Die Pforten des Todes - Peter Tremayne - E-Book
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Die Pforten des Todes E-Book

Peter Tremayne

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Beschreibung

Tod allen Ungläubigen.

Unweit von Cashel findet man einen jungen Adligen ermordet auf. Das Wappen vom Herrscherhaus des Nachbarkönigreichs Laigin, das man bei ihm entdeckt, ist der einzige Hinweis auf seine Identität. Hat der Ausbruch von Gewalt im Westen des Königreichs etwas mit seinem Tod zu tun? Wer ist der Anführer all des Aufruhrs, der für sich in Anspruch nimmt, vom Siebenten Engel der Offenbarung beauftragt zu sein, alle, die nicht rein im Glauben sind, aus dem Land zu treiben? Wie Fidelma und Eadulf bald feststellen, hat dieser Fall schicksalhafte Bedeutung für das Königreich Muman, das von Fidelmas Bruder regiert wird ...

„Eine brillante und bezaubernde Heldin. Unheimlich anziehend.“ Publishers Weekly.

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Seitenzahl: 521

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Peter Tremayne

DIE PFORTENDES TODES

Historischer Kriminalroman

Auss dem Englischenvon Irmhild und Otto Brandstädter

Impressum

Die Originalausgabe unter dem Titel

The Seventh Trumpet

erschien 2012 bei Headline Book Publishing, London.

ISBN 978-3-8412-0497-4

Aufbau Digital, veröffentlicht im Aufbau Verlag, Berlin, Dezember 2012

© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin

Die deutsche Erstausgabe erschien 2012 bei Aufbau Taschenbuch, einer Marke der Aufbau Verlag GmbH & Co. KG

Copyright © 2012 by Peter Tremayne

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Vervielfältigung und Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlages zulässig. Das gilt insbesondere für Übersetzungen, die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das öffentliche Zugänglichmachen z.B. über das Internet.

Umschlaggestaltung Preuße & Hülpüsch Grafik Design unter Verwendung einer Illustration von Bert Hülpüsch nach historischer Buchmalerei

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Inhaltsübersicht

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Impressum

Inhaltsübersicht

ANMERKUNG DES AUTORS

KAPITEL 1

KAPITEL 2

KAPITEL 3

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

KAPITEL 7

KAPITEL 8

KAPITEL 9

KAPITEL 10

KAPITEL 11

KAPITEL 12

KAPITEL 13

KAPITEL 14

KAPITEL 15

KAPITEL 16

KAPITEL 17

KAPITEL 18

KAPITEL 19

KAPITEL 20

KAPITEL 21

Für Dorothea –

Sie hat mit mir Freud und Leid beim Schreiben geteilt.

Et septimus angelus tuba cecinit et factae sunt voces magnae in caelo dicentes: factum est regnum huius mundi Domini nostri et Christi eius et regnabit in saecula saeculorum

Und der siebente Engel posaunte. Und es wurden große Stimmen im Himmel, sie sprachen: Es sind die Reiche der Welt unseres Herrn und seines Christus geworden, und er wird regieren von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Offenbarung des Johannes 11,15

Vulgata, latein. Übersetzung des Hieronymus, 5. Jh.

HAUPTPERSONEN

Schwester Fidelma von Cashel, eine dálaigh oder Anwältin bei Gericht im Irland des siebenten Jahrhunderts

Bruder Eadulf von Seaxmund’s Ham, ein angelsächsischer Mönch aus dem Lande des Südvolks, ihr Gefährte

IN CLUAIN MÓR

Tóla, ein Bauer

Cainnear, seine Frau

Breac, sein Sohn

AUF DER BURG CASHEL

Colgú, König von Muman, Fidelmas Bruder

Finguine, Sohn von Cathal Cú-cen-máthair , rechtmäßiger Thronnachfolger von Colgú

