Das Rosencottage am Meer & Hollywell Hearts: Die kleine Farm am Meer - Jennifer Wellen - E-Book
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Das Rosencottage am Meer & Hollywell Hearts: Die kleine Farm am Meer E-Book

Jennifer Wellen

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Beschreibung

Zwei Wohlfühlromane im Sammelband: »Das Rosencottage am Meer« und »Hollywell Hearts – Die kleine Farm am Meer« von Jennifer Wellen als eBook bei dotbooks. Ein rosenumranktes Cottage an der schottischen Küste und Erfolg als Liebes-Profilerin: Für Lovelyn könnte es nicht besser laufen. Einen Traumprinzen braucht sie für ihr Happy End ganz gewiss nicht! Das ist auch der Grund, warum sie die Auserwählten ihrer Kunden kritisch unter die Lupe nimmt – Lovelyn selbst hält die »große Liebe« für reine Erfindung. Bis sie dem verflixt gutaussehenden Journalisten Ian begegnet – wenn er doch bloß nicht der Verlobte von Lovelyns Kundin wäre … Eine Ziegenfarm am Meer? Die junge Londonerin Tamy fällt aus allen Wolken, als sie plötzlich einen kleinen Hof in Cornwall erbt – noch dazu von ihrem verstorbenen Vater, den sie nie kennengelernt hat. Fest entschlossen, das Erbe einfach abzulehnen, fährt sie nach Hollywell. Aber nur wenige Tage und einige Ziegenabenteuer später, steht Tamys Welt plötzlich auf dem Kopf. Und dann gibt es da noch den charmanten Tierarzt Scott … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Die beiden Auftaktbände der »Schottische Herzen«-Reihe & der »Hollywell Hearts«-Reihe von Bestsellerautorin Jennifer Wellen im exklusiven Sammelband mit XXL-Leseproben der weiteren Romane. Fans von Jenny Colgan und Susanne Oswald werden begeistert sein. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 911

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Über dieses Buch:

Ein rosenumranktes Cottage an der schottischen Küste und Erfolg als Liebes-Profilerin: Für Lovelyn könnte es nicht besser laufen. Einen Traumprinzen braucht sie für ihr Happy End ganz gewiss nicht! Das ist auch der Grund, warum sie die Auserwählten ihrer Kunden kritisch unter die Lupe nimmt – Lovelyn selbst hält die »große Liebe« für reine Erfindung. Bis sie dem verflixt gutaussehenden Journalisten Ian begegnet – wenn er doch bloß nicht der Verlobte von Lovelyns Kundin wäre …

Eine Ziegenfarm am Meer? Die junge Londonerin Tamy fällt aus allen Wolken, als sie plötzlich einen kleinen Hof in Cornwall erbt – noch dazu von ihrem verstorbenen Vater, den sie nie kennengelernt hat. Fest entschlossen, das Erbe einfach abzulehnen, fährt sie nach Hollywell. Aber nur wenige Tage und einige Ziegenabenteuer später, steht Tamys Welt plötzlich auf dem Kopf. Und dann gibt es da noch den charmanten Tierarzt Scott …

Über die Autorin:

Jennifer Wellen lebt mit ihrer Familie im Ruhrgebiet und arbeitet als Dozentin im Pflegebereich. Wenn sie neben ihrer Tochter, den drei Katzen und ihrem Hund noch Zeit findet, schreibt sie mit Begeisterung witzige Romane für Frauen, die wissen, wie das Leben spielt.

Die Autorin im Internet: www.jenniferwellen.com/

www.instagram.com/jenniferwellen_autorin/

Ihre »Schottische Herzen«-Trilogie ist bei dotbooks im eBook erhältlich und bei SAGA Egmont im Hörbuch:

»Das Rosencottage am Meer«

»Das Veilchencottage am Meer«

»Das Magnoliencottage am Meer«

Weitere Bände ihrer »Hollywell Hearts«-Reihe sind in Planung. Band 2, »Die Glückspension am Meer« wird im Juni 2024 als eBook bei dotbooks und als Print- sowie Hörbuchausgabe bei SAGA Egmont erscheinen.

Bei dotbooks veröffentlichte Jennifer Wellen außerdem ihre Liebesromane »Honigkuchentage«, »Sternschnuppenwünsche« und »Kiss me like a Star«. Ihr Roman »Drei Küsse für ein Cottage« erscheint bei dotbooks als eBook- und Printausgabe und bei SAGA Egmont als Hörbuch.

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Sammelband-Originalausgabe April 2024

Copyright © der Sammelband-Originalausgabe 2023 dotbooks GmbH, München

Copyright © der Originalausgabe von DAS ROSENCOTTAGE AM MEER 2021 dotbooks GmbH, München. Redaktion: Alfons Winkelmann.

Copyright © der Originalausgabe von HOLLYWELL HEARTS 2023 dotbooks GmbH, München. Redaktion: Katrin Scheiding

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: dotbooks GmbH, München

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-98952-342-5

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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blog.dotbooks.de/

Jennifer Wellen

Das Rosencottage am Meer & Hollywell Hearts – Die kleine Farm am Meer

Zwei Cosy-Romance-Bestseller in einem eBook

dotbooks.

Das Rosencottage am Meer

Schottische Herzen, Band 1

Ein rosenumranktes Cottage an der schottischen Küste und Erfolg als Liebes-Profilerin: Für Lovelyn könnte es gerade nicht besser laufen … und auf einen Traumprinz kann sie getrost verzichten. Das ist auch der Grund, warum sie für ihre Kunden deren Auserwählte unter die Lupe nimmt – Lovelyn hält die »große Liebe« für reine Erfindung … Doch dann geht einer ihrer Aufträge schief: Die Hochzeit platzt – und der wütende Bräutigam steht plötzlich vor Lovelyns Tür. Ian will, dass sie ihm hilft, seine Ex-Zukünftige zurückzugewinnen. Als ob das so einfach wäre! Und warum schlägt Lovelyns Herz plötzlich Purzelbäume, sobald Ian in der Nähe ist – es kann doch nicht etwa diese verflixte Liebe sein?

Prolog

Tannengrün, rote Geschenke und dicke lila Rentiere. Beim Anblick der Rolle Weihnachtspapier zuckte ich zusammen. Und zwar nicht, weil es nichts mit Feen oder Elfen zu tun hatte, sondern weil es sich im Schlafzimmerschrank meiner Mutter befand. Doch wie kam das Weihnachtspapier, mit dem Santa meine Geschenke eingepackt hatte, dort hinein?

»Hast du deinen Schal endlich gefunden?« Die entfernte Stimme meiner Mutter riss mich aus meinen Überlegungen. »Wir müssen langsam los.«

Mit einem letzten Blick auf die Papierrolle schloss ich leise die Tür des Kiefernholzschranks und huschte aus dem Raum, während mein Kopf auf Hochtouren arbeitete.

Gab es Santa womöglich doch nicht?

Haggis in meiner Klasse hatte erst letztens so doofe Anspielungen gemacht. Dabei sollte jemand, der wie ein schottisches Gericht hieß, besser den Mund halten. Ich rief mir die Situation wieder in Erinnerung.

Sag bloß, du glaubst tatsächlich, dass ein fetter Kerl im Mantel es schafft, in einer Nacht alle Geschenke abzuliefern? Dann bist du noch blöder, als du mit deinen blöden Zöpfen ohnehin schon aussiehst. Anschließend war er mit einem höhnischen Lächeln nach vorne geschossen, um sich einen meiner Zöpfe zu schnappen und daran zu ziehen, bis ich das Heulen angefangen hatte. Sollte er aber in diesem Punkt recht haben?

Natürlich schaffte Santa das alles nicht allein. Immerhin gab es meines Wissens noch all die anderen himmlischen Wesen, die ihn unterstützten, oder etwa nicht?

Ich konnte nicht sagen, warum, doch plötzlich erschien auch mir das Ganze recht seltsam. Bevor wir am Christmas Eve das Haus Richtung Kirche verlassen hatten, hatte Mom noch mal unbedingt zurück ins Haus gemusst. Und die Lavalampe, die ich einige Tage zuvor unter ihrem Bett hatte liegen sehen, war ja auch bei meinen Geschenken dabei gewesen. Lieferte Santa womöglich schon eher aus, und die Eltern legten es nur noch unter den Baum?

Ich lief die Treppe hinab in die Diele, wo meine Mom stand und den Kragen ihres braunen Mantels zurechtfummelte. Sie warf mir einen auffordernden Blick zu. »Hast du auf deinem Schreibtischstuhl nachgesehen? Da hängen immer so viele Klamotten drüber, dass der Stuhl beinahe umkippt. Vielleicht ist er da.« Natürlich entgingen mir weder der vorwurfsvolle Ton noch die unausgesprochene Aufforderung aufzuräumen.

Und noch während ich zurück in mein Zimmer laufen wollte – ohne Schal würde mich Mom nicht rauslassen – erhaschte ich einen Fitzel des bunt gestrickten Halswärmers, der an der Garderobe unter den Jacken hervorlugte. Ich zog ihn heraus.

»Na endlich. Können wir dann?« Mit Handtasche und Schlüssel bewaffnet stand sie an der Haustür. Percy wartete schon schwanzwedelnd vor der Tür. Der dunkelbraune Labrador hasste es, allein zu bleiben.

Nachdenklich wickelte ich mir den Schal um den Hals und schloss meine Jacke. Dabei fragte ich mich insgeheim, ob Haggis vielleicht doch recht hatte. Aber alles in mir sträubte sich. Wollte ich wirklich wissen, dass alles nur erfunden war? Dass ich all die Jahre umsonst Briefe an den Himmel geschrieben hatte? Dass ich all die Jahre umsonst brav gewesen war, damit ich nur ja die Geschenke bekam?

