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Es geht um alles für Schwester Fidelma.
Schwester Fidelma ist ins Reich des Königs von Laigin geeilt, um Bruder Eadulf, ihrem engsten Freund und Vertrauten zu helfen, der dort unter Mordverdacht steht. Schon am nächsten Morgen soll er gehängt werden. Fidelma, fest von seiner Unschuld überzeugt, versucht erst einmal, Berufung gegen das offenbar vorschnell ausgesprochene Todesurteil einzulegen. Doch die Mächtigen in der Stadt und der großen Abtei haben viel zu verbergen und scheinen größeres Interesse an Eadulfs Tod als an der Wahrheit zu haben ...
"Eine der interessantesten Detektivinnen der letzten Jahre." Ellery Queen Mystery Magazin.
"Brilliant gestalteter Hintergrund ... Wunderbar assoziativ." The Times.
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Seitenzahl: 481
Peter Tremayne
Vor dem Tod sind alle gleich
Historischer Kriminalroman
Aus dem Englischen von Friedrich Baadke
Die Originalausgabe unter dem Titel»Our Lady of Darkness«erschien 2000 bei Headline Book Publishing, London.
ISBN E-Pub 978-3-8412-0419-6ISBN PDF 978-3-8412-2419-4ISBN Printausgabe 978-3-7466-2018-3
Aufbau Digital,veröffentlicht im Aufbau Verlag, Berlin, November 2011© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, BerlinDie deutsche Erstausgabe erschien 2002 bei Aufbau Taschenbuch,einer Marke der Aufbau Verlag GmbH & Co. KGCopyright © 2000 by Peter Tremayne
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Vervielfältigung und Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlages zulässig. Das gilt insbesondere für Übersetzungen, die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das öffentliche Zugänglichmachen z.B. über das Internet.
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Inhaltsübersicht
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Impressum
HISTORISCHE ANMERKUNG
HAUPTPERSONEN
KAPITEL 1
KAPITEL 2
KAPITEL 3
KAPITEL 4
KAPITEL 5
KAPITEL 6
KAPITEL 7
KAPITEL 8
KAPITEL 9
KAPITEL 10
KAPITEL 11
KAPITEL 12
KAPITEL 13
KAPITEL 14
KAPITEL 15
KAPITEL 16
KAPITEL 17
KAPITEL 18
KAPITEL 19
KAPITEL 20
KAPITEL 21
|5|Für Michael Thomas, meinen literarischen Agenten,
Mentor und Freund, der mich die ersten dreißig Jahre
meiner professionellen Schriftstellerei hindurch geführt hat.
|6|Die Finsternis bringt eher unsere Ängste ans Licht,
als daß sie sie zerstreut.
Lucius Annaeus Seneca d. J.
(um 4 v. Chr. – 65 n. Chr.)
Schwester Fidelma von Cashel, eine dálaigh oder Anwältin bei Gericht im Irland des siebenten Jahrhunderts
Bruder Eadulf von Seaxmund’s Ham, ein angelsächsischer Mönch aus dem Lande des Südvolks
Dego, ein Krieger von Cashel
Enda, ein Krieger von Cashel
Aidan, ein Krieger von Cashel
Morca, ein Gastwirt in Laigin
Äbtissin Fainder, Äbtissin von Fearna
Abt Noé, anam chara (»Seelenfreund«) des Königs Fianamail
Bruder Cett, ein Mönch von Fearna
Bruder Ibar, ein Mönch von Fearna
Bischof Forbassach, Brehon von Laigin
Mel, Hauptmann der Wache in Fearna
Fianamail, König von Laigin
Lassar, Besitzerin des Gasthauses zum Gelben Berg, die Schwester Mels
|18|Schwester Étromma, rechtaire oder Verwalterin der Abtei Fearna
Gormgilla, ein Opfer
Fial, ihre Freundin
Bruder Miach, Arzt der Abtei Fearna
Gabrán, Kapitän eines Flußschiffes und Händler
Coba, ein bó-aire oder Friedensrichter, Fürst von Cam Eolaing
Deog, die Witwe Daigs, des früheren Hauptmanns der Wache in Fearna
Dau, ein Krieger in Cam Eolaing
Dalbach, ein blinder Einsiedler
Muirecht, ein junges Mädchen
Conna, ein junges Mädchen
Bruder Martan von der Kirche der heiligen Brigitta
Barrán, Oberrichter der fünf Königreiche
Die Pferde trabten den in Dunkelheit gehüllten Bergpfad entlang. Es waren vier, und sie schnaubten und keuchten, wenn ihre Reiter sie antrieben. Die Gruppe der Reisenden bestand aus drei Männern und einer Frau. Die Männer trugen die Tracht und die Waffen von Kriegern, doch die Frau unterschied sich nicht nur durch ihr Geschlecht von ihnen, sondern auch dadurch, daß sie in die Kutte einer Nonne gekleidet war. Die Abenddämmerung verbarg ihre Gesichter, aber der Zustand ihrer Pferde und ihre müde Haltung im Sattel verrieten, daß die vier an dem Tage schon viele Kilometer zurückgelegt hatten.