Ségdae, Abt von Imleach und Oberster Bischof von Muman

Gormán, ein Krieger der Nasc Niadh, der Leibwache des Königs

Caol, Hauptmann der Nasc Niadh

Enda, ein Krieger der Nasc Niadh

Drón, Lord von Gabrán

Dúnliath, seine Tochter

Ailill, ein Krieger, Pflegesohn von Drón,Vetter von Fidelma und Colgú

IN FRAIGH DUBH

Saer, ein Zimmermann

Bruder Ailgesach

Fedach Glas, ein Gastwirt

Grella, seine Frau

Bruder Biasta

AM FLUSS SUIR

Torna, ein Barde

Echna, ein Fährmann

IN DURLUS ÉILE

Gobán, ein Schmied

Leathlobhair, ein leprakranker Bettler

Gelgéis, Prinzessin des Stamms der Éile

Spealáin, ihr Hofmeister

Daig, Bischof der Éile

Brocc, Gelgéis’ Brehon

Áedo, Oberster Richter von Muman

Lady Eithne/Étain von An Dún

Aidan, ein Krieger der Nasc Niadh

IN LIATH MÓR

Abt Cronán

Bruder Anfudán, sein Verwalter

Bruder Sillán

Ségnat, eine Geisel

IN OSRAIGE

Canacán, ein Schafhirt

IN BAILE COLL

Coccán, ein Schmied

ANMERKUNG DES AUTORS

Die im vorliegenden Band geschilderten Ereignisse schließen sich an die im Roman »Der Blutkelch« beschriebenen an und spielen im Jahr 670 AD. Ich habe die Handlung in die Erntezeit Fogamar, in die letzten Tage vor der Herbst-Tagundnachtgleiche gesetzt.

KAPITEL 1

Bevor er aus dem Haus trat, blieb Tóla auf der Schwelle stehen, blickte auf die schwarzen Kuppen des Gebirgszugs im Osten, die sich scharf gegen den weißen Lichtstreifen abhoben, der den anbrechenden Morgen verkündete, holte tief Luft und atmete zufrieden aus. Es war ihm seit Jahrzehnten zum morgendlichen Ritual geworden. Er verharrte noch einen Moment und versuchte aus der Färbung des Himmels abzulesen, was für ein Tag es werden würde. Dann schweifte sein Blick über das dunkle leicht gewellte Land, das sich vor ihm Richtung Süden ausbreitete, und begleitete diese Geste mit einem Kopfnicken wie zur Bestätigung seiner Gedanken. Man konnte zusehen, wie das Licht des neuen Tages das Felsmassiv umfing, das nur wenige Meilen südlich Kontur gewann. Die grauweißen Gemäuer auf dem Rock of Cashel, dem Hauptsitz der Herrscher von Muman, schimmerten bereits deutlich in der Morgendämmerung.

Tóla trat ins Freie und dehnte sich träge. Er war von untersetzter, muskulöser Statur, ein Mann, dessen Körperbau verriet, dass er ein Sohn der Erde war, ein Mann, der den Acker bestellte und das Vieh versorgte. Die aufgehende Sonne verlieh seinem blauschwarzen Haar einen gewissen Glanz und brachte seine gebräunte Haut und die blassen Augen prächtig zur Geltung. Die Arbeit bei Wind und Wetter hatten die Haut gegerbt und seine Gesichtszüge geprägt, doch tat das seiner Erscheinung keinen Abbruch, er wirkte gutmütig und freundlich. Er gab das Bild eines Mannes ab, der mit seinem Leben und allem, was dazu gehörte, zufrieden war.

Unweit von ihm raschelte es, und um das Gebäude kam, freudig winselnd und Schwanz wedelnd, ein großer zottiger Jagdhund getrottet. Sein friedfertiges Gebaren stand im Widerspruch zu dem massigen Körperbau des Tieres. Der Mann beugte sich zu ihm, tätschelte seinen gewaltigen Kopf und erwiderte sein erneutes Winseln mit einem gutmütigen Brummen. Dann drehte sich Tóla um und rief gutgelaunt ins Haus hinein: »Es wird ein schöner Tag heute.«

Eine Frau tauchte im Türrahmen auf, wischte sich die Hände an der Schürze und warf ihrerseits einen raschen Blick auf die Berge im Osten. Sie war wettergebräunt wie Tóla, eine sympathische, wohlproportionierte Frau, der man ebenfalls ansah, dass sie zuzupacken verstand.

»Richtig schön, um die Ernte einzubringen?«

»Richtig schön, Cainnear. Bestimmt werden wir mit dem kleinen Feld heute fertig, und dann haben wir alles Korn unter Dach und Fach.«

»Sieh aber erst nach der Färse, ob sie endlich gekalbt hat«, meinte die Frau.

»Stimmt. Sie lässt sich ganz schön Zeit. Die anderen Kühe sind schon längst auf der Weide. Ich gehe gleich mal nach ihr schauen. Gestern Abend war sie noch unten am Fluss. Vielleicht ist das Kälbchen inzwischen da.« Er machte eine Pause, ehe er weitersprach. »Der Herr Sohn hat sich wohl noch nicht gerührt, oder? Treib ihn aus den Federn. Wir haben viel zu tun heute.«

»Mach ich; und dann komm ich raus aufs kleine Feld.«

Der Bauer nickte und ging zum Schuppen hinter dem bothán, dem aus Stein gebauten kleinen Haus, in dem sie wohnten, um Sense und Rechen zu holen. Geübt schulterte er beides und stapfte über die Felder hinüber zu der dunklen Baumreihe. Der Hund trottete ihm hinterher. Der Bach, der dort floss, begrenzte sein Land im Süden. Er strömte westwärts und mündete in den großen Suir, der die Westgrenze von Tólas Landbesitz bildete.

