Das legt sich wieder - Steffi Wolff - E-Book
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Das legt sich wieder E-Book

Steffi Wolff

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Beschreibung

Wenn das Leben in Schieflage gerät, helfen die besten Freundinnen und eine gute Portion Humor: "Das legt sich wieder" ist ein Freundinnen-Roman voller Humor und Atmosphäre von der beliebten Bestseller-Autorin Steffi von Wolff. Lebensnah, authentisch, zum Wohlfühlen! Die 44-jährige Betty, Anwalts-Empfangsdame und zweifache Mutter, ist hin- und hergerissen zwischen ihrer Jugendliebe und ihrem (zu?) perfekt funktionierenden Familien-Leben. Susannas Ehemann entpuppt sich als A...loch und reicht die Scheidung ein, durch die Susanna von heute auf morgen vor dem Nichts steht. Caroline kann seit einiger Zeit einfach nicht mehr aufhören, Dinge zu kaufen, die sie sich überhaupt nicht leisten kann, und ihr Mann weiß nichts von dem wachsenden Schuldenberg … Die drei besten Freundinnen aus Schultagen stecken in einer handfesten Krise und brauchen dringend eine Auszeit! Zum Glück besitzt Susanna ein Segelboot. Und so machen sie einen Segeltörn von Hamburg bis zur Bretagne, bei dem die Freundinnen jede Menge Ideen haben, wie sie ihr Leben wieder in den Griff kriegen – und jede Menge Spaß, auch wenn es manchmal kracht! Steffi von Wolffs Humor und ihr untrügliches Gespür für die Kuriositäten des Alltags in "Das legt sich wieder" machen gute Laune, zaubern einem beim Lesen ein Lächeln ins Gesicht und feiern die drei authentischen Freundinnen. Der neue wunderbare Roman von Bestseller-Autorin und Humor-Garant Steffi von Wolff!

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Seitenzahl: 346

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Steffi von Wolff

Das legt sich wieder

Roman

Knaur e-books

Über dieses Buch

Wenn das Leben so richtig in Schieflage gerät …

… helfen nur noch die besten Freundinnen – und ein Segeltörn.

Betty ist hin- und hergerissen zwischen ihrer Jugendliebe und ihrem (zu?) perfekt funktionierenden Familienleben, Susannas Mann entpuppt sich als A...loch , und Caroline kann seit einiger Zeit einfach nicht mehr aufhören, Dinge zu kaufen, die sie sich überhaupt nicht leisten kann … Also starten die Freundinnen zu einem Segeltörn, der sie von Hamburg bis in die Bretagne führen soll. »Spaß haben und den Kopf frei kriegen«, heißt der Plan. Können die drei einander helfen, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen – auch wenn es mal stürmisch wird?

Inhaltsübersicht

1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. Kapitel18. Kapitel19. Kapitel20. Kapitel21. Kapitel22. Kapitel23. Kapitel24. Kapitel25. Kapitel26. Kapitel27. Kapitel28. Kapitel29. Kapitel30. KapitelLeseprobe »Perfekt sein muss nur, wer sonst nichts kann«
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1

München, Kanzlei Laurenz & Laurenz, Juni 2019

Ich bin der liebste und beste Mann, den eine Frau sich nur wünschen kann«, jammerte der korpulente Mann im etwas zu engen Anzug und einer indiskutablen Krawatte. Sie war erbsfarben mit rosa Schweinchen drauf. Geschmackloser ging es kaum.

»Natürlich.« Betty nickte automatisch. »Möchten Sie einen Kaffee? Doktor Laurenz wird gleich da sein. Er ist noch zu Tisch.«

»Nein, keinen Kaffee. Seit der Trennung spielt mein Magen verrückt. Butter vertrage ich auch nicht mehr. Ich brauche Tabletten gegen das dauernde Sodbrennen. Mein Therapeut sagt, das ist alles die Psyche. Also rülpst quasi meine Seele vor lauter Kummer. Der Körper sucht sich ein Ventil. Fünfundzwanzig Jahre waren wir verheiratet, Vroni und ich. Das ist ein Vierteljahrhundert. Und dann, auf der Silberhochzeitsfeier, können Sie das glauben, sagt sie: ›Das war’s, Johannes. Das war’s. Ich will die Scheidung.‹ Vor allen Leuten sagt sie das.«

»Oh, es muss sehr schlimm sein für Sie.« Betty, die schon seit etlichen Jahren in der Kanzlei Laurenz & Laurenz am Empfang arbeitete, hatte schon viel gehört und viele getröstet. Sie war für alle Männer – die beiden Anwälte, die Zwillingsbrüder Gero und Leif Laurenz vertraten nach zwei gescheiterten Ehen grundsätzlich keine Frauen – die erste Ansprechpartnerin und brachte den Mandanten Kaffee, Tee, Cola oder auch mal einen Schnaps, wenn alles zu schlimm wurde. Und schlimm wurde es meistens, deswegen hatte sie immer einen Vorrat da.

Der Mandant, ein wohlhabender Hotelbesitzer aus Starnberg, ließ sich in einen der Sessel fallen. »Vroni«, hab ich gesagt. »Vroni, was redest du denn da?« Giselher Heidinger seufzte.

»Und?«, fragte Betty pflichtbewusst und drehte sich von ihrem Bildschirm weg. Die Klageschrift musste eben warten, der Mandant war wichtiger.

»Es würde ihr reichen, hat sie gesagt. Sie hat keine Lust mehr auf mich. Ich hab ihr alles geboten, wissen Sie, alles. Ein schönes Haus mit Schwimmbad, sie hatte ein Cabrio, das hab ich natürlich auch bezahlt, sie hatte genug Geld für ihren ganzen Kosmetikkram und Wellness, und wie das alles heißt, und in der Maximilianstraße war sie Stammgast. Die kannten da in den Boutiquen alle ihre Namen, und jetzt ist das alles nicht mehr gut genug für die feine Dame.« Er schnaubte.

Das war nun der Moment, den Betty nur zu gut kannte. Erst waren die Männer traurig und weinerlich, dann kippte die Stimmung, und sie wurden giftig. So wie Giselher jetzt.

»Da schuftet man sein Leben lang, um der Familie ein angenehmes Leben zu bereiten, und das ist dann der Dank. Meine Frau verlässt mich während der Feier.« Er schlug auf die Sessellehne. »Wissen Sie, was die gekostet hat? Der Michael Käfer musste natürlich das Catering machen. Hundert Leute waren eingeladen. Familie, Freunde, Geschäftspartner. Ganz orientalisch, wie in Tausendundeiner Nacht sollte es sein. Na bravo. Wissen Sie, was das gekostet hat?«, wiederholte er.

