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Schwester Fidelma ermittelt in Burgund.
Autun im Jahre 670. Noch vor Beginn des Konzils kommt es zu Handgreiflichkeiten zwischen den kirchlichen Würdenträgern. In der Nacht wird ein irischer Bischof ermordet. Fidelma und Eadulf werden bei ihren Ermittlungen durch frauenfeindliche Klosterregeln behindert. Unter Einsatz von Leib und Leben decken sie finstere Dinge im Lande und in der Abtei auf ...
"Tremaynes Keltenkrimis haben weltweit Kultstatus." BuchMarkt.
"Schwester Fidelma ist eine kluge, emanzipierte, mutige Frau, die ihre Widersacher in Grund und Boden argumentiert." Südwestrundfunk.
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Seitenzahl: 533
Peter Tremayne
Das Konzil der Verdammten
Historischer Kriminalroman
Aus dem Englischen von Irmhild und Otto Brandstädter
Die Originalausgabe unter dem TitelThe Council of the Cursed erschien 2008bei Headline Book Publishing, London.
ISBN E-Pub 978-3-8412-0140-9ISBN PDF 978-3-8412-2140-7ISBN Printausgabe 978-3-7466-2468-6
Aufbau Digital,veröffentlicht im Aufbau Verlag, Berlin, November 2010© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, BerlinDie deutsche Erstausgabe erschien 2008 bei Aufbau Taschenbuch, einer Marke der Aufbau Verlag GmbH & Co. KGCopyright © 2008 by Peter Tremayne
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Vervielfältigung und Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlages zulässig. Das gilt insbesondere für Übersetzungen, die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das öffentliche Zugänglichmachen z.B. über das Internet.
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Inhaltsübersicht
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Impressum
HISTORISCHE VORBEMERKUNG
KAPITEL 1
KAPITEL 2
KAPITEL 3
KAPITEL 4
KAPITEL 5
KAPITEL 6
KAPITEL 7
KAPITEL 8
KAPITEL 9
KAPITEL 10
KAPITEL 11
KAPITEL 12
KAPITEL 13
KAPITEL 14
KAPITEL 15
KAPITEL 16
KAPITEL 17
KAPITEL 18
KAPITEL 19
KAPITEL 20
KAPITEL 21
KAPITEL 22
EPILOG
Für meinen Neffen Pete Willis und seine Frau Diane
sowie Daniel und Kelly
von der nächsten Generation
AD 670: …et ad sacrosanctum concilium Autunium luna in sanguinem uersa est.
Chronicon Regum Francorum et Gothorum
A. D. 670: … und während des geheiligten Konzils von Autun wurde der Mond blutig rot.
Chronik der Könige der Franken und Goten
HAUPTPERSONEN
Schwester Fidelma von Cashel, eine dálaigh oder Anwältin bei
Gericht im Irland des siebenten Jahrhunderts
Bruder Eadulf von Seaxmund’s Ham, ein angelsächsischer
Mönch aus dem Lande des Südvolks, ihr Gefährte
IN DER ABTEI AUTUN
Leodegar, Bischof und Abt von Autun
Nuntius Peregrinus, der päpstliche Legat oder Emissär Ségdae, Abt und Bischof von Imleach
Dabhóc, Abt von Tulach Óc
Abt Cadfan von Gwynedd Ordgar, Bischof von Kent
Bruder Chilperic, Verwalter der Abtei Bruder Gebicca, Arzt und Apotheker
Bruder Sigeric, ein Schreiber
Bruder Benevolentia, Ordgars Kämmerer
Bruder Gillucán, Dabhócs Kämmerer
Bruder Andica, ein Steinmetz
Äbtissin Audofleda, die abbatissa des domus feminarum Schwester Radegund, die Verwalterin des domus feminarum Schwester Inginde
Schwester Valretrade
IN DER STADT AUTUN
Gräfin Beretrude, burgundische Fürstin Gaugraf Guntram, ihr Sohn
Verbas von Peqini, Kaufherr und Sklavenhändler Magnatrude, Valretrades Schwester
Ageric, ein Schmied, Magnatrudes Ehemann Clodomar, ein Schmied
Chlothar III., fränkischer König von Neustrien Ebroin, sein Mentor und Kanzler
IN DER STADT NEBIRNUM
Bischof Agrius, Abt von Nebirnum
Bruder Budnouen, ein Gallier
Die Ereignisse, die in diesem Roman geschildert werden, begaben sich während des Konzils von Autun. Die Stadt ist in einer Landschaft Frankreichs gelegen, die heute Burgund genannt wird. Sie war eine bedeutende Festung im römischen Gallien und hieß damals Augustodunum. Das Konzil von Autun war ein wichtiges Konzil der frühen Christenheit, denn es entschied, dass die regula des heiligen Benedikt fortan die Grundregeln des Lebens in allen Klöstern sein sollten. Damit wurden Sitten und Gebräuche verworfen, die sich in den klösterlichen Gemeinschaften im keltischen Gallien herausgebildet hatten. Die Beschlüsse von Autun brachten die keltische Kirche erneut in die Defensive, weil Rom bestrebt war, sie völlig der Papstkirche zu unterwerfen und ihre Riten nicht länger zu dulden. In Autun wurde der Versuch unternommen, die Beschlüsse, die 664 in Whitby gefasst worden waren, verstärkt durchzusetzen. Damals hatte Oswy von Northumbrien das Brauchtum der römischen Kirche für sein Königreich übernommen und sich damit gegen die Auffassungen entschieden, die die irischen Missionare mit dem von ihnen gepredigten Christentum verbreitet hatten. Nach Oswys Entscheidung folgten allmählich alle anderen angelsächsischen Königreiche den Vorschriften Roms.
