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Das Zeitalter der Maschinen und die Kraft der Frauen.
Katharina und Carl können selbst nicht glauben, was sie schon alles erreicht haben. Ihre Thiele-Waschmaschinen sind echte Verkaufsschlager geworden. Die Geräte bringen ungeahnte Arbeitserleichterungen für die Frauen und sind auch in der Hotellerie sehr gefragt. Doch dann fürchten die Arbeiterinnen im Hotel Adlon um ihre Arbeitsplätze, und Katharina muss nach Berlin reisen …
Die spannende Saga von Erfolgsautorin Susanne von Berg über die Geschichte des bekanntesten deutschen Waschmaschinenherstellers.
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Seitenzahl: 318
Katharina könnte nicht glücklicher sein. Endlich kündigt sich der ersehnte Familienzuwachs an, und die Firma entwickelt sich weiterhin Erfolgversprechend. Vor Jahren hatte sie Carl auf die Idee gebracht, ein eigenes Automobil zu konstruieren. Ist nun die Zeit reif für den Thiele-Kraftwagen? Der Fortschritt macht jedenfalls auch vor der Thiele-Waschmaschine nicht halt. Das neue Modell verfügt über einen Elektroantrieb und bedeutet so eine weitere Arbeitserleichterung für die Frauen. Doch auch wenn der Einsatz der Maschinen nicht von allen begrüßt wird, ist Katharina überzeugt davon, dass die Waschmaschinen das Alltagsleben von Millionen Frauen verändern können.
Susanne von Berg ist das Pseudonym des Schriftstellers Andreas Schmidt, bekannt durch zahlreiche Kriminalromane. Er lebt und arbeitet als freier Autor und Journalist in seiner Heimatstadt Wuppertal.
Im Aufbau Taschenbuch sind die Bände der Kaufhaussaga »Das Kaufhaus – Zeit der Sehnsucht«, »Das Kaufhaus – Zeit der Wünsche« und »Das Kaufhaus – Zeit des Wandels« sowie die ersten beiden Bände der Alltagswunder-Saga »Die Zeit der Frauen – Eine große Erfindung« und »Die Zeit der Frauen – Das Versprechen der Zukunft« lieferbar.
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Susanne von Berg
Die Zeit der Frauen – Die Jahre des Aufbruchs
Roman
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Inhaltsverzeichnis
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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Impressum
Wer von dieser Familiensaga begeistert ist, liest auch ...
Amelie horchte auf, als sie das Knarren des alten Handkar-rens auf dem Straßenpflaster hörte. Hoffentlich hatte der Postbote heute einen Brief für sie!
Amelie warf das grün-weiß karierte Tischtuch auf den Spülstein und eilte zum Küchenfenster. Ihre Ohren hatten sie nicht getäuscht. In diesem Augenblick schob Postbote Arthur Willems seinen Handkarren, der mit schwerer Paketpost beladen war, vor das Haus.
»Guten Morgen!« Fröhlich winkte Amelie dem Briefträger zu.
»Guten Tag, Fräulein Amelie.« Willems stellte den Karren ab und drückte stöhnend den Rücken durch. Der arme Kerl ging sicher längst auf die sechzig zu. Trotzdem schickte ihn sein Amtsvorsteher immer noch bei Wind und Wetter los, um die Post zuzustellen. Arthur Willems schob die Mütze seiner Uniform weit in den Nacken, zupfte ein Taschentuch aus der Tasche und tupfte sich damit den Schweiß von der Stirn. »Die Sonne brennt schon ganz ordentlich.«
»Das ist doch schön«, erwiderte Amelie und atmete tief durch. Der Duft von Früchten und Blüten hing in der Luft. Es war ein herrlicher Tag.
»Für mich leider nicht«, entgegnete der Postbote kopfschüttelnd. Er strich sich die taubengraue Jacke der Postuniform zurecht. Die großen silbernen Knöpfe glänzten im Sonnenlicht. Er trat einen Schritt zur Seite, als sich ein mit Milchkannen beladenes Fuhrwerk näherte. Das Klappern der Hufe hallte durch die Straße. »Die Arbeit«, fuhr Willems fort, »wird von Tag zu Tag schwerer.« Dann schenkte er Amelie ein Lächeln und öffnete seine abgewetzte lederne Umhängetasche. »Heute habe ich einen Brief für dich.«
»Na endlich!«
»Endlich?« Fragend hob Willems eine Augenbraue. »Seit ich dich kenne, bekommst du höchstens die ein oder andere Postkarte, die Freundinnen aus der Sommerfrische schicken, um …«
»Um mich neidisch zu machen?« Amelie musste lachen. Tatsächlich war sie noch nie in die Sommerfrische gefahren. Dafür hatte bislang immer das Geld gefehlt. Und einen richtigen Brief hatte sie genau genommen noch nie erhalten.
»Mach es nicht so spannend, Arthur, her mit dem Brief!« In gespannter Erwartung trommelte Amelie mit den Fingern auf das Fensterbrett.
»Na, na«, erwiderte der Postbote schnaufend. »Mal langsam mit den jungen Pferden.« Umständlich öffnete er die Schnallen seiner Umhängetasche und blätterte in dem Stapel Post. Dann erhellte sich seine Miene, und er zog einen Briefumschlag hervor. »Hier«, sagte er und trat auf sie zu, »hier ist er.« Er überflog die Anschrift. »Fräulein Amelie Wadersloh.«
»Arthur, bitte!«, flehte Amelie. »Komm schon!«
»Ja, ja, man wird ja noch kontrollieren dürfen, ob man auch die richtige Post übergibt.« Nun studierte Willems die Rückseite des Kuverts, auf dem der Absender vermerkt war. Erstaunt hob er die Augenbrauen. »Der kommt von Familie Thiele. Kennst du die näher?«
»Noch nicht«, feixte Amelie kopfschüttelnd. »Aber ich hoffe, dass sich das bald ändern wird.« Sie streckte die Hand aus und entwand dem verdutzten Postboten den Brief.
