Das Persönlichkeits-Störungs-Rating-System - Rainer Sachse - E-Book

Das Persönlichkeits-Störungs-Rating-System E-Book

Rainer Sachse

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Beschreibung

Die Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen ist zwar besonders schwierig, gleichzeitig ist sie aber für den Psychotherapieprozess auch besonders wesentlich. In diesem Buch werden die auftretenden diagnostischen Probleme erörtert, und es wird dargestellt, warum eine frühe Diagnostik im Prozess wesentlich ist. Zur Lösung der diagnostischen Probleme wird ein spezifisches Rating-System vorgeschlagen, das von Therapeuten im Therapieprozess angewandt werden kann und das sehr solide diagnostische Aussagen ermöglicht – und zwar auch dann, wenn Klienten die Intention haben, dem Therapeuten noch gar keinen Einblick in ihre Probleme zu gewähren. Dies wird ermöglicht, indem das typische Spielverhalten und Vermeidungsverhalten von Klienten mit Persönlichkeitsstörungen bei der Diagnostik berücksichtigt wird. Mit dem vorgestellten System können Klienten mit narzisstischer, histrionischer, dependenter und selbstunsicherer Persönlichkeitsstörung diagnostiziert werden.

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Rainer Sachse

Das Persönlichkeits-Störungs-Rating-System

Narzisstische, histrionische, dependente und selbstunsichere Persönlichkeitsstörungen diagnostizieren

Praxis der Psychotherapie von Persönlichkeitsstörungen

Band 10

Das Persönlichkeits-Störungs-Rating-System

Prof. Dr. Rainer Sachse

Herausgeber der Reihe:

Prof. Dr. Rainer Sachse, Prof. Dr. Philipp Hammelstein, PD Dr. Thomas Langens

Prof. Dr. Rainer Sachse, geb. 1948. 1969–1978 Studium der Psychologie an der Ruhr-Universität Bochum. Ab 1980 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Ruhr-Universität Bochum. 1985 Promotion. 1991 Habilitation. Privatdozent an der Ruhr-Universität Bochum. Seit 1998 außerplanmäßiger Professor. Leiter des Institutes für Psychologische Psychotherapie (IPP), Bochum. Arbeitsschwerpunkte: Persönlichkeitsstörungen, Klärungsorientierte Psychotherapie, Verhaltenstherapie.

Wichtiger Hinweis: Der Verlag hat gemeinsam mit den Autoren bzw. den Herausgebern große Mühe darauf verwandt, dass alle in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen, Internetlinks etc.) entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abgedruckt oder in digitaler Form wiedergegeben wurden. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes und der digitalen Produkte können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren bzw. Herausgeber und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

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www.hogrefe.de

Umschlagabbildung: © iStock.com by Getty Images / kali9

Satz: publish4you, Engelskirchen

Format: EPUB

1. Auflage 2020

© 2020 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

(E-Book-ISBN [PDF] 978-3-8409-2994-6; E-Book-ISBN [EPUB] 978-3-8444-2994-7)

ISBN 978-3-8017-2994-3

http://doi.org/10.1026/02994-000

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Anmerkung:

Sofern der Printausgabe eine CD-ROM beigefügt ist, sind die Materialien/Arbeitsblätter, die sich darauf befinden, bereits Bestandteil dieses E-Books.

Zitierfähigkeit: Dieses EPUB beinhaltet Seitenzahlen zwischen senkrechten Strichen (Beispiel: |1|), die den Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe und des E-Books im PDF-Format entsprechen.

