Die Zeit der Frauen – Das Versprechen der Zukunft - Susanne von Berg - E-Book
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Die Zeit der Frauen – Das Versprechen der Zukunft E-Book

Susanne von Berg

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Beschreibung

Eine zukunftsweisende Erfindung, die das Leben der Frauen erleichtert.

Das Unternehmen Thiele entwickelt sich prächtig. Und dann haben Katharina und Carl eine weitere, bahnbrechende Idee: Aus der erprobten Milchzentrifuge entwickeln sie die erste Waschmaschine, aber das Patent für die neue Erfindung wird ihnen zunächst nicht erteilt. Katharina setzt alles daran, dass die Thiele-Waschmaschine doch noch gebaut werden kann. Denn sie ist fest davon überzeugt, dass das Gerät das Alltagsleben von Millionen Frauen verändern kann ... 

Die spannende Saga von Erfolgsautorin Susanne von Berg über die Geschichte des bekanntesten deutschen Waschmaschinenherstellers.

 

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Über das Buch

Ida möchte finanziell auf eigenen Füßen stehen. Die Stellenanzeige der Firma Thiele kommt wie gerufen, und sie ist eine der ersten Arbeiterinnen, die in der Produktion des Unternehmens tätig sind. Die Arbeit an der Seite ihres Kollegen Alfons gefällt ihr, doch warum bekommt sie als Frau eigentlich weniger Lohn als die Männer? Sie schließt sich einer Frauenversammlung an, die sich für die Rechte der Arbeiterinnen einsetzt, und hat das Glück, dass Katharina Thiele, die Frau des Firmengründers, auf ihrer Seite steht. Und auch Alfons hält zu ihr, aber kann Ida ihm auch ihr Herz anvertrauen?

Über Susanne von Berg

Susanne von Berg ist das Pseudonym des Schriftstellers Andreas Schmidt, bekannt durch zahlreiche Kriminalromane. Er lebt und arbeitet als freier Autor und Journalist in seiner Heimatstadt Wuppertal.

Im Aufbau Taschenbuch sind die Bände der Kaufhaussaga »Das Kaufhaus – Zeit der Sehnsucht«, »Das Kaufhaus – Zeit der Wünsche« und »Das Kaufhaus – Zeit des Wandels« sowie der erste Band der Alltagswunder-Saga »Die Zeit der Frauen – Eine große Erfindung« lieferbar.

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Susanne von Berg

Die Zeit der Frauen – Das Versprechen der Zukunft

Roman

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Informationen zum Buch

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Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Impressum

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Kapitel 1

Obwohl der Regen der letzten Tage nachgelassen hatte, waren die Wege noch immer aufgeweicht. Bei jedem Schritt, den sie tat, drang ein schmatzendes Geräusch an ihre Ohren. Ein eisiger Herbstwind fegte über das Land, und Ida musste den tiefen Pfützen, die ihren Weg zur Fabrik säumten, ausweichen. Trotz aller Vorsicht hatten sich an den Sohlen ihrer braunen Lederstiefel unansehnliche Ränder gebildet. Sie ärgerte sich, war es doch heute mit etwas Glück ihr erster Tag in der Fabrik von Carl Thiele und Rudolf Zenker. In der Zeitung war Ida auf eine Stellenanzeige aufmerksam geworden. Man suchte technisch versierte Arbeiterinnen, um der steigenden Nachfrage nach Milchzentrifugen vom Typ Satellit und neuen Buttermaschinen gerecht werden zu können. Ida kannte sich zwar nicht mit dem Bau von landwirtschaftlichen Maschinen aus, war aber sicher, alles für die Montage Nötige erlernen zu können.

Die feuchte Kälte war längst unter ihre Kleidung gekrochen. Sie fröstelte trotz des kratzigen Mantels, den ihr ihre Stiefmutter Margot vermacht hatte.

Nun tauchte die Zentrifugenfabrik Thiele & Cie. vor ihr auf. Wie eine Trutzburg ragte der Backsteinbau in den wolkenverhangenen Himmel über Herzebrock. Einst war in dem Gebäude eine Kornmühle untergebracht, doch seit einiger Zeit wurden hier Zentrifugen für die Landwirtschaft hergestellt. Bewundernd, fast ehrfürchtig blieb Ida stehen. Oft schon hatte sie ihr Weg an der Fabrik am Rand von Herzebrock vorbeigeführt. Doch aus nächster Nähe wirkten die Gebäude noch größer und mächtiger. Das Geräusch von Hämmern und Sägen drang aus der Halle an die kalte Herbstluft. Auf dem Hof standen einige Fuhrwerke. Arbeiter, deren lautes Fluchen der Wind nun an Idas Ohren trug, beluden die Wagen. Offenbar herrschte in der Fabrik ein rauer Umgangston, an den sie sich wohl erst noch gewöhnen musste. Doch sie brauchte dringend Geld. Der Winter stand bevor, und sie hatte keine Lust, am Hungertuch nagen zu müssen. Das Geld, das sie geerbt hatte, reichte gerade einmal für ein paar Monatsmieten. Wenn es aufgebraucht war, würde sie die Kammer, in der sie wohnte, verlassen müssen. Von dem Erbe ihrer Stiefmutter hatte sie sich bei Josephine, einem lebensfrohen Mädchen in ihrem Alter, eingemietet. Die Wohnung war klein, feucht und dunkel, doch sie bot ein Dach über dem Kopf und jedes Mädchen hatte eine eigene Kammer – fast schon ein Luxus in diesen schlechten Zeiten. So lebte Ida mehr schlecht als recht in ihrer bescheidenen Bleibe. Nach dem Tod ihrer Stiefmutter war Ida auf sich alleine gestellt. Ihr Vater Johann, ein übler Trinker, hatte schon vor zwei Jahren das Zeitliche gesegnet, ihre Geschwister hatten dem Dorf längst den Rücken gekehrt, um in den Städten ein neues Leben zu beginnen. Ihre Brüder Johann und Paul verdingten sich in Gütersloh als Tagelöhner, während Betty, ihre Schwester, eine Anstellung als Hausmädchen in einem vornehmen Haus in Bielefeld angetreten hatte. Sie alle hatten es nicht für nötig befunden, der Stiefmutter, die es unter der harten Hand ihres Vaters ausgehalten hatte, das letzte Geleit zu geben. Zeit, um Freundschaften zu pflegen, hatte Margot nie gehabt, entsprechend einsam war sie zuletzt gewesen. Und entsprechend überschaubar war die Trauergemeinde gewesen, die den Sarg bis zum Grab begleitet hatte.

Nur Ida hatte Margot bis zum Schluss die Treue gehalten. Unmöglich hätte sie die schwerkranke Frau alleine zurücklassen können, das hätte sie niemals übers Herz gebracht.

Wie gern hätte Ida eine Schneiderlehre angefangen, doch die wenigen Ausbildungsplätze waren heiß begehrt. Jetzt, da Ida für sich alleine sorgen musste, wurde es höchste Zeit, eigenes Geld zu verdienen. Die Schneiderlehre musste warten, jetzt ging es erst einmal darum, das Überleben zu sichern. Da war ihr die Zeitungsanzeige der Zentrifugenfabrik wie gerufen gekommen. Händeringend suchte man Arbeiterinnen. Ida verdrängte die düsteren Gedanken, denn heute war die Zeit für einen Neuanfang gekommen.