Das Konzil von Autun anempfahl auch der gesamten Geistlichkeit, sich das Athanasianische Glaubensbekenntnis zu eigen zu machen. Kardinal Jean Baptiste François Pitra (1812 bis 1889) vertrat in seiner Histoire de Saint Léger (Paris, 1846) die Ansicht, dieser Glaubenskanon habe sich gegen die Vorstellungen des Monotheletismus gewandt, die unter den keltischen Kirchen Galliens an Einfluss gewannen. Der Monotheletismus versuchte zu erklären, wie sich das Menschliche und das Göttliche in der Person Jesu Christi zu einander verhielten. Seiner Lehre nach hatte Jesus zwei Naturen (eine menschliche und eine göttliche), jedoch nur einen göttlichen Willen. In Fidelmas Tagen erfreute sich diese Auffassung einer beträchtlichen Anhängerschaft, wurde aber auf dem Sechsten Ökumenischen Konzil in Konstantinopel unter Papst Agatho 680/81 als Ketzerei verdammt.
In welchem Jahr das Konzil von Autun wirklich stattgefunden hat, geht aus den Chroniken nicht klar hervor, die meisten bevorzugen das Jahr 670. Dieses Datum habe ich übernommen, da es wahrscheinlicher ist als andere in Vorschlag gebrachte Jahreszahlen. In Chroniken und Annalen finden sich mitunter einander widersprechende Daten, denn die betreffenden Quellen sind nur in Abschriften oder Kompilationen auf uns gekommen, die etliche Jahrhunderte später angefertigt wurden. Ich halte es für gerechtfertigt, mich auf ein von vielen Gelehrten bevorzugtes Datum festgelegt zu haben. Schließlich möchte ich, dass die Geschichten um Schwester Fidelma lediglich als das gelesen werden, was sie sind, nämlich dichterische Erfindungen.
Leser, die Vorkommnisse wie den von Rom gebilligten Verkauf von Ehefrauen der Priester und Mönche in die Sklaverei bezweifeln, muss ich auf Folgendes verweisen: Während der Regierungszeit von Papst Leo IX. (1049–1054) wurden mit obrigkeitlicher Billigung die Frauen von Priestern zusammengetrieben und dazu verdammt, als Sklavinnen im Lateran-Palast zu dienen. Urban II. drang während seiner Regierungszeit als Papst (1088–1099) auf die Einhaltung des Zölibats, und das nicht nur mit Dekreten sondern auch mit Gewalt. Während er ein Konzil in Reims besuchte, ermächtigte er den Erzbischof von Reims, den Grafen Robert von Reims zu zwingen, alle Ehefrauen von Geistlichen und Klosterbrüdern zu entführen und als Sklavinnen zu verkaufen. Viele dieser beklagenswerten Frauen verzweifelten und begingen Selbstmord. Andere wehrten sich. So geschah es, dass man die Gattin des schwäbischen Grafen von Veringen vergiftet im Bett fand als Vergeltung dafür, dass ihr Mann im Lande nach Frauen von Geistlichen auf der Jagd war.
Lesern, die sich auf der Landkarte orientieren, mag der Hinweis helfen, dass der gallische Fluss Liga – der keltische Name bedeutet Schlick oder Sediment und wurde zu Liger latinisiert – heutzutage die stattliche Loire ist; der gallische Fluss Aturavos ist heute der Arroux, und der Strom Rhodanus ist die Rhône. Die Stadt Nebirnum heißt jetzt Nevers, Divio ist Dijon, und aus dem armorikanischen Hafen Naoned wurde die Stadt Nantes.
Die beiden Gestalten mit den Kapuzen waren im dunklen Gemäuer des Mausoleums kaum zu erkennen. Schweigend standen sie neben dem großen Sarkophag, der die Mitte der kleinen Kammer in den muffigen Katakomben einnahm, die sich unter der Abtei nach allen Richtungen zu erstrecken schienen. Von alters her war das die Totenstadt. Sie war uralt, hatte schon bestanden, bevor die Abtei erbaut wurde. Nachdem der Neue Glaube ins Land gekommen war, hatte man die Stätte geweiht, und nun hatten schon Generationen von Äbten hier ihre letzte Ruhestätte gefunden.
Abgesehen von Wassertropfen, die irgendwo in der Ferne fielen, war es völlig still. Die Luft war dumpf und stickig. Ein schwaches Leuchten durchdrang die unterirdischen Höhlungen und verlieh der Dunkelheit schwache Umrisse, so dass man das eine oder andere nur durch den Wechsel von Licht und Schatten erahnen konnte. Die beiden Gestalten verharrten reglos auf ihrer Stelle, fast als wären sie selber Teil der Grabsteine.
Dann wurde das schwache Geräusch des Tropfenfalls überlagert von sachtem Schlurfen; es klang wie Leder, das sich an Stein rieb. Eine der Gestalten zuckte zusammen, als ein Lichtschimmer in die Kaverne drang und Schatten hin und her tanzen ließ. Zwischen den Gräbern tauchte eine dritte Person auf, die eine Kerze hielt.
Auch sie trug eine Kutte mit Kapuze. Vor dem Mausoleum blieb sie stehen. »Ich komme im Namen des heiligen Benignus«, ließ sich eine kratzige Stimme vernehmen.
Von dem im Dunkeln wartenden Paar wich die Spannung.
»Willkommen im Namen von Benignus, geheiligten Namens und Angedenkens«, erwiderte eine weibliche Stimme leise. Man verständigte sich auf Latein.
Der Ankömmling trat rasch ins Mausoleum und stellte die Kerze auf das Marmorgrabmal.
»Nun?«, fragte die zweite der wartenden Gestalten. »Hat er es noch?«
»Er bewahrt es bei sich in der Kammer auf«, erwiderte der Neue rasch.
»Dann können wir es leicht an uns bringen. Es wäre ein Zeichen, dass Gott unser Unterfangen segnet«, meinte der andere.
»Aber wir müssen rasch handeln. Der Gesandte aus Rom hat bereits mit ihm darüber gesprochen. Wenn wir es, sobald die Zeit heran ist, als unser Feldzeichen nutzen wollen, müssen wir es jetzt verschwinden lassen.«
»Soll es unserer Absicht dienen und den Aufstand des Volkes auslösen, darf er nicht erst die Wahrheit über dieses große Symbol verbreiten. Die Menschen müssen ernsthaft daran glauben, dürfen keinerlei Zweifel hegen.«
»Sind wir bereit, zu tun, was wir tun müssen?«, fragte wieder die weibliche Stimme.
