Das Nibelungenlied - Franz Fühmann - E-Book

Das Nibelungenlied E-Book

Franz Fühmann

4,9

Beschreibung

Er trat vor Kriemhild, doch er wagte nicht mehr, sie anzublicken. Die Königin aber sagte, wie es die Sitte gebot: "Seid mir willkommen, Herr Siegfried, guter, edler Ritter!" Da wurde Siegfried über und über rot, und er verneigte sich tief vor der Schönen ... Ritter und Jungfrauen, Liebe und Tod, Ehre und Intrigen, Freund- und Feindschaften, Feste und Kämpfe - das Nibelungenlied, um 1200 entstanden, gehört zu den Stoffen der Weltliteratur, die bis heute fortwirken. So veröffentlichte auch Franz Fühmann 1971 seine Fassung des Heldenepos, erzählt von Siegfried, dem Drachentöter und Königssohn aus den Niederlanden, der sich aufmacht, Kriemhild zu freien, ein Mädchen, das war so auserlesen, daß man rings in den Landen kein schöneres an Wohlgestalt finden konnte, aber auch kein schöneres an Tugend und Edelsinn. Und er berichtet von Brünhild, die von Burgunds König Gunther durch eine List besiegt und zur Frau genommen wird, sowie über Hagen von Tronje, der Siegfried tötet und damit eine Kette unglückseliger Ereignisse heraufbeschwört. ... natürlich will ich das Original nicht ersetzen, ich will zu ihm hinführen, bekannte Fühmann. Folglich zeigt er, fern deutschtümelnder Interpretationen vergangener Zeiten, die Figuren in all' ihrer Widersprüchlichkeit, verweist auf Machtstrukturen und diesen zugrundeliegenden Verhaltensweisen, die schließlich in die vorhersehbare Katastrophe münden. Bis zum letzten Schwerthieb eine spannende Lektüre.

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FRANZ FÜHMANN

Das Nibelungenlied

mit Illustrationenvon Gudrun Hommers

Nach der Ausgabe von Helmut de Boor, Leipzig 1959. Benutzt wurde die Übertragung Helmut de Boors und die Prosaübertragung von Manfred Bierwisch, Leipzig 1960. Zur vertiefenden Lektüre sei vor allem auf diese beiden Ausgaben verwiesen.