*
»Du solltest einen Arzt aufsuchen.« Mit besorgter Miene trat Carl hinter seine Frau. Katharina betrachtete sich im Spiegel des Badezimmers. Sie war kreidebleich und spürte noch immer das flaue Gefühl in der Magengegend. Seit einigen Tagen plagte sie aufkommende Übelkeit in den Morgenstunden. So auch heute. Sie hatte keine Erklärung dafür, denn abgesehen von den morgendlichen Beschwerden fühlte sie sich gesund.
Liebevoll legte Carl seine Hände um ihre Taille. »Vielleicht hast du recht«, nickte sie und schmiegte sich an ihn. Es tat gut, seine Nähe zu spüren. Gleich nach dem Frühstück war ihr schlecht geworden. Sie fragte sich, ob das an dem Malzkaffee lag, den Frieda serviert hatte.
»Bitte fahr zu Doktor Wallenstein«, insistierte Carl hartnäckig. Katharina wusste, dass die Männer seit einigen Jahren befreundet waren.
»Er soll dich gründlich untersuchen – ich möchte, dass es dir schnell besser geht, Liebes«, hauchte Carl ihr ins Ohr.
»Einverstanden.« Katharina nickte. Eine Krankheit konnte sie jetzt nicht gebrauchen. Mit viel Herzblut kümmerte sie sich in der Firma um die Werbung. Carl arbeitete an der Weiterentwicklung der Thiele-Waschmaschine, und sobald es dazu Neuigkeiten gab, musste dafür Reklame gemacht werden. Schließlich wollten sie viele Käufer gewinnen.
»Meinst du, du kommst jetzt ohne mich zurecht?«, fragte Carl besorgt.
Katharina nickte. Ihr ging es keineswegs besser, aber sie wollte ihren Mann nicht unnötig beunruhigen.
»Ich muss jetzt los, Liebes. Gleich kommt ein Lieferant, mit dem ich einige Dinge besprechen muss.«
»Natürlich, Carl.« Katharina half ihm in das graue Tweed-Sakko mit dem Fischgrätenmuster, das hervorragend zu seiner Weste und der Hose passte. Der Stehkragen seines Hemdes war frisch gebleicht und bildete einen leuchtenden Kontrast zum Dreiteiler. Katharina stellte sich auf die Zehenspitzen und zupfte seine Fliege zurecht. »Dann los mit dir. Franz wartet sicher schon.« Sie hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.
Carl warf einen Blick auf die Taschenuhr, dann klappte er das bronzefarbene Gehäuse zu und ließ es an der Kette zurück in die Jackentasche gleiten. »Ich werde dir die Kutsche zurückschicken, damit du zum Arzt kommst. Franz soll vorsichtig fahren.«
»Das tut er doch immer.« Katharina begleitete Carl zur Tür. »Bis später, Geliebter.«
Tatsächlich stand die elegante schwarz glänzende Kutsche bereits in der Einfahrt. Die beiden Pferde schnaubten ungeduldig. Carl hatte die Kutsche vom Wagenbauer mit einem Speziallack behandeln lassen, ähnlich dem, der für Klaviere verwendet wurde. So glänzte der Wagenkasten in der Morgensonne, als hätte man ihn mit einer Speckschwarte eingerieben. Katharina lehnte im Türrahmen und beobachtete die Vorgänge draußen.
Franz, seines Zeichens Kutscher, Knecht und Gärtner in Personalunion, wartete geduldig vor dem prächtigen Fuhrwerk des Fabrikanten. Als Carl sich näherte, salutierte er auf militärische Weise und begrüße ihn formvollendet.
»Guten Morgen, gnädiger Herr.«
»Guten Morgen, Franz«, erwiderte Carl freundlich. »Dann wollen wir mal wieder.«
»Jawohl, gnädiger Herr.«
Franz öffnete die Seitentür der Kutsche.
Carl blieb am Trittbrett stehen, um sich zu Katharina umzuwenden. Er lächelte und hauchte ihr einen Kuss zu.
Katharinas Herz vollführte einen Freudensprung. Sie erwiderte den Luftkuss und sprach leise ein Ich liebe dich, während sie zusah, wie ihr Mann in die Kutsche stieg. Franz trat an den Wagen und drückte die kleine Holztür ins Schloss. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass sie geschlossen war, erklomm er mit elegantem Schwung den Kutschbock und nahm die Zügel in die Hand.
Brav setzten sich die beiden Pferde in Bewegung. Die Wagenräder knirschten auf dem Kies der Einfahrt. Carl beugte sich durch das kleine Fenster heraus, um Katharina zum Abschied zu winken.
Sie winkte ebenfalls und sah dem prächtigen Fuhrwerk nach, das den parkähnlichen Garten, der die Villa umgab, über die Zufahrt verließ. Bald schon verebbte das Trappeln der Hufe in der Ferne und Ruhe kehrte ein im Villenviertel.
Katharina drückte die schwere Haustür ins Schloss. Höchste Zeit, sich fertig zu machen. Sie hoffte, dass sie beim Arzt nicht allzu lange warten musste.
*
Amelies Finger zitterten vor Aufregung, als sie das Kuvert mit dem Zeigefinger aufriss und den handgeschriebenen Brief entnahm.
»Sehr geehrtes Fräulein Amelie«, stand dort in geschwungenen Lettern, »mit großem Interesse haben wir Ihre Bewerbung gelesen. Gern würden wir Sie persönlich kennenlernen. Aus diesem Grunde bitten wir Sie zu einer Vorstellung in unserem Hause am morgigen Tag gegen zwei Uhr nachmittags. Entsprechende Zeugnisse bitten wir mitzubringen. Hochachtungsvoll grüßt Sie Katharina Thiele.«
Ein spitzer Freudenschrei kam über Amelies Lippen. Vor lauter Aufregung las sie sich den Brief gleich drei Mal hintereinander durch.