»Nein«, sagte Betty und schielte auf die Uhr. Zehn nach zwei. Konnten die Chefs nicht mal pünktlich sein? Beide kamen und gingen, wann sie wollten, und Betty konnte sich dann immer Geschichten ausdenken. Wenigstens zahlten sie ihr ein anständiges Gehalt, obwohl sie keine volle Stelle hatte, sondern nur vier Tage arbeitete. Den Freitag hatte sie freihaben wollen, um wenigstens mal ein bisschen Zeit für sich zu haben. Immer am Freitagmorgen, wenn die Kinder zur Schule gefahren und ihr Mann Holger in die Redaktion geradelt war, setzte sie sich je nach Jahreszeit mit einer Tasse Kaffee entweder auf den Balkon oder an den Küchentisch, um einfach mal die Stille zu genießen. Diese Viertelstunde war immer so schön. Sie dachte über den Tag nach, was anstand, dann telefonierte sie hin und wieder mit Susanna oder Caroline, ihren allerbesten Freundinnen aus Kindertagen, die leider beide weit weg wohnten. Susanna in Hamburg und Caro in Bad Homburg bei Frankfurt. Aufgewachsen waren sie alle drei im Hamburger Stadtteil Winterhude, und seit sie im Kindergarten in die Mäusegruppe gekommen waren, hingen sie zusammen wie Pech und Schwefel. Ihre Freundschaft zu dritt war nie überschattet von »drei sind einer zu viel«, sondern immer nur beleuchtet von »nur zu dritt sind wir vollständig«. Susanna, Betty und Caro fragte man nie einzeln, sondern immer nur »Kommen Susanna, Betty und Caro auch?«, »Ich wollte dich, Caro und Betty einladen« oder »Vergesst Betty, Susanna und Caro nicht«.

Die drei waren eine Einheit, obwohl sie nach außen hin so unterschiedlich waren, auch später noch: Susanna, die große blonde Kühle, die immer ein wenig unnahbar wirkte, Designerkleidung und teuren Schmuck liebte, aus reichem Elternhaus stammte und immer alles besser wusste als die anderen. Caro, die Burschikose, Sportliche, Laute und Engagierte, die sich unheimlich für die Umwelt einsetzte, früher bei Osterdemos mitgelaufen war und »Hopp, hopp, hopp, Atomraketen stopp! Frieden schaffen ohne Waffen!« gerufen hatte und allen anderen ständig erzählte, dass sie keine Plastiktüten mehr benutzen sollten. Und Betty, die kleine, süße, familienorientierte, die für jeden da war, für alle Schulfeste Kuchen und Torten fabrizierte, freiwillig sonntagmorgens um halb acht bei Starkregen die Fahrdienste zu Fußballturnieren übernahm und die Schlüssel von allen Nachbarn hatte, damit die Blumen die Urlaube überlebten und die Post reingelegt wurde.

Die drei waren mittlerweile fast fünfundvierzig Jahre alt. Sie hingen zwar nicht mehr täglich zusammen, schon wegen der Entfernung nicht, aber sie verstanden sich ganz wunderbar und trafen sich mehrmals im Jahr zu Geburtstagen oder Konfirmationen der Kinder.

»Sagen Sie doch auch mal was!«, forderte Giselher nun lautstark und aggressiv. »Das ist doch alles nicht richtig. Geliebt hab ich sie, die Vroni, ach, ich lieb sie ja immer noch, wissen Sie, so eine Ehe, die wirft man doch nicht nach so langer Zeit weg. Im Alter wollten wir eine Weltreise machen und lange in Kenia bleiben, bei den Löwen … alles vorbei. Weil Vroni endlich leben will. Das hat sie gesagt. Können Sie sich das vorstellen?« Nun wurde Giselher rot. Jetzt war er am springenden Punkt angekommen.

»Dieses Miststück. Keinen Cent kriegt die von mir«, brüllte er.

»Nun sprechen Sie doch erst mal mit Doktor Laurenz«, versuchte Betty ihn zu beruhigen. »Danach geht es den meisten Mandanten viel besser.«

Giselher stand auf. »Mein Lebenswerk lass ich mir von dieser … dieser Schlampe nicht ruinieren. Mit einem winzigen Hotel hab ich damals angefangen, jetzt sind es über zehn. Das muss man erst mal schaffen, muss man das erst mal. Von wegen hinter jedem erfolgreichen Mann steckt eine kluge Frau. Gar nix hat die Vroni getan, um mich zu unterstützen. Nur mein Geld hat sie ausgegeben. Mit vollen Händen. Schade eigentlich, dass wir nicht nach Kenia fahren, dann hätt ich sie den Löwen zum Fraß vorwerfen können, das hätte sie verdient, wenn Sie wissen, was ich meine.«

»Nun beruhigen Sie sich doch bitte«, sagte Betty, weil Giselher mittlerweile selbst aussah wie ein Löwe. Sein gelbliches Haar stand ihm wirr zu Berge, er hatte die Zähne gefletscht und stand schnaubend vor ihr, bereit zum Sprung.

»Geld will sie, die Vroni. Mein Geld! Das ist Raub! Diebstahl ist das.«

»In der Rechtsprechung nennt man das Zugewinn«, erklärte Betty, was ein Fehler war, denn nun begann Giselhers Halsschlagader anzuschwellen.

»Wir reden hier nicht von tausend Euro!«, brüllte er. »Wir reden hier von weit mehr Geld. Ich bring die Schlampe um, ich bring sie um. Wissen Sie eigentlich, wo die her ist, die Vroni? In Wien hab ich sie aus dem Babylon rausgeholt, aus dem größten Puff. Wie dumm war ich eigentlich. Für das, was die mich gekostet hat, hätte ich jeden Tag eine andere …«

»Guten Tag, Herr Heidinger.« Leif Laurenz war da.

Gott sei Dank, dachte Betty.

»Hat unsere Frau Martinius sich gut um Sie gekümmert?«, fragte Leif freundlich. »Aber ja, sicher hat sie das. Nun kommen Sie mal in mein Büro, Herr Heidinger, und die Frau Martinius bringt uns einen schönen Klaren oder auch zwei, und dann erzählen Sie mir alles der Reihe nach. Kommen’s bitte, mei, jetzt beruhigen wir uns erst mal.« Er schob Giselher vor sich her und zwinkerte Betty zu. Die wusste, dass sie jetzt die Flasche mit dem Himbeergeist aus dem Eisfach holen musste, und dann würde sie sich einen Kaffee machen. Diese Mandanten waren teilweise unerträglich, und Betty hatte heute sowieso keine gute Laune. Als sie heute Morgen in ihren Kosmetikspiegel mit der achtfachen Vergrößerung geschaut hatte, musste sie feststellen, dass die Krähenfüße sich schon wieder vermehrt hatten. Holger lachte immer über den Spiegel. »Der ist doch gar nicht wirklichkeitstreu«, sagte er.

