Inhaltsverzeichnis
Die Günstlinge der Unterwelt
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
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Die Günstlinge der Unterwelt
1. Kapitel
Die sechs Frauen wachten plötzlich auf, alle im selben Augenblick, während ihre Schreie noch durch die enge Offizierskabine nachhallten. In der Dunkelheit hörte Schwester Ulicia, wie die anderen japsend nach Luft schnappten. Sie schluckte, um ihr eigenes Keuchen zu beruhigen, und zuckte zusammen, als sie den Schmerz in ihrer wunden Kehle spürte. Sie fühlte die Feuchtigkeit auf ihren Lidern, ihre Lippen aber waren so trocken, daß sie, aus Angst, sie könnten reißen und zu bluten anfangen, mit der Zunge darüberfuhr.
Jemand hämmerte gegen die Tür. Die Rufe drangen nur als dumpfes Dröhnen bewußt in ihren Kopf. Sie versuchte erst gar nicht, sich auf die Worte oder ihre Bedeutung zu konzentrieren. Der Mann war nicht wichtig.
Sie richtete die zitternde Hand auf den Mittelpunkt der Kabinendecke, setzte einen Strom ihres Han frei, der Essenz des Lebens und des Geistes, und lenkte einen Hitzepunkt in die Öllampe, die, wie sie wußte, an dem niedrigen Balken hing. Der Docht fing folgsam Feuer und gab eine wellenförmige Rußfahne von sich, die das langsame Hin- und Herschaukeln des in der See rollenden Schiffes nachzeichnete.
Die anderen Frauen, alle nackt wie sie selbst, setzten sich ebenfalls auf, die Augen auf den matten, gelben Schein gerichtet, so als suchten sie dort ihr Heil oder vielleicht nur die Bestätigung dafür, daß sie noch lebten und es ein Licht gab, das man sehen konnte. Selbst Ulicia lief beim Anblick der Flamme eine Träne über die Wange. Die völlige Finsternis war erdrückend gewesen, wie eine schwere Schicht feuchter, schwarzer Erde, die man über sie geschaufelt hatte.
Ihr Bettzeug war schweißdurchnäßt und kalt, doch auch sonst war immer alles feucht von der salzigen Luft, ganz zu schweigen von der Gischt, die gelegentlich das Deck überspülte und alles durchtränkte, was darunter lag. Wie es war, trockene Kleider oder trockenes Bettzeug auf der Haut zu spüren, hatte sie inzwischen vergessen. Sie haßte dieses Schiff, die ewige Feuchtigkeit, den fauligen Gestank, das unablässige Rollen und Stampfen, bei dem sich ihr der Magen umdrehte. Wenigstens lebte sie und konnte das Schiff hassen. Vorsichtig schluckte sie den galligen Geschmack herunter.
Ulicia wischte sich durch die warme Feuchtigkeit über ihren Augen und betrachtete die Hand - ihre Fingerspitzen glänzten von Blut. Als hätte ihr Beispiel sie ermutigt, taten einige der anderen das gleiche. Jede einzelne von ihnen hatte blutige Kratzer auf den Lidern vom verzweifelten, aber erfolglosen Versuch, sich die Augen aufzukratzen, sich aus der Falle des Schlafes zu befreien, von dem fruchtlosen Bemühen, dem Traum zu entfliehen, der keiner war.
Ulicia kämpfte, um den Schleier um ihren Verstand zu lüften. Es mußte schlicht ein Alptraum gewesen sein.
Sie riß den Blick von der Flamme los und zwang sich, die anderen Frauen zu betrachten. Schwester Tovi kauerte gegenüber in einer der unteren Kojen. Die dicken Fettwülste ihrer Taille hingen schlaff herab, wie aus Mitgefühl für den verdrießlichen Ausdruck ihres faltigen Gesichts, mit dem sie die Lampe anstarrte. Schwester Cecilias sonst wohlgeordnetes, lockig graues Haar stand zerzaust ab, ihr unerschütterliches Lächeln war einer aschfahlen Miene der Angst gewichen, als sie aus der Koje, unten neben Tovi, starr heraufschaute. Ulicia beugte sich ein wenig vor und warf einen Blick in die Koje über ihr. Schwester Armina, die längst nicht so alt wie Tovi oder Cecilia, sondern eher in Ulicias Alter und noch immer sehr attraktiv war, wirkte ausgezehrt. Mit zitternden Fingern wischte sich die sonst so ruhige Armina das Blut von den Lidern.
Auf der anderen Seite des schmalen Ganges, in den Kojen über Tovi und Cecilia, saßen die beiden jüngsten und gefaßtesten Schwestern. Kratzer verunzierten Schwester Niccis zuvor makellose Wangen. Tränen, Schweiß und Blut klebten ihr Strähnen ihrer blonden Haare ins Gesicht. Schwester Merissa, ebenso schön, drückte sich ein Laken vor die nackte Brust, nicht aus Schamgefühl, sondern weil sie scheußliche Angst hatte. Ihr langes, dunkles Haar war ein einziges verfilztes Durcheinander.
