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Die histrionische Persönlichkeitsstörung stellt besondere Anforderungen an die therapeutische Expertise. Die Störung ist hoch ich-synton, so dass die Personen oft keine Veranlassung zu einer konstruktiven therapeutischen Mitarbeit sehen. Dieses Buch vermittelt vielfach erprobte, erfolgreiche Strategien zum Umgang mit dieser Herausforderung. Ausgehend von einem psychologischen Funktionsmodell der histrionischen Störung werden zwei Arten unterschieden: Die erfolgreichen und die erfolglosen Histrioniker_innen. Für beide wird beschrieben, welche Charakteristika die Störung aufweist und welche therapeutischen Probleme zu erwarten sind. Es werden therapeutische Prinzipien beschrieben wie die komplementäre Beziehungsgestaltung, Konfrontation, Klärung relevanter Schemata und die Bearbeitung von Alienation. Es wird aber auch auf spezifische therapeutische Strategien für beide Störungstypen eingegangen. Mögliche schwierige Interaktionssituationen werden dargestellt und therapeutische Bewältigungsstrategien dafür werden erörtert.
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Rainer Sachse
Jana Fasbender
Janine Breil
Meike Sachse
Klärungsorientierte Psychotherapie der histrionischen Persönlichkeitsstörung
2., aktualisierte Auflage
Praxis der Psychotherapie von Persönlichkeitsstörungen
Band 3
Klärungsorientierte Psychotherapie der histrionischen Persönlichkeitsstörung
Prof. Dr. Rainer Sachse, Dipl.-Psych. Jana Fasbender, Dr. Dipl.-Psych. Janine Breil, Dipl.-Psych. Meike Sachse
Herausgeber der Reihe:
Prof. Dr. Rainer Sachse, Prof. Dr. Philipp Hammelstein, PD Dr. Thomas Langens
Prof. Dr. Rainer Sachse, geb. 1948. 1969–1978 Studium der Psychologie an der Ruhr-Universität Bochum. Ab 1980 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Ruhr-Universität Bochum. 1985 Promotion. 1991 Habilitation. Privatdozent an der Ruhr-Universität Bochum. Seit 1998 außerplanmäßiger Professor. Leiter des Institutes für Psychologische Psychotherapie (IPP), Bochum. Arbeitsschwerpunkte: Persönlichkeitsstörungen, Klärungsorientierte Psychotherapie, Verhaltenstherapie.
Dipl.-Psych. Jana Fasbender, geb. 1976. 1996–2001 Studium der Psychologie an der Ruhr-Universität Bochum. 2005 Approbation als Psychologische Psychotherapeutin. Seit 2005 psychotherapeutische Tätigkeit in privatpsychologischer Praxis in Bochum. Ausbildungskoordinatorin, Dozentin und stellvertretende Leiterin des Instituts für Psychologische Psychotherapie (IPP), Bochum. Arbeitsschwerpunkte: Klärungsorientierte Psychotherapie, Verhaltenstherapie.
Dr. Dipl.-Psych. Janine Breil, geb. 1976. 1995–2000 Studium der Psychologie an der Ruhr-Universität Bochum. 2001–2004 Weiterbildung zur Psychologischen Psychotherapeutin. 2002–2004 Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Ruhr-Universität Bochum. 2004–2007 Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Heidelberg. 2007 Promotion. Seit 2005 Dozentin am Institut für Psychologische Psychotherapie (IPP) Bochum und Psychologische Psychotherapeutin.
Dipl.-Psych. Meike Sachse, geb. 1983. 2002–2008 Studium der Psychologie an der Technischen Universität Chemnitz. 2009 Ausbildung zur Psychologischen Psychotherapeutin (Verhaltenstherapie). Seit 2009 Mitarbeiterin am Institut für Psychologische Psychotherapie (IPP), Bochum. 2015 Approbation zur Psychologischen Psychotherapeutin. Seit 2016 tätig als Psychologische Psychotherapeutin. Seit 2016 Dozentin am IPP, Ausbildungskoordination. Seit 2020 Supervisorin. Arbeitsschwerpunkte: Klärungsorientierte Psychotherapie, Persönlichkeitsstörungen.
