9,99 €
Der fesselnde zweite Band der Tamuli-Trilogie – »David Eddings ermöglicht den perfekten Einstieg in die Fantasy.« Christopher Paolini
Einst hielt Ritter Sperber die Rose aus Saphir in den Händen und beherrschte durch sie die Trollgötter, bis er diese Macht freiwillig aufgab und die Göttin Aphrael das Artefakt auf dem Grund des Meeres verbarg. Doch nun bedrohen die Trolle das Tamulische Imperium, und nur die Saphirrose kann sie aufhalten. Sperber sieht keine andere Möglichkeit auf Rettung als sie zurückzuholen. Aber genau das war das Ziel seiner Feinde. Sie entführen seine geliebte Königin Ehlana und akzeptieren nur ein Pfand für ihre Befreiung: die Rose aus Saphir.
Die Tamuli-Trilogie:
1. Die schimmernde Stadt
2. Das leuchtende Volk
3. Das verborgene Land
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Die Schergen des dunklen Gottes Cyrgon haben Ritter Sperbers Gemahlin entführt. Natürlich werden er und seine Gefährten nichts unversucht lassen, sie zu befreien. Dabei ist Sperber bewusst, dass es ohnehin seine Bestimmung ist, Cyrgon allein gegenüberzutreten. Doch er ahnt nicht einmal, dass die wahre Bedrohung noch viel schrecklicher ist und dass weit mehr auf dem Spiel steht als das Leben seiner Gemahlin oder das Schicksal des Tamulischen Reiches. Es geht um die Rettung der ganzen Welt vor der Vernichtung!
David Eddings wurde 1931 in Spokane im US-Bundesstaat Washington geboren. Während seines Dienstes für die US-Streitkräfte erwarb er einen Bachelor of Arts und einige Jahre darauf einen Master of Arts an der University of Washington. Bevor er 1982 seinen ersten großen Roman, »Belgariad – Die Gefährten«, veröffentlichte, arbeitete er für den Flugzeughersteller Boeing. Den Höhepunkt seiner Autorenkarriere erreichte er, als der Abschlussband seiner Malloreon-Saga Platz 1 der »New York Times«-Bestsellerliste erreichte. Im Jahr 2009 starb er in Caron City, Nevada.
Die Belgariad-Saga:
Die Gefährten
Der Schütze
Der Blinde
Die Königin
Der Ewige
Die Malloreon-Saga
1. Die Herren des Westens
2. Der König der Murgos
3. Der Dämon von Karanda
4. Die Zauberin von Darshiva
5. Die Seherin von Kell
Die Elenium-Trilogie:
1. Der Thron im Diamant
2. Der Ritter vom Rubin
3. Die Rose aus Saphir
Die Tamuli-Trilogie:
1. Die schimmernde Stadt
2. Das leuchtende Volk
3. Das verborgene Land
www.blanvalet.de
David Eddings
Das leuchtende Volk
Roman
Deutsch von Lore Strassl
Die Originalausgabe erschien 1994 unter dem Titel »The Tamuli II: The Shining Ones« bei Del Rey, New York.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.
1. Auflage 2023
Copyright der Originalausgabe © 1994 by David Eddings
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2023 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München
Übersetzungsnutzung mit freundlicher Genehmigung der Edition Bärenklau / Literaturagentur
Redaktion: Gerhard Seidl / textinform
© Covergestaltung und Illustration: Isabelle Hirtz, Inkcraft unter Verwendung der Motive von Shutterstock (Tithi Luadthong; DomCritelli)
HK · Herstellung: sam
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN 978-3-641-30941-1V001
www.blanvalet.de
Auszug aus dem dritten Kapitel von Die Cyrga Affäre: Eine Untersuchung der kürzlichen Krise.
Zusammengestellt von der Fakultät für Zeitgeschichte der Universität von Matherion.
Eine Zusammenstellung wie diese ist das Werk vieler Gelehrter und gibt aus diesem Grunde zwangsläufig unterschiedliche Meinungen wieder. Der Verfasser des vorliegenden Teiles dieser Untersuchung hat zwar außerordentliche Hochachtung vor seinem berühmten Kollegen, der dem vorherigen Kapitel sein Wissen und seine Weisheit angedeihen ließ, doch muss der Leser klar darauf hingewiesen werden, dass meine Interpretation der Vorgänge sich von der meines Kollegen unterscheidet, soweit es einige Ereignisse betrifft, die vor Kurzem stattgefunden haben. Vor allem bin ich ganz und gar nicht der Meinung, dass die Intervention durch die Beauftragten der Kirche von Chyrellos völlig selbstlos war.
Ich schließe mich meinem Kollegen jedoch an, was seine Bewunderung und Hochachtung für Zalasta von Styrikum betrifft. Was dieser getreue Staatsmann für das Imperium getan hat, kann gar nicht genug gewürdigt werden. So kam es auch, dass Seiner Majestät Regierung Rat bei Zalasta suchte, als sie sich der vollen Bedeutung der Cyrga-Affäre bewusst wurde. Trotz unserer Bewunderung für diesen überragenden Bürger Styrikums müssen wir indes erwähnen, dass der Edelmut Zalastas dermaßen groß ist, dass er mitunter die weniger schätzenswerten Eigenschaften anderer übersieht. Aus diesem Grunde gab es in gewissen Kreisen Seiner Majestät Regierung ernste Zweifel, als Zalasta darauf drängte, bei unserer Suche nach einer Lösung des Problems, das sich rapide zu einer Krise zuspitzte, unsere Aufmerksamkeit über die Grenzen Tamulis hinweg zu richten. Sein Vorschlag, sich an den pandionischen Ritter Sperber zu wenden, da dieser am besten geeignet sei, die Situation zu beruhigen, gab Anlass zur Besorgnis unter den eher konservativen Mitgliedern des Imperialen Rates. Auch wenn die überragenden militärischen Fähigkeiten dieses Mannes außer Frage stehen, so muss doch bedacht werden, dass er einem der militanten Orden der Kirche von Chyrellos angehört, und kluge Männer neigen zur Vorsicht, wenn sie es mit dieser Institution zu tun bekommen.
Es geschah während des Zweiten Zemochischen Krieges zwischen den Ordensrittern der Kirche von Chyrellos und den Vasallen Othas von Zemoch, dass Ritter Sperber Zalastas Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Doch nicht einmal Zalasta, dessen Weisheit legendär ist, vermag uns genau zu schildern, was in der Stadt Zemoch bei jener schicksalhaften Auseinandersetzung Sperbers mit Otha und dem zemochischen Gott Azush vorgefallen ist. Zwar gibt es gewisse Hinweise darauf, dass Ritter Sperber bei diesem Kampf einen uralten Talisman benutzt hat, der als ›der Bhelliom‹ bekannt ist, doch kein namhafter Gelehrter konnte Näheres über diesen Talisman oder seine Eigenschaften in Erfahrung bringen. Doch wie Ritter Sperber diese erstaunliche Tat auch vollbracht haben mag – dieser erstaunliche Erfolg ist der Grund dafür, dass Seiner Majestät Regierung sich im Anfangsstadium der Cyrga-Affäre ein wenig unüberlegt an diesen pandionischen Ritter gewandt hat – trotz ernster Bedenken einiger hochgeachteter Minister, die durchaus zu Recht darauf hinwiesen, dass ein Bündnis zwischen dem Imperium und der Kirche von Chyrellos ernste Gefahren bergen mochte. Bedauerlicherweise hat die von Außenminister Oscagne geführte Fraktion derzeit das Ohr des Kaisers, und unser Premierminister, Pondia Subat, sah sich außerstande, die Regierung davor zu bewahren, einen potenziell gefährlichen Kurs einzuschlagen.
Außenminister Oscagne höchstpersönlich führte die Mission zum Sitz der Elenischen Kirche in Chyrellos, wo er Erzprälat Dolmant um Ritter Sperbers Unterstützung zur Behebung der Krise ersuchte. Zwar würde niemand Oscagnes diplomatisches Geschick anzweifeln, doch wurden seine politischen Ansichten in einigen Kreisen sehr infrage gestellt, und es ist weithin bekannt, dass Oscagne und der Premierminister bereits mehrere heftige Meinungsverschiedenheiten hatten.
Die Politik des eosischen Kontinents ist mangels Zentralregierung undurchschaubar. Die Kirche von Chyrellos vertritt häufig andere Standpunkte als die Monarchen der verschiedenen elenischen Königreiche. Als Ordensritter stünde Sperber normalerweise unter dem Befehl des Erzprälaten Dolmant; da er jedoch Prinzgemahl der Königin von Elenien ist (und deshalb auch auf sie zu hören hat), scheint die Zuständigkeit des Kirchenfürsten doch ein wenig infrage gestellt zu sein. Gerade in dieser Beziehung konnte Außenminister Oscagne seine diplomatische Virtuosität beweisen. Erzprälat Dolmant erkannte, dass es in dieser Angelegenheit gleichgelagerte Interessen mit dem Imperium gab, während Königin Ehlana keineswegs davon überzeugt war. Die Königin von Elenien ist jung, und ihre Gefühle trüben mitunter ihre Urteilsfähigkeit. Als sie die Notwendigkeit einer längeren Trennung von ihrem Gemahl als nicht erforderlich erachtete, gelang Außenminister Oscagne eine brillante Lösung dieses Problems, indem er Sperber den Vorschlag machte, seine Reise zum daresischen Kontinent als Staatsbesuch Königin Ehlanas am kaiserlichen Hof zu Matherion zu tarnen. Als Prinzgemahl sei es selbstverständlich, meinte Oscagne, dass Sperber seine Gemahlin begleite, wodurch seine Anwesenheit erklärt wäre. Dieser Vorschlag besänftigte Sperbers Königin, und sie erklärte sich einverstanden.