Die anderen waren älter und wußten ihre in der Schmiede der Erfahrung gehärtete Macht geschickt zu nutzen, Nicci und Merissa dagegen waren im Besitz von seltenen, angeborenen dunklen Gaben - ein Anflug von Geschicktheit, den selbst noch soviel Erfahrung nicht ersetzen konnte. Die beiden waren gerissener, als es sich für ihre Jahre geziemte, und beide ließen sich nicht von Cecilias oder Tovis freundlichem Lächeln oder dem vorgetäuschten Mitleid täuschen. Trotz ihrer Jugend und Beherrschtheit wußten beide, daß Cecilia, Tovi, Armina und vor allem Ulicia selbst imstande waren, sie auseinanderzunehmen, Stück für Stück, wenn ihnen danach war. Doch das tat ihrer Meisterschaft keinen Abbruch. Für sich betrachtet, waren sie zwei der beeindruckendsten Frauen, die je einen Atemzug getan hatten. Erwählt hatte sie der Hüter jedoch wegen ihres einzigartigen Durchsetzungswillens.
Es war entmutigend, die Frauen, die sie so gut kannte, in diesem Zustand zu sehen, doch Merissas unverhohlenes Entsetzen war es, das Ulicia wirklich schockierte. Sie kannte keine Schwester, die so ruhig, leidenschaftslos, unnachgiebig und gnadenlos war wie Merissa. Schwester Merissa hatte ein Herz aus schwarzem Eis.
Ulicia kannte Merissa seit nahezu einhundertsiebzig Jahren und konnte sich nicht erinnern, sie in all der Zeit je weinen gesehen zu haben. Jetzt schluchzte sie.
Es vermittelte Schwester Ulicia ein Gefühl von Macht, die anderen in einem solchen Zustand jämmerlicher Schwäche zu sehen, und eigentlich gefiel es ihr. Sie war die Anführerin und stärker als sie.
Der Mann hämmerte noch immer gegen die Tür und wollte wissen, was los sei, was all das Geschrei zu bedeuten habe. Ulicia entlud ihren Ärger in Richtung Tür. »Laß uns in Ruhe! Du wirst gerufen, wenn man dich braucht!«
Die gedämpften Flüche des Matrosen verklangen im Gang, als er sich entfernte. Vom Knarren der Balken abgesehen, wenn das Schiff, querab von einer schweren See getroffen, gierte, war das Schluchzen das einzige Geräusch.
»Hör auf mit dem Gegreine, Merissa«, fauchte Ulicia. Merissa sah sie aus ihren vor Angst noch immer glasigen Augen an. »So wie jetzt war es noch nie.« Tovi und Cecilia pflichteten ihr nickend bei. »Ich habe getan, was er von mir verlangte. Warum hat er das getan? Ich habe ihn nicht enttäuscht.«
»Hätten wir ihn enttäuscht«, sagte Ulicia, »wären wir dort, bei Schwester Liliana.«
Armina schreckte hoch. »Du hast sie auch gesehen? Sie war -«
»Ich habe sie gesehen«, fiel ihr Ulicia ins Wort, verbarg ihr Entsetzen jedoch hinter dem beiläufigen Tonfall.
Schwester Nicci strich sich eine verdrehte Strähne blutgetränkten Haars aus dem Gesicht. Wachsende Gelassenheit machte ihre Stimme aalglatt. »Schwester Liliana hat den Meister enttäuscht.«
Schwester Merissa, aus deren Augen alles Glasige wich, warf ihr einen kalten, geringschätzigen Blick zu. »Sie zahlt den Preis für ihr Versagen.« Die schneidende Schärfe ihres Tonfalls wuchs zu wie winterliche Eisblumen auf einer Fensterscheibe. »Und zwar bis in alle Ewigkeit.« Merissa ließ ihre glatten Züge so gut wie niemals von irgendeiner Regung verunstalten, doch diesmal zogen sich ihre Brauen zu einem mörderisch finsteren Blick zusammen. »Sie hat deine Befehle widerrufen und die des Hüters. Sie hat unsere Pläne durchkreuzt. Das war ihr Fehler.«
Liliana hatte den Hüter in der Tat enttäuscht. Ohne Schwester Liliana würden sie alle sich nicht an Bord dieses Schiffes befinden. Der Gedanke an die Überheblichkeit dieser Frau trieb Ulicia die Hitze ins Gesicht. Liliana hatte den ganzen Ruhm für sich einstreichen wollen. Sie hatte bekommen, was sie verdiente. Und doch mußte Ulicia schlucken, wenn sie daran dachte, daß sie Lilianas Qualen gesehen hatte, nur diesmal spürte sie den Schmerz in ihrer wunden Kehle nicht.
»Aber was wird aus uns?« fragte Cecilia. Ihr Lächeln kehrte zurück, eher kleinlaut als vergnügt. »Müssen wir tun, was dieser … Mann verlangt?«
Ulicia wischte sich mit der Hand übers Gesicht. Wenn dies wirklich war, wenn das, was sie gesehen hatte, tatsächlich geschehen war, dann hatten sie keine Zeit zu verlieren. Es durfte nicht sein, daß es mehr war als ein schlichter Alptraum. Niemand außer dem Hüter war ihr jemals in jenem Traum erschienen, der keiner war. Ja, es mußte einfach ein Alptraum gewesen sein. Ulicia sah zu, wie eine Kakerlake in den Nachttopf krabbelte. Plötzlich hob sie den Kopf.