»Sie wollen mich kennenlernen!«, rief sie, sprang von der hölzernen Bank auf und tanzte ausgelassen durch die Küche. Für den Augenblick vergaß sie die Arbeit und gab sich den Gedanken hin, die durch ihren Kopf wirbelten. Plötzlich erstarrte sie. Erneut warf sie einen Blick auf die Einladung von Katharina Thiele. »Morgen«, stand darin. Dahinter hatte die Absenderin ein Datum gesetzt. Amelie stutzte. »Oh nein«, rief sie erschrocken auf. »Das ist nicht morgen, das ist ja schon … heute!«
Als Katharina aus der vornehmen Kutsche stieg, stand sie vor dem imposanten Panorama einer eigenen kleinen Stadt am Rand von Gütersloh. Eingerahmt von der Zufahrtsstraße und den Bahngleisen am anderen Ende des Werksgeländes erstreckte sich die Fabrik ihres Gatten, die unzähligen Männern und Frauen Arbeit gab. Hier wurden Buttermaschinen, Zentrifugen und Waschmaschinen hergestellt und nahezu in die ganze Welt verschickt. Die großen Hallen standen in Reih und Glied und erinnerten an ein überdimensionales Schachbrettmuster. Ein seichter Wind strich über die Ausläufer des Teutoburger Waldes und trug den Fabriklärm an Katharinas Ohren. Das stolze Bürogebäude mit seinem Walmdach und der strahlend weißen Fassade verlieh dem Gesamtbild einen Hauch von schlichter Eleganz.
Dort, im größten Raum, arbeitete ihr geliebter Carl. Sicher wäre er überrascht über ihren ungeplanten Besuch, ganz zu schweigen von dem Anlass, der sie zu ihm führte. Katharinas Herz vollführte einen Freudensprung, als sie an die Nachricht dachte, die sie ihm gleich überbringen würde.
Nach ihrem Besuch bei Doktor Wallenstein hatte sie Franz gebeten, sie zur Fabrik zu bringen. Es gab viel zu erzählen, und sie konnte unmöglich bis heute Abend warten, um ihre Neuigkeiten loszuwerden.
Doch ihre Vorfreude auf das Wiedersehen mit Carl erhielt einen Dämpfer, als sie gut ein Dutzend Frauen erblickte, die sich vor dem Werkstor versammelt hatten. Sie wirkten aufgebracht, riefen Parolen und schwangen die Fäuste.
Solche Bilder kannte Katharina noch von den Frauenversammlungen, die es vor einigen Jahren gegeben hatte. Seinerzeit hatten sich Frauen erstmals zusammengeschlossen, um für ihre Rechte und Interessen zu kämpfen.
Als sie jetzt die aufgebrachte Menge beobachtete, ahnte Katharina, dass die Protestierenden nichts Gutes im Schilde führten.
»Weg mit Thiele, weg mit den Maschinen!«, drangen ihre Sprechchöre an Katharinas Ohren.
»Kann ich euch helfen?«, rief Katharina ihnen zu. Die Menge verstummte und blickte zu Katharina hinüber.
»Brauchen Sie Hilfe, gnädige Frau?«, raunte Franz ihr zu, der mit finsterem Blick hinter sie getreten war.
»Nein danke, Franz, ich komme zurecht.« Katharina musterte die Frauen am Tor. Ihre Kleidung war einfach, die Mienen drückten Entschlossenheit aus.
»Wer sind Sie?«, fragte eine untersetzte Frau. Sie trug eine vergilbte Schürze über dem taubengrauen Arbeitskleid, ein Kopftuch bedeckte ihr Haar.
»Mein Name ist Katharina Thiele.«
Unter den Frauen wurde getuschelt. Während Katharina sich ihnen furchtlos näherte, wurde sie kritisch beäugt. »Und ich frage mich, was euer Aufstand hier soll.«
»Wir demonstrieren.«
»Das sehe ich.« Sie rang sich ein Lächeln ab. »Darf ich wissen, wofür – oder besser, wogegen?«
»Gegen das Teufelswerk.« Einige der Weiber deuteten auf die Fabrik. Katharina wusste, wovon sie sprachen. »Ihr habt Angst vor unseren Waschmaschinen?«
»Nicht vor den Maschinen.« Die Sprecherin der Demonstrantinnen schüttelte den Kopf. »Aber vor dem, was sie mit sich bringen, wenn das so weitergeht.«
»Was weitergeht?« Katharina zog fragend eine Augenbraue hoch.
»Der Siegeszug dieser … Waschmaschine.« Eine andere, ausgemergelt wirkende Frau mit strohblonden Haaren trat vor. »Bald hat jedes vornehme Haus so ein Ding, und dann werden wir überflüssig sein. Wir sind Haushälterinnen und für die Wäsche unserer Herrschaften zuständig. Sie bezahlen uns dafür, dass wir an den Waschtagen von früh bis spät für sie da sind. Und wenn es keine Waschtage mehr gibt, dann werden viele von uns in der Gosse landen.«
»Seien Sie auf der Hut, gnädige Frau«, warnte Franz im Hintergrund. Es tat Katharina gut, den großen Mann im Rücken zu wissen. Sie war sicher, dass er sie verteidigen würde, sollte das nötig werden.
»Das bin ich«, flüsterte sie, ohne sich zu dem treuen Kutscher umzudrehen. Dann richtete sie das Wort wieder an die Frauen. »So stimmt das nicht«, rief sie. »Die Waschmaschine erleichtert euch die Arbeit. Ihr habt deshalb weniger gesundheitliche Probleme und könnt euch anderen Aufgaben im Haushalt widmen.«
»Erzählen Sie das mal unseren Herrschaften«, forderte eine junge Frau. Sie war höchstens zwanzig Jahre alt, schlank und blass. »Die feuern uns, weil diese Waschmaschine unsere Arbeit macht. Niemand wird mehr Waschfrauen brauchen.« In der Gruppe brandete ein zustimmendes Raunen auf.
Katharina dachte nach, ob die Sorge der armen Frauen gerechtfertigt war. »Unsere Waschmaschinen sind eine wertvolle Hilfe im Alltag, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und ich wage, zu bezweifeln, dass eure Herrschaften ihre Wäsche nun selbst waschen, nur weil sie eine Thiele-Waschmaschine gekauft haben.«
»Sie nehmen uns die Arbeit weg«, behauptete eine junge Frau mit Sommersprossen.
»Das stimmt so nicht.« Katharina schüttelte entschieden den Kopf. »Wie oft musstet ihr früher tagelang in der Waschküche stehen oder die Wäsche körbeweise ins Waschhaus schleppen, um dort den Wasserkessel zu heizen, die Kleidung einzuweichen und mühsam im Wasser zu bewegen? Nicht zu vergessen die Schufterei am Waschbrett.«
Kurz herrschte Schweigen unter den Frauen. Sie sahen sich mit betroffenen Mienen an. »Und warum verlieren viele von uns dann ihre Arbeit?«, wagte schließlich eine der Älteren zu entgegnen.
