Das Lächeln der Teddybären - Tanja Heinze - E-Book

Das Lächeln der Teddybären E-Book

Tanja Heinze

4,9

Beschreibung

Völlig überraschend verstirbt Alois Schmal. Seine Frau verliert den Halt. Der Kampf um ihr Leben beginnt. Nach einer wahren Begebenheit. Die 1975 geborene Autorin veröffentlicht mit „Das Lächeln der Teddybären“ ihren dritten Roman. Sie lebt und arbeitet in Wuppertal.

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Sarah Schwan ist erschüttert. Die nur flüchtig bekannte Nachbarin berichtet unter Tränen vom Verlust des geliebten Mannes. Sie erzählt von einem Selbstmordversuch und ihrer großen Verzweiflung. Sarah beschließt, nicht wegzusehen und sich um Waltraud Schmal zu kümmern. Sie und ihre Mutter Monika lassen die Frau an ihrem Alltag teilhaben und werden dadurch selbst bereichert.

Autorin

Tanja Heinze, 1975 in Wuppertal geboren, lebt und arbeitet in dieser Stadt bis heute. Sie studierte Philosophie an der Bergischen Universität Wuppertal.

Romane

Der Schnee des letzten Sommers,

Leipziger Literaturverlag

ISBN: 3-934015-66-2

Donna Juana,

Leipziger Literaturverlag

ISBN: 3-934015-84-0

Das Lächeln der Teddybären,

BoD Norderstedt

ISBN: 978-3-7448-7795-4

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Erster Tag

Zweiter Tag

Dritter Tag

Vierter Tag

Fünfter Tag

Sechster Tag

Siebter Tag

Achter Tag

Neunter Tag

Zehnter Tag

Elfter Tag

Zwölfter Tag

Dreizehnter Tag

Vierzehnter Tag

Fünfzehnter Tag

Sechzehnter Tag

Siebzehnter Tag

Achtzehnter Tag

Neunzehnter Tag

Zwanzigster Tag

Einundzwanzigster Tag

Zweiundzwanzigster Tag

Dreiundzwanzigster Tag

Vierundzwanzigster Tag

Fünfundzwanzigster Tag

Sechsundzwanzigster Tag

Siebenundzwanzigster Tag

Achtundzwanzigster Tag

Neunundzwanzigster Tag

Dreißigster Tag

Einunddreißigster Tag

Zweiunddreißigster Tag

Dreiunddreißigster Tag

Vierunddreißigster Tag

Fünfunddreißigster Tag

Sechsunddreißigster Tag

Siebenunddreißigster Tag

Achtunddreißigster Tag

Epilog

Prolog

Später Februar

Leise Musik weckt mich. In meinen Traum von der Höhle der lebenden Teddybären schleicht sich die Stimme des Moderators von Radio Wuppertal. Es ist ein Morgen wie jeder andere in Elberfeld. Er beginnt mit dem Geruch frisch aufgebrühten Kaffees und dem Geräusch des Toasters. Während des Frühstücks bin ich in der Gesellschaft von Sir Bosco. Mein schneeweißer Schäferhund bekam sein Futter bereits, jetzt hofft er auf ein Stück Wurst. Nach dem Frühstück mache ich uns ausgehbereit. Mein Name ist Sarah Schwan. Ich trage einen praktischen Kurzhaarschnitt, bin blond und blauäugig. Mein Hund hat einen großen blauen Verband am rechten Vorderlauf. Er trat vor einigen Tagen in eine Glasscherbe. Die Fäden werden in drei Tagen gezogen. Hoffentlich wird er anschließend seine störende Halskrause nicht mehr tragen müssen. Ein Blick auf den Kalender erinnert mich an die heute anstehende Trainerstunde. Nach dem Morgenspaziergang werde ich zum Schwimmbad in Cronenberg fahren müssen. Meine Form ist gut. Ich bin eine Schwimmerin, die viel trainiert. Das ist gut, denn ich gönne mir gern etwas. Ich bin eine Liebhaberin der guten Küche und kann keinem Gebäckstück widerstehen. Deswegen plane ich, am Nachmittag Käsekuchen zu besorgen für meine Mutter, Monika, und mich. Monika ist ebenfalls sportlich, eine Wasserläuferin. Beide sind wir sehr schlank, fast ein wenig zu schlank. Ich setze meine rote Pudelmütze auf und leine Sir Bosco an. An Monikas Wohnung vorbei laufen wir die Treppe runter. Draußen erwartet uns eine strahlende Frühjahrssonne. Jeden Morgen schlage ich denselben Weg ein. Es ist eine kurze Strecke und eine nette Gewohnheit, die ich mit einigen Menschen teile. Der Postbote ist heute etwas verspätet. Ich winke ihm zu und rufe: „Guten Morgen.“ Er dreht sich um, lächelt und grüßt zurück. Etwas weiter die Straße runter begegne ich der alten Frau, die, wie jeden Tag, gebückt ihre zwei schweren Einkaufstaschen heimträgt. Ihr Name ist mir nicht bekannt, jedoch ihre Vorliebe für Witze. Oft erzählt sie mir einen. Heute zum Beispiel ist es der: „Steht eine Frau vor dem Spiegel und fragt: `Wer ist die Schönste im ganzen Land?´ Sagt der Spiegel: `Geh zur Seite, sonst kann ich nichts sehen.´“ Der gefällt mir. Weiter meines Weges erreiche ich die Dauerbaustelle kurz vor dem Platz, an dem Sir Bosco in der Regel sein Geschäft verrichtet. Die Bauarbeiter grüßen nicht, aber mittlerweile habe ich sie soweit, dass sie kurz lächeln, wenn ich an ihnen vorbei gehe. Ich gehe zügig. Meine Trainerin mag es nicht, wenn ich mich verspäte. Auf dem Heimweg sehe ich die Frau mit Hut auf mich zukommen. Sie und ihren Mann, ebenfalls ein Hutträger, treffe ich oft bei meinen Spaziergängen. Die beiden sind viel zu Fuß unterwegs, sie wollten sogar mal bei uns ins Erdgeschoß einziehen, sind aber doch im Haus gegenüber wohnen geblieben. Viel geredet haben wir bis heute nicht, aber sie lächeln immer freundlich und winken mir aus dem Fenster zu. Die Nachbarin ist allein am heutigen Tag. Ungewöhnlich ist das. Ich erinnere mich, dass mir das vor einigen Tagen bereits auffiel.