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Format: EPUB
2., aktualisierte Auflage 2021
© 2012, 2021 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen
(E-Book-ISBN [PDF] 978-3-8409-3119-2; E-Book-ISBN [EPUB] 978-3-8444-3119-3)
ISBN 978-3-8017-3119-9
https://doi.org/10.1026/03119-000
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1 Einleitung
2 Histrionische Persönlichkeitsstörung: Konzept und Diagnostik
2.1 Was sind Histrioniker: Eine Beschreibung der Störung im Überblick
2.2 Zur Definition der histrionischen Persönlichkeitsstörung
2.2.1 Empirische Ergebnisse
2.2.2 Unterscheidung verschiedener Störungsgruppen
2.2.3 Zur Biographie
2.2.4 ICD- und DSM-Kriterien: Definitionen erfolgreicher Histrioniker
2.3 Entstehung der histrionischen Persönlichkeitsstörung
3 Störungstheorie – Ein psychologisches Modell der histrionischen Persönlichkeitsstörung
3.1 Motivebene
3.2 Schemaebene
3.2.1 Selbstschemata
3.2.2 Beziehungsschemata
3.3 Spielebene
3.3.1 Kompensatorische Schemata
3.3.2 Manipulative Strategien
3.3.3 Kosten
3.4 Das Modell der doppelten Handlungsregulation im Überblick
3.5 Weitere Aspekte der histrionischen Persönlichkeitsstörung
3.5.1 Ich-Syntonie
3.5.2 Internale Perspektive
3.5.3 Vermeidung
3.5.4 Alienation
3.6 Untergruppen der histrionischen Persönlichkeitsstörung
3.6.1 Erfolgreiche Histrioniker
3.6.2 Erfolglose Histrioniker
3.6.3 Der Unterschied zwischen erfolgreichen und erfolglosen Histrionikern
3.7 Exkurs: Vergleich von histrionischer und narzisstischer Störung
4 Therapeutische Strategien bei histrionischer Persönlichkeitsstörung
4.1 Therapeutische Grundhaltungen
4.2 Die Therapiephasen im Überblick
4.3 Phase 1: Aufbau von Beziehungskredit
4.3.1 Komplementarität zur Motivebene
4.3.2 Problem mit Komplementarität
4.3.3 Komplementarität zur Spielebene
4.3.4 Komplementarität im Rahmen therapeutischer Regeln
4.3.5 Umgang mit Beziehungsangeboten
4.3.6 Umgang mit Images und Appellen
4.3.7 Explizierung der Beziehungsmotive
4.3.8 Umgang mit Tests
4.3.9 Umgang mit direkter Kontrolle
4.4 Phase 2: Aufbau von Änderungsmotivation durch Transparentmachen der Spielstruktur
4.4.1 Allgemeines
4.4.2 Konfrontieren mit interaktionellen Zielen, Erwartungen, Intentionen
4.4.3 Konfrontation mit Spielen und Manipulationen
4.4.4 Konfrontieren mit Kosten
4.4.5 Vorgehen bei der Konfrontation
4.5 Phase 3: Klärung relevanter Schemata
4.5.1 Klärungsprozess
4.5.2 Explizierung durch den Therapeuten
4.5.3 Biographische Arbeit
4.6 Phase 4: Bearbeitung der Schemata
4.7 Phase 5: Aufbau authentischen Verhaltens und Transfer in den Alltag
4.8 Alienation und ihre therapeutische Bearbeitung
4.8.1 Klienten müssen Affekte beachten
4.8.2 Mangelnde Repräsentation
4.8.3 Therapeutische Bearbeitung der Alienation
4.9 Therapeutische Strategien bei erfolglosen Histrionikern
4.10 Fazit
5 Beispiele für therapeutische Vorgehensweisen bei Histrionikern
5.1 Komplementäres Handeln
5.1.1 Das Transkript – 8. Sitzung: Der Therapeut realisiert wenig komplementäre Verhaltensweisen
5.1.2 Der Kommentar zur 8. Sitzung (wenig komplementäre Verhaltensweisen)
5.1.3 Das Transkript – 9. Sitzung: Der Therapeut realisiert viel komplementäres Verhalten
5.1.4 Der Kommentar zur 9. Sitzung (viel komplementäres Verhalten)
5.2 Konfrontatives Handeln
5.2.1 Das Transkript der Sitzung „konfrontatives Handeln“
5.2.2 Kommentar zur Sitzung „konfrontatives Handeln“
5.3 Schema-Bearbeitung
5.3.1 Das Transkript der Sitzung „konstruktive Schema-Bearbeitung“
5.3.2 Kommentar zur Sitzung „konstruktive Schema-Bearbeitung“
6 Therapeutischer Umgang mit schwierigen Interaktionssituationen
6.1 Umgang mit manipulativen Strategien zu Therapiebeginn
6.1.1 Das Transkript
6.1.2 Kommentar
6.2 Zum therapeutischen Umgang mit histrionischem Testverhalten
6.2.1 Das Transkript
6.2.2 Kommentar
7 Therapeutischer Umgang mit erfolglosen Histrionikern
7.1 Das Transkript
7.2 Kommentar
Literatur
Klienten1 mit einer histrionischen Persönlichkeitsstörung (HIS) sind in der ambulanten Praxis häufig und bereiten Therapeuten in aller Regel leichte bis massive Probleme: Die Klienten sind hoch manipulativ und Therapeuten können sehr leicht in interaktionelle Spiele verwickelt werden.
