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Garion war siegreich. Der dunkle Gott Torak, das Kind der Finsternis, ist besiegt. Nun herrscht endlich Frieden in den Königreichen des Westens. Da wird sein Sohn geraubt. Am liebsten würde Garion die Entführerin sofort verfolgen. Doch er hört auf die Vernunft und ruft seine Gefährten zusammen, die ihm bereits gegen Torak beigestanden haben. Der Verdacht liegt nahe, dass hinter der Tat das Kaiserreich Mallorea steckt, dessen Eroberungszug durch die Könige des Westens gestoppt wurde. Doch der Plan der Entführerin ist weit hinterhältiger und skrupelloser, als auch nur einer von ihnen ahnt.
Die Malloreon-Saga:
1. Die Herren des Westens
2. Der König der Murgos
3. Der Dämon von Karanda
4. Die Zauberin von Darshiva
5. Die Seherin von Kell
Die Malloreon-Saga ist eigenständig und ohne Kenntnis der Belgariad-Saga lesbar.
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Seitenzahl: 615
Buch
Garion war siegreich. Der dunkle Gott Torak, das Kind der Finsternis, ist besiegt. Nun herrscht endlich Frieden in den Königreichen des Westens. Da wird sein Sohn geraubt. Am liebsten würde Garion die Entführerin sofort verfolgen. Doch er hört auf die Vernunft und ruft seine Gefährten zusammen, die ihm bereits gegen Torak beigestanden haben. Der Verdacht liegt nahe, dass hinter der Tat das Kaiserreich Mallorea steckt, dessen Eroberungszug durch die Könige des Westens gestoppt wurde. Doch der Plan der Entführerin ist weit hinterhältiger und skrupelloser, als auch nur einer von ihnen ahnt.
Autor
David Eddings wurde 1931 in Spokane im US-Bundesstaat Washington geboren. Während seines Dienstes für die US-Streitkräfte erwarb er einen Bachelor of Arts und einige Jahre darauf einen Master of Arts an der University of Washington. Bevor er 1982 seinen ersten großen Roman, »Belgariad – Die Gefährten«, veröffentlichte, arbeitete er für den Flugzeughersteller Boeing. Den Höhepunkt seiner Autorenkarriere erreichte er, als der Abschlussband seiner Malloreon-Saga Platz 1 der »New York Times«-Bestsellerliste erreichte. Im Jahr 2009 starb er in Caron City, Nevada.
Die Belgariad-Saga:
1. Die Gefährten
2. Der Schütze
3. Der Blinde
4. Die Königin
5. Der Ewige
Die Malloreon-Saga:
1. Die Herren des Westens
2. Der König der Murgos
3. Der Dämon von Karanda
4. Die Zauberin von Darshiva
5. Die Seherin von Kell
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David Eddings
Malloreon
Die Herren des Westens
Roman
Deutsch von Lore Strassl
Die Originalausgabe erschien 1987 unter dem Titel »Guardians of the West (Malloreon 1)« bei DelRey, New York.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Copyright der Originalausgabe © 1987 by David EddingsCopyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2021 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 MünchenCopyright der deutschsprachigen Übersetzung by Lore Straßl, vermittelt durch Jörg Munsonius/Literaturagentur/Edition BärenklauRedaktion: Waltraud HorbasUmschlaggestaltung: Isabelle Hirtz unter Verwendung einer Illustration von Andreas RochaKarten: © Andreas HancockHK · Herstellung: samSatz: Vornehm Mediengestaltung GmbH, MünchenISBN 978-3-641-27213-5V001www.blanvalet.de
Karte 1
Karte 2
Für Judy-Lynn
Eine Rose blüht und welkt dahin,
aber die Schönheit und der Duft
bleiben stets in Erinnerung.
Prolog
Niederschrift der Ereignisse, welche zu Belgarions Sieg über den Verfluchten Gott Torak und zu seiner Krönung als König von Riva führten
Aus der Einleitung zu dem Werk Sagen und Mythen Alorns
Als die sieben Götter die Welt erschaffen hatten, so erzählt man sich, lebten sie und die von ihnen auserwählten menschlichen Völker einträchtig zusammen. Doch Göttervater UL blieb weltfern, bis Gorim, Führer jener ohne einen Gott, einen hohen Berg erklomm und ihn inbrünstig beschwor. Das berührte UL schließlich tief im Herzen. Er hob Gorim zu sich und versprach ihm, sein Gott zu sein und der Gott seines Stammes, der Ulgoner.
Gott Aldur hielt sich weiterhin fern von seinen Brüdern. Er lehrte Belgarath und andere Jünger die Macht des Willens und des Wortes. Und es kam die Zeit, da hob Aldur einen kugelrunden Stein auf, der nicht größer war als das Herz eines Kindes. Die Menschen nannten diesen Stein das Auge Aldurs. Er besaß ungeheure Macht, da er die Verkörperung einer Notwendigkeit war, die seit Anbeginn der Zeit existierte.
Torak, der Gott der Angarakaner, dürstete nach Macht, nach der Oberherrschaft über alles und jeden, denn ihm war eine gegensätzliche Notwendigkeit überantwortet worden. Als er von diesem sogenannten Auge Aldurs erfuhr, erschrak er sehr; denn er befürchtete, es würde seiner Bestimmung im Wege sein. Deshalb begab er sich zu Aldur und bat ihn, sich des Steines zu entledigen. Als Aldur seinen Wunsch jedoch nicht erfüllte, streckte Torak ihn nieder und floh mit dem Stein.
Da rief Aldur seine anderen Brüder. Sie sammelten eine gewaltige Heerschar um sich und machten sich auf, Torak zur Rechenschaft zu ziehen. Doch Torak, der sah, dass seine Angarakaner vernichtet würden, hob den Stein und bediente sich seiner Kräfte, die Welt zu spalten, auf dass das Ostmeer ihn von seinen Feinden trenne.
Der Stein aber war erzürnt über diesen Missbrauch seiner Kräfte und peitschte Torak mit einem Feuer, das ihm beständige Qualen bereiten sollte.
Toraks Hand verbrannte, seine linke Wange versengte und verkohlte, und sein linkes Auge ging in Flammen auf und leuchtete für alle Zeit im Zorn des Feuers, mit dem der Stein es erfüllt hatte. Getrieben von unstillbaren Schmerzen, führte Torak sein Volk in Malloreas Ödlande, und es erbaute für ihn eine Stadt in Cthol Mishrak, welche die Stadt der Nacht genannt wurde, da Torak sie unter einer immerwährenden Wolke verbarg. Dort, in einem Turm aus Eisen, kämpfte Torak gegen den Stein und bemühte sich vergebens, seinen Hass auf ihn zu entkräften.
So vergingen zweitausend Jahre. Da stieg Cherek Bärenschulter, der König der Alorner, hinab ins Aldurtal, um dem Zauberer Belgarath zu verkünden, dass der Weg nach Norden frei sei. Zusammen verließen sie das Tal mit Chereks drei kräftigen Söhnen: Dras Stiernacken, Algar Flinkfuß und Riva Eisenfaust. Sie pirschten sich durch die Sümpfe heran, wobei Belgarath die Gestalt eines Wolfes annahm, um sie zu führen, und gelangten so nach Mallorea. Des Nachts stahlen sie sich in Toraks Eisenturm. Und während der verstümmelte Gott sich gepeinigt von Schmerzen im Schlafe wälzte, schlichen sie zu der Kammer, in der er den Stein in einer eisernen Truhe aufbewahrte. Riva Eisenfaust, dessen Herz ohne Arg war, nahm das Auge Aldurs an sich, und sie machten sich auf den Weg nach Westen.
Als Torak erwachte und bemerkte, dass der Stein verschwunden war, brach er auf, um sie zu verfolgen. Doch Riva hob ihn empor, und seine zürnende Flamme erfüllte Torak mit Furcht. Alsdann verließ der kleine Trupp Mallorea und kehrte in seine eigenen Lande zurück.
Belgarath teilte Alorn in vier Reiche auf. Die Herrschaft von dreien legte er in die Hände von Cherek Bärenschulter, Dras Stiernacken und Algar Flinkfuß. Riva Eisenfaust und seinem Geschlecht aber vertraute er das Auge Aldurs an und schickte ihn zur Insel der Stürme.
Belar, Gott der Alorner, sandte zwei Sterne herab. Aus ihnen schmiedete Riva ein mächtiges Schwert, und als Knauf setzte er ihm das Auge Aldurs auf. Alsdann hängte er dieses Schwert an die Wand des Thronsaals in der Zitadelle, wo es für alle Zeit zum Schutz des Westens dienen sollte.
Als Belgarath nach Hause zurückkehrte, hatte sein Weib Poledra ihm Zwillingstöchter geschenkt, war jedoch im Kindbett verstorben. In seinem unendlichen Leid gab er seinen Töchtern die Namen Polgara und Beldaran. Sobald sie ins heiratsfähige Alter kamen, schickte er Beldaran zu Riva Eisenfaust, und sie wurde dessen Gemahlin und Stammmutter des Geschlechtes der Riva. Polgara aber behielt er bei sich und lehrte sie die Zauberkünste.
In seinem Zorn über den Verlust des Steines vernichtete Torak die Stadt der Nacht und teilte die Angarakaner auf. Die Murgos, Nadraker und Thulls schickte er in die Ödlande an der Küste des Ostmeers. Die Malloreaner behielt er unter sich, um den gesamten Kontinent zu unterdrücken, auf dem sie lebten. Über sie alle stellte er seine Grolimpriester, damit diese über sie wachten, alle Zauderer züchtigten und sie ihm Menschenopfer darbrachten.
