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Der große Klassiker der heroischen Fantasy – Band 3 der beliebten Malloreon-Saga als überarbeitete Neuausgabe.
Die Jagd nach der Entführerin seines Sohnes führt Garion und seine Gefährten auf den Kontinent Mallorea, wo die Diener des Gottes der Finsternis bereits auf sie warten. Garion will seinem Sohn natürlich so schnell wie möglich folgen. Doch im Land Karanda treffen sie auf eine neue Bedrohung. Selbst die Götter sind erschüttert, welchen Schrecken die Schergen der Finsternis auf die Welt losgelassen haben – einen Dämonenherrscher!
Heroische Fantasy mit jungem Helden – die New-York-Times-Bestsellerserie von David Eddings revolutionierte das Genre.
Die Malloreon-Saga - in überarbeiteter Neuausgabe und moderner Neuausstattung bei Blanvalet.
1. Die Herren des Westens
2. Der König der Murgos
3. Der Dämon von Karanda
4. Die Zauberin von Darshiva
5. Die Seherin von Kell
Die Malloreon-Saga ist eigenständig und ohne Kenntnis der Belgariad-Saga lesbar.
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Seitenzahl: 579
Buch
Die Jagd nach der Entführerin seines Sohnes führt Garion und seine Gefährten auf den Kontinent Mallorea, wo die Diener des Gottes der Finsternis bereits auf sie warten. Garion will seinem Sohn natürlich so schnell wie möglich folgen. Doch im Land Karanda treffen sie auf eine neue Bedrohung. Selbst die Götter sind erschüttert, welchen Schrecken die Schergen der Finsternis auf die Welt losgelassen haben – einen Dämonenherrscher!
Autor
David Eddings wurde 1931 in Spokane im US-Bundesstaat Washington geboren. Während seines Dienstes für die US-Streitkräfte erwarb er einen Bachelor of Arts und einige Jahre darauf einen Master of Arts an der University of Washington. Bevor er 1982 seinen ersten großen Roman, »Belgariad – Die Gefährten«, veröffentlichte, arbeitete er für den Flugzeughersteller Boeing. Den Höhepunkt seiner Autorenkarriere erreichte er, als der Abschlussband seiner Malloreon-Saga Platz 1 der »New York Times«-Bestsellerliste erreichte. Im Jahr 2009 starb er in Carson City, Nevada.
Die Belgariad-Saga:
1. Die Gefährten
2. Der Schütze
3. Der Blinde
4. Die Königin
5. Der Ewige
Die Malloreon-Saga:
1. Die Herren des Westens
2. Der König der Murgos
3. Der Dämon von Karanda
4. Die Zauberin von Darshiva
5. Die Seherin von Kell
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David Eddings
Malloreon
Der Dämon von Karanda
Roman
Deutsch von Lore Strassl
Die Originalausgabe erschien 1988 unter dem Titel »Demon Lord of Karanda (Malloreon 3)« bei DelRey, New York.
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Copyright der Originalausgabe © 1988 by David Eddings
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2022 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München
Copyright der deutschsprachigen Übersetzung by Lore Strassl, vermittelt durch Jörg Munsonius/Literaturagentur/Edition Bärenklau
Redaktion: Waltraud Horbas
Umschlaggestaltung: Isabelle Hirtz unter Verwendung einer Illustration von Andreas Rocha
Karten: © Andreas Hancock
HK · Herstellung: sam
Satz: Vornehm Mediengestaltung GmbH, München
ISBN 978-3-641-27215-9V001
www.blanvalet.de
Karte 1
Karte 2
Für Patrick Janson-Smith,einen besonders lieben Freund,vom Autor, seiner Frau und Fatso
Prolog
Dies ist eine kurze Geschichte Malloreas und seiner Völker
Auszug aus Die Chroniken von Angarak
(Verlag der Universität von Melcene)
Alten Überlieferungen zufolge befand sich die ursprüngliche Heimat der Angarakaner an der Südküste des heutigen Dalasien. In jener Zeit bediente sich Torak, der Drachengott der Angarakaner, der Macht des Steines Cthrag Yaska zur »Spaltung der Welt«, wie es nun genannt wird. Die Erde öffnete sich, Magma quoll hervor, und Wasser aus dem Meer des Südens drang ein. So bildete sich das Meer des Ostens. Dieser kataklysmische Vorgang dauerte Jahrzehnte, bis die Welt allmählich ihre gegenwärtige Form angenommen hatte.
Infolge dieser Weltspaltung sahen sich die Alorner und ihre Verbündeten gezwungen, sich auf den unerforschten Westkontinent zurückzuziehen, und die Angarakaner flohen in die Wildnis von Mallorea.
In seiner Empörung darüber, missbraucht worden zu sein, hatte der Stein Torak verstümmelt und entstellt, und die Grolimpriester wurden von Angst überwältigt. So fiel die Führerschaft zwangsläufig an das Militär. Bis es den Grolim gelang, wieder Mut zu fassen, war die Regierung fest in der Hand der Generäle. Die Priester errichteten, da sie die Oberherrschaft verloren hatten, ein Gegenzentrum der Macht in Mal Yaska, in den Ausläufern des Karandesegebirges.
Zu diesem Zeitpunkt griff Torak ein, um einen Krieg zwischen Priesterschaft und Militär zu verhindern. Doch er ging nicht gegen das Hauptquartier des Militärs in Mal Zeth vor, sondern zog mit einem Viertel der Bevölkerung in den äußersten Nordwesten von Altmallorea, um die heilige Stadt Cthol Mishrak zu erbauen. Dort ließ er sich nieder und war so darin vertieft, die Macht über den Cthrag Yaska zu erlangen, dass er nicht bemerkte, wie bei einem Großteil des Volkes die frühere Hinwendung zu religiösen Dingen schwand. Jene bei ihm in Cthol Mishrak waren hauptsächlich hysterische Fanatiker unter der strengen Leitung seiner drei Jünger, Zedar, Ctuchik und Urvon. Diese drei sorgten dafür, dass die alte Gesellschaftsform in Cthol Mishrak unangetastet blieb, während sich der Rest von Angarak veränderte.
Als Torak die fortgesetzten Streitigkeiten zwischen Kirche und Militär zu Ohren kamen, befahl er das Oberkommando des Militärs und die Grolimhierarchie nach Cthol Mishrak und erteilte seine Befehle auf eine Weise, die keinen Widerspruch duldete. Von Mal Yaska und Mal Zeth abgesehen, sollten alle Städte und Bezirke gemeinsam von Militär und Priesterschaft regiert werden. Hierarchie und Oberkommando bereinigten sogleich ihre Meinungsverschiedenheiten und kehrten in ihre separaten Enklaven zurück. Dieser aufgezwungene Frieden gab den Generälen Zeit, ihre Aufmerksamkeit den anderen Völkern von Mallorea zuzuwenden.
Der Ursprung dieser Völker ist nebelhaft, außer der von dreien, die bereits vor den Angarakanern auf diesem Kontinent gelebt hatten: die Dalaser im Südwesten, die Karandeser im Norden und die Melcener im Osten. Den Karandesern wandte das Militär sich zu.
Die Karandeser waren ein kriegerisches Volk ohne Interesse für die Feinheiten der Zivilisation. Sie lebten in einfachen Städten, wo die Schweine sich frei auf den schlammigen Straßen suhlten. Der Überlieferung nach waren die Karandeser mit den Morindim des fernen Nordens von Gar og Nadrak verwandt. Beide Völker fühlten sich zur Dämonenbeschwörung hingezogen.
Anfang des zweiten Jahrtausends waren karandesische Räuberbanden zum ernsten Problem entlang der Ostgrenze geworden, und die angarakanische Armee stieß nun zum westlichen Rand des karandesischen Königreichs Pallia vor. Die Stadt Rakand im Südwesten von Pallia wurde gebrandschatzt, und man nahm die Bewohner gefangen.
Zu diesem Zeitpunkt wurde die größte Entscheidung in der Geschichte Angaraks getroffen. Während sich die Grolim auf eine Orgie von Menschenopfern vorbereiteten, hielten die Generäle inne. Sie wollten Pallia nicht besetzen, allein schon wegen der Verbindungsschwierigkeiten bei einer so großen Entfernung. Sie hielten es für wesentlich besser, Pallia unter Angaraks Oberherrschaft zu stellen und Tribut zu erheben, als ein entvölkertes Gebiet zu besetzen. Die Grolim waren empört, doch die Generäle hielten eisern an ihrem Entschluss fest. Schließlich einigten sie sich, die Entscheidung Torak zu überlassen.
Es war keineswegs überraschend, dass der Gott dem Oberkommando recht gab; denn wenn die Karandeser bekehrt werden konnten, würde sich nicht nur die Anhängerschaft seiner Kirche fast verdoppeln, sondern auch die Stärke seiner Armee, was von großem Vorteil bei einer zukünftigen Auseinandersetzung mit den Königen des Westens wäre.
»Jeder in dem grenzenlosen Mallorea wird sich vor mir beugen und mich anbeten«, sagte er zu seinen widerstrebenden Missionaren. Und um sich ihres Eifers zu versichern, sandte er Urvon nach Mal Yaska, um die Bekehrung der Karandeser zu beaufsichtigen. Urvon richtete sich dort als weltliches Oberhaupt der malloreanischen Kirche mit einem Pomp und Luxus ein, der den asketischen Grolim bisher fremd gewesen war.
Die Armee zog danach auch gegen Katakor, Jenno und Delchin. Die Missionare hatten jedoch wenig Glück, da die karandesischen Magier Horden von Dämonen gegen sie beschworen. Urvon kehrte schließlich nach Cthol Mishrak zurück, um sich mit Torak zu besprechen. Es ist nicht bekannt, was Torak tat, doch die karandesischen Zauberer mussten alsbald feststellen, dass ihre bisher so wirksamen Bannsprüche, mit denen sie sich die Dämonen untertan gemacht hatten, ihre Kraft verloren. Ein Magier, der nun noch Dämonen beschwor, brachte sein Leben und seine Seele in Gefahr.