Die Störung ist stark ich-synton, wodurch die Klienten zu Therapiebeginn in aller Regel kaum Änderungsmotivation im Hinblick auf ihre histrionische Störung aufweisen.
Die Therapien mit Histrionikern sind in aller Regel sehr dynamisch und nie langweilig, fordern damit jedoch gleichzeitig vom Therapeuten eine schnelle Verarbeitung von Information und schnelle Reaktionen sowie eine hohe Handlungssicherheit: Ein Therapeut muss mit Tests umgehen können, mit Versuchen, ihn „in das System zu integrieren“, mit Vermeidung, Dramatik, direkter Kontrolle u. Ä.
Um eine effektive Therapie zu realisieren, brauchen Therapeuten also eine hohe bis sehr hohe Expertise. Dieses Buch soll die Wissensbasis dazu bereitstellen: Wir stellen ein psychologisch fundiertes Modell der histrionischen Störung dar. Hierbei unterscheiden wir zwischen erfolgreichen und erfolglosen Histrionikern. Außerdem gehen wir auf therapeutische Strategien zur Bearbeitung der relevanten Störungskomponenten ein. Wir erläutern, wie Therapeuten effektiv mit Tests umgehen können und wie sie verhindern können, vom Klienten manipuliert zu werden. Neben der theoretischen Erläuterung werden wir versuchen, die relevanten therapeutischen Elemente anhand von Transkripten zu veranschaulichen.
Wie schon im Buch über narzisstische Persönlichkeitsstörung wollen wir hier nicht einen Überblick über Theorien oder therapeutische Ansätze geben; vielmehr wollen wir hier den Ansatz der Klärungsorientierten Psychotherapie darstellen. Will der Leser sich über andere Ansätze informieren, dann empfehlen wir: Barnow, 2008; Beck et al., 2004; Blagar et al., 2007; Derksen, 1995; Döring & Sachse, 2008, 2017; Emmelkamp & Kamphuis, 2007; Joines & Steward, 2008a, 2008b; Mentzos, 1980, 1982; Millon, 1994, 1996, 2011.
Zugunsten einer besseren Lesbarkeit verwenden wir im Text in der Regel das generische Maskulinum. Diese Formulierungen umfassen gleichermaßen alle Geschlechter (m/w/d). Die verkürzte Sprachform hat nur redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung.
In diesem Kapitel geben wir einen Überblick über die Charakteristika der histrionischen Persönlichkeitsstörung; wir führen die Unterscheidung zwischen erfolgreichen und erfolglosen Histrionikern ein und stellen die klassischen diagnostischen Systeme dar.
Erfolgreiche Histrioniker sind Personen, die gern im Mittelpunkt stehen, die gut Geschichten erzählen können, die alles dramatisch ausschmücken und die „gute Shows machen“. Meist sind sie gut bis auffallend gekleidet, geschminkt, oft haben sie eine hohe erotische Ausstrahlung und immer sind sie dramatisch. Sie „inszenieren sich“ in hohem Maße selbst („Histrione“ ist die Bezeichnung für Schauspieler im klassischen Rom).
Zu einer Beschreibung der im vorliegenden Zusammenhang relevanten Charakteristika einer histrionischen Störung siehe Sachse, 2001a, 2002, 2004a, 2004b, 2004c, 2006a, 2007b, 2008a, 2013, 2016a, 2016b, 2018a, 2018b, 2018c, 2019a, 2019b, 2019c; Sachse und Fasbender, 2013; Sachse, Fasbender, Breil und Sachse, 2011, 2012; Sachse und Sachse, 2016a, 2016b, 2018; Sachse und Schirm, 2015.
Personen mit histrionischer Persönlichkeitsstörung sind oft übertrieben emotional. Wenn sie fröhlich sind, dann sind sie überschießend fröhlich, und wenn sie betrübt sind, dann sind sie zu Tode betrübt. Die Emotionalität wirkt manchmal auf Interaktionspartner unecht, nicht authentisch.
Personen mit histrionischer Persönlichkeitsstörung sind sehr kontaktfreudig und extravertiert. Sie gehen problemlos auf Menschen zu, nehmen Kontakt auf, sind gesellig, haben einen (sehr) großen Bekanntenkreis, unternehmen viel. Sie können schlecht allein sein, langweilen sich schnell, haben den Drang, immer etwas zu unternehmen: Nur „action“ bringt „satisfaction“!
Histrioniker wollen von Interaktionspartnern vorrangig Aufmerksamkeit. Andere sollen sie wahrnehmen, hören, sehen; sie wollen eine (zentrale) Rolle im Leben anderer Menschen spielen. Oft erwarten sie von Interaktionspartnern auch, stark beachtet, |11|respektiert, umsorgt etc. zu werden und reagieren beleidigt, manchmal sogar wütend, wenn andere dies nicht in ausreichendem Maße tun.