Als Herr und Hund das kleine Weizenfeld erreichten, das noch gemäht werden musste, war es bereits taghell. Nicht mehr lange, und am Nachthimmel würde der Gealach na gcoinnlíní stehen, der Mond der Stoppelfelder. Er hieß so, weil dann die Kornfelder gemäht und abgeerntet sein mussten. Tóla verharrte einen Moment, schaute über das Feld und schürzte die Lippen wie zu einem stummen Einverständnis. Nur noch heute, dann war alles in der Scheuer. Er konnte Gott danken; es war eine gute Ernte gewesen und überhaupt ein gutes Jahr, denn er hatte nicht eine Kuh verloren, kein Schwein, auch kein Huhn. Keines seiner Tiere war einer Seuche oder einem Raubtier zum Opfer gefallen. Der Gedanke an seinen Viehbestand erinnerte ihn an das Jungtier, das zum ersten Mal trächtig war. Er konnte nur hoffen, dass die Färse in der Nacht endlich gekalbt hatte, andernfalls würde sie schwer überleben. Er sah zur Baumreihe hinüber, aber noch lag sie zu sehr im Schatten, um irgendetwas ausmachen zu können. Tóla legte Sense und Rechen an dem Eckstein des Feldes ab und ging quer über die Stoppeln zu den Bäumen hinüber, auch jetzt in treuer Begleitung seines Hundes.

Er war dem Ziel schon ziemlich nahe, als der Hund plötzlich stehen blieb, den Kopf hob und leise knurrte. Offenbar witterte er etwas Ungewöhnliches.

Stirnrunzelnd blieb auch Tóla stehen und schaute sich um, konnte jedoch nichts Befremdliches entdecken.

»Was gibt’s, Cú Faoil?«, fragte er verhalten. Dann erkannte er am äußersten Ende des Feldes einen dunklen Schatten. Dort stand die Jungkuh und neben ihr ein Kälbchen. Er lächelte erleichtert, merkte aber sogleich, dass die Unruhe des Hundes etwas anderem galt. Er knurrte immer noch. Angestrengt spähte Tóla in die Richtung, die der Hund vorgab, aber ohne Erfolg. Langsam bewegte er sich vorwärts, der Hund gehorsam hinter ihm her, wachsam und argwöhnisch, mit erhobenem Kopf. Tóla wusste, dass Cú Faoil lange, bevor es ein Mensch vermochte, Gefahr wittern konnte und ein zuverlässiger Beschützer war. Er wusste auch, dass er laut und gereizt bellen würde, wäre ein Raubtier in der Nähe. Auch die Kuh mit dem neugeborenen Kälbchen würde nicht derart friedlich am Feldrand stehen, wenn unmittelbare Gefahr drohte. Und doch stimmte etwas nicht.

Das Rauschen des Bachs war an der Stelle hier deutlich zu vernehmen. Das war an sich nichts Besonderes. Die Strömung wurde durch etliche Steine behindert, die Menschen gelegt hatten, um leichter an das andere Ufer zu gelangen. Wenn Reisende ihren Weg nicht am östlichen Ufer des Suir nahmen oder aber ein Boot hatten, mussten sie sich an den Bach, den Arglach, halten, an eben dieser Stelle durch das flache Wasser waten, und konnten dann Richtung Süden weiterziehen. Drüben stießen sie schließlich auf den Weg, der zur Burg Cashel und die sie umgebende Ansiedlung führte. Tóla hatte sein Leben lang in dieser Gegend verbracht. Das Sprudeln des Wassers gegen die Trittsteine der Furt war ihm ein vertrautes Geräusch. Und doch klang es jetzt anders als sonst und lauter. Zudem war die Anspannung des Hundes unverkennbar, der erneut leise knurrte.

Tóla schlängelte sich durch die Baumreihe und lief weiter zum Pfad am Fluss. Sofort sah er, dass die Trittsteine an der Übergangsstelle durch etwas blockiert waren, so dass das Wasser Mühe hatte, das Hindernis zu umgehen, um dann mit neuer Kraft weiterzufließen. Er ging näher heran, um die Sache genauer zu betrachten, stutzte und hielt erschrocken den Atem an.