In Begleitung einer Eskorte von einhundert Ordensrittern und diversen Würdenträgern begab Königin Ehlana sich an Bord eines Schiffes, mit dem sie nach Salesha im Osten Zemochs fuhr. Von dort reiste die illustre Gesellschaft nordwärts nach Basne, wo sie von einem zusätzlichen Begleitschutz von Reitern aus Ostpelosien erwartet wurde. Mit dieser Verstärkung überquerten die Elenier die Grenze nach Astel in Westdaresien. Die Berichte, die wir über die Reise der Königin erhielten, weisen auffällige Unstimmigkeiten auf. Vielfach wurden wir darauf hingewiesen, dass es völlig absurd wäre, dem Wort dieser Elenier Glauben zu schenken. Doch nach reiflicher Überlegung hat der Verfasser dieser Zeilen erkannt, dass die scheinbaren Widersprüche sich leicht erklären ließen, würden jene, die den Darstellungen so heftig widersprechen, sich der kleinen Mühe unterziehen, sich mit den Unterschieden zwischen elenischen und tamulischen Kalendern vertraut zu machen. Die Königin von Elenien hat nicht behauptet, über den Kontinent geflogen zu sein, wie manche ihr spöttisch unterstellen wollen. Die Dauer ihrer Reise war völlig normal, wie die gelehrten Herren einsehen müssten, würden sie sich die schlichte Tatsache vor Augen fuhren, dass die elenische Woche länger ist als unsere!
Jedenfalls erreichte die Königin mit ihrem Gefolge Darsas, die Hauptstadt von Astel, wo König Alberen von Königin Ehlana derart verzaubert war, dass er nahe daran war, ihr seine Krone anzutragen, wie Botschafter Fontan scherzhaft berichtete. Prinz Sperber nutzte währenddessen die Gelegenheit, dem eigentlichen Zweck dieser Reise nach Tamuli nachzugehen. Er sammelte Informationen über ›die Verschwörung‹, wie die Elenier es mittlerweile melodramatisch bezeichneten.
In Darsas schlossen sich zwei Legionen atanische Krieger der Truppe der Königin unter dem Befehl Engessas an, des Kommandanten der Garnison von Cenae. Sie reisten durch die Steppen von Zentralastel nach Pela; dort kam es zum Zusammentreffen mit den nomadischen Peloi. Von Pela aus begaben sie sich zur styrischen Stadt Sarsos in Nordostastel.
Alle Berichte über diese Etappe enthalten jedoch eine beunruhigende Information: Der Außenminister, der entweder getäuscht wurde oder mit den Eleniern konspirierte, berichtete, dass die königliche Truppe unmittelbar im Westen von Sarsos auf Cyrgai(!) stieß. Dieser offensichtliche Beweis für die Absicht, Seiner Majestät Regierung zu täuschen, hat zu ernsten Zweifeln nicht nur an der Loyalität Oscagnes, sondern auch an der Aufrichtigkeit der Elenier geführt. Premierminister Subat gab zu bedenken, dass man einen derart virtuosen Politiker wie Außenminister Oscagne nicht mit normalen Maßstäben messen könne, da er manchmal zu Überreaktionen neige, wie viele hochbegabte Menschen. Außerdem, ließ der Premierminister weiter verlauten, seien Prinz Sperber und seine Begleiter schließlich Ordensritter, und von der Kirche von Chyrellos sei allgemein bekannt, dass sie auf dem eosischen Kontinent nicht nur eine geistige, sondern vor allem eine politische Macht darstelle. Ein schlimmer Verdacht regte sich in den hehren Hallen Seiner Majestät Regierung, und viele Staatsmänner bezweifelten, dass es klug wäre, die derzeitige politische Richtung beizubehalten. Einige gingen gar so weit, die Möglichkeit in Erwägung zu ziehen, die schrecklichen Vorfälle hier in Tamuli könnten elenischen Ursprungs sein, da sie den perfekten Vorwand für das Eindringen von Ordensrittern, den Agenten des Erzprälaten Dolmant, auf den tamulischen Kontinent bieten. Konnte es sein, fragen sie, dass diese ganze Affäre von Dolmant eingefädelt wurde, um seiner Kirche die Möglichkeit zu geben, ganz Tamuli dem Glauben des elenischen Gottes zu unterwerfen, damit die politische Kontrolle des Imperiums in die Hand des Erzprälaten falle? Es sei hier darauf hingewiesen, dass Premierminister Subat den Verfasser höchstpersönlich wissen ließ, dass er sich große Sorgen mache, was diese Möglichkeit betrifft.
In Sarsos schloss sich dem königlichen Gefolge Sephrenia an, Styrikerin, welche die Pandioner einstmals in den Geheimnissen von Styrikum unterrichtete, die jetzt aber Mitglied der Tausend ist, des herrschenden Rates jener Stadt. Auch Zalasta stieß zu der Gruppe – eine Tatsache, die unsere Besorgnis, was die Motive der Elenier betraf, ein wenig schwinden ließ. Offensichtlich war es Zalastas Bemühungen zuzuschreiben, dass die Tausend ihre Hilfe versprachen, trotz des langjährigen und – wovon viele überzeugt sind – berechtigten Misstrauens aller Styriker elenischen Beweggründen gegenüber.
Die Elenier zogen von Sarsos nach Atan. Auch dort gelang es Ehlana, den König und die Königin für sich einzunehmen. Es ist offensichtlich, dass die Persönlichkeit dieser reizenden jungen Dame von großer Überzeugungskraft ist.
Wenngleich Außenminister Oscagnes Bericht über den Zusammenstoß mit den angeblichen Cyrgai zu ernsten Zweifeln Anlass gibt, kann es keinerlei Zweifel an der Wahrheit des Berichtes geben, der jene Geschehnisse behandelt, nachdem unsere Besucher Atana verlassen hatten. Dieser Bericht stammt von Zalasta; kein Regierungsmitglied mit gesundem Menschenverstand würde die Ehrlichkeit des obersten Bürgers von Styrikum infrage stellen. In den Bergen westlich der eigentlichen Grenze nach Tamuli wurde die Truppe wieder überfallen, und Zalasta hat bestätigt, dass die Angreifer nichtmenschlich waren.
Bereits im vergangenen Jahr wurden in den atanischen Bergen mehrmals furchterregende Ungeheuer gesichtet. Allerdings haben viele Skeptiker diese Meldungen als weitere Trugerscheinungen jener Macht abgetan, die es darauf abgesehen hat, die Regierung Seiner Kaiserlichen Majestät zu stürzen. Diese ungemein täuschenden Trugbilder von Ogern, Vampiren, Werwölfen und Leuchtenden versetzen das einfache Volk Tamulis nun bereits seit mehreren Jahren in Angst und Schrecken; deshalb hatte man angenommen, auch diese Bergungeheuer seien lediglich geschickte Trugbilder. Zalasta jedoch versichert uns, dass es vermutlich die Feinde des Imperiums waren, welche diese riesigen, zottigen, ursprünglich auf der thalesischen Halbinsel Eosiens beheimateten Kreaturen veranlassten, über das Polareis zur Nordküste Atans auszuwandern. Wieder einmal machte Ritter Sperber der hohen Meinung Ehre, die Zalasta von diesem Mann hat: Rasch entwarf er Taktiken, diese Ungeheuer in die Flucht zu schlagen.
Darauf gelangte Königin Ehlanas Truppe in das Land Tamuli und alsbald ins prächtige Matherion, wo Kaiser Sarabian sie freundlich willkommen hieß. Ungeachtet aller Einwände Premierminister Subats erlaubte man den elenischen Besuchern nahezu unbeschränkten Zugang zu Seiner Majestät. Der Königin von Elenien gelang es schnell, den Kaiser zu bezaubern, wie zuvor schon die geringeren Landesherren im Westen. Um bei einer wahrheitsgetreuen Berichterstattung zu bleiben, sehen wir uns gezwungen, nicht zu verheimlichen, dass Kaiser Sarabian seither die bedauernswerte Neigung zeigt, sich in Regierungsgeschäfte einzumischen und Entscheidungen jener zu ändern, die viel mehr als er selbst von der politischen Alltagsarbeit verstehen, die zur Führung eines so gewaltigen Reiches unerlässlich ist.
Der Premierminister hat auf den Rat des Innenministers Kolata beschlossen, Prinz Sperber dem Befehl des Ministeriums des Innern zu unterstellen. Kolata wies zu Recht darauf hin, dass Sperber, ein eosischer Elenier, unmöglich die zahllosen Kulturen Tamulis verstehen kann und deshalb Rat und Anleitung braucht, um wirksam gegen unsere Feinde vorgehen zu können. Kaiser Sarabian jedoch lehnte diese Vorgehensweise ab und erlaubte diesem Ausländer beinahe uneingeschränkte Handlungsfreiheit, um alle durch den Feind entstandenen und noch entstehende Probleme zu lösen.
Unseren Bedenken zum Trotz, was Prinz Sperber, seine Königin und seine Gefährten betrifft, müssen wir einräumen, dass ihre Anwesenheit in Matherion eine schreckliche Katastrophe verhindert hat. Zu den Gebäuden der kaiserlichen Schlossanlage zählt unter anderem die Nachbildung einer elenischen Burg, die zu dem Zweck erbaut wurde, dass elenische Würdenträger sich während ihres Besuchs bei uns zu Hause fühlen. Königin Ehlana und ihr Gefolge wurden in dieser Burg untergebracht. Die Bedeutung dieser Maßnahme wird sogleich ersichtlich.
Auf eine Art und Weise, die es noch zu ergründen gilt, wurden Ritter Sperber und seine Gefährten hier in Matherion auf eine Verschwörung aufmerksam, deren Ziel der Sturz der Regierung war. Doch statt diese Information an den Innenminister weiterzuleiten, behielten die Elenier diese Entdeckung für sich und erlaubten es den Verschwörern, ihre Pläne bis zum Ende zu verfolgen. Als sich in jener schicksalhaften Nacht ein bewaffneter Mob der kaiserlichen Schlossanlage näherte, zogen Prinz Sperber und seine Gefährten sich lediglich in ihre elenische Burg zurück und nahmen den Kaiser und die Regierung mit.
Uns Tamulern war jedoch unbekannt, dass die Architektur eines Gebäudes als Waffe benutzt werden kann. Ohne Wissen und Billigung Seiner Majestät Regierung hatten Sperbers Elenier die Burganlage auf bestimmte Weise verändert und unbemerkt Vorräte hineingeschafft, während sie heimlich jene schrecklichen Geräte bauten, mit denen die Elenier ihre Kriege führen.
