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Mord im Königshaus
Irland im Jahre 669: Der Hochkönig der fünf Königreiche wird im Schlaf ermordet. Der Täter nimmt sich noch am Tatort das Leben. Gewalttätige Banden ziehen von Kloster zu Kloster und töten Nonnen und Mönche. Schwester Fidelma beginnt mit den Ermittlungen und stößt bald auf eine Verschwörung von ungeahntem Ausmaß.
»Schwester Fidelma – eine kluge, emanzipierte, mutige Frau, die ihre Widersacher in Grund und Boden argumentiert.« Südwestrundfunk
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Seitenzahl: 530
Peter Tremayne
Tod den alten Göttern
Historischer Kriminalroman
Aus dem Englischen von Irmhild und Otto Brandstädter
Die Originalausgabe unter dem Titel
Dancing with Demons erschien 2007
bei Headline Book Publishing, London.
ISBN E-Pub 978-3-8412-0142-3
ISBN PDF 978-3-8412-2142-1
ISBN Printausgabe 978-3-7466-2442-6
Aufbau Digital,
veröffentlicht im Aufbau Verlag, Berlin, November 2010
© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin
Die deutsche Erstausgabe erschien 2008 bei Aufbau Taschenbuch, einer
Marke der Aufbau Verlag GmbH & Co. KG
Copyright © 2007 by Peter Tremayne
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Inhaltsübersicht
Informationen zum Buch
Informationen zum Autor
Impressum
HAUPTPERSONEN
IN RATH NA DRÍNNE
IN CASHEL
IN TARA
HISTORISCHE ANMERKUNG
PROLOG
KAPITEL 1
KAPITEL 2
KAPITEL 3
KAPITEL 4
KAPITEL 5
KAPITEL 6
KAPITEL 7
KAPITEL 8
KAPITEL 9
KAPITEL 10
KAPITEL 11
KAPITEL 12
KAPITEL 13
KAPITEL 14
KAPITEL 15
KAPITEL 16
KAPITEL 17
KAPITEL 18
KAPITEL 19
KAPITEL 20
KAPITEL 21
KAPITEL 22
KAPITEL 23
EPILOG
Gewidmet den unentwegten Enthusiasten aus zehn Ländern, die sich vom 8.–10. September 2006 in Cashel zum ersten
Féile Fidelma: Sister Fidelma’s World at Cashel
zusammenfanden, und den Organisatoren und Bürgern von Cashel, voller Dank für die erbrachten Leistungen.
AD 669: Iar mbeith cúicc bliadhna ós Érinn h-i righe do Sechnussach mac Blaithmaic, do-cear la Dubh Duin, flaith Ceneoil Coibre. As for Sechnussach do-athadh an teistimen-si:
Ba srianach, ba h-eachlascach
In teach h-i mbidh Sechnussach
Ba h-imdha fuigheall for slaitt
h-istaigh i mbidh mac Blathmaic
Annála Rioghachta Éireann
A. D. 669: Nachdem Sechnussach, Sohn des Blathmac, fünf Jahre lang über Irland geherrscht hatte, wurde er von Dubh Duin, Stammesfürst der Cinél Cairpre, ermordet. Es war Sechnussach, dem dieses ruhmreiche Zeugnis galt:
Voller Zaumzeug und Reitpeitschen
war das Haus, in dem wohnte Sechnussach.
An Ehrenpreisen gab es die Fülle
in dem Haus, in dem wohnte der Sohn des Blathmac.