„Was ist dem armen Kleinen passiert?“, spricht sie mich an und streichelt über Sir Boscos Kopf.

„Er trat vor ein paar Tagen in eine Scherbe“, erkläre ich. Ich lächle sie an.

„Mein Gott, dass die Leute auch nicht aufpassen können“, sagt sie mit rauer Stimme.

„Ich schaue andauernd auf den Boden, aber alles kontrollieren kann ich leider nicht“, sage ich. „Schönen Tag trotzdem noch, ich gehe zu Fuß in die Stadt“, erzählt die Frau.

„Das ist ein weiter Weg“, staune ich.

„Ach ja“, seufzt sie.

„Ich wünsche Ihnen auch einen schönen Tag“, verabschiede ich mich.

Ich eile die Opphoferstraße hoch. Unser Haus befindet sich kurz vor der Stelle, an der die Straße in den Weinberg übergeht. Im Restaurant schräg gegenüber essen wir gern Pizza. Zuhause angekommen, leine ich hastig Sir Bosco ab. Ich vermisse meinen Autoschlüssel. Mir geschieht es häufig, dass ich etwas verlege. Meine Mutter sagte erst gestern zu mir, ich sei eine zerstreute Professorin. Die Anzeige auf unserer Küchenuhr zeigt mir, dass ich mich verspäten werde. Etwa zehn Minuten darauf finde ich den Schlüssel mit dem Engelsanhänger endlich. Er befand sich tatsächlich im Spülbecken. Das werde ich Monika nicht erzählen, denke ich, als ich der Trainerin eine Textnachricht von meinem Smartphone sende. Ich muss mich mit meinen einundvierzig Jahren nicht rechtfertigen, doch eine Mutter bleibt eine Mutter, egal wie alt man ist. Eine Minute später schließe ich unsere Haustür erneut und haste die Treppenstufen zur Straße runter. Auf meinem Rücken wippt der Rucksack, in der Hand halte ich meinen rosa Schwimmsack. Am Fuße der Außentreppe steht die Frau mit Hut und kramt in ihrer Ledertasche. Die ist aber schnell zurück aus der Stadt, wundere ich mich.

„Haben Sie was vergessen?“, frage ich neugierig.

„Ach“, sagt sie kopfschüttelnd, „ich hab das Bild von meinem Mann liegen gelassen, deswegen muss ich in die Stadt, ich möchte es vergrößern lassen“.

Ihre Stimme ist heiser. Ich erkundige mich, ob sie erkältet sei.

„Das kommt vom vielen Weinen“, antwortet sie.

Ich sehe sie mir genauer an. Sehr dünn erscheint sie mir, hager fast. Ich müsste mich sputen, denke ich. Aber ich möchte wissen, was mit ihr los ist. Ich frage sie das.

„Mein Mann ist kurz vor Weihnachten verstorben“, sagt sie, und eine Träne rinnt über das blasse Gesicht. „Ganz plötzlich kam es, ein Hirnschlag auf einer Treppe, und dann fiel er drei Meter runter. Daher kamen noch massive Hirnblutungen dazu.“

Ich bin fassungslos. Damit habe ich nicht gerechnet. Ich schätze Herrn Schmal auf Anfang sechzig, sehr aktiv, immer unterwegs mit ihr, der Frau, die vor mir weint. Oft sah ich sie gemeinsam mit ihren Rädern fahren oder ihr großes Wohnmobil vor unserer Haustür parken. „Das darf nicht wahr sein“, sage ich.