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung: Worum es geht

Teil 1: Theoretischer Hintergrund

2 Probleme bei der Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen

3 Die Diagnose von Persönlichkeitsstörungen ist schwierig

3.1 Ein psychologisches Modell von Persönlichkeitsstörungen als Ausgangspunkt der Überlegungen

3.2 Beziehungsorientierung

3.3 Mangelnde Änderungsmotivation

3.4 Hyper-allergische Schemata

3.5 Misstrauen

3.6 Images und Appelle

3.7 Mangelnde Repräsentation

3.8 Resümee

4 Weitere Probleme mit klassischen Diagnosesystemen

4.1 Konzeptuelle Probleme

4.2 Aktueller Forschungsstand

4.3 Resümee

Teil 2: Die Vorteile eines diagnostischen Ratingsystems

5 Diagnostizieren erfordert Expertise – unabhängig vom genutzten System

6 Eine mögliche Ergänzung: Das Persönlichkeits-Störungs-Rating-System

Teil 3: Darstellung des Ratingsystems

7 Das Persönlichkeits-Störungs-Rating-System

7.1 Der Fokus liegt auf Beziehungsstörungen

7.2 Grundüberlegungen zum Rating-System

7.3 Die Struktur des Rating-Systems

8 Analyse von Images und Appellen

8.1 Einleitung

8.2 Was sind Images und Appelle?

8.3 Besonderheiten von Images und Appellen

8.4 Das Entschlüsseln von Images und Appellen

9 Narzisstische Persönlichkeitsstörungen

9.1 Kriterien für Narzissmus

9.2 Erfolgreiche Narzissten: NAR

9.3 Erfolglose Narzissten: ELNAR

9.4 Gescheiterte Narzissten: GENAR

10 Histrionische Persönlichkeitsstörung

10.1 Kriterien für die histrionische Störung

10.2 Positive Strategien

10.3 Negative Strategien

10.4 Erfolgreiche (HIS) und erfolglose (ELHIS) Histrioniker

11 Dependente Persönlichkeitsstörung

12 Selbstunsichere Persönlichkeitsstörung

13 Komorbidität

14 Auswertungsbogen

15 Rating-Vorgehen

15.1 Grundannahmen zum Ratingprozess

15.2 Das konkrete Vorgehen

15.2.1 Stichproben

15.2.2 Kriterien für die Diagnosestellung

Teil 4: Die Illustration des Rating-Vorgehens an Transkripten

16 Beispiele für Ratings

16.1 Rating beim Therapieprozess einer dependenten Klientin

16.1.1 Einleitung

16.1.2 Der Fall

16.1.3 Das Transkript

16.1.4 Das Rating

16.1.5 Resümee

16.2 Rating beim Therapieprozess mit einem narzisstischen Klienten

16.2.1 Der Fall

16.2.2 Das Transkript

16.2.3 Das Rating

16.2.4 Resümee

Teil 5: Reliabilität und Validität

17 Reliabilität des Systems

18 Validität des Systems

18.1 Einleitung

18.2 Validierung I: Unterschiede zwischen den Störungen

18.2.1 Grundidee

18.2.2 Vergleiche von Narzissten mit erfolglosen Narzissten

18.2.3 Überblick über die Hypothesen

18.2.4 Ergebnisse

18.2.5 Vergleich von Narzissten mit gescheiterten Narzissten

18.2.6 Überblick über die Hypothesen

18.2.7 Ergebnisse

18.2.8 Vergleiche von Histrionikern und erfolglosen Histrionikern

18.2.9 Überblick über die Hypothesen

18.2.10  Ergebnisse

19 Vergleich der Therapie-Erfolge

19.1 Einleitung

19.2 Vergleich der Narzissmus-Gruppen

19.2.1 Hypothesen

19.2.2 Vorgehen

19.2.3 Stichprobe

19.3 Ergebnisse

19.4 Resümee

19.5 Vergleich der Histrionik-Gruppen

19.5.1 Hypothesen

19.5.2 Stichprobe

19.5.3 Ergebnisse

19.5.4 Resümee der Vergleiche der Histrionik-Gruppen

20 Vergleich der Ergebnisse des PSRS und der SKID-II-Einschätzungen

20.1 Grundüberlegungen

20.2 Ergebnisse

21 Schlussfolgerungen aus den empirischen Untersuchungen

Literatur

Endnoten

|9|1 Einleitung: Worum es geht

Psychotherapie mit persönlichkeitsgestörten Klienten (PD für „personality disorders“) zu machen, ist für Therapeuten eine sehr anspruchsvolle Aufgabe: Therapeuten sollten in der Lage sein, sich den Klienten gegenüber komplementär zu den zentralen Beziehungsmotiven zu verhalten, die Klienten zu konfrontieren, Schemata zu bearbeiten usw. Dabei muss man aber davon ausgehen, dass sich Klienten mit verschiedenen PD stark unterscheiden: Klienten mit unterschiedlicher PD weisen unterschiedliche Beziehungsmotive auf, unterschiedliche manipulative Strategien usw.