»Er sagt die Wahrheit«, war Bettys Meinung.

»Aber Schnuppi, niemand sieht dich in achtfacher Vergrößerung.«

»Trotzdem. Ich werde alt«, hatte sie gesagt.

Während Betty den Behälter der Schweizer Kaffeemaschine mit Bohnen füllte, musste sie wieder daran denken. Ich werde alt. Himmel. Sie war vierundvierzig. Ihre Oma, die immer noch lebte, war jetzt siebenundneunzig und noch fit. Ihre Mutter war siebzig und ebenso fit. Alle Frauen in der Familie haderten mit ihrem Gewicht, und das setzte sich bei Bettys Tochter Lisa ebenso fort. Sie machte jede Diät, die sie auftreiben konnte, trotzdem hielt sich jedes Kilo zu viel hartnäckig. Betty hatte sich schon früh damit abgefunden, niemals eine Modelfigur zu haben. Sie war recht klein, hatte braune, halblange Locken, die sich zu keiner Frisur formen ließen, da konnte sie machen, was sie wollte, und Grübchen in den Wangen, was jeder »total süß« fand.

Sie wählte einen Cappuccino, drückte dann auf Start, und die Maschine fing an zu arbeiten, was einen Höllenlärm verursachte. Betty hasste diesen Kaffeevollautomaten. Meistens blinkte irgendwas, und man musste erst etwas tun, bevor man Kaffee bekam. Außerdem war die Maschine arrogant und zickig und machte, was sie wollte, was zur Folge hatte, dass sie sehr oft nicht machte, was Betty wollte. Und ständig wurde die Milch in dem Behälter sauer, weil alle immer frische Milch zur alten kippten und den Einsatz nie säuberten.

Letztens hatte Betty eine Doku über Frauen gesehen, die mit Mitte vierzig noch mal neu angefangen hatten. Eine hatte sich von ihrem Mann getrennt, der ein notorischer Fremdgänger gewesen war, und sich auf Ibiza mit gehäkelten Kindermützen selbstständig gemacht. »Endlich fühle ich mich frei und bin angekommen«, sagte sie strahlend in die Kamera, und ihre knallrot gefärbten Haare flatterten im Wind. Sie trug eine ihrer gehäkelten Kindermützen, was irgendwie grotesk aussah. Die andere hatte einen Indianer kennengelernt und wohnte nun mit dem in einem kleinen Kaff irgendwo in Mexiko. Der Indianer ging sogar selbst auf die Jagd, und die Frau zerlegte dann die Beute. Sie, die aus dem schicken Prenzlauer Berg in Berlin gekommen war, wollte gar nicht mehr anders leben und zeigte stolz ihre blutigen Hände. Die dritte Frau hatte sich ein Segelboot gekauft und war damit allein auf Weltreise gegangen. Ach, das Segeln. Das war früher so schön gewesen. Susannas mittlerweile verstorbene Eltern hatten ein 38-Fuß-Boot besessen, die Subeca. Als Betty, Susanna und Caro noch in Hamburg gewohnt hatten, waren sie oft gemeinsam unterwegs gewesen, und Betty und Caro hatten von Susannas Eltern sogar den Segelschein spendiert bekommen. Das Boot war gekauft worden, als die drei noch unzertrennlich gewesen waren, und so waren Susannas Eltern auf die Idee gekommen, den Schiffsnamen aus ihren drei Vornamen zusammenzusetzen. Die drei hatten sich wahnsinnig gefreut. Jahrelang waren sie während der Sommerferien sechs Wochen lang mit der Subeca unterwegs gewesen. Die ganzen friesischen Inseln hatten sie abgeklappert, die Subeca hatte eine Badeplattform, und wenn Susannas Vater, Hein zu Olding, gerufen hatte: »Badezeit!«, hatte er die Plattform heruntergeklappt, und die Mädchen waren in die Nordsee gesprungen. Mit der Subeca konnte man trockenfallen: Das Meer zog sich bei Ebbe zurück, und irgendwann stand das Boot auf dem Meeresboden. Sie hatten im Matsch gespielt, und etwas weiter weg hatten sich die Seehunde gesonnt. Dann war das Meer langsam wieder zurückgekommen, und wenn die Subeca wieder schwamm, waren sie weitergesegelt in den nächsten Hafen, oder sie hatten irgendwo geankert. Es wurde gegrillt, und Alida zu Olding, Susannas Mutter, hatte Zitronensirup mit Wasser aufgefüllt, was köstlich schmeckte. Mittlerweile waren Susannas Eltern schon ein paar Jahre tot. Hein hatte einen Autounfall gehabt, und Alida war kurz darauf krank geworden und ebenfalls gestorben. Die Subeca lag, soweit Betty wusste, immer noch in Hamburg. Aber gesegelt war wohl lange niemand mehr auf ihr. Schade eigentlich.

Betty nahm ihren Cappuccino und kehrte an ihren Arbeitsplatz zurück. Eigentlich war das doch eine gute Idee. Sie könnten … ihr Smartphone vermeldete eine SMS. Sie kannte die Nummer nicht. »Liebe Betty, ich bin am Mittwoch geschäftlich in München. Ich würde dich sehr gern sehen. Gehst du mit mir essen? Julius.«

Julius? Sie kannte nur einen Julius. Julius Harding aus Berlin. Eigentlich aus Hamburg. O Himmel. Julius. Nein, nein, nein. Sie hatten doch was ausgemacht vor sechzehn Jahren, als sie sich zum letzten Mal gesehen hatten. Betty stellte die Tasse ab und merkte, dass sie zitterte. Es könnte natürlich auch jemand eine falsche Nummer eingegeben haben. So was passierte ja. Aber es wäre schon ein großer Zufall, wenn jemand aus Versehen dann auch noch ihren Namen kannte.

Es musste der, ihr Julius sein. Außerdem erinnerte sie sich jetzt an die Nummer. Julius gehörte zu den Menschen, die ihre Handynummer nie wechselten. Er hatte immer noch 0171 und dann eine gut merkbare Zahlenfolge.

Aber sie hatten ausgemacht, dass sie nie wieder Kontakt aufnehmen würden. Und jetzt schrieb er ihr. Warum? Sie würde ihm absagen. Natürlich würde sie das.

Das Telefon klingelte.

»Kanzlei Laurenz, Marti…«

»Ich mach ihn fertig, das können Sie ihm ausrichten!«, keifte eine Frauenstimme.

