde laut, einige der Wartenden applaudierten, ein paar ungeduldige Männer riefen »na endlich« und »das wurde auch Zeit«. Fotografen der Presse drängten sich in die ersten Reihen, um Bilder von der Eröffnung zu machen, Frauen reckten die Hälse, um etwas vom Geschehen mitzubekommen.

»Meine Damen und Herren«, richtete Leonhard das Wort an das Publikum. »Lange haben wir auf diesen Moment gewartet, doch nun ist es so weit. Wir haben keine Kosten und Mühen gescheut, Ihnen an diesem Platze ein ganz besonderes Warenhaus zu errichten, ein Haus, in dem Sie nahezu alles erhalten, was das Herz begehrt – und das zu äußerst vernünftigen Preisen. Sei es ein neuer Hut für die Dame oder ein Mantel für den Herren, oder Töpfe und Pfannen für Ihre Küche, Stoffe zum Nähen. Ebenso finden Sie bei uns ein reichhaltiges Angebot von Teppichen und Bettwäsche, Werkzeuge für die Herren und Haushaltsartikel für die Damen.« Leonhard machte eine kleine Pause, um seine Worte wirken zu lassen. Ein zustimmendes Raunen ging durch das Menschenmeer. »Kommen Sie in unser neues Haus und überzeugen Sie sich vom großen Sortiment, lassen Sie sich entführen in die Welt der Mode aus den Metropolen, richten Sie Ihr Zuhause mit unseren Möbeln und Gardinen ein, denken Sie über die nächsten Weihnachtsgeschenke für Ihre Kinder nach – denn natürlich gibt es auch eine gut sortierte Spielwarenabteilung. Und stöbern Sie in den Büchern, es gibt meterweise Regale mit Literatur für jeden Geschmack!« Wieder legte er eine Pause ein, und Alfred stellte fest, dass seinem Vater das Sprechen mit erhobener Stimme schwerfiel.

Alfred ergriff das Wort. »Wir – die Familie Tietz – heißen Sie ganz herzlich willkommen in unserem Mehrabteilungskaufhaus. Kommen Sie herein und schauen Sie sich um. Wer einen gewissen Einkaufswert erreicht, der kann sich auf eine zuverlässige Lieferung bis vor die Haustür freuen, denn das ist unser kostenloser Service. Mit unseren Lieferautos schaffen wir Ihre Einkäufe nach Hause.« Als er Margarete einen Blick zuwarf, erkannte er, dass auch sie ein paar Worte an die Wartenden richten wollte. »Meine liebe Frau Gemahlin möchte Ihnen ebenfalls etwas mitteilen.«

Margarete nickte ihm dankbar zu. Flora gab ihr ein zustimmendes Zeichen. »Wir haben uns vor der Eröffnung Gedanken gemacht und freuen uns, Ihnen besonders attraktive Eröffnungsangebote zur Feier des Tages offerieren zu können.«

Alfreds Mutter trat neben Margarete. »Und nun freuen Sie sich mit uns auf eine gelungene Eröffnung, meine sehr geehrten Damen und Herren!« Flora gab Leonhard ein Zeichen. Er trat an das rote Band, mit dem der Eingang noch versperrt war, und zückte eine große Schere. Leonhard wartete, bis die Journalisten vorgetreten waren und die Fotografen ihre Kameras in Position gebracht hatten. Als er den Augenblick für gekommen sah, schnitt er das rote Band durch. Die Menge applaudierte erneut.

»Herzlich willkommen im Warenhaus Leonhard Tietz!«, rief Alfred, dann traten sie zur Seite und ließen den Strom der Menschenmassen an sich vorbei.

»Das wäre geschafft«, raunte Gerhard ihnen erleichtert zu. Er atmete ein paarmal tief durch. »Dann werden die Kassen heute wohl richtig klingeln.«

»Und nicht nur heute, mein Junge«, nickte Leonhard und zwinkerte ihm zu. Er lächelte Flora und Margarete zu und klopfte Gerhard auf die Schulter. »Kommt«, sagte er schließlich, »es ist so weit. Jetzt wollen wir sehen, wie den Kölnern unser neues Haus gefällt.«

»Man sieht es schon«, bemerkte Flora mit einem glücklichen Lächeln. »Seht nur – sie sind alle total begeistert von unserem Angebot.«

»Siehst du, Bella«, strahlte Leonhard und legte einen Arm um die Schultern seiner Frau. »Wir haben wieder einmal alles richtig gemacht und können die Leute auch nach all den Jahren noch für unsere Ideen begeistern.« Er küsste sie. »Und das alles habe ich dir zu verdanken«, fügte er so leise hinzu, dass niemand anderes seine Worte hören konnte.