»Dieser Mann? Du hast nicht den Hüter gesehen? Sondern einen Mann?«
Cecilia verlor den Mut. »Jagang.«
Tovi hob die Hand an die Lippen und küßte den Ringfinger - eine uralte Geste, mit der man den Schutz des Schöpfers erbat. Es war eine alte Gewohnheit, die ihr seit dem ersten Morgen ihrer Ausbildung zur Novizin selbstverständlich geworden war. Sie alle hatten gelernt, dies jeden Morgen zu tun, ohne Unterlaß, gleich nach dem Aufstehen sowie ebenfalls in schwierigen Zeiten. Wahrscheinlich hatte Tovi es, wie sie alle, unzählige tausend Male mechanisch wiederholt. Eine Schwester des Lichts war symbolisch dem Schöpfer versprochen - und Seinem Willen. Das Küssen des Ringfingers war eine rituelle Erneuerung dieses Versprechens.
Unmöglich zu sagen, was das Küssen des Fingers jetzt, angesichts ihres Verrats, bewirken würde. Dem Aberglauben nach bedeutete es den Tod, wenn jemand, der seine Seele dem Hüter verpfändet hatte - eine Schwester der Finsternis also - diesen Finger küßte. Zwar war nicht klar, ob es den Zorn des Schöpfers heraufbeschwören würde, doch bestand kein Zweifel, daß der Hüter so reagieren würde. Ihr Ringfinger war schon auf halbem Weg zum Mund, als Tovi merkte, was sie tat, und die Hand zurückriß.
»Ihr habt alle Jagang gesehen?« Ulicia sah eine nach der anderen an, und alle nickten. Wie ein kleines Flämmchen flackerte noch immer Hoffnung in ihr. »Dann habt ihr also den Herrscher gesehen. Das bedeutet gar nichts.« Sie beugte sich zu Tovi. »Hast du ihn sprechen hören?«
Tovi zog ihre Decke bis unters Kinn hoch. »Wir waren alle dort, wie immer, wenn der Hüter uns besucht. Wir saßen im Halbkreis, nackt wie immer. Aber es war Jagang, der kam, nicht der Meister.«
Armina, in der Koje über ihr, schluchzte. »Ruhe!« Ulicia richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf die zitternde Tovi. »Aber was hat er gesagt? Wie lauteten seine Worte?«
Tovis Blick schweifte über den Boden. »Er meinte, unsere Seelen gehörten nun ihm. Er sagte, wir gehörten jetzt ihm, und wir lebten nur, weil es ihm gefiele. Er sagte, wir müßten sofort zu ihm kommen, oder wir würden Schwester Liliana um ihr Schicksal beneiden.« Sie sah auf und blickte Ulicia in die Augen. »Er sagte, wir würden es bedauern, wenn wir ihn warten ließen.« Ihr kamen die Tränen. »Und dann gab er mir einen Vorgeschmack darauf, was es heißt, ihn zu verstimmen.«
Ulicias Haut war kalt geworden, und sie merkte, daß sie ebenfalls die Decke hochgezogen hatte. Widerstrebend schob sie sie wieder zurück in ihren Schoß. »Armina?« Von oben kam leise eine Antwort. »Cecilia?« Cecilia nickte. Ulicia sah hinüber zu den beiden in der oberen Koje auf der anderen Seite. Offenbar hatten sie die Fassung, um die sie so hart gerungen hatten, endlich wiedergefunden. »Nun? Habt ihr zwei die gleichen Worte gehört?«
»Ja«, bestätigte Nicci.
»Genau dieselben«, meinte Merissa ohne Regung. »Liliana hat uns das eingebrockt.«
»Vielleicht ist der Hüter wegen uns verstimmt«, schlug Cecilia vor, »und hat uns dem Kaiser übergeben, damit wir ihm dienen und so unsere Sonderstellung zurückgewinnen können.«
Merissa drückte den Rücken durch. Ihre Augen glichen einem Fenster in ihr gefrorenes Herz. »Ich habe dem Hüter meinen Seeleneid geschworen. Wenn wir dieser vulgären Bestie dienen müssen, um die Gnade unseres Meisters zurückzugewinnen, dann werde ich ihm eben dienen. Ich werde dem Mann die Füße küssen, wenn ich muß.«
Ulicia erinnerte sich, daß Jagang Merissa befohlen hatte, aufzustehen, kurz bevor er den Halbkreis in dem Traum, der keiner war, verließ. Dann hatte er beiläufig die Hand ausgestreckt, ihre rechte Brust mit seinen kräftigen Fingern gepackt und zugedrückt, bis die Knie unter ihr nachgaben. Ulicia warf einen Blick auf Merissas Brust und sah dort schauerliche, blutunterlaufene Flecken.