Annalen der Könige von Irland
Schwester Fidelma von Cashel, eine dálaigh oder Anwältin bei Gericht im Irland des siebenten Jahrhunderts
Bruder Eadulf von Seaxmund’s Ham, ein angelsächsischer Mönch aus dem Lande des Südvolks, ihr Ehemann
Ferloga, Gastwirt
Lassar, seine Frau
Colgú, König von Muman und Bruder Fidelmas
Bruder Conchobhar, Apotheker und Arzt
Caol, Befehlshaber der Nasc Niadh, der Leibwache des Königs von Muman
Gormán, einer der Leibwächter
Cenn Faelad, der neue Hochkönig
Barrán, Oberster Brehon
Sedna, Stellvertreter des Obersten Brehon
Abt Colmán, geistlicher Ratgeber und rechtaire oder Oberkämmerer des Hochkönigs
Bruder Rogallach, bollscari oder Kammerherr des Hochkönigs
Gormflaith, Witwe des Hochkönigs Sechnussach
Muirgel, älteste Tochter von Sechnussach und Gormflaith
Irél, Befehlshaber der Fianna, der Leibgarde des Hochkönigs
Erc der Sommersprossige, Krieger der Fianna
Cuan, ein Krieger der Fianna
Lugna, ein Krieger der Fianna
Mer, eine alte, verwirrte Frau
Iceadh, Heilkundiger, Leibarzt des Hochkönigs
Brónach, Obermagd
Báine, eine Magd
Cnucha, eine Magd
Torpach, ein Koch
Maoláin, sein Gehilfe
Diurnín, ein Diener
Assíd, ein Sklave
Verbas von Peqini, Sklavenhalter und Kaufherr
Bischof Luachan, Bischof von Delbna Mór
Bruder Céin, sein Verwalter
Bruder Diomasach, ein Schreiber
Bruder Manchán, ein Mönch von Baile Fobhair
Ardgal, Stammesfürst der Cinél Cairpre
Beorhtric, ein angelsächsischer Krieger
Dubh Duin, Stammesfürst, Attentäter
Die Vorfälle, um die es in dieser Geschichte geht, begaben sich zu Beginn des Winters A. D. 669 und somit ein Jahr nach den Geschehnissen, die im Roman Ein Gebet für die Verdammten geschildert wurden. Bei dem Datum der Ermordung Sechnussachs habe ich mich an die Annála Tighernach und Annála Rioghachta Éireann gehalten, wenngleich mir bewusst ist, dass andere Annalen wie die Annála Ulaidh und Chronicum Scotorum das Vorkommnis um zwei Jahre später, nämlich auf den Winteranfang A. D. 671 verlegen. Einige Gelehrte bevorzugen das erstgenannte Datum, andere neigen zum zweiten.
In der Handschrift Ban Shenchus (Geschichte der Frauen), die Gilla Mo Dutu Ua Casaide auf Daimh Inis (heute Devenish, Grafschaft Fermanagh) im Jahre 1147 zusammenstellte, wird an verschiedenen Stellen sowohl A. D. 669 als auch A. D. 670 als Datum für den Mord an dem Hochkönig genannt. Ban Shenchus erwähnt die drei Töchter Sechnussachs und weiß zu berichten, dass die jüngste, Bé Bhail, siebzig Jahre nach dem Vorfall starb, woraus man ableiten kann, dass sie damals noch sehr jung gewesen sein muss.
Alle Chronisten stimmen darin überein, dass der Hochkönig Sechnussach vom Stammesfürsten der Cinél Cairpre ermordet wurde; das Gebiet seines Clans lag im Norden der heutigen Grafschaft Sligo und im Nordosten der Grafschaft Leitrim. In den Annála Tighernach ist außerdem nachzulesen, dass Sechnussach die Kehle durchtrennt wurde (jugulatio). Demzufolge lautet die zentrale Frage in unserem Mordfall nicht »Wer war der Täter?«, sondern vielmehr »Warum tat er’s?«
Bei den meisten Ortsnamen war ich wie in den vorhergehenden Bänden dieser Romanfolge bestrebt, anachronistische Bezeichnungen zu vermeiden. Deshalb schreibe ich zum Beispiel Muman anstelle von Munster – die Silbe ster oder stadr ist ein von den Wikingern gebrauchtes Suffix (stadr heißt »Ort«). In zwei Fällen habe ich die Regel durchbrochen und mich für die anglisierten Formen entschieden, damit der Leser die geografischen Bezeichnungen leichter einordnen kann. Ich benutze die anglisierten Formen Tara und Cashel, verzichte also auf die ursprüngliche Schreibung Caiseal Mumhan. Tara ist weltweit als der Sitz der Hochkönige von Irland bekannt. Der Name ist die anglisierte Form des Genitivs Teamhrach von Téa. Sie war die Frau von Eremon, dem Sohn des Mile Easpain oder Milesius, der die Gälen nach Irland führte. Über Bedeutung und Ursprung des Ortsnamens besteht auch heute noch keine endgültige Klarheit.
