Ressourcen erkennen und fördern bei Persönlichkeitsstörungen - Rainer Sachse - E-Book

Ressourcen erkennen und fördern bei Persönlichkeitsstörungen E-Book

Rainer Sachse

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Beschreibung

Personen mit Persönlichkeitsstilen oder Persönlichkeitsstörungen produzieren durch ihr Verhalten nicht nur hohe psychologische "Kosten", sie weisen durchaus auch ein hohes Ausmaß an Ressourcen auf. Die Art der Ressourcen ist dabei abhängig von der jeweiligen Persönlichkeitsstörung. Der Zugang zu den jeweiligen Ressourcen ist den Betroffenen jedoch oft nicht möglich. Um sie dennoch nutzen zu können, sind daher besondere therapeutische Vorgehensweisen notwendig, die weit über eine "Ressourcen-Aktivierung" hinausgehen. Das Buch beschreibt, welche Arten von Ressourcen bei den einzelnen Persönlichkeitsstilen und -störungen zu finden sind und wie diese nutzbar gemacht werden können. Es unterstreicht deutlich, dass eine Persönlichkeitsstörung nicht nur problematische Komponenten und Handlungen impliziert, sondern auch potenziell positive Aspekte aufweist, wenn spezifische Blockaden abgebaut werden können.

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Rainer Sachse

Ressourcen erkennen und fördern bei Persönlichkeitsstörungen

Praxis der Psychotherapie von Persönlichkeitsstörungen

Band 12

Ressourcen erkennen und fördern bei Persönlichkeitsstörungen

Prof. Dr. Rainer Sachse

Die Reihe wird herausgegeben von:

Prof. Dr. Rainer Sachse, Prof. Dr. Philipp Hammelstein, PD Dr. Thomas Langens

Prof. Dr. Rainer Sachse, geb. 1948. 1969–1978 Studium der Psychologie an der Ruhr-Universität Bochum. Ab 1980 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Ruhr-Universität Bochum. 1985 Promotion. 1991 Habilitation. Privatdozent an der Ruhr-Universität Bochum. Seit 1998 außerplanmäßiger Professor. Leiter des Institutes für Psychologische Psychotherapie (IPP), Bochum. Arbeitsschwerpunkte: Persönlichkeitsstörungen, Klärungsorientierte Psychotherapie, Verhaltenstherapie.

Wichtiger Hinweis: Der Verlag hat gemeinsam mit den Autor:innen bzw. den Herausgeber:innen große Mühe darauf verwandt, dass alle in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen, Internetlinks etc.) entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abgedruckt oder in digitaler Form wiedergegeben wurden. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes und der digitalen Produkte können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autor:innen bzw. Herausgeber:innen und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

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www.hogrefe.de

Umschlagabbildung: © iStock.com by Getty Images / NickyLloyd

Satz: Sabine Rosenfeldt, Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

Format: EPUB

1. Auflage 2022

© 2022 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

(E-Book-ISBN [PDF] 978-3-8409-3155-0; E-Book-ISBN [EPUB] 978-3-8444-3155-1)

ISBN 978-3-8017-3155-7

https://doi.org/10.1026/03155-000

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Diese Bestimmungen gelten gegebenenfalls auch für zum E-Book gehörende Download-Materialien.

Zitierfähigkeit: Dieses EPUB beinhaltet Seitenzahlen zwischen senkrechten Strichen (Beispiel: |1|), die den Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe und des E-Books im PDF-Format entsprechen.