»Mir?« Flora betrachtete ihn verwundert.

»Aber sicher.« Leonhard nickte. »Ohne dich wäre das alles hier«, er breitete die Arme aus, »gar nicht möglich gewesen. Denn wer weiß, was aus mir geworden wäre, wenn du mich nicht zur Übernahme des Geschäfts vom alten Holst überredet hättest.«

Flora nickte gerührt. Gern erinnerte sie sich an ihre Anfänge in Stralsund. Der alte Albert Holst hatte ihr leidgetan. Er war krank, alt und einsam gewesen. Und nachdem Flora sich in seinem Geschäft für Kurz-, Weiß- und Posamentierwaren die Zutaten für ihr selbst genähtes Hochzeitskleid gekauft hatte, unterbreitete sie ihm den Vorschlag, ihn als Ladenmädchen zu unterstützen. Anfangs hatte Holst gezögert, doch als sie ihm ihre unentgeltliche Hilfe angeboten hatte, war er schwach geworden und hatte zugestimmt. Dass Flora zu diesem Zeitpunkt der kleine Laden längst ans Herz gewachsen war, hatte er nicht bemerkt. Entsprechend traurig war sie gewesen, als er ihr von seiner geplanten Schließung berichtet hatte. Und nach Leonhards Rückkehr von einer Geschäftsreise nach Berlin hatte Flora den Wunsch geäußert, das kleine Ladenlokal zu übernehmen, um daraus etwas Neues zu machen. Und nun, fünfunddreißig Jahre später, standen sie im größten Warenhaus von Köln, wenn nicht sogar im größten Warenhaus des Kaiserreiches. Floras Augen schimmerten feucht vor Rührung, als sie sich an ihren Mann schmiegte, um den feierlichen Tag der Eröffnung zu genießen. Sie nahm sich vor, von jetzt an wieder jeden Moment an der Seite ihres Mannes zu genießen, um die Früchte ihrer jahrzehntelangen unermüdlichen Arbeit ernten zu können. Das Leben ist viel zu kurz, um sich Sorgen zu machen, hatte ihre Mutter Amalie immer gesagt.

Kapitel 3

Emilia kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Kaum, dass Leonhard Tietz, der Kaufhauskönig, nach seiner kurzen Ansprache das rote Band durchtrennt hatte, setzte das Gedränge ein. So blieb Emilia nichts anderes übrig, als sich treiben zu lassen.

Geschoben von der Menschenmasse, wurde sie mitgerissen und fand kaum Gelegenheit, sich umzusehen. Erst, als sie in einem der ruhigeren Seitengänge angelangt war, stand sie mit vor Staunen offen stehendem Mund im Tietz und konnte sich an dem Warenangebot gar nicht sattsehen.

Die modernen Warenhäuser in den Metropolen der neuen Welt faszinierten das Mädchen. Natürlich hatte sie »Das Paradies der Damen« von Émile Zola verschlungen. Zwar orientierte sich der französische Schriftsteller am Pariser Au Bon Marché, doch das, was Emilia hier erleben durfte, kam den blumigen Beschreibungen im Roman schon sehr nahe.

Hier präsentierte man die Waren in einem Atrium, darüber erstreckten sich drei Galerien unter dem kuppelförmigen Glasdach. Für Emilia, die aus einfachen Verhältnissen stammte, fühlte sich der Prunk des neuen Warenhauses fremd und faszinierend zugleich an. Mehr als fünf Dutzend große Bogenlampen tauchten das Sortiment in ein sattes Licht, unzählige elektrische Glühbirnen setzten Akzente und richteten das Augenmerk der Betrachter auf besonders dekorierte Waren.

Verschiedenartige Düfte wehten ihr um die Nase und mischten sich unter die Stimmen der unzähligen Menschen, die gekommen waren, um Kölns neueste Attraktion in Augenschein zu nehmen. Neben den normalen Artikeln gab es auch Porzellan, Pelze, Küchenartikel, Spielzeug und Parfüm für die feine Dame. Sicher kein Haus für einfache Leute wie mich, dachte Emilia wehmütig. Doch einen Blick wollte sie schon einmal riskieren. Bestimmt würde man sie nicht gleich hinauswerfen, wenn sie nichts kaufte, wenngleich das auch unüblich war. Beeindruckt schlenderte sie durch die breiten Gänge, um das schier unendliche Angebot der Waren auf sich wirken zu lassen. Ansehnlich drapierte Warentische, Regale und geschmückte Säulen im Innern erregten ihre Aufmerksamkeit. Meterlange Stoffbahnen in allen Farben ergossen sich über die Tische, Geschirr wurde durch elektrische Lampen ins rechte Licht gerückt, die neueste Mode wurde ansprechend wie auf den Laufstegen von Mailand, Rom und Paris präsentiert. Schuhe, Hüte, Mäntel – alles, was man für das triste Wetter brauchte, wurde hier dargeboten.