Der Mob, der den Sturz der Regierung herbeiführen wollte, stürmte ungehindert in die kaiserliche Schlossanlage, sah sich jedoch einer uneinnehmbaren Burg voller entschlossener elenischer Krieger gegenüber, die zur Verteidigung ihrer Festungen gewohnheitsmäßig siedendes Pech und Feuer einsetzten. Die Greuel jener Nacht haben sich unauslöschlich in das Gedächtnis aller zivilisierten Menschen eingeprägt. Wie in Tamuli seit Menschengedenken üblich, hatten sich viele der jüngeren Söhne hoher tamulischer Familien den Rebellen angeschlossen; indes mehr aus Übermut denn irgendwelcher hochverräterischer Absichten wegen. In ähnlichen Fällen wurden solche ungestümen jugendlichen Gesetzesübertreter von den wahren Verbrechern getrennt, streng getadelt und sodann zu ihren Eltern zurückgeschickt. Aufgrund ihres Ranges und des hohen Ansehens ihrer Familie hatten sie von den Behörden wenig zu befürchten. Siedendes Pech dagegen macht keinen Unterschied in Rang und Stellung, und ein unternehmungslustiger junger Edler, der von Naphta trieft, brennt nicht weniger gut als der gemeinste Bube aus der Gosse. Zudem hatten die Elenier, kaum dass der Mob sich in der Schlossanlage befand, die Außentore geschlossen, sodass alle darinnen gefangen waren, die Schuldigen wie die Unschuldigen, und die umherreitenden Peloi fügten den Bedauernswerten weitere Abscheulichkeiten zu. Die brutale Unterdrückung des Aufstands wurde damit beendet, dass man die Außentore wieder öffnete und zwanzig Legionen Ataner einließ, jene vollkommen unzivilisierten Wilden aus den Bergen. Die Ataner metzelten ohne Ausnahme alle nieder, die ihnen im Wege standen. Viele junge Edle und liebenswerte Studenten dieser unserer Universität wurden selbst dann abgeschlachtet, wenn sie ihre Rangmarken vorwiesen, die ihnen Immunität hätten sichern müssen. Wenngleich anständige Menschen auf dem gesamten Erdenrund diese ungezügelte Grausamkeit mit Entsetzen betrachten müssen, kommen wir nicht umhin, Ritter Sperber und seinen Gefährten zu gratulieren. Der Aufstand wurde niedergeschlagen, ja mit Stumpf und Stiel ausgerottet durch diese elenischen Wilden und die zügellosen Ataner.
Seiner Majestät Regierung hat sich in jener schrecklichen Nacht jedoch nur wenige Freunde gemacht. Obwohl die Gräueltaten offensichtlich elenischen Ursprungs waren, wurde von den großen Häusern Tamulis dennoch zur Kenntnis genommen, dass Ritter Sperber auf Einladung des Kaisers nach Matherion gekommen war.
Um die Lage weiter zu verschlimmern, nutzten die Elenier diesen Aufstand als Vorwand, den Patriarchen Emban – einen hohen Würdenträger der elenischen Kirche und angeblich der geistige Berater Königin Ehlanas – zurück nach Chyrellos zu senden, um den Erzprälaten zu ersuchen, zur ›Wiederherstellung der Ordnung‹ ein großes Aufgebot seiner Ordensritter nach Tamuli zu schicken.
Premierminister Subat hat dem Verfasser gegenüber zugegeben, dass seine Macht stetig schrumpft und dass er nur noch hilflos zuschauen kann, wie die Ereignisse sich schier überschlagen. Er hat dem Verfasser persönlich seine Besorgnis anvertraut, dass Außenminister Oscagne zweifellos seinen Einfluss auf den Kaiser nutze, um die Situation zu beeinflussen. Die Einladung an Ritter Sperber, nach Tamuli zu kommen, war offenbar lediglich der erste Schritt in einem größeren und tödlicheren Vorhaben. Indem er sich die derzeitigen Unruhen in Tamuli zunutze macht, hat der Außenminister den Kaiser dahingehend beeinflusst, jene Öffnung zu schaffen, die Dolmant brauchte, um das Eindringen dermaßen vieler bewaffneter Elenier auf den daresischen Kontinent zu rechtfertigen.
Der Verfasser ist überzeugt davon, dass dem Imperium die größte Gefahr in seiner langen ruhmreichen Geschichte droht. Die bereitwillige Teilnahme der Ataner an dem Massaker in der kaiserlichen Schlossanlage ist ein klarer Beweis, dass nicht einmal mehr auf ihre Loyalität Verlass ist.
An wen können wir uns um Hilfe wenden? Wo, in aller Welt, können wir eine Streitmacht finden, welche die wilden Horden Dolmants von Chyrellos zurückwirft? Muss das Imperium in all seiner Herrlichkeit unter dem Ansturm der elenischen Zeloten fallen? Meine Brüder, ich weine um die Vergänglichkeit des Ruhmes. Die Stadt des Lichtes, das schimmernde Matherion mit seinen feurigen Kuppeln, die Heimstatt von Wahrheit und Schönheit, der Mittelpunkt der Welt, ist dem Untergang geweiht. Finsternis senkt sich herab, und gering ist die Hoffnung, dass je wieder ein Morgen erstrahlen wird.
Die Jahreszeiten wechselten, und der lange Sommer ging allmählich in den Herbst über. Ein dünner Nebel hing in den Straßen von Matherion. Der Mond war spät aufgegangen, und seine bleichen Strahlen hoben die Umrisse der opaleszierenden Türme hervor und verliehen dem zarten Nebel auf den Straßen ein weiches Licht. Die schimmernde Stadt Matherion badete die Füße in leuchtendem Dunst und hob das blasse Gesicht dem Nachthimmel entgegen.
Sperber war müde. Die Anspannung der vergangenen Woche und die gefahrvollen Ereignisse an ihrem Ende hatten ihn ausgelaugt. Aber er konnte nicht schlafen. In seinen schwarzen pandionischen Umhang gehüllt, stand er auf dem Wehrgang und blickte nachdenklich über die schimmernde Stadt. Er war müde, doch sein Verlangen, sich alles noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen, abzuschätzen, zu erwägen und zu verstehen, war zu drängend, als dass er sich ins Bett legen und von tiefem Schlaf verwöhnen lassen wollte. Erst musste alles geordnet sein.
»Was macht Ihr hier oben, Sperber?«, fragte Khalad leise. Seine Stimme klang der seines Vaters so ähnlich, dass Sperber ruckartig den Kopf drehte, um sich zu vergewissern, dass Kurik nicht aus dem Haus der Toten wiedergekehrt war, um ihn zu rügen. Khalad war ein junger Mann mit unauffälligem Gesicht, breiten Schultern und von unverblümter Offenheit. Seine Familie diente der Sperbers bereits seit drei Generationen, und genau wie sein Vater Kurik sprach Khalad seinen Herrn für gewöhnlich ohne große Umschweife an.
»Ich konnte nicht schlafen.« Sperber zuckte die Schultern.
»Eure Gemahlin hat die halbe Garnison losgeschickt, nach Euch zu suchen.«
Sperber verzog das Gesicht. »Warum tut sie das immer?«
»Es ist Eure eigene Schuld. Ihr wisst genau, dass sie es jedes Mal so macht, wenn Ihr fortgeht, ohne ihr zu sagen, wohin Ihr wollt. Ihr würdet Euch – und uns – viel Zeit und Ärger ersparen, würdet Ihr Ehlana von vornherein Bescheid geben. Ich glaube, das habe ich Euch schon mehrmals vorgeschlagen.«
»Versuch nicht, mir Vorschriften zu machen, Khalad! Du bist ja so schlimm wie dein Vater.«
»Gute Eigenschaften vererben sich manchmal. Würdet Ihr nun die Güte haben, hinunterzusteigen und Eurer Gemahlin zu versichern, dass mit Euch alles in Ordnung ist – bevor sie die Handwerker ruft, damit sie die Wände niederreißen?«
Sperber seufzte. »Also gut.« Er wandte sich von den Zinnen ab. »Übrigens, wir werden bald einen Ausflug machen.«
»Ach? Wohin?«
»Wir müssen etwas abholen. Uns mit den Hufschmieden unterhalten. Faran muss neu beschlagen werden. Er hat sein rechtes Vordereisen so abgewetzt, dass es dünn wie Papier ist.«
»Das ist Eure Schuld, Sperber. Würdet Ihr aufrecht im Sattel sitzen, wäre das Eisen in Ordnung.«
»Mit zunehmendem Alter wird man nun mal krumm. Dir wird’s auch nicht anders ergehen.«
»Wenn Ihr meint. Wann brechen wir zu diesem Ausflug auf?«
»Sobald mir eine so glaubhafte Lüge einfällt, dass meine Frau darauf verzichtet, mich zu begleiten.«
»Dann wird’s wohl noch ein Weilchen dauern?« Khalad blickte über das in Mondschein getauchte Matherion. Mond und Nebel trugen dazu bei, die Stadt mit schillernden Regenbogen zu krönen. »Hübsch«, bemerkte er.
»Mehr fällt dir nicht ein? Du blickst auf die sagenhafteste Stadt der Welt und nennst sie einfach nur ›hübsch‹.«
»Ich bin kein Edelmann, Sperber, und muss mir keine blumigen Phrasen ausdenken, um andere zu beeindrucken – und mich selbst. Seht zu, dass Ihr ins Haus kommt, bevor Euch die Kälte und Feuchtigkeit auf die Lunge schlagen. Ihr krummen alten Leute seid gesundheitlich manchmal ziemlich anfällig.«
Sperber erkannte sofort, dass die bildschöne aschblonde Königin Ehlana mehr gereizt als verärgert war. Ihm entging auch nicht, dass sie sich offenbar viel Zeit genommen hatte, sich noch anziehender zu machen. Sie trug ein Nachtgewand aus dunkelblauem Satin und hatte ihre Wangen so lange behutsam gezwickt, dass sie ihnen glühende Röte verlieh. Ihr Haar war auf bezaubernde Weise zerzaust, zweifellos mit voller Absicht, aber kunstvoll. Seiner mangelnden Rücksichtnahme wegen rügte sie ihn auf eine Weise, dass Bäume vermutlich in Tränen ausgebrochen und Steine betroffen vor ihr zurückgewichen wären. Ihre Stimme durchlief sämtliche Tonarten, als sie ihm haarklein erklärte, wie sie sich fühlte. Sperber unterdrückte ein Lächeln. Ehlana gab eine gekonnte Vorstellung, wie sie so in der Mitte des blau behangenen kaiserlichen Gästegemachs stand und ihn beschimpfte. Ihre Worte drückten äußerstes Missfallen aus, doch die geschickt gewählte Betonung sagte ihm etwas ganz anderes.