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

1.1 Persönlichkeitsstörungen und Ressourcen

1.2 Ressourcen und Ressourcen-Aktivierung

Teil 1: Theoretische Grundlagen

2 Das Modell der Doppelten Handlungsregulation

2.1 Das Modell

2.1.1 Überblick

2.1.2 Die Motiv-Ebene

2.1.3 Schemata

2.1.4 Manipulatives Handeln

3 Ressourcen-Aktivierung bei Persönlichkeitsstörungen: Ein ganz spezieller Fall

3.1 Einleitung

3.2 Arten von Ressourcen

3.2.1 Beziehungsmotive

3.2.2 Verarbeitungs- und Handlungskompetenzen

3.2.3 Selbst- und Beziehungsschemata

3.2.4 Normen

3.2.5 Regeln

3.2.6 Manipulative Strategien

3.3 Probleme mit den Ressourcen

3.4 Das „Dosierungsproblem“

4 Therapeutische Förderung von Ressourcen bei Klienten mit Persönlichkeitsstörungen

4.1 Einleitung

4.2 Psychotherapie bei Persönlichkeitsstörungen

4.2.1 Phasen der Therapie

4.2.2 Klärung und Bearbeitung dysfunktionaler Schemata

4.3 Grundsätzliche Vorgehensweisen bei der Förderung potenzieller Ressourcen

4.3.1 Einleitung

4.3.2 Definition der augenblicklichen Normen, Regeln und Manipulationen

4.3.3 Entscheidung zur Veränderung

4.3.4 Analyse der Aspekte, die verändert werden müssen

4.3.5 Entwicklung von Alternativen

4.3.6 Regeln

4.3.7 Manipulationen

4.3.8 Normen

4.3.9 Positives Selbstschema

5 Therapeutische Bearbeitung der Alienation

5.1 Einleitung

5.2 Der Begriff der Alienation

5.3 Psychologische Wirkung von Alienation

5.4 Ein Modell für die Komponenten einer Alienation

5.5 Therapeutische Ansatzpunkte

5.6 Spezifische Vorgehensweisen

5.6.1 Nicht ernst nehmen der Indikatoren

5.6.2 Training der Aufmerksamkeitszuwendung

5.6.3 Verstehen und Dekodieren der Indikatoren

5.6.4 Techniken der Alienationsbearbeitung, die mit den „felt senses“ arbeiten

5.6.5 Hausaufgaben

5.6.6 Techniken, die mit Stimmungen arbeiten

5.6.7 Techniken, die mit Imaginationen arbeiten

5.6.8 Kontrast-Effekte

Teil 2: Spezifische Aspekte der reinen Persönlichkeitsstörungen

6 Narzisstische Persönlichkeitsstörung

6.1 Charakteristika von NAR

6.1.1 Negatives Selbstschema

6.1.2 Positive Selbstschemata

6.1.3 Beziehungsschemata

6.1.4 Normative Schemata

6.1.5 Regelsetzerschema

6.2 Manipulatives Handeln

6.3 Förderung von Ressourcen

6.3.1 Handlungsorientierung

6.3.2 Positives Selbstschema

6.3.3 Normen

6.3.4 Regeln

7 Histrionische Persönlichkeitsstörung

7.1 Beschreibung

7.2 Zentrale Beziehungsmotive

7.3 Dysfunktionale Schemata

7.3.1 Selbstschemata

7.3.2 Beziehungsschemata

7.4 Kompensatorische Normschemata

7.5 Kompensatorische Regelschemata

7.6 Manipulation

7.6.1 Positive und negative Strategien

7.6.2 Images, Appelle und interaktionelle Spiele

8 Dependente Persönlichkeitsstörung

8.1 Relevante Charakteristika

8.2 Beziehungsmotive

8.3 Selbstschemata

8.4 Beziehungsschemata

8.5 Normative Schemata

8.6 Regelschemata

8.7 Manipulative Strategien

9 Selbstunsichere Persönlichkeitsstörung

9.1 Zentrale Beziehungsmotive

9.2 Selbstschemata

9.3 Beziehungsschemata

9.4 Normative Schemata

9.5 Regelschemata

9.6 Manipulation

10 Passiv-aggressive Persönlichkeitsstörung

10.1 Beschreibung der Störung

10.2 Was ist passiv-aggressives Handeln?

10.3 Zentrale Beziehungsmotive

10.4 Selbstschemata

10.5 Beziehungsschemata

10.6 Normative Schemata

10.7 Regelschemata

10.8 Manipulation

10.9 Positive Nutzung passiv-aggressiver Strategien