Freundlich lächelnde, junge und ausnehmend hübsche Ladenmädchen in schicken dunkelgrünen Kleidern lasen der Kundschaft nahezu jeden Wunsch von den Augen ab. Es musste ein wundervolles Gefühl sein, die Käufer zu bedienen, dachte Emilia. Sie war sicher, dass es nur zufriedene und glückliche Kunden gab. Auch hinter den Kulissen des Tietz, so überlegte sie, war die Welt makellos. Der Kaufhauskönig war bekannt für seine guten Arbeitsbedingungen. Immer wieder war in der Zeitung davon zu lesen, was für ein gütiger Vorstandsdirektor Tietz war.

Zwischenzeitlich war Emilia in der Herrenabteilung angekommen. Dort gab es neben Socken in allen Variationen Beinkleider in sämtlichen Längen, Sockenhalter und Gamaschen. Einen Gang weiter fand sie Mützen und Herrenhüte aus Haar- und Wollfilz, leichte Strohhüte für den Sommer, der hoffentlich nicht mehr allzu lange auf sich warten ließ. Des Weiteren fand man hier Homburger, Trilbys, Melonen, Kreissäge- und Konfirmandenhüte sowie Lodenhüte in vielen Größen und mit unterschiedlichen Kordeln und Hutbändern. Einen Gang weiter eröffnete sich für Emilia eine neue Welt. Auf großen Tischen und in Regalen standen Schuhe in vielen Formen und Farben, es gab sie in breit, elegant und mit modischen Spitzen, es gab klassische Ausführungen in Leder und moderne in Gummi. Der an Mode interessierte Herr fand hier garantiert alles, was er benötigte. Der Kundschaft waren auch hier emsig bedienende Ladenmädchen behilflich. Sie brachten Schuhe in Kartons, halfen bei der Anprobe und berieten bei der Auswahl.

»Ach nee«, vernahm sie plötzlich eine Stimme hinter sich. »Das Fräulein Abel hier im neuen Tietz?«

Emilia wirbelte erschrocken herum und blickte in das überheblich grinsende Gesicht von Rudolf Küppers, ihrem Vorarbeiter in der Schokoladenfabrik. Er trug einen modisch geschnittenen taubengrauen Anzug und einen papierblauen Hut mit dandyhaft schräg sitzender Krempe und einem bunten Hutband. Rudolf Küppers war gut zehn Jahre älter als Emilia und in der Fabrik streng zu seinen Arbeiterinnen. Hinter seinem Rücken tuschelten die Stollwerck-Mädchen schon seit geraumer Zeit, dass er ein wahrer Schürzenjäger wäre – und ein Auge auf Emilia geworfen hätte. Wer ihm gefallen wollte, war seinen Annäherungsversuchen besser nicht abgeneigt, munkelten die Mädchen, die schon länger in der Schokoladenfabrik arbeiteten.

»Und das um diese Zeit.« Mit erhobener Augenbraue warf Küppers einen Blick auf die Taschenuhr. Kannte sie ihn sonst nur im tristen Arbeitskittel und mit schief sitzender Schiebermütze auf dem Kopf, wirkte er heute elegant wie ein Mann von Welt – ungewohnt für Emilia. »Müssten Sie nicht in der Fabrik sein?«

»Ich … also, ich wollte mich …«, stammelte Emilia kleinlaut, denn der Vorwand für ihren freien Tag war ein anderer gewesen als ein Besuch im neuen Tietz.

»Ich nehme an, die Bestattung der Tante hat bereits stattgefunden?« Skeptisch hob Rudolf Küppers wieder eine Augenbraue. »Sie wollten doch nach Wipperfürth, wenn ich mich nicht irre?«

»Ja … ich, also…« Emilia senkte den Blick, als sie spürte, wie ihr das Blut in den Kopf schoss.

»Sie haben mich belogen und etwas vom Tod einer Tante gefaselt.«