Ein Gefühl von Kälte durchrieselte Idas zierlichen Körper. Doch es lag nicht am auffrischenden Wind, sondern an dem Gedanken, dass sie fortan für sich selbst zu sorgen hatte. Sie setzte große Hoffnung darein, eine Anstellung in der Zentrifugenfabrik von Carl Thiele zu bekommen. Einkaufen, dachte sie sehnsüchtig, dann werde ich endlich einkaufen und mir Brot, Käse und Wurst leisten können. Ein verlockender Gedanke, der ihre Zweifel beim Anblick der Fabrik verdrängte. Nun gab es kein Zurück mehr. Ich bin bereit, meinen Weg zu gehen, dachte sie entschlossen, als sie über den unbefestigten Pfad stapfte, der geradewegs zur Fabrik führte. Die missbilligenden Blicke des Kutschers, der sein mit Milchkannen schwer beladenes Fuhrwerk dicht an ihr vorbei lenkte, ignorierte Ida. Entschlossen und mit einem hoffnungsvollen Lächeln auf den Lippen schritt sie durch das große Werktor.

Kapitel 2

Bei allem Respekt, mein lieber Carl, doch bin ich nicht davon überzeugt, dass Frauen Fabrikarbeit verrichten sollten.« Mit der Zeitung unter dem Arm betrat Rudolf Zenker das Büro seines Freundes. Die Annonce der eigenen Firma hatte seine Aufmerksamkeit erregt. Seit der Gründung ihres ersten Unternehmens war Rudolf für den Verkauf, Carl für die Produktion der Molkereimaschinen verantwortlich.

Carl blickte verwundert auf, als sein Geschäftspartner sichtlich aufgewühlt vor seinen Schreibtisch trat. Mit einem Schwung warf er ihm die aufgeschlagene Zeitung auf die Schreibunterlage. Ein wenig erschrocken wich Carl zurück.

»Worum geht es, mein Freund?«, fragte er mit einer erhobenen Augenbraue.

»Darum.« Rudolf tippte mit dem Zeigefinger auf die Stellenanzeige mit dem Logo der Zentrifugenfabrik Thiele & Cie., die sie vor einem Jahr gegründet hatten. Seitdem fertigten sie sehr erfolgreich modernste Milchzentrifugen für die Landwirtschaft. Kurz erinnerte sich Carl an seine Anfänge als Unternehmer. Er war jung gewesen, als er seinen Vater, einen angesehenen Maurermeister aus Herzebrock, auf einen Bauernhof in Clarholz begleitet hatte, um im Auftrag des Landwirts einen neuen Stall für das Milchvieh zu errichten. Beim Aufenthalt auf dem Zumwinkel-Hof hatte er sich prompt in die Tochter des Bauern verliebt. Ein glückliches Lächeln erhellte Carls Gesicht, als er an seine Frau Katharina dachte. Inzwischen waren sie glücklich verheiratet. Doch ermahnte er sich zur Konzentration und warf einen Blick auf die Stellenanzeige, deren Inhalt er natürlich kannte.

»Und?«, fragte Carl. »Was ist so schlimm daran?«

»Warum wusste ich nichts von der Annonce?«

»Sieh es mir nach, Rudolf, aber als Katharina die Anzeige aufgab, warst du auf Handelsreise im Süddeutschen, sonst hätte ich dich davon in Kenntnis gesetzt.« Carl fühlte sich unwohl in seiner Haut. Es lag ihm fern, seinen Kompagnon zu übergehen, geschweige denn, ihn vor vollendete Tatsachen zu stellen, doch die Sache hatte keinen Aufschub geduldet. Die Auftragsbücher der Fabrik waren voll, und die Arbeiter schufteten schon jetzt bis zur Erschöpfung. Einige der Männer waren bereits krankheitsbedingt ausgefallen. Und es war an der Zeit, dass sie von fleißigen Arbeiterinnen Unterstützung erfuhren. Mit schuldbewusster Miene sah er zu seinem Freund und Geschäftspartner auf.

Rudolf dachte einen kurzen Moment nach, dann trat er an das Fenster. Mit hinter dem Rücken verschränkten Armen sah er hinab auf den Hof des ehemaligen Sägewerkes. Ihre Maschinen fanden seit Monaten schon reißenden Absatz, die Nachfrage stieg ständig. Die Fabrik platzte seit geraumer Zeit aus allen Nähten.

Gedämpft drangen die Geräusche der an das Büro angrenzenden Produktionshalle an die Ohren der beiden Männer. Carl Thiele saß selbstbewusst an seinem Schreibtisch und beobachtete seinen Freund und Geschäftspartner nun mit einem nachsichtigen Lächeln. »Vielleicht solltest du dich mit dem Gedanken anfreunden, dass auch Frauen unsere Zentrifugen montieren können.« Er holte tief Luft. »Wir haben die Produktion neu strukturiert – es gibt einzelne Baugruppen, in der Teile vorgefertigt und montiert werden, so dass am Ende der Produktionsstraße die fertige Zentrifuge herauskommt. Dazwischen gibt es immer wieder Arbeitsschritte, die durchaus von Frauen erledigt werden können, Rudolf.«

»Das mag sein.«

»Was stört dich an dem Gedanken, Frauen in der Produktion unserer Maschinen zu beschäftigen?« Carl Thiele erhob sich von seinem Stuhl und durchquerte das Büro, um sich neben seinen Freund ans Fenster zu stellen. Carl betrachtete ihn im Spiegelbild der Scheibe. Sein Kompagnon war von untersetzter Statur, sein Gesicht kantig, der Ansatz seiner inzwischen ergrauten Haare recht hoch, Zenkers Blick war wie immer wachsam.

»Frauen sollen sich um ihre Kinder, den Haushalt und um ihre Männer kümmern«, fand Zenker. »Da ist nicht viel Zeit für die Arbeit in unserer Fabrik, Carl.« Er wandte sich zu Carl um. »Ich würde nicht wollen, dass sich Lina etwas in einer Fabrik hinzuverdient«, ergänzte er.

Den Einwand seines Freundes ließ Carl nicht gelten. »Es ist längst üblich, dass Frauen in der Leder-, der Textil- und der Tabakindustrie arbeiten.« Die Idee, Frauen für leichte Tätigkeiten einzustellen, hatte Katharina gehabt, als sie vor einigen Tagen fieberhaft überlegt hatten, wie sie dem erhöhten Auftragsaufkommen entgegenwirken konnten.

Rudolf betrachtete ihn mit einem zweifelnden Blick. »Welcher Mann wird seiner Frau erlauben, bei uns zwölf Stunden täglich zu arbeiten?«

»Viele Familien brauchen Geld«, entgegnete Carl. »Und bei uns verdienen die Frauen mehr, als wenn sie einer Putz- und Scheuerbeschäftigung nachgingen oder auf dem Feld arbeiten würden.«

»Meiner Lina würde ich es nie gestatten, sich Arbeit in einer Fabrik zu suchen«, wiederholte Rudolf Zenker kopfschüttelnd. Carl musste lachen. Sein Freund war mit der ehemaligen Magd des Hofes verheiratet, auf dem er Katharina kennengelernt hatte. Die beiden Frauen verband eine lange Freundschaft, nur fanden sie in jüngster Vergangenheit kaum Zeit für gemeinsame Unternehmungen, denn Freizeit war ein knappes Gut geworden.

»Du verfügst über ein gutes Einkommen und musst deine Frau nicht arbeiten schicken, um über die Runden zu kommen«, erinnerte er Rudolf mit einem feinsinnigen Lächeln, »doch nicht jeder Familienvater verfügt über einen ausreichenden Verdienst.«

»So betrachtet magst du recht haben«, lenkte Rudolf ein.