»Bist du sicher, daß dies der richtige Weg ist?« fragte die Frau und warf einen besorgten Blick auf die Wälder ringsum, durch die sie ritten. Der Pfad über den Berg senkte sich immer steiler ins Tal. Unter ihnen war gerade noch eine breite Lichtung mit einem recht großen Fluß zu erkennen.
Der staubbedeckte junge Reiter an der Spitze gab die Antwort.
»Ich bin schon oft als Kurier von Cashel nach Fearna geritten, Lady, und kenne diesen Weg gut. Ungefähr einen Kilometer weiter kommen wir an eine Stelle, wo ein anderer Fluß aus dem Westen in den Fluß da vor uns einmündet. |20|Dort steht Morcas Gasthaus, und da können wir übernachten.«
»Aber es geht um jede Stunde, Dego«, erwiderte die Frau. »Können wir es nicht heute noch bis Fearna schaffen?«
Der Krieger zögerte mit der Antwort. Wahrscheinlich überlegte er, wie er seine Ablehnung respektvoll formulieren sollte.
»Lady, ich habe deinem Bruder, dem König, versprochen, daß ich und meine Kameraden für deine Sicherheit auf dieser Fahrt sorgen. Ich würde davon abraten, in dieser Gegend nachts zu reisen. Auf Leute wie uns lauern hier viele Gefahren. Wenn wir im Gasthaus bleiben und morgen früh aufbrechen, können wir die Burg des Königs von Laigin lange vor dem Mittag erreichen. Auch kommen wir ausgeruht an und nicht übermüdet von einem nächtlichen Ritt.«
Die hochgewachsene Nonne schwieg, und Dego nahm das als Zustimmung.
Dego gehörte der Kriegergarde Colgús, des Königs von Muman, an und war vom König selbst damit beauftragt, dessen Schwester, Fidelma von Cashel, nach Fearna zu geleiten, der Hauptstadt des Königreichs Laigin, das an Colgús Reich angrenzte. Er hatte nicht viel zu fragen brauchen, weshalb Fidelma diese Reise antrat, denn die Neuigkeit hatte sich im ganzen Palast von Cashel verbreitet.
Fidelma war von einer Pilgerfahrt zum Grab des heiligen Jakobus zurückgekehrt, die sie auf die Nachricht hin abgebrochen hatte, daß Bruder Eadulf, der angelsächsische Gesandte Erzbischof Theodors von Canterbury in Cashel, des Mordes bezichtigt wurde. Die Einzelheiten waren noch unklar, doch das Gerücht verlautete, Bruder Eadulf sei auf der Rückreise nach Canterbury, das im Lande der Angelsachsen |21|weiter östlich lag, auf dem Wege durch das Königreich Laigin gefangengenommen und beschuldigt worden, jemanden umgebracht zu haben. Genaueres wußte man nicht.