11 Schizoide Persönlichkeitsstörung

11.1 Beschreibung der Störung

11.2 Zentrale Beziehungsmotive

11.3 Selbstschemata

11.4 Beziehungsschemata

11.5 Normschemata

11.6 Regelschemata

11.7 Manipulation

12 Zwanghafte Persönlichkeitsstörung

12.1 Beschreibung der Störung

12.2 Zentrale Beziehungsmotive

12.3 Selbstschemata

12.4 Selbstwert-Erhöhung

12.5 Beziehungsschemata

12.6 Normative Schemata

12.7 Regelschemata

13 Paranoide Persönlichkeitsstörung

13.1 Beschreibung der Störung

13.2 Zentrale Beziehungsmotive

13.3 Selbstschemata

13.4 Beziehungsschemata

13.5 Normative Schemata

13.6 Regelschemata

13.7 Manipulation, Images und Appelle

Literatur

Endnoten

|9|1 Einleitung

1.1 Persönlichkeitsstörungen und Ressourcen

Betrachtet man die psychologischen Komponenten von Persönlichkeitsstörungen (PD für „personality disorder“), dann wird schnell klar, dass die meisten Klientena durch viele ihrer psychologischen „Strukturen“ (massive) Kosten verursachen, dass sie andererseits aber auch über viele Ressourcen verfügen. Es wird jedoch genauso schnell klar, dass sie diese nicht gut einsetzen, ungünstig verwenden oder dass andere Komponenten der Störung das Erkennen oder Nutzen von Ressourcen systematisch verhindern.1,b

Das hohe Ausmaß an Ressourcen, die man erkennen kann, macht jedoch deutlich,

dass eine PD keineswegs nur problematische Komponenten und Handlungen impliziert,

dass eine PD vielmehr viele (potenziell) positive Aspekte enthält,

dass die Struktur der Störung die Ressourcen jedoch blockiert,

dass dadurch durch ungünstiges Handeln deutlich mehr Kosten als Gewinne erzeugt werden.

Erkennt man dies, macht es therapeutisch sehr viel Sinn, darüber nachzudenken, wie diese Ressourcen nutzbar gemacht werden können bzw. wie die Blockaden, die eine solche Nutzung verhindern, abgebaut werden können. Genau darum soll es in diesem Buch gehen: Um die Frage, welche Ressourcen Personen mit PD im Allgemeinen und mit spezifischen Persönlichkeitsstörungen im Besonderen aufweisen, wie man diese Ressourcen deutlich machen kann, wie man sie nutzbar macht und vor allem wie man die Blockaden abbaut, die einer Nutzung von Ressourcen entgegenstehen.

|10|1.2 Ressourcen und Ressourcen-Aktivierung

An dieser Stelle wird kurz darauf eingegangen, was Ressourcen sind, warum Ressourcen wesentlich sind, wie man im Therapieprozess „Ressourcen aktiviert“ und wie man Blockaden bearbeitet.

Über das Thema Ressourcen und Ressourcen-Aktivierung existiert eine umfangreiche Literatur2, die hier nicht referiert werden soll: Ich möchte hier vor allem auf die Aspekte eingehen, die für den Bereich Persönlichkeitsstörungen relevant sind.

Ressourcen von Klienten sind alle Aspekte der Person, die sich positiv auswirken können auf Lebensbewältigung, Problemlösung, die Lösung von Konflikten, interaktionelle Krisen o. Ä. und die sich damit auch positiv auswirken können auf die Bearbeitung therapeutischer Probleme und zu deren Lösung beitragen können. Dabei möchte ich mich explizit nur mit Ressourcenaspekten der Person befassen, nicht mit potenziellen „Umweltressourcen“ wie Freunde, Kontakte, Unterstützungssysteme o. Ä.

Ob ein psychischer Faktor als eine Ressource fungieren kann, hängt immer auch vom Kontext ab: In bestimmten Kontexten kann er vorteilhaft sein, in anderen ist er es nicht. Daher kann eine Ressource nie „kontextfrei“ definiert werden.