Merissa machte keine Anstalten, sich zu bedecken, während sich ein Anflug von Heiterkeit in Ulicias Augen zeigte. »Der Kaiser meinte, wir würden es bedauern, wenn wir ihn warten ließen.«
Ulicia hatte diese Anweisungen ebenfalls gehört. Jagang hatte fast so etwas wie Verachtung für den Hüter an den Tag gelegt. Wie hatte er den Hüter in dem Traum, der keiner war, ausstechen können? Jedenfalls hatte er es geschafft - das war alles, was zählte. Es war ihnen allen so ergangen. Es war nicht einfach ein Traum gewesen.
Wachsende Angst machte sich kribbelnd in ihrer Magengrube breit, als die kleine Flamme der Hoffnung erlosch. Auch sie hatte einen Vorgeschmack davon bekommen, was Ungehorsam nach sich zog. Das Blut, das über ihren Augen verkrustete, erinnerte sie daran, wie sehr sie diese Lektion hatte vermeiden wollen. Es war Wirklichkeit gewesen, und sie alle wußten das. Sie hatten keine Wahl. Sie hatten keine Minute zu verlieren. Eine Perle kalten Schweißes rann zwischen ihren Brüsten herab. Wenn sie zu spät kamen …
Ulicia sprang aus der Koje.
»Das Schiff muß wenden!« kreischte sie und warf die Tür auf. »Wenden, und zwar sofort!«
Im Korridor war niemand. Sie sprang schreiend die Kajütstreppe hinauf. Die anderen rannten ihr hinterher, trommelten gegen Kabinentüren. Mit den Türen gab Ulicia sich gar nicht erst ab. Der Steuermann war es, der das Schiff lenkte und die Matrosen in die Takelage schickte.
Ulicia wuchtete den Lukendeckel hoch, und trübes Licht schlug ihr entgegen. Die Dämmerung war noch nicht angebrochen. Bleierne Wolken rasten über dem dunkel brodelnden Kessel des Meeres dahin. Leuchtende Gischt schäumte jenseits der Reling, als das Schiff eine gewaltige Woge hinabglitt, so daß es schien, als stürzten sie in einen tintenschwarzen Abgrund. Die anderen Schwestern kletterten hinter ihr aus der Luke auf das gischtumtoste Deck.
»Wendet das Schiff!« schrie sie den barfüßigen Matrosen zu, die sich in stummer Überraschung zu ihr umdrehten.
Ulicia stieß knurrend einen Fluch aus und rannte nach achtern, zum Ruder. Die fünf Schwestern folgten ihr auf den Fersen. Mit den Händen nach dem Kragen seiner Jacke greifend, reckte der Steuermann seinen Hals und wollte sehen, was los war. Der Schein einer Laterne drang durch die Öffnung zu seinen Füßen, und man sah die Gesichter der vier Männer, die das Ruder bemannten. Matrosen scharten sich um den Steuermann, standen da und glotzten die sechs Frauen an.
Ulicia keuchte, rang nach Luft. »Was ist, haltet keine Maulaffen feil, ihr Idioten! Habt ihr nicht gehört? Ich sagte, wendet das Schiff!«
Plötzlich konnte sie sich den Grund für die starren Blicke erklären: die sechs waren nackt. Merissa trat neben sie, aufrecht und entzückt, als trüge sie ein Kleid, das sie vom Hals bis zu den Planken verhüllte.
Einer der lüstern dreinblickenden Matrosen meinte, während sein Blick die jüngere der beiden Frauen von oben bis unten taxierte: »Schau an, schau an. Sieht aus, als wären die feinen Damen zum Spielen rausgekommen.«
Merissa, kühl und unnahbar, betrachtete sein lüsternes Feixen mit unerschütterlicher Autorität. »Was mein ist, gehört mir und niemandem sonst, nicht mal zum Anschauen, es sei denn, ich will es so. Nimm sofort deine Augen von meinem Körper, oder man wird sie dir nehmen.«
Hätte der Mann die Gabe besessen und meisterhaft beherrscht wie Merissa, er hätte spüren können, wie die Luft um Merissa vor Kraft unheilverkündend knisterte. Diese Männer kannten sie nur als reiche Adelige, die eine Überfahrt zu fremden und fernen Orten bezahlten. Sie wußten nicht, wer oder was diese sechs Frauen wirklich waren. Captain Blake kannte sie als Schwestern des Lichts, Ulicia hatte ihm jedoch befohlen, dieses Wissen seinen Männern vorzuenthalten.
Der Mann verhöhnte Merissa mit einem lüsternen Ausdruck im Gesicht und obszönen Stößen seines Beckens. »Nicht so hochmütig, Weib. Du wärst nicht in diesem Zustand nach draußen gekommen, hättest du nicht dasselbe im Sinn wie wir.«
Die Luft um Merissa knisterte. Im Schritt der Hose des Mannes breitete sich ein Blutfleck aus. Brüllend hob er den Kopf, sein Blick war wild. Licht blitzte über die Klinge, als er das lange Messer aus dem Gürtel riß. Einen Racheschwur schreiend, taumelte er in mörderischer Absicht vor.
Ein grausames Lächeln spielte um Merissas volle Lippen. »Du dreckiger Abschaum«, sagte sie leise bei sich. »Ich schicke dich in die kalten Arme meines Meisters.«
Sein Fleisch zerplatzte wie eine faulige Melone, der man mit einem Stock einen Schlag versetzt. Eine Erschütterung der Luft, hervorgerufen von der Kraft der Gabe, warf ihn über die Reling. Eine Blutspur zeichnete den Flug seiner Leiche quer über die Planken nach. Die anderen Männer, nahezu ein Dutzend, standen mit aufgerissenen Augen da, zu Statuen erstarrt.