Er entschuldigte sich.
Sie weigerte sich, seine Entschuldigung anzunehmen, stürmte ins Schlafzimmer und schmetterte die Tür hinter sich zu. »Sehr temperamentvoll«, murmelte Sephrenia. Die zierliche Frau saß in sicherem Abstand an der hinteren Seite des Gemachs, wo ihr weißes styrisches Gewand im Kerzenschein schimmerte.
»Es ist Euch also nicht entgangen?« Sperber lächelte.
»Tut sie das oft?«
»O ja! Sie genießt es. Weshalb seid Ihr so spät noch auf, kleine Mutter?«
»Aphrael wollte, dass ich mit Euch rede.«
»Warum ist sie nicht einfach gekommen und spricht selbst mit mir? Schließlich ist sie ja nicht Meilen entfernt.«
»Es ist eine formelle Angelegenheit, Sperber. In einem solchen Fall erwartet man, dass ich für Aphrael spreche.«
»Da komme ich nicht ganz mit.«
»Ihr würdet es, wenn Ihr Styriker wärt! Wir werden für eine Art Ersatz sorgen müssen, wenn wir den Bhelliom zurückholen wollen. Khalad kann die Stelle seines Vaters einnehmen, ohne dass sich ein größeres Problem ergibt. Aber dass Tynian beschlossen hat, mit Emban nach Chyrellos zurückzukehren, macht Aphrael sehr zu schaffen. Könnt Ihr ihn nicht überreden, es sich noch einmal zu überlegen?«
Sperber schüttelte den Kopf. »Ich würde es nicht einmal versuchen, Sephrenia. Ich habe nicht vor, ihn auf Lebenszeit zum Krüppel zu machen, nur weil er Aphrael fehlen könnte.«
»Ist es wirklich so schlimm mit seinem Arm?«
»Schlimm genug. Der Armbrustbolzen hat sein Schultergelenk durchbohrt. Wenn er es bewegt, heilt es vielleicht nicht mehr richtig. Und immerhin ist es sein Schwertarm.«
»Aphrael könnte das in Ordnung bringen, wie Ihr wisst.«
»Aber nicht, ohne preiszugeben, wer sie wirklich ist, und das würde ich nicht erlauben.«
»Nicht erlauben?«
»Fragt sie doch, ob sie die geistige Gesundheit ihrer Mutter lediglich der Zahlengleichheit wegen gefährden möchte. Nehmt jemand andern. Wenn Aphrael nichts dagegen hat, dass Khalad an Kuriks Stelle mitkommt, sollte sie gewiss jemanden finden, der Tynians Platz einnehmen kann. Warum ist ihr das überhaupt so wichtig?«
»Das würdet Ihr nicht verstehen.«
»Versucht trotzdem, es mir zu erklären. Vielleicht werdet Ihr ja staunen.«
»Ihr benehmt Euch heute Nacht ziemlich merkwürdig.«
»Ich wurde soeben wüst beschimpft. Das macht mich immer merkwürdig. Warum hält Aphrael es für so wichtig, stets dieselbe Gruppe von Leuten um sich zu haben?«
»Das hat mit ihren Empfindungen zu tun. Die Anwesenheit einer bestimmten Person ist mehr als nur ihr Äußeres oder der Klang ihrer Stimme. Es hängt auch davon ab, wie sie denkt und – was vermutlich noch wichtiger ist – was sie für Aphrael empfindet. Damit umgibt sie sich. Tauscht man die Personen aus, bringt es Aphraels Empfindungen aus dem Gleichgewicht.« Sephrenia blickte ihn an. »Ihr habt kein Wort davon verstanden, nicht wahr?«
»Ganz im Gegenteil! Was ist mit Vanion? Er liebt sie genauso sehr wie Tynian. Außerdem war er praktisch von Anfang an bei uns, zumindest im Geist bei uns. Und er ist ein Ritter!«
»Vanion? Das ist absurd, Sperber!«
»Er ist kein Tattergreis, wie Ihr wisst. Er hat in Sarsos beim Wettlauf mitgemacht. Und als wir gegen die Trolle kämpften, hat er bewiesen, dass er mit der Lanze so gut umgehen kann wie eh und je!«
»Das kommt überhaupt nicht infrage! Ich will nichts mehr davon hören!«
Sperber ging zu ihr, umfasste ihre Handgelenke und küsste ihr die Handflächen.
»Ich liebe Euch sehr, kleine Mutter«, versicherte er, »doch diesmal werde ich über Euren Wunsch hinwegsehen. Ihr dürft Vanion nicht für den Rest seines Lebens in Watte packen, nur weil Ihr Angst habt, er könnte sich einen Finger aufschürfen. Wenn Ihr ihn Aphrael nicht als Begleiter vorschlagt, werde ich es tun!«
Sephrenia fluchte auf Styrisch. »Begreift Ihr denn nicht, Sperber? Ich hätte ihn beinahe verloren!« Ihr Herz sprach aus ihren glänzenden Augen. »Ich würde sterben, wenn ihm etwas zustieße!«
»Ihm wird nichts zustoßen! Werdet Ihr nun in dieser Sache mit Aphrael sprechen, oder wollt Ihr es lieber mir überlassen?«
Wieder fluchte sie.
»Wo habt Ihr bloß diese Schimpfworte gelernt?«, tadelte er. »Ist unser Problem damit gelöst? Ich bin bereits etwas spät dran, durch die Tür des Schlafgemachs zu treten.«
»Wie bitte?«
»Jetzt ist es an der Zeit für Küsse und Versöhnung. Wenn ich mich nicht irre, gibt es einen gewissen Rhythmus bei solchen Dingen. Falls ich zu lange warte, Ehlana zu besänftigen, wird sie glauben, ich liebe sie nicht mehr.«
»Wollt Ihr damit sagen, Ehlanas Verhalten heute Abend war lediglich eine Einladung ins Schlafgemach?«
»Das ist ziemlich frei heraus gesprochen, aber damit hatte es auch zu tun, o ja. Manchmal bin ich etwas zu beschäftigt, meiner Frau die Aufmerksamkeit zu widmen, die ihr zusteht. So etwas lässt sie sich nur eine Zeit lang gefallen – dann hält sie mir einen Vortrag, der mich daran erinnert, dass ich sie vernachlässigt habe. Dann geht’s ab ins Schlafgemach, und anschließend ist alles wieder eitel Sonnenschein.«
»Wäre es nicht einfacher, sie würde es Euch gleich offen sagen, ohne diese umständlichen Spielchen?«
»Vermutlich schon, aber das würde ihr nicht halb so viel Spaß machen. Entschuldigt Ihr mich nun?«
»Warum geht Ihr mir immer aus dem Weg, Berit-Ritter?«, fragte Kaiserin Elysoun betrübt und machte einen hübschen Schmollmund.
»Eure Hoheit missversteht mich.« Berit errötete und blickte zu Boden.
»Findet Ihr mich hässlich, Berit-Ritter?«
»Natürlich nicht, Hoheit.«
»Warum schaut Ihr mich dann nie an?«
»Es ist bei den Eleniern unziemlich, wenn ein Mann eine unbekleidete Frau anblickt.«
»Ich bin keine Elenierin, Herr Ritter. Ich bin aus Valesien, und ich bin nicht nackt. Ich habe sogar sehr viel an. Wenn Ihr mich in meine Gemächer begleitet, werde ich Euch zeigen, wie viel!«
Sperber war gerade dabei, Berit zu suchen, um ihn über ihre bevorstehende Reise zu informieren, als er um eine Ecke des zur Kapelle führenden Korridors bog und sah, dass Kaiserin Elysoun seinem jungen Freund wieder einmal aufgelauert hatte. Seit sich Kaiser Sarabians gesamte Familie sicherheitshalber in der Burg aufhielt, waren Berits Fluchtmöglichkeiten ernsthaft beschränkt, und Elysoun hatte die Situation weidlich genutzt. Die valesianische Gemahlin des Kaisers war ein braunhäutiges, fröhliches Mädchen, dessen aus der Heimat gewohnte Kleidung den Busen unbedeckt zur Schau stellte. Sooft Sarabian Berit auch erklärt hatte, dass die üblichen Moralvorstellungen nicht auf Valesianer bezogen werden durften, blieb Berit doch eisern respektvoll – und keusch. Elysoun erachtete dies als Herausforderung und verfolgte den jungen Ordensritter hartnäckig und unerbittlich.
Sperber wollte seinen jungen Freund gerade ansprechen, doch dann lächelte er und zog sich rasch um die Ecke zurück, um zu lauschen. Schließlich war er der derzeitige Hochmeister des Pandionischen Ordens, und deshalb war es seine Pflicht, sich um das Seelenheil seiner Männer zu kümmern.
»Müsst Ihr denn immer Elenier sein?«, schmollte Elysoun.
»Ich bin Elenier, Hoheit.«
»Aber ihr Elenier seid so langweilig! Könnt Ihr denn nicht wenigstens für einen Nachmittag Valesianer sein? Das macht viel mehr Spaß, und es wird auch nicht sehr lange dauern – außer, Ihr wollt es.« Sie machte eine Pause, dann fragte sie ihn neugierig: »Seid Ihr wirklich noch unberührt?«
Berit wurde glühend rot.
Elysoun lachte erfreut. »Das ist ja nicht zu fassen!«, rief sie. »Seid Ihr denn kein bisschen neugierig, was Ihr versäumt? Ich würde mich glücklich schätzen, Euch diese langweilige Jungfräulichkeit zu nehmen, Berit-Ritter – und es wird nicht einmal sehr wehtun.«
Sperber hatte Mitleid mit dem armen Jüngling und bog noch einmal um die Ecke. »Ah, da bist du ja, Berit! Ich habe dich überall gesucht. Es hat sich etwas Unerwartetes ergeben. Wir müssen uns sofort darum kümmern.« Er verbeugte sich vor der Kaiserin. »Kaiserliche Hoheit, ich fürchte, ich muss Euren Freund eine Zeit lang mit Beschlag belegen. Wichtige Regierungsgeschäfte, müsst Ihr wissen.«
So, wie Elysoun ihn anstarrte, war Sperber froh, dass Blicke nicht töten konnten.