Sehr gut wußten die Leute in Cashel, daß Bruder Eadulf im Laufe des letzten Jahres nicht nur ein Freund König Colgús, sondern auch ein ständiger Begleiter von dessen Schwester Fidelma geworden war. Es hieß, Fidelma habe sich entschlossen, die Reise nach Laigin zu unternehmen, um ihren Freund zu verteidigen, denn sie war nicht einfach eine Nonne, sondern auch eine dálaigh, eine Anwältin an den Gerichten der fünf Königreiche.
Gerücht hin oder her, Dego wußte, daß Fidelma mit einem Pilgerschiff in Ardmore gelandet und eilig nach Cashel geritten war, kaum eine Stunde mit ihrem Bruder verbracht hatte und dann nach Fearna, der Hauptstadt von Laigin, aufgebrochen war, wo Eadulf gefangengehalten wurde. Dego und seine Kameraden hatten sogar Mühe, mit der finster entschlossenen Fidelma mitzuhalten, die anscheinend besser reiten konnte als sie alle.
Unsicher schaute Dego sie an. In ihren blaugrünen Augen funkelte etwas, was jedem nichts Gutes verhieß, der ihren Willen durchkreuzen wollte. Er war sicher, daß sein Rat den besten Weg wies, aber er wollte Fidelma auch verständlich machen, weshalb er ihn gab. Er wußte nur zu gut, daß es ihr darauf ankam, die Hauptstadt von Laigin so schnell wie möglich zu erreichen.
»Es herrscht Feindschaft zwischen Cashel und Fearna, Lady«, gab er zu bedenken. »An der Grenze von Osraige wird noch gekämpft. Sollten wir auf umherstreifende Kriegertrupps aus Laigin stoßen, könnte es passieren, daß sie die Unverletzlichkeit deines Amtes nicht respektieren.«
|22|Fidelmas ernste Miene lockerte sich einen Moment.
»Ich kenne die Lage, Dego. Dein Rat ist klug.«
Mehr sagte sie nicht. Dego öffnete den Mund, doch ein Blick in ihr Gesicht belehrte ihn, daß jedes weitere Wort überflüssig war und sie verärgern könnte.
Schließlich wußte niemand besser als Fidelma, wie es sich mit dem Streit zwischen Cashel und Fearna verhielt. Sie war schon einmal mit dem leicht erregbaren jungen König Fianamail von Laigin aneinandergeraten. Fianamail war sicherlich kein Freund von Cashel, und jetzt hegte er noch einen besonderen Groll gegen Fidelma.
Deshalb bewunderte Dego den Mut seiner Herrin, weil sie sofort ihrem angelsächsischen Freund zu Hilfe eilte und geradewegs ins Land ihres Feindes ritt. Nur die Tatsache, daß sie eine dálaigh bei Gericht war, erlaubte es ihr, sich so frei und ungehindert zu bewegen. Niemand in den fünf Königreichen würde es wagen, Hand an sie zu legen, denn darauf stand eine furchtbare Strafe: Verlust des Sühnepreises, unwiderrufliche Ausstoßung aus der Gesellschaft und Verlust allen Rechtsschutzes. Kein gesetzestreuer Mensch würde sich wissentlich an einer dálaigh bei Gericht vergreifen, noch dazu an einer wie Fidelma, die vom Großkönig Sechnassach selbst geehrt worden war. Die Würde einer dálaigh bei Gericht gewährte größeren Schutz als ihr Stand als Schwester des Königs von Muman oder gar der als Nonne im Dienste Christi.
Aber es waren nicht die gesetzestreuen Leute, die Dego Sorgen bereiteten. Er wußte, daß König Fianamail und seine Berater verschlagen und hinterhältig sein konnten. Es wäre so leicht, Fidelma töten zu lassen und dann zu schwören, daß herumziehende Geächtete die Tat begangen hätten. |23|Deshalb hatte Colgú seine drei besten Krieger ausgesucht und sie gebeten, seine Schwester nach Laigin zu begleiten. Er erteilte ihnen nicht den Befehl dazu, denn sie wären in ebenso großer Gefahr wie sie, wenngleich er jedem von ihnen einen Amtsstab mitgab zum Zeichen, daß sie als seine Abgesandten den Schutz des Botschaftsrechts genossen. Ihnen einen größeren rechtlichen Schutz zu geben stand nicht in seiner Macht.