Für Erc den Sommersprossigen, Wachtposten am Tor von Ráth na Ríogh, der königlichen Burg mit dem herrschaftlichen Palast von Tara, erwies sich der Mann, den er in der Dunkelheit aufgefordert hatte, sich zu erkennen zu geben, nicht als Fremder. Er kannte ihn, und arglos gewährte er ihm Zutritt, ließ ihn sich frei und ohne Begleitung in dem Herrschersitz der Hochkönige von Éireann bewegen. Erc war, wenn es darauf ankam, ein unerschütterlicher Krieger, aber an Vorstellungskraft mangelte es ihm. Es wäre ihm gar nicht eingekommen, einer Person, die bei den Palasthütern allseits bekannt war und in früher Morgenstunde um Einlass in den Königsbereich bat, nach seinem Begehr zu fragen. Dass er den Mann, der im Fackelschein am Haupttor stand, kannte, genügte Erc. Ohne Zögern und eine Frage nach dem Woher und Wohin zu stellen, ließ er ihn ein. Wusste er doch, dass der vor ihm stehende Stammesfürst oft genug am Tage vom Hochkönig empfangen worden war. Zumindest würde er das bei der Befragung dem Brehon so erklären, aber bis es dazu kommen sollte, war es bereits zu spät.
Zu seiner Verteidigung muss gesagt werden, dass es auch sonst guten Grund gab anzunehmen, alles sei bestens geschützt. Jedermann wusste, dass man unmöglich in den riesigen Bezirk, in dem die Gebäude von Tara standen, eindringen konnte. Er war zu gewaltig und bestens gesichert, sowohl was die Zahl der Wachtposten anging als auch von der massiven Bauweise her. Eine ernsthafte Bedrohung verbot sich von selbst. Die Hügelkuppen, auf denen sich die königliche Festung erhob, war über die Jahrhunderte hinweg mit Gebäuden mannigfacher Art bebaut worden, und unter ihnen erstreckte sich ein üppiges Tal mit einem mächtigen Fluss, der den Namen der alten Göttin Bóinn trug. Es hieß, die Festung war nach Téa, der Frau von Eremon benannt worden, der zusammen mit seinem Bruder Eber den Stamm der Gälen in dieses Land geführt und sie zu Vorzeiten hier angesiedelt hatte. Erc den Sommersprossigen interessierten die alten Legenden nicht. Ihm war einzig und allein wichtig, dass kein Feind in die Ringfestung einzudringen vermochte, und so paarte sich Unbekümmertheit mit seiner mangelnden Vorstellungskraft.
Der Kern der Burganlage ging auf den viel gerühmten Hochkönig Cormac Mac Art zurück. Er hatte vor drei Jahrhunderten den Bau des großen rechteckigen Hauses angeordnet, das bis heute den Namen Tech Cormaic, Haus des Cormac, trug und das auch jetzt noch den Hochkönigen als Wohnsitz diente. Ihm gegenüber, mehr nach Osten, lag der Forradh, der königliche Sitz, von dem aus die Hochkönige die Geschicke der fünf Königreiche lenkten. Selbst der riesige Tech Miodhchuarta, der Festsaal, ging auf Cormac zurück. Auch die Befestigungsanlagen zum Schutz des inneren Burghofs hatte er bauen lassen. Hohe Mauern und Gräben, gewaltige ovale Erdwälle sicherten die ganze Anlage, und an jedem der Eingangstore standen Wachtposten.