»Ihr werdet uns nur in die Gesichter sehen«, stieß Merissa hervor, »und nirgendwohin sonst.«
Die Männer nickten, zu entsetzt, um ihr Einverständnis in Worten auszudrücken. Der Blick eines Mannes zuckte gegen seinen Willen an ihrem Körper herab, als hätte ihr Aussprechen des Tabus das Verlangen, sie anzusehen, übermächtig gemacht. Vor Entsetzen zusammenhanglos stammelnd, begann er sich zu entschuldigen, doch eine konzentrierte Linie aus Kraft, scharf wie eine Streitaxt, schnitt ihm durch beide Augen. Taumelnd ging er wie der erste über die Reling.
»Merissa«, sagte Ulicia leise, »das reicht. Ich denke, sie haben ihre Lektion gelernt.«
Augen aus Eis, entrückt hinter dem Schleier ihres Han, richteten sich auf sie. »Ich werde nicht zulassen, daß sie von Kopf bis Fuß betrachten, was ihnen nicht gehört.«
Ulicia zog die Augenbrauen hoch. »Wir brauchen sie. Du hast doch sicher nicht vergessen, unter welchem Druck wir stehen.«
Merissa sah zu den Männern hinüber, als betrachtete sie Ungeziefer unter ihren Stiefeln. »Natürlich nicht, Schwester. Wir müssen sofort umkehren.«
Ulicia drehte sich um und sah, daß Captain Blake soeben eingetroffen war und hinter ihnen stand, den Mund weit aufgerissen.
»Wendet das Schiff, Captain«, sagte Ulicia. »Sofort.«
Seine Zunge schoß hervor und fuhr über seine Lippen, während sein Blick von einem Augenpaar der Frauen zum anderen sprang. »Jetzt wollt Ihr umkehren? Warum?«
Ulicia hob einen Finger und zeigte auf ihn. »Man hat Euch gut bezahlt, Captain, um uns dorthin zu bringen, wohin wir wollen, und wann wir wollen. Ich habe Euch vorher schon erklärt, Fragen wären nicht Teil dieser Abmachung, außerdem habe ich Euch versprochen, Euch das Fell über die Ohren zu ziehen, solltet Ihr einen Teil der Abmachung nicht einhalten. Stellt mich auf die Probe, und Ihr werdet erkennen, daß ich bei weitem nicht so nachsichtig bin wie Merissa hier - ich gewähre keinen schnellen Tod. Und jetzt wendet das Schiff!«
Captain Blake ging sofort ans Werk. Er strich seine Jacke glatt und funkelte seine Männer zornig an. »Zurück auf die Posten, faules Pack!« Er machte dem Steuermann ein Zeichen. »Mister Dempsey, wendet das Schiff.« Der Mann war offenbar noch immer starr vor Schreck. »Sofort, verdammt noch mal, Mister Dempsey!«
Sich den speckigen Hut vom Kopf reißend, verneigte sich Captain Blake, sorgfältig darauf bedacht, daß sein Blick auf keine verbotene Stelle fiel. »Wie Ihr wünscht, Schwester, zurück um die Große Barriere, in die Alte Welt.«
»Nehmt direkten Kurs, Captain. Jede Minute zählt!«
Er zerdrückte den Hut in seiner Faust. »Einen direkten Kurs? Wir können unmöglich durch die Große Barriere segeln!« Er mäßigte augenblicklich seinen Ton. »Es ist nicht möglich, wir würden alle getötet werden.«
Ulicia preßte eine Hand auf den Bauch, der brennend schmerzte. »Die Große Barriere ist gefallen, Captain. Sie stellt kein Hindernis mehr für uns dar. Schlagt einen direkten Kurs ein.«
Er wrang seinen Hut. »Die Große Barriere ist gefallen? Das ist nicht möglich. Wie kommt Ihr auf die Idee …«
Sie beugte sich zu ihm vor. »Ihr wagt schon wieder, meine Worte in Zweifel zu ziehen?«
»Nein, Schwester. Nein, natürlich nicht. Wenn Ihr sagt, die Große Barriere sei gefallen, dann ist sie es. Auch wenn ich nicht begreife, wie geschehen sein soll, was nicht sein kann, so weiß ich doch, daß es mir nicht ansteht, Zweifel zu äußern. Einen direkten Kurs also.« Er wischte sich mit dem Hut über den Mund. »Gnädiger Schöpfer, beschütze uns«, murmelte er und wandte sich zum Steuermann. Er hatte es eilig, ihrem zornigen Blick zu entkommen. »Hart Steuerbord, Mister Dempsey!«
Der Mann sah zu den Matrosen am Ruder hinab. »Wir liegen bereits hart Steuerbord, Captain.«
»Keine Widerrede, sonst lasse ich Euch zurückschwimmen!«
»Aye, Captain. An die Leinen!« brüllte er den Männern zu, die bereits einige Leinen lösten und andere anzogen. »Bereitmachen zum Wenden!«
Ulicia musterte die Männer, die nervös über ihre Schultern sahen. »Schwestern des Lichts haben hinten Augen im Kopf, Gentlemen. Sorgt dafür, daß ihr nirgendwo anders hinblickt, sonst wird dies das letzte sein, was ihr in eurem Leben seht.« Die Männer nickten und machten sich an die Arbeit.