Dego und seine Kameraden Enda und Aidan ritten hinter ihr und hielten die Augen ständig offen, um jede Gefahr zu bemerken. Sie hatten ihren Auftrag ohne Zögern angenommen, trotz ihrer Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit des Königs von Laigin. Wohin Fidelma auch ging, sie würden ihr bereitwillig folgen, denn die Leute von Cashel hegten eine besondere Zuneigung zu der hochgewachsenen, rothaarigen jüngeren Schwester ihres Königs.
»Das Gasthaus ist da vorne«, rief Enda von hinten.
Dego kniff die Augen zusammen, um in der Dunkelheit besser zu sehen.
Da erkannte er die an einem Pfahl hängende Laterne, die traditionelle Art, in der die Gastwirte den Ort ihrer Häuser anzeigten und den müden Reisenden buchstäblich den Weg erleuchteten. Dego hielt vor einer Gruppe von Gebäuden an. Ein paar Stallburschen kamen aus den Schatten herbei und hielten die Zügel, während die Reiter ihre Satteltaschen abschnallten und auf die Tür zuschritten.
Ein breitschultriger älterer Mann öffnete sie, und ein Lichtstrahl fiel auf die Gäste vor den hölzernen Stufen, auf denen er stand.
»Krieger aus Muman!« Er runzelte die Stirn, als er ihre Kleidung und Waffen musterte. Sein Ton war nicht einladend. |24|»Euresgleichen sehen wir heutzutage nicht oft in diesem Land. Kommt ihr in Frieden?«
Dego antwortete ihm mit finsterer Miene. »Wir ersuchen um deine Gastfreundschaft, Morca. Willst du sie uns verweigern?«
»Du kennst meinen Namen, Krieger. Woher?«
»Ich habe hier schon öfter übernachtet. Wir sind eine Gesandtschaft des Königs von Cashel an den König von Laigin. Ich frage noch mal, verweigerst du uns das Gastrecht?«
Der Gastwirt zuckte gleichgültig die Achseln.
»Mir steht es nicht zu, das zu verweigern, besonders bei so hochgestellten Reisenden wie Gesandten des Königs von Cashel an meinen eigenen König. Wenn ihr die Gastfreundschaft dieses Hauses beansprucht, so sollt ihr sie haben. Euer Silber ist sicher ebensoviel wert wie das anderer Leute.«
Ohne ein weiteres Wort wandte er sich mürrisch um und ging in die Gaststube zurück.
Im Kamin am Ende des großen Raumes brannte ein Feuer. An mehreren Tischen saßen Leute und speisten und tranken. In einer Ecke hockte ein alter Mann und spielte auf einer cruit, einer kleinen, u-förmigen Harfe. Niemand schien auf sein endloses Zupfen der Saiten zu achten. Einige der Anwesenden waren offensichtlich Einheimische, die mit ihren Nachbarn zusammensaßen und tranken, andere wiederum Reisende bei der Abendmahlzeit. Die geflüsterten Worte »Krieger aus Muman« hatten sich schnell verbreitet, und es wurde still, als sie eintraten. Selbst der Harfner hielt inne.
Dego blickte sich mißtrauisch um, die Hand am Schwertgriff.
|25|»Verstehst du, was ich meine, Lady?« flüsterte er Fidelma zu. »Sie sind uns feind, und wir müssen aufpassen.«
Fidelma lächelte ihm ermutigend zu, ging zu einem freien Tisch, setzte ihre Satteltasche ab und ließ sich nieder. Dego, Enda und Aidan folgten ihrem Beispiel, doch die Blicke der Krieger wanderten umher. Die ungefähr zwanzig anderen Anwesenden blieben still und beobachteten sie verstohlen. Der Gastwirt hatte sich an das entfernte Ende des Raumes zurückgezogen und ignorierte die neuen Gäste.
»Wirt!« Fidelmas Stimme schnitt scharf durch den Raum.
Widerwillig kam der stämmige Mann in eisigem Schweigen zu ihnen herüber.