Inhalt

Wie Kriemhild am Hofe zu Worms aufwuchs

Wie Siegfried am Hofe zu Xanten aufwuchs

Wie Siegfried nach Worms kam

Wie Siegfried mit den Sachsen stritt

Wie Siegfried Kriemhild zum ersten Mal sah

Wie Gunther nach Island zu Brünhild fuhr

Wie Gunther Brünhild gewann

Wie Siegfried nach seinen Mannen fuhr

Wie Siegfried als Bote nach Worms gesandt wurde

Wie Brünhild zu Worms empfangen wurde

Wie Siegfried mit seinem Weib in die Heimat zurückkehrte

Wie König Gunther Siegfried zum Hoffest lud

Wie Siegfried mit seinem Weibe zum Hoffest reiste

Wie die Königinnen einander beschimpften

Wie Siegfried verraten wurde

Wie Siegfried erschlagen wurde

Wie Siegfried beklagt und begraben wurde

Wie Siegmund wieder nach Hause reiste

Wie der Nibelungenhort nach Worms gebracht wurde

Wie König Etzel nach Burgund um Kriemhild sandte

Wie Kriemhild zu den Hunnen reiste

Wie Kriemhild von Etzel empfangen wurde

Wie Kriemhild erreichte, daß ihre Brüder zum Sonnenwendfest geladen wurden

Wie Wärbel und Schwämmel ihre Botschaft überbrachten

Wie die Nibelungen zu den Hunnen reisten

Wie Gelpfart von Dankwart erschlagen wurde

Wie die Nibelungen nach Pöchlarn reisten

Wie die Burgunder zu den Hunnen kamen

Wie Kriemhild Hagen schalt und wie er nicht vor ihr aufstand

Wie Hagen und Volker Wache hielten

Wie sie zur Kirche gingen

Wie Dankwart Bloedel erschlug

Wie die Burgunder mit den Hunnen kämpften

Wie sie die Toten aus dem Saal warfen

Wie Iring erschlagen wurde

Wie die Königin den Saal niederbrennen ließ

Wie Rüdiger erschlagen wurde

Wie Herrn Dietrichs Recken allesamt erschlagen wurden

Wie Herr Dietrich mit Gunther und Hagen kämpfte

Wie Kriemhild am Hofe zu Worms aufwuchs

Uns ist in alten mærenwunders vil geseitvon helden lobebæren,von grôzer arebeit,von fröuden, hôchgezîten,von weinen und von klagen,von küener recken strîtenmuget ír nu wunder hœren sagen.

Viel Staunenswertes ist in den alten Geschichten auf uns gekommen: Kunde von hochberühmten Helden und ihren Taten und ihrer Not, von Festesfreuden und Jammergeschrei und den Kämpfen der Kühnen, und wer mag, kann nun von all dem hören, es werden aber wundersame Dinge darunter sein.

Es wuchs damals in Burgund ein Mädchen heran, das war so auserlesen, daß man rings in den Landen kein schöneres an Wohlgestalt finden konnte, aber auch kein schöneres an Tugend und Edelsinn. Viele Ritter begehrten sie zur Frau, und alle Mädchen beneideten sie. Sie hieß Kriemhild, und drei edle und reiche Könige beschützten sie: Gunther, Gernot und der junge Giselher, das waren ihre Brüder. Es waren dies freigebige Herren aus hohem Geschlecht, unmäßig in ihrer Kraft und prächtige Haudegen, und sie herrschten gemeinsam über ihr Land. Ihre Mutter hieß Ute, ihr Vater hieß Dankrat, ihr Hof war zu Worms am Rhein, und ihr Gefolge waren die erprobtesten Streiter: Hagen von Tronje, sein Bruder Dankwart, dann Ortwin von Metz, die hochberühmten Markgrafen Gero und Eckewart, die vordem an der Elbe gegen die Heiden gefochten hatten, der Spielmann Volker von Alzay, der Küchenmeister Rumold, der Schenk Sindold und der Kämmerer Hunold und viele andere, deren Namen heut keiner mehr kennt, doch wenn man alle ihre Taten besingen wollte, würde ein Menschenleben dazu nicht ausreichen.

Eines Nachts träumte Kriemhild, sie zähme einen wilden und schönen Falken, da kämen mit einem Mal zwei Adler dahergeflogen und zerfleischten den schönen Falken, und sie hätte nie etwas Gräßlicheres gesehen. Diesen Traum erzählte sie ihrer Mutter Ute. Die aber sprach: »Der Falke, den du da gezähmt hast, das ist ein schöner und edler Mann, und Gott möge ihn wohl behüten, sonst verlierst du ihn bald!« Da sprach Kriemhild: »Wenn Ihr solches von meinem Manne zu sagen wißt, liebste Mutter, dann will ich zeitlebens ohne Liebe bleiben, auf daß ich niemals Leid erfahre. So werde ich es fröhlich haben bis zum Tod!« Da sagte die Mutter: »Rede nicht so daher, mein Kind, nur durch eines braven Ritters Liebe kannst du deine Schönheit dereinst auch mit Glück und Freude krönen!« Kriemhild aber bat die Mutter, stille zu sein, und verbannte seitdem die Liebe aus ihrem Sinn, auf daß sie am Ende der Freuden nicht Leid erfahre wie so viele andre Frauen. So wollte sie das Leid überlisten. Lange Zeit hielt sie es so, und doch werdet ihr sehen, daß ein Held sie heimführt, und er wird ihr Falke aus dem Traum sein, und ihre nächsten Verwandten werden ihn erschlagen, und daraus wird eine Rache wachsen, die diesem einen Gemordeten noch vieler Mütter Söhne ins Sterben nachschicken soll.