»Mom?«

»Hm?«, grunzte meine Mutter und verließ das Haus. Ich lief ihr hinterher. Sah ihr dabei zu, wie sie die Haustür nach dem Zuziehen zweimal abschloss.

»Darf ich dich was fragen?«

»Sicher, Lynnischatz.« Gemeinsam liefen wir die Treppe hinab zur Auffahrt, wo unser Auto stand. Percy wartete bereits vor dem Kofferraum.

»Sagst du mir dann auch die Wahrheit?«

Daraufhin streifte mich ein skeptischer Blick. »Warum sollte ich dich denn anlügen?«

»Weil es um Santa geht!«

Abrupt blieb Mom stehen. »Was ist mit Santa?« Wegen ihres unsicheren Ausdrucks in den Augen ahnte ich es bereits.

»Es gibt ihn nicht, oder?«

Ihre Augen weiteten sich kurz, doch dann lächelte sie gequält. »Lynnischatz, ich weiß nicht …«

»Du hast immer all die Geschenke gekauft«, stieß ich hervor. Mein Herz schlug mir mittlerweile bis zum Halse. »Und du hast sie eingepackt. Oder? Ich habe vorhin das Rentier-Papier in deinem Schrank gefunden.«

Mom seufzte. Sie drehte sich um und lief aufs Auto zu. Tränen stiegen in mir auf, da mir langsam bewusst wurde, dass sich vermutlich gerade eine meiner schönsten Kindheitsfantasien wie Rauch in Luft auflöste.

»Du hast gesagt, du lügst nicht«, erinnerte ich sie mit einem Kloß im Hals an ihr Versprechen. Aus dem tränenverschleierten Augenwinkel heraus sah ich, wie sie die Heckklappe öffnete und Percy ins Auto sprang.

Beinahe so, als sei sie erleichtert, stieß Mom die Luft aus und donnerte den Kofferraum zu. »Also gut. Du bist fast elf. Zeit für die Wahrheit. Ein Wunder, dass du ohnehin so lange daran geglaubt hast.« Sie kam herum und öffnete mir die Beifahrertür. »Lovelyn, Santa gibt es tatsächlich nicht.«

Ganz langsam sickerten ihre Worte in mich ein. Dennoch traf mich die Wahrheit mit voller Wucht in den Magen, und es schmerzte beinahe genauso wie beim Sportunterricht, als der blöde Schafsmagen mir den Ball in den Bauch geschossen hatte, angeblich aus Versehen.

»Aber die Fußabdrücke auf dem Boden?« Ich klammerte mich an den letzten Funken Hoffnung.

»Habe ich mit Farbe aus einem Bastelshop gemacht.« Mom lächelte verhalten. »Weißt du noch, wo du die pinken Fußabdrücke entdeckt hattest und ich dir erzählt habe, Santa sei in einen Farbtopf getreten? Da hatte ich nur noch pinke Farbe.«

»Und die angeknabberten Kekse?«

Sie lachte kurz auf. »Frag mal Percy.«

Aus. Vorbei. Santa bestand also nur aus Farbe, Kekse fressenden Hunden und selbst gekauftem Weihnachtspapier. Deprimiert und verwirrt zugleich, ließ ich mich auf den Beifahrersitz sinken.

Mom, die gerade die Tür zuwerfen wollte, schien meine Betroffenheit zu spüren. Sie hielt inne und beugte sich zu mir herab.

»Es tut mir leid, Lynni«, flüsterte sie. Mit einer Hand strich sie mir eine Träne aus dem Gesicht. Immer und immer wieder versuchte ich, den größer werdenden Kloß herunterzuschlucken. »Santa ist nur eine Fantasie der Menschen. Genauso wie die wahre Liebe.«

Ich stutzte. Was bitte meinte sie denn jetzt damit?

»Ich … ich … verstehe nicht ganz«, stammelte ich und sah zu ihr hoch.

Mom runzelte die Stirn. »Die wahre Liebe, der Traummann, du weißt schon, die Prinzen auf den weißen Pferden und so. Wie bei Cinderella. Die gibt es auch nicht.« Sie schüttelte den Kopf und atmete tief durch. »Und sie lebten bis an ihr Ende glücklich und zufrieden ist glattweg erstunken und erlogen. Oder siehst du deinen Vater hier irgendwo?« Plötzlich bekam ihr Gesicht einen extrem verkniffenen Ausdruck. Einen Ausdruck, den ich danach so nie wieder bei ihr gesehen hatte.

Und derweil sie die Beifahrertür zuwarf, damit wir zu Granpa und Granma nach Joppa fahren konnten, schloss sich noch eine andere Tür – nämlich die zu meiner unbedarften Kindheit.

Kapitel 1Sag mir, wie du wohnst, und ich sag dir, wer du bist!

»Das heißt, für 500 £ bekomme ich also eine vollständige Charakteranalyse meines Verlobten?« Mein Kunde Brandon McDonald fuhr sich nervös durchs Haar und warf mir ein verhaltenes Lächeln zu.

»Genau. Das heißt, Sie wissen am Ende genau, worauf Sie sich bei einer Hochzeit mit ihm einlassen. Ob er ein liebevoller Vater sein wird, falls Sie mal ein Kind adoptieren, Sie im Haushalt unterstützt oder Sie damit rechnen müssen, dass er Sie am Ende mit einem anderen betrügt.«

Ich griff zu meinem Glas Crabbies, einem alkoholfreien Ingwerbier, und nahm einen Schluck, um das Gespräch dadurch etwas aufzulockern. Brandon war angespannt. Ich sah es daran, wie er seinen Whiskytumbler auf der grünen Papierserviette immer wieder von rechts nach links schob. Auch dass er in den letzten Minuten kaum geblinzelt hatte, sprach für unterschwellige Angst. Grundsätzlich konnte ich ihn sogar verstehen. Wer mochte es schon, vor einer fremden Person sein Intimleben zu offenbaren? Oder besser gesagt, den Charakter seines Partners auf den Prüfstand stellen zu wollen.

Außerdem hört der Lauscher an der Wand nur ungern seine eigene Schand. Oft kamen bei meinen Profilings Sachen ans Licht, die besser verborgen geblieben wären. So wie damals bei Enja Hastings. Dass ihr Zukünftiger ein Lack- und Lederfetischist war, der dazu Lack und Leder in den Swingerclubs, die er regelmäßig frequentierte, selbst gerne trug, hatte sie nicht einmal im Ansatz geahnt.

»Aber wie genau erstellen Sie denn so ein Profiling? Müssen Sie sich dazu nicht wenigstens mit ihm unterhalten?«

Ich lächelte und schüttelte den Kopf. »Meine Analyse besteht aus zwei Teilen. Erstens: aus dem Fragebogen, den Sie ja bereits im Vorfeld ausgefüllt haben, und zweitens, das Wichtigste – das Profiling seiner Wohnung, zu der Sie mir jedoch Zugang verschaffen müssten.«

Skeptisch hob Brandon eine Augenbraue. »Wohnung?« Seine Stimme klang ungläubig. »Was bitte entnehmen Sie denn seiner Wohnung?«

Insgeheim legte ich mir die richtigen Worte zurecht. »Sehen Sie, so wie ein Profiler bei der Polizei aus der Art der Tötung von Opfern ablesen kann, welche Hautfarbe der Mörder hat, ob er einen Mutterkomplex hat oder verheiratet ist, so kann ich aus einer Wohnung eines Menschen den Charakter ablesen.« Ich räusperte mich. »In Gesprächen sind Menschen nie ehrlich. Der wahre Charakter zeigt sich jedoch an der Einrichtung. Es heißt nicht umsonst: Zeige mir deine Wohnung, und ich sage dir, wie du bist.«

Brandon zog die Stirn kraus. »Interessant. Aber wie genau können Sie an der Wohnung die Charaktereigenschaften eines Menschen ablesen?«

Ich dachte kurz nach. »Wenn die Wohnung sauber und ordentlich aufgeräumt ist zum Beispiel und derjenige schon länger alleine wohnt, können Sie davon ausgehen, dass er nicht nur gelernt hat, seine Sachen wegzuräumen, sondern auch sauberkeitsliebend ist. Ordnung, Basis und Sauberkeit in der Wohnung bedeuten auch Ordnung, Basis und Sauberkeit in der Beziehung, weil es im Kopf verankert ist. Ganz einfach.« Natürlich war die Sache nicht so einfach. Oft hatten Menschen eine Putzfrau. Deshalb hatte ich den Fragebogen entwickeln müssen, der Aufschluss über genau solche Details gab. »Männer und Frauen, deren Wohnung so aussieht, als habe dort eine Bombe eingeschlagen, werden ihre Beziehung schon allein durch ihre Unselbstständigkeit belasten.«

Mit einem Kopfnicken signalisierte Brandon mir, dass er mich verstanden hatte. Dennoch erkannte ich an der kleinen Falte zwischen seinen Augenbrauen leichte Skepsis. Verständlich!

»In Kombination mit Ihrem ausgefüllten Fragebogen und der Wohnungsbesichtigung kann ich Ihnen nächste Woche sagen, ob ihr Freund den Traummannfaktor hat oder nicht.«

Allein das Wort Traummann schien etwas in meinem Kunden auszulösen. Jeder Mensch im geschlechtsreifen Alter will doch den perfekten Partner ergattern. Oder sagen wir, fast jeder. Ich nahm mich davon aus. Mein Vertrauen in Männer hatte schon in meiner Kindheit gelitten, was nicht nur der Trennung meiner Eltern geschuldet war.