Tara war unbezwingbar. Kein Wunder, dass Erc der Sommersprossige unbesorgt war, als der Adlige, den er kannte, in der noch nachtdunklen Frühe am Tor erschien, das er bewachte. Er hatte ihn nicht weiter befragt. Es hatte ihm genügt, dass er im Fackelschein die Gesichtszüge des Mannes gesehen und erkannt hatte. Er hob lediglich seinen Speer zum Gruß, ging die Holztreppe hinunter zum immdorus, der kleinen Pforte in dem verriegelten großen Eingangstor zur Burg, löste das Schloss, öffnete die Tür und bedeutete dem Mann einzutreten. Der tat wie geheißen und nickte Erc freundlich lächelnd zu.
Sobald er das Tor und dann die Brücke, die über den Graben führte, der so tief war, dass drei Männer übereinander darin hätten stehen können, hinter sich gelassen hatte, wirkte er gehetzt. Mit gesenktem Kopf, hochgezogenen Schultern und weit ausholenden Schritten eilte er dahin, wobei er sich im Halbdunkel abseits der Wege hielt. Die große Festhalle, die düster in die Höhe ragte, ließ er zu seiner Rechten liegen, ebenso zu seiner Linken ein aus Steinquadern errichtetes Bauwerk, in dem die Hochkönige ihre Versammlungen abhielten. Gleich dahinter ging er nach links und hastete zum Bestattungshügel, den es schon immer dort gegeben hatte, lange bevor die Gälen in das Land kamen. Er ließ den Forradh hinter sich und stand vor dem großen Gebäude des Tech Cormaic, der Wohnstatt des Hochkönigs.
Im Schutz einiger Bäume und Sträucher, die dem Gebäude etwas Anheimelndes verleihen sollten, blieb er stehen. Zwei Fackeln, die auf beiden Seiten der dunklen Eichentüren in eisernen Haltern steckten, gaben ein fahles Licht, und unzählige Schatten tanzten gespenstisch um das Portal.
Plötzlich bewegte sich etwas, und er trat tiefer in den Schatten zurück, während seine Hand unwillkürlich den Schwertgriff fasste. Er kniff die Augen zusammen, als würde ihm das helfen, in der Dunkelheit besser zu sehen.
Mit gezogenem Schwert, dessen Klinge lässig an der Schulter ruhte, tauchte an der Ecke des Gebäudes ein Krieger auf, kam gemächlich näher und blieb vor den Türen aus Eichenholz stehen. Kurz darauf gesellte sich ein zweiter Krieger zu ihm.
Der eine fing an, leise etwas zu sagen; in der lautlosen Stille hatte der Fremde keine Mühe, seine Worte zu verstehen.
»Schrecklich, wie langsam die Zeit vergeht, findest du nicht auch, Cuan?«
»Verdammt langsam«, pflichtete ihm der andere bei. »Wie lange ist es noch bis zum Morgen, Lugna?«
Der schaute zum Himmel. Viele Wolken gab es nicht, aber die wenigen, die der Wind vor sich her trieb, verdeckten den blassen Dreiviertelmond. Mit raschem Blick begutachtete Lugna die Position der Sterne.
»Das dauert noch ’ne Weile.«
»Ob ein herzhafter Schluck gegen die Morgenfrische hilft? Ich weiß, wo in der Küche ein Krug steht.«
Sein Kumpan zauderte. »Wir dürfen die Türen nicht unbewacht lassen. Was, wenn Irél kommt und die Wache überprüft?«
Cuan gluckste vor Vergnügen. »Unser lieber Vorgesetzter hat sich in seine Kammer zurückgezogen. Vor der Wachablösung in der Früh lässt der sich nicht blicken. Los, komm, ein Schlückchen corma vertreibt die Nachtkühle.«
Lugna rang mit sich, gab aber schließlich nach. »Na gut. Geh voran.«
Die beiden Wachhabenden trollten sich, stapften am Haus des Hochkönigs vorbei und verschwanden in der Dunkelheit, wo sie der ircha, der Küche, zustrebten. Die lag im hinteren Ende des Gebäudes und hatte einen separaten Zugang.