„Das dachte ich mir auch“, sagt sie. „Zwei Tage später hätte er einen Arzttermin gehabt“, flüstert sie und holt ein Stofftaschentuch aus ihrer Jackentasche. Die Jacke ist ihr viel zu groß, der Hut betont das schmale Gesicht. „Am Morgen fiel mir auf, dass sein Gesicht sehr rot war. Wir schoben das auf seine zurückliegende Augenoperation. Er wollte nicht zum Arzt, obwohl ich ihn darum bat.“ Sie bricht ab und putzt sich die Nase. „Alois sagte, er habe einen Termin in zwei Tagen, da wolle er dem Arzt alles erzählen. Dann nahm er mich ganz fest in den Arm. Unheimlich ist mir das jetzt, es war, als wolle er mich ein letztes Mal halten, mich ein letztes Mal beschützen“, sagt sie.

Ich stehe einfach stumm da und höre ihr zu. Ich fühle diese Geschichte mehr, als dass ich sie höre. Er berührt mich, der Beginn der Geschichte von Waltraud Schmal.

„Ich versuchte erste Hilfe zu leisten, einen Rettungswagen zu holen…“, sagt sie atemlos. „Als die Sanitäter ankamen, wollten sie wissen, was für Medikamente Alois nehme, ich konnte es nicht sagen, hatte nichts dabei, wir waren mit unserem Handwagen unterwegs, wollten doch nur einkaufen gehen…“, sagt sie leise. Sie nimmt ihre Brille ab und wischt mit dem Handrücken über ihre Augen. „Plötzlich war da ein Streifenwagen, ein Polizist, der meinen Personalausweis verlangte. Ich wollte bloß zu meinen Mann, wollte in den Krankenwagen, hatte den Ausweis nicht“, flüstert sie. Ich stehe da, ohne mich zu bewegen, fühle mich schlecht. „Es ging alles so schnell, die Sanitäter luden Alois ein, fuhren los, ich stand unter Schock. Der Polizist forderte mich auf, in den Streifenwagen einzusteigen, er wolle mich nach Hause fahren, wegen der Personalien, sagte er. Ich kam mir vor wie eine Schwerverbrecherin. Was dachte der sich, dass ich Alois gestoßen hätte? Ich sagte dem Polizist, dass er mich gerne zu unserer Wohnung fahren könne, wir kämen jedoch nicht rein, weil mein Mann den Schlüssel am Körper trüge, und sein Körper befinde sich im Rettungswagen. Also fuhren wir endlich ins Krankenhaus.“

Ich schüttele den Kopf. So ein Drama, denke ich schweigend. Ich lege meinen Rucksack ab, der Schwimmsack liegt längst schon auf dem Boden.

„Seit Alois gestorben ist, koche ich nicht mehr“, fährt sie fort. „Ich habe die Gefriertruhe geleert und alles verschenkt.“

„Irgendwas müssen Sie doch essen“, sage ich fassungslos.

„Ich frühstücke, das mache ich. Zwei Scheiben Brot, das war es, dann muss der Körper warten, bis es wieder morgen wird. Ich schlafe auch nur drei Stunden, dann stehe ich auf, habe Herzrasen und schlimme Magenschmerzen. Ich habe sogar Mist gemacht, mir fehlen fünf Tage“, sagt sie.

„Wie, Ihnen fehlen fünf Tage?“, frage ich verstört.

„Ich war in allen Apotheken in der Umgebung, habe mir Schlafmittel besorgt. Dann habe ich aufgeräumt; sollte keiner, der mich finden würde, denken, ich hinterlasse nicht alles ordentlich. Ich schloss die Gardinen, zog mich um, ging ins Bett, schluckte die Pillen mit sehr viel Schnaps und sagte Alois, dass ich zu ihm käme.“

Ich schlucke. Ich weiß das jetzt. Was bedeutet dieses Wissen für mich, frage ich mich.

„Nach fünf Tagen wurde ich wach. Ich wunderte mich, dass alles so nass war. Ich wachte auf in Erbrochenem und Ausscheidungen. Ich schämte mich, fragte mich, warum es nicht geklappt habe, und ob ich jetzt ein Pflegefall sei. Irgendwie schaffte ich es, aufzustehen, alles sauber zu machen, mich sauber zu machen…“

„Es muss Sie doch irgendjemand vermisst haben? Verwandte, Freunde, Ihre Nachbarin, in Ihrem Haus leben acht Parteien…“, sage ich entsetzt.

„Weder war ich am Briefkasten, noch ging ich in den Keller. Vorher hatte ich noch die Treppe geputzt; nein, es fiel niemandem auf. Keiner rief mich anscheinend an während dieser Zeit. Interessanterweise rief ausgerechnet am fünften Tag, als ich bereits erwacht war, mein Bruder Achim aus Düsseldorf an. Er geht sehr hart mit mir um, macht mir nur Vorwürfe, dass ich aufhören soll zu heulen. Bevor er ein Worte sagen konnte, sagte ich zu ihm, er solle gar nicht erst anfangen, mich nieder zu machen, sonst könne er den Hörer direkt auflegen.“ Jetzt spricht sie lauter, und um ihren Mund erscheint ein verbitterter Zug. Langsam werde ich wütend. Das kann doch alles nicht wahr sein, denke ich.