»Ich bin sicher, dass Hoheit Verständnis hat.« Wieder verbeugte er sich. »Komm, Berit. Die Sache ist ernst, und wir müssen uns beeilen.« Er führte seinen jungen Freund den opaleszierenden Korridor entlang und spürte noch immer den wütenden Blick von Kaiserin Elysoun im Rücken.
Berit seufzte erleichtert. »Danke, Sperber.«
»Warum gehst du ihr nicht einfach aus dem Weg?«
»Das ist so gut wie unmöglich! Sie folgt mir auf Schritt und Tritt. Einmal sogar ins Badehaus – mitten in der Nacht. Sie sagte, sie wolle mit mir baden!«
»Berit …«, Sperber lächelte, »als dein Hochmeister und geistiger Beistand müsste ich deine Standhaftigkeit loben, was die Ideale unseres Ordens betrifft. Doch als dein Freund will ich dir nicht verschweigen, dass Flucht die Sache nur noch schlimmer macht. Wir müssen hier in Matherion bleiben, und wenn es noch lange dauert, wird sie dich früher oder später doch einmal erwischen. Sie ist sehr hartnäckig, was das betrifft.«
»Das ist mir nicht entgangen.«
»Außerdem ist sie wirklich sehr hübsch, nicht wahr«, sagte Sperber vorsichtig. »Wieso fällt es dir so schwer, nett zu ihr zu sein?«
»Sperber!«
Der große Pandioner seufzte. »Ich habe schon befürchtet, dass du es so siehst. Hör zu, Berit. Elysoun kommt aus einer vollkommen anderen Kultur mit anderen Sitten. Für sie ist so etwas keine Sünde. Sarabian hat es ja deutlich genug gesagt, dass er dankbar wäre, wenn einige von uns seiner Frau den Gefallen tun würden. Und sie hat nun mal dich als den Glücklichen auserkoren. Es ist eine politische Notwendigkeit. Deshalb wird dir gar nichts anderes übrigbleiben, als wenigstens ein einziges Mal über deinen eigenen Schatten zu springen. Betrachte es als deine ritterliche Pflicht, wenn du dich dadurch besser fühlst. Ich kann Emban bitten, dir Absolution zu erteilen, sobald du deine Pflicht getan hast.«
Berit atmete keuchend ein.
»Du bringst uns wirklich in Verlegenheit«, rügte Sperber. »Elysoun macht Sarabian wegen dieser Geschichte das Leben zur Hölle. Er wird natürlich nicht zu dir gehen und dir befehlen, seiner Frau zu Gefallen zu sein, egal, wie sie ihm zusetzt, aber offensichtlich erwartet er, dass ich es dir klarmache.«
»Ich kann einfach nicht glauben, dass du das sagst, Sperber!«
»Mach schon, Berit, tu’s einfach. Du musst ja nicht unbedingt Spaß daran haben, wenn du es für unsittlich hältst, aber tu es. Tu’s, sooft es sein muss. Nur sorg dafür, dass Elysoun dem Kaiser nicht mehr das Leben schwermacht. Es ist deine Pflicht, mein Freund. Wenn Elysoun sich ein paarmal im Schlafgemach mit dir vergnügt hat, wird sie sich sowieso wieder auf die Jagd nach einem neuen Spielgefährten machen.«
»Und wenn sie’s nicht tut?«
»Darüber würde ich mir keine allzu großen Sorgen machen. Patriarch Emban kann dir eine ganze Satteltasche voller Absolutionen besorgen, falls es sich wirklich als notwendig erweisen sollte.«
Der fehlgeschlagene Aufstand hatte Kaiser Sarabian die perfekte Ausrede ermöglicht, seiner Regierung zu entfleuchen. Feigheit vortäuschend, hatte er behauptet, er fühle sich nur in Ehlanas Burg sicher – und auch nur dann, wenn der Burggraben gefüllt und die Zugbrücke hochgezogen bliebe. Seinen Ministern, die von Anfang an jeden seiner Schritte für ihn vorausgeplant hatten, war das ein Dorn im Auge.
Sich der relativen Freiheit zu erfreuen, war jedoch nicht der einzige Beweggrund Sarabians gewesen. Innenminister Kolata war während des missglückten Coups als Verräter entlarvt worden, doch Sarabian und seine elenischen Freunde hatten den Zeitpunkt noch nicht für richtig erachtet, Kolatas Verrat öffentlich bekanntzugeben. Solange der Kaiser sich in der elenischen Burg aufhielt, war es ganz normal, dass auch Kolata sich dort aufhielt. Immerhin unterstand ihm der gesamte Polizeiapparat, und somit war der Schutz des Kaisers seine oberste Pflicht. Von Ehlanas Leuten unauffällig, aber streng überwacht, leitete der Innenminister die Polizeikräfte von der Burg aus. Die Besprechungen mit seinen Untergebenen wirkten allerdings stets ein wenig gezwungen, da Stragen dabei jedes Mal neben ihm saß und seine Rechte müßig um einen Dolchgriff lag.
Eines frühen Morgens wurde Norkan, der tamulische Botschafter am Hofe König Androls und Königin Betuanas von Atan, in die schimmernde Nachahmung eines elenischen Thronsaals in der Burg geleitet. Obwohl Norkan versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, war doch offensichtlich, wie wenig es ihm gefiel, dass sein Kaiser nach der Mode des Westens ein pflaumenfarbenes Wams und Beinkleid trug. »Habt Ihr mir jetzt auch noch meinen Kaiser gestohlen, Königin Ehlana?«, fragte er, während er sich knapp vor ihr verbeugte. Norkan war ein sehr intelligenter Mann, doch bedauerlicherweise hatte er die undiplomatische Angewohnheit, unverhohlen seine Meinung zu äußern.
»Wie könnt Ihr so etwas sagen, Exzellenz!«, rügte Ehlana in beinahe perfektem Tamulisch. Genaugenommen war sie hier Herrscherin; deshalb saß sie in ihrer königlich purpurnen Robe auf dem Thron, die goldene Krone auf dem Haupt. Sie wandte sich ihrem kaiserlichen Gast zu, der es sich in lässiger Haltung in einem Sessel bequem gemacht hatte und mit Prinzessin Danaes Katze spielte, indem er auf dem opaleszierenden Boden langsam eine Schnur hin und her zog. »Habe ich Euch gestohlen, Sarabian?«, fragte sie.
»Oh, ganz und gar, Ehlana«, antwortete er auf Elenisch. »Ich bin Euer getreuer Leibeigener.«
»Habt ihr hier eine Schule für moderne Sprachen eröffnet, während ich fort war, Oscagne?«, fragte Norkan.
»Nun ja, so könnte man fast sagen«, erwiderte der Außenminister. »Seine Majestät beherrschte die elenische Sprache jedoch bereits vor Königin Ehlanas Besuch. Unser verehrter Kaiser hat so manches vor uns geheim gehalten.«
»Darf er das? Ich dachte immer, er sollte nur so eine Art Plüschtier sein, das man bei Zeremonien und anderen festlichen Anlässen vorzeigt.«
Selbst Oscagne schluckte leicht bei diesen Worten, Sarabian dagegen brach in herzhaftes Gelächter aus. »Ihr habt mir gefehlt, Norkan«, versicherte er dem Botschafter. »Hattet Ihr schon Gelegenheit, unseren großartigen Norkan kennenzulernen, Ehlana?«
»Mir wurde eine Kostprobe seines Witzes in Atana zuteil, Sarabian.« Die Königin lachte. »Seine Bemerkungen sind meistens sehr … unerwartet.«
»Das kann man wohl sagen.« Sarabian erhob sich lachend. Als sich das Rapier, das er umgeschnallt hatte, hinter einem Bein seines Sessels verfing, fluchte er. Der Kaiser hatte mit dem Rapier immer noch einige Schwierigkeiten. »Eine seiner unerwarteten Bemerkungen hat Norkan mal über die Schuhgröße meiner Schwester gemacht. Ich musste ihn rasch nach Atan entsenden, damit sie ihn nicht umbringen konnte.« Er zog eine Braue hoch und musterte den Botschafter. »Ich sollte Euch wirklich befehlen, sie zu heiraten, Norkan. Dann könntet Ihr sie in Euren gemeinsamen vier Wänden nach Herzenslust beleidigen. Öffentliche Beleidigungen dagegen müssen auch öffentlich geahndet werden, wie Ihr wisst.«
»Ich fühle mich tiefer geehrt, als ich sagen kann, Kaiserliche Majestät«, entgegnete Norkan. »Die Aussicht, Euer Schwager zu werden, lässt mein Herz stillstehen.«
»Ihr mögt meine Schwester nicht«, sagte Sarabian vorwurfsvoll.
»Das habe ich nicht gesagt, Majestät. Aber ich ziehe es vor, sie aus der Ferne zu verehren – zumindest außerhalb der Reichweite ihrer Füße. Deshalb kam es nämlich zu jener bedauernswerten Bemerkung. Meine Gicht machte mir an jenem Tag Beschwerden, und Eure Schwester trat mir auf die schmerzende Zehe. Ich glaube, sie wäre ein ziemlich nettes Mädchen, wenn sie nur besser darauf achten würde, wohin sie diese Barkassen setzt, die sie als Schuhe trägt.«
»Das wäre keine im siebenten Himmel geschlossene Ehe, Sarabian.« Ehlana lächelte. »Ich habe Eure Schwester kennengelernt, und ich fürchte, die witzigen Bemerkungen seiner Exzellenz stoßen bei ihr auf taube Ohren.«
»Ihr habt vermutlich recht, meine Liebe«, pflichtete Sarabian bei. »Aber ich möchte sie trotzdem zu gern loswerden. Seit ihrer Geburt fällt sie mir auf die Nerven. – Was macht Ihr eigentlich hier in Matherion, Norkan?«
Eine der Brauen Botschafter Norkans schoss in die Höhe. »Hier hat sich wirklich allerhand verändert, nicht wahr, Oscagne? Sollen wir ihm offen sagen, was tatsächlich vor sich geht?«
»Kaiser Sarabian hat beschlossen, die Führung der Regierungsgeschäfte selbst zu übernehmen, mein Freund.« Oscagne seufzte wehmütig.