»Ich bin sicher, dass Hermann Böker die Arbeiterinnen sehr sorgsam aussuchen wird«, versicherte Carl ihm. »Wenn ich mich nicht täusche, sitzt gerade eine Bewerberin bei ihm.«

Als sich Rudolf zu ihm umsah, entspannten sich seine Gesichtszüge. »Ich bin neugierig auf die Dame.«

Carl machte eine einladende Geste. »Dann komm«, schlug er vor, »schauen wir sie uns an. Vielleicht hilft es, deine Bedenken auszuräumen.«

*

Erschrocken blickte Ida auf, als zwei vornehm gekleidete Herren nach einem energischen Anklopfen und Bökers Herein das kleine Büro betraten. Der Werkleiter, ein hochgewachsener Endfünfziger mit altmodischem Backenbart, nahm den Zwickel von der schmalen Nase und erhob sich von seinem Schreibtisch. Gerade hatte er über Idas Zeugnissen und ihren Bewerbungsunterlagen gebrütet, dabei immer nur eigenartige Geräusche gemacht und ab und an anerkennend genickt. Währenddessen hatte sich Ida neugierig im Büro des Werkleiters umgesehen. Es war spartanisch eingerichtet, das hölzerne Mobiliar einfach und nicht mehr ganz neu. An den Wänden hingen übergroße technische Zeichnungen, die ihr nichts sagten. Das einzige Zierelement im Raum war ein kleiner hölzerner Elefant, der neben den Aktenbergen auf Bökers Schreibtisch thronte. Das Ticken der Wanduhr war für endlose Minuten das einzige Geräusch im Raum.

Hastig strich Böker sich jetzt die graue Schürze glatt und setzte ein verbindliches Lächeln auf. Idas Bewerbungsunterlagen warf er auf den Schreibtisch. »Welch Ehre«, sagte er und erhob sich mit zackigen Bewegungen, um den Neuankömmlingen die Hand zu schütteln. »Herr Thiele«, Böker deutete eine Verbeugung an, »Herr Zenker, schön, Sie zu sehen.«

Idas Herzschlag beschleunigte sich vor Aufregung, als sie realisierte, dass die beiden Firmengründer höchstpersönlich den Raum betreten hatten. Sie wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte, und sprang von dem Besucherstuhl auf, um vor den Herren einen Knicks zu machen. »Sehr erfreut«, sagte sie mit zitternder Stimme und einem ehrfürchtig gesenkten Blick.

»Das Vergnügen ist ganz auf unserer Seite«, versicherte ihr Carl Thiele mit einem freundlichen Lächeln. Er strahlte etwas Warmes, fast Väterliches aus. Sein Kompagnon, Rudolf Zenker, betrachtete sie ein wenig skeptischer, warum, konnte sich Ida nicht erklären.

Carl Thiele räusperte sich. »Sie sind also durch die Stellenanzeige auf uns aufmerksam geworden.«

»So ist es.« Ida nickte mit hochrotem Kopf.

»Sind Sie denn in der Lage, harte Fabrikarbeit zu verrichten?«, fragte Rudolf Zenker. »Bei uns arbeiten fast ausschließlich Männer, der Umgangston ist mitunter etwas rau und manches Wort sicher nicht für die Ohren einer jungen Dame geeignet. Können Sie damit umgehen?« Die Skepsis in seiner Stimme war nicht zu überhören.

»Aber sicher doch«, antwortete Ida hastig. »Ich bin bereit, hart zu arbeiten für mein Geld.« Als sie aufblickte, hielt sie dem Blick des Geschäftsführers stand. »Und mit den Männern werde ich schon fertig«, schob sie rasch hinterher.

»Gut.« Zenkers Gesichtszüge entspannten sich. Offenbar hatte ihm Idas letzter Satz imponiert. Er bedachte Böker mit einem Blick. »Dann überlasse ich die junge Dame Ihnen, Herr Böker. Wenn Sie der Meinung sind, dass sie unseren Anforderungen in der Fabrik gerecht werden kann, geben Sie ihr einen Arbeitsvertrag.«

Ida betrachtete den Werkleiter mit einem bangen Blick, doch Hermann Böker lächelte ihr aufmunternd zu. »Ich denke«, sagte er gedehnt, »dass wir dem Fräulein eine Chance geben sollten.«

Nun räusperte sich Carl Thiele. War er dem Gespräch bisher schweigend gefolgt, so trat er vor und reichte Ida die Hand, die sie unsicher ergriff. Sein Händedruck war fest, der Blick seiner Augen hatte etwas Sympathisches. »Na dann«, sagte er gedehnt, »herzlich willkommen in der Milchzentrifugenfabrik Carl Thiele.«

»Vielen Dank«, sagte Ida erleichtert. Sie konnte kaum glauben, dass sie die Firmenchefs und den Werkleiter von sich überzeugt hatte. Am liebsten wäre sie den gestandenen Männern vor Freude um den Hals gefallen. Jetzt konnte ihr neues Leben beginnen. Überschwänglich bedankte sie sich und konnte ihren ersten Arbeitstag in der Fabrik kaum erwarten.

Kapitel 3

Also gut«, sagte Rudolf, nachdem sie das Büro des Werkleiters verlassen hatten, »geben wir ihr eine Chance.« In der Produktionshalle herrschte reges Treiben. »Ihr und einigen anderen Frauen, die sich auf Katharinas Annonce bewerben.« Männer in blauer Arbeitskleidung waren mit der Montage der Zentrifugen beschäftigt. Hier wurde gesägt, gehämmert und geschmiedet. Es roch nach geschliffenem Holz und Maschinenöl. Als die Arbeiter Rudolf und Carl erblickten, nickten sie ihnen knapp zu und versanken in ihrer Arbeit, ohne von den beiden Firmengründern weiter Notiz zu nehmen. Für Carl war es immer noch ungewohnt, dass er elf Angestellte hatte, die die Arbeit für ihn verrichteten. Er war es gewohnt, selbst mit anzupacken.

»Sie wird ihre Sache gut machen.« Carl war von der jungen Frau, die sich eben vorgestellt hatte, überzeugt. Der Kleidung nach zu urteilen, stammte sie aus ärmlichen Verhältnissen. Trotzdem hatte ihm ihre Art gefallen. Ida schien zu wissen, was sie wollte. »Denk zurück an unsere eigenen Anfänge, Rudolf«, fügte er hinzu. »Wir haben auch ganz klein begonnen, und jetzt ist das hier«, Carl machte eine ausladende Geste und drehte sich einmal um die eigene Achse, »der Lohn unserer Mühen. Wir sind Fabrikanten, und unsere Zentrifugen, Buttermaschinen und Molkereianlagen finden reißenden Absatz.«

»Du bist ein genialer Erfinder, Carl.«

Carl senkte den Blick und nickte. Kurz errötete er. Es war ihm unangenehm, wenn er gelobt wurde. »Und wir brauchen viele fleißige Hände, Rudolf«, antwortete er seinem Freund und Partner.