Personen mit histrionischer Persönlichkeitsstörung sind hochgradig manipulativ. Sie verwenden vielfältige Strategien, um von Interaktionspartnern Aufmerksamkeit zu bekommen, um andere zu veranlassen, bei ihnen zu sein, sich zu kümmern usw. Dabei verwenden sie sogenannte „positive Strategien“ wie z. B. schmeicheln, attraktiv sein, unterhaltsam sein, sexy sein usw. Sie verwenden aber auch sogenannte „negative Strategien“ wie Jammern und Klagen, Symptome produzieren wie Kopfschmerzen, Herzschmerzen, Schwindel u. a. (vgl. Sachse, 2002, 2004a, 2007a).
Weisen Personen einen histrionischen Stil auf, kann dies eine echte Ressource und Quelle sozialer Kompetenz sein. Die Strategien führen dazu, dass man viel Kontakt hat, viel Aufmerksamkeit bekommt und dass man viele Wünsche in sozialen Interaktionen durchsetzen kann. Das Leben ist aufregend, unterhaltsam und spannend.
Bei einem histrionischen Stil gilt das auch für Interaktionspartner (IP): Auch für diese ist es spannend, unterhaltsam und manchmal aufregend, mit einem Histrioniker zusammen zu sein: Auf diese Weise wird das Leben nie langweilig (es wird allerdings auch anstrengend). Ist aber eine starke Störung vorhanden, kann das Interaktionspartner nach einiger Zeit (massiv) nerven. Die IP werden durch die Dramatik und das hohe Ausmaß an Manipulation genervt und unzufrieden; sie fühlen sich irgendwann ausgenutzt, in eine Statistenrolle versetzt usw. Andere wenden sich ab und man erreicht oft das genaue Gegenteil von dem, was man will: Man ist isoliert, wird gemieden, bekommt nur noch wenig Aufmerksamkeit etc.
Aspekte der histrionischen Persönlichkeitsstörung, die die Therapie erschweren:
Die Störung ist hoch ich-synton. Daher attribuieren die Klienten ihre Beziehungsprobleme nicht auf sich, sondern auf andere. Entsprechend weisen die Klienten in der Therapie meist keine bis nur eine geringe Änderungsmotivation im Hinblick auf die histrionische Störung auf. Sie wollen ihre (Interaktions-)Kosten reduzieren, sehen aber nicht, dass sie sich selbst dazu ändern sollten. Oft ist ihre Intention: „Helfen Sie mir, meine Partner besser unter Kontrolle zu bekommen!“ oder einfach: „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!“ Therapeuten müssen konstruktiv mit dieser geringen Änderungs- und hohen Stabilisierungsmotivation umgehen können.
Wenn die Klienten in Therapie kommen, so tun sie das meist wegen Beziehungsschwierigkeiten, also wegen der „Kosten“. Sie haben Stress mit Partnern, werden von Partnern verlassen, werden von Arbeitskollegen „gemobbt“ usw. Und dies verleitet die Klienten in hohem Maße dazu, ihre (aktuellen) Probleme external zu attribuieren, also gerade ihre Interaktionspartner für ihre Probleme verantwortlich zu machen.
Die Klienten sind zu Therapiebeginn vor allem beziehungsmotiviert. Sie wollen, dass Therapeuten ihnen eine Beziehung anbieten, die ihr Wichtigkeitsmotiv befriedigt; oft sind sie außer daran und an Stabilisierung an nichts Weiterem interessiert. Es macht daher zu Therapiebeginn überhaupt keinen Sinn, den Klienten therapeutische Maßnahmen oder gar „Manuale“ anzubieten. Tun Therapeuten dies trotzdem, |12|sabotieren die Klienten die Mitarbeit, was bei unerfahrenen Therapeuten oft zu Verärgerung und einer schnellen Verschlechterung der therapeutischen Beziehung führt.
Die Klienten verwickeln Therapeuten in Interaktionsspiele. Sie fordern z. B. vom Therapeuten mehr Stunden, längere Stunden, Sondertermine, private Telefonnummer usw. und testen Therapeuten relativ oft. Sie reagieren kaum auf internalisierende Fragen und daher lassen sich relevante Schemata nur schwer klären; auf therapeutische Vorschläge gehen sie zu Therapiebeginn kaum ein und wenn doch, verhalten sie sich nicht compliant (d. h. sie arbeiten nicht mit). Alle diese Verhaltensweisen machen Histrioniker zu „schwierigen Klienten“, mit denen unerfahrene und auch nicht speziell ausgebildete Therapeuten oft nicht angemessen umgehen können.
Aufgrund dieser Aspekte müssen Therapeuten über spezielle Strategien und Vorgehensweisen verfügen, um die Klienten zu erreichen und um konstruktiv mit ihnen arbeiten zu können.