Der im Dunklen wartende Fremde grinste vergnügt vor sich hin, hielt vorsichtig Umschau, vergewisserte sich, dass niemand anders in der Nähe war und schritt rasch hinüber zu den schweren Türen. Seine Hand gehorchte ohne Zittern, als er den eisernen Türgriff drehte. Ein Türflügel öffnete sich wie von selbst. Er schlüpfte in das große Gebäude. Die beiden Wachtposten wusste er in der Küche, und dass es im königlichen Haus keine weiteren Wächter gab, war ihm wohlbekannt. Seine Anspannung ließ nach, und leise schloss er die Tür hinter sich. Über die mit rotem Eibenholz verkleideten Wände huschten die Schatten von blakenden Öllampen. So weit, so gut, dachte er zufrieden.
Wenn er richtig informiert war, schlief der Hochkönig in dieser Nacht allein. Der Eindringling grinste niederträchtig. Ihm war bekannt, dass die Gattin des Hochkönigs zur Zeit nicht in Tara weilte. Sie hatte sich in Begleitung ihrer Töchter auf den Weg nach Cluan Ioraird zur Abtei des heiligen Finnian gemacht, um für den Seelenfrieden ihrer Mutter zu beten. Die Mutter war vor kurzem an der Gelben Pest gestorben. Ohnehin wusste der Fremde, dass der Hochkönig seit längerem nicht mehr mit seiner Gattin, Lady Gormflaith, schlief. Falls der Hochkönig nicht gerade eine andere Frau eingeladen hatte, das Bett mit ihm zu teilen, würde er ihn also allein in seinem Gemach vorfinden.
Der Mann kannte den Weg zum Schlafgemach des Hochkönigs bestens. In aller Bedächtigkeit stieg er die breiten Holzstufen der Treppenflucht nach oben, gelangte in den oberen menschenleeren Flur und blieb stehen. Er wendete den Kopf in eine bestimmte Richtung und lauschte. Alles war ruhig. Jetzt konnte er nur hoffen, dass auch die anderen ihre Rolle gespielt hatten. Es vergingen einige Augenblicke, dann hörte er, wie sich zu seiner Rechten leise eine Tür öffnete. Sicherheitshalber drückte er sich an die getäfelte Wand, als er einen Schatten wahrnahm. Es war eine Frauengestalt. Sie hatte er erwartet.
Sie tauschten keinen Gruß miteinander. Die Frau streckte ihm nur eine Hand entgegen, und im nächsten Moment hielt er in der seinen einen sich kalt anfühlenden Schlüssel, einen eochuir aus Bronze.
»Das Schloss ist gut geölt«, flüsterte die Frau. »Ich habe mich selbst drum gekümmert.«
»Ist er allein?«
Sie zögerte kurz. Dann: »Ich bin ziemlich sicher«, kam die leise Antwort. »Die Alte hat die Stufen, die zur Hintertür führen, nicht aus dem Auge gelassen. Seit er sich zur Nachtruhe zurückgezogen hat, hat sie niemand hinaufgehen sehen.«
»Gut. Geh wieder in deine Kammer. Ich ruf dich, wenn ich die Sache erledigt habe. Du weißt, worauf du zu achten hast?«
»Selbstverständlich.« Ihre Stimme klang spöttisch. »Habe ich nicht mein ganzes Leben auf diesen Moment gewartet? Bist du bereit?«
»Ich kenne meine Rolle ebenso gut wie du deine. Noch vor Tagesanbruch müssen wir von hier verschwunden sein.«
»Die Alte kennt den Weg. Sie wird uns führen. Man darf uns nicht erwischen. Du weißt, was getan werden muss, wenn etwas schief geht?«
»Ja«, erwiderte er verbissen.