»Ich sehe es ein«, stimmte Rudolf ihm zu, während er ein gequältes Lächeln aufsetzte. »Also gut, stellen wir zusätzliches Personal ein, um unsere Aufträge fristgerecht abzuwickeln.«

Carl lächelte erleichtert und klopfte Rudolf jovial auf die Schulter. »So gefällst du mir.« Seite an Seite betraten sie Carls Büro. Der Duft nach Akten und Tinte hing schwer in der Luft. Carl trat an das Fenster, um die frische Luft des Herbsttages in den Raum zu lassen. Draußen taumelten die ersten bunten Blätter der Bäume zu Boden. Lange würde es nicht mehr dauern, und die Welt würde ein tristes, graues Kleid tragen. In den Morgenstunden waberten bereits dichte Nebelschwaden über die Felder. Erst jetzt bemerkte Carl, dass sein Freund sich in Schweigen hüllte. Er riss sich vom Blick aus dem Fenster los und wandte sich zu Rudolf um, der auf einem der beiden Besucherstühle vor dem Schreibtisch Platz genommen hatte und ins Nichts stierte. Rudolf wirkte in sich gekehrt. Etwas schien ihn zu bedrücken.

Carl setzte sich an den Schreibtisch und betrachtete den Geschäftspartner nachdenklich. »Was bedrückt dich?« Carl legte die Fingerkuppen beider Hände aneinander.

Rudolf seufzte. »Unser Erfolg spricht eine klare Sprache«, sagte er schließlich. »Wir machen alles richtig, es ist uns gelungen, innerhalb kürzester Zeit einen großen Kundenstamm aufzubauen und …«

»Dein Verdienst«, unterbrach Carl ihn lobend.

»Geschenkt«, nickte Rudolf und deutete ein Lächeln an. »Doch an manchen Tagen frage ich mich, wo unsere Reise hinführen wird – ich meine, was machen wir in ein paar Jahren?«

»Wenn die Nachfrage nach Milchzentrifugen gedeckt ist?« Carl ahnte, worauf sein Freund hinauswollte.

»Richtig.« Rudolf nickte. »Unsere Maschinen sind darauf ausgelegt, viele Jahre zuverlässig zu funktionieren. Wir werden so schnell keine neuen verkaufen können.«

Carl musste schmunzeln. Erst gestern Abend hatte er mit Katharina darüber gesprochen, dass ihm noch viele Ideen im Kopf herumspukten, und sie hatte ihn ermuntert, über eine Erweiterung des Sortiments nachzudenken.

»Ich habe ein paar Ideen, die wir gewinnbringend in die Tat umsetzen könnten«, eröffnete er seinem Freund. »Mit diesen Ideen hätten wir andere Maschinen im Angebot, um unseren Kunden auch weiterhin die Arbeit zu erleichtern.«

»Hervorragend.« Rudolf schien erleichtert aufzuatmen. Er klatschte euphorisch in die Hände. »Worauf warten wir dann noch?«

Es war eine Wohltat für Carl, zu sehen, wie sich die Laune seines Freundes schlagartig besserte. »Ich wollte erst mit dir sprechen, um zu sehen, wo wir ansetzen können.«

»Dann lass uns sprechen, mein Lieber.«

»Bleiben wir in der Landwirtschaft«, schlug Carl vor. Er erinnerte sich daran, wie er seine geliebte Katharina kennengelernt hatte – beim mühsamen Butterstampfen. Ihr Rücken und ihre Schultern hatten von der stundenlangen Belastung geschmerzt. »Was hältst du von einer neuen Buttermaschine?«

Rudolf musste nicht lange nachdenken. »Das klingt hervorragend«, sagte er und klatschte begeistert in die Hände. »Schaffst du es, das Bewährte zu verbessern, damit wir bald ein neues Modell präsentieren können?«

»Du kennst mich«, schmunzelte Carl. »Ich habe mir bereits Gedanken darüber gemacht.«

»Das heißt, es gibt schon Pläne für eine neue Buttermaschine?« Rudolfs Augen wurden groß, als Carl nickte.

»Aber sicher doch. Erste Zeichnungen habe ich schon gemacht. Das alles könnte ich ausarbeiten. Dann würde ich mich an den Bau eines Prototyps machen.«

»Du bist großartig«, rief Rudolf. »Und ich könnte unseren Kunden schon in Kürze ein neues Produkt vorstellen.«

»Eines in der bewährten Thiele-Qualität«, fügte Carl selbstbewusst hinzu. »Wobei auch die Zentrifugen bald schon optimiert werden sollten.«

»Warum das?«

Carl trommelte mit den Fingern auf dem Schreibtisch herum. »Unsere Maschinen sind großartig, und trotzdem gibt es immer Kleinigkeiten zu verbessern.«

»Gibt es Probleme mit den ausgelieferten Maschinen?«, fragte Rudolf besorgt.

»Nein«, erwiderte Carl schnell, »das ist es nicht.«

»Was bewegt dich dann dazu, noch einmal Hand anzulegen?«

»Weil wir Thiele sind, Rudolf. Und besser geht immer.«

»Besser geht immer?« Rudolf runzelte die Stirn. Dann sprang er wie von der Tarantel gestochen auf. Um ein Haar wäre der Stuhl umgekippt, auf dem er gesessen hatte. »Besser geht immer!«, rief er begeistert. »Besser geht immer!«

Carl beobachtete seinen Freund verwundert. »Was ist los mit dir?«, erkundigte er sich. »Geht es dir nicht gut?«

»Doch, es geht mir sogar blendend.« Rudolf winkte unbekümmert ab. »Besser geht immer – das ist ab sofort das Motto unserer Arbeit!«

»Selbstredend«, nickte Carl ein wenig verwundert über die Euphorie seines Freundes. »Das war schon immer so.«

»Das weiß ich, Carl, das weiß ich doch.« Rudolf nickte. »Aber von nun an sollten wir das Motto auch nach draußen tragen.« Er nahm Haltung an. »Besser geht immer – Thiele!« Dann betrachtete er Carl mit fragendem Blick. »Na, was hältst du davon?«

Carl musste nicht lange überlegen, bevor er seinem Freund antwortete. »Das klingt gut, zugegeben.«

»Mehr nicht?« Rudolf machte große Augen.

»Doch, es klingt großartig«, lachte Carl.

»Entschuldige mich bitte, ich habe zu tun.« Rudolf legte zum Gruß zwei Finger an die nicht vorhandene Hutkrempe und marschierte entschlossenen Schrittes zur Tür. Dort angekommen, hielt er noch einmal inne und wandte sich zu Carl um. »Und du machst dir Gedanken über die Maschinen, die unser Repertoire künftig bereichern sollen.« Ohne Carls Antwort abzuwarten, stürmte er aus dem Büro.

»Wird erledigt«, murmelte Carl leise vor sich hin und seufzte. Manchmal wunderte er sich ein wenig über die Eigenheiten seines Geschäftspartners. Doch der Satz besser geht immer ging ihm fortan nicht mehr aus dem Kopf.

Kapitel 4

Ich zeige Ihnen noch Ihren Arbeitsplatz – wenn Sie mögen?« Hermann Böker hatte sich mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen von seinem Platz erhoben.

»Ich kann Ihnen zwanzig Reichsmark pro Woche bezahlen, der Arbeitstag beginnt um sechs Uhr, und er endet zwölf Stunden später. Dazwischen zwanzig Minuten Kaffeepause und eine Stunde Mittagspause. Sie werden zunächst als Handlangerin arbeiten, und sobald ich sehe, dass Sie Ihre Fähigkeiten ausbauen, schauen wir, welche Arbeit ich Ihnen geben kann.« Böker lächelte. »Einverstanden?«

»Einverstanden.« Ida nickte begeistert. Sie war sicher, dass Böker ein herzensguter, wenngleich auch strenger Mann war. Doch sie hatte nicht vor, sich mit ihm anzulegen, und freute sich auf ihre neue Anstellung. Gleich morgen früh um sechs sollte es losgehen.