»Es dient dem Nutzen aller«, sagte ihr Begleiter feierlich.
»Deus vult!« ergänzte der Neue ernst. Gott will es.
»Sind wir uns also einig?«, drängte die Frau mit fast erstickter Stimme.
»Noch heute Nacht muss es vollbracht werden«, bestimmte der Neue.
Die drei schauten einander im Dämmerlicht an und murmelten unisono: »Virtutis Fortuna comes!« Den Mutigen steht Fortuna bei.
Ohne ein weiteres Wort trennten sich die drei schemenhaften Gestalten und gingen in verschiedene Richtungen durch die dunklen Gewölbe der Katakomben von dannen.
»Die Anmaßung dieses Menschen ist unerträglich!«
Erstaunt schwiegen alle in der Kapelle, während die Stimme in den steinernen Gewölben des Hauses widerhallte. Die Äbte und Bischöfe, die vor dem Hochaltar in dunklen, mit Schnitzereien verzierten Eichensesseln saßen, blickten wie auf Geheiß zu ihrem erbosten Kollegen. Der war zwar nicht aufgestanden, wies aber mit ausgestrecktem Arm auf einen Geistlichen in der Runde.
»Beruhige dich, Abt Cadfan«, ermahnte ihn Bischof Leodegar, der die Zusammenkunft leitete. Man hatte die Kapelle so ausgestattet, dass sie auch als Sitzungssaal dienen konnte. »Wir sind hier zusammengekommen, um die Zukunft unserer Kirchen zu erörtern, die gegenwärtig in Sprache und Ritus voneinander getrennt sind. Es mögen unverblümte Worte fallen bei dem Suchen nach Pfaden, auf denen wir zueinander finden wollen, um zur Einheit zu gelangen. Doch bedenkt bitte, solche Worte sollten nicht als persönliche Beleidigungen aufgefasst werden.«
Er bediente sich sicher und gewandt des Lateinischen, das alle beherrschten.
Abt Cadfans Unmut wuchs. »Verzeih meine unverblümte Redeweise, Leodegar von Autun, aber ich weiß sehr wohl eine Beleidigung von einer in lebhafter Debatte vorgebrachten Ansicht zu unterscheiden. Beleidigungen von den Feinden meines Bluts und meines Volkes werde ich keinesfalls dulden.« Der ältere grauhaarige Geistliche, der Abt Cadfans zur Rechten saß, legte seinem Gefährten beschwichtigend eine Hand auf den Arm. Es war Abt Dabhóc von Tulach Óc, der Bischof Ségéne von Ard Macha vertrat. Dieser wiederum beanspruchte die Oberhoheit eines Erzbischofs über alle fünf Königreiche Éireanns.
»Ich bin sicher, was Bischof Ordgar gesagt hat, war nicht anmaßend gemeint«, entgegnete er diplomatisch vermittelnd. »Zwar sprechen wir alle Latein, doch ist es nicht unsere Muttersprache, und zuweilen fehlt uns der passende Ausdruck, um etwas so zu sagen, wie wir es eigentlich wollen. Es war doch wohl nur eine ungeschickte Wortwahl, oder unser Freund hat sich in einer Redewendung vergriffen im Bemühen, seinen Worten Nachdruck zu verleihen.«
Bischof Ordgar, dem der verärgerte Ausbruch anfangs gegolten hatte, starrte Abt Cadfan mürrisch an. Er war ein Mann mit dunklem Haar und scharfgeschnittenen Gesichtszügen. Die Mundwinkel waren hochgezogen, so dass die Lippen ständig zu höhnischem Grinsen verzogen schienen. Jetzt wandte er sich mit herausforderndem Blick Abt Dabhóc zu.
»Willst du mir etwa unterstellen, ich könnte nicht ordentlich Latein?«, knurrte er. »Was versteht ein barbarischer Fremdländischer wie du schon von den Feinheiten der Sprache?«
Abt Dabhóc lief rot an. Doch ehe er etwas erwidern konnte, stieß Abt Cadfan ein kurzes Lachen aus und brauste auf: »Schon wieder diese Anmaßung – und das von einem, dessen Volk noch immer nicht seine heidnische Rückständigkeit abgeschüttelt hat. Haben wir Britannier nicht unseren Nachbarn in Hibernia geraten, von dem Versuch abzulassen, diese Sachsen von ihren heidnischen Bräuchen abzubringen? Haben wir sie nicht davor gewarnt, den Sachsen die Lehren Christi vermitteln zu wollen, sowie Schreibkunde und Gelehrsamkeit? Die sind noch nicht zivilisiert genug, um damit überhaupt umgehen zu können.«
Abt Cadfan hatte die lateinische Bezeichnung Hibernia gebraucht und damit die fünf Königreiche Éireanns gemeint.
Bischof Ordgar schlug mit der Faust auf die Armlehne seines Eichensessels und rief: »Ich gehöre zu den Angeln, du welscher Barbar.«
Abt Cadfan zuckte die Achseln. »Angeln oder Sachsen, wo ist da der Unterschied? Dieselbe kratzige Sprache, und ungebildet sind beide. Ich nenne dich immerhin bei deinem richtigen Namen, aber du nennst mich in deinem Hochmut und deiner Anmaßung einen Welschen. Soviel ich weiß, bedeutet das ›Fremdländischer‹. Dabei seid ihr doch die Fremdländischen im Lande Britannien. Ich bin Britannier, von Anbeginn der Zeit lebt mein Volk in dem Land. Deine barbarischen Horden sind erst vor zwei Jahrhunderten über uns gekommen. Mit List und Tücke habt ihr Fuß gefasst in unserem Land, dann seid ihr mit Heerscharen bei uns eingefallen und habt Mord und Totschlag über unsere Leute gebracht. Ihr wollt nicht mehr und nicht weniger, als alle Britannier ausrotten. Aber das sage ich dir, du Barbar, das wird euch nicht gelingen. Wir Welschen – wie du uns hohntriefend nennst – werden überleben und werden euch eines Tages aus dem Land vertreiben, das ihr Angel-Land nennt und das einst unser friedfertiges Britannien war.«
Mit wutverzerrtem Gesicht war Bischof Ordgar aufgesprungen, hatte dabei seinen Sessel umgestoßen und fuhr mit einer Hand an seine Seite, wohl das nicht vorhandene Schwert suchend.
