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Schwester Fidelma unter Mordverdacht.
Irland im 7. Jahrhundert. Unterwegs in ein "verbotenes" Tal, stößt Schwester Fidelma auf einen Ritualmord und steht bald selbst unter Mordverdacht ...
Ein neuer Keltenkrimi aus einer Zeit, in der der katholische Glaube irisch-keltischer Prägung den Frauen noch Bildung, Macht und Einfluß gestattete.
"Eine brillante und bezaubernde Heldin. Man möchte das Buch nicht aus der Hand legen." Publishers Weekly.
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Seitenzahl: 480
Peter Tremayne
Tod im Tal der Heiden
Historischer Kriminalroman
Aus dem Englischen von Friedrich Baadke
Aufbau-Verlag
Die Originalausgabe unter dem Titel»Valley of the Shadow« erschien 1998bei Headline Book Publishing, London.
ISBN E-Pub 978-3-8412-0143-0
ISBN PDF 978-3-8412-2143-8
ISBN Printausgabe 978-3-7466-2211-8
Aufbau Digital,
veröffentlicht im Aufbau Verlag, Berlin, 2011
© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin
Die deutsche Erstausgabe erschien 2006 bei Aufbau Taschenbuch,
einer Marke der Aufbau Verlag GmbH & Co. KG
Copyright © 1998 by Peter Tremayne
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Impressum
HISTORISCHE ANMERKUNG
HAUPTPERSONEN
KAPITEL 1
KAPITEL 2
KAPITEL 3
KAPITEL 4
KAPITEL 5
KAPITEL 6
KAPITEL 7
KAPITEL 8
KAPITEL 9
KAPITEL 10
KAPITEL 11
KAPITEL 12
KAPITEL 13
KAPITEL 14
KAPITEL 15
KAPITEL 16
KAPITEL 17
KAPITEL 18
KAPITEL 19
KAPITEL 20
Fidelmas Welt
Für Pater Joe McVeigh von Fermanagh zum Gedenken an unsere öffentliche Debatte über die Werte der keltischen Kirche und das System der Gesetze der Brehons bei der irischen Buchmesse im März 1994. Ich danke ihm dafür, daß er ein Anhänger Schwester Fidelmas ist!
Und ob ich schon wanderte im finstern Tal,
fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir,
dein Stecken und Stab trösten mich
Psalm 23
Schwester Fidelma von Cashel, eine dálaigh oder Anwältin bei Gericht im Irland des siebenten Jahrhunderts
Bruder Eadulf von Seaxmund’s Ham, ein angelsächsischer Mönch aus dem Lande des Südvolks
IN CASHEL
Colgú von Cashel, König von Muman und Fidelmas Bruder
Ségdae, Bischof von Imleach, Comarb von Ailbe
IN GLEANN GEIS
Laisre, Fürst von Gleann Geis
Colla, Tanist oder Thronfolger von Laisre
Murgal, Laisres Druide und Brehon
Mel, Murgals Schreiber
Orla, Laisres Schwester und Collas Ehefrau
Esnad, Tochter von Orla und Colla
Artgal, Krieger und Schmied in Gleann Geis
Rudgal, Krieger und Wagenbauer in Gleann Geis Marga, Apothekerin
Cruinn, Verwalterin des Gästehauses in Gleann Geis
Ronan, Krieger und Bauer in Gleann Geis
Bairsech, seine Frau
Nemon, Prostituierte
Bruder Solin, ein Kleriker aus Armagh
Bruder Dianach, sein junger Schreiber
Ibor von Muirthemne
Mer, ein Bote
AN ANDEREN ORTEN
Mael Dúin von den nördlichen Uí Néill, König von Ailech Ultan, Bischof von Armagh, Comarb von Patrick
Sechnassach von den südlichen Uí Néill, Großkönig in
Tara
Jäger näherten sich. Menschen auf der Jagd. Das Bellen ihrer Hunde schallte schreckenerregend durch das enge Tal. Ein Brachvogel flog rasch von dem kleinen See in der Mitte des Tals auf, der gefleckte Vogel mit dem weißen Rumpf schwang sich empor und gab seinem Ärger darüber, auf eine leckere Krabbenmahlzeit verzichten zu müssen, mit einem klagenden Ruf aus seinem langen gekrümmten Schnabel Ausdruck: »Kuu-li! Kuu-li!« Er stieg immer höher hinauf in die Lüfte, bis er nur noch ein schwarzer Punkt war, der sich in immer größeren Kreisen bewegte und gegen den wolkenlosen azurblauen Himmel abzeichnete. Sonst war an diesem Himmelszelt nichts weiter zu sehen als der große, leuchtende Sonnenball, der sich langsam in die westliche Hälfte des Himmels hinabsenkte und dessen Strahlen das indigofarbene Wasser des Sees wie glitzernde Edelsteine funkeln ließen.