»Wer ist denn da bitte?«

»Wer ist denn da bitte?«, äffte die Stimme sie nach. »Mein Nochmann sitzt bei Ihrem Chef, und die beiden beratschlagen wohl gerade, wie sie mich am schnellsten und billigsten loswerden können, aber das können Sie Giselher sagen, nicht mit mir. Ich lasse diesen Schwachkopf am ausgestreckten Arm verhungern. Was für eine Armseligkeit, mir einen Privatdetektiv auf den Hals zu hetzen. Glaubt der, ich bin so blöd und merk das nicht? Ich hab …«

Betty tat etwas, was sie noch nie getan hatte, wenn eine wütende Mandantenehefrau anrief: Sie legte einfach auf. Sie zitterte immer noch. Warum hielt Julius sich denn nicht an die Abmachung?

 

»Mama, willst du mich eigentlich umbringen?«, fragte Lisa ihre Mutter, als sie am Abendbrottisch saßen.

»Ja«, antwortete Betty, und Lisa sah erschrocken auf.

»Natürlich will ich dich umbringen«, sagte Betty. »Seit siebzehn Jahren probiere ich es immer wieder, leider ist es mir noch nicht gelungen. Aber ich werde es weiter versuchen. Was ist es denn diesmal? Wie versuche ich dich denn heute zu töten? Mit Gelbwurst?« Betty ging die SMS nicht aus dem Kopf, und ihre Tochter nervte sie. Seit dieser SMS nervte sie alles.

»Mit Kalbsleberwurst«, sagte Lisa. »Weißt du, wie viele versteckte Fette in Kalbsleberwurst drin sind? Das machen die Hersteller ganz klug. Wenn man Kalb und Leber hört, denkt man, das ist fettarm.«

»Ich denke das nicht«, sagte ihr Bruder Jan. »Ich denke einfach nur: Das ist Wurst.«

»Ach du.« Lisa wandte sich wieder ihrer Mutter zu. »Hundert Gramm Kalbsleberwurst dieser Sorte haben über sechzig Prozent Fett. Und Kalb ist kaum drin. Schwein ist drin. Also überwiegend.«

»Dann iss halt keine.« Betty nahm sich eine Scheibe Corned Beef. »Ich begehe gerade Selbstmord«, sagte sie. »Weil hier bestimmt auch versteckte Fette drin sind.«

»Wäschst du vorher noch meine Sportsachen?«, fragte Jan. »Ich hab am Wochenende ein Fußballturnier.«

 

Nach dem Abendessen war Holger wie jeden Montagabend zu seiner Bandprobe gegangen. Gemeinsam mit drei Freunden spielten sie in einem Kellerraum alte Hits der Beatles und Stones und traten hin und wieder in Kneipen auf. Für Holger war das ein Ausgleich zu seinem Job als Textchef einer Wohnzeitschrift. Die Kinder waren in ihren Zimmern, und Betty goss sich ein Glas Rotwein ein, zog ihre Strickjacke an und setzte sich auf den Balkon, den sie mit Terrakottakübeln und Fackeln geschmückt hatte. Die Blumen blühten, der Efeu wucherte vor sich hin. Die Juniabende waren hin und wieder noch kühl so wie jetzt, aber wenn sie die beiden Standfackeln anmachte, ging es. Sie verbreiteten schönes Licht und angenehme Wärme. Unter ihr unterhielten sich die Leute auf der Straße, sie hörte eine Frau lachen und einen Hund bellen. Der Himmel war sternenklar.

Nein. Sie durfte Julius nicht treffen. Das war nicht gut und nicht richtig und viel zu gefährlich. Himmel, es war so lange her. Wie kam er nur darauf, sich jetzt bei ihr zu melden? Die ganzen Jahre war wie vereinbart Funkstille gewesen. Das brachte alles durcheinander.

Ihr Leben war doch gut, so wie es war. Holger würde dieses Jahr fünfzig werden, sie würde ihm eine große Feier ausrichten, so wie sie das immer an den Geburtstagen tat. Selbst gebackene Kuchen, Pasteten, kalter Braten und schöne Salate würde es geben, dazu ihr eigenes Dinkelbaguette, das alle so liebten. Sie würden im Klubhaus von Jans Fußballverein feiern, und alle würden sich wohlfühlen und sie für die tolle Organisation loben. So wie immer.

Und so würde sie auch weiterleben. Sie war zufrieden, es war okay mit Holger, seit weit über zwanzig Jahren schon. Betty und Holger hatten sich an der Uni kennengelernt. Holger hatte einen Kommilitonen abgeholt, der gerade mit Betty aus der Uni rausgekommen war. Betty wurde bald schwanger und hatte das Jurastudium abgebrochen. Lisa kam auf die Welt, und dann drehte sich alles erst mal um die kleine Tochter. Holger war mittlerweile Textchef eines Wohnmagazins und verdiente ordentliches Geld. Nachdem ihr Sohn Jan auf der Welt war, fing Betty an, bei Laurenz & Laurenz zu arbeiten.

Sie nippte an ihrem Wein. Ihr ging es doch gut. Sie hatten eine schöne Fünfzimmerwohnung in der Nähe des Viktualienmarkts, ihre Kinder waren gesund, sie selbst und ihr Mann auch. Ihr Leben verlief zwar ohne große Vorkommnisse, aber das war völlig in Ordnung so. Sie fuhren in den Sommerferien in ihr Ferienhaus auf die dänische Insel Fanø, hatten ein schönes Auto, konnten Geld für die Altersvorsorge zurücklegen, und für die Ausbildungen der Kinder war auch gesorgt. Betty hatte außer ihren engsten Freundinnen Susanna und Caroline, die weiter weg wohnten, hier in München einige nette Bekannte und Freundinnen, sie ging regelmäßig zum Yoga, war Elternbeiratsvorsitzende in der Schule und Schriftführerin in Jans Fußballverein.

Holger und sie verstanden sich wirklich, was nach so langer Zeit auch nicht selbstverständlich war.

Sie waren ein gutes Team.

Betty nahm noch einen großen Schluck. Ein gutes Team. Wollte man das mit seinem Mann sein? Müsste da nicht mehr sein als ein Team? Was war zum Beispiel mit der Liebe?

Liebte sie Holger noch?

Was für eine dämliche Frage sie sich da stellte. Sicher tat sie das.

Wirklich?

Das Telefon klingelte. Betty stand auf und ging ins Wohnzimmer, um das Handgerät zu holen. Es war ihre Mutter.