»Also, was sagen Sie?«

Ein tiefer Seufzer entrang sich seiner Brust. »Also gut, Sie haben den Auftrag. Diesmal will ich wirklich sicher sein, dass ich nicht wieder auf die Nase falle. Und was sind schon 500 £ gegen ein angenehmes Leben in völliger Harmonie, oder?«

»Richtig!« Lächelnd nahm ich aus meiner Dokumentenmappe eine Verzichtserklärung hervor und schob sie Brandon über den Tisch zu. »Dann müssten Sie mir nur noch offiziell eine Erlaubnis erteilen, Ihre Daten für eine Analyse verwenden zu dürfen. Zudem übernehmen Sie mit ihrer Unterschrift die Haftung für etwaige Schäden, die bei meinem Auftrag entstehen könnten.« Eine vertragliche Absicherung, die Dede, meine beste Freundin, für mich entworfen hatte, deren Vater Jurist war.

Seine Augenbrauen rutschten gen Stirn. »Was für Schäden denn?«

»Ach«, wiegelte ich ab, »mal eine kaputte Vase oder so. Passiert schon mal!« Mein Kunde warf mir einen verstörten Blick zu. »Keine Sorge. Es wird nichts passieren. In zwei Jahren, seit ich diese Profilings mache, ist mir wirklich nur ein einziges Mal eine Vase kaputtgegangen.« Leider eine sehr seltene chinesische Ming-Vase im Wert von 19.000 £. Aber das ließ ich Brandon gegenüber unerwähnt.

Ohne einen weiteren Kommentar griff er zu dem dargebotenen Stift und setzte seine Unterschrift unter das Dokument. Die perfekt manikürten Nägel blitzten im Licht auf. Seine Unterschrift war geprägt von kleinen, schwungvollen Buchstaben, was davon zeugte, dass er ein etwas schüchterner, introvertierter Mensch war, der sich insgesamt lieber im Hintergrund hielt. Die leichte Linksneigung deutete eine kreative künstlerische Ader an. Ein Charakter, der es einem leicht machte, ihn zu lieben. Insgeheim wünschte ich ihm, dass sein Zukünftiger tatsächlich eine reine Weste hatte.

»Wann werden Sie das … ähm … das … Sie wissen schon … bei … ähm … Michael durchführen?«

Ich zog das Dokument über den Tisch zu mir herüber, packte es zurück in die Dokumentenmappe und erhob mich von meinem Stuhl. »Sobald Sie mir grünes Licht und den Schlüssel zu Michaels Wohnung geben.« Brandon nickte.

Ich legte schließlich etwas Geld für das Crabbies auf den Tisch, verabschiedete mich von Brandon und eilte zu meinem Auto. Das Gespräch mit ihm hatte aufgrund seiner Verspätung länger gedauert als geplant, weshalb ich mich nun etwas sputen musste. Gleich stand noch ein Profiling auf dem Programm.

***

Von Finnegans Wake, dem Pub in Old Town, wo ich mich mit Brandon getroffen hatte, fuhr ich direkt zur Chamberlain Road in Morningside. Morningside ist ein bekanntes Wohngebiet in Edinburgh, in dem sich gerne gut betuchte Familien oder junge Paare ansiedeln. Der Stadtteil ist etwas ruhiger als andere Stadtteile Edinburghs, bietet dennoch kurze Distanz zum Zentrum.

Meine Uhr zeigte bereits Viertel vor sieben an, womit ich in genau 15 Minuten freien Zugang zum Apartment von Ian Mackay hätte. Der Schlüssel zur Wohnung befand sich laut Aussage meiner Auftraggeberin Davina Fraser unter einer der Steinfiguren im Vorgarten des Vierfamilienhauses.

Wie auch alle anderen, wollte das berühmte schottische Fotomodel noch vor ihrer Hochzeit wissen, ob ihr Verlobter Leichen im Keller hatte. Allerdings hatte mir schon die Auswertung des Fragebogens gezeigt, dass die beiden wohl recht gut zueinander passten. Einzig eine Sache hatte mich etwas aufhorchen lassen. Ian Mackay verschwand einmal pro Woche für circa eine Stunde von der Bildfläche. Was zwar nichts heißen musste, aber durchaus auch regelmäßige Schäferstündchen mit einer anderen sein konnten. Somit war ich gespannt auf sein Apartment. Sollte es tatsächlich eine Geliebte geben, würde ich einen Anhaltspunkt darin finden.

Ich parkte mein Auto ein paar Meter weiter am Straßenrand, von wo aus ich einen perfekten Blick auf den Eingang des Hauses hatte. Die zweieinhalb Kilometer war ich tatsächlich besser durchgekommen als gedacht, so dass ich nun sogar noch etwas Zeit totschlagen musste. Deshalb rief ich die eMail auf, die Davina mir geschickt hatte. Sie hatte ein Foto ihres Verlobten angehängt. Ian Mackay war schottischer Abstammung, erschien mir beim Betrachten des Fotos aber mehr südländisch. Kurz geschnittene dunkle Haare, dunkelbraune Augen und leicht gebräunte Haut waren eben nicht typisch schottisch. Noch während mir bewusst wurde, dass Mackay durchaus ein ziemlich attraktiver Kerl war, erfasste ich aus dem Augenwinkel heraus eine Bewegung. Ich riss den Kopf hoch und sah, wie eine Gestalt aus dem Haus trat. Der Scheinwerfer neben dem Vordach flutete die dämmrige Hofeinfahrt mit Licht. Bei der Person handelte es sich unverkennbar um Ian Mackay. Sein Kleidungsstil, Jeans, Lederslipper und ein weißes Hemd mit schwarzer Lederjacke waren zwar sportlich schick, unterstrichen jedoch den südländischen Eindruck. Die Warnblinkanlage eines schwarzen Sport Coupés leuchtete auf. Er stieg ein.

Die Tatsache, dass er bereits vor sieben das Haus verlassen hatte, sprach für Überpünktlichkeit. Solche Menschen waren häufig sehr zuverlässig und gewissenhaft. Zu stark überpünktliche Menschen dagegen drifteten oft ins Bornierte und Pedantische ab. Mackay war etwas zu früh, aber nicht zu früh in meinen Augen. Deshalb war ich erst recht gespannt auf seine Wohnung.

Rasant fuhr der Zweisitzer Sekunden später rückwärts die Auffahrt hinunter. Als Mackay den Lenker einschlug und im Vorwärtsgang an mir vorbeifuhr, verbarg ich mein Gesicht hinter dem Holm meines eigenen Autos. Auch wenn er mich so vielleicht nicht sah, konnte ich zumindest einen Blick auf sein Gesicht erhaschen, das durch die Straßenlaternen erhellt wurde. Markante Gesichtszüge, hohe Wangenknochen und eine gerade Nase, so wie auch auf dem Foto. Dennoch erweckte sein Anblick in Wirklichkeit in mir das leise Gefühl, ihn von irgendwoher zu kennen. Merkwürdig. Hatte ich ihn schon mal mit Davina in einer Zeitung gesehen?

Ach was, vermutlich lag es nur daran, dass er so gut aussah.

***

Vielleicht hätte ich meine Auftraggeberin nach dem Aussehen der Steinfigur fragen sollen, denn es waren nicht weniger als 16, die den riesigen Vorgarten zierten. Somit verbrachte ich die nächsten zwei Minuten damit, mehr als die Hälfte der Deko auf den Kopf zu stellen und fluchend nach dem Schlüssel zu suchen.

Als ich ihn nach der 13. Figur endlich in den Händen hielt, betrat ich das Haus. Die Holzstufen knarzten leise unter meinen Füßen, derweil ich mich im Dunkeln durch den Hausflur nach oben zu Mackays Apartment vortastete.

Davina hatte mir ausführlich erklärt, welche Räume mich dort erwarteten. Ein Wohnzimmer, Küche, Diele, Gästezimmer, Arbeitszimmer, Schlafzimmer, Bad und ein Raum, der gänzlich ungenutzt war. Also verschaffte ich mir als Erstes einen Überblick und versuchte, mich im Schein der schwachen Taschenlampe zu orientieren. Verglichen mit den Apartments, die ich sonst so untersuchte, war dieses hier wahrlich ein kleiner Palast, der mir etwas mehr Arbeit abverlangen würde. Mein kleines Cottage in Aberlady wies nicht halb so viele Zimmer auf. Dafür lag es jedoch in der Nähe der Küste, hatte Meerblick und einen wunderschönen kleinen Garten, umsäumt von einem schmiedeeisernen Zaun. Mittendrin stand ein metallener Pavillon, der im Sommer von hübschen rosafarbenen Rosen und lila Klematis umrankt wurde. Mit meinem Rose Cottage konnte das Apartment hier in der City trotz seiner beachtlichen Größe nun wirklich nicht mithalten.

Als Erstes nahm ich mir das Wohnzimmer vor. Mein Blick huschte zugleich mit dem Lichtkegel über die Möbel. Ian Mackay zeigte eine Vorliebe für Echtholzmöbel aus Sheesham, was für das Bedürfnis nach Beständigkeit sprach. Kombiniert mit schwarzen schlichten Ledersitzgelegenheiten durchaus ein eher zurückhaltender Einrichtungsstil. Mackay war somit kein Typ, der seinen Wohlstand extrovertiert nach außen trug oder sich mit solchen Dingen brüstete. Sehr sympathischer Charakterzug!

Auf den ersten Blick war zudem alles ordentlich und sauber, eine weitere positive Eigenschaft, denn dem Fragebogen nach hatte Mackay keine Putzfrau. Dies passte wiederum auch gut zu der Überpünktlichkeit.

Ich zog einige Schubladen auf und sah mit der Taschenlampe hinein. In den meisten Schubladen fand ich jedoch nur normales Zeugs wie Kabel, Serviettenringe, Silberbesteck, Teelichter, Feuerzeuge und Ähnliches.