Ohne weitere Worte verschwand sie dorthin, woher sie gekommen war.
Er ging auf die dunkle Eichentür am Ende des Ganges zu. Ganz vorsichtig und leise steckte er den Schlüssel ins Schlüsselloch und drehte ihn langsam. Das Schloss war tatsächlich bestens geölt, es gab nicht das geringste Geräusch. Den Türgriff drehen, ein leichter Stups, und die Tür öffnete sich einen Spalt. Für den Bruchteil einer Sekunde verspürte er Erleichterung. Er horchte erneut. Von weiter hinten im Dunklen war nichts zu hören. Er stieß die Tür ganz auf, schlich auf leisen Sohlen hinein in die Finsternis und zog die Tür hinter sich sacht zu. Ohne recht zu überlegen, ließ er den Schlüssel in den Beutel gleiten, den er am Gürtel trug. Mit dem Rücken an die Tür gelehnt blieb er einen Moment stehen und wartete, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten.
Als er einzelne Umrisse erkennen konnte, merkte er, dass das bleiche Mondlicht den Raum schwach erhellte. Offensichtlich waren die Wolken weitergezogen und gaben den fahlen Schimmer frei, der ins Zimmer drang und auch das Bett erkennen ließ, auf dem eine Gestalt ruhte.
Der Hochkönig lag auf dem Rücken und schien zu schlafen. Voller Genugtuung nahm es der Fremde zur Kenntnis. Mit einer raschen Bewegung zog er den Dolch, die Schneide scharf wie ein Rasiermesser, und sprang geschmeidig an die Bettstatt. Ohne lange zu überlegen, drückte er die Klinge auf die Kehle seines Opfers. Aus der durchtrennten Vene spritzte etwas Blut, während er wie ein Metzger, der ein Lamm schlachtet, die Kehle durchschnitt. Alles ging so schnell, dass es im Gesicht des Dahingestreckten nicht einmal zuckte. Der Mörder war überzeugt, dass der Schlafende gar nicht gemerkt hatte, was geschah.
Er trat einen Schritt zurück, und ein befriedigtes Lächeln huschte über sein Gesicht. Das Mordwerkzeug hielt er immer noch in der rechten Hand.
Er war gerade im Begriff, sich vom Tatort abzuwenden, als ein gellender Entsetzensschrei durch das Zimmer hallte. Er riss den Kopf zurück. Am anderen Ende des Raumes war eine Tür aufgegangen, und in ihrem Rahmen stand ein junges Mädchen. Sie war nackt und hielt in einer Pose des Schocks und Schreckens die Hände an die Wangen gepresst. Ein weiteres Mal schrie sie auf, wandte sich eilends um und schlug die Tür hinter sich zu.
Der Täter stand wie versteinert und unentschlossen da. Man hatte ihn auf frischer Tat ertappt. Was sollte er tun? Ihr nachjagen oder durch die Tür, durch die er gekommen war, entrinnen? Die Schreie hatten die Dienerschaft und die Wachtposten aufgeschreckt. An Flucht war nicht zu denken. Ihm blieb nichts anderes übrig – sich ergeben kam nicht in Frage. Er empfand so etwas wie Bedauern, aber ein Wille, der über dem seinen stand, zwang ihn zu gehorchen. Er hob die Hand mit dem Dolch.
Wenige Augenblicke später flog die Tür auf, und Lugna, einer der Krieger von der Leibgarde des Königs, stürzte mit gezogenem Schwert herein. Gleich hinter ihm folgte Cuan mit einer Laterne.
Sie kamen zu spät.
Am Bett des Hochkönigs lag zusammengesackt der Mörder, aus seiner Brust sickerte Blut. Noch lebte er, aber seine Augen waren am Erlöschen. Lugna beugte sich über ihn, hätte ihm am liebsten den Rest gegeben, bezähmte sich jedoch.