»Bettykind, hab ich dich geweckt?«

»Mama, die Tagesschau hat noch nicht mal angefangen. Es ist also noch sehr früh am Abend. Wieso solltest du mich denn geweckt haben?«

»Es hätte ja sein können. Du hattest ja durchaus mal Phasen, in denen du früh zu Bett gegangen bist.«

»Ja, Mama, als die Kinder klein waren und ich nachts mehrfach aufstehen musste.«

»Siehst du. Das habe ich nicht vergessen. Bettykind, stell dir vor, ich habe mich verliebt.«

»Was?« Betty holte ihr Weinglas und ging in die Küche, um es noch mal zu füllen.

»Ja. Wer hätte das gedacht! Und weißt du, wo ich ihn kennengelernt habe? An der Tiefkühltruhe im EDEKA. Hattest du mir nicht mal erzählt, dass viele Singles ihren Partner im Supermarkt kennenlernen? Ist ja auch egal. Jedenfalls stand ich beim Blattspinat. Ich wollte mir abends Lachs braten und brauchte noch ein dazu passendes Gemüse und da …«

»Mama! Du weichst ab!«

»… ich esse ja abends keine Kohlenhydrate mehr, aber Gemüse geht ja immer. Ich brate mir zum Blattspinat immer Zwiebeln an, das musst du mal machen, das schmeckt ganz hervorragend. Einfach ein bisschen Butter oder Olivenöl zerlassen und dann …«

»Mama!«

»Schon gut, schon gut. Jedenfalls stand er beim Blätterteig. Das muss auch mal jemand begreifen, diese Anordnung der Lebensmittel in den Supermärkten. Was hat denn bitte Blätterteig beim Blattspinat verloren? Ist ja auch egal. Jedenfalls fragt er mich, gnädige Frau, fragt er, wissen Sie, wo ich Morcheln finde? Das hat er gesagt.«

»Und dann?« Betty goss sich Wein nach.

»Also, er hatte so einen niedlichen englischen Akzent, ach, du weißt ja, wie ich diesen Akzent liebe. Dieses British Upper Class, oder wie das heißt. Ich sagte, dass er die Morcheln beim Gemüse findet, nicht in der Tiefkühltruhe. Dann sind wir gemeinsam zur Obst- und Gemüseabteilung gegangen und dann … ich muss mich sammeln, Kind.« Bettys Mutter atmete schwer. »Dann stellte sich heraus, dass es keine Morcheln gab. Eine Frechheit, so was. Da haben die die im Angebot diese Woche, und dann ist es gleich ausverkauft. Ich sage dir, das sind so Fangangebote. Die wollen natürlich, dass die Kunden in den Supermarkt kommen. Locken tun die die Kunden, wenn du mich fragst.«

So war ihre Mutter. So war Gertrud schon immer gewesen. Die Oma war nicht besser mit ihrem ausschweifenden Geschwätz, ohne mal auf den Punkt zu kommen. Betty betete zu Gott, dass sie später nicht auch so wurde.

»Kind, bist du noch dran?«

»Ja. Wenn du jetzt bitte …«

»Ich war erstaunt, dass du mich nicht unterbrichst«, sagte Gertrud. »Also jedenfalls gab es keine Morcheln, und jetzt kommt aber das Allerbeste: sein Name.«

»Wie heißt er denn?«

»Torin McGillivray!«, schmetterte Gertrud. »Er entstammt einem alten schottischen Clan aus den Highlands!«

»Oh …« Nun war Betty in der Tat ein wenig ehrfürchtig.

»Wenn ich ihn heirate, heiße ich Gertrud McGillivray!« Nun klang Gertrud wie eine Vierzehnjährige, die ihre erste Liebe ehelichen wollte. »Wir waren essen! Kind. Formvollendet, der Mann. Er kennt sich mit Wein aus. Und weißt du, was mich ganz wuschig gemacht hat, als wir uns abends trafen?«

»Wuschig gemacht?« Betty hätte nicht gedacht, von ihrer Mutter mal solche Wörter zu hören.

»Ja. Deine Mutter ist noch nicht scheintot. Torin trug einen Kilt. In seinen Clanfarben!«

»Oh …« Das fand Betty nun doch auch gut.

»Mir geht es so gut wie lange nicht. Ich werde mit ihm nach Edinburgh fliegen. Er will mir alles zeigen. Irgendwie ist er auch mit der Queen verwandt.«

»Oh. Wie aufregend.«

»Ja. Morgen geht es los.«

»Was? Du kennst ihn doch kaum!«

»Ich habe keine Zeit mehr zu verlieren. Kennenlernen kann ich ihn auch auf dem Flug. Mir läuft das Leben davon. Ich muss jeden Tag nutzen.«

 

Eine halbe Stunde später saß Betty wieder auf dem Balkon. Mittlerweile hatte sie das dritte Glas Wein getrunken und holte ihr Smartphone hervor. Da war sie. Die SMS von Julius.

Nein, nein, nein. Es war falsch, falsch, falsch.

Sie rief Susanna an. Mailbox.

Sie rief Caro an. Keiner ging ran.

»Ja«, sah sie sich schreiben. »Sehr gern.«

Und plötzlich, auf einmal, hatte sie das Gefühl, das Richtige getan zu haben.

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2

Hamburg, am selben Abend

Susanna war stolz auf sich. Sie hasste Sport, und Laufen am meisten, aber so schnell war sie noch nie um die Alster gerannt. Völlig außer Atem schloss sie die Haustür auf, zog ihre Laufschuhe aus, ging in die Küche und holte sich ein Wasser aus dem Kühlschrank. Dann ging sie die Treppe hoch ins Badezimmer und drehte das Wasser über der kupfernen Wanne auf. Nach dem Laufen zu baden, war für sie das Größte. Rickmer war heute Abend mit irgendeinem Kunden essen und hatte schon gesagt, dass es spät werden würde, also hatte sie die Stunden ganz für sich allein. Sie machte das Internetradio an und suchte einen Klassiksender. Dann gab sie Badesalze und ein Öl ins Badewasser und zündete die großen weißen Kerzen an, die vor einem italienischen Barockspiegel standen. Susanna hatte das Badezimmer ganz nach ihrem Geschmack eingerichtet. Die Wände waren türkis und golden gefliest, das Waschbecken war smaragdgrün, die Bodenkacheln zartblau. Überall standen Kerzen in goldenen Haltern, den großen, verschnörkelten Spiegel hatte sie bei einem Antiquitätenhändler in Paris erstanden. Einen alten Waschtisch hatte sie um das Jugendstil-Waschbecken bauen lassen, und für Kosmetik und Handtücher stand hier ein großer alter Rollschrank, wie man ihn früher für Akten benutzt hatte. Über der Wanne hing ein Stillleben, auf dem Muscheln, eine Weinkaraffe und Seesterne zu sehen waren. Aus den Boxen erklang jetzt Vivaldi. Herrlich. Susanna zog sich aus, löste ihr Haar und betrachtete sich aufmerksam im Spiegel. Nein, ihre vierundvierzig Jahre sah man ihrem Körper nicht an. Der Sport, zu dem sie sich zwang, zahlte sich aus. Sie war schlank, durchtrainiert und hatte, worauf sie sehr stolz war, nicht auch nur den Ansatz eines Hängebusens. Gut, sooo groß waren ihre Brüste nicht, aber trotzdem. Ihre Freundin Betty klagte immer darüber, dass alles anfing zu hängen. Susanna hatte rechtzeitig gegengesteuert. Sie ging laufen, machte Krafttraining und trank kaum Alkohol. Sie sah top aus mit ihren langen, blonden, leicht gewellten Haaren, den blauen Augen und der guten Figur. Und wie schön, dass sie genug Geld hatte, um sich ausschließlich Markenkleidung leisten zu können. Rickmer, ihrem Mann, gehörte eine Unternehmensberatung, und das Geld floss in Strömen, weil die Firma einen extrem guten Ruf hatte und sich vor Aufträgen kaum retten konnte. Auch etliche Preise hatten sie schon gewonnen. Einmal war Rickmer sogar auf dem Titel des Manager Magazin gewesen, da war er sehr stolz gewesen. Als Susanna, die Public Relations und Marketing studiert hatte, mit Desiree schwanger war, hatte sie ihre PR-Agentur verkauft, die ebenfalls sehr gut gelaufen war. Diesen Erlös und auch das Geld aus mehreren Schenkungen ihrer reichen Eltern, die keine Lust hatten, das ganze Erarbeitete dem Finanzamt in den Rachen zu schmeißen, steckte Susanna in die Unternehmensberatung von Rickmer.