»Du bist anscheinend nicht gewillt, deine Pflichten nach dem Gesetz zu erfüllen.«
Morca hatte offensichtlich nicht mit ihren bestimmten Worten gerechnet. Überrascht und wütend starrte er sie an.
»Was versteht denn eine Nonne vom Gesetz der Gastwirte?« fragte er höhnisch.
Fidelma erwiderte in gelassenem Ton: »Ich bin eine dálaigh und besitze den Grad des anruth. Beantwortet das deine Frage?«
Die Atmosphäre schien noch kälter zu werden.
Dego legte wieder die Hand an den Schwertgriff, seine Muskeln spannten sich.
Fidelma hielt den Blick des Gastwirts mit ihren feurigen grünen Augen fest wie die Schlange den des Kaninchens. Der Mann schien wie gebannt. Ihre Stimme blieb sanft und elektrisierend.
»Du hast die Pflicht, uns zu Diensten zu sein, und zwar gutwillig. Wenn nicht, machst du dich des etech schuldig, also der Weigerung, die dir vom Gesetz auferlegte Pflicht zu |26|erfüllen. Dann müßtest du einem jeden von uns unseren Sühnepreis zahlen. Wenn festgestellt wird, daß du wissentlich und böswillig gehandelt hast, könntest du auch das dire des Gasthauses verlieren, das Haus könnte ohne Entschädigung abgerissen werden. Mache ich dir das Gesetz klar, Gastwirt?«
Der Mann starrte sie an, als versuche er seine verlorene Stimme wiederzufinden. Schließlich senkte er vor ihrem feurigen Blick die Augen, trat verlegen von einem Bein aufs andere und nickte.
»Ich wollte nicht unhöflich sein. Die Zeiten … Die Zeiten sind schwierig.«
»Die Zeiten mögen schwierig sein, aber das Gesetz bleibt das Gesetz, und dem mußt du gehorchen«, erwiderte sie. »Meine Gefährten und ich brauchen ein Nachtlager und ein Abendessen – und zwar sofort.«
Der Mann nickte wieder, und seine Haltung wurde diensteifrig.
»Dafür wird sogleich gesorgt, Schwester. Sogleich.«
Er wandte sich um und rief nach seiner Frau, und das schien zugleich das Signal dafür, daß das Schweigen endete und die Unterhaltung wiederaufgenommen wurde. Auch die klagenden Töne der Harfe waren wieder zu vernehmen.
Dego lehnte sich zurück und entspannte sich mit einem schwachen Lächeln.
»Die Leute von Laigin mögen uns ganz sicher nicht, Lady.«
Fidelma seufzte leicht. »Sie glauben unglücklicherweise, sie müßten sich die Vorurteile ihres jungen Königs zu eigen machen. Doch das Gesetz hat über allem zu stehen.«
Die Frau des Gastwirts kam mit einem etwas gekünstelten |27|Lächeln herbei und brachte Schüsseln mit Suppe aus dem Kessel, der auf dem Herd köchelte. Auch Met und Brot wurden ihnen vorgesetzt.
Eine Weile beschäftigten sich die vier Gäste mit ihrer Mahlzeit, denn sie waren den Tag über scharf geritten und hatten sich keine Mittagspause gegönnt. Erst nachdem sie sich satt gegessen hatten und sich ihren Tonkrügen mit Met zuwandten, achtete Fidelma mehr auf die unmittelbare Umgebung und die anderen Gäste.
Die Reisenden bestanden aus ein paar Mönchen in braunen wollenen Kutten und einer kleinen Gruppe von Kaufleuten. Dazu kamen noch Einheimische, meist Bauern, aber auch ein Grobschmied, die einen Trunk und einen Schwatz genossen. Am Nebentisch unterhielten sich zwei Bauern. Nach einer Weile merkte Fidelma, daß ihr Gespräch sich nicht um die üblichen Themen drehte. Sie wandte sich leicht um und hörte genauer hin.
»Es ist richtig, daß sie diesen Mann so hart bestrafen. Der Angelsachse hat es vollkommen verdient«, meinte der eine.