Die Unterwerfung Karandas beschäftigte Militär und Priesterschaft die nächsten Jahrhunderte, bis schließlich der Widerstand brach. Karanda wurde dem Reich unterstellt, doch seine Völker galten als minderwertig.
Als die Armee an dem mächtigen Strom Magan entlang gegen das Melcenische Reich vorrückte, stieß es auf ein kulturell und technologisch überlegenes Volk. In mehreren für Angarak katastrophalen Schlachten vernichteten melcenische Streitwagen und Elefantenreiterei ganze Bataillone. Die Angarakaner gaben ihre Absicht auf, und ihre Generäle machten ein Friedensangebot. Zu ihrem Erstaunen gingen die Melcener sofort darauf ein und erklärten sich bereit, die Beziehungen zu normalisieren. Sie boten ihnen einen Tauschhandel mit Pferden an, an denen es den Angarakanern mangelte. Einen Verkauf von Elefanten zogen sie jedoch nicht einmal in Erwägung.
Daraufhin wandte sich die Armee Dalasien zu, das leicht zu erobern war. Die Dalaser waren einfache Bauern und Hirten ohne kriegerische Neigung. Die Angarakaner zogen in Dalasien ein und errichteten während der nächsten zehn Jahre Militärprotektorate. Zunächst schien die Priesterschaft ebenso erfolgreich zu sein. Die Dalaser nahmen lammfromm die angarakanische Religion an. Doch sie waren ein mystisches Volk, und die Grolim erkannten bald, dass die Macht der Hexen, Seher und Propheten ungebrochen blieb. Außerdem machten Exemplare der berüchtigten Malloreanischen Evangelarien unter den Dalasern heimlich die Runde.
Es wäre den Grolim vielleicht mit der Zeit gelungen, die geheime dalasische Religion auszumerzen. Doch es kam zu einem Zwischenfall, der das Leben der Angarakaner für immer verändern sollte. Irgendwie gelang es dem legendären Zauberer Belgarath mithilfe dreier Alorner, alle Sicherheitsvorkehrungen zu umgehen, des Nachts unbemerkt einzudringen und aus dem Turm Toraks im Zentrum Cthol Mishraks den Cthrag Yaska zu stehlen. Obwohl die vier verfolgt wurden, glückte ihnen die Rückkehr mit dem Stein in den Westen.
In wilder Wut zerstörte Torak seine Stadt. Dann schickte er die Murgos, Thulls und Nadraker zur Westküste des Meeres des Ostens. Über eine Million Menschen verlor bei der Überquerung der nördlichen Landbrücke das Leben, und es dauerte lange, bis sich die Gesellschaft und Kultur der Angarakaner erholte.
Nach diesem Auszug und der Vernichtung Cthol Mishraks war Torak kaum noch ansprechbar. Er brütete über den verschiedensten Plänen, wie er der wachsenden Macht der westlichen Königreiche Einhalt gebieten könnte. Die Unaufmerksamkeit des Gottes gab dem Militär Zeit, seine nun so gut wie totale Herrschaft über Mallorea und die unterworfenen Königreiche zu nutzen.
Viele Jahrhunderte hielt der unsichere Frieden zwischen Angarakanern und Melcenern an, der nur dann und wann durch kleinere Feldzüge unterbrochen wurde, in denen jedoch beide Seiten vermieden, ihre vollen Kräfte einzusetzen. Schließlich trafen die beiden Völker das Übereinkommen, die Kinder der Führer jeweils von den Führern der anderen Seite erziehen zu lassen. Daraus entwickelte sich ein besseres Verständnis für die jeweils andere Kultur und eine Gemeinschaft kosmopolitischer Jugendlicher. Dieses System wurde für die herrschende Klasse des Malloreanischen Reiches beibehalten.
Ein solcher Jugendlicher war Kallath, der Sohn eines hohen angarakanischen Offiziers. Er wuchs in Melcene auf und wurde, als er wieder nach Mal Zeth kam, der jüngste Mann, der je im Generalstab aufgenommen worden war. Er kehrte nach Melcene zurück, vermählte sich mit der Tochter des melcenischen Kaisers und schaffte es, sich nach dem Tod des alten Mannes, im Jahr 3830, zum Kaiser krönen zu lassen. Indem er mit dem Einsatz der melcenischen Armee drohte, gelang es ihm auch, zum erblichen Oberbefehlshaber der Angarakaner ernannt zu werden.
Der Zusammenschluss von Melcene und Angarak verlief turbulent. Doch mit der Zeit siegte die melcenische Geduld über die angarakanische Brutalität. Im Gegensatz zu anderen Völkern wurden die Melcener von einer Bürokratie regiert. Und schließlich erwies sich diese Bürokratie als viel leistungsfähiger als die angarakanische Militärverwaltung. Im Jahre 4400 war an der Vorherrschaft der Bürokratie nicht mehr zu rütteln. Inzwischen war auch der Titel »Oberbefehlshaber« als Staatsoberhaupt abgeschafft, und der Herrscher beider Völker war der Kaiser von Mallorea.
Für die gebildeten Melcener blieb die Verehrung Toraks oberflächlich. Sie fanden sich formal, der Zweckdienlichkeit halber, damit ab, doch den Grolim gelang es nie, sie zur völligen Hingabe an den Drachengott zu unterwerfen, wie es ihnen bei den Angarakanern geglückt war.
Völlig unerwartet, nach Äonen der Abgeschiedenheit, erschien Torak 4850 plötzlich in Mal Zeth. Sein entstelltes Gesicht verbarg er unter einer stählernen Maske. Er setzte den Kaiser ab und erklärte sich selbst zum Kal Torak – König und Gott. Alsdann machte er sich daran, eine gewaltige Streitmacht zusammenzustellen, um die Königreiche des Westens zu zermalmen und die ganze Welt unter seine Herrschaft zu bringen.
Die folgende Mobilmachung beraubte Mallorea so gut wie aller kampffähigen Männer. Die Angarakaner und Karandeser marschierten nordwärts zu der Landbrücke und überquerten sie zu dem nördlichsten Zipfel von Gar og Nadrak, und die Dalaser und Melcener marschierten zu den Häfen, wo man Flotten gebaut hatte, die sie über das Meer des Ostens in den Süden von Cthol Murgos übersetzen sollten. Die zweite Gruppe der Malloreaner schloss sich den Südmurgos an, um mit ihnen nordwestwärts zu marschieren; Torak beabsichtigte, den Westen mit den beiden riesigen Armeen in die Zange zu nehmen.
Die südlichen Streitkräfte gerieten jedoch in einen ungewöhnlichen Sturm, der im Frühjahr 4875 vom Westmeer heranzog und sie lebendig im schlimmsten Schneesturm aller Zeiten begrub. Als er endlich nachließ, steckten die Truppen in vierzehn Fuß tiefem Schnee fest, der bis zum Frühsommer liegen blieb. Keine Theorie konnte bisher diesen Sturm erklären, der zweifellos nicht natürlichen Ursprungs gewesen war. Doch was immer ihn auch herbeigeführt hatte, er bedeutete das Ende der Südarmee. Die wenigen Überlebenden, die in den Osten zurückgelangten, erzählten unvorstellbare Gräuelgeschichten.
Auch die Nordarmee hatte mit furchtbaren Widrigkeiten zu kämpfen, belagerte jedoch schließlich Vo Mimbre, wo sie von den vereinten Streitkräften des Westens völlig aufgerieben wurde. Dort wurde Torak von der Kraft des Cthrag Yaska – hier »das Auge Aldurs« genannt – niedergestreckt, so dass er in einen todesähnlichen Schlaf fiel, der Jahrhunderte dauern sollte. Sein vermeintlicher Leichnam wurde von seinem Jünger Zedar in ein Versteck gebracht.
In den Jahren, die diesen Katastrophen folgten, teilte sich die malloreanische Gesellschaft wieder in ihre ursprünglichen Reiche auf – Melcene, Karanda, Dalasien und die Länder der Angarakaner. Erst Kaiser Korzeth rettete die Einigkeit des Reiches.
Korzeth war vierzehn, als er den Thron seines greisen Vaters usurpierte. Die separatistischen Länder ließen sich von seiner Jugend täuschen und erklärten ihre Unabhängigkeit. Entschlossen unternahm Korzeth Schritte, die Revolution aufzuhalten. Er verbrachte den Rest seines Lebens im Sattel und verursachte das größte Blutbad der Geschichte, doch schließlich konnte er ein starkes, vereintes Mallorea an seine Erben weitergeben. Von da an herrschten die Nachkommen Korzeths in unangefochtener Macht von Mal Zeth aus.
So blieb es, bis der gegenwärtige Kaiser Zakath den Thron bestieg. Eine Weile schien er ein vielversprechender, weiser Herrscher über Mallorea und die westlichen Länder der Angarakaner, doch bald zeichneten sich Schwierigkeiten ab.
Die Murgos wurden von Taur Urgas regiert, und es war offensichtlich, dass er sowohl geistesgestört als auch skrupellos und ehrgeizig war. Er schmiedete ein Komplott gegen den jungen Kaiser, das nie ganz aufgeklärt wurde. Doch Zakath erfuhr, wer dahintersteckte, und schwor Rache. Es kam zu einem schrecklichen Krieg, in dem Zakath den wahnsinnigen Herrscher völlig vernichten wollte.
Inmitten dieses Krieges schlug der Westen zu. Während die Könige des Westens eine Armee in den Osten schickten, näherte sich Belgarion, der junge Kaiser des Westens und Abkömmling des Zauberers Belgarath, zu Fuß Mallorea durch den Norden über die Landbrücke. Er befand sich in Begleitung Belgaraths und eines Drasniers, und er trug das alte Schwert Rivas, welches den Cthrag Yaska, das Auge Aldurs, als Knauf hatte. Er beabsichtigte, offenbar aufgrund einer im Westen bekannten Prophezeiung, Torak im Zweikampf zu töten.