Viele Jahrhunderte zogen ins Land. Da verschwor sich Zedar der Abtrünnige, welcher einstmals Aldurs Schüler gewesen war, nun aber Torak diente, mit Salmissra, der Königin des Schlangenvolkes. Sie schickten Meuchler auf die Insel der Stürme, um Rivas Nachkommen Gorek und seine gesamte Familie zu töten. Dies geschah; einige behaupteten zwar, dass ein Kind entkommen sei, doch mit Sicherheit hätte niemand es zu sagen vermocht.
Ermutigt durch den Tod des Hüters des Auges, sammelte Torak seine Heerscharen und drang in den Westen ein, in der Absicht, die Völker zu unterjochen und sich den Stein wieder anzueignen. Bei Vo Mimbre, im Flachland von Arendien, trafen die Horden der Angarakaner auf die Streitkräfte des Westens, und es kam zu einer blutigen Schlacht. Und dort stellte sich Brand, der Rivanische Hüter, mit dem Auge auf seinem Schild Torak im Zweikampf und streckte den verstümmelten Gott nieder. Das raubte den Angarakanern den Mut, und sie wurden geschlagen. Doch des Nachts, da die Könige des Westens den Sieg feierten, stahl Zedar der Abtrünnige den Leichnam Toraks und schaffte ihn fort. Alsbald erklärte der Hohepriester der Ulgoner, Gorim genannt wie alle ihre Hohepriester bisher, dass Torak nicht tot, sondern im Schlaf gefangen sei, bis wieder ein König aus dem Hause Riva auf dem Thron der Rivanischen Könige säße.
Die Herrscher des Westens wähnten, dies würde für immer bedeuten, da das Geschlecht der Riva als ausgestorben galt. Belgarath und seine Tochter Polgara indes hüteten ein Geheimnis. Denn tatsächlich war ein Kind den Meuchlern von Goreks Familie entkommen, und sie hielten es und seine Nachkommen viele Generationen vor der Welt verborgen. Doch alte Prophezeiungen warnten sie, dass die Zeit der Rückkehr für den Rivanischen König noch nicht gekommen sei.
Viele Jahrhunderte vergingen. Da stieß Zedar der Abtrünnige in einer namenlosen Stadt am Ende der Welt auf ein unschuldiges Kind, und er beschloss, es zu sich zu nehmen und mit ihm heimlich die Insel der Stürme zu besuchen. Er hoffte, es wäre in seiner Unschuld imstande, das Auge Aldurs vom Schwert der Rivanischen Könige zu nehmen. Seine Hoffnung erfüllte sich, woraufhin Zedar mit dem Kind und dem Stein gen Osten floh.
Bei Polgara der Zauberin lebte abgeschieden auf einem Hof in Sendarien ein Knabe, der sie Tante Pol nannte. Dieser Knabe war der verwaiste, letzte Abkömmling aus dem Hause Riva, doch er wusste nichts von seiner Herkunft.
Kaum hatte Belgarath vom Diebstahl des Auges erfahren, eilte er nach Sendarien, um seine Tochter aufzufordern, ihm bei der Suche nach Zedar und dem Auge Aldurs behilflich zu sein. Polgara bestand darauf, den Jungen bei dieser Suche mitzunehmen, und so begleitete Garion seine Tante Pol und Belgarath, den er als Geschichtenerzähler kannte und den er Großvater nannte.
Durnik, der Schmied auf dem Hof, ließ sich nicht davon abbringen, ebenfalls mitzukommen. Alsbald gesellten sich Barak von Cherek und Kheldar von Drasnien, Silk genannt, zu ihnen. Mit der Zeit schlossen sich ihnen noch andere an, wie Hettar, der Pferdelord von Algarien, Mandorallen, der mimbrische Ritter, und Relg, ein ulgonischer Eiferer. Ein scheinbarer Zufall führte auch Prinzessin Ce’Nedra zu ihnen, die nichts von der Suche wusste; nach einem Streit mit ihrem Vater, Kaiser Ran Borune XXIII. von Tolnedra, war sie aus seinem Schloss geflohen.
So war denn die Schar, wie in der Prophezeiung des Mrin-Kodex vorhergesagt, vollzählig.
Ihre Suche führte sie zum Wald der Dryaden, wo sich ihnen der Murgogrolim Asharak in den Weg stellte, der sich seit Langem schon heimlich für Garion interessiert hatte. Da sprach die Stimme der Prophezeiung zu Garion, woraufhin der Junge Asharak mit seiner Hand und seinem Willen niederstreckte und Asharak vom Feuer verzehrt wurde. So erfuhr Garion, dass er der Zauberei mächtig war. Polgara war froh darüber – denn nun wussten sie, dass die Jahrhunderte des Wartens zu Ende waren. Garion war derjenige, der laut Prophezeiung sein Recht auf den rivanischen Thron in Anspruch nehmen sollte. Also schlug Polgara vor, er solle sich ab nun Belgarion nennen, wie es für einen Zauberer passend war.
Zedar der Abtrünnige floh vor Belgarath, unklugerweise ausgerechnet in das Gebiet Ctuchiks, des Hohepriesters der westlichen Grolim. Wie Zedar war Ctuchik ein Jünger Toraks, aber dennoch herrschte seit Jahrhunderten Feindschaft zwischen den beiden. Als Zedar das kahle Gebirge von Cthol Murgos überquerte, lauerte Ctuchik ihm auf und raubte ihm das Auge Aldurs sowie das Kind, dessen Unschuld es ihm ermöglichte, den Stein zu berühren, ohne zu sterben.
Getrennt von seinen Gefährten, folgte Belgarath der Spur Zedars, bis Beltira, ein Jünger Aldurs, ihm verkündete, dass Ctuchik sich nun sowohl im Besitz des Steines wie auch des Kindes befand. Die anderen Gefährten setzten ihren Weg fort, doch in Nyissa ließ Salmissra, die Königin des schlangenliebenden Volkes, Garion festnehmen und zu sich in den Palast bringen. Polgara aber befreite ihn und verwandelte Salmissra in eine Schlange, auf dass sie für immer in dieser Gestalt über das Schlangenvolk herrsche.
Nachdem sich Belgarath wieder seinen Gefährten angeschlossen hatte, führte er sie auf einem beschwerlichen Weg zu der finsteren Stadt Rak Cthol auf einem Berg in der Öde von Murgos, wo Ctuchik sich aufhielt. Der schwierige Aufstieg gelang ihnen, doch Ctuchik wusste von ihrem Kommen und erwartete sie mit dem Kind und dem Stein. Belgarath forderte den Hohepriester zum Zauberduell heraus. Der hart bedrängte Ctuchik bediente sich eines verbotenen Zaubers, der sich gegen ihn wandte und ihn auf eine Weise vernichtete, dass nicht eine Spur von ihm erhalten blieb.
Der Schock seiner Vernichtung erschütterte Rak Cthol, und die Stadt stürzte den Berg hinab. Während sie ihrem Ende in Schutt und Trümmern entgegenfiel, fasste Garion rasch das vertrauensvolle Kind, welches das Auge Aldurs trug, und brachte es in Sicherheit. Verfolgt von den Horden Taur Urgas’, des Königs der Murgos, flohen sie nach Algarien, wo die Algarier die Murgos aufhielten und schlugen. Dann erst konnte Belgarath sich zur Insel der Stürme begeben, um das Auge Aldurs an seinen rechtmäßigen Platz zurückzubringen.
Dort, im Thronsaal der Rivanischen Könige, übergab das Kind, das sie Botschaft nannten, das Auge Aldurs Garion, und Garion stellte sich auf den Thron, um es an seinem angestammten Platz zu befestigen, als Knauf am mächtigen Schwert der Rivanischen Könige. Als dies vollbracht war, begann das Auge Aldurs zu flammen, und das Schwert leuchtete in kaltem blauem Feuer. Und so wurden alle gewahr, dass Garion der rechtmäßige Erbe des Thrones von Riva war, und sie erkannten ihn als Rivanischen König an und als Kaiser des Westens und Hüter des Auges.
Bald darauf verlobte sich der Junge, der von einem sendarischen Bauernhof gekommen und Rivanischer König geworden war, gemäß dem nach der Schlacht von Vo Mimbre unterzeichneten Abkommen mit Prinzessin Ce’Nedra. Doch ehe die Vermählung stattfinden konnte, drängte die Stimme der Prophezeiung in seinem Kopf ihn, sich in die Kammer der Schriften zu begeben und den Mrin-Kodex zu lesen.
Er erkannte, dass er nach dieser alten Prophezeiung dazu ausersehen war, Rivas Schwert von der Wand zu nehmen und sich dem verstümmelten Gott Torak zu stellen. Er würde ihn töten oder von ihm getötet werden und damit das Schicksal der Welt entscheiden. Denn Torak war zum Zeitpunkt der Krönung Garions aus seinem langen Schlaf erwacht, und dieser Zweikampf würde darüber entscheiden, welche der beiden gegensätzlichen Notwendigkeiten oder Prophezeiungen den Sieg davontrug.
Garion wusste, er könnte eine Armee zusammenstellen, um in den Osten einzufallen. Doch obgleich sein Herz voll Furcht war, entschied er sich, die Gefahr allein auf sich zu nehmen. Nur Belgarath und Silk begleiteten ihn. Im Morgengrauen stahlen sie sich aus der Burg von Riva und machten sich auf die lange Reise in den Norden zu den dunklen Ruinen der Stadt der Nacht, wo sich Torak aufhielt.