Wieder in der engen Kabine, hüllte Tovi ihren zitternden, massigen Körper in ihr Bettzeug. »Ist schon eine ganze Weile her, daß stramme junge Männer mich lüstern angesehen haben.« Sie sah zu Nicci und Merissa hinüber. »Genießt die Bewunderung, solange ihr noch ihrer für würdig befunden werdet.«
Merissa zog ihr Hemd aus der Kiste am Ende der Kabine. »Du warst es nicht, die sie lüstern angesehen haben.«
Cecilias Gesicht verzog sich zu einem mütterlichen Schmunzeln. »Das wissen wir, Schwester. Ich glaube, was Schwester Tovi sagen wollte, ist, daß wir jetzt, wo wir nicht mehr unter dem Bann des Palastes der Propheten stehen, altern werden wie alle anderen auch. Ihr habt jetzt nicht mehr all die Jahre Zeit, eure Schönheit zu genießen, so wie wir dies konnten.«
Merissa straffte sich. »Wenn wir erst den Ehrenplatz bei unserem Meister zurückgewonnen haben, werde ich behalten, was ich jetzt habe.«
Tovi starrte mit einem selten gefährlichen Blick ins Leere. »Und ich will zurück, was ich einst hatte.«
Armina ließ sich auf eine Koje plumpsen. »Liliana ist schuld daran. Wäre sie nicht gewesen, hätten wir den Palast und seinen Bann nicht zu verlassen brauchen. Wäre sie nicht gewesen, hätte der Hüter Jagang nicht die Macht über uns gegeben. Wir wären bei unserem Meister nicht in Ungnade gefallen.«
Einen Augenblick lang schwiegen alle. Sie gingen sich gegenseitig aus dem Weg, drückten sich aneinander vorbei und machten sich daran, ihre Unterwäsche anzulegen, sorgsam darauf bedacht, nicht mit den Ellenbogen aneinanderzugeraten.
Merissa zog ihr Hemd über den Kopf. »Ich will alles Nötige tun, um zu dienen und die Gunst des Meisters zurückzugewinnen. Ich will den Lohn für meinen Eid.« Sie sah zu Tovi hinüber. »Ich will jung bleiben.«
»Das wollen wir alle, Schwester«, meinte Cecilia, und steckte ihren Arm durch den Ärmel ihres schlichten, braunen Wamses. »Aber im Augenblick will der Hüter, daß wir diesem Mann, diesem Jagang, dienen.«
»Tatsächlich?« fragte Ulicia.
Merissa hockte sich hin und durchwühlte ihre Truhe, dann zog sie ihr karminrotes Kleid heraus. »Warum sonst hätte man uns diesem Mann übergeben sollen?«
Ulicia runzelte die Stirn. »Übergeben? Glaubst du das? Ich denke, es steckt mehr dahinter. Ich denke, Kaiser Jagang handelt aus eigenem Entschluß.«
Die anderen hielten beim Ankleiden inne und hoben den Kopf. »Du meinst, er könnte sich dem Hüter widersetzen?« fragte Nicci. »Um seiner eigenen Ziele willen?«
Ulicia tippte Nicci mit dem Finger seitlich an den Kopf. »Denk nach. Nicht der Hüter ist uns im Traum, der keiner war, erschienen. Das ist noch nie zuvor passiert. Noch nie. Statt dessen kommt Jagang. Selbst wenn der Hüter unzufrieden mit uns wäre und wollte, daß wir unter Jagang Buße tun, meinst du nicht, er hätte sich selbst gezeigt und dies verfügt, um uns so seine Unzufriedenheit zu offenbaren? Ich glaube nicht, daß dies das Werk des Hüters ist. Ich glaube, es ist das Werk Jagangs.«
Armina schnappte sich ihr blaues Kleid. Es war eine Spur heller als Ulicias, doch nicht weniger kunstvoll gearbeitet. »Dennoch ist es immer noch Liliana, die uns dies eingebrockt hat.«
Ein feines Lächeln spielte über Ulicias Lippen. »Hat sie das? Liliana war habgierig. Ich glaube, der Hüter wollte sich diese Habgier zunutze machen, doch sie hat ihn verraten.« Das Lächeln verschwand. »Es war nicht Schwester Liliana, die uns dies eingebrockt hat.«
Nicci zögerte, als sie die Kordel am Mieder ihres schwarzen Kleides festzog. »Natürlich. Der Junge.«
»Der Junge?« Ulicia schüttelte langsam den Kopf. »Kein ›Junge‹ hätte die Barriere zu Fall bringen können. Kein einfacher Junge hätte das durchkreuzen können, an dem wir all die Jahre so hart gearbeitet haben. Wir alle wissen, was er ist, aus den Prophezeiungen.«
Ulicia sah alle Schwestern nacheinander an. »Wir befinden uns in einer sehr gefährlichen Lage. Wir müssen darum kämpfen, die Macht des Hüters in dieser Welt zurückzugewinnen, oder Jagang wird uns töten, wenn er fertig mit uns ist, und wir werden uns in der Unterwelt wiederfinden, wo wir dem Meister nicht mehr von Nutzen sind. Wenn das geschieht, dann wird der Hüter gewiß unzufrieden sein und dafür sorgen, daß das, womit Jagang uns gedroht hat, uns erscheint wie die Umarmung eines Geliebten.«
Das Schiff ächzte und stöhnte, während sie über die Worte nachdachten. Sie eilten zurück, um einem Mann zu dienen, der sie benutzen und dann, ohne einen Gedanken, noch viel weniger einen Lohn, fallenlassen würde. Und doch war keine von ihnen bereit, auch nur zu erwägen, sich ihm zu widersetzen.