Der DVD-Sammlung im Regal neben dem riesigen Fernseher widmete ich einen näheren Blick. Hier dominierten Klassiker alias Singin’ in the rain oder Casablanca, zahlreiche wissenschaftliche Dokumentationen, alle Teile der Star-Wars-Saga und jede Menge Marvelfilme. Um sicher zu sein, öffnete ich stichprobenartig einige Hüllen und sah nach, ob die DVDs auch den Filmen entsprachen. Manchmal waren in den belanglosen Hüllen tatsächlich neben den obligatorischen Porno-DVDs noch Geld oder Liebesbriefe versteckt. Doch nicht so bei Mackay.

Bei den Büchern im Regal fand ich überwiegend Titel zum Thema Medizin. Mackay arbeitete als freier Wissenschaftsjournalist. Aber auch hier ergaben Stichproben keine weiteren Anhaltspunkte auf besondere Vorlieben oder Geheimnisse innerhalb der Bücher. Sogar das Sortieren der Bücher nach Autorenname sowie die sichtbare Abnutzung zeigten, dass sie nicht nur zur reinen Präsentation gedacht waren.

Meter für Meter ging ich den Raum ab. Zog Schubladen auf, öffnete Schranktüren und nahm Sachen hervor.

Vom Wohnzimmer aus lief ich als Nächstes in die Küche. Zahlreiche Gewürze und Kochbücher in den Schränken sprachen dafür, dass Mackay gerne kochte oder kochen ließ. Der Blick in den Kühlschrank, der mit Obst, Gemüse und Milchprodukten gefüllt war, unterstrich das Bedürfnis nach ausgewogener und gesunder Lebensweise. In einem der Küchenschränke fand ich sogar eine Reihe von Nahrungsergänzungsmitteln.

Im Gästezimmer war außer einer schlichten Einrichtung und einem Laufband nichts zu sehen. So viel konnte ich also nach den drei Räumen auf den ersten Blick sagen: Der Journalist war wohlhabend; sehr ordentlich; stand auf gesunde Ernährung; war sportlich, und es gab nicht einen Anhaltspunkt auf abgefahrene sexuelle Fetische. Anscheinend tatsächlich mal ein attraktiver Kerl mit Traummannfaktor und somit das Perfect Match für Davina.

In Mackays Arbeitszimmer stand ein Laptop. Da die Dinger meist durch ein Passwort geschützt waren, fuhr ich nur kurz aus Reflex über das Touchpad. Doch statt den Eingabemodus zu sehen, flackerte plötzlich der Desktop auf. Also hatte der Kerl entweder ein Gottvertrauen in die Menschheit oder aber einfach nichts zu verbergen.

Vorsichtig ließ ich mich auf den Schreibtischstuhl sinken und klickte mich mit der Maus durch die Tiefen von Mackays Festplatte. Nirgendwo gab es versteckte Videos oder Nacktbilder. Stattdessen überflog ich Berichte über embryonale Stammzellen oder über neueste wissenschaftliche Erkenntnisse im Bereich der Alzheimer-Forschung. Ganz zuletzt blieb ich jedoch an seinem digitalen Kalender hängen. Und, Zack, da war es! Mein Herz schlug unweigerlich schneller. Hatte ich es doch gewusst.

Einmal in der Woche stand ein Frauenname darin verzeichnet. Kassandra. Dies deckte sich auch mit den Aussagen aus dem Punkt Sonstige Auffälligkeiten im Fragebogen, laut dem er einmal die Woche spurlos verschwand. Und das schon seit einigen Wochen.

Auch für heute war dort ein Eintrag zu finden. Von sieben bis acht Uhr. Allerdings wusste ich von Davina, dass sie sich in der Zeit, während ich mich hier durchs Apartment wühlte, mit Mackay hatte treffen wollen. Merkwürdig. Deshalb nahm ich an, er habe seinen Termin mit Kassandra kurzfristig verschoben.

Ich stand wieder auf und sah mich weiter um. Leider gab bis auf den Eintrag im Kalender nichts anderes Aufschluss auf eine Geliebte, was tatsächlich nicht allzu viel war. Deshalb setzte ich nun auf die letzten Räume.

Zunächst sah ich mich im Badezimmer um. Jeden Winkel untersuchte ich mit einer Präzision, die einem Polizisten der Spurensicherung Ehre gemacht hätte. Doch außer den üblichen Verdächtigen wie Zahnpasta (Mackay benutze diese neue aus Hydroxylapatit), Duschgel (hergestellt ohne Tierversuche), mehrere Rasierer für Nass- und Trockenrasur und Aftershave war nichts zu finden, was einen schmutzigen Trennungsgrund hätte liefern können. Keine Schminke, keine zweite Zahnbürste oder versteckten Kondome. Vorsichtig schnupperte ich an einem der Aftershave-Fläschchen, die Mackay auf der Ablage unter dem Spiegel stehen hatte. Es handelte sich um den würzigen Duft nach Leder, der mir wirklich gut gefiel.

Vom Bad aus knöpfte ich mir das Schlafzimmer vor. Ein Futon aus Stahl. Darauf zwei Federbetten-Sets, bezogen mit schwarzer Satinbettwäsche, sowie ein schwarz lackierter Kleiderschrank füllten den kleinen Raum beinahe komplett aus. Wenn Menschen sich für kleine Räume als Schlafraum entscheiden, bemessen sie dem Zimmer meist nicht viel Bedeutung bei. Das hieß im Umkehrschluss: Sex und Schlaf waren für Mackay nicht das Wichtigste. Der leer stehende Raum, der laut Davinas Aussage später das Kinderzimmer sein sollte, war beinahe doppelt so groß. Anscheinend wollte Mackay mehr als nur einen Ableger.

In den Schubladen der Nachtkonsolen konnte ich nur Taschentücher, eine Handcreme, ein Buch von Ken Follett und einen Nintendo finden. In dem Gameboy befand sich ein Adventurespiel. Insgeheim fragte ich mich, wer damit wohl spielte. Doch sicher nicht so ein gestandener Kerl wie Mackay, oder? Hatte er womöglich ein Kind aus einer anderen Beziehung, von dem Davina nichts wusste? Waren das die Termine? Ging er einmal in der Woche sein Kind besuchen? Hieß vielleicht das Kind Kassandra?

Nachdenklich legte ich das Gerät wieder zurück zu den anderen Sachen und wandte mich schließlich dem Kleiderschrank zu. Darin fand ich Anzüge und Hemden in allen erdenklichen Farben. Sie waren sogar nach Farben sortiert. Selbst die Poloshirts waren in der Schublade nach einem speziellen Farbschema zu kleinen Rollen zusammengelegt. Die Binder hingen auf speziellen Kleiderbügeln. Einer für unifarbene Krawatten, einer für Musterkrawatten.

Da Davina mir in dem Fragebogen mitgeteilt hatte, Mackay verfüge über keinerlei Haushaltshilfen oder Putzfrauen (er mochte nämlich keine Fremden in seinem Heim), musste er selbst also ziemlich pingelig sein. Solche Menschen waren häufig auch als Charaktere kleinkariert und sehr perfektionistisch oder bissen sich gerne wie Pitbulls an etwas fest, was aber nicht unbedingt eine schlechte Eigenschaft sein musste. Solche Menschen waren im Umkehrschluss oft sehr erfolgreich in dem, was sie taten, weil sie es eben sehr gründlich taten.

Zum guten Schluss überflog ich die Wohnung noch mal kurz im Gesamten, aber bis auf diese ominöse Kassandra gab es keine weiteren Flecken auf Mackays weißer Junggesellenweste.

Deshalb entschloss ich mich dazu, die Analyse zu beenden und das Profiling durch eine einmalige Überwachung zu ergänzen. Durch seinen Kalender wusste ich ja, wann er sich das nächste Mal mit ihr treffen würde. Wenn Kassandra tatsächlich seine Affäre war oder ein uneheliches Kind, würde ich es schon noch herausbekommen.

Langsam ging ich zur Tür und sah mich abschließend um. Das Aufjaulen eines Motors draußen ließ mich jedoch unvermittelt zusammenzucken. Es klang nah. Sehr nah sogar.

Ich hastete rüber in die Küche, um einen Blick nach vorn in die Auffahrt zu werfen. Was ich sah, ließ meinen Puls rasen. Mackays Sportwagen stand in der Auffahrt, und der Kerl stieg gerade aus.

Verwirrt warf ich einen Blick auf die Uhr an der Küchenwand. Es war tatsächlich erst halb acht. Was also machte er schon wieder hier?

Egal, ich wusste nur, ich musste dringend hier raus. Ich lief panisch zurück in die Diele. Ehe ich mir allerdings weitere Gedanken über meine Flucht machen konnte, vernahm ich bereits seine schweren Schritte auf der Holztreppe. Damit war mir der Weg in die obere Etage abgeschnitten. Mist!

Mein Kopf ruckte hastig von rechts nach links, mir wurde schlecht, und mein Magen krampfte sich zusammen. Verdammt, was nun?

Im Bruchteil einer Sekunde erfasste mein Blick die schmale Tür neben der Küche. Eine Vorratskammer mit Platz für Lebensmittel und Putzzeug. Sie war zwar klein, aber groß genug, um sich darin zu verstecken.

Ich eilte darauf zu und hörte, wie der Schlüssel ins Schloss geschoben wurde. Meine Hand schoss nach vorne und drehte den Knauf, woraufhin ich in die Kammer schlüpfte. Kurz erschrak ich, weil mein Gesicht etwas Feuchtes berührte, aber ich riss mich zusammen, drehte mich um und presste mich mit dem Rücken zur Wand. Mackay schloss die Tür auf. Ihm würde sicher nicht entgehen, dass sie gar nicht abgeschlossen war. Aber ehrlich gesagt, war dies gerade mein geringstes Problem.