„Frau Schmal, sollten Sie wieder einmal auf den Gedanken kommen, Dummheiten machen zu wollen, klingeln Sie bitte vorher bei mir an. Ich wohne Ihnen gegenüber, bin abends zu Hause“, sage ich.

„Das ist nett von Ihnen“, sagt Frau Schmal, und ich höre deutlich, dass sie denkt: Das werde ich bestimmt nicht machen. Mein Smartphone beginnt zu singen: `Atemlos durch die Nacht, bis das Leben neu erwacht…´. Die Wirklichkeit hat mich wieder.

„Wo bleibst du Sarah?“, fragt meine Trainerin.

„Sandra, verzeih mir, ich schaffe es heute nicht zum Training“, sage ich.

„Was ist los?“, möchte Sandra wissen.

Ich weiß nicht, was ich erwidern soll.

„Ich melde mich später bei dir, ich trainiere gleich für mich allein“, sage ich.

„Bis später, und pass auf dich auf“, sagt Sandra freundlich. Sandra ist immer freundlich. Sie ist eine sehr gute Trainerin, von der ich im Schwimmbecken alles gelernt habe, was ich jetzt kann.

„Jetzt habe ich Sie aufgehalten“, sagt Frau Schmal besorgt. Sie hält ein selbstgenähtes Damentaschentuch mit Initialen in den Händen.

„Macht nichts, das war jetzt wichtiger“, sage ich überzeugt.

„Ich geh dann jetzt in die Stadt“, erwidert Frau Schmal und setzt ihre Brille auf.

Es wird Zeit, dass ich losfahre, denke ich und verabschiede mich freundlich.

„Auf Wiedersehen, Frau Schmal“, sage ich, „und denken Sie an mein Angebot!“

Ich setze mich in unseren Van und fahre los. Im Rückspiegel sehe ich sie die Straße runtergehen. Eine kleine Frau mit einer schweren Last auf ihren Schultern.

Erster Tag

Im Autoradio läuft Udo Lindenberg. `Hinter´m Horizont geht`s weiter, ein neuer Tag. ´ Ein neuer Tag, wiederhole ich in Gedanken. Ein neuer Tag für die Frau mit Hut. Ein weiterer einsamer Tag in der Wohnung direkt mir gegenüber. Sie wohnt, so wie ich, in der dritten Etage. Ich lebe dort mit meinem Hund, und eine Etage unter mir wohnt Monika. Die Wohnung im Erdgeschoss haben wir an Herrn Wolfsmann vermietet. Er ist viel unterwegs und ein ruhiger Geselle. Monika und ich verbringen viel Zeit miteinander. Wir sind sehr zufrieden mit unserem Leben. Uns geht es gut. Nicht so meiner Nachbarin. Mir ist übel. Die Geschichte von Frau Schmal ist mir auf den Magen geschlagen. So wie dieser das ganze Leben auf den Magen schlägt. Ich parke unseren Van vor dem städtischen Schwimmbad. Ich steige nicht aus, sondern wähle die Kurzwahlfunktion auf meinem Smartphone und tippe auf `Monika´. Irgendwo in einem Geschäft wird jetzt ein Vogel beginnen zu zwitschern.

„Ich habe die Stiefel“, meldet sich fröhlich Monika. „Toll sehen die aus, passen wie angegossen“, plappert sie begeistert weiter.

„Mama“, unterbreche ich sie, „ich muss dir etwas Schreckliches erzählen.“

„Hattest du einen Unfall?“, erkundigt sich Monika in besorgtem Tonfall.

„Nein, nein, alles gut“, beruhige ich sie schnell. „Es geht um die Frau mit Hut, die mit dem Mann mit Hut.“

„Frau mit Hut?“, fragt Monika verständnislos.

„Das Ehepaar, dem das Wohnmobil gehört, das manchmal vor unserem Haus parkt.“ Monika bleibt still. „Du kennst doch diese Unzertrennlichen, die viel spazieren gehen und mit den Fahrrädern unterwegs sind. Sie wollten mal bei uns einziehen“, erinnere ich Monika genervt.

„Jetzt weiß ich, wen du meinst“, fällt bei ihr der Groschen.

„Herr Schmal verstarb vor Weihnachten überraschend an einem Hirnschlag“, informiere ich sie ernst.

„Er wirkte aktiv und gesund, das gibt es nicht“, stellt Monika fest.

„Genau das sagte ich zu Frau Schmal“, erwidere ich. In Kurzform berichte ich von meinem Gespräch mit der verzweifelten Frau. „Mir ist ganz übel jetzt“, sage ich leise.

„Komm nach Hause“, schlägt Monika fürsorglich vor.

„Nein, ich springe kurz ins Wasser, nur ganz locker, das macht den Kopf frei“, antworte ich.