»Ob er ein Junge ist oder nicht, er hat dies alles verursacht.« Merissas Kinn spannte sich. »Wenn ich mir vorstelle, daß ich ihn in meinen Fingern hatte, wir alle. Wir hätten uns seiner bemächtigen sollen, als wir die Gelegenheit dazu hatten.«
»Liliana hat sich auch seiner bemächtigen wollen, um seine Kraft für sich selbst zu nutzen«, sagte Ulicia, »aber sie war leichtsinnig und endete mit seinem verfluchten Schwert in ihrem Herzen. Wir müssen klüger sein als sie, dann werden wir seine Macht bekommen, und der Hüter seine Seele.«
Armina wischte sich eine Träne aus dem Auge. »Aber bis dahin muß es doch eine Möglichkeit geben, wie wir unsere Umkehr verhindern können -«
»Und wie lange, glaubst du, können wir wach bleiben?« brauste Ulicia auf. »Früher oder später werden wir einschlafen. Was dann? Jagang hat uns bereits gezeigt, daß er die Macht besitzt, die Hand nach uns auszustrecken, ganz gleich, wo wir sind.«
Merissa knöpfte weiter das Mieder ihres Kleides zu. »Im Augenblick werden wir erst einmal tun, was wir tun müssen. Aber das heißt nicht, daß wir nicht unseren Kopf gebrauchen können.«
Ulicia runzelte nachdenklich die Stirn. Dann hob sie den Kopf und lächelte gequält. »Kaiser Jagang glaubt vielleicht, er hat uns dort, wo er uns haben will, doch wir leben schon sehr lange. Wenn wir unseren Kopf gebrauchen und unsere Erfahrung nutzen, werden wir vielleicht gar nicht so eingeschüchtert sein, wie er denkt.«
Ein boshaftes Funkeln leuchtete in Tovis Augen. »Ja«, zischte sie, »wir leben in der Tat schon lange und haben gelernt, manchen wilden Eber zu Fall zu bringen und ihn auszuweiden, während er noch quiekt.«
Nicci strich die Bäusche ihres schwarzen Kleides glatt. »Schweine auszunehmen ist ja gut und schön, aber Kaiser Jagang ist unser Elend und nicht der Grund dafür. Es ist auch nicht sinnvoll, unseren Zorn auf Liliana zu richten. Sie war nur eine habgierige Närrin. Der, der uns diesen Ärger eingebrockt hat, ist es, den man leiden lassen muß.«
»Weise gesprochen, Schwester«, stimmte Ulicia zu.
Merissa griff sich gedankenverloren an die Brust, an die blutunterlaufene Stelle. »Ich werde im Blut dieses jungen Burschen baden.« Ihr Blick öffnete erneut das Fenster in ihr schwarzes Herz. »Während er dabei zusieht.«
Ulicia ballte die Fäuste und pflichtete ihr mit einem Nicken bei.«Er, der Sucher, hat uns das eingebrockt. Ich schwöre, er wird dafür bezahlen: mit seiner Gabe, seinem Leben und seiner Seele.«
2. Kapitel
Richard hatte gerade einen Löffel heiße Gewürzsuppe zu sich genommen, als er das tiefe, bedrohliche Knurren hörte. Stirnrunzelnd sah er zu Gratch hinüber. Die zusammengekniffenen Augen des Gar glühten, erleuchtet von einem kalten grünen Feuer, als er wütend in die Düsterkeit zwischen den Säulen am Fuß der ausgedehnten Treppe blickte. Er zog die ledrigen Lippen zurück, fletschte die Zähne und entblößte seine unglaublichen Reißzähne. Richard merkte, daß er den Mund noch immer voller Suppe hatte, und schluckte.
Gratchs heiseres Knurren wurde lauter, tief in seiner Kehle klang es, als öffnete man zum ersten Mal nach hundert Jahren die schwere, durchgefaulte Tür eines Burgverlieses.
Richard warf einen kurzen Blick auf Fräulein Sanderholts weit aufgerissene braune Augen. Fräulein Sanderholt, die Oberköchin im Palast der Konfessoren, war immer noch nervös wegen Gratch und nach wie vor von Richards Beteuerungen nicht überzeugt, der Gar sei harmlos. Das unheilverkündende Knurren war nicht gerade hilfreich.