Torak war inzwischen in den Ruinen der alten Stadt Cthol Mishrak aus seinem langen, todesähnlichen Schlaf erwacht. Nun stellte er sich dem Herausforderer. Doch es gelang Belgarion, den Gott mit dem Schwert zu töten, wodurch die Priesterschaft von Mallorea in Chaos und Verwirrung gestürzt wurde.
Erster Teil
RAKHAGGA
1
Der erste Schnee breitete sich in der atemlosen Stille auf dem Deck ihres Schiffes aus. Es war nasser Schnee, der in großen, schweren Flocken vom Himmel schwebte, eine hohe Schicht auf dem Takelwerk bildete und die geteerten Taue in weiße Schlangen verwandelte. Die See war finster, und die hohen Wellen wogten in gespenstischer Stille. Vom Heck ertönten die gemessenen, gedämpften Schläge einer Trommel, die für die malloreanischen Ruderer den Takt bestimmte. Die Flocken ließen sich auf den Schultern der Seeleute nieder, die durch den verschneiten Morgen ruderten, und in den Falten ihrer scharlachroten Umhänge. Ihr Atem dampfte in der kaltfeuchten Luft, während sie sich im Rhythmus der Trommel in die Riemen legten.
Garion und Silk standen in ihre Umhänge gehüllt an der Reling und blickten düster in das Schneetreiben.
»Was für ein trostloser Morgen«, stellte der rattengesichtige kleine Drasnier fest und wischte sich angewidert den Schnee von den Schultern.
Garion brummte nur.
»Du bist ja heute strahlender Laune.«
»Ich wüsste auch nicht, worüber ich mich freuen sollte, Silk.« Garion starrte weiter finster in den trüben Morgen.
Belgarath der Zauberer trat aus der Achterkajüte, blinzelte in den dicht fallenden Schnee und zog sich die Kapuze seines dicken alten Umhangs über den Kopf. Dann stapfte er über das schneeglatte Deck, um sich zu den beiden zu gesellen.
Silk blickte zu dem rotgewandeten malloreanischen Soldaten, der unauffällig hinter dem alten Mann an Deck gekommen war und sich nun einige Meter entfernt betont gleichmütig an die Reling lehnte. »General Atesca ist also immer noch um dein Wohlergehen besorgt«, sagte er und deutete auf den Mann, der Belgarath wie ein Hund auf Schritt und Tritt folgte, seit sie aus dem Hafen von Rak Verkat ausgelaufen waren.
Belgarath warf einen raschen, verärgerten Blick in die Richtung des Soldaten. »Idiotisch! Wohin glaubt er denn, dass ich hier verschwinde?«
Garion kam eine Idee. Er beugte sich vor und sagte ganz leise: »Weißt du, wir könnten schon irgendwohin. Wir sind auf einem Schiff, und ein Schiff fährt dorthin, wohin man es steuert – nach Mallorea genauso leicht wie an die Küste von Hagga!«
»Das ist keine schlechte Idee, Belgarath«, pflichtete Silk Garion bei.
»Wir sind zu viert, Großvater«, sagte Garion. »Du, Tante Pol, Durnik und ich. Ich bin sicher, dass es uns nicht allzu schwerfallen würde, das Schiff zu übernehmen. Dann könnten wir den Kurs ändern und wären auf halbem Weg nach Mallorea, ehe Kal Zakath überhaupt bewusst wird, dass wir gar nicht nach Rak Hagga kommen.« Je mehr er darüber nachdachte, desto besser gefiel ihm diese Idee. »Wir könnten an der malloreanischen Küste entlangfahren und in einer abgelegenen Bucht in der Nähe von Camat anlegen. Dann wären wir noch etwa einen Wochenmarsch von Ashaba entfernt. Vielleicht glückt es uns sogar, vor Zandramas dort zu sein.« Ein düsteres Lächeln spielte um seine Lippen. »Ich würde sie ganz gern dort erwarten!«
»Es spricht wirklich einiges dafür, Belgarath«, schaltete sich Silk wieder ein. »Könntet ihr es gemeinsam schaffen?«
Belgarath kratzte nachdenklich seinen Bart. »Es wäre möglich.« Er blickte Garion an. »Aber willst du mir sagen, was aus all diesen malloreanischen Soldaten und der Schiffsbesatzung werden soll, wenn wir erst die Küste von Camat erreicht haben? Du hattest doch nicht vor, das Schiff mit ihnen zu versenken, so wie Zandramas, wenn sie ihre Helfer nicht mehr braucht, oder?«
»Natürlich nicht!«
»Freut mich zu hören – aber wie dachtest du denn, dass du sie davon abhalten kannst, zur nächsten Garnison zu laufen, sobald wir sie zurückgelassen haben? Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich bin nicht wirklich erpicht darauf, ein ganzes malloreanisches Regiment auf den Fersen zu haben.«
Garion runzelte die Stirn. »Ich muss zugeben, daran hatte ich noch nicht gedacht.«
»Und das habe ich mir gedacht. Es ist üblicherweise das Beste, sich eine Idee gut durch den Kopf gehen zu lassen, ehe man sie in die Tat umsetzt. Das erspart einem später eine Menge Ärger.«
»Du hast ja recht«, gestand Garion verlegen.
»Ich verstehe deine Ungeduld, Garion, doch Ungeduld ist ein schlechter Ersatz für einen gut durchdachten Plan.«
»Und was schlägst du stattdessen vor, Großvater?«, erkundigte sich Garion leicht gereizt.
»Es könnte durchaus sein, dass wir nach Rak Hagga und zu Kal Zakath kommen sollen. Warum würde Cyradis uns den Malloreanern ausliefern, nachdem sie sich all die Mühe gemacht hat, mir das Buch der Äonen zuzuspielen? Es geht hier noch um etwas anderes, und ich glaube, wir sollten den Lauf der Dinge nicht stören, ehe wir nicht ein bisschen mehr herausgefunden haben.«
Die Kajütentür schwang auf. Heraus kam General Atesca, der Befehlshaber der malloreanischen Besatzungsmacht auf der Insel Verkat. Von dem Augenblick an, da man sie seiner Obhut anvertraut hatte, war Atesca höflich zu ihnen gewesen und sehr korrekt in jeder Beziehung. Er hatte auch seine Absicht deutlich klargemacht, sie persönlich bei Kal Zakath in Rak Hagga abzuliefern. Er war ein hochgewachsener, sehr schlanker Mann, und zahlreiche Orden schmückten seine leuchtend rote Uniform. Obwohl seine Haltung aufrecht und würdevoll war, ließ seine irgendwann einmal gebrochene Nase ihn auf den ersten Blick eher wie einen Raufbold aussehen denn wie einen General der Reichsarmee. Mit Stiefeln, die auf Hochglanz poliert waren, marschierte er durch den Matsch.
»Guten Morgen, meine Herren«, begrüßte er sie mit einer steifen, militärischen Verbeugung. »Ich hoffe, Ihr habt gut geschlafen.«
»Es geht«, antwortete Silk.
»Es schneit offenbar«, stellte der General fest und schaute sich um. Sein Ton verriet, dass er nur der Höflichkeit halber plauderte.
»Ja, ist mir auch aufgefallen«, versicherte ihm Silk. »Wann werden wir in etwa in Rak Hagga ankommen?«
»In ein paar Stunden erreichen wir die Küste, von dort ist es noch ein Zweitagesritt zur Stadt.«
Silk nickte. »Habt Ihr eine Ahnung, weshalb der Kaiser uns sehen möchte?«
»Er erwähnte es nicht«, antwortete Atesca knapp, »und ich hielt es nicht für angemessen, ihn zu fragen. Er befahl mir lediglich, Euch festzunehmen und zu ihm nach Rak Hagga zu bringen. Ihr werdet alle mit größter Höflichkeit behandelt, solange Ihr nicht zu fliehen versucht. Falls Ihr das tätet, müsste ich, auf Befehl Seiner Majestät, strengere Maßnahmen ergreifen.« Sein Ton verriet ebenso wenig eine Gefühlsregung wie sein Gesicht.
»Bitte entschuldigt mich, meine Herren, ich muss etwas erledigen.« Er verbeugte sich erneut, wandte sich um und ging.
»Ein wahrer Informationsquell«, sagte Silk trocken. »Die meisten Melcener hören sich gern reden, aber diesem da muss man jedes Wort einzeln herauslocken.«
»Melcener?«, staunte Garion. »Das wusste ich nicht.«
Silk nickte. »Atesca ist ein melcenischer Name. Kal Zakath hat seine eigenen Ansichten, wenn es um die Bewertung von Fähigkeiten geht; er stellt sie über die Herkunft. Das gefällt den angarakanischen Offizieren nicht sonderlich, aber sie können nicht viel dagegen tun – wenn sie den Kopf behalten wollen.«
Garion interessierte sich nicht für die Einzelheiten malloreanischer Politik, deshalb ließ er das Thema fallen und kehrte zu dem vorherigen zurück. »Mir ist nicht ganz klar, was du damit gemeint hast, Großvater, dass wir nach Rak Hagga sollen.«
»Cyradis ist davon überzeugt, dass sie irgendwann eine Wahl zu treffen hat«, antwortete der alte Mann, »und ehe es so weit ist, müssen bestimmte Bedingungen erfüllt sein. Ich denke, dass deine Begegnung mit Kal Zakath eine davon ist.«
»Du glaubst ihr nicht wirklich, oder täusche ich mich?«
»Ich habe merkwürdigere Dinge erlebt, und ich bin bei Seherinnen von Kell immer sehr vorsichtig.«
»Ich habe nichts über eine derartige Begegnung im Mrin-Kodex gelesen.«
»Ich auch nicht, aber es gibt ja nicht nur den Mrin-Kodex. Du darfst nicht vergessen, dass Cyradis ihre Schlüsse aus den Prophezeiungen beider Seiten zieht, und wenn die Prophezeiungen gleichwertig sind, enthalten sie auch gleichwertige Informationen. Nicht nur das, Cyradis richtet sich wahrscheinlich auch noch nach Prophezeiungen, die nur die Seher kennen. Ich bin ziemlich sicher, dass sie uns nicht zu diesem ›Ort, der nicht mehr ist‹ lässt, ehe alle Bedingungen auf ihrer Liste abgehakt sind.«
»Uns nicht lässt?«, rief Silk.