Abt Cadfan lehnte sich zurück, lachte abermals kurz auf und schaute ringsum in die versteinerten Mienen der Prälaten.
»Da seht ihr, wie der Barbar sich verhält. Hätte er eine Waffe, hätte er vor primitiver Gewalttat nicht zurückgeschreckt. Und so einer nennt sich ein Mann des Friedens, ein Vertreter Christi, und will mit denen debattieren, die gesittet und gebildet sind. Er ist genau so ein Wilder wie all die übrigen Häuptlinge seines Volkes, die sich untereinander bekriegen, wenn sie nicht gerade gegen uns Britannier Krieg führen.«
Plötzlich wurde es laut. Ein hochgewachsener Mann, der neben Bischof Leodegar saß, hatte sich erhoben und stieß mit einem Bischofsstab auf den Boden. Er trug kostbare Gewänder und ein Silberkreuz an einer Halskette.
»Tacete! Schweigt still!«, donnerte er. »Brüder, ihr vergesst euch beide. Ihr seid zu einem Konzil gekommen, das unter den Augen Gottes und des Bischofs dieses Ortes abgehalten wird. Ich bin der Gesandte des Heiligen Vaters in Rom, und ich bin beschämt, Zeuge eines solchen Ausbruchs unter den Auserwählten des Glaubens zu sein.«
Dass der Gesandte aus Rom, Nuntius Peregrinus, sich bemüßigt gefühlt hatte einzuschreiten, musste Bischof Leodegar wie eine Rüge auffassen, weil er zu wenig Autorität zeigte bei der Lenkung der zu diesem Konzil Entsandten.
Er hob eine Hand und bedeutete dem Nuntius, wieder Platz zu nehmen. Dann sagte er unüberhörbar: »Brüder, es ist in der Tat beschämend, wie ihr euch vor unserem hochverehrten Gesandten aufführt. Wir stehen vor einem Konzil der bedeutenden Äbte und Bischöfe der westlichen Kirchen, auf dem wir grundlegende Schritte festlegen wollen, um zu einem einheitlichen Wirken unserer gesamten Kirche zu gelangen. Unsere Begegnung heute soll eine Vorbesprechung ohne Anwesenheit unserer Schreiber und Ratgeber sein, damit wir uns vor den Hauptverhandlungen gegenseitig kennenlernen, dennoch ist das kein Marktplatz, auf dem wir uns zanken und prügeln.«
Beifälliges Murmeln erklang von den etwa zwanzig Männern, die um den Tisch saßen.
Bischof Leodegar wandte sich an Bischof Ordgar: »Du bist hier als der persönliche Vertreter Theodors, den unser Heiliger Vater Vitalianus vor kurzem zum Erzbischof von Canterbury ernannt hat. Würde Theodor etwa solche Worte gebrauchen, wie du, Ordgar, sie gegenüber einem Prälaten der Kirche der Britannier gewählt hast?«
Der Angesprochene wollte zu einer Entgegnung ansetzen, doch Bischof Leodegars finsterer Blick ließ ihn in seinen Sessel zurücksinken, wenn auch mit gekränkter Miene.
»Cadfan«, fuhr Bischof Leodegar fort, »du bist hier erschienen als Vertreter der Kirchen deines Volkes, der Britannier. Vertrittst du wirklich dein Volk, wenn du Krieg und Auslöschung der Königreiche der Angeln und der Sachsen predigst?«
Abt Cadfan war nicht gewillt, diese Zurechtweisung stillschweigend hinzunehmen.
»Wir haben die Angeln und die Sachsen nicht aufgefordert, in unsere Gebiete einzufallen und uns zu vernichten«, begehrte er auf. »Jeder von uns hier kennt das Werk des heiligen Gildas De Excidio et Conquestu Britanniae – Über Untergang und Wehklage Britanniens. Ihr habt davon gehört, wie meine Leute von den Angeln und Sachsen abgeschlachtet wurden oder wie sie Haus und Hof verlassen und in andere Länder fliehen mussten. Wir werden immer weiter nach Westen gedrängt; nicht wenige von uns sind nach Armorica, nach Galicia und Hibernia geflohen, ja sogar ins Land der Franken, um sich vor den räuberischen Horden zu retten.«
»Komm mir nicht mit Geschichten aus der Vergangenheit«, erwiderte Bischof Leodegar verärgert. »Wir leben in der Gegenwart.«
»Gehört Benchoer etwa zur Vergangenheit?«, fiel ihm Abt Cadfan ins Wort.
Leodegar schaute verwundert in die Runde. »Benchoer? Stimmt, Drostó, der Abt von Benchoer, ist nicht hier. Was hat es mit deiner Bemerkung zu Benchoer auf sich?«
»Es hat durchaus seinen Grund, weshalb Drostó von Benchoer fehlt«, antwortete ihm Abt Cadfan. »Benchoer ist unsere älteste Abtei, dort führten dreitausend Brüder ihr Christus geweihtes Leben. Nicht ich, sondern Drostó sollte als der Rangälteste unsere Kirchen hier vertreten. Hat der Sachse, der mir gegenübersitzt, etwa Angst, dir zu sagen, warum Drostó nicht diesen Platz einnimmt?«
Bischof Ordgar blickte missmutig drein. »Die Welschen machen ständig Ärger«, warf er hin. »Ihr Anführer, dessen fremdländischen Namen ich nicht aussprechen kann, hat rückhaltlos verkündet, was alles er meinem Volk anzutun gedenkt.«
»Der König von Gwynedd heißt Cadwaladar ap Cadwallon«, erwiderte Abt Cadfan gereizt. »Er stammt von einem Geschlecht großer Könige ab, die schon bedeutend waren, als deine Vorfahren sich noch im Dreck sielten!«
Diesmal war es Bischof Leodegar, der auf den Boden stampfte, um die Gegner zur Ordnung zu rufen. »Wir werden die Zusammenkunft sofort auflösen, wenn diese Beschimpfungen anhalten«, drohte er.