»Dann kommen Sie.« Böker führte sie zur Tür seines Büros. Als er sie öffnete, drangen die Geräusche aus der Fabrik an ihre Ohren. Idas Herz klopfte wie verrückt, als sie Böker in die Fabrikhalle folgte. Hier wurde gehämmert, gebohrt und geschliffen, der Geruch von Eisen, Holz, frischer Farbe und Öl hing schwer in der Luft. An den Arbeitsplätzen der Männer standen halbfertige Zentrifugen, die auf ihre Endmontage warteten. Das ungleiche Paar wurde von einem knappen Dutzend neugieriger Augenpaare verfolgt. Von der Decke hingen große elektrische Leuchten, die Gänge zwischen den einzelnen Stationen waren gefliest und sauber. Die schmalen Fenster waren jedoch staubblind. Das Licht der Herbstsonne drang nur mühsam in die Halle. Noch immer konnte sie es kaum glauben, dass sie hier nun fortan Tag für Tag arbeiten würde, um für ihren Lebensunterhalt zu sorgen.

Es gab große Maschinen, deren Funktionen Ida noch nicht kannte. Alle wurden über breite und meterlange Transmissionsriemen unter der hohen Decke angetrieben. Ein Surren hing in der Luft, als befände sich ein mächtiger Schwarm wütender Hornissen unter dem Dach der Halle.

Als hinter ihr ein schriller Pfiff ertönte, blieb Ida wie angewurzelt stehen. Sie fuhr auf den Absätzen ihrer Stiefel herum und blickte in das grinsende Gesicht eines jungen Mannes mit zu langen dunkelblonden Haaren und strahlend blauen Augen. Er trug eine blaue Arbeitshose und ein taubengraues, an den Ärmeln hochgekrempeltes Hemd zu schwerem Schuhwerk. Die Schiebermütze auf dem Kopf vermochte kaum, seine dichte Haarpracht zu bändigen. Der Besuch bei einem Frisör war längst überfällig, er machte auf Ida einen verwegenen Eindruck. Lässig kaute er auf einem Streichholz herum und trat näher.

»Wen haben wir denn da?«, fragte der junge Arbeiter. Ida schätzte, dass er kaum älter war als sie, und erregte so die Aufmerksamkeit der anderen Arbeiter, die kurz ihr Schaffen unterbrachen, um Ida nun ebenfalls mit neugierigen Blicken zu betrachten. Sie scherten sich nicht darum, dass sich Ida in der Begleitung des Werkleiters befand.

Das ist meine Feuertaufe, durchzuckte es Ida mit wild klopfendem Herzen. Doch sie hatte nicht vor, sich von dem Jungen in Arbeiterkluft einschüchtern zu lassen. »Wer will das wissen?«, fragte sie stattdessen kokett. Mit einem Seitenblick auf Böker registrierte sie, dass er eine zufriedene Miene aufsetzte.

»Na ich – der Alfons.« Sein Grinsen wurde eine Spur breiter.

»Hast du nichts zu tun?«, fragte Böker ihn mit strengem Blick. Die Hände hatte er auf dem Rücken verschränkt.

»Doch, schon, ich wollte nur …«

»Worauf wartest du dann?«

»Ich wollte …«

»Du solltest dich benehmen in Anwesenheit einer Dame«, ermahnte Hermann Böker den Jungen, der auf der Stelle errötete. Drei, vier Männer lachten wiehernd. Einer trat von hinten an Alfons heran, riss ihm die Mütze vom Kopf und wuschelte ihm durch das dichte Haar.

»Lass das«, zischte der Junge, bückte sich und rollte die Mütze eilig zusammen, um sie hinter dem Rücken zu verstecken. Erst dann galt seine Aufmerksamkeit wieder Ida.

»Haben Sie Dame gesagt?«

Böker schwieg.

Alfons lachte auf. »Wo haben wir denn eine Dame?« Er blickte sich theatralisch suchend um. »Ich kann weit und breit keine sehen, Meister.«

Jetzt sah Ida den Moment gekommen, sich in das Gespräch einzumischen, schließlich ging es um sie. Sie baute sich mit in die Hüften gestemmten Händen vor Alfons auf. »Deine Mutter scheint dir keine Manieren beigebracht zu haben, sonst wärst du wohl kaum so vorlaut.«

Wieder lachten die anderen Arbeiter, allesamt wild aussehende Männer mit unrasierten Gesichtern und buschigen Augenbrauen. Ihre Hände waren so groß wie Bratpfannen. Doch davon ließ Ida sich nicht verunsichern. Sie fixierte Alfons mit ihrem Blick. »Ich werde dir schon noch beibringen, wie man sich zu benehmen hat.«

»Du?« Alfons machte große Augen und schien nicht zu wissen, ob er lachen oder weinen sollte. »Du willst mir Manieren beibringen?«

»Und ob ich das werde.«

»So kann’s gehen, Kleiner«, sagte ein groß gewachsener Arbeiter und hieb Alfons auf die Schulter. »Ich hab dir schon lange gesagt, dass du ein ziemlich loses Mundwerk hast, Terstegen.«

Terstegen, registrierte Ida blitzschnell. Nun kannte sie also auch den Nachnamen des Jungen, dem seine vorlaute Bemerkung offensichtlich peinlich war. Doch es kam ihm offenbar nicht in den Sinn, sich bei Ida zu entschuldigen.

»Damit ist die Angelegenheit geklärt«, schritt Hermann Böker ein. »Und jetzt macht euch an die Arbeit, Männer.« Er klatschte in die Hände. »Sonst kürze ich euch den Lohn, wenn ihr hier durch Nichtstun auffallt.«

Die Arbeiter kamen der Aufforderung umgehend nach und machten sich an den Zentrifugen zu schaffen.

»Und es kann nicht schaden, wenn die junge Dame dir Manieren beibringt«, rief Böker Alfons hinterher. »Hier geht es manchmal hart her«, brummte er an Ida gewandt, und es klang fast entschuldigend.

»Ich werde mich daran gewöhnen«, versicherte Ida, während sie ihm zum großen Tor der Halle folgte. Ein eisiger Wind fegte in die Fabrik. Fröstelnd schlug Ida den Kragen ihres Mantels hoch. Auf dem Hof waren ein paar Männer damit beschäftigt, ein Fuhrwerk mit neuen Zentrifugen zu beladen. Die Pferde scharrten bereits unruhig mit den Hufen, und der Mann auf dem Kutschbock trieb die Arbeiter zur Eile an.

»Wir sehen uns morgen früh um sechs Uhr«, riss Bökers Stimme Ida aus ihren Beobachtungen. Er hielt ihr die Hand hin, Ida ergriff sie und hätte unter seinem festen Händedruck um ein Haar aufgestöhnt. »Dann bereite ich auch den Arbeitsvertrag vor.«

Ida nickte dankbar. »Vielen Dank, Herr Böker.«

»Bis morgen also.« Der Werkleiter wandte sich zum Gehen. Für ihn war alles gesagt. Am großen Tor angekommen, warf Ida noch einen letzten Blick über die Schulter zurück in die Fabrik. Ab Morgen würde sie hier arbeiten, und es fühlte sich alles noch so unwirklich an. Was sie noch wahrnahm, war Alfons Terstegen, der damit beschäftigt war, Metallteile in einem glänzenden Schwarz zu streichen. Für einen Moment trafen sich ihre Blicke. Als Ida bemerkte, dass er lächelte, senkte sie mit roten Wangen den Blick.