„Es ist deine Entscheidung. Bis nachher, ich hab dich lieb“, sagt Monika. Wer hat Frau Schmal jetzt lieb? frage ich mich, bevor ich mich einschwimme und für eine Weile im Wasser die Welt draußen lasse.

Zuhause angekommen, packe ich meinen Rucksack aus und setze mich an den Küchentisch. Eine Zigarette rauchend sehe ich mich um. Praktisch bin ich eingerichtet und zweckorientiert. Meine wenigen Dekorationsgegenstände, einige Wichtel und Elfen, sind lieblos auf den Schränken platziert. In deren Innerem herrscht Unordnung. Weil das niemand sieht, stört es mich nicht. In Monikas Wohnung ist alles schön arrangiert und wohl geordnet. Ich überlege, wie die Wohnung von Frau Schmal aussieht. Das Läuten des Telefons unterbricht meine Überlegungen.

„Das Mittagessen ist fertig“, sagt Monika fest am anderen Ende der Leitung. Gedankenverloren stehe ich auf, öffne die Wohnungstür, schiebe einen vollen Müllsack beiseite und laufe die Treppe runter. Sir Bosco erwartet mich am Eingang, und ich kraule ihn hinter den Ohren. Es duftete einladend nach Pfannkuchen, doch mein ansonsten guter Appetit ist gebremst. Zunächst kauen wir schweigend.

„Es ist ein merkwürdiges Gefühl zu wissen, dass ein Mensch im Haus auf der anderen Straßenseite einen Selbstmord versuchte“, sage ich nach einer Weile. Im Hintergrund läuft Radio Wuppertal. Gleich ist es halb eins und Zeit für die lokalen Nachrichten.

„Wir können nicht einfach zusehen, wie sie stirbt direkt vor unseren Augen“, sage ich. Nervös knete ich mein Ohr. Das ist eine lästige Angewohnheit von mir. Es stört mich selbst, doch niemandem gelang es bisher, mir das abzugewöhnen. Monika nickt zustimmend.

„Wir laden sie für heute zum Kaffee ein. Kuchen besorgen wir sowieso“, sagt sie bestimmt. Ich höre, wie der Nachrichtensprecher von Unruhen in Nordkorea berichtet. Ich bin etwas besorgt, wie der neu gewählte Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika mit solchen Krisen umgehen wird.

„Das machen wir“, stimme ich eifrig nickend zu. „Vielleicht laden wir sie einmal in der Woche zum Essen ein“, sage ich und gabele den letzten Rest Pfannkuchen vom Teller. Trotz meiner schlechten Stimmung habe ich aufgegessen. Jetzt fühle mich ein kleines bisschen besser.

„Eigentlich ist sie eine Fremde für uns“, meint Monika ernst. „Dennoch werde ich sie um ihre Telefonnummer bitten. Ich werde sie jeden Morgen anrufen, um zu fragen, wie es ihr geht.“. Sie ist bereits aufgestanden und lässt Wasser ins Spülbecken laufen. Im Gegensatz zu mir besitzt sie keine Spülmaschine.

„Ich werde bei ihr schellen, bevor wir den Kuchen besorgen“, sage ich, meinen Teller wegräumend. Ich bin voller Energie. Ich möchte augenblicklich loslegen. Monika scheint es ähnlich zu gehen. Wir beeilen uns mit dem Abwasch. Die Sonne scheint durch das Küchenfenster, sie blendet ein wenig. Dennoch stimmen mich die Strahlen positiv. Wenige Töchter leben als Mitvierzigerin derart eng zusammen mit der Mutter. Meine letzte Beziehung endete vor knapp sieben Jahren, seitdem geht es mir gut ohne Mann an meiner Seite. Vielleicht ändert sich das irgendwann wieder, momentan genügt mir mein Hund. Monika und ich besitzen ein Eigenheim mit drei gemütlich geschnittenen kleinen Wohnungen. Dazu gehört ein schöner wilder Garten mit einem Holzhäuschen, das zu einer Seite offen ist. Dort sitzen wir bereits im Frühjahr und auch noch im Herbst und genießen unseren Kaffee. Monika ist siebenundsechzig Jahre alt, seit einem Jahr bezieht sie zusätzlich zur Witwenrente ihre eigene. Mein Vater ist bereits seit vielen Jahren tot, wir erbten zu gleichen Teilen. Ich gehe keiner gewöhnlichen Erwerbstätigkeit nach, sondern arbeite zufrieden und selbstständig als freie Kolumnistin bei einer Frauenzeitschrift. Dieser Umstand ermöglicht es, mir die Zeit frei einzuteilen. An einem Tag fahre ich den Computer um fünf Uhr in der Früh hoch, an einem anderen Tag beginne ich mit meiner Arbeit in den späten Abendstunden. Vor nicht allzu langer Zeit trugen wir beide unsere lockigen Haare lang. Irgendwann kam ich vom Training nach Hause, und meine Mutter präsentierte mir ihren Kurzhaarschnitt. Es sah fantastisch aus. Noch am selben Tag fuhr auch ich zum Friseur. Wir machen viel gemeinsam, lesen, spielen Karten und unternehmen ausgedehnte Spaziergänge.