Abt Goelo von Bro Waroc’h, das in Armorica lag, räusperte sich. »Mit Verlaub, Leodegar, dem Konzil muss eine Antwort auf die Frage gegeben werden, die unser verehrter Bruder aus Gwynedd gestellt hat.«
»Es ist so, wie du sagst, Abt Cadfan, der Ehrwürdige Drostó sollte deine Kirche auf diesem Konzil vertreten«, bestätigte Bischof Leodegar. »Was ist mit Benchoer?«
Abt Cadfan schaute mit seinen stechenden blauen Augen Bischof Ordgar an, der mit zusammengekniffenen Lippen dasaß. »Die Abtei von Benchoer gibt es nicht mehr, und Drostó haust mit wenigen Überlebenden in den Wäldern von Gwynedd. Aus Furcht um ihr Leben suchen sie sich Nacht für Nacht einen anderen Unterschlupf. Vor einem Monat ist der Anführer der Sachsen von Mercia …«
»Der Angeln«, rief Ordgar dazwischen.
»… ein Barbar, der sich Wulfhere nennt, mit seinen Horden in Gwynedd eingefallen und hat unsere Abtei bei Benchoer niedergebrannt und bis auf die Grundfesten zerstört. Über tausend unserer Glaubensbrüder wurden mit dem Schwert erschlagen. Ist eine solche Tat eines christlichen Herrschers würdig?«
»Über tausend Brüder?«, hauchte einer der gallischen Delegierten entsetzt.
Abt Ségdae von Imleach hatte sich den Streit bisher schweigend angehört. Er war der oberste Bischof des Königreichs Muman, des größten unter den fünf Königreichen Éireanns. Jetzt beugte er sich vor und schaute Bischof Ordgar eindringlich an.
»Ist das wahr, Bischof Ordgar?«, fragte er leise.
»Wulfhere ist der Bretwalda und …«
»Bretwalda? Was ist das?«, unterbrach ihn Abt Ségdae.
»Das ist ein Titel, der Wulfhere als Oberherr der Welschen wie auch der Königreiche der Angeln und der Sachsen zuerkannt wurde.«
»Von wem zuerkannt?«, höhnte Abt Cadfan. »Von den Britanniern bestimmt nicht. Bei uns gilt so ein Titel nicht. Wir wollen keinen ›Beherrscher der Britannier‹, das steckt doch in dem Titel, es sei denn, wir hätten ihn einem Britannier zuerkannt. Weder einen Sachsen …«, er machte eine Pause, »noch einen Angeln« fügte er mit Nachdruck hinzu, »erkennen wir als Herrn über uns an. Gewiss würden wir keinem Barbaren ein solches Recht einräumen. Außerdem haben wir erfahren, dass Wulfhere nicht einmal von den anderen sächsischen Königen als Oberherr anerkannt wird.«
Gereizt rollte Bischof Ordgar die Augen. »Eorcenbehrt von Kent, und in dem Königreich liegt das Erzbistum Canterbury, hat ihn als Oberherrn anerkannt und ihm seine Tochter zur Frau gegeben.«
»Heißt das, Theodor, dein Erzbischof von Canterbury, billigt ihm ein solches Amt zu?«, wollte Abt Goelo wissen.
»Theodor ist zu uns von Rom entsandt worden, und Vitalianus hat ihn als obersten Bischof aller westlich gelegenen Inseln eingesetzt.«
»Er hat kein Recht, diese Stellung auch nur in einem der fünf Königreiche von Éireann zu beanspruchen«, mischte sich Abt Dabhóc sofort ein.
Abt Ségdae nickte zustimmend, schaute kurz zu Bischof Leodegar, wandte sich dann aber an alle Versammelten.
»Ich bin in das altehrwürdige Autun gekommen, um über Vorstellungen zu debattieren, die Rom uns nahelegt. Die Reise hierher war lang und beschwerlich und barg mancherlei Gefahren. Ich vertrete die Kirchen von Muman, während mein Mitbruder Abt Dabhóc in Vertretung von Bischof Ségdae von Ard Macha anwesend ist. Der Streitpunkt, um den es eben ging, hat nicht ursächlich mit den Fragen zu tun, deretwegen wir hier sind. Die Vorkommnisse, über die hier gestritten wurde, so unerhört sie sind und so dringend sie zwischen den Britanniern und den Sachsen beigelegt werden müssen, haben keinen unmittelbaren Bezug zu den Angelegenheiten, über die wir zu befinden haben.«
Abt Dabhóc schüttelte den Kopf. »Dem widerspreche ich. Werfen nicht gerade die erwähnten Vorkommnisse die Frage auf, ob Bischof Ordgar geeignet ist, unter uns auf diesem Konzil zu weilen? Billigt er das Massaker, welches Krieger seines Volkes unter den Klosterleuten angerichtet haben? Es hat den Anschein, dass er das tut. Ich meine, darüber sollten wir weiter reden. Lasst uns hören, was die Vertreter der Kirchen der Franken und der Gallier sowie der Kirchen im Lande Kernow und in den Königreichen von Armorica dazu zu sagen haben.«
»Es wäre nur recht und billig, dass auch wir gehört werden«, äußerte ein älterer Bischof. »Ich bin Herenal von Bro Erch aus dem Reich Armorica. Was ich bislang von Bischof Ordgar erfahren habe, kündet keinesfalls davon, dass er sich berufen fühlen darf, als Mann des Friedens zu wirken.«
»Pah!«, erscholl es und klang, als ob jemand verächtlich ausspuckte. Es war Bischof Ordgar, der vor Wut schäumte. »Diese Armoricaner, Gallier, Welschen aus Kernow, die sind alle ein und dasselbe Pack. Die stecken unter einer Decke. Wir würden unsere Zeit verschwenden, denen Gehör zu schenken. Ich bin hier auf Einladung meiner Brüder, der Franken, um Fragen des Glaubens zu erörtern, nicht um mir das Gejammere von Barbaren anzuhören.«
Sofort ließ sich ein Chor aufgebrachter Stimmen vernehmen, und Bischof Leodegar hob die Hände und rief streng: »Brüder in Christo! Seid eingedenk des Zwecks, dessentwegen wir uns aus unseren verschiedenen Ländern hier eingefunden haben. Seine Heiligkeit Vitalianus hat uns beauftragt, unser Bekenntnis zu dem auf Christus gegründeten Glauben zu verinnerlichen und uns der Regeln anzunehmen, die in jeder Glaubensgemeinschaft in unseren Ländern befolgt werden sollen. Seine Heiligkeit hat Nuntius Peregrinus entsandt, auf dass er Zeuge unserer Debatten sei. Das sind die Dinge, denen unsere Aufmerksamkeit zu gelten hat. Nur diesen und nichts anderem.«
Abt Dabhóc stand auf. »Brüder, die Stimmung zwischen uns ist von Zorn und Schuldzuweisungen belastet. Ich schlage vor, die Eröffnung des Konzils um einen Tag und eine Nacht zu verschieben. Wir haben weder Schreiber noch Berater bei uns, so wird der hier ausgebrochene Streit in keinem Dokument festgehalten werden. Lasst uns auseinandergehen und in Ruhe überdenken, weswegen wir hier sind.«
Bischof Leodegar schien ein wenig erleichtert. »Ein glänzender Vorschlag«, lobte er.