»Warum?« herrschte er ihn an.
Ausdruckslos starrte der Sterbende ins Leere. Dann flackerte es noch einmal kurz in seinen dunklen Augen auf, und er bewegte die blassen Lippen. Er hauchte ein Wort, und Lugna bückte sich dicht zu ihm herunter, um etwas zu verstehen. Aber der Mann gab nur noch einen letzten Seufzer von sich, rutschte zur Seite und hinterließ auf dem Fußboden eine Blutspur.
Angewidert stand Lugna auf. Er nahm Cuan die Laterne ab und richtete sie über den Leichnam des Mörders hinweg auf die im Bett liegende Gestalt, nur um sich zu vergewissern, dass auch ihr nicht mehr zu helfen war.
Neugierig betrachtete Cuan den tot Hingestreckten am Boden. »Was hat er gesagt?«, wollte er wissen.
Lugna zuckte mit den Schultern. »Irgendwas mit Schuld. Vielleicht wollte er damit ausdrücken, dass er die Schuld an dem Mord trägt.«
Der andere lachte kurz auf.
»Das bedurfte keiner Erklärung.«
Das Rufen und der Lärm von hin und her laufenden Menschen draußen nahmen kein Ende, und manche drängten ins Zimmer. Lugna ging zur Tür und schob sie hinaus. Derweil bemerkte Cuan auf der Erde neben dem toten Missetäter ein kleines Armband, ein Kettchen, an dem Silbermünzen hingen. Es sah wertvoll aus. Er hob es auf und wollte sich Lugna zuwenden, der aber hatte von alledem nichts mitbekommen, weil er damit beschäftigt war, den Neugierigen den Zugang zu versperren. Ein oder zwei hielten Öllampen in den Händen. Irgendjemand rief nach dem Arzt des Hochkönigs. Cuan ließ das Schmuckstück in seiner Hand verschwinden.
»Für den Arzt ist es zu spät. Der Hochkönig ist tot«, teilte Lugna den sich an der Tür Drängenden mit und steckte sein Schwert wieder in die Scheide. »Der Mörder ist ebenfalls tot, wenn auch nicht durch meine Hand.«
Dann erschien Irél, der Befehlshaber der Fianna, des Hochkönigs Leibwache, und bahnte sich einen Weg durch die aufgebrachte Dienerschaft.
Lugna nahm Haltung an, als sein Vorgesetzter mit deutlichem Entsetzen die Situation erfasste. Sein Blick fiel auf den Leichnam des Mörders, der neben dem Bett auf dem Boden lag. »Das ist ja Dubh Duin, der Stammesfürst der Cinél Cairpre!«, rief er.
Lugna hatte den Mann nicht erkannt, aber jetzt wandte er sich neugierig um und ließ den Schein der Laterne über die Züge des Toten gleiten. Fassungslos stieß er einen leisen Pfiff aus – der Befehlshaber hatte recht.
»Er gehörte doch aber zu den Uí Néill, zur gleichen Familie wie der Hochkönig«, sagte er betroffen zu Irél. »Kann es sich um eine Blutfehde gehandelt haben? Oder steht ein Aufstand bevor?«
Der Befehlshaber der Fianna hielt sich mit einer Äußerung zurück, aber seine Gedanken gingen in die gleiche Richtung.
»Wir müssen Abt Colmán, den Oberkämmerer, holen lassen, und auch Cenn Faelad, den Bruder des Hochkönigs. Er ist der gesetzmäßige Erbe und wird ihm als König auf den Thron folgen. Man muss ihn benachrichtigen. Inzwischen werde ich der Fianna Befehl erteilen, in Bereitschaft zu stehen, bis wir hinter den Sinn des Ganzen gekommen sind.«
Noch einmal warf Lugna einen Blick auf die reglos im Bett liegende Gestalt.