Es war ein heißer, ermüdender Tag. Doch jetzt geriet die träge Luft in Bewegung, eine allgemeine Unruhe brach aus. Ein Fischotter mit seinem langen Körper und kräftigen Schwanz brachte sich geduckt schleichend rasch in Deckung. Auf einem Bergpfad verhoffte ein Damhirsch mit einem breiten Schaufelgeweih, noch vom Bast bedeckt, das er bald mit Beginn der Brunftzeit abwerfen würde, und schnupperte mit zitternden Nüstern. Hätte ihn nicht das Hundegebell gewarnt, hätte ihn allein schon der Geruch nach Menschen, den einzigen Raubtieren, die er zu fürchten hatte, zur Flucht über den Höhenrücken hinweg, fort von der nahenden Bedrohung, veranlaßt. Nur ein einziges Tier knabberte weiter an Ginster und Heidekraut, anscheinend ungerührt von der Angst, die die anderen Tiere ergriffen hatte. Auf einem Felsvorsprung stand eine kleine zottige, trittsichere Wildziege mit langen Hörnern. Rhythmisch kauend behielt sie ihre gleichgültige, teilnahmslose Haltung bei.
In der Tiefe war das Tal teilweise mit einem Dickicht aus Büschen und Bäumen bedeckt. Es erstreckte sich vom Nordende des Tals herab und reichte bis auf fünfzig Meter ans Seeufer heran, während niedriger Ginster und Heide den übrigen Talboden bedeckten. Das Dickicht bestand weitgehend aus dem dornigen Gestrüpp des Schlehdorns mit seinen gezähnten harten Zweigen, die sich kaum von den Kirsch-Pflaumen unterschieden, die dazwischen wuchsen und sich mit den dicken Stämmen, starken Ästen und ausladenden Kronen der Zwergeichen vermischten. Von dem schmalen, dunklen Pfad durch dieses Dickicht kam ein Geräusch, das anzeigte, daß sich jemand rasch durch die hinderlichen Zweige und fesselnden Ranken zwängte.
Aus dem Dickicht stürmte ein junger Mann. Er blieb stehen und bemühte sich vergeblich, den unregelmäßigen, keuchenden Atem zu beruhigen, der seinen Brustkorb hob und senkte. Entsetzen weitete seine Augen, als er das breite, deckungslose Tal überblickte, dessen Seiten sanft zu den felsübersäten Hügeln anstiegen. Mit einem leisen verzweifelten Stöhnen sah er sich in der kahlen Landschaft nach einem Versteck um. Er wandte sich wieder dem Dickicht zu, doch die Verfolger waren darin zwar noch nicht in Sicht, aber deutlich zu hören. Das Bellen der Hunde ging in aufgeregtes Jaulen über, als sie spürten, wie nahe sie ihrer Beute waren.
In düsterer Hilflosigkeit lief der junge Mann stolpernd weiter. Er trug ein langes Gewand aus grobem braunem Wollstoff, eine Mönchskutte. Es war zerfetzt, und ein paar Dornenranken hingen daran, die sich in dem festen Stoff verfangen hatten, ohne ihn zerreißen zu können. Schmutz und auch Blut aus den von Dornen verletzten Stellen befleckten die Kleidung. Noch zwei Dinge außer der Kutte wiesen den jungen Mann als Mönch aus. Erstens trug er das Haar von der Stirn bis zu einer Linie von Ohr zu Ohr geschoren und hinten lang, nach der Tonsur des heiligen Johannes, wie sie die Mönche in Irland bevorzugten. Zweitens hing ihm eine Silberkette mit einem silbernen Kruzifix um den Hals.