Ein Jahr später kam Philippa, und direkt nach der Geburt ließ Susanna, deren Familienplanung nun abgeschlossen war, sich den Bauch straffen, was sie aber keinem erzählte. Aus irgendwelchen Gründen hätte sie es als Niederlage empfunden, das zuzugeben. Es war doch viel besser, wenn sie sagte, dass sie viel Sport trieb und sich gesund ernährte. Das beeindruckte mehr. Susanna war es wichtig, Menschen zu beeindrucken. In dieser Hinsicht war sie sehr ehrgeizig, sie brauchte es einfach, bewundert zu werden.

»Susa ist unsere Schönheitskönigin«, hatten Betty und Caro immer gesagt, und damit hatten sie recht. Wenn Susanna in einen Raum kam, trat sie nicht einfach so ein, sie schwebte mit Grandezza hinein und hielt bei ihren Untertanen Hof. Sie wusste genau, wie hinreißend sie aussah und wie sie auf andere wirkte: Die Männer hatten auf der Stelle Fantasien, in denen ein Bett und viel Zeit eine tragende Rolle spielten. Die anwesenden Frauen wünschten Susanna mindestens die Pest an den Hals und beschlossen insgeheim, noch besser auf ihre Männer aufzupassen.

Susanna liebte es, im Mittelpunkt zu stehen. Sie kam zu Partys gern zu spät und genoss ihre Auftritte in engen schwarzen Seidenkleidern oder in einem Hosenanzug aus schillernden Pailletten. Sie verstellte sich nicht. Susanna war einfach so. Schön. Sexy. Begehrenswert. In Susanna verliebten sich alle Männer, und Susanna verliebte sich nie; ihr war das zu anstrengend. Aber sie ließ sich gern zum Eis oder Essen oder ins Kino einladen. Mehr lief nicht.

»Willst du eigentlich als Jungfrau sterben?«, hatte Caro an Susannas achtzehntem Geburtstag gefragt.

»Nein, aber ich spare mich für den Richtigen auf«, lautete Susas Antwort. Wie ihr erstes Mal ablaufen sollte, hatte sie schon minutiös geplant. An einem Wochenende sollte es stattfinden, und ihre Eltern müssten verreist sein. Es musste Winter sein, denn sie wollte den Kamin anmachen. Alles sollte ganz romantisch sein, mit wunderschöner Musik und Liebesschwüren.

Als sie Nils kennenlernte, war Hochsommer, und ihr erstes Mal fand auf einem Liegestuhl am Pool von Nils’ Eltern statt. Susanna hatte ein bisschen zu viel Hoffnung in die Romantik gelegt und war enttäuscht, auch weil Nils nichts richtig und irgendwie alles falsch machte. Am wenigsten romantisch war die Tatsache, dass sie, nachdem sie aus dem Liegestuhl aufgestanden war, rückwärts in das von Nils’ Mutter liebevoll angelegte Kakteenbeet stürzte. Nils musste sie mit seinem Mofa ins Krankenhaus fahren, und Susanna hatte die ganze Zeit geschrien. Sie behauptete jahrelang, dass mit Sicherheit Kakteenstacheln durch ihren Körper wandern würden.

Aber endlich konnte sie mitreden, jetzt, da sie ein so glamouröses erstes Mal gehabt hatte.

Nun ließ sich Susanna in die Wanne gleiten und dachte darüber nach, was sie zur Hochzeit einer Freundin anziehen sollte. Unten hörte sie einen Schlüssel in der Tür. Ihre jüngere Tochter kam nach Hause. »Haaaallo!«, rief Philippa.

»Bin in der Wanne!«, rief Susanna zurück, und kurz darauf ging die Musik in Philippas Zimmer an. Ihre Jüngste hörte gern Songs aus den 80ern. »Last Night A DJ Saved My Life« sangen Indeep, und Susanna sang mit und gegen Vivaldi an. Den Song kannte sie auswendig. Die 80er und 90er waren herrliche Jahrzehnte gewesen. In den 80ern waren sie so jung gewesen und in den 90ern immer noch wild und unberechenbar durch die Diskotheken gezogen. Sie hatten die Nacht zum Tag gemacht, und am nächsten Morgen sah man es ihnen nicht mal an.

Doch Susanna trauerte den alten Zeiten nicht hinterher. Jetzt war es auch schön, wenn auch anders. Und sie musste die Nächte nicht mehr durchmachen. Sie war mit Rickmer verheiratet, war glücklich und hatte zwei hübsche Töchter, die ihren Weg gehen würden. Ihr ging es gut, sehr gut sogar.

Susanna lächelte die mintfarben gestrichene Decke an. Morgen würde sie in die Gärtnerei fahren, sich nach Blumen für die Terrakottakübel umsehen und der Haushaltshilfe sagen, dass sie die Gartenstühle aus Teak aus dem Gartenhaus holen und einölen sollte. Und sie würde in der Stadt nach einem Outfit für Melanies Hochzeit schauen. Dann könnte sie am Hafen beim Frischeparadies Gödeken vorbeifahren und Austern kaufen, und dazu zwei Flaschen Muscadet. Sie könnte die Austern auch gratinieren und mit Pariser Butter und Grapefruit anrichten. Ihr würde schon was einfallen.