»Das hat nichts mit unserer Waschmaschine zu tun«, antwortete Katharina in sachlichem Ton. »Wir erleichtern euch die Arbeit, wir nehmen sie euch doch nicht weg!« Katharina ahnte, was die Waschweiber so aufbrachte: Vor wenigen Wochen hatten ihr Mann Carl und sein Partner Rudolf Zenker ein neues Projekt unter dem Arbeitstitel »Kraftwaschmaschine« vorgestellt. Dabei handelte es sich um die technische Weiterentwicklung der guten alten Waschmaschine vom Typ Hera, die mit der zunehmenden Elektrifizierung in den Städten mithalten sollte. Es gab verschiedene Ideen, den Frauen die Arbeit mit der Waschmaschine zu erleichtern, wenn man sie in irgendeiner Weise elektrisch betreiben konnte. Doch noch war es nicht so weit, und davon konnten die aufgebrachten Frauen nicht reden.
»Ihr könnt, während die neuen Waschmaschinen ihre Arbeit verrichten, andere Dinge im Haus erledigen, also beschwert euch nicht!«
Unsicherheit breitete sich unter den Frauen aus. Sie tuschelten miteinander, bedachten Katharina und Franz, der nach wie vor schweigend hinter Katharina stand, mit argwöhnischen Blicken, dann zogen sie sich ein wenig kleinlaut zurück.
»Wir kommen wieder«, rief eine, dann wurde auch sie am Schürzenzipfel mitgezogen.
Katharina war, als würde ihr ein Stein vom Herzen fallen. Sie sah den Waschweibern nach, dann wandte sie sich an den Kutscher. »Na«, sagte sie erleichtert. »Wie habe ich das gemacht?«
»Sie waren großartig, gnädige Frau.« Franz grinste breit. »Wenn ich noch etwas für Sie tun kann …«
»Vielen Dank, ich komme allein zurecht.« Katharina schüttelte den Kopf. Jetzt stand dem Besuch bei Carl nichts mehr im Wege. Sie war gespannt, ob er etwas von dem Tumult vor dem Werkstor mitbekommen hatte.
*
»O mein Gott, was ziehe ich nur an?« Amelie war aufgeregt und warf ihrem Vater einen fragenden Blick zu. Wie so oft war Hermann Wadersloh zur Mittagspause nach Hause gekommen. Amelie war als älteste Tochter mit den Arbeiten im Haushalt betraut und erwartete ihn bereits am gedeckten Tisch. Auf dem Herd köchelte die Kartoffelsuppe, die sie heute schon zum dritten Mal aufwärmte, wieder verlängert mit Wasser, dazu ein paar Kräuter und Gewürze. Um täglich neues Essen zuzubereiten, fehlte das Geld. Seitdem ihre Mutter im letzten Jahr gestorben war, kam der Vater ganz allein für die sechs Kinder auf. Er schuftete von früh bis spät, um Geld für Lebensmittel und die Miete der kleinen Wohnung zu verdienen. Doch in letzter Zeit schien er gealtert zu sein. Die Schufterei ging nicht spurlos an ihm vorbei, und sicher war er noch lange nicht über den Tod seiner geliebten Frau hinweggekommen.
»Zieh dein weißes Sonntagskleid an«, schlug Hermann vor, während Amelie ihm mit der großen Kelle den Teller füllte. An den Rand legte sie ein Stück frisch gebackenes Brot, dazu reichte sie ihm ein Glas Wasser. Sie selbst verspürte keinen Hunger – viel zu groß war die Aufregung vor dem Besuch in der Villa Thiele.
»Meinst du?«
»Sicher.« Hermann löffelte seine Suppe, er schlürfte und beäugte seine Tochter nachdenklich. »Wichtiger ist, dass du dich dort zu benehmen weißt.«
»Das kann ich«, versicherte Amelie ihm.
»Und es handelt sich tatsächlich um diese Familie Thiele?«
»Selbstredend. Sie suchen händeringend nach einer Erzieherin.«
»Nach einer … Erzieherin?« Die Augen ihres Vaters wurden groß. Er legte den Löffel zur Seite. »Kind, du bist keine Erzieherin.«
»Das … das weiß ich doch, aber ich traue mir zu, Kinder zu erziehen. Und sobald das möglich ist, werde ich eine Lehre machen.«
»Die Reihenfolge gefällt mir nicht«, brummte Hermann kopfschüttelnd. »Erst macht man eine Lehre, man lernt viel in Theorie und Praxis, und am Ende der Lehrzeit steht ein Gesellenbrief. Das ist im Handwerk so üblich, und bei Erzieherinnen verhält es sich wohl nicht anders.« Er seufzte. »Ich fürchte, sie werden dich nicht einstellen, Kind.«
»Aber ich möchte endlich arbeiten.« Amelie sank auf die Eckbank. Traurig betrachtete sie ihren Vater. Seine Hände waren groß wie Unterteller und konnten kräftig zupacken. Doch jetzt ruhten sie auf dem Tisch.
»Dein Essen wird kalt.«
»Macht nichts.« Hermann Wadersloh seufzte bedeutungsvoll. »Kind, seitdem deine Mutter gestorben ist, habe ich alle Hände voll zu tun, um uns über die Runden zu bringen. Und ich bin dir sehr dankbar dafür, dass du mir den Haushalt führst.« Er rang sich ein Lächeln ab. »Und, um ehrlich zu sein: Du hast hier genügend Arbeit und eigentlich gar keine Zeit für eine Lehre als Erzieherin oder Gouvernante.