Ein Therapeut, der sich in hohem Maße auf einen Klienten einstellen will, kann das nur, wenn er versteht, wie das System des Klienten „psychologisch funktioniert“, wenn er also ein Modell vom Klienten entwickelt hat. Und ein zentraler Aspekt des Modells ist die Diagnose. Eine Diagnose ist eine Heuristik, die den Therapeuten darüber informiert, zwischen welchen psychologischen Komponenten bei einem Klienten in welcher Weise Wechselwirkungen bestehen. Hieraus lässt sich dann wiederum ableiten, welche Arten von Interventionen wahrscheinlich einen positiven Einfluss auf den Klienten haben werden. Die Heuristik sagt den Therapeuten aber auch, mit welchen (Interaktions-)Problemen er bei einem Klienten rechnen muss und wie er konstruktiv damit umgehen kann.

Schon ganz zu Beginn der Therapie möchte sich ein Therapeut gezielt komplementär zu den Beziehungsmotiven des Klienten verhalten, um möglichst schnell eine vertrauensvolle Beziehung zum Klienten aufzubauen. Das kann er aber nur dann tun, wenn er weiß, was die zentralen Beziehungsmotive des Klienten sind. Durch eine Diagnose wird dies klar.

Daher sind Diagnosen wichtig: Sie informieren den Therapeuten über das, was zu erwarten ist und das, was er prinzipiell tun kann. Darin liegt die psychotherapeutische Funktion von Diagnosen. Um möglichst schnell möglichst effektiv therapeutisch arbeiten zu können, muss ein Therapeut daher möglichst schnell eine möglichst valide Diagnose als eine Arbeitshypothese bilden.

Ich möchte hier aufzeigen, dass dies aber bei Klienten mit PD aus verschiedenen Gründen sehr schwierig ist, dass „klassische“ Diagnose-Instrumente dazu nicht ausreichen und dass man für eine gute Klärungsorientierte Psychotherapie von PD ein besseres, leichter anwendbares und valideres Diagnose-Instrument benötigt als DSM, ICD oder daraus abgeleitete Interviews und Fragebögen.

Und vor allem: Da Klienten mit PD stark dazu neigen, dem Therapeuten zu Therapiebeginn gar keine relevanten inhaltlichen Informationen über ihre Störung zu geben und dazu neigen, den Therapeuten stark durch Images und Appelle zu „täuschen“, benötigt man ein Diagnose-Instrument, das in der Lage ist, genau dieses Verhalten der Klienten konstruktiv für eine Diagnose zu nutzen.

|10|Ein solches Instrument möchte ich in Form des „Persönlichkeits-Störungs-Rating-Systems“ (PSRS) vorstellen. Ich möchte es definieren, aufzeigen, wie es angewandt werden kann und erste Ergebnisse zu seiner Reliabilität und Validität darstellen.

|11|Teil 1:Theoretischer Hintergrund

In diesem Teil des Buches wird erörtert, welche speziellen Probleme sich bei der Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen ergeben.

Es wird dargestellt, auf welche relevanten, sich aus dem Interaktionsverhalten und den geäußerten Inhalten von Klienten abzuleitenden Aspekte sich eine Diagnostik beziehen könnte.

|13|2 Probleme bei der Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen

Es ist natürlich von großer Bedeutung, dass ein Psychotherapeut eine bestimmte Persönlichkeitsstörung valide erfassen kann. Denn von der Diagnose hängen wesentliche Entscheidungen im Hinblick auf das weitere therapeutische Vorgehen ab: beispielsweise welche Art von Beziehungsgestaltung ein Therapeut einem Klienten gegenüber realisiert, auf welche Art von Tests sich der Therapeut einstellen muss, mit welchen Arten von Interaktionsproblemen er rechnen muss und wie er konstruktiv damit umgehen kann, welche Arten von Schemata er klären muss u. a.1

Aus unserer Sicht geht es hier auch nicht um die „offiziellen“ Diagnosen, die Personen außerhalb der Therapie mitgeteilt werden: Hier besteht durchaus eine Stigmatisierungsgefahr und man sollte vorsichtig damit umgehen (vgl. Fiedler, 1994, 2000; Fiedler & Herpertz, 2016).