So leise es ging, zog ich die schmale Tür zurück in den alten Holzrahmen. Kurz darauf vernahm ich Mackays tiefe Stimme. »Ich hätte schwören können, ich hatte vorhin abgeschlossen. Aber egal, komm rein.«

Und noch etwas vernahmen meine Ohren – eine zweite Stimme. Heller und weiblicher. »Danke, sehr freundlich von dir!«

***

»50 £ wie immer?« Mackays kräftiger Bariton klang klar und deutlich bis in die Vorratskammer hinein. Die beiden standen also nicht weit von mir entfernt. Meine Knie wurden weich. Allerdings wähnte ich mich in der Kammer zunächst in Sicherheit. Essen oder Putzen war vermutlich das Letzte, an das Mackay jetzt dachte.

Gebannt horchte ich auf und versuchte, still zu stehen, was mir schwerfiel. Irgendetwas bohrte sich schmerzhaft in meinen Rücken.

»Genau. 50 £ wie immer. Darf ich nur vorher noch mal dein Bad benutzen?« Die Frau klang seltsam kratzig, als sei sie krank oder hätte die Nacht durchzecht. Also, Davina war das definitiv nicht. Sie hatte eine helle, mehr melodische Stimme.

»Sicher. Den Gang runter und die zweite Tür auf der linken Seite. Ich besorg uns schon mal was zu trinken.«

Schritte folgten. Stöckelnde, was mich vermuten ließ, dass die Frau Absatzschuhe trug. Sie wurden leiser und entfernten sich. Mackay lief an der Kammer vorbei, und ich hielt die Luft an. Meine Ohren vernahmen, wie der Kühlschrank geöffnet wurde. Erst ein dumpfes Zischen, dann ein leises Klirren, als die Trinkflaschen in der Seitentür aneinanderschlugen. Es war mir ein vertrautes Geräusch, denn ich selbst hatte vorhin beim Überprüfen der Küche dieselben Geräusche vernommen.

Wieder hörte ich die stöckelnden Schritte. Erst leise, dann lauter werdend.

»Möchtest du Wasser, Crabbies oder lieber einen Whisky?«, rief Mackay.

»Wasser bitte«, kam es laut und deutlich zurück. Mir wurde klar, die Frau war beinahe wieder bei mir angelangt.

Der Kühlschrank wurde geschlossen. Es zischte ein weiteres Mal. Gläserklirren. Dumpfer Schlag einer Schranktür. Plätschern.

»Wir sollten endlich loslegen. Ich habe nach dir noch einen Termin.«

»Dann komm.« Die Schritte der beiden führten an der Kammer vorbei. Voller Panik drückte ich mich etwas weiter nach hinten. Dabei stieß ich mit dem Ellenbogen gegen etwas, das daraufhin leise polternd umfiel. Ich zog scharf die Luft ein. Verdammt!

Abrupt stoppten die Stöckelschritte.

»Kassandra? Kommst du?«

Ha! Zumindest wusste ich nun schon mal, dass die Frau das ominöse Kalendergirl war. Aber was war sie? Eine Professionelle?

»Da war ein Geräusch. Hast du das gehört?«

Bei ihren Worten überrollte mich schlagartig eine Hitzewelle.

Neinohneinohnein! Bitte geh doch einfach weiter …

Mein Herz raste.

»Nein. Wo?«

»Da hinter der Tür.«

»Bist du dir sicher? Vielleicht kam das Geräusch von draußen.«

»Ich bin mir ziemlich sicher, dass es von dort kam. Von der Tür.« Schritten näherten sich. Mir wurde schlecht.

»Du meinst die schmale da? Das ist nur ein Kämmerchen mit Vorräten und Putzzeug.« Mackay lachte leise, so dass mir trotz der Panik ein kleiner Schauer über den Rücken lief. Ich mochte seine Stimme. Ich fand, es gab drei Sachen, die für mich an Männern wichtig waren: die Stimme, schöne Zähne und gepflegte Hände.

Stille kehrte ein. Fieberhaft überlegte ich mir bereits, was ich sagen könnte, wenn Mackay mich hier in der Kammer fand. So etwas wie: Hey, ich bin die neue Putzfrau.

Doch ehrlich gesagt, gab es da nichts. Außer der Wahrheit. Blut rauschte laut in meinen Ohren. Ich wagte nicht mehr zu atmen.

»Tut mir leid, ich bin etwas panisch. Nicht, dass Davina uns zusammen sieht!«

Mackay räusperte sich. »Wie soll sie uns denn zusammen sehen? Sie ist geschäftlich in Glasgow und denkt, ich bin bereits auf dem Weg zu ihr.«

»Aber was ist mit deiner Tür? Die war doch nicht abgeschlossen, oder?«

»Ich denke, du machst dich nur unnötig verrückt. Sicher habe ich vorhin in der Eile selbst vergessen abzuschließen. Für mich ist das hier auch seltsam. Ich hatte niemals eine andere Frau außer Davina hier.«

»Wenn du meinst …«

»Lass uns endlich anfangen. Oder soll ich zur Sicherheit doch lieber schnell nachsehen?«

Kassandra seufzte auf. »Vermutlich hast du recht. Aber diese Heimlichtuerei stört mich. Je schneller ich wieder weg bin, desto besser.«

Die Schritte der beiden entfernten sich und ich atmete erleichtert auf. Wenige Sekunden darauf klappte eine Tür zu, und dann ertönte Musik. Lateinamerikanische Musik. War das etwa eine Rumba? Ich fand, Rumba war so eine typische Sexmusik.

Vorsichtig tastete ich im Dunkeln nach dem Knauf und drehte ihn. Nur einen kleinen Spalt weit drückte ich die Tür auf und spähte hinaus. Die Wohnzimmertür war geschlossen.

Auf Zehenspitzen schlüpfte ich sodann aus der Kammer, drückte die Tür möglichst leise zurück ins Schloss und verließ die Wohnung.

***

Als ich schließlich im Schutz meines Autos auf den Fahrersitz sank, seufzte ich erleichtert auf. Das war wirklich knapp gewesen. Immerhin waren meine Wohnungsbesichtigungen trotz Einverständnis der Partner eine Art Hausfriedensbruch. Nicht auszudenken, wenn Mackay mich im Schrank entdeckt hätte. Ich wartete. Ich wollte einige Fotos als Beweis machen. Es dauerte rund eine Stunde, bis die Haustür endlich aufging. Kassandra trat heraus. Sie trug ein schwarzes Minikleid mit einem weißen langärmeligen Bolerojäckchen darüber. Ihre Haare waren feuerrot und lockig. Sie stachen von dem Jäckchen ab. An den Füßen trug sie schwarze offene Sandalen. Als sie an meinem Auto vorbeilief, konnte ich sehen, dass sie ziemlich stark geschminkt war. Immer wieder sah sie sich nervös um. Mit meinem Handy schoss ich ein paar Aufnahmen von ihr.

Kurz darauf verließ Mackay ebenfalls das Haus und stieg in seinen Sportwagen. Er brauste davon. Vermutlich nach Glasgow zu Davina.

Für mich war die Sachlage klar. Mackay hatte sich vorher noch schnell ein Schäferstündchen gegönnt. Allerdings ein bezahltes. Und ihren Worten nach schien Kassandra Davina sogar zu kennen. Vielleicht war Kassandra ein ehemaliges Topmodel, das nun einen Escortservice betrieb.

Aber eines machte mich stutzig. Nach allem, was ich in Mackays Wohnung gesehen und aus dem Fragebogen herausgelesen hatte, passte eine Prostituierte nicht in das Bild. Aber Menschen waren immer für Überraschungen gut. Vielleicht hatte Mackay auch eine dunkle Seite, die ich aus seiner Wohnung nicht hatte herauslesen können. Wer wusste das schon?

Somit schloss ich für mich das Profiling ab und fuhr los. Ich wollte es Davina überlassen, sich weitere Gedanken darüber zu machen. Mein Auftrag war erfüllt, und das war das Einzige, was für mich zählte.

***

Ein Blick auf die Uhr an der Küchenwand zeigte halb zwölf. Dennoch klappte ich den Laptop erst zu, nachdem ich den Bericht mitsamt der Fotos und meiner Vermutung an Davina abgeschickt hatte. Gähnend löschte ich schließlich das Licht und stieg die schmale Holztreppe in die obere Etage hinauf, wo sich mein Bad, das Schlafzimmer und ein weiteres Gästezimmer befanden. Mit geputzten Zähnen und bequemem Pyjama lag ich nur wenig später in meinem Bett. Es dauerte auch nicht lange, bis die Müdigkeit mich übermannte. Die Aufregung in Mackays Apartment hatte mich zusätzlich geschlaucht.

Ich war gerade eingenickt, als mich ein polterndes Geräusch wieder erschrocken hochfahren ließ. Es war eindeutig von unten gekommen. Ich stand auf, machte im Hausflur Licht und stieg die Treppen in die untere Etage hinab, um nachzusehen. Da mein Cottage weit außerhalb von Aberlady lag und nicht gerade einer Villa mit fürstlicher Ausstattung entsprach, schloss ich Einbrecher eigentlich aus. Trotz allem schnappte ich mir in der Diele meinen Baseballschläger, der immer neben der Eingangstür stand. An sich war ich zwar nicht ängstlich, vor Jahren hatte ich sogar mal einen Kurs in Women Self Defence mitgemacht, aber es schadete ja nicht, etwas dazuhaben, um sich im Notfall verteidigen zu können.

Sorgfältig suchte ich zuerst die untere Etage ab, fand jedoch nichts. Also stieg ich die Treppen weiter hinab in den Keller.