»Unterschätze Cyradis nicht, Silk«, sagte Belgarath ruhig. »In ihr vereinigt sich alle Macht der Dalaser. Das bedeutet, dass sie wahrscheinlich zu Dingen imstande ist, von denen wir nicht einmal träumen würden. Sehen wir die Sache von der praktischen Seite: Als wir aufgebrochen sind, hatte Zandramas einen Vorsprung von einem halben Jahr, und wir brachen zu einer sehr anstrengenden und zeitraubenden Reise durch Cthol Murgos auf – aber wir wurden immer wieder aufgehalten.«
»Wem sagst du das?«, brummte Silk sarkastisch.
»Ist es da nicht merkwürdig, dass wir trotz all dieser Unterbrechungen die Ostseite des Kontinents eher erreichten, als wir hoffen konnten, und Zandramas nur noch einen Vorsprung von wenigen Wochen hat?«
Silk blinzelte, dann kniff er die Augen zusammen.
»Das gibt einem doch zu denken, oder nicht?« Der Zauberer zog seinen Umhang enger um sich und blickte auf die Schneeschicht ringsum.
»Gehen wir hinein«, schlug er vor. »Es ist wirklich ungemütlich hier draußen.«
Hinter den Salzmarschen an der Küste und dem braunen Röhricht, das sich unter der Last des nassen Schnees beugte, erstreckten sich niedrige Hügel, die durch das Schneegestöber nur verschwommen zu sehen waren. Ein schwarzer Holzpier überbrückte die Marsch und reichte weit ins tiefere Wasser hinaus, so dass sie mühelos von Bord des malloreanischen Schiffes gehen konnten. Am Landende des Piers führte eine Wagenfährte zu dem Hügelland, doch der Schnee hatte seine Doppelspur begraben.
Der Eunuch Sadi blickte leicht benommen hoch, als sie vom Pier auf den Weg ritten. Behutsam strich er mit den langen Fingern über die geschorene Schädeldecke. »Fühlt sich wie Feenflügel an«, sagte er lächelnd.
»Was?«, fragte Silk verblüfft.
»Die Schneeflocken. Ich habe eigentlich noch nie zuvor richtigen Schnee gesehen – nur einmal, als ich ein nördliches Königreich besuchte, und da bloß durchs Fenster. Aber im Freien habe ich ihn noch nicht erlebt. Gar nicht so schlimm, nicht wahr?«
Silk bedachte ihn mit einem mürrischen Blick. »Sobald ich eine Gelegenheit habe, kaufe ich Euch einen Schlitten.«
Sadi blinzelte verwirrt. »Verzeiht mir, Kheldar, aber was ist ein Schlitten?«
Silk seufzte. »Schon gut, Sadi, es sollte nur ein Witz sein.«
Auf der Kuppe des ersten Hügels lehnten windschief mehrere Kreuze am Straßenrand. Von jedem hing ein Skelett, noch von vereinzelten Fetzen bedeckt, und Schnee krönte jeden der Totenschädel.
»Verzeiht meine Neugier, General Atesca«, sagte Sadi höflich und deutete auf die Kreuze, »aber wozu das?«
»Strategie, Eure Exzellenz«, antwortete Atesca knapp. »Seine Kaiserliche Majestät möchte, dass die Murgos sich von ihrem König abwenden. Sie sollen erkennen, dass Urgit die Ursache ihres Unglücks ist.«
Sadi schüttelte den Kopf. »Ich bezweifle, dass diese Art von Strategie Erfolg hat. Durch Gräueltaten macht man sich seine Opfer nicht geneigt. Ich persönlich habe immer Bestechung vorgezogen.«
»Murgos sind an grausame Behandlung gewöhnt.« Atesca zuckte die Schultern. »Das ist das Einzige, was sie verstehen.«
»Warum habt ihr sie nicht vom Kreuz genommen und beerdigt?«, fragte Durnik empört, mit bleichem Gesicht.
Atesca blickte ihn lange und fest an. »Aus Sparsamkeit«, antwortete er dann. »Ein leeres Kreuz sagt nicht viel aus. Nähmen wir sie herunter, müssten wir sie durch neue Murgos ersetzen. Das wird auf Dauer mühsam, und früher oder später gingen uns die Leute zum Kreuzigen aus. Die Toten hängen zu lassen erzielt seine Wirkung – und ist zeitsparend.«
Garion tat sein Bestes, so zu reiten, dass er zwischen Ce’Nedra und den abschreckenden Beispielen am Straßenrand war, um ihr den entsetzlichen Anblick zu ersparen. Aber sie ritt ohnehin achtlos weiter, ihr Gesicht wirkte seltsam starr, und ihre Augen waren leer und blicklos. Er warf Polgara einen fragenden Blick zu und sah ihr Stirnrunzeln. Er zügelte sein Pferd, bis er an ihrer Seite ritt.
»Was hat sie?«, flüsterte er angespannt.
»Ich bin mir nicht ganz sicher, Garion«, wisperte sie zurück.
»Ist es wieder diese Melancholie?« Sein Magen verkrampfte sich.
»Ich glaube nicht.« Sie kniff die Augen nachdenklich zusammen und zog abwesend die Kapuze ihres blauen Umhangs über die weiße Strähne in ihrem dunklen Haar.
»Was kann ich tun?«
»Reite neben ihr und versuch sie zum Reden zu bewegen. Vielleicht sagt sie etwas, das uns einen Hinweis gibt.«
Ce’Nedra reagierte jedoch kaum auf Garions Bemühungen, sie in ein Gespräch zu verwickeln, und ihre vereinzelten Antworten während des restlichen, verschneiten Tages hatten selten etwas mit seinen Fragen oder Bemerkungen zu tun.
Als der Abend sich auf das vom Krieg verwüstete Gebiet um Rak Hagga herabsenkte, befahl General Atesca anzuhalten. Seine Soldaten machten sich an den Aufbau mehrerer scharlachroter Zelte an der windgeschützten Seite einer rußgeschwärzten Mauer, die als einzige von einem niedergebrannten Dorf noch stand.
»Wir dürften morgen am Spätnachmittag in Rak Hagga ankommen«, erklärte Atesca. »Das große Zelt in der Mitte des Lagers ist für euch. Meine Männer werden euch in Kürze euer Abendessen bringen. Wenn ihr mich nun entschuldigen würdet …« Er neigte knapp den Kopf, dann wandte er sein Pferd herum, um seine Soldaten zu beaufsichtigen.
Als die Zelte alle standen, saßen Garion und seine Begleiter vor dem ab, das Atesca ihnen zugewiesen hatte. Silks Blick schweifte über den Wachtrupp, der seine Stellung rings um das große rote Zelt einnahm. »Ich wünschte, er würde sich endlich entscheiden«, brummelte er gereizt.
»Ich verstehe nicht, Kheldar«, sagte Sammet. »Wer soll sich entscheiden?«
»Atesca. Er ist die Höflichkeit in Person, aber er lässt uns von Bewaffneten umstellen …«
»Vielleicht sollen sie uns nur beschützen, Kheldar«, gab sie zu bedenken. »Immerhin sind wir hier mitten im Kriegsgebiet.«
»Ja, natürlich«, sagte er trocken. »Und Kühe könnten fliegen – wenn sie Flügel hätten!«
»Welch erstaunliche Beobachtung!«
»Ich wollte, du würdest damit aufhören!«
»Womit?« Ihre braunen Augen waren groß und unschuldig.
»Vergiss es.«
Das Abendessen, das Atescas Soldaten für sie zubereiteten, war zwar einfach – es bestand aus Feldverpflegung, die auf Blechtellern serviert wurde – , aber es war heiß und sättigend. Kohlebecken wärmten ihr Zelt, und hängende Öllampen erfüllten es mit gelbem Licht. Das Mobiliar entsprach einer Armee – es bestand aus der Art von Tischen, Betten und Stühlen, die ebenso rasch aufgestellt wie zusammengeklappt werden konnten, und Boden wie Wände waren mit rot gefärbten malloreanischen Teppichen bedeckt.
Eriond schaute sich neugierig um, nachdem er seinen Teller zur Seite geschoben hatte. »Sie haben eine große Vorliebe für Rot«, stellte er fest.
»Wahrscheinlich weil es sie an Blut erinnert«, meinte Durnik düster. »Sie lieben Blut.« Er warf einen kalten Blick auf den stummen Toth. »Wenn du mit dem Essen fertig bist, wäre es mir lieb, wenn du vom Tisch aufstehst.«
»Du bist unhöflich, Durnik«, tadelte Polgara.
»Ich wollte auch nicht höflich sein, Pol. Ich sehe überhaupt nicht ein, weshalb er bei uns sein muss. Er ist ein Verräter! Warum geht er nicht zu seinen Freunden?«
Der stumme Hüne stand mit traurigem Gesicht auf. Er hob eine Hand, offenbar in einer dieser den anderen unverständlichen Gesten, mit denen er sich mit dem Schmied verständigte, aber Durnik wandte ihm betont den Rücken zu. Toth seufzte und setzte sich in eine Ecke, wo er aus dem Weg war.
»Garion«, sagte Ce’Nedra plötzlich und schaute sich mit besorgter Miene um. »Wo ist mein Baby?«
Er starrte sie an.
»Wo ist Geran?«, rief sie schrill.
»Ce’Nedra …«
»Ich höre ihn weinen. Was hast du ihm angetan?« Abrupt sprang sie auf, rannte im Zelt herum, riss die Vorhänge zur Seite, die zur Schlafabteilung führten, und zog die Decken von jedem Bett.
»Helft mir!«, schrie sie. »Helft mir doch, mein Baby zu suchen!«
Garion durchquerte rasch das Zelt und fasste sie am Arm. »Ce’Nedra …«
»Nein!«, brüllte sie ihn an. »Du hast ihn irgendwo versteckt! Lass mich!« Sie riss sich los, stieß in ihrer verzweifelten Suche Möbelstücke um und weinte und schluchzte dabei.