Hier geht es um das, was wir Supervisionsdiagnosen nennen: Diagnostische Hypothesen, deren Zweck es ausschließlich ist, Teil von Modellen über Klienten zu sein (vgl. Sachse, 2017) und damit Grundlage von therapeutischen Entscheidungen zu werden! Und eine solche Diagnose ist notwendig und wichtig, damit ein Therapeut ein valides Klienten-Modell entwickeln kann: Als eine (mehr oder weniger) gut fundierte und validierte Hypothese über die Art des „psychologischen Funktionierens“ des Klienten. Denn Diagnosen sind keine „Zuschreibungen“, sondern Heuristiken: Sie liefern den Therapeuten Hypothesen über den Klienten, über die Art seines „psychologischen Funktionierens“ etc., z. B. darüber, welche zentralen Beziehungsmotive ein Klient aufweist, welche Tests zu erwarten sind u. a. Aber auch darüber, welche therapeutischen Interventionen mit hoher Wahrscheinlichkeit konstruktiv sein werden.

Natürlich muss ein Therapeut die Hypothesen weiter prüfen, elaborieren, gegebenenfalls modifizieren oder völlig ändern: Diese Prozesse habe ich ausführlich in „Therapeutische Informationsverarbeitung“ (Sachse, 2017; aber auch: Sachse, 1992a, 1992b, 1996, 2006c, 2009; Sachse, Breil & Fasbender, 2011) erläutert, daher will ich an dieser Stelle nicht weiter darauf eingehen.

Ein Therapeut sollte eine PD-Diagnose auch möglichst früh im Therapieprozess stellen, denn nur dann weiß er z. B. überhaupt, welche Art von komplementärer Beziehungsgestaltung er realisieren sollte; nur dann hat er eine Vorstellung davon, welche „hypersensiblen Schemata“ ein Klient aufweist (oder aufweisen könnte!) und an welchen Stellen ein Therapeut damit vorsichtig agieren sollte, um keine interaktionellen Krisen zu provozieren.2

|14|Daher sollte ein Therapeut in der Lage sein, eine solche Diagnose, oder besser gesagt, eine Hypothese über eine solche Diagnose (Sachse, 2017) möglichst schon bis zur fünften Therapiestunde aufzustellen. Tut er dies nicht oder kann er es nicht, wird die Therapie dadurch beeinträchtigt. (Natürlich ist dies nicht für alle Klienten möglich: Bei Klienten mit Distanzstörungen wird dies in der Regel länger dauern, da die Klienten hoch misstrauisch sind und den Therapeuten nur sehr allmählich relevante Informationen liefern (Sachse, 2014b; Sachse & Kiszkenow-Bäker, 2016; Sachse, Kiszkenow-Bäker & Schirm, 2015, 2016; Sachse & Sachse, 2017).)

Und: Die Diagnose sollte zutreffend (valide) sein, denn nur dann „passt“ das therapeutische Handeln auf die spezifische psychische Struktur des Klienten und kann so therapeutisch wirksam werden. Ist die Diagnose unzutreffend, dann wirken die Interventionen im günstigsten Fall gar nicht, im ungünstigen Fall sind sie aber kontraindiziert und verschlechtern die Therapeut-Klient-Beziehung. Daher ist eine valide Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen (PD) von großer Bedeutung.

Bedauerlicherweise ist eine solche Diagnostik jedoch sehr schwierig: Klienten mit PD zeigen spezifische Aspekte von Beziehungsgestaltung, von Schemata, von Images und Appellen etc., die eine valide Diagnostik äußerst stark erschweren, vor allem bei bestimmten diagnostischen Zugängen wie Interviews oder Fragebögen. Daher kann man Klienten mit Persönlichkeitsstörungen nicht nur im Hinblick auf therapeutische Interventionen nicht genauso behandeln wie Klienten mit Achse-I-Störungen: Man kann dies auch schon auf diagnostischer Ebene nicht tun.

Im Folgenden soll näher auf diese diagnostischen Probleme eingegangen werden.

|15|3 Die Diagnose von Persönlichkeitsstörungen ist schwierig

3.1 Ein psychologisches Modell von Persönlichkeitsstörungen als Ausgangspunkt der Überlegungen

Es wurde ein psychologisches Funktionsmodell für Klienten mit Persönlichkeitsstörungen vorgeschlagen, das sogenannte „Modell der doppelten Handlungsregulation“. Es handelt sich dabei um ein allgemeines psychologisches Modell, das spezifiziert, welche psychologischen Prozesse bei PD eine Rolle spielen, wie diese Prozesse interagieren und zu welchen Handlungen und Konsequenzen sie führen.