Zur histrionischen Persönlichkeitsstörung gibt es deutlich weniger Forschungsliteratur und konzeptuelle Beiträge als zur narzisstischen Persönlichkeitsstörung (vgl. Crawford & Cohen, 2007; Fiedler, 1998; Millon, 1996, 2011; Sachse, 2002, 2004a, 2007a, 2007b, 2019a).
In der empirischen Literatur werden folgende Charakteristika (meist erfolgreicher HIS) deutlich:
hohe Attraktivität, v. a. bei Frauen mit HIS (Bornstein, 1999)
ein abwechslungsreiches und unterstützenderes soziales Umfeld, v. a. bei attraktiven Frauen mit HIS (Bornstein, 1999)
Selbstdramatisierung und emotionale Instabilität (Slavney, 1978) sowie übertriebene, labile, emotionale Reaktionen (Millon, 1996)
starke Stimmungsschwankungen (Slavney, Breitner & Rabins, 1977; Slavney & Rich, 1980)
hohe Extraversion (Süllwold, 1990)
sehr niedrige Frustrationstoleranz (Millon, 1996)
suchen nach Aufregung (excitement) und schnelles Gelangweiltsein (Millon, 1996)
ein kontinuierlicher Anstieg an Konflikten mit Partnern vom 17. – 27. Lebensjahr (Chen, Cohen, Johnson, Kasen, Sneed & Crawford, 2004)
Beeinträchtigungen in Rollenübernahme- und Perspektivenübernahme-Fähigkeiten sowie Mangel an Empathie (Standage, Bilsbury, Jain & Smith, 1984)
|13|ein niedrigeres Selbstbewusstsein, größere Unzufriedenheit in der Ehe und größere Bereitschaft zu außerehelichen Affären als die Kontrollgruppe (Apt & Hurlbert, 1994)
Frauen mit HIS nutzen in größerem Ausmaß als Männer mit HIS die offenkundige „sexuelle Verführung“, um histrionische Bedürfnisse in Beziehungen auszudrücken (Lilienfeld, Van Valkenburg, Larntz & Akiskal, 1986; Stone, 1993).
verdeckte Abhängigkeitsbedürfnisse (Bornstein, 1998). Im Gegensatz dazu finden Baker, Capron und Azorlosa (1996), dass Histrioniker höhere Werte als Dependente und vergleichbar hohe Werte wie Gesunde in Bezug auf Unabhängigkeit und Leistungsorientierung aufweisen.
Bei Klienten mit histrionischer Persönlichkeitsstörung gab es im Vergleich zur Kontrollgruppe Hinweise auf Defizite bzgl. Aufmerksamkeit, Gedächtnisleistung, Sprache, Abstraktionsfähigkeit und Verhaltensplanung (Burgess, 1992).
Eine Grundüberzeugung von Patienten mit histrionischer Persönlichkeitsstörung ist, „dass sie nicht für sich selbst sorgen können“ (Beck et al., 2004).
Gemessen mit einem speziellen Test sind die für die histrionische Persönlichkeitsstörung relevantesten Dimensionen Affektlabilität, Narzissmus und unsichere Bindung (Bagge & Trull, 2003).
Es finden sich Hinweise auf Assoziationen zwischen histrionischer Persönlichkeitsstörung und höherer Ängstlichkeit sowie geringerer Vermeidung bei Jugendlichen (Nakash-Eisikovits et al., 2002).
Die Prävalenz der histrionischen Persönlichkeitsstörung wird in der Bevölkerung mit etwa 2 % angegeben (2,1 % bei Nestadt, Romanowski, Chalel & Merchant, 1990; 2 % bei Grant et al., 2004). Möglicherweise muss bei der Erhebung der Prävalenzzahlen das Alter der Probanden berücksichtigt werden. So finden Cohen, Nestadt, Samuels, Romanowski, Mc Hugh und Rabins (1994), dass die Prävalenzrate von histrionischer Persönlichkeitsstörung in einer älteren Kohorte (≥ 55 Jahre und älter) mit 2,2 % geringer ist als mit 4,3 % in einer jüngeren Kohorte (< 55 Jahre).
Die Prävalenzraten in klinischen Stichproben liegen mit 24 % (Blashfield & Davis, 1993) deutlich über denen in der Allgemeinbevölkerung. Entsprechend finden auch Johnson, Bornstein und Sherman (1996), dass es mehr Menschen mit histrionischer Persönlichkeitsstörung bei ambulanten und stationären psychiatrischen Patienten gibt als unter College-Studenten oder Personen aus der Erwachsenenbildung, also Erwachsenen aus der Allgemeinbevölkerung. Teilweise liegen die Prävalenzzahlen sogar noch deutlich höher (44 % bei Millon & Tringone, 1989; 63 % bei Morey, 1988).