Wieder versuchte Garion, sie festzuhalten, doch plötzlich fauchte sie ihn an und streckte die Finger wie Krallen aus, um nach seinen Augen zu hacken.
»Ce’Nedra! Hör auf!«
Doch sie schoss um ihn herum und stürzte aus dem Zelt in die Schneenacht. Als Garion ihr nachlaufen wollte, versperrte ihm ein rotgewandeter Malloreaner den Weg.
»Marsch! Zurück ins Zelt!«, bellte er und hielt Garion mit dem Speerschaft auf. Über die Schulter des Mannes sah Garion, wie Ce’Nedra sich gegen einen anderen Soldaten wehrte. Ohne zu überlegen, schmetterte er die Faust in das Gesicht vor ihm. Der Wächter taumelte rückwärts und fiel. Garion sprang über ihn hinweg, doch plötzlich wurde er von hinten von einem halben Dutzend weiterer Soldaten festgehalten.
»Lass sie los!«, brüllte er den Wächter an, der einen Arm der kleinen Königin brutal nach hinten bog.
»Zurück ins Zelt!«, donnerte eine raue Stimme. Garion wurde Schritt um Schritt rückwärts zum Zelt gezerrt. Der Soldat, der Ce’Nedra aufgehalten hatte, brachte sie halb tragend, halb schiebend ebenfalls zurück. Mit ungeheurer Willenskraft gelang es Garion, seine Beherrschung zurückzugewinnen.
»Das genügt!« Polgaras Stimme klang wie ein Peitschenhieb.
Die Soldaten blieben unsicher stehen und blickten mit merklicher Furcht auf die gebieterische Gestalt an der Zelttür.
»Durnik«, sagte sie. »Hilf Garion, Ce’Nedra ins Zelt zurückzubringen.«
Garion riss sich los. Mit Durnik nahm er dem Soldaten die sich wild wehrende Königin ab und zog sie zum Zelt.
»Sadi«, wandte sich Polgara an den Eunuchen, als Garion und Durnik mit Ce’Nedra ins Zelt zurückkehrten. »Habt Ihr etwas Oret in Eurem Kästchen?«
»Selbstverständlich, Lady Polgara. Aber seid Ihr sicher, dass Oret hier angebracht ist? Ich würde eher zu Naladium raten.«
»Ich fürchte, es handelt sich hier um mehr als einen einfachen Fall von Hysterie, Sadi. Ich möchte etwas, das stark genug ist, dass sie nicht gleich aufwacht, sobald ich ihr den Rücken zugewandt habe.«
»Was immer Ihr für angebracht haltet, Lady Polgara.« Er ging über den Teppichboden, öffnete sein rotes Lederkästchen und holte eine winzige Flasche mit dunkelblauer Flüssigkeit heraus. Dann nahm er einen Becher Wasser vom Tisch und blickte sie fragend an.
Polgara runzelte nachdenklich die Stirn. »Nehmt drei Tropfen«, wies sie ihn schließlich an.
Er blickte sie leicht erschrocken an, dann träufelte er vorsichtig die drei Tropfen in das Wasser.
Selbst mit vereinten Kräften dauerte es eine Weile, bis sie Ce’Nedra so weit hatten, dass sie aus dem Becher trank. Nach ein paar Sekunden wurden ihr Schluchzen und ihre Gegenwehr allmählich schwächer. Schließlich seufzte sie tief, ihre Lider schlossen sich, und ihr Atem wurde regelmäßig.
»Bringen wir sie zu Bett«, sagte Polgara. Sie ging voraus in eines der Schlafabteile, die durch Vorhänge abgetrennt waren.
Garion hob seine zierliche, fest schlafende Frau auf die Arme und folgte Polgara. »Was hat sie, Tante Pol?«, fragte er, während er Ce’Nedra behutsam auf das Bett legte.
»Ich bin mir nicht sicher«, gestand Polgara. Sie deckte Ce’Nedra mit einer kratzigen Soldatendecke zu. »Ich brauche mehr Zeit, um es festzustellen.«
»Was können wir tun?«
»Nicht sehr viel, solange wir unterwegs sind«, gab sie offen zu. »Ich werde dafür sorgen, dass sie schläft, bis wir in Rak Hagga sind. Sobald ich sie in einer ruhigeren Verfassung habe, werde ich daran arbeiten können. Bleib du bei ihr. Ich möchte mit Sadi reden.«
Garion setzte sich besorgt ans Bett und nahm die schlaffe Hand seiner Gemahlin in seine, während Polgara in den Wohnteil des Zeltes zurückkehrte, um sich mit dem Eunuchen über die verschiedenen Mittel in diesem Fall zu beraten. Dann kam sie wieder zu Garion und zog den Vorhang hinter sich zu.
»Er hat fast alles, was ich brauche«, sagte sie leise. »Mit dem Rest kann ich mir behelfen.« Sie legte die Hand auf Garions Schulter und beugte sich nahe zu ihm. »General Atesca ist gerade gekommen«, flüsterte sie. »Er will dich sprechen. Ich würde nicht zu sehr auf die Ursache von Ce’Nedras Anfall eingehen. Wir wissen nicht, wie viel Zakath über den Grund unseres Hierseins weiß, also pass auf, was du sagst.«
Garion wollte protestieren.
»Du kannst hier jetzt nichts tun, Garion, und sie brauchen dich da draußen. Ich kümmere mich um sie.«
»Hat sie solche Anfälle öfter?«, erkundigte sich General Atesca, als Garion durch die Vorhangtür trat.
»Sie ist sehr leicht erregbar«, antwortete Silk. »Da verliert sie manchmal die Beherrschung. Aber Polgara weiß, was dann zu tun ist.«
Atesca wandte sich zu Garion um. »Eure Majestät«, sagte er eisig, »es gefällt mir nicht, wenn Ihr meine Soldaten niederschlagt!«
»Er wollte mich nicht vorbeilassen, General«, antwortete Garion. »Und ich glaube nicht, dass ich ihn ernsthaft verletzt habe.«
»Es geht ums Prinzip, Eure Majestät.«
»Ja, allerdings«, bestätigte Garion. »Sagt dem Mann, dass ich ihn um Entschuldigung bitte, aber ratet ihm auch, sich nicht wieder einzumischen – vor allem nicht, wenn es um meine Gemahlin geht. Ich wende wahrhaftig ungern Gewalt an, doch wenn es sein muss, tue ich es!«
Atescas Blick wurde hart, und Garion erwiderte ihn ebenso. Sie starrten einander einen langen Moment an. »Bei allem Respekt, Eure Majestät«, sagte Atesca schließlich, »aber ich muss Euch bitten, meine Gastfreundschaft nicht noch einmal zu verletzen.«
»Nur wenn die Situation es erfordert, General.«
»Ich werde meine Männer anweisen, eine Tragbahre für Eure Gemahlin anzufertigen«, sagte Atesca nur. »Wir wollen früh am Morgen aufbrechen. Wenn Eure Königin krank ist, sollten wir sie so rasch wie möglich nach Rak Hagga bringen.«
»Vielen Dank, General.«
Atesca verbeugte sich kühl, drehte sich um und verließ das Zelt.
»War das nicht etwas zu barsch, Belgarion?«, murmelte Sadi. »Immerhin sind wir in Atescas Hand.«
»Mir gefiel seine Einstellung nicht«, brummte Garion. Er blickte Belgarath an, dessen Miene leicht missbilligend war. »Nun?«
»Ich habe nichts gesagt.«
»Das war auch nicht nötig. Ich konnte dich bis hierher denken hören.«
»Dann brauche ich es ja nicht laut zu sagen, oder?«
Der nächste Tag war kalt und grau, doch es hatte zu schneien aufgehört. Garion ritt neben Ce’Nedras Pferdebahre, und sein Gesicht spiegelte seine Sorge um sie. Die Straße, der sie folgten, verlief nordwestwärts durch weitere niedergebrannte Dörfer und Ruinenstädte. Die Trümmer waren noch vom gestrigen Schnee bedeckt, und um jede ehemalige Ortschaft stand ein Ring von besetzten Kreuzen und Pfählen.
Am Nachmittag sahen sie von einer Kuppe aus das blaugraue Wasser des Haggasees, der sich bis weit in den Norden und Osten erstreckte. Am näheren Ufer erhob sich eine große, befestigte Stadt.
»Rak Hagga!«, erklärte Atesca, hörbar erleichtert.
Sie ritten den Hang hinunter zu der Stadt. Ein scharfer Wind pfiff vom See her. Er peitschte ihre Umhänge und spielte mit den Mähnen ihrer Pferde.
»Also gut«, wandte sich Atesca über die Schulter an seine Männer. »Wir wollen uns formieren und versuchen, wie Soldaten auszusehen.« Die rotgewandeten Malloreaner ordneten ihre Pferde zu einer Doppelreihe und richteten sich im Sattel auf.
In die Stadtmauer von Rak Hagga waren mehrere Breschen geschlagen, und die Zinnen der Brustwehr waren von Pfeilhageln stellenweise durchlöchert und abgebröckelt. Die schweren Tore hatten dem Sturmangriff nicht standgehalten und hingen zersplittert in den Angeln.
Die Wachen am Tor standen stramm und salutierten, als Atesca an der Spitze des Trupps in die Stadt ritt. Der beklagenswerte Zustand der Häuser verriet, welch schrecklicher Kampf in der Stadt getobt hatte, nachdem der Feind eingedrungen war. Viele waren ohne Dächer, und ihre klaffenden, rußgeschwärzten Fenster stierten wie tote Augen auf die trümmerübersäten Straßen. Ein Arbeitstrupp finsterer Murgos, die klirrende Ketten hinter sich herzerrten, mühte sich unter den wachsamen Blicken einer Abteilung malloreanischer Soldaten damit ab, die matschigen Straßen von Schutt und Trümmern zu befreien.