Dieses Modell wurde für jede einzelne PD genauer ausformuliert und spezifiziert damit, wie eine bestimmte PD „funktioniert“ und es lässt sich ableiten, was genau eine spezifische Störung charakterisiert.3

Das Modell ist völlig kompatibel mit den bisherigen empirischen Forschungsergebnissen zu PD und hat sich in Therapie-Untersuchungen hochgradig bewährt (vgl. Sachse & Sachse, 2016c, 2016d, 2016e, 2016f, 2016g, 2016h, 2016i).

Aus diesem Modell lassen sich nun einige Charakteristika von Klienten mit PD ableiten, die deutlich machen, warum genau eine Diagnostik bei diesen Klienten besonders schwierig ist.

3.2 Beziehungsorientierung

Klienten mit PD sind hochgradig beziehungsorientiert: Sie wollen von Interaktionspartnern in bestimmter Weise behandelt werden oder nicht behandelt werden. Sie wollen, dass ein Interaktionspartner eine bestimmte Art von Beziehung zu ihnen aufnimmt. Mit dieser primären Beziehungsorientierung kommen sie auch in die Therapie: Sie wollen damit ebenfalls, dass der Therapeut ihnen eine bestimmte Art von Beziehung anbietet (vgl. Benjamin, 1987, 1992, 1993, 1995, 1996; Fiedler, 1998, 2000, 2007).

An anderen Aspekten der Interaktion sind sie (zumindest in der ersten Phase der Entwicklung einer Beziehung) nur zweitrangig interessiert. Damit sind sie auch kaum an einer Bearbeitung von Problemen oder „Störungen“ und auch nicht an Fragen der Diagnostik interessiert.

|16|Will ein Therapeut diagnostische Information und erhebt diese in einem Interview oder per Fragebogen, sind die Klienten daran insgesamt nur wenig interessiert und damit nicht sehr stark zu einer Kooperation motiviert. Die Klienten sehen diagnostische Prozeduren nicht als sinnvoll an und sind nur wenig motiviert, sich anzustrengen und dem Therapeuten valide Informationen zu liefern. Allein dies wird die Validität der durch Interviews oder durch Fragebögen gewonnenen Informationen deutlich reduzieren.

3.3 Mangelnde Änderungsmotivation

Persönlichkeitsstörungen sind sogenannte „ich-syntone Störungen“ (Fiedler, 1998, 2000, 2005, 2006, 2007, 2014; Fiedler & Herpertz, 2016; Vaillant & Perry, 1988). Das bedeutet, dass wesentliche Aspekte der Störung die Klienten selbst gar nicht stören. Sie sehen zwar unter Umständen die Kosten ihres Systems, sehen aber nicht, dass sie an sich selbst etwas ändern sollten.

Klienten mit PD weisen deshalb (in der ersten Phase der Therapie, also in den ersten 5–10 Therapiestunden) nur eine geringe bis keine Änderungsmotivation auf: Sie sind nicht geneigt, sich selbst zu ändern, therapeutisch mitzuarbeiten, sich anzustrengen etc. Sie erkennen eigene Probleme und Problemaspekte zum Teil gar nicht (wegen der hohen Ich-Syntonie) und/oder sie verzerren diese Aspekte systematisch (aufgrund der hohen Selbsttäuschung; Sachse, 2014e) und/oder sie halten Aspekte, die sie sehen, für wenig relevant.

Diese Aspekte sollten die Validität der durch Interviews oder Fragebögen erhobenen Daten stark beeinflussen: Haben die Klienten keine valide Repräsentation relevanter psychischer Faktoren, dann können sie logischerweise darüber auch keine validen Auskünfte geben! Dieser psychologisch hoch relevante Aspekt wird meines Erachtens nach bei Interviews oder Fragebögen oft systematisch übersehen!

Dies ist ein zentraler psychologischer Faktor: Alle Verfahren, die Klienten Fragen stellen, die Klienten direkt beantworten sollen, gehen davon aus,

dass den Klienten die relevanten, abgefragten Aspekte repräsentiert und bewusst sind,

dass die Klienten diese Aspekte aufgrund der Befragung aus dem Gedächtnis abrufen können.