Susanna schloss die Augen. Ihr Leben konnte so bleiben. Alles war gut.

Bad Homburg im Taunus, zur selben Zeit

Im Gegensatz zu Susanna liebte Caroline Sport. Sie konnte nicht genug davon bekommen und schüttete beim Joggen regelmäßig Endorphine aus, die ihr ein Runner’s High bescherten. Regelmäßig erzählte sie Susanna und Betty davon, und Betty sagte immer, es käme einer Körperverletzung gleich, Schwärmtiraden über die Freude an Bewegung zu hören. Seitdem sie denken konnten, trieb Caro Sport und ernährte sich von allen am gesündesten. Sie war mittelgroß, schlank, sehnig und unfassbar durchtrainiert. Ihre halblangen, fast schwarzen Haare band sie fast immer mit einem Haarband zurück, sie kleidete sich stets sportlich und trug nie hohe Schuhe, weil das Gift für die Füße war. Gewichtsprobleme hatte Caro noch nie gekannt. Sport und Bewegung waren für sie schlicht das Größte, und nur wenn sie richtig durchgeschwitzt war, empfand sie Glück. Dann strahlten ihre großen graugrünen Augen.

»Caro ist unsere Indianerin«, hatte Susannas Mutter Alida immer gesagt, weil Caro im Sommer am schnellsten dunkelbraun wurde. Ihr schwarzes Haar glänzte wie lackiert, und an Fasching ging sie – wie auch sonst – als Squaw.

»Ein bisschen Laufen würde dir auch gut tun«, sagte Caro immer zu Betty. »Zehntausend Schritte am Tag sind das Minimum.«

»Ich gehe in der Kanzlei schon mehr«, sagte Betty daraufhin böse. »Also erzähl mir nicht, dass Bewegung schlank macht. Ich bin da eine Ausnahme.«

»Bewegung und verminderte Kalorienzufuhr«, erklärte Caro dann. »Ritter Sport und Gorgonzolatoasts durch Kohlrabi und Fenchelknollen ersetzen. Dazu noch drei Liter stilles Wasser täglich, und du wirst sehen, wie die Pfunde purzeln.«

»Oh, und den Wein lasse ich dann aber auch weg«, fügte Betty noch hinzu, und Caro nickte dann immer. »Alkohol hat so viele Kalorien. Und verhindert die Fettverbrennung.«

»Darauf einen Merlot«, sagte Betty giftig.

»Was macht eigentlich deine Cellulitis?«, wollte Caro dann süffisant wissen, Betty sagte gar nichts mehr, und Susanna fand es herrlich, wenn die zwei sich kabbelten.

So war es immer, wenn sie zusammen waren.

»Philipp!«, rief Caro nun. »Hast du Latein gelernt? Ich hör dich gleich ab.«

»Ey, Mama.« Ihr Sohn war fünfzehn und in der Alles-scheißegal-Eltern-sind-eine-Zumutung-und-duschen-auch-und-überhaupt-ist-es-meine-Sache-ob-Pizzareste-unter-meinem-Bett-verschimmeln-Phase.

»Keine Diskussion!«, kam es streng von Caro. »Und hast du deine Spange getragen?«

»Ey, chill mal, ja?«

Caro seufzte. Wo war ihr Sonnenschein geblieben, das kleine, hilflose Bündel Mensch, das sich vertrauensvoll an sie gekuschelt hatte und nicht ohne Licht einschlafen konnte? Es war gemeinsam mit Benjamin Blümchen und den drei Fragezeichen in irgendeinem Nirwana verschwunden. Dafür kam aus irgendeiner Kiste ein Giftzwerg geklettert, der alles scheiße fand und Eltern als schädliche Insekten betrachtete, die es verbal und mit Blicken zu vernichten galt.

Caro war müde. Und alles in ihr war leer. Dazu waren ihr die Kunden heute auf den Keks gegangen. Caro arbeitete halbtags in einem Fitnessstudio und hatte dort schon gekündigt, weil sie mit ihrem Mann Tom eine zweite Filiale eines Sportartikel- und -bekleidungsgeschäfts eröffnen würde und dann dort arbeiten sollte. Das schon bestehende Geschäft lief gut, und sie und Tom hatten das ausführlich besprochen. Ihr Mann freute sich sehr darauf.

Sie auch, um ehrlich zu sein. Caro war immer mehr genervt von nölenden Kunden und den Weibern, die sie teilweise so von oben herab behandelten. Aber natürlich war sie immer freundlich und zuvorkommend. Der Kunde war König.

Sie setzte sich an den Küchentisch und nahm automatisch ihr Smartphone. Dieser Ledermantel bei Zalando war ja wohl wirklich der Hammer. Und so günstig. Es gab nur noch zwei in ihrer Größe. Er würde wunderbar zu den hellbraunen Wildlederstiefeln passen, die sie sich kürzlich bestellt hatte.

Der Mantel war von 1200 auf 700 Euro runtergesetzt, quasi ein Schnäppchen. Caro legte das Smartphone weg und holte sich eine Cola light aus dem Kühlschrank. Wenn man es genau nahm, hatte sie genügend Mäntel und hätte auch die Stiefel eigentlich nicht gebraucht. Aber sie waren auch so günstig gewesen. Sie sah sich den Mantel noch mal an. Jetzt war nur noch einer in ihrer Größe da.

Caro schloss kurz die Augen. Mist.

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3

München, kurz vor 19 Uhr

Betty saß in einem Biergarten an der Isar und sah sich um. War es blöd, dass sie zuerst hier war? Sah das so aus, als würde sie ihm nachlaufen oder es nicht abwarten können, ihn zu sehen? Sie war in der Tat viel zu früh hier gewesen, einfach weil sie es daheim nicht mehr ausgehalten hatte. Um sieben waren sie verabredet, und jetzt war es zehn vor. Niemandem hatte sie etwas erzählt. Das Geheimnis mit Julius kannte keiner. Nicht einmal Caroline und Susanna. Bei aller Liebe zu ihren besten und längsten Freundinnen hatte sie das immer für sich behalten. Niemand, wirklich niemand wusste davon.

Julius und sie kannten sich schon seit der Schulzeit, und als sie fünfzehn und Julius sechzehn gewesen war, hatte er Betty gefragt, ob sie mit ihm gehen wolle. Sie schwebte im siebten Himmel, denn Julius Harding war ein Mädchenschwarm. Er sah ein bisschen aus wie ein Mitglied aus einer der ersten Boygroups, den Namen der Band und des Mitglieds hatte Betty mittlerweile vergessen. Zwei Jahre waren sie und Julius zusammen gewesen, dann hatte er Abi gemacht und war zum Studieren in die USA gegangen. Natürlich kam Betty mit zum Flughafen und weinte bittere Tränen, und natürlich schwor man sich, täglich zu schreiben und wöchentlich zu telefonieren.