Während Nestadt et al. (1990) finden, dass die Prävalenz der histrionischen Persönlichkeitsstörung bei Frauen und Männern gleich hoch ist, besonders wenn strukturierte Interviews als Instrument benutzt werden, und auch andere Studien zeigen, dass es keine Geschlechtsunterschiede bzgl. der Häufigkeit der histrionischen Persönlichkeitsstörung in klinischen und nicht-klinischen Stichproben gibt (Hamburger, Lilienfeld & Hogben, 1996; Grant et al., 2004), lassen andere Studien erkennen, dass Frauen die Diagnose der histrionischen Persönlichkeitsstörung häufiger als Männer erhalten (Schotte, De Donker, Maes, Cluydts & Cosyns, 1993; Zimmermann & Coryell, 1989). Dies liegt möglicherweise daran, dass weibliche Verhaltensbeispiele von Klienten mit histrionischer Persönlichkeitsstörung als bessere Beispiele der Histrionik-|14|Kriterien eingeschätzt und als repräsentativer für das Histrionik-Konstrukt angesehen wurden als männliche Verhaltensbeispiele. Deshalb sind signifikante Geschlechtsunterschiede bei der Vergabe der Diagnose evtl. auf die Beschreibung der Diagnosekriterien zurückzuführen (Sprock, 2000).
Zur Stabilität der Symptome vom frühen Jugendalter an liegen unterschiedliche Ergebnisse vor. Manche Studien finden, dass die Symptome der histrionischen Persönlichkeitsstörung normalerweise am stärksten in der frühen Jugendzeit ausgeprägt sind und dann mit der Zeit abnehmen (Bernstein, Cohen, Velez, Schab-Stone, Siever & Shinsato, 1993; Johnson, Cohen, Kasen, Skodol, Hamagami & Brook, 2000). Die Ergebnisse von Crawford, Cohen und Brook (2001) zeigen hingegen, dass für histrionische Klienten typische Symptome über ein Intervall von 18 Jahren (vom frühen Jugendalter bis ins frühe Erwachsenenalter) sehr stabil sind. Bei ca. 40 % der Stichprobe wiesen die Patienten mit histrionischer Persönlichkeitsstörung im frühen Erwachsenenalter sogar ausgeprägtere Symptome als in der Jugendzeit auf.
Vom jungen bis zum mittleren Erwachsenenalter finden Seiverwright, Tyrer und Johnson (2002) eine signifikante Reduktion von histrionischen Merkmalen. Dies könnte daran liegen, dass die Strategie der sexuellen Verführung abnimmt und die Patienten zu anderen manipulativen Verhaltensweisen „wechseln“, die in der Studie nicht erfasst wurden.
Es gibt viele Gründe dafür anzunehmen, dass Klientinnen im Alter weniger positive und mehr negative Strategien verwenden, dass die Ausprägung der Störung sich insgesamt aber nicht ändert.
Die histrionische Persönlichkeitsstörung geht häufig mit folgenden anderen psychischen Störungen einher:
Major Depression (Corruble, Ginestet & Guelfi, 1996; Dyck et al., 2001)
Nach Johnson, Cohen, Kasen und Brook (2005) stellt der Anstieg an Histrionik-Symptomen in der Kindheit ein Langzeit-Risiko für Depression dar.
Dysthymie (Pepper, Klein, Anderson, Riso, Ouimette & Lizardi, 1995)
Bei Cohen & Cohen, 1996) lag die Komorbidität mit „Stimmungsstörungen“ bei 27 – 75 %.
Angststörungen (Blashfield & Davis, 1993)
Bei Cohen & Cohen (1996) betrug die Komorbidität von histrionischer Persönlichkeitsstörung zu drei Alterszeitpunkten (13, 16 und 22 Jahre) mit Angststörungen sogar 65 – 92 %. Es zeigt sich auch, dass Patienten mit Panikstörung und Patienten mit komorbider Panikstörung und Major Depression signifikante höhere Raten an komorbider histrionischer Persönlichkeitsstörung aufweisen als die Kontrollgruppe oder Patienten mit Major Depression alleine (Rost, Akins, Brown & Smith, 1992).
Somatisierungsstörungen (Reich, 1987; Stern, Murphy & Bass, 1993)
Auch die Prävalenzraten von histrionischer Persönlichkeitsstörung bei Klienten mit Somatisierungsstörungen sind hoch. Sie variieren zwischen 7,1 und 81,8 % in verschiedenen Studien, vermutlich abhängig vom diagnostischen Instrument (Rost, Akins, Brown & Smith, 1992).
Dissoziative Störung (Boon & Draijer, 1993; Millon, 1994)
Substanzabhängige Störungen (22 – 25 % bei Cohen & Cohen, 1996)
|15|Zudem weisen nach Johnson, Cohen, Kasen und Brook (2006) Langzeitstudien auf einen Zusammenhang zwischen histrionischen Symptomen im Jugend- und jungen Erwachsenenalter und dem Risiko der Entwicklung einer Essstörung, wiederkehrender Binge-Eating-Disorder und wiederkehrendem Purging-Verhalten während des mittleren Erwachsenenalters hin. Eine komorbide histrionische Störung kann außerdem das Suizidrisiko bei bipolaren Störungen erhöhen. Nach Garno, Goldberg, Ramirez und Ritzler (2005) unternehmen Klienten mit bipolarer Störung und komorbider histrionischer Persönlichkeitsstörung signifikant häufiger Suizidversuche als Patienten mit bipolarer Störung ohne histrionischer Persönlichkeitsstörung.