»Ist das nicht gegen das Gesetz?«
»Ich fürchte nein, alter Junge.«
»Würdest du meinen Rücktritt annehmen?«
»Nein, eigentlich nicht.«
»Wollt Ihr denn nicht mehr für mich arbeiten, Norkan?«, fragte Sarabian.
»Ich habe nichts gegen Euch persönlich, Majestät, aber wenn Ihr Euch tatsächlich in Regierungsgeschäfte einmischt, könnte das zum Zusammenbruch des gesamten Imperiums führen.«
»Großartig, Norkan! Ich mag es, wie Ihr drauflosredet, ohne vorher zu überlegen. Seht Ihr, Ehlana? Das ist es, wovon ich Euch erzählt habe. Die Beamten meiner Regierung erwarten allesamt von mir, dass ich majestätisch lächle, alle ihre Vorschläge billige, ohne sie infrage zu stellen, und es ganz ihnen überlasse, die Regierungsgeschäfte zu führen.«
»Wie langweilig!«
»Ihr sagt es. Aber das werde ich ändern. Jetzt, da ich einem echten Monarchen bei der Arbeit zuschauen darf, haben sich mir völlig neue Horizonte erschlossen. – Ihr habt meine Frage immer noch nicht beantwortet, Norkan! Was führt Euch zurück nach Matherion?«
»Die Ataner werden aufsässig, Majestät.«
»Ist ihre Loyalität infrage gestellt? Wegen der Unruhen, die kürzlich stattgefunden haben?«
»Nein, Majestät, ganz im Gegenteil. Der Aufstand hat sie schrecklich wütend gemacht. Androl möchte mit einer riesigen Streitmacht losmarschieren und Matherion besetzen, um Eure Sicherheit zu gewährleisten. Das halte ich nicht für ratsam – vorsichtig ausgedrückt. Die Ataner achten nicht allzu sehr auf Rang oder Stellung, wenn sie beschließen, jemanden zu töten.«
»Das ist uns nicht entgangen«, erwiderte Sarabian trocken. »Wegen der Maßnahmen, die Engessa ergriffen hat, um die Rebellion niederzuschlagen, sind von den Familien der Edelleute eine Unmenge von Protestschreiben eingegangen.«
»Ich habe mit Betuana gesprochen, Majestät«, fuhr Norkan fort. »Sie hat versprochen, ihren Gemahl kürzer an der Leine zu halten, bis ich mit Euren Anweisungen zurückkehre. Wenn ich Euch raten darf – irgendetwas Knappes, Bündiges wie ›Sitz!‹ oder ›Still!‹ wäre wohl am passendsten, wenn man Androls geistige Fähigkeiten in Betracht zieht.«
»Wie ist es Euch je gelungen, Diplomat zu werden, Norkan?«
»Ich habe mir eine Menge Lügen ausgedacht.«
»Ein Vorschlag, Majestät«, warf Tynian ein.
»Heraus damit, Ritter Tynian.«
»Wir wollen König Androl doch nicht wirklich aus der Ruhe bringen, nicht wahr? Eine Andeutung, dass er in Atana bleiben soll, um möglicherweise mit einer weit größeren Bedrohung fertig zu werden, wäre vermutlich angebrachter, als ihn ohne Abendessen zu Bett zu schicken.«
»Welch originelle Formulierung, Ritter Tynian. Also gut, Norkan, schickt Engessa.«
Norkan blinzelte.
»Was ist, Mann?«, schnaubte Sarabian.
»Daran musst du dich gewöhnen, Norkan«, erklärte ihm Oscagne. »Der Kaiser bevorzugt manchmal verbale Abkürzungen.«
»Oh, ich verstehe.« Norkan dachte darüber nach. »Dürfte ich fragen, weshalb Engessa besser geeignet ist, Eure Anweisungen zu übermitteln als ich, Majestät?«
»Weil Engessa viel schneller laufen kann als Ihr, und weil er Unsere Befehle in einer Sprache übermitteln kann, die Androl vermutlich besser versteht. Außerdem wird er bei Engessas Erscheinen eher an einen militärischen Grund glauben, und das dürfte Androl am sichersten besänftigen. Ihr könnt Betuana den wahren Grund erklären, sobald Ihr wieder zurück seid.«
»Weißt du was, Oscagne?«, sagte Norkan. »Er könnte sich vielleicht doch als ziemlich brauchbar erweisen – wenn wir ihn davor bewahren können, anfangs zu viele Fehler zu machen.«
Oscagne wand sich.
Sperber tippte Vanion auf die Schulter und gab ihm einen Wink mit dem Kopf. Beide schlenderten scheinbar gleichmütig zum anderen Ende des Thronsaals. »Ich habe ein Problem, Vanion«, murmelte Sperber.
»Ach?«
»Ich habe mir den Kopf nach einer Ausrede zerbrochen, wie wir Matherion lange genug verlassen können, uns den Bhelliom zurückzuholen. Aber mir fällt nichts ein, was nicht schon ein Kind durchschauen würde. Ehlana ist nicht dumm, weißt du.«
»Das ist sie wahrhaftig nicht!«
»Aphrael will nicht recht mit der Sprache heraus, aber ich habe das starke Gefühl, sie möchte, dass wir mit demselben Schiff fahren wie Emban und Tynian. Und mir fallen keine weiteren Ausreden mehr ein, ihre Abreise zu verschieben.«
»Bittet doch Oscagne um Hilfe.« Vanion zuckte die Schultern. »Er ist Diplomat, da fällt ihm das Lügen nicht schwer.«
»Die Idee ist nicht schlecht. Nur kann ich Oscagne nicht sagen, wohin wir wollen und was wir dort beabsichtigen, nicht wahr?«
»Ihr müsst es ihm ja auch nicht sagen. Sagt ihm einfach, Ihr braucht einen glaubhaften Grund, die Stadt eine Zeit lang zu verlassen. Setzt eine ernste, undurchdringliche Miene auf und belasst es dabei. Oscagne hat genug Erfahrung, Anzeichen offizieller Verschwiegenheit zu erkennen.«
»Natürlich! Warum bin ich nicht selbst darauf gekommen?«
»Wahrscheinlich, weil Euer Gelübde Euch dabei im Weg ist. Ich weiß, dass Ihr geschworen habt, die Wahrheit zu sagen, aber das bedeutet nicht, dass Ihr mit der ganzen Wahrheit herausrücken müsst. Ihr dürft ruhig einen Teil übergehen. Gewisse Dinge zu übergehen ist das Vorrecht der Hochmeister.«
Sperber seufzte.
»Wieder mal zurück auf die Schulbank. Offenbar bin ich dazu verdammt, mein Leben lang Unterricht von Euch zu bekommen – und mich dabei ganz klein zu fühlen.«
»Wozu hat man Freunde, Sperber?«
»Du willst es mir also nicht sagen?« Sperber bemühte sich, nicht vorwurfsvoll zu klingen.
»Noch nicht, jedenfalls«, antwortete Prinzessin Danae, während sie versuchte, ihrer Katze den Hut einer Puppe um den Kopf zu binden.
Murr schien das gar nicht zu gefallen, doch sie ließ dieses Spielchen ihrer Herrin mit resigniertem Blick über sich ergehen.
»Warum nicht?«, fragte Sperber seine Tochter und ließ sich in einen der blauen Sessel in der königlichen Suite fallen.
»Weil immer noch etwas geschehen könnte, das die Reise unnötig macht. Du wirst Bhelliom nicht finden, Vater, bis ich beschließe, dass du ihn finden sollst.«
»Du möchtest aber, dass wir dasselbe Schiff nehmen wie Tynian und Emban?«
»Ja.«
»Wie weit soll die Reise gehen?«
»Das spielt im Grunde keine Rolle. Für mich ist nur wichtig, dass wir gemeinsam abreisen.«
»Dann hast du gar kein bestimmtes Ziel?«
»Natürlich nicht. Ich muss nur Tynian mindestens zwei Tage dabeihaben. Wir können mit dem Schiff ein paar Meilen hinausfahren, wenn du möchtest. Wir können aber auch im Kreis segeln, falls es dir lieber ist. Das ist für mich gehüpft wie gesprungen.«
»Danke«, sagte er beißend.
»Nichts zu danken. Da.« Sie hob die Katze hoch. »Sieht sie mit ihrem neuen Hut nicht süß aus?«
»Goldig.«
Murr bedachte Sperber mit bösem Blick.
»Ich kann Euch leider nicht sagen, weshalb, Exzellenz«, erklärte Sperber Oscagne später, als sie zufällig allein durch einen der Korridore gingen. »Ich brauche einen glaubhaften Grund, mich mit einer Gruppe von neun oder zehn Freunden auf unbestimmte Zeit außerhalb Matherions aufzuhalten – möglicherweise ein paar Wochen. Er muss sich so plausibel anhören, dass ich meine Frau von der dringenden Notwendigkeit überzeugen kann. Aber nicht so ernst anhören, dass sie sich Sorgen macht. Und ich muss dasselbe Schiff wie Emban und Tynian nehmen.«
»Na schön.« Oscagne nickte. »Seid Ihr ein guter Schauspieler, Prinz Sperber?«
»Ich glaube nicht, dass jemand Geld dafür ausgeben würde, mich auf einer Bühne zu sehen.«
Oscagne überging die Bemerkung. »Ich nehme an, Ihr braucht diese Ausrede hauptsächlich für Eure Gemahlin?«
»Ja.«
»Dann wäre es sicher das Beste, wenn der Einfall, Euch irgendwohin zu schicken, von ihr selbst käme. Ich werde sie dazu bringen, dass sie Euch gewissermaßen auf einen unbedeutenden Botengang schickt. Alles Weitere ist dann Euch selbst überlassen.«
»Ich möchte wirklich sehen, wie Ihr versucht, Ehlana dazu zu bringen!«
»Verlasst Euch ganz auf mich, alter Junge.«
»Tega?« Sarabian zog die Brauen hoch und blickte seinen Außenminister an. »Der einzige Aberglaube auf der Insel Tega besteht darin, dass man es dort als böses Omen betrachtet, den Preis für Muscheln nicht jedes Jahr zu erhöhen.«
»Sie haben es uns bisher nur deshalb nie gestanden, weil sie Angst hatten, wir würden sie auslachen, Majestät«, erwiderte Oscagne ruhig. In dem blauen Wams und dem engen Beinkleid, die Sarabian ihm zu tragen befohlen hatte, schien er sich gar nicht wohlzufühlen. Er wusste offenbar nicht, wohin mit den Händen, und schämte sich möglicherweise seiner knochigen Beine. »Ausgelacht zu werden ist das Schlimmste, das die Teganer sich vorstellen können. Sie sind die langweiligsten Leute auf der ganzen Welt.«
»Ich weiß. Gahenas, meine teganische Frau, schafft es immer wieder, dass ich sofort einschlafe – sogar, wenn wir …« Der Kaiser warf einen verstohlenen Blick auf Ehlana und beendete den Satz nicht.