Dieser Tag im Februar ist zwar sonnig, aber auch frisch. Meine Mütze wärmt mir den Kopf, und ich trage meine dicke Steppjacke. Zunächst zögere ich, dann jedoch drücke ich entschlossen den Knopf der Türschelle. Ein paar Sekunden dauert es, bis ein erstes Wort aus der Gegensprechanlage zu hören ist.

„Schmal“, sagt die Frau mit Hut in bitterem Tonfall.

„Frau Schmal, hier ist Sarah Schwan“, sage ich betont munter. Sie zögert etwas, bevor sie auf meine Worte reagiert.

„Was wünschen Sie?“, fragt sie antiquiert, und ich muss schmunzeln.

„Meine Mutter und ich möchten Sie für heute Nachmittag zum Kaffee einladen“, sage ich, um die richtige Wortwahl bemüht. Die ersten Worte sind die schwierigsten. „Haben Sie heute für uns Zeit?“, frage ich. Ich höre ein trockenes Lachen.

„Ob ich Zeit habe? Wenn ich eins zu viel habe, dann ist das Zeit. Gerne, ich komme gerne“, sagt sie erfreut.

„Mögen Sie Käsekuchen?“, frage ich weiter.

„Ich bin nicht verwöhnt, machen Sie sich wegen mir keine Umstände“, antwortet Frau Schmal ruhig.

„Schön“, sagt Monika über meine Schulter hinweg. „Passt Ihnen fünfzehn Uhr?“

„Das ist eine gute Uhrzeit“, sagt Frau Schmal.

„Bis später, Frau Schmal, wir freuen uns auf Ihren Besuch“, erwidere ich. Ich fühle mich erleichtert. Ein erster Schritt ist gemacht. Ich bin gespannt, wie sie auf uns wirken wird am Nachmittag, und was sie erzählen wird. Plötzlich öffnet sich die Haustüre, und wir zucken erschrocken zusammen.

„Ich wollte euch nicht erschrecken“, entschuldigt sich freundlich Frau Schmidt. Mit Frau Schmidt sprechen wir öfters mal. Sie erkundigt sich regelmäßig nach dem Befinden von Sir Bosco. In der Hand hält sie einen Schrubber, um den Kopf ist ein Kopftuch gebunden. Sie hat vor, das Treppenhaus zu putzen. Sie wohnt im Haus links nebenan. Hier putzt sie für ein kleines Zusatzeinkommen. Anschließend besucht sie ihre Tochter, die alleinstehend ist und Frau Schmals direkte Wohnungsnachbarin.

„Was macht ihr hier?“, möchte sie neugierig wissen.

„Heute Morgen erfuhr ich durch Zufall vom Tod von Alois Schmal“, erkläre ich. „Ich finde es schrecklich. Wir haben Frau Schmal für heute spontan eingeladen.“

„Wir möchten uns ein wenig um sie kümmern, weil es ihr schlecht geht“, fügt Monika hinzu. „Ich finde es gut, dass ihr das macht“, nickt Frau Schmidt beifällig. „Ich sehe nie, dass sie Besuch bekommt. Habt ihr denn so viel Zeit?“, fragt sie und taucht den Lappen in den Eimer. „Etwas Zeit hat man immer“, sage ich bestimmt.

„Na, dann macht das mal“, sagt Frau Schmidt und klopft mir auf die Schulter.

„Auf Wiedersehen, Frau Schmidt“, verabschiede ich mich belustigt.

„Macht`s gut ihr zwei“, erwidert sie in vertraulichem Tonfall.

Pünktlich um fünfzehn Uhr läutet bei uns die Türglocke, und augenblicklich beginnt Sir Bosco zu bellen. Ich gebe mein Bestes, ihn zu beruhigen.

„Aus“, schimpfe ich. Sir Bosco bellt unbeeindruckt weiter.

„Sir Bosco“, ruft laut Monika. Ich halte meinem Hund die Schnauze zu, und Monika rennt die Treppe runter, um ein erneutes Schellen zu verhindern. Wir besitzen eine Doppelhaushälfte, und es ist störend für unsere direkten Nachbarn, wenn mein Hund laut anschlägt. Mich selbst nervt das Bellen wegen der Türschelle auch. Ich greife mir einige Hundekuchen für Frau Schmal. Die soll sie ihm geben, damit Sir Bosco sie als Freundin einstuft. Er hat einen ausgeprägten Beschützerinstinkt, unbekannte Besucher werden ausgiebig ausgebellt. Die Wohnungstür öffnet sich, und ich höre Monika fröhlich lachen und reden. Bevor ich zur Begrüßung anheben kann, stürmt Sir Bosco los. Die Frau mit Hut wirkt auf ihn dem Anschein nach wenig bedrohlich mit ihrer zarten Statur. Er schlägt lediglich einmalig an, und seine Rute wedelt. Bevor ich es verhindern kann, wird die erschrockene Frau Schmal von meinem Hund an die geschlossene Tür gedrückt.