*

Spätabends herrschte im Wirtshaus »Zum goldenen Hahn«, das nur einen Steinwurf von der alten Kornmühle entfernt lag, noch ausgelassene Stimmung unter den Männern an der Theke. Wie an fast jedem Abend hatten sie sich nach einem langen Arbeitstag bei Thiele hier eingefunden, um den Tag gemeinsam ausklingen zu lassen.

Das Geschwätz der Männer neben ihm interessierte Alfons Terstegen nicht im Geringsten. Seine allesamt älteren Kollegen philosophierten über das Weltgeschehen und Politik, nichts, was für Alfons von Interesse war. So lenkte sich der Junge ab, indem er Hermann Meyer, den fülligen Wirt, hinter der Theke bei der Arbeit beobachtete. Lustlos polierte Meyer die gespülten Gläser. Er wirkte müde und schien den Moment herbeizusehnen, in dem die Männer die Zeche zahlten. Doch das schien noch eine Weile zu dauern, denn die Arbeiter waren gerade in eine hitzige Diskussion verwickelt. Alfons kannte den Wirt gut genug, um zu wissen, dass er sicher gleich die Sperrstunde verkünden würde, um seine trinkfesten Gäste loszuwerden. Alfons atmete tief durch und hing seinen Gedanken nach.

Die junge Frau, die sich heute in der Fabrik vorgestellt hatte, ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Immer wieder sah er ihr fein geschnittenes Gesicht vor sich aufblitzen. Ihm gefielen nicht nur ihre wunderschönen grauen Augen und die wohlgeformten Lippen, den warmen Klang ihrer Stimme konnte er ebenso wenig vergessen wie ihr kokettes Lächeln, als er sich ihr in den Weg gestellt hatte. Während andere Mädchen eingeschüchtert reagiert hätten, schien sie sich über seine rüpelhafte Art sogar amüsiert zu haben.

»Stimmt doch, Alfons, oder?«

Der Junge zuckte erschrocken zusammen, als er die schwere Hand eines Kollegen auf seiner Schulter spürte. Johannes Tiedtke, ein graumelierter Mann Ende fünfzig mit buschigem Backenbart, betrachtete ihn mit verkniffenem Blick und nahm einen großen Schluck aus seinem Glas. »Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?«

»Ich war kurz abgelenkt«, murmelte Alfons schuldbewusst. »Worum geht es?«

»Um die Weiber«, grölte Karl Deilmeyer, ein vierschrötiger Kerl mit stechendem Blick. »Sie drängen sich überall rein, wo sie nichts zu suchen haben. Bald schon arbeiten sie bei uns in der Zentrifugenfabrik.«

Alfons hatte nichts dagegen, künftig mit Frauen zusammenzuarbeiten, und zuckte die Schultern.

»Fahr doch mal nach Köln oder Berlin, da ist es längst üblich, dass Frauen in Fabriken arbeiten«, meinte Tiedtke.

Deilmeyer winkte ab. »Wir sind aber in Herzebrock und nicht in Berlin.«

»Was hat das damit zu tun?«

»Dass Frauen an den Herd gehören«, fand Deilmeyer. »Sie sollen sich um die Kinder und um den Haushalt kümmern.« Er hob sein Bierglas.

»Und unser Alfons hier«, wieder spürte Alfons die schwere Hand seines Kollegen auf der Schulter, »hat sich prompt von einer neuen Arbeiterin den Kopf verdrehen lassen.« Er lachte polternd und sah Beifall heischend in die Runde.

Alfons fühlte sich ertappt. Er senkte den Blick.

»Unsinn, Tiedtke – er hat ihr hinterhergepfiffen. Und sie hat ihm prompt contra gegeben.« Deilmeyer lachte wiehernd und schlug mit der flachen Hand auf den Tresen. »Ich sag dir was, Alfons, hüte dich vor ihr. Sie hat mehr Haare auf den Zähnen als meine Berta zu Hause.«

»Dann schmeiß deine Berta doch raus«, empfahl Alfons ihm, als er seine gewohnte Schlagfertigkeit wiedergefunden hatte. Die Männer waren schrecklich altmodisch, fand der junge Mann und unterdrückte ein Kopfschütteln.

»Es soll so bleiben, wie es immer schon war, der Mann ist der Ernährer der Familie, Punkt.« Deilmeyer schüttelte den Kopf. »Daran muss nicht gerüttelt werden.«

»Andererseits: Was spricht dagegen, wenn die Frauen arbeiten gehen, um einen Zuverdienst zu erwirtschaften?«, fragte Tiedtke.

»Wenn es ums Geld geht, sollen sie doch Heimarbeit verrichten«, wetterte Deilmeyer. »Sollen sie spinnen oder weben, dann können sie sich um die Kindererziehung und den Haushalt kümmern.«

»Aber wie dem auch sei – unser Jungspund hier«, Tiedtke hieb Alfons so fest auf die Schultern, dass er aufstöhnte, »sieht das alles ganz anders.« Er lachte und sah in die Runde. »Das Mädchen, das sich heute beim Alten vorgestellt hat, scheint Alfons zu gefallen, oder irre ich mich?«

»Sie ist … hübsch«, verteidigte sich Alfons.

Jetzt lachten die anderen laut auf.

Hermann Meyer hatte bemerkt, dass sie es auf Alfons abgesehen hatten und ungeniert über ihn lästerten. »Männer«, rief der Wirt und warf sich das karierte Poliertuch über die breite Schulter, »wo lebt ihr denn? Frauen werden schon bald die Weltherrschaft übernehmen, und ihr stellt euch an, weil sie euch in der Fabrik helfen?« Er schüttelte den Kopf. »Ihr seid schrecklich altmodisch.«

»Das sagst du so«, behauptete Karl Deilmeyer. »Du stehst den ganzen Tag hinter deinem Tresen – die Frau ist in der Küche. Aber bei uns sollen schon morgen Frauen in der Fabrik mitarbeiten. Das kann doch nicht gut gehen!«

»Ich finde es nicht schlimm, wenn Frauen bei uns arbeiten«, mischte sich Alfons jetzt in das Gespräch ein. »Und Ida scheint eine patente junge Frau zu sein, die sich sicher schon bald gut einbringen wird.«

»Hört, hört!«, erwiderte Tiedtke spöttisch. »Da will ich nur hoffen, dass du nicht auf dem Holzweg bist.«

Karl Deilmeyer gab dem Wirt ein Zeichen, sein Glas erneut zu füllen, doch Hermann Meyer schüttelte den Kopf. »Sperrstunde, Männer, heute gibt es nichts mehr.«

Alfons war es recht, dass sich die Männer jetzt über das vermeintlich störrische Verhalten des Wirtes ärgerten, anstatt über die Frauen in der Fabrik herzuziehen. So konnte er sich noch einen Augenblick zu Ida träumen. Schon jetzt freute er sich, sie morgen wiederzusehen.