»Das ist eben das Problem«, erwiderte Amelie. »Aber ich bin siebzehn und muss langsam zusehen, dass aus mir etwas wird. Etwas anderes als eine Mamsell im eigenen Haushalt. Verstehst du das, Vater?«
Er sah sie schweigend an. »Natürlich«, sagte er leise und aß weiter. Mit regungsloser Miene stierte er in die Kartoffelsuppe. »Natürlich verstehe ich das, Kind.« Er sah sie an. »Du musst sehen, dass etwas aus dir wird, und dabei darfst du keine Rücksicht auf mich nehmen.«
Ist das wirklich wahr?« Carl strahlte über das ganze Gesicht, nachdem Katharina ihm mit rot glühenden Wangen die frohe Botschaft überbracht hatte. Er sprang von seinem gepolsterten Bürostuhl auf und umrundete den wuchtigen Schreibtisch. Katharina hatte es vorgezogen, stehen zu bleiben.
»Ja, Carl«, antwortete sie mit Herzklopfen. »Wir bekommen unser zweites Kind.« Am liebsten hätte sie sich gekniffen, denn so ganz begriffen hatte sie die Neuigkeit selbst noch nicht. Nach einer gründlichen Untersuchung durch Doktor Wallenstein stand nun fest, dass sie nicht an einer schweren Magenverstimmung litt. Die Einnahme einer Medizin war auch nicht vonnöten. Mit einem väterlichen Lächeln auf den Lippen hatte Doktor Wallenstein ihr gratuliert.
»Carl junior bekommt ein Geschwisterchen«, erklärte sie gerührt. »Bald ist er nicht mehr allein.« Margarete war gespannt darauf, wie ihr Erstgeborener auf die Neuigkeit reagieren würde. Sicher würde er sich freuen, denn schon seit Langem wünschte er sich einen kleinen Bruder. Ob es allerdings ein Junge oder ein Mädchen werden würde, stand in den Sternen.
»Das … das ist so wundervoll!« Carl zog Katharina an sich und küsste sie leidenschaftlich. Sie genoss seine Nähe. Fest schmiegte sie sich an seine Brust und musste gegen Tränen der Rührung ankämpfen. Bereits kurz nach ihrer Hochzeit hatte sich Nachwuchs eingestellt, Carl junior, ein prächtiger und aufgeweckter Junge. Der Wunsch nach einem zweiten Kind war bislang unerfüllt geblieben. Fast schon hatten sie die Hoffnung aufgegeben, doch nun war ihrer beider sehnlichster Wunsch erhört worden.
»Wir werden wieder Eltern, Carl.« Sie sprach leise und genoss die liebevollen Berührungen ihres Mannes. Er fühlte sich so vertraut an, und Katharina wusste, dass er der Mann ihres Lebens war. Kurz musste sie daran denken, wie sie sich kennengelernt hatten. Sie war als einzige Tochter von Bernhard und Theresa Zumwinkel auf dem Hof ihrer Eltern im ländlichen Clarholz aufgewachsen und hatte immer davon geträumt, eines Tages den Hof zu verlassen, um ganz mondän in einer großen Stadt zu leben. Daraus war nichts geworden, doch als ihr Vater einen Maurermeister aus dem benachbarten Herzebrock für den Bau eines neuen Stalls engagiert hatte, war Carl auf den Hof gekommen. Der junge Maurergeselle kam in Begleitung seines Vaters auf den Zumwinkel-Hof. Schon vom ersten Augenblick an hatte sich Katharina zu dem attraktiven jungen Mann hingezogen gefühlt. Und ihm war es offenbar ähnlich ergangen, denn anstatt seinen Vater beim Bau des Stalls zu unterstützen, hatte er sich für die schwere Arbeit in der Landwirtschaft interessiert. Gemeinsam hatten sie die erste Milchzentrifuge erfunden und in einem Schuppen gebaut. Das war der Beginn einer wundervollen Liebesgeschichte gewesen, die geprägt war von Carls Erfindergeist. Er war neuen Ideen aufgeschlossen und stets bemüht, schwere Arbeit zu erleichtern.
Schweren Herzens hatte Katharina nach einer Weile den elterlichen Hof verlassen, um mit Carl nach Herzebrock zu ziehen. Dort führte er eine kleine Eisenwarenhandlung, die er im Handumdrehen in einer Maschinenfabrik verwandelte. Katharina war stets an seiner Seite, brachte sich mit ihrem Ideenreichtum und ihrem Interesse für technische Errungenschaften ein und verhalf ihm so zum Erfolg. Damals war Rudolf Zenker zu ihnen gestoßen. Dank seines kaufmännischen Geschicks hatten sie ihre eigene Firma gegründet und seitdem Zentrifugen und Buttermaschinen in einer alten Kornmühle gebaut. Ihr Unternehmen war eines der ersten gewesen, die Frauen eingestellt und eine Betriebskrankenkasse eingeführt hatten. Der Erfolg ließ nicht auf sich warten, und schon bald platzten die Fabrik und das angrenzende alte Sägewerk aus den Nähten. Eher zufällig wurden sie auf die Gießerei Verleger im Norden von Gütersloh aufmerksam, die zum Verkauf stand. Auf dem Gelände daneben befanden sich damals schon große Fabrikhallen und ein Gleisanschluss. Die Stadtväter erkannten bald, dass Rudolf und Carl Arbeitsplätze schufen, und setzen sich für die Verlegung einer Gas- und Stromleitung ein, damit die Fabrik rasch expandieren konnte. Damals träumte Katharina von einem eigenen Haus, am liebsten mit einem Turm wie in einem Märchenschloss. Mit dem Wachstum der Firma nahm der Wohlstand des Paars zu, so dass Carl ihr den Wunsch erfüllte und einen Architekten beauftragte, das Traumhaus zu planen. Ein Jahr später hatten die Bauarbeiten am Rande des Gütersloher Stadtparks begonnen, und nach dem Umzug von Herzebrock nach Gütersloh waren sie heimisch geworden in ihrer prächtigen Villa.
Inzwischen besuchte Carl junior die Schule, und Katharina hatte wieder mehr Zeit, sich eigenen Aufgaben zu widmen.