Er mochte Anfang zwanzig sein und wäre hübsch gewesen, wenn nicht die Angst seine Züge verzerrt und sein Gesicht nicht die Kratzwunden des Dickichts getragen hätte. Seine roten Wangen bluteten. Vor allem aber war es die Panik in seinen großen dunklen Augen, die sein Gesicht entstellte. Er hatte sich völlig der Furcht überlassen, die ebenso aus seinem Körper quoll wie der Schweiß.
Mit einem erstickten Schrei drehte er sich um und lief mit hochgerafftem Gewand auf den See zu. Seine Sandalen hatte er längst verloren. Seine bloßen, aufgerissenen Füße starrten von Schmutz und Blut. Auf die Schmerzen achtete er nicht, der Schmerz erreichte sein Denken nicht mehr. Um den linken Knöchel trug er einen eisernen Ring, wie er bei Geiseln oder Sklaven üblich war, denn an der Seite hatte er eine Öse, durch die eine Kette oder ein Strick geführt werden konnte.
Schon nach wenigen Schritten merkte der junge Mann, daß der See ihm keinen Schutz bot. Dort wuchsen nur ein paar Büsche, nichts weiter. Er hatte so lange den Tieren als Tränke gedient, daß nicht einmal langes Gras oder Ginster übriggeblieben waren. Alles war zu kurzen Stoppeln abgeweidet worden. Nirgends gab es ein Versteck.
Mit einem seltsamen, verzweifelten Klagelaut blieb der junge Mann stehen und hob hilflos die Arme. Dann lief er auf den Berghang zu, auf dem die Wildziege immer noch ungerührt dastand. Beim Emporklettern trat er sich auf den zerrissenen Saum seiner Kutte und stürzte schwer zu Boden. Benommen blieb er liegen.
In diesem Augenblick kamen die ersten Verfolger aus dem Wald hervor.
Drei Männer liefen voran, jeder mit einer großen Bulldogge an der Leine, die ihn mit triefenden Lefzen vorwärtszog und eifrig jaulte beim Anblick des gehetzten Wildes. Die drei Jäger verteilten sich etwas, aber der junge Mann war zu erschöpft zu weiterer Flucht. Er stützte sich auf einen Arm und sah halb liegend, halb sitzend und außer Atem den Männern entgegen. Furchtsame Resignation spiegelte sich in seinen Zügen.
»Laßt die Hunde nicht los«, rief er mit schwacher, angstvoller Stimme. »Ich laufe nicht mehr weg.«
Keiner der drei Männer gab eine Antwort, doch blieben sie vor ihm stehen, die Leinen mit festem Griff so haltend, daß die mächtigen Hunde ihn beinahe berührten. Sie drängten nach vorn in ihrem Jagdeifer, ihre rauhen Zungen und der Geifer aus ihren Lefzen erreichten ihn fast. Er spürte ihren heißen Atem und krümmte sich zusammen.
»Um Gottes willen, haltet sie zurück!« schrie er, als sie seinem Ausweichen mit schnappenden Kiefern folgten.
»Keine Bewegung!« fuhr ihn einer der Jäger an. Mit einem raschen Zug an der Leine brachte er sein Tier unter Kontrolle. Auch die anderen beruhigten ihre Hunde.
Nun kam eine vierte Gestalt zu Pferde aus dem Dickicht. Bei ihrem Anblick flackerten die Augen des jungen Mannes nervös. Sein Mund verzog sich, als fürchte er sie noch mehr als die Bulldoggen vor ihm. Es war eine schlanke Person, sie saß lässig im Sattel, hielt die Zügel locker und ließ das Pferd trotten, als sei sie auf einem gemütlichen Morgenritt. Einen Moment hielt sie an und betrachtete die Szene.
Es war eine junge Reiterin. Ein glänzender Bronzehelm umschloß ihr Gesicht so eng, daß kein Haar darunter hervorlugte. Ein schmaler Silberreif auf dem Helm umfaßte in der Mitte einen leuchtenden Halbedelstein. Sonst trug sie keinen Schmuck. Kein Mantel zierte ihre Schultern, und ihr einfaches safrangelbes Leinenkleid wurde von einem schweren ledernen Männergürtel mit Tasche gehalten, an dem rechts ein kunstvoller Dolch in einer Lederscheide hing, während an ihrer linken Seite aus einer längeren Scheide der fein gearbeitete Griff eines Schwertes herausragte.