»Wisst ihr«, sagte Silk, »das ist das erste Mal, dass ich einen Murgo je wirklich habe arbeiten sehen. Ich dachte, sie wüssten überhaupt nicht, was das ist.«
Das Hauptquartier der malloreanischen Armee in Cthol Murgos war in einem stattlichen gelben Ziegelbau nahe der Stadtmitte untergebracht. Es schaute auf einen breiten, schneebedeckten Platz, und eine Marmorfreitreppe, auf der zu beiden Seiten Soldaten in Reih und Glied standen, führte zum Eingang hinauf.
»Das Haus des früheren murgosischen Militärgouverneurs von Hagga«, erklärte Sadi, als sie sich ihm näherten.
»Ihr seid schon einmal hier gewesen?«, fragte Silk.
»In meiner Jugend. Rak Hagga war das Zentrum des Sklavenhandels.«
Atesca saß ab und wandte sich an einen seiner Offiziere: »Hauptmann, lasst Eure Männer die Königin tragen. Sagt ihnen, sie sollen sehr behutsam sein.«
Während die anderen ebenfalls absaßen, lösten des Hauptmanns Männer die Trage von den Sätteln der zwei Pferde, die sie transportiert hatten, dann trugen sie sie hinter dem General her die Marmorstufen hoch.
Im Innern, unmittelbar am Eingang, stand ein polierter Tisch, und dahinter saß ein arrogant wirkender Mann mit schräg geschnittenen Augen. Seine scharlachrote Uniform sah sehr teuer aus. Entlang der hinteren Wand erstreckte sich eine Stuhlreihe, auf der sichtlich gelangweilte Beamte saßen.
»Zweck Eures Besuchs«, sagte der Offizier hinter dem Tisch barsch.
Atesca zuckte mit keiner Wimper, als er den Mann stumm anblickte.
»Ich sagte, Zweck Eures Besuchs!«
»Haben sich neue Sitten eingebürgert, Oberst?«, fragte Atesca mit täuschend sanfter Stimme. »Erheben wir uns nicht mehr in Anwesenheit eines Höherstehenden?«
»Ich habe zu viel zu tun, als dass ich bei jedem kleinen melcenischen Bürokraten aus dem Hinterland aufspringen könnte«, brummte der Oberst.
»Hauptmann«, wandte Atesca sich an seinen Adjutanten, »wenn der Oberst nicht in zwei Herzschlägen strammsteht, hättet Ihr dann die Güte, ihm in meinem Namen den Kopf abzuschlagen?«
»Jawohl, Sir.« Der Hauptmann zückte im gleichen Moment sein Schwert, als der erschrockene Oberst aufsprang.
»Schon besser«, sagte Atesca. »Fangen wir noch einmal von vorn an. Erinnert Ihr Euch vielleicht auch, wie man salutiert?«
Der Oberst salutierte zackig, aber sein Gesicht war fahl.
»Großartig, es gelingt uns vielleicht doch noch, einen Soldaten aus Euch zu machen. Also, eine der Herrschaften, die ich eskortierte – eine Dame von hohem Stand – , ist unterwegs erkrankt. Ich möchte, dass unverzüglich ein warmes, bequemes Gemach für sie hergerichtet wird.«
»Sir«, protestierte der Oberst, »dafür bin ich nicht zuständig.«
»Steckt Euer Schwert noch nicht weg, Hauptmann.«
»Aber, General, die Höflinge Seiner Majestät treffen solche Entscheidungen. Ich würde mir ihren Zorn zuziehen, wenn ich meine Befugnisse überschreite.«
»Ich werde es Seiner Majestät erklären, Oberst«, versicherte ihm Atesca. »Die Umstände sind etwas ungewöhnlich, aber ich bin überzeugt, dass er es billigen wird.«
Der Oberst zögerte. Unentschlossenheit sprach aus seinem Blick.
»Kümmert Euch darum, Oberst! Sofort!«
»Jawohl, sofort, General.« Er schlug die Hacken zusammen. »Ihr da«, wandte er sich an die Männer, die Ce’Nedras Trage hielten, »mir nach!«
Garion wollte der Trage ebenfalls folgen, doch Polgara legte die Hand fest auf seinen Arm. »Nein, Garion, ich begleite sie. Es gibt nichts, was du jetzt tun könntest, und ich glaube, Zakath möchte mit dir reden. Aber pass auf, was du sagst.« Sie eilte hinter der Trage her den Gang entlang.
»Ich sehe, dass es in der malloreanischen Gesellschaft immer noch kleine Reibereien gibt«, sagte Silk milde zu General Atesca.
»Angarakaner! Manchmal haben sie noch Schwierigkeiten, sich der modernen Zeit anzupassen. Entschuldigt mich, Fürst Kheldar, ich möchte Seiner Majestät melden, dass wir hier sind.«
Er ging zu einer polierten Tür am hinteren Ende der Halle und sprach flüchtig mit einem der Wächter. Dann kam er zurück. »Dem Kaiser wird unsere Ankunft gemeldet. Ich nehme an, dass er uns in wenigen Minuten zu sich rufen wird.«
Ein ziemlich dicker, glatzköpfiger Mann in einfacher, aber offensichtlich teurer brauner Robe und mit einer schweren Goldkette um den Hals näherte sich ihnen. »Atesca, mein teurer Freund«, begrüßte er den General, »ich hörte, dass Ihr in Rak Verkat stationiert seid.«
»Ich bin im Auftrag des Kaisers hier, Brador. Was macht Ihr denn in Cthol Murgos?«
»Meine Füße schonen«, antwortete der Dicke. »Seit zwei Tagen schon warte ich darauf, zum Kaiser vorgelassen zu werden!«
»Und wer kümmert sich zu Hause ums Geschäft?«
»Ich sorgte dafür, dass es mehr oder weniger von selbst läuft«, erwiderte Brador. »Der Bericht, den ich für Seine Majestät habe, ist so wichtig, dass ich beschlossen habe, ihn selbst zu bringen.«
»Was in aller Welt kann so bedeutend sein, dass sich der Minister des Inneren von den Bequemlichkeiten Mal Zeths losreißt?«
»Ich finde, es ist an der Zeit, dass Seine Kaiserliche Majestät von seinen Vergnügungen hier in Cthol Murgos Abschied nimmt und in die Hauptstadt zurückkehrt.«
»Vorsicht, Brador«, mahnte Atesca mit flüchtigem Lächeln. »Eure melcenischen Vorurteile machen sich bemerkbar.«
»Die Lage zu Hause spitzt sich zu, Atesca«, versicherte ihm Brador ernst. »Ich muss mit dem Kaiser reden. Könnt Ihr mir vielleicht helfen, dass ich zu ihm vordringe?«
»Ich werde sehen, was ich tun kann.«
»Habt Dank, mein Freund.« Brador griff nach dem Arm des Generals. »Das Schicksal des gesamten Reiches hängt vielleicht davon ab, dass es mir gelingt, Kal Zakath zu überzeugen, dass seine Rückkehr nach Mal Zeth absolut erforderlich ist.«
»General Atesca«, sagte einer der speerbewaffneten Wächter an der polierten Tür laut. »Seine Kaiserliche Majestät wünscht Euch und Eure Gefangenen jetzt zu sehen.«
»Sehr gut«, antwortete Atesca, ohne auf das ominöse Wort »Gefangene« einzugehen. Er blickte Garion an. »Der Kaiser muss sehr darauf erpicht sein, Euch zu sehen, Eure Majestät. Es dauert manchmal Wochen, bis man eine Audienz bei ihm bekommt. Wollen wir hineingehen?«
2
Kal Zakath, der Kaiser des mächtigen Reiches Mallorea, ruhte in einem weichgepolsterten roten Sessel am hinteren Ende eines prunklosen Saales. Der Kaiser trug ein einfach geschnittenes weißes Gewand ohne jeglichen Zierrat. Obwohl er über vierzig war, wie Garion wusste, durchzog kein Grau sein Haar und kein Fältchen sein Gesicht. Seine Augen jedoch verrieten stumpfe Freudlosigkeit, ja Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben. Auf seinem Schoß lag eine ganz gewöhnliche, getigerte Katze, die mit geschlossenen Augen und schnurrend vor Behagen, wie ein saugendes Kätzchen bei der Mutter, gegen seine Schenkel trat. Obwohl der Kaiser selbst einfachste Kleidung trug, waren die Harnische der Gardisten, die entlang den Wänden standen, mit Gold eingelegt.
»Mein Kaiser.« General Atesca verbeugte sich tief. »Ich habe die Ehre, Euch Seine Majestät König Belgarion von Riva vorzustellen.«
Garion nickte knapp, und Zakath neigte zur Antwort den Kopf. »Unsere Begegnung hätte schon vor langer Zeit stattfinden sollen, Belgarion«, sagte er mit einem Ton, der so stumpf war wie der Blick seiner Augen. »Eure Taten haben die Welt erschüttert.«
»Auch Eure hinterließen einen gewissen Eindruck, Zakath.« Garion hatte beschlossen, schon ehe er Rak Verkat verließ, dass er ihn nicht bei dem selbsternannten Titel »Kal« anreden würde.
Ein schwaches Lächeln huschte über Zakaths Miene.
»Ah«, sagte er in einem Tonfall, der verriet, dass er Garions Spitzfindigkeit wohl bemerkt hatte. Er nickte den anderen flüchtig zu, dann richtete sich seine Aufmerksamkeit auf Garions schlampig wirkenden Großvater.
»Und Ihr, mein Herr, seid gewiss Belgarath. Ich bin ein wenig überrascht, dass Ihr so normal ausseht. Nach Überzeugung der Grolim von Mallorea müsstet Ihr hundert Fuß – vielleicht auch zweihundert – groß sein und außerdem Hörner und einen gespaltenen Schwanz haben.«
»Ich habe mich nur rasch verwandelt«, erklärte Belgarath unbewegt.