»Ich liebe dich, Katharina«, flüsterte ihr Carl ins Ohr, und während er sprach, schimmerten seine grauen Augen feucht vor Rührung. »Und ich bin sicher, dass wir auch unserem zweitgeborenen Kind gute Eltern sein werden.«
»Das werden wir.« Katharina nickte. Eine Träne stahl sich aus ihrem Auge und kullerte über die Wange. Sie schmeckte das Salz auf der Zunge. »Was Carl junior wohl sagen wird, wenn wir ihm die Nachricht überbringen?«
Carl lächelte sanft. »Er wird sich freuen.«
»O mein Gott«, rief Katharina plötzlich. »Wir müssen ein zweites Kinderzimmer herrichten lassen.«
»Wir werden einen Maler damit beauftragen, die Kinderstube einzurichten«, überlegte Carl, dann lachte er auf. »Aber wir wissen ja noch gar nicht, in welcher Farbe es gestrichen werden soll.«
»Warum?«, stutzte Katharina.
»Weil wir nicht wissen, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird.«
Katharina stimmte in sein Lachen ein. »Wir sollten erst einmal abwarten und das Zimmer in einer neutralen Farbe streichen lassen.« Sie stutzte. »Moment«, rief sie, »ich werde das übernehmen.«
»Was wirst du übernehmen?« Carl runzelte die Stirn.
»Ich werde das Zimmer für unser Kind selbst herrichten.« Katharinas Herz klopfte bei dem Gedanken noch ein paar Takte schneller. Sie liebte es, ein Nest für ihre Familie zu bauen. Schon bei der Einrichtung des Hauses hatte Carl ihr alle erdenklichen Freiheiten gelassen. So durfte sie die Farben und die Teppiche aussuchen, die Gardinen hatte sie bei einer Schneiderin aus Herzebrock in Auftrag gegeben und dabei eine Menge über dieses Handwerk gelernt. Die Gemälde an den Wänden hatte ein mit Rudolf Zenker befreundeter Maler angefertigt. Katharina hatte sich von ihm Szenen aus ihrer alten Heimat Clarholz gewünscht, und der Künstler war dorthin gefahren, um die schönsten Motive für sie in Öl auf Leinwand zu bannen. Sie war stolz auf das Ergebnis, und von Carl hatte es ein großes Lob für ihren Geschmack gegeben. Heute fehlte ihr die handwerkliche Arbeit manchmal, mit der sie auf dem Hof groß geworden war. Sich alleine um das Haus und die Erziehung zu kümmern, war Katharina zu wenig, und so brachte sie sich, wann immer sie konnte, in die Geschicke der Fabrik ein.
»Jetzt muss aber Schluss sein mit harter Arbeit«, sagte Carl mit strengem Unterton. »Du sollst dich schonen, Liebes.«
»Ich werde dem Maler helfen«, antwortete sie trotzig. »Er muss doch wissen, wie wir es haben wollen.«
»Da hast du natürlich recht.« Er schmunzelte und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. In diesem Moment flog die Bürotür auf. Erschrocken fuhren sie auseinander.
»Habt ihr das mitbekommen?« Ein sichtlich aufgebrachter Rudolf Zenker platzte ins Zimmer. Katharina errötete, doch Carls Partner schien nicht wahrzunehmen, dass er ihre traute Zweisamkeit jäh beendet hatte.
»Wovon redest du?«, fragte Carl.
»Du bist ja völlig außer dir«, stellte Katharina überrascht fest. In all den Jahren, in denen Carl und er zusammenarbeiteten, hatte sie ihn als besonnenen Geschäftsmann kennengelernt, den so leicht nichts aus der Ruhe brachte.
Diesmal war es anders. Rudolf war hemdsärmelig, sein Haar hing ihm strähnig ins Gesicht, das runde Gesicht war puterrot. »Da draußen war eben die Hölle los.« Als er zum Fenster deutete, bemerkte Katharina, dass seine Hand zitterte.
»Rudolf«, sagte sie besänftigend, »es waren ein paar aufgebrachte Haushälterinnen, die in großer Sorge sind, weil unsere Waschmaschinen ihnen den Arbeitsplatz wegnehmen könnten.«
»So ein Unsinn«, keuchte Rudolf kopfschüttelnd.
»Das habe ich ihnen auch gesagt.«
»Das hast – was?« Carl betrachtete sie entsetzt.
»Ich habe ihnen gesagt, dass ihre Sorge unbegründet ist.«
Carl schüttelte stumm den Kopf.
Rudolf atmete ein paar Mal tief durch. »Du hast dich mit den Waschweibern angelegt?«
Katharina nickte. »Warum nicht? Ich habe ihnen erklärt, dass die Waschmaschine ihnen ermöglicht, andere sinnvolle Arbeiten im Haushalt durchzuführen, während die Maschine die Wäsche fast von allein erledigt.« Sie lächelte Rudolf zu. »Und sei beruhigt, sie haben sich zurückgezogen.«
»Na ja«, murmelte Carl und rieb sich den Nasenrücken. Ihn schien bereits etwas anderes zu bewegen. »Eigentlich müssen sie das Wasser noch im Kessel aufheizen, bevor sie es in die Maschine schütten können.« Er dachte angestrengt nach und sank auf seinen Stuhl. Katharina kannte ihn gut genug, um zu wissen, was das zu bedeuten hatte.
»Moment«, rief sie, »woran denkst du?«
»Ich hatte eben die Idee, dass wir das Wasser aufgeheizt in die Maschine einlaufen lassen müssten.«
»Um Gottes willen – nein!«, rief Rudolf und hob abwehrend die Hände. »Dann steigen uns die Waschweiber erst recht aufs Dach, Carl.«
»Es würde weitere Vorteile bedeuten«, entgegnete Carl unbeeindruckt. »Du weißt doch: Thiele – besser geht immer!«, fügte er schmunzelnd hinzu. »Und eine Vorrichtung, die das Wasser aufheizt, ist besser als das, was wir jetzt haben.«
Katharina lächelte. Ihr Mann war unverbesserlich und ein genialer Erfinder. Sie war sicher, dass er fortan alles dafür geben würde, seine Idee in die Tat umzusetzen. Sie wandte sich an Rudolf. »Den Gedanken finde ich gut«, sagte sie. »Dann sind wir besser als unsere Konkurrenz, und die Waschmaschine nimmt den Frauen noch mehr lästige Arbeit ab.«
»Eben«, rief Rudolf, »eben! Und dann bekommen wir Ärger mit dem Gesinde der großen Häuser.«
»Das glaube ich nicht.« Katharina schüttelte den Kopf. »Ich denke, sie werden Einsicht zeigen und uns in Ruhe lassen.«
Carl musterte sie mit einem eindringlichen Blick. »Woher willst du das wissen?«
»Ich weiß es eben. Es ist mein kleines Geheimnis.«
Rudolf zog einen der beiden Besucherstühle heran und ließ sich seufzend darauf nieder.