Wie Siegfried am Hofe zu Xanten aufwuchs

Dô wuohs in Niderlandeneins edelen küneges kint,des vater der hiez Sigemunt,sîn muoter Sigelint,in einer rîchen bürge,wîten wol bekant,nidene bî dem Rîne:diu was ze Sántén genant.

Damals wuchs in den Niederlanden ein Königssohn auf. Sein Vater hieß Siegmund, seine Mutter hieß Sieglind, und seine Burg war zu Xanten am Unterrhein. Sein Name war Siegfried, und er war, obwohl Siegfried noch jung war, schon hochberühmt in allen Christenlanden, denn Siegfried hatte tollkühne Abenteuer bestanden, und alle Frauen schmachteten bewundernd zu ihm auf. Die erprobtesten Ritter wetteiferten, ihn zu unterweisen, und die vornehmsten Junker aus nah und fern drängten sich in sein Gefolge, denn er galt mit Recht als eine Zierde des Reichs und aller Ritterschaft.

So war denn auch das Fest, das Siegmund und Sieglind zu ihres Sohnes Schwertleite gaben, von nie noch gesehener Pracht. Wer immer in diesem Sommer mündig wurde, das Schwert zu empfangen, wurde nach Xanten geladen, und das waren vierhundert Knappen, und keiner war aus geringem Geschlecht. Die Feierlichkeiten währten volle sieben Tage; der Leibrock, den Siegfried trug, strotzte von Goldstücken; die Messe im Münster war von berauschendem Prunk; vom Getöse der Reiterspiele bebten die Mauern des Bergfrieds, und unter dem Andrang der Schaulustigen brachen die Tribünen; nach dem Turnier funkelte das Gras auf dem Kampfplatz von abgesprengten Edelsteinen, und wer damals arm an den Rhein gereist war, und wenn’s der letzte Bärentreiber oder Feuerfresser gewesen wäre, der zog als reicher Mann wieder fort. Die Königin Sieglind wußte wohl, wie man sich und den Seinen Freunde schafft, und streute das rote Gold mit vollen Händen aus, daß es unerhört war, und Siegfried überschüttete seine Festgefährten mit Lehen und Landen, als wären es Splitter vom Speer oder Schild. Viele Vasallen hätten ihn darum gerne als Herren gesehen und stachelten ihn auch an, seinen Eltern die Krone zu entreißen. Siegfried aber lag solcher Ehrgeiz fern. Er wollte das Schwert, das er sich nun um den Leib gürten durfte, zu nichts anderem gebrauchen als zum Kampf gegen Unrecht und Missetat.

Wie Siegfried nach Worms kam

Den herren muoten seltendeheiniu herzen leit.er hôrte sagen mærewie ein scœniu meitwære in Búrgónden,ze wunsche wol getân,von der er sît vil vreudenund ouch árbéit gewan.

Eines Tages hörte Siegfried, daß in Burgund eine Jungfrau lebe, die sei schöner als alle Mädchen der Christenheit und weise doch jeden ab, der ihre Hand begehre, und wäre es der Kaiser selbst. Da dachte Siegfried, sie zu freien. Bis zu dieser Stunde hatte er noch kein Herzeleid gekannt.

Siegmund und Sieglind erfuhren bald von Siegfrieds Absicht und wurden bleich, denn sie kannten König Gunthers und der Seinen Hoffart, und sie kannten vor allem Hagen von Tronjes starren Stolz. Siegfried aber wollte von seinem Willen nicht lassen. Er sagte zu seiner Mutter: »Nie heirate ich eine andere als die, die ich liebe, und ich liebe nun einmal Kriemhild. Kann ich sie nicht in Freundschaft erringen, so werde ich es eben im Kampfe tun!«