„Hilfe“, ruft sie ängstlich, als eine Hundezunge über ihre Wange schleckt. Ich haste zu dem Übeltäter und greife ihn am Halsband.

„Nein, Sir Bosco, nicht springen“, meckere ich. „Setzen Sie sich erstmal an den Küchentisch, dann ist der Unfug vorüber“, beruhige ich die bebende, kleine Frau.

Monika hilft ihr aus der dicken Jacke und legt den Hut in das Gitter für unsere Mützen. Frau Schmal wirkt etwas wackelig, als sie seufzend Platz nimmt. Der Tisch ist festlich gedeckt. Wir haben uns für das hellblaue Porzellan entschieden mit den weißen Gänsen drauf. Der Käsekuchen mit den Aprikosen lockt auf den Tellern.

„Wie trinken Sie Ihren Kaffee?“, erkundigt sich Monika höflich.

„Für mich bitte ohne Milch und Zucker“, antwortet Frau Schmal. „Seit meinem Mann zu hohe Cholesterinwerte diagnostiziert wurden, hatten wir nur noch fettarme Milch im Haus. Wir hörten damit auf, sie in den Kaffee zu gießen“, erklärt sie. „Ach, hat alles nichts genützt, die ganzen Arztbesuche hätte er sich sparen können. Fit wie ein Turnschuh sei er, sagte der Arzt von der Intensivstation.“ Energisch schüttelt sie den Kopf. „ Mein Mann war klinisch tot, und es sollte entschieden werden, welche Organe er spenden könne, dafür müssten die Körperfunktionen erhalten bleiben, sagte der Arzt. Alois` Beine bewegten sich, er versuchte aufzustehen, obwohl er bereits tot war…“, schluchzt sie, und eine Träne rinnt über das bleiche Gesicht. „Das konnte ich nicht begreifen, fit wie ein Turnschuh als Toter“, sie stockt. „Ich hätte jemanden an meiner Seite gebraucht, doch es war niemand da. Meine Brüder, meine Eltern, seine Familie, alle ließen sie mich allein.“ Sie putzt sich die Nase, und um den Mund erscheint erneut dieser bittere Zug. „Lediglich meine Nichte kam einmal, um sich das Gerede der Ärzte anzuhören und mir zu erklären, dass es stimme.“ Fassungslos höre ich der Frau zu. Ich fühle mit. Es ist furchtbar. Mein Teller ist leer. An den Geschmack des Kuchens kann ich mich nicht erinnern. „Es ist alles sinnlos. Es gibt nichts, wofür es sich aufzustehen lohnt. Für wen soll ich noch kochen? Für mich? Nein, ich koche nicht mehr“, sagt sie bestimmt und nimmt den ersten Bissen ihres Kuchens.

„Frau Schmal, ich verstehe Sie“, sage ich leise. „Aber Sie dürfen sich nicht aufgeben, es wird wieder einen Sinn für sie geben. Und was Sie an ihrem Mann hatten, das kann Ihnen keiner mehr nehmen. Alois würde es nicht wollen, dass Sie vor Kummer sterben“.

Unter Tränen nickt Frau Schmal.

„Wie lange waren Sie verheiratet?“, frage ich vorsichtig.

„Zweiundvierzig Jahre“, sagt sie flüsternd.

„Wahnsinn“, sage ich aufrichtig beeindruckt.

„Wir waren wie zwei Teile eines Ganzen“, fährt sie fort, ihre Augen glänzen. „Sie können sich nicht vorstellen, wie wir kämpfen mussten zu Beginn unserer Beziehung. Beide waren wir sehr schüchtern, noch Jungfrauen. Ja so war das damals, nicht so einfach für junge Leute wie in der heutigen Zeit.“ Sie nimmt einen Bissen von ihrem Kuchen, nachdenklich kaut sie. „Ich war noch keine einundzwanzig, Ende neunzehn, als alles anfing. Meine Mutter führte ein strenges Regiment in unserer Familie. Zwei Brüder habe ich, beide jünger, die durften viel mehr als ich. Als erstgeborene Tochter hatte ich den Haushalt nach den Lehrstunden in der Näherei zu führen. Wir lebten in der Hochstraße hier in Wuppertal. Dritte Etage. In der frühen Jugend musste ich mir mit den Brüdern ein Zimmer teilen. Später wurde in eine andere Wohnung desselben Hauses umgezogen, und wir bekamen jeder eins für sich. Sie werden das heute nicht verstehen, ich durfte keinen Freund haben, nicht ausgehen, musste vor acht zu Bett gehen.“

„Ja, das war früher so“, sagt Monika. „Ich musste Kostgeld abgeben, den Rest durfte ich behalten.“

„Zehn DM Taschengeld im Monat zahlte meine Mutter mir, oder ich bekam etwas für diesen Betrag für meine Aussteuer“, sagt Frau Schmal.