Ihr Gesicht war leicht gerundet, fast herzförmig und nicht unansehnlich. Ihr Teint war blaß, doch die Wangen leicht gerötet. Ihre Lippen waren wohlgeformt, doch etwas farblos, die Augen kalt und glitzernd wie Eis. Auf den ersten Blick hätte man sie für eine junge und auf unschuldige Art hübsche Frau gehalten, aber beim näheren Hinsehen bemerkte man die Härte des Mundes und ein seltsam bedrohliches Funkeln in den unergründlichen Augen. Ihre Mundwinkel verzogen sich leicht, als sie sah, wie die Jäger und ihre Hunde wachsam vor dem liegenden jungen Mann standen.
Der Anführer der Jäger blickte über die Schulter zurück, als sie im Schritt auf sie zu ritt, und lächelte zufrieden.
»Wir haben ihn, Lady«, stellte er mit Genugtuung fest.
»Das sehe ich«, erwiderte sie mit soviel Fröhlichkeit in der Stimme, daß ihre Worte um so gefährlicher klangen.
Der junge Mann war wieder etwas zu Atem gekommen. Seine rechte Hand drehte unsicher an dem silbernen Kruzifix, das er am Halse trug.
»Um Himmels willen habt Mitleid …«, setzte er an, doch die Frau brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen.
»Mitleid? Wieso erwartest du Mitleid, Priester?« fragte sie in drohendem Ton. »Ich habe selbst genug Leid zu tragen und jammere nicht nach dem Mitleid eines anderen.«
»Ich bin doch nicht für dein Leid verantwortlich«, verteidigte sich der junge Mann.
Die Frau stieß ein kurzes, abgehacktes Lachen aus, bei dessen unerwartet mißtönendem Klang selbst die Hunde ihre Köpfe wandten.
»Bist du nicht ein Priester des christlichen Glaubens?« höhnte sie.
»Ich bin ein Diener des wahren Glaubens«, erwiderte der junge Mann trotzig.
»Dann gibt es für dich keine Gnade in meinem Herzen«, erklärte die Frau harsch. »Auf die Füße, Priester von Christus. Oder willst du deine Reise in die Andere Welt im Liegen antreten? Mir soll es gleich sein.«
»Hab Erbarmen, Lady. Laß mich in Frieden aus diesem Lande ziehen, und ich schwöre dir, du siehst mein Gesicht nie wieder!«
Der junge Mann rappelte sich hoch und hätte sich an ihrem Steigbügel bittend vor ihr niedergeworfen, wenn ihn die Hunde nicht wütend zurückgescheucht hätten.
»Bei der Sonne und dem Mond« – die Frau lächelte spöttisch –, »du bringst mich fast dazu, kein Wasser auf eine ertrinkende Maus zu gießen! Genug jetzt! Nichts ermutigt so sehr zu Missetaten wie Erbarmen. Bindet ihn!«
Dieser Befehl galt den Jägern. Einer von ihnen reichte seine Hundeleine einem anderen, zog ein großes, dolchartiges Messer, ging zum nächsten Schlehdorngebüsch und schnitt einen kräftigen Ast von anderthalb Meter Länge ab. Er kam zurück, nahm einen Strick, den er um die Schulter geschlungen trug, und winkte den jungen Mann zu sich heran. Der gehorchte zögernd. Der Ast wurde ihm hinter dem Rücken zwischen den Ellbogen hindurchgeschoben, und dann wurden die Arme so daran festgebunden, daß das Holz wie ein schmerzender Halfter wirkte.
Die Frau schaute anerkennend zu. Nun beendete man die Fesselung und band dem jungen Mann einen anderen Strick um den Hals, dessen freies Ende ein Jäger hielt. Die Frau nickte zufrieden. Sie blickte zum Himmel und dann auf die Gruppe vor ihr. Die Hunde hatten sich beruhigt, nachdem die Aufregung der Hetzjagd vorbei war.
»Los, wir haben noch einen weiten Weg vor uns«, sagte sie, wendete ihr Pferd und ritt im Schritt den Pfad durchs Dickicht entlang.