Ressourcen sollen in einer Psychotherapie spezifisch aktiviert werden, wobei bestimmte Arten von Ressourcen besonders gut und durch spezifische therapeutische Maßnahmen aktiviert werden können (Grawe & Grawe-Gerber, 1999).

Die Liste möglicher Ressourcen ist lang: Im Prinzip können bei entsprechender Anwendung sehr viele psychologische Aspekte als Ressourcen fungieren.

Ressourcen, die in vielen Kontexten eine wesentliche Rolle spielen können, sind z. B.:

Allgemeine Handlungskompetenzen: Das Vorliegen von Handlungsstrategien, die komplex und flexibel sind, von Kompetenzen in der Lösung von Problemen, in der Entwicklung von Lösungsstrategien, Kreativität u. a.

Spezifische Handlungskompetenzen: Berufliche Fähigkeiten, spezifische Kenntnisse, Fertigkeiten zur Lösung spezifischer Aufgaben usw.

Allgemeine soziale Kompetenzen: Soziale Handlungskompetenzen, Fähigkeiten zur Beziehungsgestaltung, zur Konfliktbewältigung, zum Durchsetzen eigener Interessen usw.

Spezifische soziale Kompetenzen: Fähigkeit, sich selbst positiv darzustellen, Interaktionspartner zu beeinflussen, interaktionelle Ziele durchzusetzen, komplementär zu handeln usw.

Allgemeine Verarbeitungskompetenzen: Fähigkeiten, Situationen zu analysieren, valide Realitätsmodelle aufzustellen, Realitätsmodelle zu testen und anzupassen, Schlussfolgerungen zu ziehen, schnell relevante Aspekte zu erkennen usw.

Soziale Verarbeitungskompetenzen: Empathie im kognitiven und emotionalen Sinn, Fähigkeit, Interaktionspartner einzuschätzen, ihre Ziele, Motive, Empfindlichkeiten wahrzunehmen, soziale Konsequenzen zu antizipieren usw.

Motivationale Kompetenzen: Hohe Motivation, Ziele zu erreichen, hohe Anstrengungsbereitschaft.

|11|Volitionale Kompetenzen: Fähigkeit, Intentionen abzuschirmen, Ziele stringent zu verfolgen, sich Herausforderungen zu stellen u. a.

Zugang zu impliziten Motiven: Die Person hat eine valide Repräsentation impliziter Motive und/oder aktuellen Zugang dazu, sodass sie durch ihre Handlungen diese befriedigen und einen Zustand von Zufriedenheit erreichen kann.

Stress-Kompetenzen: Fähigkeit, eigene Belastungsgrenzen einzuschätzen und einzuhalten, abschotten und entspannen können, Belastungen aushalten können, mit Ambiguität umgehen können usw.

Funktionale Schemata: Gute Selbstwerteinschätzung, hohe Selbst-Effizienz-Erwartung, positive Einstellung zu Interaktionspartnern, realistisches Vertrauen in Interaktionspartner o. Ä.

Entscheidungskompetenzen: Hohe (aber nicht zu hohe) Handlungsorientierung, Fähigkeit, schnell entscheiden zu können, vertretbare Risiken einzugehen (vgl. Sachse, 2020a).

Alle diese Fähigkeiten tragen dazu bei, dass eine Person so handeln kann, dass sie ihre Lebensqualität erhöht, Probleme effektiv löst, erfolgreich ist, Ziele effektiv erreicht und einen Zustand von Zufriedenheit schaffen kann (Flückiger & Kosfelder, 2010; Grawe & Grawe-Gerber, 1999).

In der Therapie mit einer konkreten Person muss aber erst im Detail eruiert werden, welche der möglichen Ressourcen sie tatsächlich aufweist und welche sie sinnvoll wie und in welchem Kontext einsetzen kann.

Dies lässt sich, wie bei Schemata und Zielen, zu Therapiebeginn nur begrenzt durch Explorationen oder Fragebögen herausfinden, und muss im Therapieprozess erst erarbeitet werden. Denn was eine Ressource ist und ob bzw. wie sie eingesetzt werden kann, hängt vom Kontext ab und kann daher erst nach genauer Analyse des Problems, der Kosten, des Kontextes u. a. entschieden werden.