Weg war er. Anfangs schrieben sie sich heiße Briefe und schworen sich ewige Treue, aber wie das meistens so ist, werden die Briefe kürzer und die Abstände größer, und irgendwann hat man das Gesicht des anderen nur noch verschwommen vor Augen, denkt mit ein bisschen Wehmut an früher und geht dann weiter durchs Leben.

Dann gab es plötzlich das Internet, Stayfriends und wer-kennt-wen, und alle möglichen Leute von damals tauchten auf. Einer bildete eine Klassengruppe, und schwupps, war es wieder wie im Klassenzimmer, sogar alte Lehrer wurden aufgetrieben, die in milder Güte von den Schandtaten einiger Mitglieder sprachen beziehungsweise die schlimmen Geschichten posteten. Natürlich kam irgendwann der Vorschlag: »Wir müssen ein Klassentreffen organisieren.« Betty hatte eigentlich keine Lust, doch dann tauchte auf einer Plattform Doktor Julius Harding auf, und alles war anders.

Natürlich fingen sie an, sich zu schreiben, und natürlich ging es um damals, und beide konnten nicht mehr verstehen, »dass man sich so aus den Augen verlieren konnte«.

»Ich war lange in New York«, hatte Julius geschrieben. »Dort hab ich auch geheiratet, ich schick dir mal Fotos von mir und meiner Frau.« Es folgten Bilder einer wahnsinnig schönen, dunkelhaarigen, dünnen Frau, die melancholisch und gleichzeitig verführerisch in die Kamera blickte. Julius stand voller Besitzerstolz neben ihr und sah aus wie der Zwillingsbruder von George Clooney. Betty wollte erst kein Bild von sich verschicken, weil sie mit sich, ihren entsetzlichen Speckröllchen und ihrem nahenden dreißigsten Geburtstag haderte, aber andererseits: Warum eigentlich nicht? Also verschickte sie ein Bild an Julius, der hellauf begeistert war. Sie sei so natürlich geblieben und würde genauso aussehen wie damals … so frisch und rein und wunderbar. Das schmeichelte Betty sehr, und sie blieben weiter im Kontakt. Sie erzählte von ihrer Tochter Lisa, er schrieb, er habe keine Kinder, seine Frau wolle keine. Sie sei ein Karrieremensch, eine knallharte Scheidungsanwältin, die viele Promis vertrat. Für Kinder sei da kein Platz. Stella sagte, in der wenigen freien Zeit, die sie hätten, wolle sie nach Barbados oder zum Skifahren in die Schweiz. Oder man könne ein Motorboot chartern und durchs Mittelmeer cruisen oder mal wieder ins Ferienhaus in die Hamptons fahren.

Betty wiederum erzählte ein wenig von ihrem Leben, und dann kam der Termin für das Klassentreffen. Bettys Mann Holger hatte nichts dagegen, dass sie nach Hamburg fuhr, warum auch – er war sich ihrer sicher, und ein Betrug war für Holger selbst so undenkbar, wie eine dämliche Floskel in der Redaktion durchgehen zu lassen, so was wie »die Seele baumeln lassen«. Er liebte seine Frau, und sie liebte ihn, und nach Lisa wünschten sie sich noch ein zweites Kind, aber erst, wenn die Kleine aus dem Gröbsten raus war. Sie wollten noch ein wenig warten.

Betty hatte vor dem Klassentreffen fünf Kilo abgenommen und sich ein neues, schickes Kleid gekauft, und dann war sie in den ICE nach Hamburg gestiegen. Caro und Susanna hatten sie am Bahnhof abgeholt, und sie gingen erst mal ins Café Paris, um ihr Triumvirat auf den neuesten Stand zu bringen.

»Ich bin ja mal so gespannt, wie die alle aussehen.« Susanna war ganz aufgeregt und sah super aus in ihrem smaragdgrünen Seidenkleid und mit den tollen grünen Ohrringen.

So hatte Betty Julius Harding wiedergesehen, in einem Restaurant an der Elbe, wo das Klassentreffen stattfand.

Himmel, sah er gut aus, noch besser als früher und noch viel besser als auf den Fotos. Und er roch noch genauso wunderbar. Die dunklen Haare waren noch genauso widerspenstig, und er hatte auch immer noch diesen süßen Wirbel an der Seite.

Julius hofierte Betty von der ersten Sekunde an, er hielt ihr die Tür auf und half ihr aus dem Mantel, er besorgte Champagner und wusste noch, dass sie keine Möhren mochte. Seine Stimme war etwas dunkler geworden, männlicher, reifer.

Julius’ Komplimente waren genau richtig. Nicht zu übertrieben. Er sagte nicht so was wie »Das Blau deiner Augen ist tiefgründig und geheimnisvoll wie der Meeresgrund«, sondern »Deine Augen sind wie Aquamarine«. Und er sagte es so, dass es nicht kitschig klang. Betty konnte später nicht mehr sagen, ob und welche Reden gehalten wurden und was sie gegessen hatte, sie wusste nur noch, dass Susanna »ihren« Blick hatte, mit dem sie einen immer ansah, als würde der Dritte Weltkrieg vor der Tür stehen. Den Blick hatte sie immer dann, wenn ihr etwas nicht gefiel, und ihr gefiel offenbar nicht, dass Betty Julius anhimmelte. Caro bekam von allem nicht so viel mit, weil sie ununterbrochen am Kichern und Gackern mit den anderen war und mal wieder, wie oft auf Festen, etwas zu viel trank.

Dann nahm Julius auch noch Bettys Hand und hauchte einen Kuss darauf, und jetzt versuchte Susanna, Betty mit Blicken zu töten, was ihr aber misslang.

Betty verbrachte die Nacht mit Julius in seinem Hotelzimmer im »Hafen Hamburg« und die darauffolgende auch. Sie war völlig durch den Wind, auch weil die beiden Nächte so unglaublich gewesen waren. Julius war ganz anders als Holger. Holger war im Bett viel zu zurückhaltend und fragte ständig so komische Sachen: »Tut dir das auch wirklich gut?« »Möchtest du, dass ich fortfahre?« »Willst du es wirklich so?«

Julius fragte gar nichts, er tat und nahm sich, und das fand Betty großartig. Der Sex mit ihm war damals schon der Hammer gewesen. Jetzt war er noch besser.

In den nächsten Wochen hatte Julius häufiger in München zu tun, und sie trafen sich ein paarmal.