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G Rabindranath Thakur oder Rabindranath Tagore, bengalischer Dichter, Philosoph, Maler, Komponist, Musiker und Brahmo-Samaj-Anhänger, erhielt 1913 den Nobelpreis für Literatur. Der erste asiatische Nobelpreisträger revolutionierte die bengalische Literatur mit Werken wie Ghare baire oder Gitanjali. Zwei Lieder des engagierten Kulturreformers sind heute Nationalhymnen von Bangladesch und Indien: Amar Shonar Bangla und Jana Gana Mana. Dieser Band enthält die Werke "Das Postamt" und Gitanjali, ersteres beinhaltet die wundervolle und ergreifende Geschichte eines kranken Jungen. Er darf das Haus nicht verlassen und beobachtet von seinem Fenster aus den ganzen Tag vorbeikommende Menschen auf der Straße, spricht sie an, träumt von Zukunft und von fremden Ländern. Eines Tages eröffnet gegenüber seines Fensters ein Postamt. Eine der königlichen Wachen verspricht dem Jungen, er werde irgendwann einen Brief erhalten – vom König.
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Rabindranath Tagore
Nach der von Rabindranath Tagore selbst veranstalteten englischen Ausgabe ins Deutsche übertragen von Hedwig Lachmann und Gustav Landauer.
Madhav
Amal, sein angenommenes Kind
Sudha, ein kleines Blumenmädchen
Arzt
Milchmann
Väterchen
Herold des Königs
Wachmann
Dorfvorsteher , ein Polterer
Knaben
Der Generalarzt des Königs
Schauplatz: Madhavs Haus
Madhav. Der Arzt.
Madhav In was für einem Zustand bin ich! Ehe er kam, fehlte mir nichts; ich fühlte mich so frei. Nun aber, wo er gekommen ist, der liebe Himmel weiß, woher, ist mein Herz angefüllt von seinem teuren Ich; und mein Heim wird kein Heim sein, wenn er fortgeht. Doktor, meint Ihr, er –
Arzt Wenn in seinem Schicksalsbuch Leben geschrieben steht, dann wird er lange leben. Aber nach dem, was die medizinischen Schriften sagen, scheint es –
Madhav Großer Himmel, was?
Arzt Die Schriften sagen: »Galle oder Schlagfluß, Erkältung oder Gicht entspringen alle gleicherweis –«
Madhav O geht, werft mir Eure Schriften nicht an den Kopf; Ihr macht mich nur ängstlicher; sagt mir, was ich tun kann.
Arzteine Prise nehmend. Der Patient muß die sorgsamste Pflege haben.
Madhav Das ist wahr; aber sagt mir, in welcher Art.
Arzt Ich habe schon erwähnt, unter keinen Umständen darf er ins Freie gelassen werden.
Madhav Armes Kind! Es ist sehr hart, ihn den ganzen Tag ins Zimmer einzusperren.
Arzt Was bleibt Euch andres übrig? Herbstsonne und Nebel sind beide sehr gefährlich für den kleinen Burschen – denn in den Schriften steht: »Bei Keuchen, Ohnmächten oder nervösen Zuständen, bei Gelbsucht oder glanzlosen Augen –«
Madhav Laßt die Schriften in Ruhe, bitte. Ja, dann müssen wir das arme Kerlchen einschließen. Gibt es keine andre Behandlung?
Arzt Gar keine – denn »Bei Wind und Sonne –«
Madhav Was soll mir Euer »bei dem und bei jenem« jetzt helfen? Warum laßt Ihr sie nicht beiseite und kommt gerade zur Sache? Was ist also zu tun? Eure Behandlung ist sehr, sehr hart für den armen Jungen; und dabei ist er so ruhig bei all seiner Krankheit und seinen Schmerzen. Es zerreißt mir das Herz, ihn zucken zu sehen, wenn er Eure Arznei nimmt.
Arzt Je mehr er zuckt, um so sicherer ist die Wirkung. Darum bemerkt der weise Tschyabana: »Bei Arzneien wie bei guten Ratschlägen gilt: die besten sind die, die am schlechtesten schmecken.« Ach ja! ich muß jetzt machen, daß ich fortkomme.
Geht. Väterchen tritt ein.
Madhav O je, verdammt noch mal, da kommt nun gerade Väterchen.
Väterchen Nun, nun, ich beiß dich ja nicht.
Madhav Nein, aber du bist ein Teufelskerl, wenn es gilt, Kindern die Köpfe zu verdrehen.
Väterchen Aber du bist kein Kind und hast kein Kind im Haus; also, warum regst du dich auf?
Madhav O doch, ich hab ein Kind ins Haus gebracht.
Väterchen Wirklich, wieso denn?
Madhav Du weißt doch noch, wie brennend mein Weib danach verlangte, ein Kind anzunehmen?
Väterchen Ja, aber das ist eine alte Geschichte; du wolltest nichts davon wissen.
Madhav Du weißt, Freund, wie schwer es immer war, all dies Geld zusammenzukratzen. Und da sollte das Kind eines andern angesegelt kommen und all das Geld, das mit so viel Not verdient worden war, durchbringen. Oh, ich haßte den Gedanken.
Aber dieser Junge hängt mir so wunderlich am Herzen –
Väterchen So, da sitzt der Haken; und dein Geld geht alles für ihn drauf und ist kreuzfidel, daß es überhaupt gehen darf.
Madhav Früher war Verdienen eine Art Leidenschaft bei mir; ich konnte einfach nicht anders, mußte für Geld arbeiten. Jetzt verdiene ich Geld, und da ich weiß, daß es alles für dieses liebe Kind ist, wird das Geldverdienen eine Freude für mich.
Väterchen Ah, so ist's recht! Und wo hast du ihn aufgelesen?
Madhav Er ist der Sohn eines Mannes, der vom selben Dorf stammte wie mein Weib. Seine Mutter hat er schon als kleines Kind verloren; und jetzt vor kurzem ist ihm auch der Vater gestorben.
Väterchen Armes Kerlchen: und also braucht er mich um so mehr.
Madhav Der Doktor sagt, alle Organe seines Körperchens sind miteinander im Streit, und es ist nicht viel Hoffnung für sein Leben. Es gibt nur einen Weg ihn zu retten, nämlich ihn vor Herbstwind und Sonne zu behüten.
Aber vor dir muß man Angst haben: Du hast in deinem Alter immer noch deine Lust daran, die Kinder ins Freie zu locken!
Väterchen Ei, Gott behüte! So bin ich schon so schlimm wie Herbstwind und Sonne! Aber Freundchen, ich verstehe mich auch so ein bißchen auf das Spiel, sie in der Stube zu halten. Wenn mein Tagewerk vorbei ist, komm ich herein, um mit deinem Kind da Freundschaft zu schließen.
Ab. Amal tritt ein.
Amal Onkel, hör doch, Onkel!
Madhav Holla! Bist du's, Amal?
Amal Darf ich gar nicht aus dem Hof heraus?
Madhav Nein, mein Lieber, nein.