Zakath lachte, doch schwang nur wenig Belustigung darin mit. Dann schaute er sich mit leichtem Stirnrunzeln um. »Mir scheint, es fehlt jemand.«
»Königin Ce’Nedra wurde unterwegs krank, Eure Majestät«, erklärte Atesca. »Lady Polgara nimmt sich ihrer an.«
»Krank? Ernsthaft?«
»Das ist momentan schwer festzustellen, Eure Kaiserliche Majestät«, warf Sadi salbungsvoll ein. »Wir haben ihr aber Arzneien gegeben, und ich habe vollstes Vertrauen zu Lady Polgaras Fähigkeiten.«
Zakath blickte Garion an. »Ihr hättet einen Boten vorausschicken sollen, Belgarion. Ich habe eine Hofheilerin – eine Dalaserin mit bemerkenswerten Gaben. Ich werde sie sofort zum Gemach der Königin schicken. Der Gesundheit Eurer Gemahlin muss unsere erste Sorge gelten.«
»Danke«, sagte Garion mit ehrlicher Dankbarkeit.
Zakath langte nach dem Klingelzug und sprach mit dem Lakaien, der sogleich herbeieilte.
»Bitte«, wandte der Kaiser sich daraufhin an die Gefährten, »nehmt Platz. Ich halte nicht viel von unnötigem Zeremoniell.«
Als die Gardisten hastig Stühle herbeibrachten, öffnete die Katze auf Zakaths Schoß die Augen und schaute sich um. Dann erhob sie sich, machte einen Buckel und gähnte. Schließlich sprang sie schwerfällig auf den Boden und schlenderte zu Eriond, um seine Finger zu beschnuppern. Leicht amüsiert beobachtete Zakath die deutlich erkennbar tragende Katze.
»Ihr seht, dass meine Katze mir untreu ist – wieder einmal.« Er seufzte scheinbar resigniert. Die Katze sprang auf Erionds Schoß, kuschelte sich zusammen und begann zufrieden zu schnurren.
»Ihr seid gewachsen«, wandte Zakath sich an den Jungen. »Hat man Euch inzwischen zu sprechen gelehrt?«
»Ich habe ein paar Worte gelernt, Zakath«, antwortete Eriond mit seiner klaren Stimme.
»Auch euch andere kenne ich – zumindest vom Hörensagen«, erklärte Zakath. »Freisasse Durnik und ich begegneten uns auf der Ebene von Mishrak ac Thull, und natürlich habe ich auch von Markgräfin Liselle vom drasnischen Geheimdienst gehört, und von Fürst Kheldar, der bestrebt ist, der reichste Mann der Welt zu werden.«
Sammets anmutiger Knicks war nicht ganz so grandios wie Silks Kratzfuß.
»Und das, natürlich«, fuhr der Kaiser fort, »ist Sadi, Obereunuch in Königin Salmissras Palast.«
Sadi verbeugte sich mit bemerkenswerter Grazie. »Ich muss gestehen, Eure Majestät sind erstaunlich gut informiert. Ihr lest in uns wie in einem offenen Buch.«
»Mein Chef des Geheimdiensts tut sein Bestes, mich auf dem Laufenden zu halten, Sadi. Er ist vielleicht nicht so talentiert wie der unübertreffliche Javelin von Boktor, doch er erfährt zumindest das meiste, was in diesem Teil der Welt vor sich geht. Er erwähnte auch diesen Hünen in der Ecke, konnte jedoch bisher seinen Namen nicht erfahren.«
»Das ist Toth«, erklärte Eriond. »Doch da er stumm ist, müssen wir das Reden für ihn übernehmen.«
»Und er ist Dalaser«, bemerkte Zakath. »Ein sehr merkwürdiger Umstand.«
Garion beobachtete diesen Mann heimlich, aber aufmerksam. Unter dem glatten, höflichen Äußeren spürte er ein unmerkliches Forschen. Hinter dieser redseligen Begrüßung, die scheinbar dazu dienen sollte, die Atmosphäre zu entspannen, steckte noch eine andere Absicht. Auf unerklärliche Weise fühlte er, dass Zakath sie irgendwie auf die Probe stellte.
Der Kaiser richtete sich auf. »Ihr habt eine seltsame Schar von Begleitern, Belgarion«, stellte er fest. »Und Ihr habt einen weiten Weg von zu Hause zurückgelegt. Es würde mich interessieren, weshalb Ihr hier in Cthol Murgos seid.«
»Ich fürchte, das ist eine rein private Sache, Zakath.«
Der Kaiser zog die Brauen hoch. »Unter den Umständen ist das keine befriedigende Antwort, Belgarion. Ich kann das Risiko nicht eingehen, dass Ihr Euch mit Urgit verbündet habt.«
»Würde Euch mein Wort genügen, dass dies nicht der Fall ist?«
»Nicht ehe ich ein bisschen mehr über Euren Besuch in Rak Urga weiß. Urgit hat die Stadt sehr unerwartet verlassen – offenbar in Eurer Begleitung – und tauchte ebenso unerwartet auf der Ebene von Morcth auf, wo er und eine junge Dame seine Truppen aus einem Hinterhalt führten, auf den ich große Mühe verwendet hatte. Ihr müsst zugeben, das sind sehr merkwürdige Zufälle.«
»Nicht wenn Ihr es aus praktischer Sicht seht«, warf Belgarath ein. »Urgit mitzunehmen war meine Entscheidung. Er hatte herausgefunden, wer wir sind, und ich wollte nicht gern eine ganze Armee Murgos auf unseren Fersen. Murgos sind zwar nicht sonderlich klug, aber sie können manchmal lästig werden.«
Zakath wirkte überrascht. »Er war Euer Gefangener?«
Belgarath zuckte die Schultern. »Sozusagen.«
Der Kaiser lachte trocken. »Ihr hättet so gut wie jedes Zugeständnis von mir haben können, wenn Ihr ihn mir ausgeliefert hättet, wisst Ihr das? Warum habt Ihr ihn laufen lassen?«
»Wir brauchten ihn nicht mehr«, antwortete Garion. »Wir hatten das Ufer des Cthakasees erreicht, und so war er keine Bedrohung mehr für uns.«
Zakath kniff die Augen leicht zusammen. »Noch so einiges hat sich ereignet, wenn ich mich nicht täusche«, fuhr er fort. »Urgit war immer ein notorischer Feigling gewesen, völlig unter der Fuchtel des Grolim Agachak und der Generäle seines Vaters. Doch als er seine Truppen aus meiner Falle befreite, war von Feigheit nichts zu merken. Und alle Berichte aus Rak Urga lassen darauf schließen, dass er sich tatsächlich wie ein König benimmt. Habt Ihr vielleicht zufällig etwas damit zu tun?«
»Das ist schon möglich«, erwiderte Garion. »Urgit und ich haben uns hin und wieder unterhalten, und ich sagte ihm, was er falsch macht.«
Zakath pochte mit dem Zeigefinger gegen sein Kinn, und seine Augen wirkten plötzlich gar nicht mehr stumpf. »Ihr habt vielleicht keinen Löwen aus ihm gemacht, Belgarion, aber zumindest ist er kein Angsthase mehr.« Ein eisiges Lächeln spielte um die Lippen des Malloreaners. »Auf gewisse Weise freut mich das. Hasen zu jagen fand ich noch nie sonderlich befriedigend.«
Er beschirmte seine Augen mit einer Hand, obwohl das Licht im Saal nicht sehr hell war. »Doch ich kann nicht verstehen, wie es euch geglückt ist, ihn aus dem Drojimpalast und aus der Stadt herauszubringen. Er hat ganze Regimenter von Leibwächtern!«
»Ihr überseht eines, Zakath«, sagte Belgarath. »Wir haben gewisse Vorteile, über die andere nicht verfügen.«
»Zauberei, meint Ihr? Ist sie wirklich so verlässlich?«
»Nun, ich hatte so manches Mal damit Glück.«
Zakaths Blick war plötzlich eindringlich. »Man behauptet, Ihr seid fünftausend Jahre alt, Belgarath. Stimmt das?«
»Siebentausend, genauer gesagt – sogar ein bisschen darüber. Weshalb fragt Ihr?«
»Seid Ihr in all den Jahren nie auf den Gedanken gekommen, die Macht zu übernehmen? Ihr hättet Euch zum Herrscher über die ganze Welt aufschwingen können, oder nicht?«
Belgarath blickte ihn belustigt an. »Warum sollte ich das wollen?«
»Alle Menschen wollen Macht. Das liegt in der menschlichen Natur.«
»Hat Eure nicht geringe Macht Euch denn glücklich gemacht?«
»Nun, sie bringt gewisse Befriedigung.«
»Genug, um sämtliche kleine Unannehmlichkeiten, die sie mit sich bringt, wettzumachen?«
»Sie sind auszuhalten. Aber zumindest befinde ich mich in einer Position, wo niemand mir Befehle erteilen kann!«
»Mir kann auch niemand Befehle erteilen – und ich brauche nicht diese lästige Verantwortung zu tragen.« Belgarath richtete sich auf. »Nun gut, Zakath, wollen wir zur Sache kommen? Was habt Ihr mit uns vor?«
»Ich habe mich noch nicht entschieden.« Der Kaiser ließ den Blick über sie wandern. »Ich nehme an, wir können uns in der gegenwärtigen Situation alle zivilisiert benehmen?«
»Was meint Ihr mit zivilisiert?«, fragte Garion.
»Ihr gebt mir Euer Wort, dass keiner von euch zu fliehen versucht oder irgendetwas Übereiltes tut. Es ist mir klar, dass Ihr und mehrere Eurer Begleiter gewisse besondere Gaben haben. Ich möchte mich nicht gezwungen sehen, sie durch Gegenmaßnahmen zu beschränken.«
»Wir sind in einer sehr dringlichen Angelegenheit unterwegs«, antwortete Garion vorsichtig, »und können deshalb nicht allzu lange bleiben. Doch einstweilen, glaube ich, lässt sich ein Übereinkommen treffen.«
»Gut. Wir unterhalten uns später weiter, Ihr und ich, um einander besser kennenzulernen. Ich habe bequeme Gemächer für Euch und Eure Begleiter herrichten lassen, und ich weiß, dass Ihr nach Eurer Gemahlin sehen wollt. Ich hoffe, Ihr entschuldigt mich, aber ich muss mich jetzt um einige dieser lästigen Verantwortlichkeiten kümmern, die Belgarath erwähnt hat.«
Obgleich das Haus sehr groß war, konnte man es nicht wirklich Palast nennen. Es sah ganz so aus, als wäre den murgosischen Generalgouverneuren von Hagga, die es hatten bauen lassen, nicht die Prunksucht der Herrscher von Urga zu eigen gewesen, und so war das Gebäude mehr zweckmäßig als prunkvoll.