Als wäre er auf den Steinen ausgeglitten, lag mitten im Fluss ein Mensch.

Tóla zögerte nicht lange; das kalte Wasser reichte ihm bis an die Knie, als er ein Stück von der nassen Kleidung zu packen bekam. An körperliche Arbeit gewöhnt, hatte er einiges an Kraft aufzubieten. Trotzdem hatte er seine liebe Not, den Toten ans Ufer zu zerren; das Wasser drückte den Verunglückten immer wieder mit Macht gegen den kleinen Steinwall. Nach einer Weile aber hatte er es geschafft, und die Leiche lag ausgestreckt am Ufer.

Tóla holte etliche Male tief Luft und besah sich dann den Toten genauer. Es war ein junger, gutaussehender Mann; lange konnte er noch nicht tot sein. Seine Kleidung war aus feinem Tuch und reich mit Stickerei verziert. Um den Hals hatte er eine Goldkette, und an einem Finger leuchtete ein kostbarer Ring mit einem Halbedelstein. Eindeutig ein Mann von Rang. Der kurze, helle Umhang wurde an der einen Schulter von einer Brosche zusammengehalten, die von Kunstfertigkeit zeugte und so etwas wie ein Wappen darstellte. Der mit Edelsteinen besetzte Dolch links am Gürtel steckte noch in der Scheide, ebenso das Schwert an der rechten Seite.

Gedankenvoll rieb sich Tóla den Hinterkopf und betrachtete verstört den Leichnam. Zuallererst hatte er vermutet, der junge Mann wäre auf den nassen Steinen ausgerutscht und gestürzt, hätte sich vielleicht eine böse Kopfverletzung zugezogen. Weshalb aber hätte ein junger Mann von Rang in dieser Gegend und ohne Pferd unterwegs gewesen sein sollen? Eine beunruhigende Vorstellung. Wenn ein Mann von Ansehen auf Tólas Grund und Boden zu Tode gekommen war, selbst wenn es nur durch einen Unfall geschehen war, brachte das Probleme mit sich. Vage erinnerte sich Tóla an so etwas wie die Zahlung einer Wiedergutmachung an die Verwandten, die die Gesetzgebung in solchen Fällen vorschrieb.

Er bückte sich, um nach der Kopfverletzung zu sehen, konnte aber weder eine Platzwunde noch eine Abschürfung entdecken. Erst als er den Leichnam umdrehte, weil er den Hinterkopf genauer betrachten wollte, bemerkte er am Rücken die Schlitze und Risse in der Kleidung. Gleichzeitig wurde er gewahr, dass seine Hand nicht einfach vom Wasser nass war, sondern sich rot färbte. Blut. Beim aufmerksamen Betrachten der Kleidung wurde ihm klar, was passiert war. Er schluckte heftig. Man hatte dem jungen Mann mindestens dreimal in den Rücken gestochen.

Schlagartig ging Tóla auf, was das für ihn bedeutete. Er würde unweigerlich in Schwierigkeiten geraten. Erst das Winseln seines Hundes, der ihn mit der feuchten Schnauze anstupste, weil er spürte, dass mit seinem Herrn etwas nicht stimmte, löste ihn aus seiner Erstarrung. Man hatte den jungen Edlen, wer immer er sein mochte, auf seinem Grund und Boden ermordet, selbst wenn es auf einem häufig begangenen Weg, der über den Fluss führte, geschehen war. Leicht wankend stand Tóla auf, versuchte seine Befürchtungen abzuschütteln und überlegte, wie er sich nun verhalten sollte.

Bis zum Rock of Cashel war es nur ein kurzer Ritt. Auf der Burg gab es Brehons, Rechtsanwälte und Richter. Sie würden wissen, was zu tun sei. Sie würden sich der Sache annehmen, könnten ihm raten. Tóla war mit dem bedingungslosen Glauben an die Weisheit der Brehons aufgewachsen. Noch einmal schaute er auf den leblosen Körper vor sich. Die Brosche, die den Umhang an der Schulter zusammenhielt, hatte die Form eines Medaillons. Möglicherweise stellte sie das Wappen des Clans dar, dem der Tote angehörte. Auf alle Fälle würde sie einen Brehon vielleicht dazu bewegen, herzukommen und der Sache auf den Grund zu gehen. Er bückte sich, löste die Brosche von der Kleidung und nahm sie an sich. Rasch blickte er in die Runde und eilte dann zurück auf seinen Hof, der Hund neben ihm her.