Prinzessin Ce’Nedra jedoch wandte sich an die Könige des Westens und überredete sie, sich ihr in einem Feldzug anzuschließen. Sie plante, die Angarakaner abzulenken, damit Garion sein Ziel sicher erreichte. Mit Polgaras Hilfe marschierte sie durch Sendarien, Arendien und Tolnedra und scharte eine mächtige Armee gegen die Streitkräfte des Ostens um sich. Auf der Ebene um die Stadt Thull Mardu kam es zur Schlacht. In der Zange zwischen den Armeen des Kaisers ’Zakath von Mallorea und der des wahnsinnigen Königs der Murgos, Taur Urgas, sahen Ce’Nedras Heerscharen der völligen Vernichtung entgegen. Doch Cho-Hag, das Oberhaupt der Clanhäuptlinge von Algarien, tötete Taur Urgas; und der nadrakische König Drosta lek Thun wechselte die Seiten, wodurch ihre Truppen die nötige Zeit zum Rückzug gewannen.
Ce’Nedra, Polgara, Durnik und das Kind Botschaft jedoch wurden gefangen genommen und zu ’Zakath geschickt, der sie wiederum zu der Ruinenstadt Cthol Mishrak bringen ließ, damit Zedar über sie richte. Zedar tötete Durnik, und weinend über dessen Leichnam fand Garion bei seiner Ankunft Polgara vor.
In einem Zauberduell verbannte Belgarath Zedar ins Felsgestein tief unter der Erdoberfläche. Inzwischen jedoch war Torak voll erwacht. Die beiden Geschicke, die seit Anbeginn der Zeiten miteinander gerungen hatten, standen sich nun in den Ruinen der Stadt der Nacht gegenüber. Dort in der Dunkelheit tötete Garion, Kind des Lichtes, Torak, Kind der Finsternis, mit dem Flammenschwert König Rivas. Und die unheilvolle Prophezeiung floh wehklagend ins Nichts.
UL und die sechs noch lebenden Götter kamen, um Toraks Leichnam zu holen. Und Polgara flehte sie an, Durnik ins Leben zurückzurufen. Zögernd erfüllten sie ihren Wunsch. Doch da sie es nicht für angemessen hielten, dass Polgara Durnik so überlegen war, hauchten sie ihm Zauberkräfte ein.
Alsdann kehrten alle in die Stadt Riva zurück. Die Vermählung von Belgarion mit Ce’Nedra konnte endlich stattfinden, und Polgara nahm Durnik zum Mann. Das Auge Aldurs zum Schutze des Westens war wieder zurück an dem ihm vorbestimmten Platz. Und der Krieg der Götter, Könige und Sterblichen, der siebentausend Jahre gewährt hatte, war zu Ende.
So zumindest glaubten die Menschen.
Erster Teil
DASALDURTAL
1
Früh am Morgen, als die Luft noch kühl war, der wolkenlos blaue Himmel aber bereits einen sonnigen Tag versprach, brach der Junge namens Botschaft mit seiner Familie aus der geschäftigen Hafenstadt Camaar an der Südküste Sendariens zu einer langen Reise auf.
Botschaft hatte bisher noch nie eine Familie gehabt. Das Gefühl, zu jemandem zu gehören, der ihn liebte, war völlig neu für ihn. Es bewirkte, dass er nun alles in leuchtenden und warmen Farben sah. Der Grund für ihre Reise war ebenso einfach wie wundervoll: Sie führte nach Hause! Genauso wenig, wie Botschaft eine Familie gehabt hatte, hatte er je ein Zuhause gehabt. Und obwohl er das Häuschen im Aldurtal nicht kannte, das ihr Ziel war, sehnte er sich danach, als hätte sich seit seiner Geburt jeder Stein und jeder Busch und Baum ringsum seiner Erinnerung und Vorstellungskraft eingeprägt.
Vier Wochen waren sie unterwegs, als ihr Pferdewagen schließlich langsam einen steilen Berg hinaufzockelte. Durnik der Schmied hatte das Fuhrwerk nach sorgfältiger Begutachtung in Camaar erstanden. Botschaft kuschelte sich zwischen die Säcke mit Nahrungsmitteln, die neben Kisten voll Gerätschaften den Wagen füllten. Er warf einen Blick zurück auf die sendarische Bergkette. Sie zeichnete sich vor dem dunstigen Himmel ab, in dem sich noch ein Schimmer des Meeres weit im Westen spiegelte, und erhob sich hoch aus der algarischen Steppe – eine unvorstellbare Weite, die sich im stetigen Ostwind kräuselte und wiegte. Im Norden verriet eine kleine Staubwolke im Blau des Morgens, wo sich gegenwärtig die berittene Eskorte befand, die sie bei Sonnenaufgang verlassen hatte.
Die Reiter, die sie seit Überschreiten der algarischen Grenze begleitet hatten, waren mehr Ehrengeleit gewesen als Schutz gegen Feinde. Denn der große Krieg, von dem jetzt schon Lieder und Geschichten erzählten, war zu Ende. Er hatte auf dem Flachland von Mishrak ac Thull gewütet, Hunderte von Meilen ostwärts. Die gewaltigen, von Prinzessin Ce’Nedra aufgestellten Armeen waren in ihre Heimat zurückgekehrt, und es herrschte wieder Frieden in den Reichen des Westens. Belgarion, der König von Riva und Kaiser des Westens, saß auf dem Thron im Saal der Rivanischen Könige, und das Auge Aldurs war wieder zurück an der Wand, an seinem angestammten Platz über dem Thron. Der verstümmelte Gott von Angarak war nicht mehr, ebenso wenig wie die Bedrohung, die er über Äonen für den Westen dargestellt hatte.
Natürlich lenkte Durnik den Wagen – ein Mann von unauffälligem Äußeren, mit unauffälligem braunem Haar und unauffälligem Gesicht. Wie die meisten seines Standes verfügte er allerdings über ungeheure Kraft. Trotzdem war er eigentlich nicht das, was man sich als Ehemann für eine Frau wie Belgaraths Tochter vorstellte, die allgemein als Polgara die Zauberin bekannt war; aber auch Durnik hatte seit seinem Aufbruch von seiner Schmiede einen weiten Weg zurückgelegt. Diese einschneidenden Erlebnisse und Erfahrungen lagen nun schon so lange zurück, dass sie ihm fast wie ein anderes Leben erschienen – was in gewisser Hinsicht sogar stimmte. Jetzt hielten seine starken und geschickten Hände die Zügel, und irgendwie übertrug er wohl durch diese ledernen Riemen auf die Zugpferde ein beruhigendes Gefühl von Sicherheit: Bei Durnik hatte man meist das Gefühl, als wüsste er genau, was er tat.
Ein Eindruck, den die kräftige, sanfte Stute, auf der Belgarath der Zauberer saß, ganz offensichtlich nicht teilen konnte. Belgarath war in der vergangenen Nacht sehr lange aufgeblieben und hatte mit Hettar, dem Sohn des Oberhaupts der Stammeshäuptlinge von Algarien, und seinen Männern zum Abschied gegorene Stutenmilch gebechert. Jetzt saß er zusammengesunken im Sattel und achtete kaum darauf, wohin es ging. Die ebenfalls im Hafen erstandene Stute hatte noch nicht genügend Gelegenheit gehabt, sich an die Eigenheiten ihres neuen Besitzers zu gewöhnen, und seine fast schon kränkende Unachtsamkeit machte sie nervös. Sie rollte häufig mit den Augen, als wolle sie sich darüber klar werden, ob diese reglose Last auf ihrem Rücken auch wirklich sicher war, dass sie den Wagen begleiten wollte.
Polgara warf ihrem Vater einen finsteren Blick zu, hob sich ihre Bemerkungen jedoch für später auf. In Kapuzenumhang und einfachem grauem Wollkittel saß sie neben Durnik auf dem Kutschbock. Ihre blauen Samtgewänder, ihr Geschmeide und die pelzverbrämten Umhänge, die sie in Riva trug, hatte sie abgelegt und war fast mit Erleichterung in diese schlichtere Reisekleidung geschlüpft. Das hieß nicht, dass es ihr keinen Spaß gemacht hätte, sich prachtvoll zu kleiden, wenn der Anlass es erforderte – und wenn sie es tat, wirkte sie majestätischer als jede Königin. Aber sie hatte ein ausgeprägtes Gefühl dafür, was angemessen war und was nicht, und diese einfache Kleidung war genau richtig für das, was sie schon seit vielen Jahrhunderten hatte tun wollen und nun umsetzen würde.
Belgarath hätte nicht gegensätzlicher empfinden können: Er trug meist nur das, was er auch als bequem empfand. Die Tatsache, dass seine Stiefel nicht zusammenpassten, bedeutete weder, dass er sich keine anderen leisten konnte, noch, dass er sie aus Unachtsamkeit vertauscht hatte. Er hatte sie mit voller Absicht so ausgewählt, da der linke Stiefel des einen Paares bequem für seinen linken Fuß war, während der rechte auf seine Zehen drückte; und der rechte Stiefel eines anderen Paares war genau richtig für seinen rechten Fuß, der linke dieses Paares dagegen schürfte ihm die Ferse auf. Mit dem Rest seiner Kleidung verhielt es sich nicht viel anders. Die Flicken an den Knien störten ihn überhaupt nicht, ebenso wenig wie die Tatsache, dass außer ihm nur wenige einen ausgefransten Strick als Gürtel benutzen würden. Und er war es durchaus zufrieden, einen Kittel zu tragen, der so zerknittert und voller Flecken war, dass anspruchsvollere Leute ihn nicht einmal als Putzlappen verwendet hätten.
Vögel kreisten in der klaren Luft über ihnen, während sich das Gespann und die geduldige Stute den langen Hang hochplagten. Sie zwitscherten und trillerten wie zum Gruß und flatterten auf ungewöhnliche Weise über dem Wagen. Polgara hob das makellose Gesicht ins helle Morgenlicht und lauschte.