Sechnussach, Sohn von Blathmac, dem Sohn von Sil nÁedo Sláine, direkter Nachkomme des unsterblichen Niall von den Neun Geiseln, Hochkönig der fünf Königreiche von Éireann, war tot. Wenn es wirklich eine Blutfehde war, würde über kurz oder lang in den fünf Königreichen ein Bürgerkrieg ausbrechen.
Als Broterwerb hatte Ferloga sein Leben lang ein Gasthaus betrieben, und er brüstete sich damit, Gäste jeglicher Art empfangen zu haben – reiche und arme, hochmütige und bescheidene. Könige und Stammesfürsten hatten bei ihm genächtigt, Mönche und Geistliche aller Couleur, wohlhabende Kaufleute, umherziehende Schauspieler, Bauern auf dem Weg zum Markt und selbst Bettler, die verzweifelt um Unterschlupf gebeten hatten. Er bildete sich etwas darauf ein, dass nie ein Gast versucht hatte, ihn zu prellen, denn angeblich konnte er bei fast allen auf den ersten Blick sagen, welches Gewerbe sie betrieben und ob sie vertrauenswürdig waren oder nicht. Jetzt aber saß der alte Gastwirt da und unterhielt sich mit seiner Frau, die den Frühstückstisch abräumte, und gestand freimütig, nicht zu wissen, woran er war. Der letzte Gast, der zu nächtlicher Stunde angeklopft hatte, war ihm ein Rätsel.
Bei dem Fremden, der Herberge begehrte, handelte es sich um einen großen, hageren Mann, dünn wie ein Skelett, mit pergamentähnlicher Haut, die straff die Knochen umspannte. Alt war er auf alle Fälle, aber ob sechzig oder achtzig, ließ sich schwer ausmachen. Er hatte einen merkwürdigen Blick, denn den linken Augapfel verschleierte ein trüber Film, offensichtlich Folge des grauen Stars. Das dichte, weiße Haar stand nach allen Seiten ungebändigt ab, die krausen Locken reichten bis zu den Schultern. Der Hals mit dem auffallend hervorstehenden Adamsapfel erinnerte den Betrachter an die faltige Haut eines gerupften Huhns. Bekleidet war er mit einem Wollumhang, dessen dunkles Grau vermutlich ehemals weiß gewesen war und der bis zu den Knöcheln reichte. In den langen Stab aus Holz, den er bei sich trug, waren seltsame Muster geschnitzt, und um die Schulter hatte er eine Ledertasche gehängt.
Zunächst hatte Ferloga gedacht, er wäre ein wandernder frommer Bruder, sah er doch aus wie einer der umherziehenden Eremiten, denen man ab und an begegnete, auch war er eindeutig zu Fuß gekommen. Bald aber hatte er den Gedanken verworfen, denn als der Mann seinen Umhang löste, kam darunter keins der üblichen Symbole des Neuen Glaubens zum Vorschein, sondern eine fremdartige Kette aus Gold und Halbedelsteinen, wie sie kein frommer Mann trug.
Die Unterhaltung war auf das Wesentliche beschränkt geblieben. Ferloga war von seinen Gästen gesprächsfreudige Geselligkeit gewöhnt, dieser Reisende aber hatte nur kurz und knapp ein Bett verlangt. Selbst den traditionellen Becher corma, der einen vor nächtlichem Frösteln bewahrte, hatte er abgelehnt. Und als Ferloga ihn gefragt hatte, woher er käme, hatte er nur geantwortet: »Von weither aus dem Norden.« Aus all dem hatte Ferloga die Schlussfolgerung gezogen, dass der Mann von dem langen Fußmarsch erschöpft war; es fiel tatsächlich auf, dass er etwas schwankte und die dunklen Tränensäcke leicht geschwollen waren. Also war der Gastwirt nicht länger auf ihn eingedrungen, hatte dem Spätankömmling über der Treppe ein kleines Zimmer zugewiesen und sich zurückgezogen.
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