»Ein schändlicher Vorschlag«, kam es bissig von Bischof Ordgar. »Du, Leodegar, ein Franke, solltest dich schämen, diesen Welschen Vorschub zu leisten. Die sind ebenso Feinde deines Volkes, wie sie Feinde meines Volkes sind.«
»Eine Schande, so zu reden«, klang es entrüstet von vielen.
»Wir sind alle vereint in Christus« erklärte Abt Dabhóc, »oder willst du, Bischof Ordgar, das etwa leugnen? Wenn dem so ist, dann bestätigst du, was Abt Cadfan dir vorgehalten hat, und kannst nicht am Konzil teilnehmen.«
»Ich habe meine Vollmacht von Theodor von Canterbury erhalten, und der ist unmittelbar vom Heiligen Vater in Rom ernannt worden. Wer aber hat dir die Vollmacht erteilt, du Barbar?« Bischof Ordgar zog drohend die Augenbrauen zusammen.
»Meine Vollmacht ist die Kirche, der ich diene«, begann der Abt. »Und …«
Noch einmal stieß Bischof Leodegar mit seinem Bischofsstab heftig auf den Boden. Er warf dem Nuntius einen fragenden Blick zu, der zuckte die Achseln und nickte dann. Leodegar nahm das als Einverständnis, erhob sich und wandte sich an die Delegierten.
»Hiermit schließe ich unsere heutige Zusammenkunft. Einen Tag und eine Nacht lang werden wir beten und darüber nachdenken, zu welchem Behufe wir uns versammelt haben. Wenn wir uns hier wieder einfinden, werden wir unsere Schreiber und unsere Ratgeber mitbringen und werden Streitigkeiten, wie eben gehabt, unterlassen. Sollte jemand versuchen, den Streit fortzusetzen, wird er von den Beratungen des Konzils ausgeschlossen, ganz gleich, aus welchem Winkel der Welt er kommen mag. Meine Brüder, lasst euch diesen Rat ans Herz legen: In medio tutissimus ibis – wählt den sicheren Mittelweg. Geht nun auseinander und ziehet hin in Frieden im Namen des Allerheiligsten, unter dessen strengem und wachsamem Auge wir zusammenkommen, um ihn zu ehren.«
Die Äbte und Bischöfe standen auf und empfingen fast widerstrebend den Segen Bischof Leodegars – und erst recht grollten ihm die Hauptgegner.
Als sich die Versammlung auflöste, ging Abt Ségdae auf Abt Dabhóc zu. »Da haben wir nun die lange Reise unternommen, nur um dem Streit der Britannier mit den Sachsen beizuwohnen.«
Abt Dabhóc hob die Schultern. »Ich habe Mitgefühl mit den Britanniern, denn es stimmt, was Cadfan sagt. Sowohl die Angeln als auch die Sachsen greifen ständig die Königreiche der Britannier an.«
»Ich hätte mir gewünscht, Cadfan und Ordgar als Männer der Kirche hätten sich diplomatischer verhalten und sich den Fragen zugewandt, die hier zu lösen sind.«
Die beiden Geistlichen waren aus der Kapelle in einen Innenhof getreten, der von hohen Gebäuden mit römischen Säulen gesäumt war. Inmitten gärtnerischer Anlagen mit duftenden Gewächsen sprudelte eine Fontäne.
Abt Dabhóc blieb stehen und betrachtete wohlgefällig das sich ihm bietende Bild. »Die lange Reise hat sich schon gelohnt, wenn wir so Wundersames wie dieses erblicken. Die von den Römern erbauten Städte ähneln so gar nicht denen von Éireann.«
Außerhalb der Abtei gab es in Autun eine Vielzahl romanischer Bauten, die schon vor Jahrhunderten errichtet wurden, nachdem die Römer in Gallien eingedrungen waren und die keltischen Heere des Vercingetorix besiegt hatten. Sie hatten am Ufer eines Flusses eine Stadt erbaut und sie Augustodunum genannt. Als nach langer Zeit die Gallier und Römer vor den einfallenden Burgunden zurückwichen und sich später mit ihnen vermischten, erhielt der Ort den Namen Autun. Er wurde einer der frühchristlichen Zentren in dem Teil Galliens, der nun Burgundia hieß. Auf dem Abteigelände waren etliche der alten römischen Bauwerke erhalten geblieben. Paläste und Tempel hatte man dem Christengott und seinen Heiligen gewidmet. Mit den hoch aufragenden Bauten erschien Abt Ségdae der Ort wie ein Rom en miniature, so völlig anders im Vergleich zu den bescheidenen städtischen Siedlungen in seiner Heimat.
Plötzlich tönte Geschrei über den Innenhof.