»Die Teganer haben eine Kunst daraus gemacht, sich und andere zu langweilen, Majestät«, bestätigte Oscagne. »Jedenfalls gibt es eine alte teganische Legende, dass die Austernbänke von einer Nixe heimgesucht werden, die angeblich Austern mitsamt den Schalen und auch andere Muscheln isst. Das macht den Teganern sehr zu schaffen. Außerdem verführt diese Nixe teganische Taucher, die dann während des Austausches von Zärtlichkeiten ertrinken.«
»Sind Nixen denn nicht zur Hälfte Mädchen und zur anderen Hälfte Fisch?«, fragte Ulath erstaunt.
»Wenn man den Sagen glauben kann, ja«, erwiderte Oscagne.
»Und reicht die Fischhälfte nicht von der Taille abwärts?«
»Auch das geht aus den Sagen hervor.«
»Wie ist es dann möglich …« Dann erinnerte Ulath sich ebenfalls, dass Ehlana bei ihnen war. Er warf ihr einen raschen Blick zu und schwieg abrupt.
»Was wolltet Ihr sagen, Ritter Ulath?«, erkundigte Ehlana sich scheinbar arglos.
»Es … äh … nichts Wichtiges, Majestät«, stammelte er verlegen.
»Ich hätte diese absurde Legende gar nicht zur Sprache gebracht, Majestäten«, sagte Oscagne zu Ehlana und Sarabian, »wäre es kürzlich nicht zu gewissen Ereignissen gekommen. Die Parallelen zwischen den Vampiren in Arjuna, den Leuchtenden im Süden Atans und den Werwölfen, Ghuls und Oger in anderen Teilen des Imperiums sind ziemlich auffallend, findet Ihr nicht? Ich könnte mir vorstellen, dass jemand, der sich jetzt nach Tega begibt und sich umhört, Geschichten über irgendeinen zu neuem Leben erweckten vorsintflutlichen Perlentaucher hören würde und dass er auf einen Aufwiegler stößt, der behauptet, dieser Held und seine Nixengeliebte würden die Austern in einem Großangriff gegen Matherion führen.«
»Wie originell«, murmelte Sarabian.
»Bedaure, Majestät«, entschuldigte sich Oscagne. »Ich will damit nur darauf hinweisen, dass wir es auf Tega wahrscheinlich mit einem ziemlich unerfahrenen Aufrührer zu tun haben – doch unerfahren oder nicht, er weiß sicher eine ganze Menge über die gesamte Verschwörung. Und da unsere hiesigen Freunde nicht zulassen wollen, dass wir Kolata allzu eingehend verhören, müssen wir schauen, anderswo Näheres zu erfahren.«
»Wir lassen Kolata nicht ohne Grund vorerst ungeschoren, Exzellenz«, warf Kalten ein. »Wir haben schon zu oft erlebt, was mit Gefangenen geschieht, die kurz davor sind, den Mund aufzumachen. Kolata ist uns noch von Nutzen – aber nur, solange er heil und gesund bleibt. In kleinen unappetitlichen Brocken über die ganze Burg verstreut, dürfte er uns keine große Hilfe mehr sein.«
Oscagne schüttelte sich. »Ich verstehe, Ritter Kalten. – Wie dem auch sei, Majestät, wenn es sich ermöglichen ließe, dass einige unserer elenischen Freunde sich nach Tega begeben, um diesen Burschen aufzuspüren und mit ihm zu reden, ehe unser Feind ihn zerstückelt, könnte er wahrscheinlich dazu gebracht werden, uns alles zu sagen, was er weiß. Ritter Sperber hat in dieser Beziehung einen gewissen Ehrgeiz, wenn ich mich nicht irre. Er möchte gern herausfinden, ob er jemanden so sehr ausquetschen kann, dass dem Betreffenden das Blut aus den Haarspitzen läuft.«
»Ihr habt eine bildhafte Vorstellung, Sperber«, bemerkte Sarabian. »Was meint Ihr, Ehlana, könntet Ihr Euren Gemahl eine Zeit lang entbehren? Wenn er und einige seiner Ritter sich nach Tega begäben und die gesamte Insel ein paar Stunden unter Wasser hielten – wer weiß, welche Informationen dann an die Oberfläche blubbern.«
»Das ist eine sehr gute Idee, Sarabian. Sperber, wie wär’s, wenn du dich mit einigen unserer Freunde auf der Insel Tega umsiehst?«
»Ich würde lieber bei dir bleiben, Ehlana«, entgegnete er scheinbar widerstrebend.
»Das ist lieb von dir, Sperber, aber wir haben schließlich eine gewisse Verantwortung, nicht wahr?«
»Befiehlst du mir, dorthin zu reisen, Ehlana?«
»So darfst du es wirklich nicht auslegen, Sperber. Ich halte es lediglich für angebracht.«
»Wie meine Königin befiehlt.« Sperber seufzte tief und mühte sich nach Kräften, eine noch betrübtere Miene aufzusetzen.
Kaiserin Gahenas war eine teganische Dame mittleren Alters mit strengem Gesicht und schmalen Lippen. Sie trug ein schlichtes graues Gewand, bis zum Kinn zugeknöpft, und lange Handschuhe aus kratziger Wolle. Ihr Haar war so straff zu einem Knoten zurückgekämmt, dass es ihr schier die Augen aus dem Kopf zog und ihre Ohren zu beiden Seiten wie offene Scheunentore abstanden. Kaiserin Gahenas missbilligte alles und jedes, das war von Anfang an klar. Sie war zu Sperbers Studiergemach gekommen – aber in Begleitung –, um ihm eine Beschreibung der Insel Tega zu geben. Die Kaiserin Gahenas begab sich nirgendwohin, ohne dass ihre vier Anstandsdamen dabei waren, greise Teganerinnen, die jetzt nebeneinander auf einer Holzbank hockten und wie abstoßend hässliche Wasserspeier aussahen.
Es war ein schöner Tag im Frühherbst, doch die Sonne, die warm durch die Fenster von Sperbers Studiergemach geschienen hatte, wirkte plötzlich fahl und kraftlos, als Kaiserin Gahenas mit ihren gestrengen Tugendwächterinnen eintrat.
Sie verbrachte eine Stunde damit, Sperber über das Bruttosozialprodukt ihrer Heimat zu belehren, und dies in einem Tonfall, als wollte sie nach Beendigung der Lektion eine Prüfung abhalten. Sperber musste sich sehr beherrschen, nicht zu gähnen. Produktionsstatistiken oder Arbeitskosten interessierten ihn herzlich wenig. Was er tatsächlich von dieser henkelohrigen Kaiserin wissen wollte, waren kleine Einzelheiten über das ganz normale Alltagsleben auf der Insel, um die Briefe aufzulockern, die er bereits jetzt schrieb und die seiner Gemahlin nach und nach zugestellt werden sollten. Er wollte ihr darin über die Suche nach den teganischen Führern der Verschwörung berichten und wie schwierig sie sich erwies.
»Äh …«, unterbrach er Gahenas geleierten Monolog, »… das ist außerordentlich fesselnd, Hoheit, aber könnten wir vielleicht noch einmal kurz auf die Regierungsform der Insel zu sprechen kommen? Ich fürchte, das habe ich nicht so ganz verstanden.«
»Tega ist eine Republik, Prinz Sperber. Unsere Führer werden alle fünf Jahre in ihre Ämter gewählt. Das ist bereits seit fünfundzwanzig Jahrhunderten bei uns üblich.«
»Eure Führer werden nicht auf Lebenszeit gewählt?«
»Natürlich nicht! Wer möchte so eine Stellung schon auf Lebenszeit?«
»Strebt denn nie jemand nach Macht?«
»Die Regierung hat keine Macht, Prinz Sperber. Sie besteht lediglich, um die Befehle der Wählerschaft auszuführen.«
»Warum ist die Amtszeit auf fünf Jahre beschränkt?«
»Weil niemand seinen eigenen Angelegenheiten noch länger fernbleiben will.«
»Was passiert, wenn jemand wiedergewählt wird?«
»Das ist gegen das Gesetz. Niemand braucht mehr als eine Amtsperiode auf sich zu nehmen.«
»Gesetzt den Fall, jemand erweist sich in einer bestimmten Stellung als Genie. Möchtet ihr dann nicht, dass er den Posten längere Zeit behält?«
»Wir haben noch nie jemanden für so unentbehrlich befunden.«
»Mir scheint, ein solches System verlockt geradezu zur Korruption. Wenn jemand weiß, dass er nach fünf Jahren seines Amtes enthoben wird, könnte es ihn doch veranlassen, Regierungsentscheidungen zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Ich meine, für sein Leben danach.«
»Das ist völlig unmöglich, Prinz Sperber. Unsere gewählten Beamten haben außerhalb ihrer Regierungspflichten keine Interessen. Sobald sie gewählt sind, wird alles verkauft, was sie besitzen, und das Geld ins Staatssäckel gesteckt. Erlebt die Wirtschaft während ihrer Amtszeit einen Aufschwung, machen die Betreffenden einen Gewinn; bricht sie dagegen zusammen, verlieren sie alles.«
»Das ist absurd! Keine Regierung macht je Gewinn!«
»Unsere schon«, entgegnete sie selbstgefällig. »Und es muss ein echter Profit sein. Der Steuersatz steht fest und kann nicht geändert werden. Demzufolge können unsere Regierungsmitglieder sich auch nicht bereichern, indem sie einfach die Steuern erhöhen.«
»Wer will denn einer solchen Regierung angehören?«
»Das will niemand, Prinz Sperber. Die meisten Teganer versuchen alles Mögliche, um ja nicht gewählt zu werden. Die Tatsache, dass sein gesamtes Vermögen in der Staatskasse steckt, zwingt jeden Beamten, so hart zu arbeiten, wie er nur kann, um dafür zu sorgen, dass die Wirtschaft floriert. Viele haben sich für die Interessen der Republik zu Tode gearbeitet.«
»Ich glaube, auf eine so zweifelhafte Ehre würde ich verzichten.«
»Das ist völlig unmöglich, Hoheit. Sobald jemand für ein öffentliches Amt nominiert wird, steht er unter strenger Bewachung. Nach der Wahl wird er noch strenger bewacht. Die Republik sorgt unerbittlich dafür, dass niemand sich seinen Pflichten entzieht.«
»Dann ist die Republik eine gestrenge Herrin.«
»Das ist sie in der Tat, Prinz Sperber, und genau so soll es auch sein!«
Obwohl seine Gefährten bereits sehr ungeduldig waren, verschob Sperber die Abreise um zwei weitere Tage, die er damit verbrachte, im Eiltempo die Briefe an Ehlana zu verfassen. Der Verlauf der angeblichen Suche musste überzeugend und zumindest ein bisschen interessant sein. Sperber erdachte falsche Spuren und Handlungen und ungelöste Rätsel für seinen Bericht. Er vertiefte sich immer mehr in die Entwicklung seiner Geschichte, sodass er manchmal nahe daran war, selbst alles zu glauben, was er da niederschrieb. Er wurde regelrecht stolz auf seine Leistung und begann, vielfache stilistische Änderungen vorzunehmen; er fügte hier etwas hinzu, strich dort etwas fort und formulierte einen holperigen Absatz neu, bis er die Grenze zwischen sorgfältiger Kunstfertigkeit und Pedanterie überschritt, ohne es zu merken.