»Bitte entschuldigt auch mich«, sagte General Atesca, als sie aus dem Audienzsaal traten. »Ich muss Seiner Majestät ausführlich Bericht erstatten – über verschiedenerlei Angelegenheiten – und dann sofort nach Rak Verkat zurückkehren.« Er blickte Garion an. »Die Umstände, unter denen wir uns kennenlernten, waren nicht die glücklichsten, Eure Majestät, aber ich würde mich freuen, wenn Ihr nicht zu schlecht von mir denkt.« Er verbeugte sich etwas steif und überließ sie der Fürsorge eines Höflings.
Der Mann, der sie einen langen, dunkel getäfelten Korridor entlanggeleitete, war offenbar kein Angarakaner. Er hatte weder die schrägen Augen noch die finstere Arroganz. Sein freundliches, rundes Gesicht ließ auf einen Melcener schließen, und Garion erinnerte sich, dass die Verwaltung, die für fast alle Aspekte des malloreanischen Lebens verantwortlich war, beinahe ausschließlich aus Melcenern bestand.
»Seine Majestät bat mich, Euch zu versichern, dass Eure Gemächer keineswegs als Gefängnis gedacht sind«, sagte er, als sie sich einer schweren Gittertür näherten, die einen Teil des Korridors abtrennte. »Das hier war ein murgosisches Haus, ehe wir die Stadt einnahmen, und hat gewisse bauliche Absonderlichkeiten. Eure Räume befinden sich in dem ehemaligen Frauenquartier, und Murgos bewachen ihre Frauen mit nahezu fanatischem Eifer. Ich glaube, es hat etwas mit Rassenreinheit zu tun.«
In diesem Augenblick interessierte sich Garion wenig für die Schlafordnung. Seine ganze Sorge galt Ce’Nedra. »Wisst Ihr zufällig, wo ich meine Gemahlin finden kann?«, fragte er den mondgesichtigen Bürokraten.
»Dort, am Ende des Korridors, Eure Majestät.« Der Melcener deutete auf eine blaue Tür am Ende des Ganges.
»Danke.« Garion wandte sich an die anderen. »Ich will nur kurz nach ihr sehen.« Er ging weiter.
Das Gemach, in das er kam, war warm und das Licht gedämpft. Dicke, kunstvoll gewebte Teppiche bedeckten den Boden, und grüne Vorhänge waren vor die hohen, schmalen Fenster gezogen. Ce’Nedra lag in einem Himmelbett an der Wand gegenüber der Tür, und Polgara saß mit ernster Miene davor.
»Hat sich ihr Zustand geändert?« Garion schloss leise die Tür hinter sich.
»Noch nicht«, antwortete sie.
Ce’Nedras von zerzausten roten Locken umrahmtes Gesicht war sehr bleich.
»Sie wird doch wieder gesund, nicht wahr?«, fragte er bang.
»Dessen bin ich sicher, Garion.«
Eine andere Frau saß neben dem Bett. Sie trug einen hellgrünen Umhang, dessen Kapuze sie trotz der Wärme im Raum über den Kopf gezogen hatte, so dass sie einen Teil ihres Gesichts verbarg. Ce’Nedra murmelte etwas mit rauem Ton und warf unruhig den Kopf herum. Die Vermummte runzelte die Stirn. »Ist das ihre übliche Stimme, Lady Polgara?«
Polgara blickte sie scharf an. »Nein«, entgegnete sie. »Keineswegs.«
»Könnte das Mittel, das Ihr ihr eingeflößt habt, den Klang ihrer Stimme verändern?«
»Ganz sicher nicht. Wenn es mit rechten Dingen zuginge, dürfte sie überhaupt keinen Ton von sich geben.«
»Ah«, murmelte die Frau. »Ich glaube, ich verstehe jetzt.« Sie beugte sich vor und legte ganz sanft die Fingerspitzen einer Hand auf Ce’Nedras Lippen. Dann nickte sie und zog sie zurück. »Wie ich vermutet habe.«
Auch Polgara streckte eine Hand aus, um Ce’Nedras Gesicht zu berühren. Garion vernahm das sanfte Wispern ihres Willens. Die Kerze am Nachttisch flackerte auf, dann erlosch sie, bis ihre Flamme gerade noch ein Punkt war.
»Ich hätte es ahnen müssen!«, sagte sie, verärgert über sich selbst.
»Was ist es?«, fragte Garion erschrocken.
»Ein anderer Geist versucht, Eure Gemahlin zu beherrschen und ihren Willen zu unterdrücken, Eure Majestät«, erklärte ihm die Vermummte. »Das ist ein Verfahren, dessen sich die Grolim manchmal bedienen. Sie entdeckten es rein zufällig während des dritten Zeitalters.«
»Das ist übrigens Andel, Garion«, sagte Polgara. »Zakath hat sie geschickt, um bei Ce’Nedras Pflege zu helfen.«
Garion nickte der Vermummten flüchtig zu. »Was genau meint Ihr mit ›beherrschen‹?«, fragte er.
»Das solltest du besser wissen als sonst jemand, Garion«, rügte Polgara. »Ich bin sicher, du erinnerst dich an Asharak, den Murgo.«
Unwillkürlich fröstelte Garion, als er sich an die Kraft des Geistes erinnerte, der von seiner frühesten Kindheit an versucht hatte, die Kontrolle über sein Bewusstsein zu übernehmen.
»Treib ihn aus!«, bat er. »Vertreib ihn, wer immer in ihrem Geist ist!«
»Besser nichts überstürzen, Garion«, entgegnete Polgara kalt. »Wir haben hier eine günstige Gelegenheit, die wir nutzen wollen!«
»Ich verstehe nicht.«
»Das wirst du schon noch, mein Lieber«, versicherte sie ihm. Sie stand auf, setzte sich auf den Rand des Bettes und legte die Hände auf Ce’Nedras Schläfen. Wieder vernahm Garion das sanfte Wispern, doch diesmal stärker, und aufs Neue flackerte die Kerze auf, ehe sie ganz zu erlöschen drohte. »Ich weiß, dass du da drin bist!«, sagte sie. »Also kannst du genauso gut etwas sagen.«
Ce’Nedras Züge verzerrten sich. Sie warf den Kopf heftig hin und her, als wollte sie den Händen auf ihren Schläfen entgehen. Polgaras Gesicht wurde streng, und unerbittlich ließ sie die Finger, wo sie waren. Die weiße Strähne in ihrem Haar begann zu glühen, und eine eigenartige Kälte breitete sich vom Bett her im Gemach aus.
»Sprich!«, befahl Polgara. »Du kannst nicht entkommen, ehe ich dich nicht freilasse. Und ich werde dich nicht freilassen, ehe du nicht sprichst!«
Plötzlich öffneten sich Ce’Nedras Augen. Hass sprach aus ihnen. »Ich fürchte Euch nicht, Polgara!«, sagte die raue Stimme mit eigenartigem Akzent.
»Und ich fürchte dich noch weniger. Also, wer bist du?«
»Ihr kennt mich, Polgara.«
»Schon möglich, aber ich will, dass du mir deinen Namen nennst!«
Eine lange Pause trat ein, und Polgaras Wille wurde spürbar stärker.
Erneut schrie Ce’Nedra – so voll Qual war der Schrei, dass Garion zusammenzuckte. »Hört auf!«, schrie die raue Stimme. »Ich werde reden!«
»Nenn deinen Namen!«, sagte Polgara unerbittlich.
»Ich bin Zandramas.«
»Und? Was hast du dir erhofft?«
Ein hässliches Kichern kam über Ce’Nedras bleiche Lippen. »Ich habe bereits ihr Herz gestohlen, Polgara – ihr Kind. Jetzt werde ich auch ihren Verstand rauben. Wenn ich wollte, könnte ich sie mühelos töten, doch eine tote Königin würde begraben, und ihr Grab bliebe zurück. Eine Wahnsinnige andererseits wird Euch viel zu schaffen machen und Euch in Eurer Suche nach dem Sardion behindern.«
»Ich kann dich mit einem Fingerschnippen austreiben, Zandramas.«
»Und ich kann ebenso schnell zurückkehren.«
Ein eisiges Lächeln spielte um Polgaras Lippen. »Du bist nicht halb so klug, wie ich dachte. Hast du tatsächlich geglaubt, ich würde dir deinen Namen nur zum Vergnügen entringen? Warst du dir denn nicht bewusst, welche Macht du mir über dich gabst, als du selbst deinen Namen ausgesprochen hast? Die Macht des Namens ist die größte überhaupt. Jetzt kann ich dich aus Ce’Nedras Geist verbannen. Aber das ist längst nicht alles. Zum Beispiel weiß ich nun, dass du dich gegenwärtig in Ashaba aufhältst, in diesen Fledermausruinen, die einst das Haus Toraks waren.«
Ein erschrockenes Aufstöhnen war zu vernehmen.
»Ich könnte dir noch mehr sagen, Zandramas, doch das Ganze beginnt mich zu langweilen.« Ohne die Hände von Ce’Nedras Schläfen zu nehmen, richtete sie sich auf. Die weiße Strähne schien Funken zu sprühen, und das bisher sanfte Wispern wurde zu einem ohrenbetäubenden Brüllen.
»Hinweg mit dir!«, befahl sie.
Ce’Nedra stöhnte, und ihr Gesicht war eine Maske der Qual. Ein eisiger, übelriechender Wind schien durchs Gemach zu heulen, das Licht der Kerzen und der Kohlebecken drohte ganz zu erlöschen.
»Hinweg!«, wiederholte Polgara.