»Was sagen sie?«, erkundigte sich Durnik.
Sie lächelte sanft. »Sie schwatzen«, erwiderte sie. »Vögel tun das gern. Sie freuen sich, dass es Morgen ist, dass die Sonne scheint und dass ihre Nester gebaut sind. Die meisten wollen über ihre Eier sprechen. Vögel reden immer gern von ihren Eiern.«
»Und natürlich freuen sie sich, dass sie dich sehen?«
»Vermutlich.«
»Glaubst du, du könntest mir irgendwann einmal ihre Sprache beibringen?«
Sie lächelte ihn an. »Wenn du das möchtest. Es ist allerdings nicht gerade von praktischem Wert.«
»Es schadet gewiss nicht, wenn man ein bisschen was kann, das nicht praktisch ist«, antwortete er mit unbewegter Miene.
»Ach, Durnik.« Sie lachte und legte zärtlich die Hand auf seine. »Du bist wirklich ein Schatz, weißt du das?«
Botschaft, der immer noch unmittelbar hinter ihnen zwischen Säcken und Kisten und Werkzeug saß, lächelte. Er spürte, dass er in die tiefe Zuneigung der beiden füreinander eingeschlossen war. Auch Zuneigung war für Botschaft etwas Neues. Er war von Zedar dem Abtrünnigen, der Belgarath ziemlich ähnlich gesehen hatte, aufgezogen worden, wenn man das so nennen konnte. Zedar war in einer engen Gasse, in einer von den Göttern vergessenen Stadt, über den kleinen Jungen gestolpert und hatte ihn aus einem ganz bestimmten Grund zu sich genommen. Der Junge hatte Essen und Kleidung bekommen, mehr aber auch nicht, und die einzigen Worte, die sein düsterer Hüter je zu ihm sagte, waren: »Ich habe eine Botschaft für dich, mein Junge.« Da dies die einzigen Worte waren, die das Kind überhaupt je gehört hatte, war das einzige Wort, das es sagte, als sie es endlich gefunden hatten: »Botschaft«. Und da sie nicht wussten, wie sie es nennen sollten, war »Botschaft« zu seinem Namen geworden.
Auf der Bergkuppe angekommen, gönnten sie den Pferden eine Rast. Botschaft lehnte sich in seinem hohen Nest auf dem Wagen zurück und blickte zu dem blauen Himmel mit den vereinzelten Wolken hoch, die wie Wattetupfen aussahen. Er mochte den Morgen. Am Morgen war der Tag voll Verheißung. Zu Enttäuschungen kam es gewöhnlich erst später.
»Ist dir warm genug?«, erkundigte sich Polgara fürsorglich.
Botschaft nickte. »Ja, danke.« Die Worte kamen ihm nun schon etwas leichter über die Lippen, obwohl er immer noch selten sprach.
Belgarath rieb abwesend seinen kurzen weißen Bart. Seine Augen waren trüb, und er blinzelte, als schmerzte ihn das Sonnenlicht.
»Ich beginne eine Reise ja gern bei Sonnenschein«, sagte er. »Irgendwie ist es immer ein gutes Omen.« Er schnitt eine Grimasse. »Aber muss er eigentlich unbedingt so grell sein?«
»Sind wir heute Morgen ein bisschen lichtempfindlich, Vater?«, fragte Polgara spöttisch.
Finster wandte er sich seiner Tochter zu. »Na, leg schon los, Pol. Bringen wir es hinter uns, vorher hast du ja doch keine Ruhe!«
»Aber, Vater!«, sagte sie mit Unschuldsmiene. »Wie kommst du darauf, dass ich dem Ganzen noch etwas hinzuzufügen hätte?«
Er brummte etwas Unverständliches.
»Ich bin überzeugt, dir ist inzwischen auch schon selbst aufgefallen, dass du gestern zu viel getrunken hast«, fuhr sie unbarmherzig fort. »Darauf muss ich dich doch nicht erst aufmerksam machen, oder?«
»Ich bin jetzt wahrhaftig nicht in der richtigen Stimmung für deine Sticheleien, Polgara«, brummte er.
»Ach, du armer alter Mann!«, sagte sie mit offensichtlich geheucheltem Mitgefühl. »Möchtest du, dass ich dir etwas zubereite, das hilft?«
»Nein, danke. Der Nachgeschmack deiner grauenvollen Tränke hält tagelang an. Ich glaube, da ziehe ich die Kopfschmerzen vor.«
»Wenn eine Medizin nicht schlecht schmeckt, hilft sie nicht!«, erklärte sie ihm. Sie warf die Kapuze zurück. Ihr langes Haar war dunkel, abgesehen von einer einzelnen weißen Strähne über der linken Braue.
»Ich habe dich gewarnt, Vater«, sagte sie nun nüchtern.
Er wand sich. »Polgara, könnten wir mit dem ›Hab ich’s dir nicht gesagt‹-Gerede aufhören?«
»Du hast gehört, dass ich ihn gewarnt habe, nicht wahr, Durnik?«, wandte Polgara sich an ihren Mann, der jedoch offensichtlich alle Mühe hatte, sein Grinsen zu unterdrücken.
Der Alte seufzte, langte in seinen Kittel und brachte eine kleine Flasche zum Vorschein. Mit den Zähnen zog er den Korken heraus und nahm einen tiefen Schluck.
»Wirklich, Vater!«, rief Polgara empört. »Hast du denn immer noch nicht genug?«
»Nicht, wenn du bei dem Thema bleibst!« Er hielt seinem Schwiegersohn die Flasche entgegen. »Durnik?«
»Danke, Belgarath, aber es ist noch ein bisschen früh für mich.«
»Pol?«, wandte Belgarath sich nun seiner Tochter zu.
»Im Ernst?«
»Na gut, wenn du nicht willst.« Belgarath zuckte die Schultern, steckte den Korken wieder in die Flasche und verstaute sie. »Sollen wir weiterreiten? Es ist noch ein ganzes Stück bis zum Aldurtal!« Er drückte seiner Stute die Fersen in die Flanke und trabte los.
Das Häuschen, das Polgaras Mutter gehört hatte, lag in einem Tal zwischen den sanften Hügeln am Nordrand des Aldurtals. Ein plätschernder Bach durchzog dieses geschützte Tal mit seinen Mischwäldern. Das Haus war aus grauen, rostfarbenen und erdbraunen Feldsteinen erbaut, die sorgfältig an- und aufeinander gefügt waren. Es war breit und niedrig und geräumig. Seit mehr als dreitausend Jahren war es nicht mehr bewohnt worden. Inzwischen hatten die Elemente ihm Dach, Türen und Fensterrahmen geraubt, so dass nur noch die offenen Mauern standen, die der Wind mit Zweigen, Laub und Unrat gefüllt hatte. Trotzdem lag eine seltsam abwartende Stimmung über dem Gemäuer, als habe Poledra, die Frau, die einst hier gelebt hatte, den Steinen die Gewissheit eingehaucht, dass eines Tages ihre Tochter zurückkehren würde.
Die goldene Sonne stand auf halbem Weg zwischen Mittag und Abend, als der Wagen in der Nähe anhielt. Das gleichmäßige Knarren der Räder hatte Botschaft eingelullt, und nun weckte Polgara ihn sanft.
»Botschaft«, sagte sie, »wir sind da.«
Er öffnete die Augen und sah zum ersten Mal den Ort, den er für alle Zeit sein Zuhause nennen würde. Sein Blick fiel auf die dachlosen Mauern, an die sich hohes Gras schmiegte, auf den Wald dahinter mit den weißen Stämmen der Birken, die sich von dem dunklen Grün der Nadelbäume abhoben, und auf den Bach. Dieser Ort war ungemein vielversprechend. Im Bach konnte man selbstgebastelte Schiffe segeln und flache Steine über die Oberfläche hüpfen lassen, und, wenn einem nichts anderes mehr in den Sinn kam, auch hineinfallen. Mehrere der Bäume dort schienen zum Klettern wie geschaffen, und eine alte Birke ganz dicht am Ufer mit überhängenden Zweigen vereinte gleich zwei reizvolle Möglichkeiten miteinander: einen Baum zu erklettern und ins Wasser zu fallen.
Ihr Wagen hatte an einem langen Hang angehalten, der sanft zum Haus hin abfiel. Es musste Spaß machen, diesen Hügel hinunterzusausen, vor allem an einem Tag mit strahlend blauem Himmel, über den der Wind Wölkchen wie Pusteblumen trieb. Das kniehohe Gras leuchtete üppig grün im Sonnenschein, und der Boden darunter war bestimmt feucht und doch fest. Die süße Luft, die man in die Lungen sog, während man den Hang hinunterrannte, musste berauschend sein.
In diesem Augenblick spürte Botschaft plötzlich ein unendliches Leid, ein Leid, das Aberjahrhunderte nicht gelindert hatten. Da blickte er in Belgaraths verwittertes Gesicht und sah eine Träne über die faltige Wange des alten Mannes rollen und in dem weißen Bart verschwinden. Doch trotz Belgaraths Trauer um seine lange verstorbene Frau erfüllte Botschaft eine tiefe Zufriedenheit, während er über dieses kleine, grüne Tal mit seinen Bäumen, seinem Bach und den saftigen Wiesen blickte. Er lächelte und kostete das Wort ›»Zuhause« auf seiner Zunge. Ihm gefiel sein Klang.
Polgara sah ihn ernst an. Ihre Augen waren sehr groß und leuchtend, und ihre Farbe wechselte mit ihrer Stimmung von einem hellen Blau, so blass, dass es fast grau wirkte, bis zu einem tiefen Lavendel.