Zur Aktivierung von Ressourcen im Therapieprozess gibt es viele therapeutische Strategien: Diese sollen hier nicht im Einzelnen dargestellt werden, sondern sie werden im weiteren Text bei den einzelnen Störungen dargestellt (vgl. hier Flückiger & Kosfelder, 2010).

Ich möchte mich hier vor allem mit variablen Ressourcen-Faktoren befassen, also solchen, die man im Therapieprozess fördern oder durch Therapie „freisetzen“ kann.

Wie wir sehen werden, bestehen bei Persönlichkeitsstörungen im Hinblick auf Ressourcen zwei Besonderheiten:

Personen mit PD weisen spezifische Arten von Ressourcen auf, die identifiziert und die in den therapeutischen Fokus genommen werden müssen.

Es ist in der Therapie von Persönlichkeitsstörungen nicht einfach möglich, „Ressourcen zu aktivieren“, denn die Ressourcen sind nicht „deaktiviert“, sondern sie werden meist durch andere psychische Komponenten der Persönlichkeitsstörung systematisch gehemmt oder „blockiert“ oder die potenziellen Ressourcen-Faktoren werden |12|im System der Persönlichkeitsstörung ungünstig eingesetzt oder so realisiert, dass sie gar nicht wie Ressourcen wirken können.

Bei Persönlichkeitsstörungen reicht es deshalb nicht, Ressourcen „zu aktivieren“, vielmehr ist es erforderlich, das ganze System der Störung so zu beeinflussen, dass Ressourcen konstruktiv eingesetzt werden können.

Um das genauer zu verstehen, ist es erforderlich, sich mit der Theorie der Persönlichkeitsstörung auseinanderzusetzen: Dadurch wird klar, warum potenzielle Ressourcen gar nicht als Ressourcen wirken, und es wird klar, was man therapeutisch tun muss, um sie „freizusetzen“.

a

Zugunsten einer besseren Lesbarkeit wird im Text in der Regel das generische Maskulinum verwendet. Diese Formulierungen umfassen gleichermaßen alle Geschlechter (m/w/d). Die verkürzte Sprachform hat ausschließlich redaktionelle Gründe. Wenn möglich, wurde eine geschlechtsneutrale Formulierung gewählt.

b

Hochgestellte Zahlen verweisen auf weiterführende Literaturangaben in den Endnoten auf Seite 132.

|13|Teil 1:Theoretische Grundlagen

|15|2 Das Modell der Doppelten Handlungsregulation

Um Persönlichkeitsstörungen psychologisch zu verstehen und um abzuleiten, welche Aspekte in der Regel problematisch sind und welche Aspekte als potenzielle Ressourcen infrage kommen, soll hier ein „psychologisches Funktionsmodell“ der Persönlichkeitsstörungen, das Modell der Doppelten Handlungsregulation, dargestellt werden (Sachse, 2019a, 2019b).

2.1 Das Modell

2.1.1 Überblick

Das Modell der doppelten Handlungsregulation wurde von Sachse (1997, 1999) entwickelt; es ist ein Modell für das allgemeine psychische „Funktionieren“ von Persönlichkeitsstörungen, darüber, welche psychologischen Komponenten wie zusammenwirken, um das für Personen mit Persönlichkeitsstörungen „typische“ Denken, Fühlen und Handeln zu erklären.

Das Modell der doppelten Handlungsregulation ist ein allgemeines Modell, das prinzipielle Funktionszusammenhänge darstellt; die einzelnen Komponenten des Modells müssen dann noch für jede einzelne Störung spezifiziert werden, was Sachse (2001, 2006a, 2019a, 2019b) für die acht „reinen“ Persönlichkeitsstörungen vorgenommen hat. „Reine Persönlichkeitsstörungen“ sind solche, die sich vollständig durch psychologische Prozesse beschreiben lassen und vollständig durch psychotherapeutische Methoden therapieren lassen.