»Die Angelsachsen waren schon immer eine Pest für dieses Land, sie fallen über uns her und plündern unsere Schiffe und Küstenorte«, pflichtete ihm der andere bei. »Sie sind Piraten, und wir sind lange Zeit zu milde mit ihnen verfahren. Ein Krieg gegen die Angelsachsen würde Fianamail mehr einbringen als ein Krieg gegen Muman.«
Einem der Bauern fiel plötzlich auf, daß Fidelma ihnen zuhörte. Er wurde verlegen, hüstelte und erhob sich.
»Na, ich muß zu Bett. Ich will morgen das untere Feld pflügen.« Er wünschte dem Gastwirt und seiner Frau eine gute Nacht und ging hinaus.
Fidelma drehte sich zu seinem Gefährten um. Er war jünger |28|und seiner Tracht nach ein Schafhirt. Den Grund für den überstürzten Aufbruch des anderen hatte er nicht begriffen, genüßlich trank er seinen Met weiter.
Fidelma begrüßte ihn mit einem freundlichen Nicken.
»Ich hörte, daß ihr von Angelsachsen gesprochen habt«, meinte sie. »Habt ihr hier Probleme mit angelsächsischen Piraten?«
Der Schafhirt wurde verlegen, als eine Nonne ihn ansprach.
»Die Küstenorte im Südosten sind oft von ihnen überfallen worden, Schwester«, antwortete er brummig. »Es heißt, daß drei Handelsschiffe, eins davon aus Gallien, erst vor einer Woche auf der Höhe von Cahore Point angegriffen, ausgeraubt und dann versenkt wurden.«
»Hab ich deinen Freund richtig verstanden, daß man einen solchen Piraten gefangen hat?«
Der Mann überlegte, was sie meinte, und schüttelte den Kopf. »Nein, keinen Piraten. Die Rede war von einem Angelsachsen, der eine Nonne ermordet hat.«
Fidelma lehnte sich zurück und war bemüht, sich ihren Schock nicht anmerken zu lassen. Der Mörder einer Nonne! Das konnte doch nicht ihr Eadulf sein, von dem der Mann da sprach? Vor neun Tagen hatte die Nachricht sie in einer Hafenstadt in Iberia erreicht. Das bedeutete, daß das Verbrechen, dessen man Eadulf beschuldigte, mindestens drei Wochen zurücklag. Die größte Sorge Fidelmas war es, daß die Ereignisse sich schnell entwickelt hätten und sie zu seiner Verteidigung zu spät käme, obwohl ihr Bruder eine Botschaft an Fianamail geschickt und um Aufschub des Verfahrens ersucht hatte. Doch daß Eadulf etwas mit der Ermordung einer Nonne zu tun haben könnte, das war kaum zu glauben.
|29|»Wie konnte er so etwas Schreckliches tun! Weißt du, wie der Angelsachse heißt?«
»Das weiß ich nicht, Schwester. Ich will es auch nicht wissen. Der ist eben so ein mörderischer Hund von einem Angelsachsen, mehr weiß ich nicht, und das genügt mir auch.«
Fidelma schaute ihn tadelnd an. »Woher weißt du, daß er ein mörderischer Hund ist, wie du es ausdrückst, wenn du die Einzelheiten nicht kennst? Sapiens nihil affirmat quod non probat.«
Der Schafhirt war verwirrt. Sie entschuldigte sich sofort für ihren Hochmut, weil sie ihm mit einem lateinischen Zitat gekommen war, und übersetzte: » ›Ein weiser Mann behauptet nichts als wahr, was er nicht beweisen kann.‹ Es wäre doch besser, wenn du das Urteil des Richters abwarten würdest?«
»Nun, die Tatsachen sind schon klar. Nicht einmal die Mönche versuchen ihn zu verteidigen. Es heißt, der Angelsachse sei ein Mönch, deswegen könnte man denken, sie würden seine Verruchtheit decken. Er verdient sein Urteil.«
Verärgert starrte Fidelma ihn an.