Dort fand ich eine Farbdose, die anscheinend aus dem Regal gefallen war und nun auf dem Boden lag. Granpa hatte mir mal erklärt, dass gerade in alten Landhäusern gerne das Holz arbeitete. Vor allem bei Temperaturumschwüngen und Feuchtigkeitswechseln. Da das Regal aus Holz bestand und die Kälte in den letzten Tagen deutlich abgenommen hatte, schob ich es einfach darauf und griff zu der Dose, um sie zurückzustellen. Sicherheitshalber sah ich mich noch im restlichen Keller um. Aber außer den alten Möbeln des Vorbesitzers, die ich bei Gelegenheit auf Shabby Chic aufhübschen und wieder dem Inventar des Cottages zurückführen wollte, war nichts zu sehen. Schließlich löschte ich das Licht und haute ich mich wieder ins Bett. Den Baseballschläger nahm ich jedoch mit. Sicher war schließlich sicher!

Kapitel 2 Ein Schafsmagen namens Haggis

Am nächsten Morgen warf ich mich nach einer Tasse Kaffee und einer Dusche ins Auto, um mich auf den Weg zu meiner Familie nach Musselburgh zu machen. Leider bestand sie mittlerweile nur noch aus Mom und Granpa. Granma war vor einigen Jahren an Krebs gestorben, und Geschwister hatte ich nicht. Da sich mein Dad von meiner Mutter getrennt sowie den Kontakt zu mir eingestellt hatte, als ich fünf Jahre alt gewesen war, hielt sich folglich auch der Kontakt zum anderen Teil meiner Familie in Grenzen. Was mir aber auch ganz recht war. Ich konnte mich ohnehin kaum an sie erinnern, und wenn sie Interesse an mir gehabt hätten, hätten sie sich doch sicherlich mal bei mir gemeldet.

Bei Mom und Granpa angekommen, schnappte ich mir zunächst Willow und fuhr mit ihr ein Stück weiter Richtung Portobello. Willow, Moms Trikolor-Colliehündin, liebte es, wenn ich sie am Wochenende mit auf Strandausflüge oder ausgedehnte Wandertouren durch die Highlands nahm. Insgesamt war es für uns beide meist eine Win-win-Situation. Ich mochte nicht gerne allein unterwegs sein, sie mochte lange Spaziergänge, das Erschnüffeln neuer Gegenden und die gelegentlichen Brotzeiten zwischendurch. Mom hatte aufgrund der Pflege von Granpa und ihres Jobs als Hausdame in einem Hotel in Edinburgh ohnehin kaum Zeit für den Hund. Und seit ihrer letzten missglückten Krampfader-OP war sie zudem nicht mehr so gut zu Fuß. Deshalb unterstützte ich Mom, wo ich nur konnte. Vor allem an den Wochenenden.

Am Ende des Promenade View stellte ich mein Auto seitlich an der Jopparoad ab, wo wir zwei ausstiegen. Willow blieb gehorsam neben dem Auto sitzen und sah mir erwartungsvoll dabei zu, wie ich meinen kleinen Rucksack mit Handy, Portemonnaie und einer Flasche Wasser vorbereitete.

Heute wollte ich am Strand von Portobello entlang Richtung Craigentinny laufen, wo es das Edinburgh Dogs and Cats Home gab. Dort wollte ich den Animal Shelter mit einer Spende über 250 £ beehren.

Das Ding mit den Profilings war nämlich so eine Sache. Zwar waren diese Aufträge recht lukrativ und spannend, ließen aber regelmäßig mein schlechtes Gewissen in Erscheinung treten. Auf der einen Seite half ich den Menschen und bewahrte sie vor Enttäuschungen, auf der anderen Seite stalkte und verriet ich sie an ihre Partner. Und das schlechte Gewissen war dann auch der Grund gewesen, weshalb ich irgendwann angefangen hatte, an den Profilings zu zweifeln und die Hälfte der Einnahmen an gemeinnützige Einrichtungen zu spenden. Vermutlich war allein das Wissen, dass ich jemandem damit half, mittlerweile meine Motivation, die Jobs überhaupt noch anzunehmen. Die Erfahrung mit Mackay gestern Abend hatte mir zudem deutlich vor Augen geführt, wie nah am Abgrund ich mich meist aufhielt.

Vom Auto aus liefen wir zwei runter zum Strand. Trotz ihrer jungen vier Jahre war Willow eine sehr ruhige Hündin, weshalb ich sie nicht anzuleinen brauchte. Ein Jagdtrieb war bei ihr kaum ausgeprägt. Als klassische Schottische Schäferhündin dafür aber der Hütetrieb, was oft dazu führte, dass sie auf Wandertouren in den Highlands versuchte, mir freilaufende Berghasen oder Wildziegen zuzutreiben, was mich jedes Mal aufs Neue zum Lachen brachte.

Heute jedoch lief sie schwanzwedelnd mit der Nase am Boden vor mir her. Wenn sie zu weit entfernt war, blieb sie stehen und sah über die Schulter zurück, bis ich wieder aufgeschlossen hatte. Der leichte Südwestwind bauschte hin und wieder ihr feines Fell auf. Der Tag war schön. Die Aprilsonne strahlte vom wolkenlosen Himmel auf uns herab. Der Wind strich mir um die Nase, Möwen kreischten, der salzige Duft des Meeres drang in meine Nase, und in der Ferne dröhnte ein Signalhorn.

Ich blieb kurz stehen und schoss ein paar schöne Bilder mit dem Handy. Von Willow, der Umgebung, vom Meer.

Das war das Großartige an meiner schottischen Heimat. Es gab Sandstrände, die sich mit der felsigen Steilküste abwechselten, und weite Felder, die in bergiges Land übergingen. Dazu bot Schottland jede Menge Seen, Schlösser oder urige Ruinen. Das alles in recht kurzer Entfernung zu Großstädten wie Aberdeen, Dundee und Inverness oder kleinen Dörfern wie Aberlady, wo ich wohnte. Nicht umsonst war Schottlands Landschaft eine beliebte Filmkulisse. Doch die meisten Menschen verbanden mit Schottland immer die Highlands. Ich dagegen war absoluter Fan der steinigen Felsküsten, der goldfarbenen Sandstrände und der kleinen Fischerdörfchen, kurzum – der Lowlands. In meinen Augen war dieser Teil von Schottland absolut verkannt.

Ich lief weiter und genoss die Aussicht aufs Meer. Hin und wieder sah ich ein Containerschiff den Firth of Forth durchqueren, einen Meeresarm an der Ostküste, gleichzeitig die Mündung für den Fluss Forth. Knapp eine Stunde später waren wir zwei am Animal Shelter angekommen.

***

Die junge Frau am Empfang staunte nicht schlecht, als ich ihr die 250 £ in die Hand drückte. »Oh mein Gott, vielen lieben Dank.« Sie strahlte über das ganze Gesicht. Es streichelte dem schlechten Gewissen einmal beruhigend über den Kopf.

»Sie brauchen sich nicht zu bedanken. Das habe ich gern gemacht.« Jedes Mal, wenn ich Geld spendete, gab es mir ein gutes Gefühl, weil ich wusste, dass andere mein Blutgeld gut brauchen konnten.

»Benötigen Sie eine Spendenquittung für Ihre Unterlagen?«

Ich hob abwehrend die Hand. »Danke, aber das ist nicht nötig.« Schnell steckte ich mein Portemonnaie in den Rucksack zurück und setzte ihn mir wieder auf. Nun wollte ich vom Animal Shelter aus zurück nach Portobello laufen und zwischendurch bei Crumbs anhalten, um mir einen Kaffee zu besorgen. Entschlossen griff ich zu Willows Leine und verabschiedete mich.

Als ich mich umdrehte, lief ich jedoch geradewegs einem großen blonden Mann in blauer OP-Kleidung in die Arme. Überrascht zuckte ich zurück. »Oh, Entschuldigung!«

Der Kerl hielt ein Klemmbrett in der Hand und musterte mich. »Sie wollen das Tier doch wohl nicht abgeben, oder?«

Unter seinem eindringlichen Blick fühlte ich mich irgendwie schuldig. »Oh … ähm … nein, wir würden unseren Hund niemals abgeben. Hunde sind für uns so etwas wie Familienmitglieder.« Verlegen wechselte ich die Leine von der rechten zur linken Hand. »Percy, unser Labrador vor Willow, ist sogar 13 geworden«, setzte ich deshalb nach. Dabei fragte ich mich, wer er wohl war. Der Tierarzt des Shelters?

Seine Miene blieb ernst. Er beugte sich zu Willow herab, um sie zu streicheln. Doch sie war ein stolzer Hund. Deshalb ließ sie die Streicheleinheit des Fremden unbeeindruckt über sich ergehen.

»Also, wenn Sie das Tier abgegeben hätten, wäre es sicher nicht lange hiergeblieben. Die Trikolor-Färbung zusammen mit den Blue-Merle-Abzeichen am Kopf sind eher selten.« Er sah schließlich zu mir auf. Der ernste Ausdruck war nun einem gewinnenden Lächeln gewichen. »Trotzdem – für die Tiere ist es schwer, wenn sie aus ihrer gewohnten Umgebung gerissen werden. Deshalb bin ich froh, dass Sie anscheinend aus einem anderen Grund hier sind.« Er erhob sich wieder und sah mich direkt an.

Augenkontakt während eines Gespräches ist wichtig. Es erzeugt eine Verbindung. Und dass der Kerl den Blickkontakt aufrecht hielt, sprach für Selbstsicherheit und Offenheit. Mir fiel auf, dass seine Augen genauso dunkelblau waren wie der Atlantik vor der schottischen Küste.