*

»Das ist ja großartig!« Josephine sprang von der knarrenden Eckbank der Wohnküche auf, nachdem Ida ihr berichtet hatte, dass sie schon am nächsten Tag in der Zentrifugenfabrik Thiele & Cie. anfangen würde. Sie umarmte die ein wenig verdutzte Ida und drückte sie an sich. In der Küche hing der Duft von Kohl, den Josephine am Nachmittag vorbereitet hatte. Im Spülstein stapelte sich das Geschirr, sie hatte Wasser aufgesetzt und wartete im Schein der kleinen Petroleumlampe darauf, dass es kochte. Das Feuer im Ofen verbreitete eine wohlige Wärme.

»Na ja«, erwiderte Ida, »es ist keine Schneiderlehre, aber ich habe eine Anstellung und verdiene Geld für die Miete.«

»Egal – immerhin hast du ein geregeltes Einkommen!« Josephine ließ den Einspruch nicht gelten. »Und wir fliegen nicht aus der Wohnung!«

Ida streifte den dicken Mantel ab und warf ihn über eine Stuhllehne, bevor sie sich setzte. Sie betrachtete ihre Mitbewohnerin nachdenklich. Josephine war einen Kopf kleiner als Ida. Ihr rundliches Gesicht schien immer zu lächeln, was von den mädchenhaften Grübchen und ihren strahlend blauen Augen betont wurde. Die strohblonden Haare hatte sie hinter dem Kopf zu einem Zopf gebunden.

Ida seufzte. »Ich verdiene Geld, aber mit meinem Traum, Schneiderin zu werden, wird es wohl nichts.«

»Ach was.« Josephine machte eine wegwerfende Handbewegung. Ida hatte immer gehofft, dass ihre Mitbewohnerin bei ihrem Lehrherrn ein gutes Wort für sie einlegen konnte, doch Bockmüller, ein etwas verschrobener Schneidermeister alter Schule, hatte ihr stets eine Abfuhr erteilt. Sie nahm den Kessel vom Ofen und bereitete Tee zu. Der Abwasch konnte warten. »Der Alte kann sich nur ein Lehrmädchen leisten«, erklärte sie. »Aber wer sagt denn, dass ich mein bei ihm erlerntes Wissen nicht an dich weitergeben kann?« Sie kicherte. »Wenn du Lust und Zeit hast, zeige ich dir, wie man Kleider näht.«

»Nichts lieber als das.« Ida wirkte erleichtert. »Dann kann ich mich jetzt auch über die Anstellung in der Fabrik freuen.«

»Erzähl, was musst du dort machen?« Josephine kehrte mit der Teekanne und zwei Tassen zum Tisch zurück und sank auf die harte Holzbank am Fenster. Der frisch aufgebrühte Tee duftete.

»Ich helfe bei der Montage der Zentrifugen, übernehme leichtere Arbeiten, muss die Einzelteile mit Farbe anstreichen und schraube Dinge zusammen, von denen ich offen gestanden nicht viel verstehe.«

»Ich bin sicher, du wirst alles schnell lernen und den Arbeitern schon bald etwas vormachen können«, versicherte Josephine ihr, während sie die Tassen füllte.

»Aber es gibt bestimmt Arbeiten, für die ich nicht stark genug bin«, gab Ida zu bedenken.

»Na und?« Josephine winkte ab. »Dafür sind dann die Männer da.« Sie zwinkerte Ida verschwörerisch zu. »Und?«, fragte sie und beugte sich zu ihr über den Tisch. »Wie sind sie?«

»Was meinst du?«

»Na, sind es hübsche Kerle, die dort arbeiten?«

»Geht so.« Ida stellte fest, dass sie während der Führung mit Hermann Böker nicht darauf geachtet hatte, ob die Arbeiter in der Fabrik attraktiv waren. Nur einer war ihr aufgefallen. Alfons. Doch davon musste Josephine nichts wissen. Obwohl die jungen Frauen wie Schwestern waren und kaum Geheimnisse voreinander hatten, so war es Ida unangenehm, ihr von dem Mann zu erzählen, der ihr schöne Augen gemacht hatte.

»Du schwindelst«, stellte Josephine amüsiert fest. Sie pustete in den dampfenden Tee und trank in kleinen Schlucken. »Das sind bestimmt starke Männer, die gut anpacken können.«

»Kann sein.« Ida fühlte sich unwohl und rutschte auf ihrem Platz hin und her. »Also«, wechselte sie schnell das Thema, »du wirst mir zeigen, wie man Kleider näht?«

»Versprochen ist versprochen.« Josephine sprang auf, verschwand in ihrer Kammer und kehrte mit einem großen Korb zurück, den sie auf den Tisch stellte. Unter dem Tuch verbargen sich Näh- und Schneiderutensilien sowie einige Stoffreste. »Hast du schon mal genäht?«

»Klar.« Ida erinnerte sich an ihre Versuche, die sie unter der Anleitung ihrer Mutter unternommen hatte. Wie lange war das her? Damals musste sie noch ein Kind gewesen sein. Doch seitdem hatte sie der Traum, ihre eigene Mode zu kreieren, niemals losgelassen.

»Dann wirst du es jetzt so richtig lernen.«

»Jetzt?« Ida war müde und wollte eigentlich gleich zu Bett gehen, denn am nächsten Morgen musste sie frisch und ausgeschlafen in der Fabrik erscheinen. Doch sie wagte es nicht, der Freundin den Spaß zu nehmen, und ließ sich erklären, worauf es beim Nähen und Schneidern ankam.

*

Im Stadthaus der Familie Thiele brannte trotz später Stunde noch Licht. Gegen Abend hatte Carl ein Feuer im Kamin entfacht, da sich eine kalte Nacht ankündigte. Katharina hatte ihn ins Wohnzimmer begleitet, wo sie es sich vor dem Kamin gemütlich gemacht hatten, um mit einem Glas Spätburgunder in die Flammen zu blicken. Stundenlang hätte Katharina ihn einfach beobachten können, so sehr liebte sie ihren Mann.

Sie saßen beisammen und ließen die Ereignisse des Tages Revue passieren. »Morgen«, erzählte Carl ihr leise, »wird die erste Arbeiterin in der Fabrik anfangen. Sie macht einen recht patenten Eindruck, wie ich finde.«

»Was werden die Männer dazu sagen?«, wollte Katharina wissen. Sie konnte sich gut vorstellen, dass es zu Reibereien führen konnte, wenn Männer und Frauen gemeinsam an den Zentrifugen arbeiteten.

Carl zuckte die Schultern. »Wir werden sehen. Denkst du, dass es Probleme geben wird?«

»Bisher sind Frauen in Männerberufen eher ungewöhnlich«, gab Katharina zu bedenken. »Sie arbeiten als Haushälterinnen oder als Fräulein vom Amt, aber selten in Fabriken.«

»In Zigarrenfabriken und in der Textilindustrie ist das nichts Außergewöhnliches mehr«, erwiderte Carl. »Warum sollte es bei uns nicht funktionieren?«

»Weil sich die Arbeiter erst daran gewöhnen müssen«, meinte Katharina.

»Wir sollten die Zusammenarbeit in den nächsten Tagen aufmerksam beobachten«, schlug Carl vor. »Ich werde Böker bitten, ein Auge darauf zu haben.«

Katharina erhob sich und trat an das Fenster. Die Straße lag verlassen unter ihr. Bei diesem unwirtlichen Wetter hielt sich niemand länger im Freien auf, als es nötig war. Die Nächte wurden immer kälter, und schon bald würde es den ersten Frost geben. Heute Abend hatte sie sogar geglaubt, Schnee riechen zu können. »Der Winter steht bevor«, murmelte sie, ohne den Blick aus dem Fenster abzuwenden.