Doch auch mit anderen Persönlichkeitsstörungen finden sich Komorbiditäten. So weisen Patienten mit histrionischer Persönlichkeitsstörung signifikante Komorbiditäten mit der antisozialen, der narzisstischen, der Borderline- und der dependente Persönlichkeitsstörung auf (Flick, Roy-Byrne, Cowley, Shores & Dunner, 1993; Johnson & Bornstein, 1992).
Ganz ähnlich wie bei der narzisstischen Persönlichkeitsstörung gilt auch bei der histrionischen Persönlichkeitsstörung, dass man aufgrund genauer therapeutischer Analysen diese Störung in Untergruppen aufteilen kann: Wir unterscheiden zwischen dem Typ der erfolgreichen Histrioniker und dem Typ der erfolglosen Histrioniker.
„Erfolgreich“ bedeutet bei Histrionikern etwas anderes als bei Narzissten, da Histrioniker wichtigkeits- und nicht anerkennungsmotiviert sind. Während sich bei Narzissten „Erfolg“ primär auf „Leistungserfolg“ bezieht, bedeutet „Erfolg“ bei Histrionikern, sich so zu verhalten, dass man geschätzt, wahrgenommen und respektiert wird, dass man Aufmerksamkeit erhält (also „sozialen Erfolg“ hat) und entsprechend bedeutet „erfolglos“, dass man solche Rückmeldungen weitgehend verfehlt.
Erfolgreiche Histrioniker verwenden im Schnitt deutlich mehr positive als negative Strategien. Insgesamt können sie aber sowohl positive als auch negative Strategien realisieren. Sie verfügen meist über eine Anzahl positiver Strategien, die sie flexibel einsetzen können. Funktionieren diese nicht oder reichen sie nicht aus, können sie auf negative Strategien (mit „hohem interaktionellen Impact“) umschalten. So erreichen sie ihre Ziele, ohne Interaktionspartner zu stark oder zu nachhaltig zu verärgern. Daher haben erfolgreiche Histrioniker viele Freunde und Bekannte und haben auch immer (wenn auch wechselnde) Partner.
Erfolglose Histrioniker verwenden dagegen überwiegend bis ausschließlich negative Strategien, wodurch sie oft Partner und Freunde verprellen und langfristig sozial wenig erfolgreich sind. Die folgenden negativen Strategien machen erfolglose Histrioniker in Interaktionen schwierig:
Sie jammern und klagen.
Sie weisen Symptome der Depression in hochgradig manipulativer Weise auf.
|16|Sie nörgeln und kritisieren.
Sie produzieren viele Symptome.
Sie zeigen starke Co-Morbiditäten mit anderen Störungen, z. B. Somatisierung.
Sie spielen in hohem Maße Interaktionsspiele, vorzugsweise „armes Schwein“.
Die erfolglosen Histrioniker sind auch für Therapeuten besonders schwierig, insbesondere die, die als scheinbare „Jammer-Depressive“ daherkommen: Sie reagieren auf keinen therapeutischen Vorschlag („das geht alles nicht“), jammern („mein ganzer Körper tut weh, ich kann es nicht mehr aushalten“) und senden double-bind-Botschaften. Einmal: „Helfen Sie mir und tun Sie es schnell und effektiv!“ Und: „Lassen Sie mich bloß mit Ihren Fragen und Vorschlägen in Ruhe.“
Oft reagieren (untrainierte!) Therapeuten auf erfolglose Histrioniker stark aversiv: Sie fühlen sich sabotiert, blockiert, sogar „verarscht“ und werden oft ärgerlich oder resignieren. Therapeuten können leicht mit erfolglosen Histrionikern ein diagnostisches Problem haben, wenn sie sich ausschließlich am ICD oder DSM orientieren: Denn viele der Kriterien dieser Systeme treffen gar nicht auf erfolglose Histrioniker zu.
Unserer Erfahrung nach führt dies oft auch zu gravierenden Fehldiagnosen: So werden erfolglose Histrioniker manchmal als „Jammer-Depressive“ diagnostiziert oder auch als „agitiert Depressive“, was aber schnell zu gravierenden therapeutischen Fehlentscheidungen führen kann. Daher sollten sich Therapeuten u. E. nach nicht ausschließlich nach ICD (der ICD-10; Dilling et al., 1992) oder DSM (dem DSM-5 (APA, 2015)) richten (vergleiche auch unsere Ausführungen im ersten Band dieser Reihe; siehe Sachse, Sachse & Fasbender, 2010), sondern eine Analyse nach dem Modell der Doppelten Handlungsregulation vornehmen.