»Meine Mom würde mich ganz sicher umbringen, wenn ich ohne ihren Hund wiederkäme.«

»Ah, verstehe.« Leger hielt er nun das Klemmbrett mit einem Arm vor die Brust und schmunzelte. »Was können wir denn sonst für Sie tun? Suchen Sie vielleicht noch nach einem Zweithund hier bei uns im Shelter? Einen hübschen Collie wie den Ihrer Mom haben wir zwar leider nicht da, aber einen wirklich hübschen, kleinen Deutschen Schäferhundwelpen. Er ist von seinen Besitzern abgegeben worden, weil sie gemerkt haben, dass sie mit ihm doch etwas überfordert sind.«

Unmut machte sich augenblicklich in mir breit. Bevor sich jemand einen Hund anschafft, sollte er sich darüber im Klaren sein, dass so ein Tier viel Arbeit macht. Gerade Welpen sind nun mal noch nicht stubenrein, unerzogen und haben noch jede Menge Flausen im Kopf.

»Ehrlich gesagt, bin ich nur hier, weil ich etwas Geld spenden wollte. Ich denke, Sie können es sicherlich gut gebrauchen.«

Sein Schmunzeln offenbarte plötzlich eine kleine Narbe am Kinn. Insgesamt machte der Kerl einen äußerst sympathischen Eindruck. Sein Blick war offen, klar und fest. In Kombination mit seinem Lächeln zeigte es Neugier und Sympathie mir gegenüber.

»Allerdings. Sie glauben gar nicht, wie viel Hunde und Katzen fressen können.« Er zwinkerte mir zu und hielt der jungen Frau hinterm Tresen unvermittelt das Klemmbrett entgegen.

»Sie hat 250 £ gespendet«, mischte diese sich nun ein. »Davon können wir den neuen Kratzbaum fürs Katzenhaus finanzieren.« Sie nahm das Klemmbrett an sich und warf einen flüchtigen Blick drauf. Kopfnickend verschwand sie in Richtung des Schreibtischs mit dem Computer, der im hinteren Bereich der Rezeption stand.

Der blonde Kerl riss die Augen auf. »250 £? Wow. Haben Sie im Lotto gewonnen oder doch eher eine Bank ausgeraubt?«

»I wo, war nur ein Kiosk. Bei einer Bank wäre definitiv mehr rumgekommen, oder?«

Mein Gegenüber lachte auf, entblößte perfekte Zähne und zeigte ein amüsiertes Funkeln in den Augen. Auch die kleinen Lachfältchen um seine Augen zeugten davon, dass er eher ein lustiger Charakter war. Und das trotz des Jobs. Ich hätte nicht gewusst, ob ich bei all dem Elend der Tiere weiterhin so fröhlich hätte bleiben können.

»Ich sehe schon, Sie sind eine Frau mit Humor. Das mag ich.« Er wurde wieder ernst und räusperte sich. »Ich gehe mal davon aus, dass es schon in Ordnung ist. Zumindest sehen Sie nicht gerade nach einer Kleinkriminellen aus. Dafür sind Sie viel zu hübsch.« Er lächelte verlegen. »Und ehrlich gesagt, können wir derzeit jeden Penny gut gebrauchen.« Unvermittelt hielt er mir die Hand hin. »Dann noch mal vielen lieben Dank, Miss …« Er hielt kurz inne.

»Gow, Lovelyn Gow«, gab ich lächelnd zurück. Dann griff ich zu seiner Hand und schüttelte sie.

Er stutzte. »Lovelyn? Sehr ungewöhnlicher Name! Kommen Ihre Eltern nicht von hier?«

»Doch. Meine Mom wollte mich eigentlich Raelyn nennen. Mein Dad hatte allerdings herausgefunden, das Raelyn übersetzt Mutterschaf heißt. Am Ende haben sich beide auf Lovelyn geeinigt.«

Er nickte und grinste plötzlich breit über das ganze Gesicht. »Mein Name ist Angus Cameron Reed. Wenn man das übersetzt, dann wäre ich ein starker rothaariger Mann mit Hakennase.« Nun musste ich auch lachen.

Demonstrativ sah ich auf die Uhr und unterbrach bewusst die sympathische Verbindung. »Es tut mir leid, ich muss leider wieder los.« Ich zupfte an der Leine, und Willow erhob sich.

Schlagartig wurde Angus Reed ernst. »Bin ich etwa in ein Fettnäpfchen getreten? Das kann ich leider sehr gut, müssen Sie wissen.«

Ich schüttelte den Kopf und lächelte. »Ich muss wirklich los, ich bin noch verabredet.« Mit Mom und Granpa zum Essen und dann mit meinem Gästeklo, das gestrichen werden wollte. Leider gab es im Cottage noch einige Baustellen, die ich auf die Zeit nach meinem Einzug verschoben hatte, weil ich aus meinem WG-Zimmer in Edinburgh rausmusste.

»Gut, dann wünsche ich Ihnen noch ein schönes Wochenende, Miss Gow.« Er hielt mir erneut die Hand hin. »Vielleicht kommen Sie mal wieder vorbei? Wir können ehrenamtliche Helfer immer gut gebrauchen!«

Ich ergriff seine Hand, wobei ich das Gefühl hatte, dass er sie etwas zu fest und eine Sekunde zu lang hielt. Außerdem hatte er mich Miss genannt. Entweder ging er davon aus, dass ich nicht verheiratet war, oder er wollte, dass ich es richtigstellte. Wenn ich vielleicht nicht so beziehungsgeschädigt wäre, wäre er durchaus eine attraktive und äußerst sympathische Option gewesen. Doch ich verzichtete nur zu gerne darauf, vor allem, weil ich mir weiteren Kummer und Schmerz ersparen wollte. Wie hatte Mom damals noch zu mir gesagt? Die wahre Liebe gibt es nicht. Sie ist genauso erfunden wie Santa. Und wenn ich an meine Beziehungen, die Profilings oder gar an meine Arbeit als Paartherapeutin dachte, fühlte ich mich jedes Mal aufs Neue bestätigt. Selbst bei Davina und Mackay, dem vermeintlichen Perfect Match, hatte ich letztlich eine Leiche im Beziehungskeller gefunden.

»Gerne. Dann bis zum nächsten Mal.« Dabei wusste ich, dass es ein nächstes Mal nicht geben würde. Denn ich spendete ein und derselben Organisation nie zweimal Geld.

***

Auf dem Rückweg von Craigentinny nach Portobello kehrte ich auf der Promenade bei Crumbs ein. Crumbs ist eine kleine, süße Strandbude vor dem Amusement Center in Portobello, die leckere Crêpes oder andere Kleinigkeiten sowie Getränke anbot. Dort bestellte ich mir einen Cappuccino mit kleinen Marshmallows und ein mit Schinken belegtes Käsecroissant. Mit meinem Snack setzte ich mich an einen der wenigen Bistrotische aus Metall, von wo aus ich auf das Meer hinausschauen konnte.

Mittlerweile war es zwölf Uhr durch, und die Tische waren dementsprechend gut belegt. Rechts von mir saßen zwei jüngere Mädels mit Inlineskates an den Füßen, links von mir ein älteres Pärchen, das Deutsch sprach. Vermutlich Touristen. Sie genossen die Aussicht, wobei er ihre Hand hielt und sie immer wieder anlächelte, was mir einen neidvollen Seufzer entlockte.

Vielleicht gab es die wahre Liebe ja doch, und es war nur nicht jedem vergönnt, sie zu finden, weil sie ein Schatz war, der sich nicht jedem offenbarte. So wie mir zum Beispiel. Oder Mom. Manchmal fragte ich mich, was bei Mom und Dad überhaupt schiefgelaufen war. Leider verweigerte sich meine Mutter jedes Mal, wenn ich sie darauf ansprach, so dass ich gar nicht wusste, warum Dad uns wirklich verlassen und den Kontakt zu mir abgebrochen hatte.

Etwas Feuchtes stupste mich unter dem Tisch an. Ich griff zu dem Croissant und riss ein kleines Stück davon ab. Willow nahm es mir vorsichtig aus der Hand, legte es auf den Boden und leckte sachte mit der Zunge drüber. Dann fraß sie es auf. So machte sie es immer, denn sie war eine kleine Genießerin. Willow war mittlerweile unser dritter Hund. Während sie eine zurückhaltende, sehr stolze Hündin war, war Percy vor ihr ein recht stürmischer, tollpatschiger Labrador gewesen, der mir nicht nur das Croissant aus der Hand gerissen und runtergeschlungen, sondern dabei vermutlich noch den Bistrotisch umgehauen hätte. Sam, unser erster Hund, den Mom noch zusammen mit Dad angeschafft hatte, war dagegen ein ernster Deutscher Schäferhund gewesen, der seine Aufgabe, Haus und Hof zu beschützen, immer gut gemacht hatte. Zu ihm hatte ich nicht so eine intensive Beziehung aufbauen können. Vielleicht auch, weil ich noch viel zu klein gewesen war.

Bei Percy dagegen war ich voll und ganz dabei gewesen. Sein Schlafplatz war in meinem Bett, ich hatte mit ihm im Garten herumgetollt, ihm Tricks wie Rolle und toter Hund beigebracht und keinen Spaziergang ausgelassen. Daher auch sicher meine heutige Wanderliebe und mein Hang zur Natur.

Erst nachdem ich nach Edinburgh in die WG gezogen war, um zu studieren, hatte ich ihn nur noch am Wochenende gesehen. Der Hund zu meinen Füßen in der Nacht hatte mir wahrlich gefehlt. Vor fünf Jahren mussten wir Percy dann einschläfern lassen, weil er hinten nicht mehr hochkam. Die alten Knochen hatten nicht mehr gewollt. Seine Nachfolgerin – Willow.