Abt Ségdae schreckte von seinen Betrachtungen hoch und blickte verwundert um sich. Einige der Kirchenoberen waren in einem Handgemenge, darunter Ordgar, der einen anderen Geistlichen an der Kehle packte. Das war Cadfan. Die beiden Männer beschimpften und schlugen sich wie ein Paar sich prügelnder Kinder. Die Umstehenden versuchten sie zu trennen. Cadfans Gewand war eingerissen, Ordgar blutete im Gesicht. Man musste kein Sprachkundiger sein, um die Unflätigkeiten zu verstehen, die sie sich entgegenschleuderten.
Bischof Leodegar und Nuntius Peregrinus eilten hinzu. Einige der Kleriker hielten die Streithähne gewaltsam zurück, um zu verhindern, dass sie weiter blindwütig auf einander eindroschen.
»Brüder! Seid ihr Brüder in Christo oder wilde Tiere, dass ihr euch derart benehmt?«, brüllte Bischof Leodegar sie an.
Abt Cadfan blinzelte und schien sich zu besinnen. »Der Sachse ist über mich hergefallen«, verteidigte er sich.
»Der Welsche hat mich beleidigt«, schnauzte Bischof Ordgar, doch auch er bekam sich wieder in die Gewalt.
Bekümmert schüttelte Bischof Leodegar den Kopf. »Ihr solltet euch schämen. Begebt euch in eure Quartiere und betet um Vergebung, dass ihr euch derart gegen die Lehren Unseres Herrn vergangen habt. Schande lastet auf euch, bis ihr euer Verhalten gesühnt habt. Ich gebe euch beiden eine letzte Gelegenheit an unseren Beratungen teilzunehmen, nicht euch zuliebe, sondern denen zuliebe, die ihr vertretet. An Theodor von Canterbury und Drostó von Gwynedd werden wir Boten senden, um sie in Kenntnis zu setzen, wie ihr eure heiligen Pflichten wahrnehmt. Wenn wir das nächste Mal zusammentreten und ihr immer noch einander Feind seid, werde ich euch beide von diesem Konzil ausschließen und wir werden ohne eure Mitwirkung fortfahren. Habt ihr das verstanden?«
Beide schwiegen, und dann murmelten sie wie gescholtene Knaben ihr Einverständnis, erst Abt Cadfan und dann auch Bischof Ordgar.
Bischof Leodegar seufzte aus tiefstem Herzen. »Geht nun auseinander«, ordnete er an und schaute jedem in der Runde in die Augen. »Ihr alle, geht auseinander.«
Einzeln oder zu zweit verließen die Männer langsam den prächtigen Hof und begaben sich in die großen Häuser der Abtei.
Abt Dabhóc verzog die Miene zu einem Grinsen und meinte zu seinem Mitbruder: »Das sage ich dir, Ségdae, das wird das heißblütigste Konzil, auf dem ich je gewesen bin. Die Auseinandersetzungen zwischen unseren Leuten waren heftig genug, wenn es um Glaubensfragen ging, aber ich habe nie erlebt, dass es unter Geistlichen zu einer regelrechten Schlägerei gekommen ist.«
»Ich fürchte, unser Gastgeber gibt sich der trügerischen Hoffnung hin, dass diese beiden einen Waffenstillstand schließen für die Dauer des Konzils«, meinte auch Ségdae. »Nicht nur die Kämpfe zwischen den Britanniern und den Sachsen werden für Zündstoff sorgen, viel eher noch die Ideen aus Rom. Die Franken und die Sachsen haben sich dafür entschieden – und wir müssen jetzt gegen sie Stellung beziehen. Diese Debatten dürften sich zu neuen Feindseligkeiten zuspitzen.«
»Was die Franken und die Sachsen in ihren Ländern tun, kann uns gleich sein«, erwiderte Abt Dabhóc verdrossen. »Wir haben unsere Glaubenslehre und unsere Liturgie. Was auf diesem Konzil beschlossen wird, gilt für uns ebenso wenig wie die Beschlüsse, die in Whitby verabschiedet wurden.«
Damit war Abt Ségdae keineswegs einverstanden. »Erst hatten wir Whitby, und nun kommt dieses Konzil in Autun. Unsere Glaubensvorstellungen und unsere darauf beruhenden Gebräuche werden allmählich von der neuen Denkweise aus Rom unterwandert, mir passt das ganz und gar nicht. Über die Jahre haben Synoden oder Konzile wie dieses hier die ursprünglichen Grundsätze des Glaubens verändert oder mit Zusätzen versehen, so dass die Lehren der Gründungsväter kaum noch zu erkennen sind.«
Abt Dabhóc nahm das mit Befremden auf, doch Ségdae redete unbekümmert weiter: »Genauso ist es. Selbst über den Tag, an welchem Unser Herr das Martyrium erlitt, sind wir mit Rom mehr als einmal in Streit geraten. Hat nicht sogar unser Columbanus darüber mit dem Bischof von Rom gestritten?«
»Das stimmt schon. Doch selbst in Ard Macha denken wir darüber nach, ob es nicht günstiger wäre für die Christenheit, das Osterfest an einem für alle verbindlichen Termin zu feiern.«
»Wichtiger scheint mir, das Fest in Wahrheit zu feiern, als über Nebensächlichkeiten zu diskutieren«, murmelte Abt Ségdae.
»Wenigstens wird sich dieses Konzil nicht mit Kalendern und Terminen für die großen Feierlichkeiten befassen, sondern mit dem Bekenntnis zu unserem Glauben und damit, wie wir in den klösterlichen Gemeinschaften ein gottgefälliges Leben führen. Ich jedenfalls sehe den Debatten voller Erwartung entgegen«, schloss Abt Dabhóc.
Erstmals ließ Abt Ségdae ein kurzes Lächeln über seine ernsten Züge gleiten. »Lebhaft dürften die Debatten gewiss werden, so wie unsere Brüder aufeinander losgegangen sind«, scherzte er.
Sie blieben im Gang der hospitia oder Gastquartiere stehen, wo jedem Würdenträger eine eigene Kammer zugedacht worden war.
»Wie ich höre, sind deine Berater noch nicht eingetroffen?«, fragte Abt Dabhóc, ehe sie sich trennten.