Ist dies (aus welchen Gründen auch immer) nicht der Fall, sind solche Arten des Informationszugangs suboptimal bis sinnlos. Die Klienten sehen den Sinn therapeutischer Maßnahmen kaum ein und sind daher sehr wenig geneigt, mit den Therapeuten wiederum zu kooperieren. Dies erschwert noch einmal sehr stark die Diagnostik. Die Klienten sind damit auch nicht motiviert, sogar bisweilen reaktant, Fragen im Interview oder in Fragebögen zu beantworten.

|17|3.4 Hyper-allergische Schemata

Klienten mit PD weisen immer stark negative Selbstschemata auf, und damit betrachten sie eigene Aspekte ihrer Person immer als negativ, selbstwertbelastend, „brisant“ etc. Normalerweise vermeiden sie systematisch eine Konfrontation mit diesen Aspekten.

Werden sie aber durch Fragen auf solche Aspekte gestoßen, kann das starke Vermeidung auslösen: Die Klienten geben dem Therapeuten die relevanten Informationen nicht, weil sie diese systematisch aus ihrer Aufmerksamkeit ausblenden. Sie tun dies entweder bewusst-intentional oder automatisiert, was jedoch für die Gabe von Informationen den gleichen Effekt hat.4

Oder aber die Frage „triggert“ die Schemata und führt zu einer heftigen negativen Reaktion: Der Klient reagiert ärgerlich, reaktant, verweigert Information und verschlechtert die Beziehung zum Therapeuten. Außerdem weisen fast alle Klienten mit PD ausgeprägte Regelschemata auf, also Schemata, wie man von Interaktionspartnern behandelt werden will und wie nicht. Verstoßen Interaktionspartner gegen solche Regeln, können sie ebenfalls starke Ärgerreaktionen und starke Reaktanz auslösen. Und dies können auch Interviewer mit ihren Fragen oder Fragebögen. Ärgerreaktionen oder Reaktanz senken jedoch in (extrem) hohem Maße die Kooperationsbereitschaft des Klienten und damit auch seine Bereitschaft, sich mit Fragen auseinanderzusetzen und valide Antworten zu produzieren.

Alle diese Faktoren beeinträchtigen die Validität solcher Erhebungen. Jeder der bisher genannten Problemaspekte ist für sich schon relevant. Leider kommt aber noch ein äußerst wichtiges Problem dazu, dass die Situation sehr stark verschlechtert: Misstrauen.

3.5 Misstrauen

Aufgrund der negativen Selbstschemata, vor allem aber aufgrund der negativen Beziehungsschemata, die alle Klienten mit PD aufweisen, sind sie Interaktionspartnern und damit auch Therapeuten und Diagnostikern gegenüber (mehr oder weniger) misstrauisch: Sie erwarten Bewertung, Abwertung, Kritik, Ablehnung usw. und sind daher überhaupt nicht geneigt, sich von einem Interaktionspartner „in die Karten gucken zu lassen“.

Da es sich hier um Schemata handelt, werden die daraus resultierenden Bewertungen auch dann aktiv, wenn die Klienten wissen, dass es sich um Therapeuten handelt: Eventuelle rationale Gegenargumente werden durch das Schema „überschrieben“. Oft macht die Tatsache, dass es sich bei den Diagnostikern um Psychologen handelt, alles nur noch schlimmer: Denn Klienten können befürchten, „durchschaut“, gegen ihren Willen analysiert zu werden u. Ä.

Die Klienten wenden dann diese Schemata mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch auf Therapeuten, Interviewer oder dann auch auf Fragebögen an: Sie rechnen in hohem Maße damit, dass die Informationen, die sie geben, in irgendeiner Weise gegen sie verwendet werden können oder verwendet werden.

|18|Dieses Misstrauen gibt es bei allen Klienten mit PD, aber es ist nicht bei allen Klienten gleich stark: Relativ gering ist es bei Dependenten, stark ist es bei Narzissten, sehr stark bei Zwanghaften und bei Paranoiden. Und Misstrauen zeigt sich nicht erst bei einer ausgeprägten Störung: Es ist schon bei einem leichten Stil von Bedeutung. Dies führt zu einer starken (z. B. Narzissten) bis extrem starken (z. B. paranoiden) Tendenz, dem Interaktionspartner keine relevanten Informationen zu geben: Also wichtige Informationen zu verschweigen, zu verfälschen oder zu verzerren.