»Ja, Botschaft«, sagte sie. »Das ist unser Zuhause.« Dann schlang sie die Arme um ihn, und in dieser sanften Geste lag all die Sehnsucht nach diesem Tal, die sie durch schwere Jahrhunderte erfüllt hatte, die Jahrhunderte, in denen sie mit ihrem Vater ihrer schier endlosen Aufgabe nachgegangen war.
Durnik der Schmied blickte nachdenklich hinunter in das Tal im warmen Sonnenschein, überlegte, plante und ordnete in Gedanken. »Es wird eine Weile dauern, bis wir alles so haben, wie wir es möchten, Pol«, sagte er schließlich zu seiner Frau.
»Wir haben alle Zeit der Welt, Durnik«, versicherte ihm Polgara lächelnd.
»Ich helfe euch ausladen und die Zelte aufstellen.« Belgarath kratzte abwesend seinen Bart. »Morgen werde ich dann wohl hinunter ins Aldurtal reiten, um nach Beldin und den Zwillingen zu sehen und nach meinem Turm – na, du weißt schon.«
Polgara bedachte ihn mit einem langen, eindringlichen Blick. »Kein Grund zur Eile, Vater. Es ist noch keinen Monat her, da hast du in Riva mit Beldin gesprochen, und wie oft hast du Jahrzehnte verstreichen lassen, ohne nach deinem Turm zu sehen? Mir ist nicht entgangen, dass du immer dringend anderswo etwas zu erledigen hast, wenn es Arbeit gibt!«
Belgarath warf ihr einen Blick zu, ganz gekränkte Unschuld. »Also, Polgara …«, begann er.
»Das nützt dir auch nichts, Vater«, unterbrach sie ihn unbarmherzig. »Es wird dir absolut nicht schaden, wenn du Durnik ein paar Wochen hilfst, vielleicht auch einen Monat oder zwei. Oder hast du vorgehabt, uns schutzlos dem Winter zu überlassen?«
Missmutig betrachtete Belgarath die leere Hülle des Hauses am Fuß des Hügels, dem man ansah, wie viele Arbeitsstunden es erfordern würde, um es wieder bewohnbar zu machen. »Aber selbstverständlich bleibe ich gern und helfe euch«, versicherte er ihr etwas zu hastig.
»Ich wusste, dass wir uns auf dich verlassen können, Vater«, antwortete Polgara honigsüß.
Belgarath blickte Durnik stirnrunzelnd an, um dessen Einstellung abzuschätzen. »Ich hoffe, du hast nicht vorgehabt, alles mit der Hand zu machen«, tastete er sich vor. »Ich meine – uns stehen gewisse andere Möglichkeiten zur Verfügung, weißt du? Und dir auch, da du jetzt einer von uns bist.«
Durnik wirkte etwas unsicher, sein offenes Gesicht verriet einen Hauch von Missbilligung. »Ich … ähm … ich weiß wirklich nicht, Belgarath«, entgegnete er. »Ich glaube nicht, dass ich das möchte. Wenn ich etwas mit der Hand mache, weiß ich, dass es richtig gemacht ist. Ich fühle mich noch nicht so wohl bei dieser anderen Weise, etwas zu tun. Irgendwie erscheint sie mir wie Betrug, wenn du verstehst, was ich meine.«
Belgarath seufzte. »Ich befürchtete schon, dass du es so sehen würdest.« Kopfschüttelnd straffte er die Schultern. »Also gut, dann lasst uns anfangen.«
Sie brauchten allein einen Monat, um Schutt und Unrat von drei Jahrtausenden aus dem Innern zu schaufeln, Tür- und Fensterstöcke zu erneuern und das Dach zu decken. Es hätte sogar doppelt so lange gedauert, hätte Belgarath nicht auf unverschämteste Weise geschummelt, wann immer Durnik ihm den Rücken zukehrte. Jede Form von anstrengender Arbeit erledigte er, wenn der Schmied nicht in der Nähe war. Wenn Durnik beispielsweise mit dem Wagen neues Bauholz holte, wartete Belgarath gerade so lange, bis er außer Sichtweite war, dann warf er die Axt von sich, mit der er mühsam einen Balken in Form hatte bringen sollen, blickte Botschaft ernst an und angelte in seinem Kittel nach der irdenen Flasche mit Bier, die er aus Polgaras Vorräten entwendet hatte. Er nahm einen tiefen Schluck und richtete dann die Kraft seines Willens auf den Balken. Ein wahrer Schneesturm von weißen Spänen stob in alle Richtungen. Sobald der Balken saubere Kanten hatte, blickte der alte Mann Botschaft wieder an, diesmal mit selbstzufriedenem Schmunzeln, und blinzelte ihm verschmitzt zu. Und Botschaft blinzelte zurück, ohne die Miene zu verziehen.
Dem Jungen war Zauberei nicht fremd. Zedar der Abtrünnige hatte sich ihrer bedient, und Ctuchik ebenfalls. Tatsächlich hatte der Junge sein ganzes noch kurzes Leben lang mit Leuten zu tun gehabt, die über magische Kräfte verfügten. Keiner der anderen hatte jedoch diese selbstverständliche, ja lässige Geschicklichkeit besessen, mit der Belgarath sich ihrer bediente. Die gleichmütige Art, mit der der Alte das Unmögliche so leicht erscheinen ließ, dass es kaum der Erwähnung wert war, verriet den wahren Meister. Botschaft wusste natürlich, wie es gemacht wurde. Niemand kann so viel Zeit mit Zauberern verbringen, ohne zumindest die Theorie zu erkennen. Die Leichtigkeit, mit der Belgarath Dinge geschehen ließ, brachte ihn in Versuchung, es selbst auszuprobieren. Doch jedes Mal, wenn er es in Erwägung zog, wurde ihm bewusst, dass es im Grunde genommen nichts gab, was er unbedingt tun wollte.
Was der Junge von Durnik lernte, war zwar alltäglicherer Art, aber trotzdem nicht weniger interessant. Botschaft erkannte bald, dass es so gut wie nichts gab, was der Schmied nicht mit seinen Händen zu tun vermochte. Er war mit nahezu jedem Werkzeug vertraut und konnte mit Holz und Stein genauso gut umgehen wie mit Eisen oder Messing. Mit gleicher Geschicklichkeit vermochte er ein Haus oder einen Stuhl oder ein Bett anzufertigen. Und während Botschaft ihm zusah, lernte er die Hunderte von kleinen Kniffen, die den Handwerker von Nichtfachleuten unterscheiden.
Polgara kümmerte sich um alles, was mit dem Haushalt zu tun hatte. Im Inneren der Zelte, in denen sie schliefen, während das Haus bewohnbar gemacht wurde, war es so sauber und ordentlich wie in einem richtigen Haus. Täglich lüftete sie die Betten, bereitete die Mahlzeiten zu, und jeden Tag hing frische Wäsche zum Trocknen im Freien. Einmal, als Belgarath gekommen war, um weiteres Bier zu stehlen oder von ihr zu erbitten, blickte er seine Tochter missbilligend an, die vergnügt vor sich hin summte, während sie trocknende Seife in Stücke schnitt.
»Pol«, sagte er dann unverblümt, »du bist die mächtigste Frau der Welt. Du kannst dich mit dem Titel einer Herzogin von Erat schmücken, und es gibt keinen König, der sich nicht vor dir verneigen würde. Könntest du mir erklären, weshalb du es für nötig erachtest, Seife auf diese Weise herzustellen? Es ist harte Arbeit, heiße Arbeit, und der Gestank ist grauenvoll.«
Polgara blickte ihren Vater ruhig an. »Ich habe Tausende von Jahren damit zugebracht, die mächtigste Frau der Welt zu sein, alter Wolf«, antwortete sie. »Könige haben sich Jahrhunderte vor mir verneigt, und ich kann mich noch nicht einmal mehr an alle mir zugesprochenen Titel erinnern. Doch jetzt bin ich zumersten Mal in meinem langen Leben verheiratet. Du und ich waren bisher immer zu beschäftigt, als dass ich es mir hätte leisten können. Ich wollte aber immer einmal verheiratet sein, und jetzt ist es so weit. Also mäkle nicht an mir herum, Vater, und, bitte, misch dich nicht ein. Ich war in meinem ganzen Leben noch nie so glücklich!«
»Beim Seifemachen?«
»Das gehört eben auch dazu, ja.«
»Es ist eine dermaßene Zeitverschwendung!« Er seufzte, machte eine lässige Handbewegung, und schon lag ein neues Stück Seife bei den anderen.
»Vater!« Sie stampfte verärgert mit dem Fuß auf. »Lass das bleiben – sofort!«
Er griff nach zwei Seifestücken, seinem und einem der ihren. »Kannst du wirklich den Unterschied zwischen ihnen erkennen, Pol?«
»Meines ist mit Liebe gemacht, deines mit einem Trick!«
»Trotzdem kriegt man die Wäsche damit ebenso sauber.«
»Nicht meine, ganz sicher nicht!« Sie nahm ein Seifenstück von seiner Hand, hielt es hoch und blies darauf. Sogleich war es verschwunden.
»Das ist kindisch, Pol!«
»Ja, und kindisches Verhalten scheint bei uns in der Familie zu liegen«, entgegnete sie ruhig. »Kehr du jetzt zu deiner Arbeit zurück, Vater, und überlass mich meiner.«
»Du bist fast so schlimm wie Durnik«, beklagte er sich.