Es gibt praktisch keine fundierten empirischen Ergebnisse zur Biographie von histrionischen Klienten. Wir können jedoch (mit aller gebotenen Vorsicht) einige Erfahrungen aus Therapien berichten. Erfolgreiche Histrionikerinnen machen meist die (subjektive!) Erfahrung, von ihren primären Bezugspersonen nicht genügend Signale von Wichtigkeit zu bekommen: Sie haben den Eindruck, sie werden nicht beachtet, werden ignoriert, man kümmert sich zu wenig um sie, andere (z. B. Geschwister) erhalten mehr Aufmerksamkeit. (Wohlgemerkt: Man kann in Therapien nur noch den subjektiven Eindruck von Klienten erfassen, es ist unklar, wieweit diese Interpretationen objektivierbar wären!). Die Klienten entwickeln dann Strategien, um Aufmerksamkeit zu erlangen: In eher seltenen Fällen entwickeln sie solche Strategien durch Versuch und Irrtum; häufiger lernen sie an histrionischen Erwachsenen-Modellen (Tante, Nachbarin etc.); am häufigsten aber erhalten sie Hinweise von relevanten Bezugspersonen: Diese senden Informationen der Art: „Wenn Du XY tätest, dann würde ich …“; „es wäre toll, wenn Du …“; oder sie sehen, dass die Bezugspersonen das Verhalten von Freun|17|den, Modellen aus dem Fernsehen etc. positiv kommentieren. Die Kinder lernen, so ist unser Eindruck, vorrangig Strategien dadurch, dass die Bezugspersonen ihnen welche nahelegen.
Dies gilt natürlich vor allem für positive Strategien (also solche, die die Bezugspersonen auch positiv bewerten), in gewissem Maße aber auch für negative Strategien: Erwachsene machen auch klar, dass man z. B. bei Kopfschmerzen geschont wird, dass man bei Krankheit besonders viel Zuwendung erhält. Also lernen die Kinder Schritt für Schritt Strategien, die in ihrem Kontext gut funktionieren und die sie somit langsam elaborieren: Sie lernen, was man erwartet, auf was Bezugspersonen reagieren und was man besser lassen sollte. Und damit erscheinen ihnen die Strategien ganz „natürlich“ und funktional und in keiner Weise als problematisch: Sie werden somit „ich-synton“, ein Teil der Identität.
Erfolglose Histrioniker haben aber biographisch nicht so viel Glück: In ihrem Kontext funktionieren positive Strategien wenig oder gar nicht, da die Bezugspersonen nicht positiv darauf reagieren. Es sind oft Personen, die (so scheint es) stark egozentrisch sind und wenig Neigung haben, auf die Kinder einzugehen (bitte nicht vergessen: Es sind biographische Rekonstruktionen, keine Fakten!). Den Kindern bleiben damit nur negative Strategien, um Aufmerksamkeit und Zuwendung zu erhalten: Die Produktion von Symptomen, Ängsten, Problemen. Doch hier sieht man manchmal einen Teufelskreis. Da solche Symptome für die meisten (nicht-soziophobischen Bezugspersonen) recht zwingend sind, reagieren diese zunächst darauf (und bekräftigen so die Strategien). Nach einiger Zeit haben dann aber die Personen davon „die Nase voll“ und verhalten sich zunehmend weniger komplementär. Damit geraten die Kinder aber erneut in einen Deprivationszustand. Da sie aber nicht über Alternativen verfügen, bleibt ihnen nur die Strategie „mehr desselben“: Sie verursachen noch mehr Probleme, woraufhin sich die Bezugspersonen eine Zeit lang wieder zuwenden, was das Verhalten der Kinder erneut bekräftigt, und wenden sich dann aber, noch stärker genervt, nach einiger Zeit wieder ab usw. Damit bilden sich bei den Kindern
immer stärker negative Strategien heraus,
die immer löschungsresistenter werden.
Dies ist u. E. nach auch die Ursache dafür, dass es erfolglose Histrioniker gibt, die ihre ungünstigen Strategien über sehr lange Zeit aufrechterhalten, obwohl sie aktuell gar keine Bekräftigungen mehr dafür bekommen, im Gegenteil: Sie produzieren hohe Kosten, was sie aber nicht dazu veranlasst, ihr Verhalten zu ändern. Dieses scheinbar paradoxe Handeln liegt daran,
dass die Klienten in ihrer Biographie lange Phasen von Frustration und Kosten gewohnt sind;
dass sie lange hoffen, dass ihre Strategien irgendwann doch noch wirken, wenn sie sie nur stark genug realisieren;
dass sie keine Alternativen haben, auf die sie zurückgreifen könnten;