»Apropos kleines Geheimnis«, nahm Carl den Faden wieder auf. Er wandte sich an seinen Kompagnon. »Du darfst uns gratulieren.«
Rudolf betrachtete ihn mit gerunzelter Stirn. »Gratulieren, wozu?«
»Wir werden wieder Eltern«, platzte es aus Katharina heraus. »Ich bekomme ein Kind, Rudolf, ist das nicht wundervoll?«
Die Spannung schien von einer Sekunde zur anderen von Rudolf abzufallen. »Na, das wurde aber auch Zeit«, lachte er und sprang auf. Natürlich wusste er, dass sie sich schon seit geraumer Zeit ein Geschwisterkind für Carl junior wünschten. Er gratulierte erst Katharina, dann Carl. »Wenn das mal kein Grund zum Feiern ist.«
»So ist es«, nickte Carl. »Und ich denke, wir laden dich und deine bessere Hälfte heute zum Abendessen ein.«
Katharina hatte keine Einwände. Sie kannte Rudolfs Frau länger als ihr Mann, denn Lina war einst die Küchenmagd auf dem Hof ihrer Eltern gewesen. Zwischen den beiden Frauen hatte sich schon damals eine Freundschaft entwickelt, was dazu geführt hatte, dass Lina zu Carls und Katharinas Hochzeit eingeladen worden war. Dort hatte sie, einem alten Brauch zufolge, den Brautstrauß gefangen. So hatten sich Rudolf und Lina kennen- und lieben gelernt. Tatsächlich hatten bei ihnen wenig später die Hochzeitsglocken geläutet.
»Wir kommen gern«, sagte Rudolf jetzt. »Ich bin sicher, dass unser Kindermädchen sich um Martha und Otto kümmern wird.« Er grinste jungenhaft. Dann betrachtete er Katharina. »Und bei der Gelegenheit können wir vielleicht in geselliger Runde darüber nachdenken, wie wir mit den Waschweibern umgehen, bevor sie uns das Leben schwer machen.«
»Es gibt auch ohne das leidige Thema sicher eine Menge zu erzählen«, bemerkte Katharina mit glühenden Wangen. Sie hatte ihre Freundin Lina viel zu lange schon nicht gesehen, und das, obwohl sie in der gleichen Stadt lebten. Manchmal war der Alltag ein Jammer, weil so vieles darin unterging. Umso größer war die Vorfreude auf das bevorstehende Essen am Abend in der Villa Thiele. »Ich werde Frieda zum Markt schicken, um einzukaufen.« Obwohl Katharina im Haus viele Arbeiten übernahm, war sie doch froh über die Hilfe der Haushälterin, die längst zur guten Seele des Hauses geworden war. »Aber jetzt muss ich los«, sagte sie an Carl gewandt. »Wenn wir heute Abend feiern wollen, ist noch einiges vorzubereiten.« Plötzlich fiel ihr etwas anderes ein. »Oje!«, rief sie aus und schlug sich vor die Stirn. »Das neue Kindermädchen stellt sich in einer Stunde vor. Ich muss wirklich dringend nach Hause fahren!« Fast hätte sie vergessen, dass sie über die Zeitung vor ein paar Tagen Unterstützung für die Erziehung von Carl junior gesucht hatten. Nach der freudigen Nachricht am heutigen Morgen erschien die Anstellung einer Gouvernante jetzt noch sinnvoller.
Carl betrachtete sie mit einem verliebten Blick. »Schon dich ein wenig, Liebes. Lass dir von Frieda helfen.«
»Selbstverständlich«, versprach Katharina. Sie umarmte ihren Mann, genoss den Kuss, den er ihr auf die Lippen hauchte, und verabschiedete sich von Rudolf, der ihr galant die Hand küsste und eine Verbeugung andeutete. »Ach so«, rief er noch, als Katharina bereits an der Bürotür angelangt war. »Herzlichen Glückwunsch übrigens.«
Thesings Allee 8, hier muss es sein.« Es war Nachmittag, und Amelies Herz klopfte ein paar Takte schneller, als sie um die Straßenecke im Villenviertel bog. Die Alleebäume bildeten mit ihrem saftigen Grün ein natürliches Dach über der Straße am Eingang zum Stadtpark, überall zwitscherten Vögel.
Wer hier wohnt, führt ein sorgenfreies Leben, dachte sie. Doch anders als viele Mädchen in ihrem Alter empfand sie keinen Neid. Amelies Aufregung steigerte sich, als sie sich an das Gespräch erinnerte, das sie am Mittag mit ihrem Vater geführt hatte. Seit dem Tod der Mutter kümmerte er sich allein um Amelie und ihre fünf Geschwister. Er war ein großes Vorbild für sie, und sie war stolz auf seinen Kämpfergeist. Der Gedanke, ihn für den Fall, dass die Familie Thiele sie einstellte, im Stich zu lassen, verblasste.
Immerhin konnte sie ihn mit dem Lohn als Kindermädchen in einem guten Hause ein wenig unterstützen.
Sie war froh, dass ihr Vater nach anfänglichen Zweifeln so wohlwollend auf ihre Pläne reagiert hatte. »Aus meinem Mädchen wird noch was«, hatte er gesagt, anerkennend durch die Zähne gepfiffen und ihr durch das Haar gestrubbelt, als wäre sie noch ein kleines Kind. »Achte bloß auf deine guten Manieren, wenn du dort ein und aus gehst«, hatte er ihr mahnend mit auf den Weg gegeben.
Und jetzt war es gleich so weit. Sie würde ihren neuen Herrschaften zum ersten Mal begegnen. Der Name Thiele war natürlich bekannt in der Stadt, die große Fabrik bot vielen Menschen Arbeit. Amelie hatte sich auf eine Annonce in der Zeitung beworben, wonach ein »gut situiertes Haus am Rande der Stadt« ein liebevolles Kindermädchen suchte. Und als der Postbote ihr am Morgen die Einladung zum Bewerbungsgespräch gebracht hatte, schien das der Beginn ihres neuen Lebens zu sein. Amelie bezweifelte keine Sekunde, dass man sie einstellen würde. Sie würde selbstsicher auftreten und die Thieles von sich überzeugen.