Sie nickte mit einem zufriedenen Lächeln. »Ich weiß. Wahrscheinlich ist das der Grund, dass ich ihn geheiratet habe.«
»Komm mit, Botschaft«, sagte Belgarath zu dem Jungen und wandte sich zum Gehen. »Diese Art von Benehmen ist womöglich ansteckend, und ich möchte nicht, dass es dich auch noch erwischt.«
»Noch eines, Vater«, hielt Polgara ihn kurz zurück. »Bleib meinen Vorräten fern. Wenn du Bier willst, dann sag es mir einfach.«
Ohne sie einer Antwort zu würdigen, drehte Belgarath sich mit hochmütiger Miene um und schritt von dannen. Kaum waren sie außer Sichtweite, zog Botschaft eine braune Flasche aus seinem Kittel und überreichte sie ihm wortlos.
»Ausgezeichnet, mein Junge.« Belgarath grinste. »Siehst du, wie einfach es ist, wenn man erst ein bisschen Übung hat?«
Den ganzen Sommer hindurch und tief in den langen, goldenen Herbst hinein arbeiteten die vier daran, das Haus bewohnbar und winterfest zu machen. Botschaft half, so gut er konnte, doch meistens bestand seine Hilfe darin, einem der drei Gesellschaft zu leisten und nicht im Weg zu sein.
Mit dem ersten Schnee schien die Welt sich irgendwie zu verändern. Mehr noch als zuvor wurde das abgelegene Haus zu einer warmen, gemütlichen Zuflucht. Die große Stube, in der sie ihre Mahlzeiten zu sich nahmen und wo sie sich des Abends zusammensetzten, hatte einen riesigen steinernen Kamin, der sowohl für Wärme als auch Licht sorgte. Botschaft verbrachte, bis auf die wirklich bitterkalten Tage, die meiste Zeit im Freien. So war er an diesen heimeligen Abenden am goldenen Feuer, nach dem Abendessen und bis zum Zubettgehen, gewöhnlich schläfrig. Oft legte er sich auf den Fellvorleger vor dem Kamin und blickte in die tanzenden Flammen, und bald fielen ihm die Augen zu. Später erwachte er in der kühlen Dunkelheit seiner eigenen Kammer, die kuschelige Daunendecke bis zum Kinn hochgezogen. Da wusste er, dass Polgara ihn behutsam ins Bett getragen hatte, und mit einem glücklichen Seufzer schlief er weiter.
Durnik machte ihm einen Schlitten, und der lange Hügel ins Tal eignete sich großartig zum Rodeln. Der Schnee war nicht so tief, dass die Kufen in ihm steckengeblieben wären, und so schaffte Botschaft es durch die Abfahrtsgeschwindigkeit bis weit über die Wiese am Fuß des Hügels.
Der absolute Höhepunkt der Rodelzeit kam an einem beißend kalten Spätnachmittag, kurz nachdem die Sonne in ein Bett aus purpurnen Wolken am westlichen Horizont gesunken war und der Himmel sich zu einem blassen, eisigen Türkis gefärbt hatte. Botschaft stiefelte durch den harschigen Schnee bergauf und zog den Schlitten hinter sich her. Oben angekommen hielt er kurz zum Verschnaufen an und schaute ins kleine Tal hinab. Das strohgedeckte Haus kuschelte sich in den hohen Schnee. Goldenes Licht drang aus seinen Fenstern, und der bleiche Rauch aus dem Schornstein hob sich pfeilgerade in die stille Luft.
Lächelnd legte Botschaft sich auf seinen Schlitten und fuhr hinunter. Es waren ideale Rodelbedingungen, und kein Windhauch bremste seine schnelle Abfahrt. Er sauste über die ganze Wiese und auch noch zwischen den Bäumen hindurch. Die weißen Birken und dunklen Nadelbäume schossen an ihm vorbei. Er hätte es sogar noch weiter geschafft, wäre der Bach nicht im Weg gewesen. Aber selbst dieser Ausgang seiner Rodelpartie war aufregend, da das diesseitige Ufer mehrere Fuß hoch war und Botschaft mit seinem Schlitten in einem hohen Bogen anmutig über das dunkle Wasser segelte – und schließlich mit einem gewaltigen Platscher im Bach landete.
Polgara hatte ihm eine Menge zu sagen, als er bibbernd und mit gefrierenden Kleidern und Eiszapfen in den Haaren zu Hause ankam. Ihm war schon früher aufgefallen, dass Polgara dazu neigte, die Dinge zu dramatisieren. Sie beeilte sich, eine abscheulich schmeckende Medizin zu holen, die sie ihm sehr freigiebig einflößte. Dann zog sie ihm die froststarre Kleidung aus, während sie ihm eine Standpauke hielt. Sie hatte eine klare, gute Rednerstimme und einen wirklich beeindruckenden Wortschatz. Tonfall und Artikulation verliehen ihren Bemerkungen noch mehr Gewicht. Botschaft jedenfalls hätte eine kürzere, weniger erschöpfende Abhandlung seines Missgeschicks vorgezogen – vor allem, da Belgarath und Durnik, beide ohne großen Erfolg, ihr Grinsen zu verbergen suchten, während Polgara auf ihn einredete und ihn gleichzeitig mit einem großen, rauen Badetuch abrubbelte.
»Nun«, meinte Durnik, »zumindest braucht er diese Woche kein Bad mehr.«
Polgara hielt im Abtrocknen inne und wandte sich langsam zu ihrem Mann um. Ihr Blick war nicht wirklich drohend, aber ihre Augen wirkten äußerst frostig.
»Was hast du gesagt?«, fragte sie ihn.
»Äh – nichts, meine Liebe«, entgegnete er hastig. »Nicht wirklich.« Er blickte Belgarath etwas verlegen an und stand auf. »Ich hole mal besser mehr Brennholz.«
Polgara hob die Brauen, und ihr Blick wanderte zu ihrem Vater. »Nun?«
Dieser blinzelte jedoch nur und hatte eine Unschuldsmiene aufgesetzt. Ihr Gesichtsausdruck änderte sich nicht, aber das Schweigen wurde drückend, ja unheilschwanger.
»Warte, Durnik«, sagte der Alte schließlich. »Ich helfe dir besser.« Damit erhob er sich und eilte ebenfalls hinaus, und Botschaft war allein mit Polgara.
Sie wandte sich wieder ihm zu. »Du bist den ganzen Berg heruntergerodelt?«, fragte sie nun mit völlig ruhiger Stimme. »Und über die ganze Wiese?«
Er nickte.
»Und dann durch den Wald?«
Wieder nickte er.
»Und dann über das Ufer und in den Bach?«
»Ja«, gestand er.
»Ich nehme an, du bist nicht auf die Idee gekommen, vom Schlitten zu springen, bevor er das Ufer erreicht hat?«
Botschaft war kein redseliger Junge, aber er befürchtete, dass er jetzt wohl doch ein paar erklärende Worte sagen musste. »Nun«, begann er,»ich habe wirklich nicht daran gedacht abzuspringen – aber ich glaube, ich hätte es auch nicht getan, wenn ich daran gedacht hätte.«
»Ich bin sicher, du kannst mir das erklären.«
Er blickte sie ernst an. »Alles ist bis dahin so großartig gegangen – nun, da hätte ich es nicht richtig gefunden aufzuhören, bloß weil es anfing, ein bisschen schiefzugehen.«
Nach einer langen Pause sagte sie mit ernster Miene: »Ich verstehe. Dann war es also eine Art Ehrensache – dass du mit dem Schlitten bis zum Ende gefahren bist, das nun einmal der Bach war?«
»Ich glaube, so könnte man es ausdrücken, ja.«
Sie blickte ihn einen Moment fest an, dann vergrub sie das Gesicht in den Händen. »Ich bin nicht ganz sicher, ob ich die Kraft habe, das alles noch einmal durchzumachen«, sagte sie düster.
»Was durchmachen?«, erkundigte er sich leicht erschrocken.
»Garion großzuziehen, der heute als König in Riva herrscht, war schon fast zu viel für mich«, antwortete sie. »Doch nicht einmal er hätte mir in so einem Moment einen unlogischeren Grund nennen können.«
Dann sah sie ihn liebevoll an und schlang die Arme um ihn. »Ach, Botschaft!«, sagte sie und drückte ihn lachend an sich. Und alles war wieder gut.
2
Belgarath schob die Rückkehr zu seinem Turm im Aldurtal bis zum Frühjahr auf, und so erlebte Botschaft aus nächster Nähe die unzähligen, hoch komplexen Wortgefechte zwischen Vater und Tochter, die die friedliche Stille des Tals unterbrachen.
Natürlich konnte man dem Zauberer durchaus ein paar Charakterschwächen nachsagen. Beispielsweise war er nie ein Freund körperlicher Anstrengung gewesen, dafür aber ein umso größerer von dunklem Bier. Mit der Wahrheit ging er ebenfalls immer mal wieder relativ sorglos um, und mit dem Eigentumsrecht nahm er es auch nicht so genau. Und niemand, egal wie wohlwollend er sich über den alten Mann zu berichten bemühte, hätte behaupten können, er würde sich immer und jederzeit einer gewählten Sprache bedienen.
Seine Tochter Polgara dagegen war eine Frau von schier unmenschlicher Entschlossenheit, und sie hatte sich mehrere tausend Jahre lang bemüht, ihren unsteten Vater zu bessern, bedauerlicherweise ohne merklichen Erfolg. Obgleich es aussichtslos erschien, gab sie dennoch nicht auf. Jahrhundertelang hatte sie unerschütterlich gegen seine schlechten Angewohnheiten angekämpft. Unwillig hatte sie nachgegeben, was seine Faulheit und Schlampigkeit betraf; widerstrebend, soweit es um sein Fluchen und Lügen ging. Eisern blieb sie dagegen, obwohl sie wiederholt den Kürzeren gezogen hatte, wenn es ums Saufen, Stehlen und Huren ging. Aus irgendeinem Grund hielt sie es für ihre Pflicht, ihn deswegen immer wieder unerbittlich ins Gebet zu nehmen. Wahrscheinlich lag es einfach daran, dass sie eine Familie waren. Dass sie zusammengehörten.