Der Jäger, der den Gefangenen führte, folgte ihr, während die beiden anderen mit den Hunden den Schluß bildeten.
Vorwärtsstolpernd schrie der junge Mann noch einmal auf.
»Um der Liebe Gottes willen, habt ihr denn kein Erbarmen?«
Der Jäger zog rasch den Strick fester um den Hals des unglücklichen jungen Mannes. Er drehte sich mit einem Lachen aus einem Mund voller schwarzer Zähne zu ihm um.
»Du lebst länger, Christ, wenn du deinen Atem sparst.« Vor ihnen ritt die Frauengestalt ungerührt weiter. Mit starrer Miene schaute sie nach vorn. Die ihr folgten, schienen für sie nicht zu existieren.
Oben auf dem Hügel stand die Wildziege und beobachtete ihr Verschwinden im Dickicht mit demselben Gleichmut, mit dem sie die Vorgänge betrachtet hatte.
Später schraubte sich auch der Brachvogel in Kreisen wieder herunter zum See und setzte seine unterbrochene Mahlzeit fort.
Der Mönch saß auf einem kleinen Felsen im rauschenden Bergbach und hielt mit glückseliger Miene auf dem emporgewandten Gesicht die Füße in das frische, kalte Wasser. Er hatte seine Kutte aus braunem Wollstoff bis zu den Knien hochgestreift und die Ärmel aufgekrempelt und genoß die heiße Sommersonne, während das Wasser um seine Füße gurgelte und schäumte. Er war jung, untersetzt und trug die corona spina, die kreisrunde Tonsur des heiligen Petrus von Rom, die in sein sonst volles, lockiges braunes Haar geschnitten war.
Plötzlich öffnete er die Augen und schaute vorwurfsvoll eine andere Gestalt an, die am Ufer des Baches stand.
»Ich glaube, dir gefällt das nicht, Fidelma«, beklagte er sich bei der hochgewachsenen rothaarigen Nonne, die ihn beobachtete. Die hübsche junge Frau betrachtete ihn mit Augen unbestimmbarer Farbe, die blau oder grün sein mochten, das war schwer zu sagen. Ihre herabgezogenen Mundwinkel ließen ihr Mißfallen erkennen.
»Wir sind dem Ziel unserer Reise so nahe, daß ich meine, wir sollten lieber weiterreiten, anstatt unsere Körper zu verwöhnen, als hätten wir alle Zeit der Welt.«
Der junge Mann lächelte verschmitzt.
»Voluptates commendat rarior usus«, zitierte er zu seiner Rechtfertigung.
Schwester Fidelma schnaufte verärgert.
»Vielleicht ist das Verwöhntwerden selten und deshalb besonders schön«, gab sie zu, »trotzdem, Eadulf, sollten wir unsere Reise nicht länger verzögern als unbedingt nötig.«
Widerwillig seufzend erhob sich Bruder Eadulf von seinem Sitz und watete zum Ufer. Seine Miene strahlte jedoch Befriedigung aus.
»O si sic omnia«, stellte er fest.
»Wenn alles so wäre«, entgegnete Fidelma spitz, »dann gäbe es keinen Fortschritt im Leben, denn dann wäre es alles eine einzige Hingabe an das körperliche Vergnügen. Gott sei Dank, daß er den Winter ebenso schuf wie den Sommer, damit sich unsere Empfindlichkeiten ausgleichen.«
Eadulf trocknete sich die Füße flüchtig mit dem Saum seiner Kutte ab und schlüpfte in seine Ledersandalen.
Sie hatten an dieser Stelle gerastet, um ihr Mittagsmahl einzunehmen und ihre Pferde am grünen Ufer des Baches grasen zu lassen. Fidelma hatte die Essensreste weggeräumt und die Satteltaschen neu gepackt. Die pralle Mittagssonne hatte Eadulf veranlaßt, seine Füße in dem kalten Bergbach zu kühlen. Er wußte auch, daß es nicht dieses kleine Vergnügen war, was Fidelma beunruhigte. Er hatte während der letzten vierundzwanzig Stunden ihre wachsende Besorgnis bemerkt, obwohl sie sich nach Kräften bemüht hatte, ihre Befürchtungen vor ihm zu verbergen.
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