Amelies Herz klopfte trotzdem schneller vor Aufregung, als sie jetzt vor dem großen schmiedeeisernen Tor stand, hinter dem eine majestätische Villa zu sehen war. Verspielt wirkende Erker, tiefe Fenster, das Walmdach und der runde Turm erinnerten Amelie an ein Märchenschloss.
Ein parkähnlicher Garten umgab das umzäunte Grundstück, prächtige Rhododendronbüsche säumten die Einfahrt, Schmetterlinge und Hummeln flogen in der Frühlingssonne zwischen den Blüten umher.
»Kann ich Ihnen weiterhelfen, Fräulein?«
Erschrocken fuhr Amelie auf. Auf der anderen Seite des Tors war lautlos ein hochgewachsener Mann vor sie getreten. Die Hände hinter dem Rücken verschränkt, musterte er sie mit einem freundlichen Lächeln. Er trug eine vornehme Dienstbotenuniform, nur die Mütze saß lässig schief auf seinem Kopf. Der Mann war beinahe zwei Köpfe größer und mindestens zehn Jahre älter als sie, aber durchaus attraktiv. Um nicht hilflos herumzustammeln, räuspere sich Amelie.
»Ich habe einen Termin bei Katharina Thiele.«
Ihr Gegenüber betrachtete sie abschätzend, so als zweifele er an dem Wahrheitsgehalt ihrer Worte.
»Ich möchte mich auf die Stelle als Kindermädchen bewerben, fügte sie sicherheitshalber zu, um alle Zweifel auszuräumen. Sie glaubte, dass sich die Gesichtszüge des Mannes ein wenig entspannten, und im nächsten Moment öffnete er das Tor.
»Bitte folgen Sie mir, junges Fräulein.« Ohne ihre Antwort abzuwarten, schloss der Angestellte das Tor wieder und ging mit vornehmen Schritten auf die Villa zu. Der Kies in der Einfahrt knirschte unter seinen Stiefeln. Amelie folgte ihm und nutzte die Gelegenheit, den Mann von hinten zu betrachten. Seine Schultern waren breit, seine Hüften schmal und sein Gang stolz und selbstbewusst.
Achte bloß auf deine Manieren, hatte sie plötzlich die mahnenden Worte ihres Vaters im Kopf. Hastig richtete sie den Blick auf die Villa. Mit jedem Schritt, den sie näher kamen, wuchs ihre Ehrfurcht. Die Haustür, die sie nun erreichten, wurde von einem prächtigen Portal, das auf Steinsäulen ruhte, gerahmt. Ihr Begleiter blieb auf der oberen Stufe der breiten Treppe stehen und wandte sich zu ihr um.
»Wen darf ich melden?« Seine behandschuhte Hand lag bereits auf dem goldglänzenden Türklopfer.
»Amelie Wadersloh, ich bewerbe mich im Haus als Kindermädchen.« Sie errötete. »Die Herrschaften erwarten mich.« Es fühlte sich ungewohnt an, über ihre künftige Arbeit zu sprechen. »Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?« Kaum dass ihr die Worte über die Lippen gekommen waren, schämte sie sich für ihr vorlautes Verhalten. Es war offensichtlich, dass es sich bei dem Mann um eine Art Diener handelte.
»Franz«, sagte er mit einem milden Lächeln auf den Lippen. »Ich bin Kutscher, Knecht, Gärtner, Diener – alles in einer Person.« Er zwinkerte ihr verschwörerisch zu.
Täuschte sich Amelie, oder lag sein Blick einen Moment lang zu lange auf ihr? Sie sah an sich herunter, konnte aber nichts Außergewöhnliches feststellen. Dem Anlass angemessen trug sie ihr knöchellanges weißes Sonntagskleid, hatte sich für die cremefarbenen Schuhe entschieden und den weißen Glockenhut aufgesetzt, um einen guten Eindruck bei ihren künftigen Arbeitgebern zu machen.
»Angenehm, ich bin Amelie«, kam es etwas kleinlaut über ihre Lippen.
Franz wirkte mit ihrem Erscheinungsbild zufrieden, wandte sich wortlos um und betätigte den schweren Türklopfer.
*
»Wer kommt da?«, krähte Carl junior durch das Haus. Er unterbrach sein Spiel, stellte das dunkelgrüne Blechauto zurück ins Regal zu dem Clown und rannte in den langen Flur des oberen Stockwerkes. Am Fuß der Treppe, die nach unten führte, erschienen seine Eltern. »Wer kommt denn da?«, wiederholte er seine Frage, als Mutter und Vater schwiegen.
»Ein Kindermädchen, das sich um dich kümmern wird«, antwortete die Mutter mit einem sanften Lächeln. »Geh noch etwas spielen, wir kommen gleich zu dir.«
»Kindermädchen?« Der Achtjährige schüttelte den Kopf. »Brauch ich nicht. Und mein Bruder auch nicht.« Ohne die Antwort seiner Mutter abzuwarten, machte er kehrt, verschwand in seinem Spielzimmer und schlug die Tür mit einem lauten Knall hinter sich ins Schloss.
*
»Er hat heute schon die Nachricht, dass er ein Geschwisterchen bekommen wird, verkraften müssen. Ich hätte ihn auf das Kindermädchen vorbereiten müssen«, raunte Katharina Carl mit schuldbewusster Miene zu. Im Trubel war total untergegangen, dass sich heute eine Bewerberin vorstellen wollte, die sich künftig um Carl junior und später auch das zweite Kind kümmern würde.
»Nun ist es so.« Carl zuckte unbekümmert die Schultern.
»Er hat von seinem Bruder gesprochen«, stellte Katharina fest. »Ist das nicht seltsam?«
Carl schüttelte lächelnd den Kopf. »Jungen wünschen sich immer einen Spielkameraden.«
»Und wenn es ein Mädchen wird und mit Puppen spielen möchte?«
»Wir werden sehen.«