»Das ist doch keine Rechtsprechung«, schnaubte sie. »Ein Mensch muß ein Gerichtsverfahren bekommen, bevor man ihn verurteilt und bestraft. Man kann niemanden bestrafen ohne ein Urteil der Brehons.«
»Aber der Mann hat doch schon sein Verfahren gehabt, Schwester, er ist verhört und verurteilt worden.«
»Schon verurteilt?« Fidelma konnte ihr Entsetzen nicht verbergen.
»Es heißt aus Fearna, gegen ihn ist verhandelt und er ist für schuldig befunden worden. Der Brehon des Königs ist von seiner Schuld überzeugt.«
|30|»Der Brehon des Königs? Sein Oberrichter? Meinst du Bischof Forbassach?« Fidelma bemühte sich ruhig zu bleiben.
»Genau den. Kennst du ihn?«
»Den kenne ich allerdings.«
Fidelma erinnerte sich mit Bitterkeit. Bischof Forbassach war ihr Gegner von früher her. Sie hätte sich denken können, daß er dahintersteckte.
»Wenn der Angelsachse schuldig ist, was verlautet über seine Strafe? Wie hoch ist der Sühnepreis? Welche Entschädigung verlangt man von ihm?«
Nach dem Gesetz hatte jeder, der des Totschlags schuldig befunden wurde, wie bei allen anderen Verbrechen eine Entschädigung zu zahlen. Sie wurde die eric-Strafe genannt. Jeder Mensch in der Gemeinschaft hatte einen Sühnepreis, der sich nach seinem Rang und seiner Stellung richtete. Der Täter hatte die Entschädigung an das Opfer zu zahlen oder im Falle des Totschlags an dessen Angehörige. Dazu kamen noch die Gerichtskosten. Bei schweren Verbrechen büßte der Schuldige auch alle seine Bürgerrechte ein und mußte in der Gemeinschaft arbeiten, um sich zu rehabilitieren. Tat er das nicht, konnte er zum Wanderarbeiter heruntergestuft werden, der kaum höher stand als ein Sklave. Diese Leute hießen daer-fudir. Allerdings verfügte das Gesetz weise: »Jeder Tote löscht seine Schuld.« Kinder von Schuldigen wurden mit demselben Sühnepreis wieder in die Gemeinschaft aufgenommen, den ihr Vater oder ihre Mutter besessen hatten, bevor sie des Verbrechens schuldig befunden wurden.
Der Schafhirt starrte Fidelma an, als sei er von der Frage überrascht.
»Es wird keine eric-Strafe von ihm verlangt«, sagte er schließlich.
|31|Das verstand Fidelma nicht, und sie sagte es auch.
»Von welcher Strafe ist dann die Rede?«
Der Schafhirt setzte seinen leeren Krug ab, wischte sich den Mund mit dem Ärmel und stand auf, um zu gehen.
»Der König hat erklärt, das Urteil solle nach den neuen christlichen Bußgesetzen gefällt werden, diesem neuen Rechtssystem, das wohl von Rom kommt, wie es heißt. Der Angelsachse ist zum Tode verurteilt. Ich glaube, er ist schon gehängt worden.«
Mit langsamen Schritten traten die Mönche aus der bronzebeschlagenen Eichentür der Kapelle heraus in das kalte graue Licht des Mittelhofs der Abtei. Es war ein großer Hof, mit dunklen Granitplatten ausgelegt, auf allen vier Seiten erhoben sich die hohen, freudlosen Steinmauern der Abteigebäude und ließen den Innenraum kleiner erscheinen, als er in Wirklichkeit war.
Die Reihe der kapuzentragenden Mönche, an der Spitze ein Bruder mit einem reichverzierten Metallkreuz, bewegte sich in gemessenem Schritt und mit gesenkten Köpfen. Sie hatten die Hände in den Falten der Kutten verborgen und sangen einen lateinischen Psalm. In kurzem Abstand hinter ihnen kam eine ähnliche Zahl von kapuzentragenden Nonnen, die ebenfalls die Köpfe gesenkt hielten und die Oberstimme des Psalms sangen. Das Echo in dem engen Raum erzeugte einen grausigen Effekt.
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