Polgara war imstande, ungemein spitze Bemerkungen über den alten Zauberer zu machen, der ihrer Ansicht nach nur in ihrer Küche herumlungerte und sich mit gleicher Unersättlichkeit an ihrem Feuer vergnügte wie an dem gut gekühlten Bier aus ihrem Vorratskeller. Und Belgaraths geschmeidige Ausweichmanöver bewiesen eine in Jahrhunderten entwickelte Routine. Botschaft durchschaute jedoch diese bissigen Bemerkungen und unerschütterlichen Antworten. Das Band zwischen Belgarath und seiner Tochter war stark, und zwar in einem Maß, das andere sich nicht einmal hätten vorstellen können. So hatten sie es im Lauf der unzähligen Jahre für nötig befunden, ihre grenzenlose Liebe zueinander hinter dieser Fassade endloser Streitereien zu verbergen. Das sollte nicht heißen, dass Polgara sich nicht vielleicht einen aufrechteren Vater gewünscht hätte, aber sie war keineswegs so enttäuscht von ihm, wie ihre Bemerkungen manchmal vermuten ließen.
Sie beide wussten, weshalb Belgarath den ganzen Winter in Poledras Haus mit seiner Tochter und deren Mann verbrachte. Obgleich darüber kein Wort fiel, war ihnen klar, dass die Erinnerungen des alten Mannes an dieses Haus verändert werden mussten – nicht völlig gelöscht, denn keine Macht der Welt hätte Belgaraths Erinnerung an seine Frau zu löschen vermocht – wohl aber so verändert, dass das strohgedeckte Haus den Alten auch an die glücklichen Stunden erinnerte, die er hier zugebracht hatte, ehe Poledra gestorben war, nicht nur an ihren Tod.
Nachdem eine Woche warmer Frühlingsregen den Schnee geschmolzen hatte und der Himmel wieder blau war, beschloss Belgarath, seine unterbrochene Reise fortzusetzen.
»Es wartet nichts wirklich Dringendes auf mich«, gab er zu, »aber ich möchte nach Beldin und den Zwillingen sehen, und es ist ein guter Moment, um einen Frühjahrsputz in meinem Turm zu machen. Ich fürchte, das habe ich seit ein paar Jahrhunderten immer wieder hinausgeschoben.«
»Wenn du möchtest, kommen wir mit«, schlug Polgara vor. »Immerhin hast du uns hier geholfen – vielleicht nicht gerade mit Begeisterung, aber das spielt ja keine Rolle. Also halte ich es nur für gerecht, dass wir dir jetzt beim Frühjahrsputz helfen.«
»Vielen Dank, Polgara«, lehnte er freundlich, aber bestimmt ab. »Deine Vorstellung vom Saubermachen ist etwas zu drastisch für meinen Geschmack. Dinge, die sich möglicherweise später als wichtig erweisen, landen bei dir im Müll. Solange in der Mitte eines Gemachs genug Platz ist, ist es sauber genug für mich.«
»Oh Vater«, sagte sie lachend. »Du wirst dich nie ändern!«
»Natürlich nicht«, erwiderte er. Er blickte nachdenklich auf Botschaft, der still sein Frühstück aß. »Aber wenn ihr nichts dagegen habt, nehme ich den Jungen mit.«
Sie bedachte ihn mit einem seltsamen Blick.
Belgarath zuckte defensiv die Schultern. »Ich freue mich über Gesellschaft, und vielleicht gefällt es ihm ja auch, mal woanders zu sein. Außerdem wart ihr, du und Durnik, seit ihr verheiratet seid, noch nie wirklich allein. Nennt es ein verspätetes Hochzeitsgeschenk, wenn ihr wollt.«
Sie sah ihn noch immer an. »Danke, Vater«, sagte sie nur, und ihre Augen waren plötzlich warm und voll Liebe.
Fast verlegen wandte Belgarath den Blick ab. »Willst du deine Sachen haben? Die aus dem Turm, meine ich. Im Lauf der Jahre hast du dort eine Menge Kisten und Truhen abgestellt. Soll ich sie dir bringen?«
»Es wäre schön, sie hier zu haben, Vater.«
»Und ich kann den Platz brauchen«, entgegnete er. Plötzlich lächelte er sie an.
Ein wenig besorgt erwiderte sie sein Lächeln. »Du wirst doch auf den Jungen aufpassen, versprichst du mir das? Ich weiß, dass du manchmal geistesabwesend bist, wenn dich etwas beschäftigt.«
»Es wird ihm gut gehen bei mir«, beruhigte er sie.
Und so schwang Belgarath sich am nächsten Morgen auf seine Stute, und Durnik hob den Jungen hinter ihm aufs Pferd.
»Ich bringe ihn in ein paar Wochen nach Hause«, versprach Belgarath. »Oder zumindest bis zur Sonnenwende.« Er beugte sich hinunter und schüttelte Durnik die Hand. Dann lenkte er sein Pferd gen Süden.
Die Luft war immer noch kühl, obwohl die Frühlingssonne hell schien. Ein Geruch nach Grün und beginnendem Wachstum hing in der Luft, und Botschaft, der bester Laune auf dem Pferderücken saß, spürte Aldurs Gegenwart, als sie tiefer ins Tal kamen. Er wurde sich ihrer auf eine ruhige, sanfte Art bewusst, und der überwältigende Wunsch, mehr zu wissen, überkam ihn. Die Anwesenheit des Gottes hier war kein vages, übersinnliches Phänomen, sondern eindringlich, fast mit Händen greifbar.
Hinab ins Tal ritten sie im Schritt durch das hohe, wintergebräunte Gras. Weit ausladende Bäume reckten unten ihre Kronen dem Himmel entgegen und richteten die Spitzen ihrer Zweige auf, damit die Knospen die sanfte Liebkosung der sonnengewärmten Luft empfangen konnten.
»Nun, Junge?«, fragte Belgarath, nachdem sie etwa eine Meile geritten waren.
»Wo sind die Türme?«, fragte Botschaft.
»Noch ein Stück entfernt. Woher weißt du von ihnen?«
»Du hast dich mit Polgara darüber unterhalten.«
»Lauschen ist eine schlimme Angewohnheit, Botschaft.«
»War es ein privates Gespräch?«
»Nein, wohl nicht.«
»Dann kann man es doch nicht Lauschen nennen, so wie du das Wort gemeint hast, oder?«
Belgarath drehte scharf den Kopf und schaute über die Schulter auf den Jungen. »Das ist eine feine Unterscheidung, und ich finde es für jemanden deines Alters erstaunlich, dass du sie treffen kannst. Wie bist du zu dem Schluss gekommen?«
Botschaft zuckte die Schultern. »Es ist mir nur gerade eingefallen. Weiden sie hier immer so?« Er deutete auf eine Schar von etwa zwölf Rehen, die friedlich in der Nähe ästen.
»Jedenfalls solange ich mich erinnern kann. Es liegt an Aldurs Gegenwart, dass die Tiere einander in Ruhe lassen.«
Sie kamen an zwei schlanken Türmen vorbei, die eine ungewöhnliche, fast luftige Bogenbrücke miteinander verband. Belgarath erzählte Botschaft, dass sie Beltira und Belkina gehörten, den Zwillingszauberern, deren Geist so eins war, dass stets der eine den Satz des anderen beendete.
Eine kurze Weile später ritten sie an einem weiteren Turm vorbei. Er war so fein aus Rosenquarz erbaut, dass er wie ein Edelstein in der sonnenhellen Luft zu schweben schien. Dieser Turm, erklärte Belgarath, gehörte dem buckligen Beldin, der seine eigene Hässlichkeit mit einer so exquisiten Schönheit umgab, dass ihr Anblick einem den Atem raubte.
Schließlich erreichten sie Belgaraths eigenen Turm, der gedrungen und zweckmäßig wirkte.
»Wir sind am Ziel«, sagte der Alte, und sie saßen ab. »Gehen wir hinauf.«
Der Raum ganz oben im Turm war riesig, rund und vollgestopft. Entmutigt ließ Belgarath den Blick einmal rundum schweifen. »Dazu brauchen wir Wochen!«, murmelte er.
Vieles in diesem Gemach interessierte Botschaft, aber er wusste, dass ihm Belgarath in seiner gegenwärtigen Stimmung nicht viel zeigen oder erklären würde. So hielt er Ausschau nach der Feuerstätte und griff, als er sie gefunden hatte, nach einer mit Grünspan überzogenen Messingkelle und einem kurzen Besen und kniete sich vor die riesige, rußige Öffnung.
»Was machst du da?«, fragte Belgarath.
»Durnik sagt, wenn man an einem neuen Ort ist, soll man sich als Erstes um den Platz kümmern, wo man Feuer machen kann.«
»Oh, sagt er das?«
»Das macht gewöhnlich nicht viel Arbeit – aber wenn man erst einmal damit angefangen hat, sieht auch der Rest nicht mehr so schlimm aus. Durnik ist in solchen Dingen sehr weise. Hast du einen Eimer oder eine Aschenkiste?«
»Du bestehst darauf, den Herd zu säubern?«
»Nun, wenn es dir nichts ausmacht. Er ist wirklich ziemlich schmutzig, findest du nicht?«
Belgarath seufzte. »Und schon haben Polgara und Durnik dich verdorben, Junge. Ich habe ehrlich versucht, dich zu retten, aber letztendlich siegt doch immer der schlechte Einfluss.«
»Ich vermute, du hast recht«, bestätigte Botschaft friedfertig. »Wo, sagtest du, ist der Eimer?«
Bis zum Abend hatten sie einen Halbkreis um den Herd freigeräumt und dabei zwei Sofas, mehrere Sessel und Stühle und einen festen Tisch freigelegt.