Verrückt, denke ich kopfschüttelnd. Frau Schmal schweigt mit geschlossenen Augen. Nach einer Weile isst sie den Kuchen zu Ende und trinkt ihren kalten Kaffee. Es ist später Nachmittag, als Frau Schmals Handy schellt. Dieses verdient noch die Bezeichnung `Handy´. Es ist ein winziges Modell von Sony, mit einer Prepaid Karte von der Deutschen Post aufgeladen. Sie besitzt keinen Computer, keinen DVD Player oder Ähnliches. Ihre Welt steht still.

„Ist gut, ja, danke“, sagt Frau Schmal zu ihrem Gesprächspartner. „Bis gleich, Willy.“ Umständlich klappt sie ihr Telefon zusammen, das jetzt noch winziger wird. Heute wird alles wieder größer, die Smartphones zu Tablets, die Kopfhörer der tragbaren DVD Player sind so groß wie die uralten Relikte der analogen Zeit. Jede Mode kehrt wieder zu ihren Wurzeln zurück. Für die Frau mit Hut ist das kleine Handy wahrscheinlich super modern, denke ich.

„Ich muss leider gehen. Mein Bruder besucht mich, er möchte sich meinen Fernseher ansehen. Sie wissen doch, es wird umgestellt, und ich bekomme keine Programme mehr“, sagt sie und steht auf. „Ich möchte mich für den leckeren Kuchen bedanken, und ich würde vorschlagen, wir sagen du. Ich bin Waltraud“. Sie reicht Monika die Hand.

„Monika“, sagt diese und schlägt ein.

„Sarah“, sage ich lächelnd. Waltraud ist nett, denke ich.

Nachdem sie gegangen ist, gehe ich mit Sir Bosco hoch in meine Wohnung. Hier lasse ich Waltraud erstmal nicht rein, denke ich. Mein letzter Putztag liegt schon einige Wochen zurück, und aufgeräumt sieht ebenfalls anders aus. Das Geschirr stapelt sich in der Spüle, etliche Ausgaben von Walt Disneys lustigen Taschenbüchern sind auf dem Küchentisch verstreut. In den Bücherregalen sind kreuz und quer meine gesammelten Werke verstreut, und dass Sir Bosco im Fellwechsel ist, ist nicht zu übersehen. Meine Dekoration verstaubt auf den mit praktischen Wachstuchtischdecken belegten Schränken. Ich räume den Herd frei und beginne, Gemüse zu schneiden. Ich koche mir ab und an abends eine zweite warme Mahlzeit. Als ich mit der Zubereitung fertig bin, höre ich Helene Fischer singen: `Atemlos durch die Nacht, bis ein neuer Tag erwacht.´ Auf dem Display meines Smartphones lese ich: `Waltraud´. Ich nehme das Gespräch an und höre: „Hallo, Sarah. Ich möchte nicht groß stören. Heute war es schön bei euch. Danke für die Einladung.“

„Wir fanden es ebenfalls schön, Waltraud“, sage ich ehrlich.

„Ich möchte mich Morgen bei euch revanchieren. Mögt ihr mich besuchen?“, fragt sie mit hoffnungsvoller Stimme. „Bringt Kuchen mit. Das Geld dafür werde ich euch geben.“

„Gerne“, antworte ich sofort. „Ich frage meine Mutter, aber sie wird gewiss mitkommen. Wenn nicht, werde ich dich allein besuchen.“

„Schön, ich freue mich. Bis morgen dann. Ich telefoniere nicht viel. Das ist so teuer“, erklärt sie.

„Besitzt du keine Flat?“, frage ich erstaunt.

„Was ist das denn?“, stellt sie die Gegenfrage.

Hätte ich wissen müssen, denke ich.

„Ach nichts, schon gut, hören wir auf. Bis Morgen“.

Ein Handy und ein Smartphone werden ausgeschaltet. Stille kehrt ein ins Gespräch. Erste Worte und ein lebendiger Tote. Ein Blitz am Morgen und die Ruhe der Nacht. Ein Tag geht schweigend zu Ende, ein erster Tag mit Waltraud Schmal.

Zweiter Tag

Monika und ich stehen vor der Theke der Bäckerei in der Uellendahler Filiale des Rewe Kaufparks. Hinter unserem Rücken herrscht geschäftiges Treiben. Einkaufswagen werden hin und her geschoben, an den Kassen scannen die Angestellten Preise ein, Payback Punkte werden vergeben, und Menschen lachen oder beschweren sich. Heute zeigt sich die Sonne in Wuppertal, der Stadt mit dem gewissen Etwas. Das gewisse Etwas ist ein Verkehrsmittel, auf das die Wuppertaler stolz sind. Unsere Schwebebahn hängt an einem Gerüst hoch über der Wupper, der Fluss, nach dem die Stadt benannt ist. Sie schwebt entlang der Wupper von Stadtteil zu Stadtteil, von Vohwinkel aus über Elberfeld nach Oberbarmen.

„Was darf´s denn sein?“, möchte die gut gelaunte Bäckereifachverkäuferin von uns wissen. Sie kennt uns vom Sehen. Wir kaufen hier häufig ein.