»Laß solches Gerede, mein Sohn«, sagte da Siegmund aufgebracht und ängstlich, »wenn das nach Worms getragen wird, kannst du deine Hoffnung für immer begraben! Niemand ist mächtig genug, Kriemhild mit Gewalt zu erobern, das ist bekannt. Aber wenn du schon reiten willst und dir’s nicht ausreden läßt, lieber Sohn, dann reite wenigstens mit der stolzesten Heermacht; ich will für dich aufbieten, wen immer ich dazu bewegen kann!«

Da lachte Siegfried und sagte: »Mein Vater, ich will Kriemhild nicht mit Heeresmacht, ich will sie mit meinem Herzen erobern, und dazu genüge ich allein! Meinethalben will ich elf meiner Schwertleitgenossen zur Bedienung mitnehmen, mehr aber nicht!« Da weinte Sieglind und sah ihren Sohn schon zerhauen, und auch die Mütter und Bräute der elf Auserwählten weinten und jammerten sehr. Siegfried aber sprach: »Seid unbesorgt und weinet nicht, wir kommen alle heil zurück! Schafft uns, statt daß Ihr weint, lieber Kleider und Waffen, wie sie noch kein Ritter getragen, damit wir zu Worms Ehre für unser Land einlegen! Kein Stern soll heller strahlen als meine Schar beim ersten Ritt in die Welt!«

Da wurde Tag und Nacht gewebt und gewirkt und gehämmert und gekettelt und geschmiedet, und nie waren schließlich Gewänder so kostbar und Brünnen so blitzend und Helme so fest und Schilde so breit und dennoch schön! Das Zaumzeug der Rosse war schieres Gold und ihr Riemenzeug reine Seide; die Schwerter reichten den Helden bis zu den Sporen, und die geschliffene Spitze an Siegfrieds Speer war zwei Handspannen lang. So zogen die Helden nach Burgund, und überall auf dem Weg lief das Volk zusammen und starrte sie an, denn solche stattlichen Helden hatte man noch nicht gesehen.

Nach einer Woche kamen die zwölf nach Worms, und auch dort lief das Volk zusammen und staunte. Die Ritter und Knappen des Hofdienstes traten, wie es sich geziemte, zu den Fremden und nahmen ihnen die Schilde und die Pferde ab. Da sie aber die Pferde in den Stall führen wollten, sprach Siegfried: »Laßt die Tiere nur stehen, wir reisen bald weiter; sagt mir nur, wo ich euren hochmächtigen König Gunther finden kann!«

Man wies ihm den Weg zum Saal; doch schneller als der Gast kam die Kunde von ihm und seiner Pracht vor den König. Der wollte gerne wissen, wer die Gäste seien, aber niemand kannte sie. Schließlich riet Ortwin von Metz, seinen Onkel, den vielgereisten Hagen von Tronje, zu fragen, der kenne alle Helden der Christenheit. Man sandte nach ihm, und der treue Ritter eilte mit seinen Mannen zur Burg und erkundigte sich nach des Königs Wünschen. Da er sie erfuhr, blickte er lange aus dem Fenster auf Siegfried und dessen Schar, die sich im Burghof versammelte, und sagte schließlich: »Ich kenne die Fremden nicht, doch ich glaube, ihr Führer ist Siegfried. Ich habe ihn zwar noch nie gesehen, allein dem Aussehen nach kann es nur Siegfried sein.«

»Siegfried der Drachentöter?« fragte König Giselher.

»Ich glaube, daß er es ist«, sagte Hagen.

»Was wißt Ihr von ihm, Freund Hagen?« fragte König Gunther.

»Man kann ihn nicht töten«, sagte Hagen, »seine Haut ist vollständig mit Horn überzogen. Er hat sich im Blut des erschlagenen Drachen gebadet, da ist ihm ein Panzer gewachsen, der ihn unverwundbar macht. Außerdem besitzt er die Tarnhaut, mit der er sich jedem Blick entziehen kann, die hat er dem Zwerg Alberich abgenommen, dem Hüter des Nibelungenhorts, und er besitzt auch das Schwert Balmung, das schärfste aller Schwerter, die je ein Held geschwungen hat!«

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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