»Du hast wohl nicht zufällig auch irgendwas Essbares eingelagert?«, fragte Botschaft hungrig. Sein Magen verriet ihm, dass es bald Abendessenszeit war.
Belgarath blickte von der Schriftrolle hoch, die er soeben unter einer Couch hervorgeangelt hatte. »Was? Ach so, das hätte ich doch fast vergessen! Wir besuchen die Zwillinge, sie haben bestimmt was auf dem Herd.«
»Wissen sie denn, dass wir kommen?«
Belgarath zuckte die Schultern. »Das spielt wirklich keine Rolle, Botschaft. Du musst lernen, wozu Freunde und Familie gut sind: dass man sich ihnen aufdrängt. Eine der Hauptregeln, wenn du, ohne dich zu überanstrengen, durchs Leben kommen willst, besteht darin, auf Freunde und Verwandte zurückzugreifen, wenn alles andere versagt.«
Die Zwillingszauberer Beltira und Belkira waren höchst erfreut über den Besuch der beiden. Das »Irgendwas auf dem Herd« erwies sich als ein köstlicher Eintopf, der mindestens so gut war wie einer von Polgaras. Als Botschaft das erwähnte, blickte Belgarath ihn belustigt an. »Von wem, glaubst du wohl, hat sie das Kochen gelernt?«
Erst mehrere Tage später, als der Hausputz von Belgaraths Turm so weit fortgeschritten war, dass der Fußboden zum ersten Mal seit Jahrhunderten geschrubbt werden konnte, besuchte Beldin sie.
»Was machst du, Belgarath?«, erkundigte sich der Bucklige. Beldin war sehr klein, in Lumpen gekleidet und so knorrig wie ein alter Eichenstumpf. Haar und Bart waren verfilzt, und da und dort klebte Stroh an ihm.
»Nur ein bisschen Reinemachen«, antwortete Belgarath fast verlegen.
»Wozu?«, brummte Beldin. »Es wird ja doch bloß wieder dreckig.« Er sah ein paar uralte Knochen an der Wand liegen. »Was du tun solltest, ist mehr Vorräte für Suppe auf deinem Boden zu lagern!«
»Bist du gekommen, um uns zu besuchen, oder bloß, um dich mit mir anzulegen?«
»Ich habe Rauch aus deinem Schornstein aufsteigen sehen. Da wollte ich nachschauen, ob jemand da ist oder ob dein Gerümpel von allein in Flammen aufgegangen ist.«
Botschaft wusste, dass Belgarath und Beldin sich ehrlich mochten und dieses Geplänkel die von ihnen bevorzugte Art von Unterhaltung war. Er machte mit seiner Arbeit weiter, hörte jedoch nebenbei zu.
»Willst du ein Bier?«
»Nicht, wenn du es gebraut hast«, antwortete Beldin in ebenso unfreundlichem Ton. »Man sollte wirklich meinen, dass einer, der so viel säuft wie du, inzwischen gelernt haben müsste, wie man anständiges Bier macht!«
»Das letzte Fass war doch recht gut!«, protestierte Belgarath.
»Ich habe schon besseres Abwaschwasser getrunken.«
»Heute kriegst du jedenfalls gutes. Ich habe mir dieses Fass von den Zwillingen ausgeborgt.«
»Wissen sie davon?«
»Was spielt das schon für eine Rolle? Wir teilen sowieso alles miteinander.«
Beldin zog eine struppige Braue hoch. »Sie teilen ihr Essen und Trinken mit dir, und du teilst deinen Appetit und Durst mit ihnen. So geht es wohl auch.«
»Natürlich geht es so.« Belgarath machte ein leicht gequältes Gesicht. »Botschaft«, wandte er sich dann an den Jungen, »musst du das tun?«
Botschaft schaute von den Fliesen auf, die er hingebungsvoll schrubbte. »Stört es dich?«
»Und ob es mich stört! Weißt du denn nicht, dass es schrecklich unhöflich von dir ist, wenn du weiterarbeitest, während ich mich ausruhe?«
»Ich werde versuchen, in Zukunft daran zu denken. Wie lange hast du vor, dich auszuruhen?«
»Leg endlich die Bürste weg, Botschaft. Dieser Boden ist seit mindestens einem Dutzend Jahrhunderten schmutzig, da kann er es ruhig noch einen Tag länger bleiben.«
»Er ist sehr wie Belgarion, nicht wahr?«, meinte Beldin und ließ sich in einen Sessel am Feuer fallen.
»Das liegt vermutlich an Polgaras Einfluss«, brummte Belgarath und zapfte zwei Krüge voll. »Sie hinterlässt ihre Spuren an jedem Jungen, mit dem sie zu tun hat. Ich bemühe mich jedoch ehrlich, die Folgen ihrer Vorurteile so gut wie möglich zu mildern.« Er blickte Botschaft ernst an. »Ich glaube, der da ist klüger, als Garion war. Aber ihm fehlt offenbar Garions Abenteuergeist – und er ist ein kleines bisschen zu gut erzogen.«
»Ich bin sicher, du arbeitest schon daran, das zu ändern.«
Belgarath machte es sich in einem anderen Sessel bequem und streckte die Füße dem Feuer entgegen. »Was hast du gemacht? Ich habe dich seit Garions Vermählung nicht mehr gesehen.«
»Ich dachte, jemand sollte ein Auge auf die Angarakaner haben«, antwortete Beldin und kratzte sich heftig in einer Achselhöhle.
»Und?«
»Und was?«
»Das ist eine aufreizende Angewohnheit, die du seit Neuestem hast. Was machen die Angarakaner?«
»Die Murgos sind noch völlig erschüttert über Taur Urgas‘ Tod.« Beldin lachte. »Er war zwar völlig wahnsinnig, aber er hat sie zusammengehalten – bis Cho-Hag ihn mit dem Säbel durchbohrte. Sein Sohn Urgit taugt als König nicht viel, kaum dass sie auf ihn hören. Bei den westlichen Grolim geht überhaupt nichts mehr. Ctuchik ist tot, Torak ist tot, und den Grolim bleibt nichts anderes, als von alten Zeiten zu träumen. Ich würde sagen, die Murgogesellschaft ist im Begriff, völlig auseinanderzufallen!«
»Gut! Mit den Murgos aufzuräumen, war bisher eines der Hauptziele meines Lebens.«
»Ich würde mich nicht zu früh freuen«, sagte Beldin finster. »Als ’Zakath von Belgarions Sieg über Torak erfahren hat, gab er das Märchen von der Einigkeit der Angarakaner auf und marschierte mit seinen Malloreanern gegen Rak Goska. Viel hat er davon nicht übriggelassen.«
Belgarath zuckte die Schultern. »Eine besonders schöne Stadt war es sowieso nicht.«
»Jetzt ist sie es noch viel weniger. ’Zakath hält Kreuzigungen und Pfählungen für lehrreich. Was von Rak Goskas Mauern übrig ist, hat er mit den Beispielen seines Anschauungsunterrichts geziert. Wohin auch immer er in Cthol Murgos zieht, er hinterlässt eine deutliche Spur aus besetzten Kreuzen und Pfählen.«
»Ich stelle fest, dass ich das Unglück der Murgos mit Fassung tragen kann«, erklärte Belgarath salbungsvoll.
»Ich glaube, du solltest die Dinge realistischer sehen, Belgarath«, knurrte der Bucklige. »Wir könnten wahrscheinlich ebenso viele Mann auf die Beine bringen wie die Murgos, wenn es notwendig sein sollte, aber man redet nicht ohne Grund von den ›zahllosen Horden des grenzenlosen Mallorea‹. ’Zakath befiehlt über ein sehr großes Heer, außerdem hat er die meisten Hafenstädte an der Ostküste in der Hand und kann so viele weitere Truppen auf dem Seeweg herbeischaffen, wie er nur will. Wenn es ihm gelingt, die Murgos auszurotten, wird er im Süden unmittelbar vor unseren Toren lagern. Und zwar mit einer Menge Soldaten, denen langweilig ist. Bestimmt werden ihm da gewisse Ideen kommen.«
Belgarath brummte: »Darüber mache ich mir Sorgen, wenn es wirklich so weit ist.«
»Oh, übrigens«, sagte Beldin plötzlich mit ironischem Grinsen, »ich habe herausgefunden, was der Apostroph vor seinem Namen bedeutet.«
»Wessen Namen?«
»’Zakaths. Würdest du glauben, dass es für ›Kal‹ steht?«
»Kal Zakath?« Belgarath starrte ihn tatsächlich ungläubig an.
»Ist das nicht eine ungeheure Unverschämtheit?« Beldin lachte. »Ich nehme an, die malloreanischen Kaiser sehnen sich insgeheim schon seit der Schlacht von Vo Mimbre nach diesem Titel, aber sie hatten wohl immer Angst, Torak würde aufwachen und sich über ihre Anmaßung empören. Nun, da er tot ist, haben eine Menge Malloreaner angefangen, ihren Herrscher ›Kal Zakath‹ zu nennen – zumindest die, die ihren Kopf behalten wollen!«
»Was bedeutet denn ›Kal‹?«, erkundigte sich Botschaft.
»Es ist ein angarakanisches Wort für König und Gott«, erklärte Belgarath. »Vor fünfhundert Jahren hat Torak den Kaiser von Mallorea abgesetzt und höchstpersönlich seine Horden gegen den Westen geführt. Die Angarakaner – alle, die Murgos, Nadraker, Thulls, genau wie die Malloreaner – nannten ihn Kal Torak.«