Da ich nicht in Tränen ausbrechen wollte, ich vermisste Percy nämlich immer noch schmerzlich, schob ich die Gedanken hastig beiseite und griff zu meinem Rucksack, wo ich für Willow ein kleines Stückchen Rinderohr hatte. »Hier, Süße, das ist wesentlich gesünder.« Sie nahm es mir vorsichtig aus der Hand, legte es auf den Boden, leckte ein paarmal darüber und nahm es schließlich zwischen ihre Vorderpfoten, um genießerisch darauf herumzukauen.

Schmunzelnd griff ich zu meinem Cappuccino, lehnte mich zurück und genoss die Aussicht. Kinder tollten am Strand herum, Leute spazierten am Wasser entlang. Alle schienen den regenfreien und für April eher seltenen Sonnentag ausnutzen zu wollen. In weiter Entfernung sah ich sogar einen schwarzen Mischlingshund einer Frisbeescheibe nachjagen.

Während ich vorsichtig einen Schluck von dem heißen Cappuccino nahm, schellte plötzlich mein Handy. Es war Dede.

»Hey, Lynni«, begrüßte sie mich.

»Hey, Dede«, gab ich zurück. »Alles gut bei dir?«

»Klar, ich wollte auch nur kurz fragen, ob du Lust hast, morgen Mittag mit mir nach Edinburgh rein zum Stockbridge-Trödel zu fahren.«

Schnell überflog ich in Gedanken meinen Plan fürs Wochenende. Heute Nachmittag hatte ich mit dem Streichen des Gästeklos anfangen wollen, aber sicher würde ich nicht alles schaffen und morgen weitermachen müssen. Zwischendurch tat etwas Abwechslung dann bestimmt gut.

»Warum nicht, ich brauche für meine Gästetoilette ohnehin noch einen hübschen Spiegel. Vielleicht finde ich dort einen.«

»Dann komme ich dich so gegen zehn abholen. In Ordnung?«

»Zehn passt gut.«

»Wunderbar. Alles Weitere morgen, ich bin nämlich schon wieder auf dem Sprung, Paul von der Dialyse abholen.«

Dedes Freund Paul hatte leider aufgrund einer schweren Infektion mit E.coli-Bakterien starke Funktionseinbußen beider Nieren erlitten.

»Verstehe. Bis morgen«, gab ich zurück, beendete das Gespräch und legte das Handy zurück auf den Bistrotisch.

Dede und ich kannten uns schon seit gut acht Jahren. Wir hatten uns damals zu Studienzeiten in Edinburgh mit noch zwei anderen Studentinnen zusammen eine Wohnung geteilt. Und da Dede ein unkomplizierter Mensch ist, war es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis wir beide zu BFFs geworden waren. Im Gegensatz zu mir hatte Dede jedoch Informatik studiert und war direkt danach von der Bank of Scotland abgeworben worden.

Wenn es um Computer ging, war Dede also genau die Richtige. Mehr als einmal hatte sie mir im Studium IT-technisch gesehen den Hintern gerettet. Deshalb war es auch für mich keine Frage gewesen, als sie mich vor zwei Jahren gefragt hatte, ob ich nicht Paul, ihren neuen Schwarm, psychologisch durchleuchten könne, da er anscheinend etwas vor ihr zu verbergen hätte. Allerdings war ich bei Paul schnell zu dem Ergebnis gekommen, dass das ominöse Geheimnis nur seine Nierenerkrankung war. Dede hatte mich daraufhin an einen Studienfreund weiterempfohlen, der mir dafür sogar etwas Geld gegeben hatte. Über Mundpropaganda folgten weitere Aufträge. Dies war der Beginn der Liebesprofilings gewesen.

»Boah, wie krass!«

Eines der Mädchen am Nebentisch riss mich plötzlich mit ihrem Ausruf aus den Gedanken. Ich vermutete, dass es die Blonde mit dem Pferdeschwanz gewesen war, die gerade mit weit aufgerissenen Augen auf ihr Handydisplay starrte. Das andere Mädchen, eine dunkelhaarige mit geflochtenem Zopf und fester Zahnspange, runzelte die Stirn. »Was ist krass?«

»Bei Facebook steht, Davina hat ihre Hochzeit abgesagt, und deshalb wird sie jetzt nicht in der Jury für Schottlands Next Topmodel sitzen.«

Ich horchte auf. Davina? Topmodel? Hochzeit? Die kleinen Härchen in meinem Nacken stellten sich auf.

»Zeig her«, rief das Mädchen mit der Zahnspange und riss ihrer blonden Freundin das Handy aus der Hand. »Das ist bestimmt nur ein Fake.«

»Du immer mit deinen Fakes«, spie die Blonde aus. »Bei dir ist immer alles gleich Fake.«

Konnte das tatsächlich sein? Mit zitternden Fingern griff ich ebenfalls zu meinem Handy, rief den Webbrowser auf und tippte etwas in die Suchleiste ein.

»Warum sollte sie Topmodel denn absagen? Das ist bestimmt nur ein PR-Gag.«

Die Blonde schüttelte den Kopf. »Hier bei Insta steht es auch. Also glaube ich nicht, dass es ein Fake ist.«

Ohne auf die beiden Mädels zu achten, rief ich selbst mit meinem Handy thenational.scot auf und zack – da stand es direkt auf der Titelseite: Davina Fraser wieder solo.

Hastig überflog ich den Artikel. Darin stand, das Model hätte sich von ihrem Verlobten aufgrund unüberwindbarer Differenzen getrennt und sogar ihre Teilnahme bei SNTM abgesagt. Sie fühle sich derzeit nicht in der richtigen Verfassung für eine Fernsehshow. Mackay sei dagegen stinkwütend. Immerhin bliebe er nun auf jeder Menge Kosten der geplatzten Traumhochzeit sitzen.

Um sicher zu sein, rief ich noch zwei weitere Online-Zeitungen auf. Jedes Mal sprang mir die Titelzeile direkt ins Auge und versetzte mir einen Stich. Die Inhalte aller Artikel waren sich ähnlich. Keine Hochzeit, kein SNTM, jede Menge Unkosten. Was mir jedoch am meisten Angst einjagte, war Mackays Unmut. Dazu behauptete er, dies sei alles nur ein Missverständnis.

Gleichzeitig schalt ich mich eine naive Kuh. Natürlich hatte meine Arbeit Konsequenzen, und dass Davina ihre aus den Ergebnissen ziehen und Mackay deswegen nicht gerade vor Freude in die Luft springen würde, war doch auch klar gewesen. Warum also nahm mich die Sache nun so mit? Weil Mackay alles abstritt? Oder er auf den Kosten sitzen blieb?

Darauf hatte ich ehrlich gesagt keine Antwort. Aber vermutlich lag es wieder mal an meinem schlechten Gewissen, welches in solchen Momenten gerne die Vernunft überholte. Ich hatte Mackay verraten. Aber Himmel noch mal, wer sich in Gefahr begibt, kommt halt darin um!

Für einen Moment war ich versucht, zurück zum Animal Shelter zu laufen und dort noch die anderen 250 £ von dem Auftrag zu spenden. Doch ich wusste auch, dass eine Spende das Geschehene nicht rückgängig machen konnte.

Dann war Mackay eben sauer. Na und? Wenn es angeblich ein Missverständnis war und die Frau in seiner Wohnung keine Affäre, wäre es doch an ihm, die Sachlage richtigzustellen! Oder?

Hastig trank ich meinen Cappuccino aus und schnappte mir Willow. Den Rest des Weges lief ich in Gedanken versunken an der Promenade entlang. Wieder einmal war ich dankbar für Dedes Drängen zu einer anonymen Website und eMail-Adresse. Dennoch zeigte mir meine Reaktion auf den Fall Fraser/Mackay, dass ich endlich etwas ändern sollte. Der Studienkredit war dank der Profilings längst ausgelöst und das Cottage großzügig angezahlt. Und mit meinem offiziellen Job als Paartherapeutin in der Gemeinschaftspraxis in Edinburgh konnte ich auch nicht gerade über finanzielle Probleme klagen. Deswegen fasste ich einen folgenschweren Entschluss. Brandon McDonald wäre mein letzter Auftrag, den ich noch durchziehen würde. Weswegen ich Dede tatsächlich morgen bitten wollte, die Homepage offline zu nehmen. Und zwar endgültig!

***

»Lynnischatz, warum nimmst du denn keinen Haggis?«

Ehrlich gesagt, hasste ich Haggis. Allein die Vorstellung, sich einen mit Herz, Leber und Lunge gefüllten Schafsmagen in den Mund zu stopfen, verursachte bei mir einen Würgereiz. Es wurde auch nicht besser, wenn ich sah, wie Mom den Haggis vor mir auf dem Servierteller aufschnitt. Es schien für mich dann immer so, als würde sie einen Darm sezieren, aus dem ein undefinierbarer Fäkalienbrei hervorquoll.

»Danke, Mom, aber ich habe nicht so viel Hunger. Etwas Kartoffelbrei und Rübengemüse reichen mir schon.« Haggis hatte ich noch nie gemocht. Doch leider konnte meine Mutter es sich aus unerfindlichen Gründen nie merken. Jedes Mal, wenn ich kam, scheute sie nicht davor zurück, mir die traditionelle schottische Mahlzeit vor die Nase zu setzen, und langsam hatte ich es aufgegeben, mich ständig zu erklären. Die Aussage, nicht allzu viel Hunger zu haben, war da meist wesentlich stressfreier und effektiver.

»Gut, dann packe ich dir einfach was davon ein, und du kannst es dir morgen warm machen.« Auch das Entsorgen des Essens im Müll war in meinen Augen einfacher, als mich vehement gegen ihr gut gemeintes Angebot zu stellen.