Wieder blickte Abt Ségdae ernst und auch bekümmert drein. »Sie haben sich allein auf die Reise begeben und müssten schon seit Tagen hier sein.«
»Die See kann sich sehr stürmisch gebärden, und die Überfahrt ist ohnehin schon lang, bevor man das Festland erreicht. Dann kommt noch die Reise flussaufwärts dazu. Wen erwartest du? Ihr habt in Muman bedeutende Gelehrte.«
»Fidelma von Cashel hat eingewilligt, uns bei den rechtlichen Fragen zu beraten, ehe wir den Beschlüssen zustimmen – das heißt zu prüfen, ob sie mit dem Gesetzwerk des Fénechus vereinbar sind.«
Abt Dabhóc war freudig erstaunt. »Fidelma? Ihren Namen pfeifen die Spatzen von den Dächern in den fünf Königreichen, besonders seit sie Anfang des Jahres den Mord am Hochkönig aufgeklärt hat. Nur, einen Mord aufzuklären ist eine Sache, doch abzuwägen, wie die Beschlüsse dieses Konzils die Gesetze und Gebräuche in den fünf Königreichen berühren, ist etwas gänzlich anderes.« Plötzlich musste er lachen. »Wenn unsere britannischen und sächsischen Freunde sich weiter in den Haaren liegen, könnten wir ihr vielleicht sogar einen neuen Mord bieten.«
Das fand Abt Ségdae nicht sehr spaßig. »Mit dergleichen sollte man nicht scherzen, mein lieber Bruder. Nachdem ich gemerkt habe, was in dieser Abtei vorgeht, mache ich mir Vorwürfe, sie überhaupt gebeten zu haben, mich zu begleiten. Doch es wird spät. Uns bleibt vor der Abendmahlzeit kaum noch Zeit, unser Bad zu nehmen.«
Jemand rüttelte ihn. Er vernahm eine Stimme, die ihn eindringlich anrief. Abt Ségdae wurde vollends wach und blinzelte ins Licht der Kerze in einer Laterne, die jemand über ihn hielt.
»Bischof Leodegar schickt mich, du musst sofort kommen!«
Abt Ségdae suchte die schemenhafte Gestalt des Mönchs zu erkennen, der ihn aus tiefstem Schlaf gerissen hatte. Es war noch dunkel im Zimmer und recht kalt.
»Was gibt es denn?«
»Bischof Leodegar hat gesagt …«, begann der andere.
»Ich habe dich schon verstanden«, erwiderte der Abt und richtete sich mühsam auf. »Was ist passiert?«
Der Mönch schien erregt. »Kann ich dir nicht sagen … du sollst gleich mitkommen.«
Mit einem Seufzer schwang sich der Abt aus dem Bett und warf sich seine Robe über. Wenige Minuten später folgte er dem Mönch durch den dunklen Flur.
»Wohin gehen wir, oder kannst du mir auch das nicht sagen, Bruder … Bruder …?«
»Bruder Sigeric.«
»Wo bringst du mich hin?«
»Zum Quartier des sächsischen Bischofs. Bischof Ordgar.«
»Wieso das?«
»Ich hab von Bischof Leodegar nur den dringenden Auftrag, dich dorthin zu begleiten.«
Abt Ségdae schnaufte gereizt. Er begriff, weitere Auskunft würde er nicht erhalten.
Es dauerte gar nicht lange, bis sie vor einer Kammer waren, deren Tür weit offen stand. Bruder Sigeric bedeutete ihm einzutreten. Der Anblick, der sich dem Abt bot, ließ ihn auf der Schwelle verharren. Ein Mönch beugte sich über eine Gestalt auf dem Boden. Er erkannte sofort, dass es sich um Abt Cadfan handelte. Cadfan stöhnte; das gab Abt Ségdae wenigstens die Gewissheit, er lebte, Gott sei Dank. Dann sah er Bischof Leodegar neben einem zweiten auf der Erde Liegenden stehen, der gleichfalls geistliche Gewänder trug.
»Bischof Ordgar?«, fragte er knapp. »Hat Cadfan ihn etwa erschlagen?«
Hinter der offenen Tür hörte man es stöhnen.
Abt Ségdae machte einen Schritt hinein in den Raum und schaute zum Bett. Dort lag wie leblos Bischof Ordgar von Canterbury. Verwirrt wandte sich der Abt wieder Bischof Leodegar und dem zweiten Mann am Boden zu.
»Ich fürchte, das ist dein Mitbruder, Abt Dabhóc von Tulach Óc«, sagte Bischof Leodegar langsam. »Deshalb habe ich dich holen lassen, Bruder. Abt Dabhóc wurde ermordet.«
»Da wären wir!« Clodio, der ältere, muskelbepackte Schiffer nahm eine Hand von der Ruderpinne und zeigte nach vorn, als das Frachtboot zwischen Bäumen und Kalksteinböschungen um die Biegung des breiten Flusses glitt. Seine beiden Fahrgäste im Welldeck horchten auf, und ihr Blick folgte seinem ausgestreckten Arm zum Ufersaum.
»Ist das Nebirnum?«, fragte die Nonne. Ihrem Habit nach stammte sie aus dem Land Hibernia. Sie war von stattlicher Statur, eine angenehme schlanke Erscheinung mit leuchtenden Augen, wenn Clodio sich auch nicht recht entscheiden konnte, ob sie nun blau oder grün waren. Ihre Farbe schien je nach Stimmung zu wechseln. Unter der Kapuze drängten sich widerspenstige Strähnen rötlichen Haars. Von Anfang an war sie dem Schiffer als eine attraktive Frau aufgefallen. Wenn sie sich mit ihrem Begleiter, einem etwa gleichaltrigen angelsächsischen Klosterbruder, unterhielt – einem stämmigen Mann mit dunkelbraunen Augen und ebensolchen Haaren –, geschah das mit so zwangloser Selbstverständlichkeit, dass Clodio sich zunächst darüber gewundert hatte. Die beiden hießen Fidelma und Eadulf, und der Bootsführer hatte bald bemerkt, dass sie Eheleute waren, denn sie sprachen oft von einem Kind, das sie hatten daheim lassen müssen, als sie diese Reise antraten.
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