Diese reinen Persönlichkeitsstörungen sind: Histrionische, narzisstische, dependente, selbstunsichere, schizoide, passiv-aggressive, paranoide und zwanghafte Persönlichkeitsstörung.

Alle sogenannten „reinen“ Persönlichkeitsstörungen weisen prinzipiell das gleiche Schema auf. Die Variablen dieses Schemas charakterisieren ein bestimmtes „psychisches Funktionieren“ als Persönlichkeitsstörung.

Jede einzelne Persönlichkeitsstörung weist auch darüber hinaus spezifische zentrale Beziehungsmotive, spezifische dysfunktionale Schemata, spezifische kompensatorische Schemata usw. auf, die damit auch die jeweilige Störung kennzeichnen und definie|16|ren. Damit wird eine Forderung von Livesley erfüllt, nach der eine Theorie der PD sowohl eine allgemeine Theorie-Komponente als auch störungsspezifische Aspekte enthalten sollte (vgl. Livesley & Jackson, 1992; Livesley & Jang, 2005).

Das Modell geht davon aus, dass „Persönlichkeitsstörungen“ im Kern Beziehungs- oder Interaktionsstörungen sind, die sich zentral durch problematisches Beziehungsverhalten auszeichnen (vgl. Benjamin, 1987, 1993, 1996; Fiedler, 1998, 2000): Die Personen mit diesen Störungen realisieren ein Interaktionsverhalten, das dazu dienen soll, Beziehungsziele zu erreichen, was jedoch langfristig dazu führt, dass die Personen gerade das Erreichen zentraler Beziehungsziele verfehlen. PD sind, psychologisch gesehen, hoch komplexe Störungen, die viele Variablen und Wechselwirkungen enthalten. Damit kann man PD als ein komplexes System von Variablen auffassen, das dynamisch funktioniert (und nicht als eine „statische Struktur“ von Variablen). Dennoch kann man eine PD „im Kern“ als Beziehungsstörung auffassen, vor allem, da sie insbesondere Kosten im Bereich von Beziehungen erzeugt.

Das Modell umfasst drei Ebenen: Die Ebene der Beziehungsmotive oder der „authentischen Handlungsregulation“, die Ebene dysfunktionaler Schemata und die Ebene der „manipulativen Handlungsregulation“, auch „Spielebene“ genannt (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1: Das Modell der doppelten Handlungsregulation

|17|2.1.2 Die Motiv-Ebene

2.1.2.1 Die Beziehungsmotive

Das Modell geht davon aus, dass eine Person schon im Kindes- und Jugendalter eine Reihe von zentralen Beziehungsmotiven aufweist, wie das Motiv nach Anerkennung, Wichtigkeit, Verlässlichkeit, Solidarität, Autonomie und Grenzen/Territorialität (ausführlich dazu siehe Sachse, 1999, 2003, 2004a, 2006b, 2016b; Langens, 2009; Sachse, Breil & Fasbender, 2009; Sachse, Fasbender & Breil, 2009). Dabei bilden Motive eine Hierarchie, d. h. für eine bestimmte Person ist ein Motiv zentral (hoch in der Hierarchie), weitere noch wichtig und andere sind relativ unwichtig (welche Beziehungsmotive jeweils zentral sind, kennzeichnet auch eine spezifische PD). „Hoch in der Hierarchie“ bedeutet, dass das Motiv zentral bedeutsam ist und dadurch primären Zugang zur Exekutive erhält, also das Handeln der Person in hohem Maße bestimmt. Dabei kann man sechs Beziehungsmotive unterscheiden: Anerkennung, Wichtigkeit, Solidarität, Verlässlichkeit, Autonomie und Grenzen/Territorialität.

Das Motiv nach Anerkennung impliziert das Bedürfnis, von anderen Personen positive Rückmeldungen über die eigene Person zu erhalten. Es ist das Bedürfnis danach, dass

eine andere Person,

deren Meinung/Bewertung für mich von Bedeutung ist,

etwas über mich als Person aussagt,

das positiv ist, das ich als Bestätigung, Kompliment, positives Feedback auffassen kann.