»Woran denkst du?«

Im Spiegelbild der Scheibe konnte Katharina beobachten, wie er sein Weinglas auf das kleine Beistelltischchen stellte und sich erhob. Carl trat neben sie und sah ebenfalls hinaus in die Nacht.

»Daran, dass wir uns für die Belegschaft auch dann einsetzen müssen, wenn sie krank ist und sich keinen Arzt leisten kann«, sagte Katharina. Sie dachte an ihre lungenkranke Mutter, die auf dem Zumwinkel-Hof oft bis zum Umfallen arbeitete. Seit Langem schon scheute Theresa Zumwinkel die teuren Arztbesuche wie der Teufel das Weihwasser. Vermutlich lag es aber auch daran, dass sie neue Hiobsbotschaften fürchtete. Schnell verdrängte Katharina die düsteren Gedanken. »Viele unserer Leute werden in der kalten Jahreszeit krank werden und ausfallen.«

»Das werden wir nicht verhindern können«, meinte Carl.

»Wir müssen ihnen helfen, ich möchte, dass sie zum Arzt gehen können und Medizin bekommen.«

»Du denkst an eine Art Krankenversicherung für unsere Leute?«

Katharina nickte. »Ja«, sagte sie. »Sie arbeiten von früh bis spät für uns, und ich finde, dass wir verantwortlich für unsere Angestellten sind.«

Carl nickte. »Du bist eine gute Seele.« Ein sanftes Lächeln umspielte seine Mundwinkel. »Ich werde gleich morgen früh mit Rudolf darüber sprechen«, versprach er ihr und legte einen Arm um Katharinas Taille.

Katharina war froh darüber, dass ihr Mann sie ernst nahm und ihre Ideen nach Möglichkeit umsetzte. »Thiele«, sagte sie leise. »Besser geht immer.«

Carl lachte leise. »Das Motto scheint dir zu gefallen.«

»Aber ja, Carl. Wir sollten es für die Reklame nutzen. Bald wird es sich herumsprechen, dass wir alles daransetzen, immer besser zu werden.«

»Und neue Erfindungen auf dem Markt zu etablieren«, ergänzte er.

Katharina drehte sich zu Carl um.

»Hast du etwa schon wieder eine Idee?« Sie liebte es, wenn Carl Dinge erfand, die das Leben erleichterten.

»Aus der Zentrifuge lässt sich viel machen«, antwortete er ein wenig ausweichend. »Und ich bin sicher, dass uns dann der ganz große Siegeszug bevorsteht.«

Katharina dachte wieder an ihre Mutter. »Morgen ist wieder Waschtag auf dem Hof.« Ihre Stimme klang melancholisch, als sie sich an die Plackerei auf dem Zumwinkel-Hof erinnerte. Dort hatten sie sich kennengelernt, als Carl mit seinem Vater gekommen war, um einen neuen Stall zu bauen. Vom ersten Augenblick an hatte er sich interessiert gezeigt an den Arbeiten, die auf einem Hof anfielen. Sie erinnerte sich noch gut daran, wie technikbegeistert Carl schon damals gewesen war. Gemeinsam hatten sie in einem Schuppen auf dem Hof die erste Milchzentrifuge konstruiert, die ihr Vater Bernhard voller Stolz Freunden und Geschäftspartnern präsentiert hatte. Sogar der Oberpräsident der Provinz Westfalen war aus Münster angereist, um sich von der Arbeitsweise der Zentrifuge zu überzeugen. Seitdem setzte sich der Politiker für die Fabrik ein. Katharina wusste, dass er sogar mit dem Kaiser darüber gesprochen hatte, der ihnen sämtliche Unterstützung zugesichert hatte.

Carl hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. Er schien bemerkt zu haben, dass sie in Gedanken versunken war. »Wie geht es deiner Mutter?«

»Sie wird nicht mehr gesund, aber das ist ja nichts Neues. Ich denke, dass sie Vater immer weniger zur Hand gehen kann, denn die Krankheit schreitet voran.«

»Und der Waschtag bedeutet immer eine Qual für sie.« Carl nickte. »Wir müssen ihr helfen.«

»Aber wie?«

»Fahr nach Clarholz und unterstütze sie«, schlug Carl vor. »Und ich mache mir Gedanken, wie ich deinen Eltern helfen kann.«

»Mit einer neuen Erfindung?« Der Ansatz eines hoffnungsvollen Lächelns erwärmte Katharinas Gesicht.

»Womöglich, ja.«

»Was hast du vor, Carl Thiele?« Katharina wandte sich ihm zu und versuchte, in seiner Miene zu lesen. »Du planst doch etwas.«

Er deutete ein Nicken an. »Ich habe dich auf dem Hof beobachtet, und dabei ist mir aufgefallen, wie anstrengend der Waschtag ist.«

»Worauf willst du hinaus?«

»Meine Idee ist noch nicht ausgereift.«

Katharina strahlte. »Dann baust du eine Waschmaschine?«

Er zuckte die Schultern. »Das klingt nach einer guten Idee.«

»Ist es, Carl, das ist es. Mit einer Maschine, die den Frauen das Waschen abnimmt, würdest du vieles verbessern können.«

Nun musste Carl lachen. »Du bist gut«, sagte er. »Ich habe die Maschine noch nicht einmal entwickelt, und du weißt schon, wie sie heißen wird.«

»Also wirst du eine Waschmaschine bauen?«

»Es war deine Idee.«

»Das ist nicht die Antwort auf meine Frage«, rügte sie ihn in spielerischer Empörung. »Sag schon!«

»Ja«, nickte er, »ich könnte mir vorstellen, eine solche Maschine zu entwickeln. Ob meine Bemühungen allerdings von Erfolg gekrönt sein werden, lässt sich noch nicht sagen.«

»Ich bin sicher, dass du es schaffen wirst«, versicherte Katharina ihm mit vor Aufregung glühenden Wangen. »Hast du bereits Zeichnungen angefertigt?«

Er schüttelte den Kopf. »Du hast mich gerade erst auf die Idee gebracht, eine … Waschmaschine«, er sprach das Wort langsam und wohlbetont aus, »zu erfinden.«

»Na also«, sagte Katharina und klatschte in die Hände. »Worauf wartest du dann noch?«

Carl kehrte zu seinem Sessel zurück, nahm das langstielige Weinglas in die Hand und nippte daran. »Meinst du denn, dass wir mit einer Waschmaschine erfolgreich sein könnten?«

»Natürlich könnten wir das, Carl.« Katharina nickte. Eine Waschmaschine wäre grandios, denn Frauen auf der ganzen Welt wären froh, wenn die leidigen Waschtage endlich der Vergangenheit angehören würden.

»Worauf wartest du noch?«, drängte Katharina ihn. »Sprich mit Rudolf und frag ihn, was er von unserer Idee hält.«

»Wir haben gestern noch über die neue Buttermaschine gesprochen«, lächelte Carl. »Eins nach dem anderen? Beides zur gleichen Zeit?«

Katharinas Herz klopfte schneller vor Aufregung. »Ich bin sicher, dass die Welt darauf gewartet hat, Carl.« Sie setzte sich zu ihm auf die Sessellehne und legte einen Arm um ihn. »Und wenn ihr jetzt Frauen einstellt, können die auch gleich helfen. Und denk an die Krankenversicherung für die Belegschaft und …«

»Pssst«, machte Carl mit einem spitzbübischen Lächeln auf den Lippen. »Ich muss meine Gedanken ordnen.«