»Sie sind gut genug, Sperber«, versicherte ihm Vanion, nachdem er die Briefe am Abend des zweiten Tages gelesen hatte. Vanion trug mit voller Absicht den schlichten Kittel und die schweren Reitstiefel, die Pandioner für gewöhnlich anzogen, ehe sie sich auf eine längere Reise begaben.
»Ihr haltet sie nicht für zu durchschaubar?«
»Sie sind genau richtig.«
»Vielleicht sollte ich den dritten Brief ein wenig anders formulieren. Irgendwie kommt er mir schrecklich nichtssagend vor.«
»Ihr habt ihn bereits dreimal umgeschrieben. Er ist gut genug.«
»Ich bin aber gar nicht glücklich damit, Vanion.« Sperber nahm seinem Freund den unbefriedigenden Brief aus der Hand, las ihn noch einmal durch und griff während des Lesens automatisch nach seinem Schreibstift.
Vanion aber blieb unnachgiebig und nahm Sperber den Brief wieder ab.
»Lasst mich wenigstens den letzten Absatz in Ordnung bringen«, bat Sperber.
»Nein!«
»Aber …«
»Nein!« Vanion steckte den Brief an seinen Platz zurück, faltete das Päckchen und schob es unter sein Wams. »Oscagne schickt Norkan mit uns. Wir werden ihm die Briefe geben. Er kann sie Ehlana nach und nach zukommen lassen. Norkan ist schlau genug, sie so zu verteilen, dass Ehlana nicht misstrauisch wird. Das Schiff steht jetzt schon eine ganze Woche bereit, und Emban wird ungeduldig. Wir fahren mit der Morgenebbe.«
»Ich glaube, ich weiß jetzt, was ich falsch gemacht habe«, sagte Sperber. »Ich brauche bestimmt nicht mehr als eine oder zwei Stunden, diesen dritten Brief zu ändern!«
»Nein, Sperber. Kommt überhaupt nicht infrage!«
»Bist du sicher, dass sie schläft?«, flüsterte Sperber.
»Natürlich bin ich sicher, Vater«, erwiderte Prinzessin Danae.
»Das leiseste Geräusch wird sie aufwecken, das weißt du doch. Sie hört sogar, wenn eine Fliege über die Decke spaziert.«
»Nicht heute Nacht. Dafür habe ich gesorgt.«
»Ich hoffe, du weißt, was du tust, Danae. Sie kennt selbst den kleinsten Kratzer an diesem Ring. Falls es auch nur den geringsten Unterschied zwischen diesem und dem neuen Ring gibt, wird sie es sofort bemerken!«
»O Vater! Du machst dir zu viele Gedanken! So etwas tue ich nicht zum ersten Mal. Schließlich hat Ghwerig diese Ringe gemacht, und ich habe sogar ihn getäuscht. Ich habe sie in den Tausenden von Jahren immer wieder gestohlen. Glaub mir, Mutter wird keinen Unterschied bemerken!«
»Muss es denn wirklich sein?«
»Ja. Bhelliom würde dir gar nichts nutzen, wenn du nicht beide Ringe hast. Und du wirst ihn möglicherweise sofort benötigen, kaum dass wir ihn vom Meeresgrund geborgen haben.«
»Warum?«
Sie rollte die Augen himmelwärts und seufzte. »Weil die ganze Welt schwankt, sobald Bhelliom sich bewegt. Als du ihn nach Zemoch gebracht hast, hat die Erde die ganze Zeit wie Sülze gewackelt. Meine Familie und ich mögen es gar nicht, wenn Bhelliom sich bewegt. Es macht einige von uns regelrecht schwindelig.«
»Können unsere Feinde uns dadurch orten?«
Danae schüttelte den Kopf. »Nicht unbedingt. Aber jede Gottheit auf dieser Welt wird sofort merken, wenn Bhelliom sich in Bewegung setzt, und wir können fest damit rechnen, dass wenigstens einige von ihnen nach ihm suchen werden. Könnten wir ein andermal darüber reden?«
»Was soll ich tun?«
»An der Tür zum Schlafgemach Wache stehen. Ich habe nicht gern Zuschauer, wenn ich etwas stehle.«
»Du hörst dich genau wie Talen an.«
»Verständlich. Schließlich wurden er und ich füreinander geschaffen. Bedenke, dass die Götter das Stehlen erfunden haben.«
»Das ist doch nicht dein Ernst!«
»Aber natürlich! Wir stehlen laufend voneinander. Es ist ein Spiel. Hast du gedacht, wir säßen bloß auf Wolken herum und würden uns in Anbetung sonnen. Wir müssen irgendwas zu unserem Zeitvertreib tun! Du solltest es auch mal versuchen, Vater. Es macht viel Spaß.« Sie schaute sich verstohlen um, duckte sich und griff nach der Klinke der Tür zum Schlafgemach. »Halte Ausschau, Sperber. Pfeif, wenn du jemanden kommen hörst.«
Am folgenden Morgen versammelten sie sich im Salon der Königssuite, um die letzten Anweisungen von Kaiser Sarabian und Königin Ehlana entgegenzunehmen. Es war natürlich nur eine reine Formsache. Alle wussten längst, was sie tun sollten. So saßen sie müßig in dem sonnigen Gemach, plauderten und ermahnten einander, vorsichtig zu sein, wie es auf der ganzen Welt üblich ist, wenn man Abschied nimmt.
Alean, Königin Ehlanas rehäugige Kammermaid, sang im Gemach nebenan. Sie hatte eine klare, liebliche Stimme, und alle im Salon verstummten, um ihr zuzuhören. »Es ist, als würde man einem Engel lauschen«, murmelte Patriarch Emban.
Kaiser Sarabian nickte. »Das Mädchen hat eine wirklich bemerkenswerte Stimme. Die Hofmusiker beneiden sie darum.«
»Sie hört sich heute Morgen ein bisschen traurig an«, stellte Kalten fest, dem Tränen in den Augen schimmerten.
Sperber lächelte kaum merklich. Seit seiner frühen Jugend hatte Kalten den Maiden nachgestellt, und nur wenige hatten seinen Schmeicheleien widerstehen können. Bei Alean jedoch hatte er nichts erreicht. Sie sang jetzt nicht zu ihrem eigenen Vergnügen, sondern für einen ganz bestimmten Zuhörer, und das Lied, das über das Leid des Abschieds klagte, rührte Kalten zu Tränen. Alean sang die uralte elenische Ballade, Mein süßer blauäugiger Liebster, die von gebrochenen Herzen und Liebeskummer handelte. Da bemerkte Sperber, dass auch Baroness Melidere, Ehlanas Hofdame, Kalten unauffällig beobachtete. Als ihre Augen sich trafen, zwinkerte sie ihm fast unmerklich zu. Sperber hätte am liebsten laut gelacht. Er war also nicht der Einzige, der Aleans subtile List durchschaut hatte.
»Du wirst mir doch schreiben, Sperber, nicht wahr?«, sagte Ehlana.
»Selbstverständlich«, versprach er ihr.
»Ich kann praktisch dafür garantieren, Majestät«, warf Vanion ein. »Wenn man ihm genügend Zeit gibt, kann er großartige Briefe schreiben. Jedenfalls widmet er seiner Korrespondenz viel Mühe und viele Stunden.«
»Erzähl mir alles, Sperber!«, bat die Königin.
»Das wird er ganz bestimmt, Majestät«, versicherte ihr Vanion. »Er wird Euch wahrscheinlich mehr über die Insel Tega berichten, als Ihr wirklich wissen möchtet.«
»Das ist nicht nett von Euch!«, murmelte Sperber.
»Bitte seid nicht zu deutlich, wenn Ihr unsere Lage beschreibt, Eminenz«, wandte Sarabian sich nun an Emban. »Dolmant soll nicht den Eindruck gewinnen, dass mein Imperium rings um mich in die Brüche geht.«
»Aber ist es denn nicht so, Majestät?«, entgegnete Emban ein wenig erstaunt. »Ich dachte, deshalb soll ich nach Chyrellos zurückeilen und die Ordensritter holen.«