Cainnear, seine Frau, sah ihn kommen und ging ihm besorgt entgegen. Seine Rückkehr musste einen besonderen Grund haben.

»Was ist geschehen?«, fragte sie.

»Ist der Junge auf?«, keuchte Tóla, und blieb ihre eine Antwort schuldig.

»Er wollte den Esel anspannen, um …«

»Breac! Breac!«, rief Tóla zum Schuppen hinüber.

Aus der Scheune kam aufgeschreckt ein sommersprossiger Junge angerannt, der nicht viel älter als sechzehn war.

»Was gibt es, Vater?«

»Ich brauche den Esel. Ich muss sofort nach Cashel«, erklärte Tóla gehetzt. »Nimm eine Waffe und geh an den Fluss zur Furt. Da liegt der Leichnam eines jungen Mannes.« Den Schreckenslaut seiner Frau ignorierte er. »Fass ihn nicht an und sorge dafür, dass auch niemand anders ihn berührt oder sich ihm überhaupt nähert. Cú Faoil lasse ich bei dir. Ich reite nach Cashel, um einen Brehon zu holen.«

Breac sah, wie erregt sein Vater war, und stellte keine unnötigen Fragen. Er rannte zum Stall und kam kurz darauf mit dem Esel zurück. Tóla nutzte die Zwischenzeit, um seiner Frau die Situation zu erklären und sie zu beruhigen. Dann drückte er Breac das Halsband des Hundes in die Hand, damit Cú Faoil verstand, dass er dazubleiben hatte, und sagte mehrmals seinem treuen Begleiter: »Pass auf! Pass auf!«, schwang sich auf den Esel, gab ihm einen Klaps und war auf und davon – zur Burg des Königs von Muman.

KAPITEL 2

Gormán stand gelassen vor den dunklen Eichentüren, die in die Privatgemächer des Königs von Muman führten. Sein Königreich war das größte, südwestlich gelegene von den fünf Königreichen des Landes Éireann. Gormán war ein junger Mann mit heller Haut, dichtem, rabenschwarzem Haar, dunklen Augen und einem gewinnenden Äußeren. Um den Hals hatte er einen goldenen Reif, und den trug er mit einem gewissen Stolz, wies er ihn doch als Mitglied der Nasc Niadh aus, als einen Krieger mit dem goldenen Reif der Leibgarde des Königs von Muman. Gormán war zu Recht stolz auf seine Stellung, denn er hatte sie sich gegen mancherlei Widrigkeiten aus eigener Kraft und Geschicklichkeit erworben. Meist waren Mitglieder der Leibgarde Söhne von Stammesfürsten oder großen Kriegern. Gormán aber war der Sohn einer bé táide, einer ehemaligen Prostituierten, doch dank seiner Fähigkeiten, nicht nur im Umgang mit Waffen, sondern auch dank seines scharfen Verstands, hatte man ihn für einen derartigen Vertrauensposten im Hausstand des Königs auserkoren.

Am hinteren Ende des Ganges tauchte eine Gestalt auf und kam auf ihn zu. Rasch nahm er Haltung an, entspannte sich aber noch im gleichen Moment, als er die Schwester des Königs erkannte. Er war immer noch nicht daran gewöhnt, sie nicht mehr in der Nonnentracht zu sehen. Heute trug sie ein enganliegendes, kragenloses Oberkleid, ein kurzes hellblaues Gewand, das ihr bis über die Hüfte reichte. Von den Schultern hing, von Broschen gehalten, ein cochnull, ein kurzer Umhang, gleichfalls aus hellblauem Stoff, aber mit Gold- und Silberstickerei reichlich verziert. Auch die triubhas, die knöchellangen Hosen, waren eng geschnitten und brachten ihre Figur perfekt zur Geltung. Hosen dieser Art wurden unten am Fuß durch ein schmales Band zusammengehalten. Lederstiefel umschlossen die Knöchel, und in der einen Hand trug sie Handschuhe.

Ihr langes rotes, sorgfältig gekämmtes Haar war gescheitelt, zu drei Zöpfen geflochten und um den Kopf gewunden. Silberne Reifen gaben ihnen den nötigen Halt und zeigten der Außenwelt, dass die Trägerin im gesellschaftlichen Leben tätig war. Das farblich auf die Kleidung abgestimmte kleine Seidentuch, das den Kopf bedeckte, wies darauf hin, dass sie verheiratet oder auf jeden Fall mündig war. Um die Taille war ein críss, eine Art Gürtel, geschlungen, an dem ihre Kammtasche, das , hing, das alle Frauen bei sich trugen und das die nötigen Toilettenartikel enthielt.

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