Sie hatte Richard einen Laib frisch gebackenen Brotes und eine Schale pikanter Gewürzsuppe herausgebracht, sich zu ihm auf die Stufen gesellen und mit ihm über Kahlan sprechen wollen, nur um festzustellen, daß kurz vorher der Gar aufgetaucht war. Trotz ihres unguten Gefühls wegen des Gar hatte Richard sie überreden können, sich zu ihm auf die Treppe zu setzen.
Kahlans Name hatte bei Gratch ein lebhaftes Interesse ausgelöst - er hatte eine Locke ihres Haares, die Richard ihm geschenkt hatte, an einem Riemen um den Hals hängen, zusammen mit dem Drachenzahn. Richard hatte Gratch erzählt, er und Kahlan seien ineinander verliebt, und sie wolle, genau wie Richard, mit Gratch befreundet sein. Daher hatte sich der neugierige Gar hingesetzt und zugehört, doch gerade als Richard die Suppe gekostet hatte, und noch bevor Fräulein Sanderholt ein Wort hatte sagen können, war die Stimmung des Gar auf einmal umgeschlagen. Wild entschlossen, unter Spannung, beobachtete er jetzt irgend etwas, das Richard nicht sehen konnte.
»Weshalb tut er das?« fragte Fräulein Sanderholt leise.
»Ich weiß nicht genau«, gestand Richard. Er lächelte freundlich und zuckte unbekümmert mit den Schultern, während die Furchen auf ihrer Stirn noch tiefer wurden. »Bestimmt hat er ein Kaninchen oder etwas Ähnliches entdeckt. Gars verfügen über eine außergewöhnliche Sehkraft, selbst im Dunkeln, und sie sind ausgezeichnete Jäger.« Da sich ihre besorgte Miene nicht entspannte, fuhr er fort: »Er frißt keine Menschen. Er würde nie jemandem etwas tun«, beruhigte er sie. »Es ist in Ordnung, Fräulein Sanderholt, bestimmt.«
Richard blickte hoch in das finster dreinblickende, zähnefletschende Gesicht. »Gratch«, sagte er leise aus dem Mundwinkel heraus, »hör auf mit dem Geknurre. Du machst ihr angst.«
»Richard«, wandte sie ein und beugte sich näher zu ihm hinüber, »Gars sind gefährliche Bestien. Das sind keine Haustiere. Gars kann man nicht vertrauen.«
»Gratch ist kein Haustier, er ist mein Freund. Ich kenne ihn, seit er ein Jungtier war, als er noch halb so groß war wie ich. Er ist zahm wie ein Kätzchen.«
Ein nicht überzeugtes Lächeln trat auf Fräulein Sanderholts Gesicht. »Wenn Ihr meint, Richard.« Plötzlich riß sie entsetzt die Augen auf. »Er versteht doch nicht, was ich sage, oder?«
»Schwer zu beurteilen«, gestand Richard. »Manchmal versteht er mehr, als ich für möglich halte.«
Gratch schien sie nicht zu beachten, während sie sich unterhielten. Er war vollkommen konzentriert und schien etwas zu wittern oder zu sehen, was ihm nicht gefiel. Richard glaubte, daß er Gratch schon einmal so knurren gehört hatte, konnte sich aber nicht genau erinnern, wo oder wann. Er versuchte, sich die Situation ins Gedächtnis zu rufen, doch das Bild in seinem Innern entglitt ihm immer wieder, obwohl es greifbar nahe schien. Je angestrengter er es versuchte, desto mehr entzog sich ihm die schattenhafte Erinnerung.
»Gratch?« Er packte den kräftigen Arm des Gar. »Gratch, was ist?«
Gratch war starr wie Stein und reagierte nicht auf die Berührung. Indem er gewachsen war, hatte auch das Leuchten in seinen grünen Augen an Stärke gewonnen, doch nie zuvor war es so wild gewesen wie jetzt. Die Augen strahlten geradezu.
Richard ließ den Blick über die Schatten unten wandern, auf die diese grünen Augen wie gebannt starrten, konnte jedoch nichts Außergewöhnliches entdecken. Weder zwischen den Säulen noch entlang der Mauer des Palastgeländes befanden sich Menschen. Es war bestimmt ein Kaninchen, entschied er schließlich. Gratch war ganz versessen auf Kaninchen.
Im Licht der Dämmerung waren die ersten Fetzen purpurroter und rosa Wolken zu erkennen, und nur noch wenige der allerhellsten Sterne glitzerten am westlichen Himmel. Mit dem ersten fahlen Licht kam ein sanfter, für den Winter ungewöhnlich milder Wind auf, die in das Fell des riesigen Tieres fuhr und Richards schwarzes Mriswithcape aufblähte.
In der Alten Welt, während seines Aufenthaltes bei den Schwestern des Lichts, war Richard in den Hagenwald gegangen, wo die Mriswiths auf der Lauer lagen - abscheuliche Kreaturen, die aussahen wie Menschen, halb zerschmolzen zu einem reptilienhaften Alptraum. Nachdem er gegen einen der Mriswiths gekämpft und ihn getötet hatte, hatte er entdeckt, welch erstaunliche Fähigkeit dessen Cape besaß - es konnte so perfekt, so makellos mit seinem Hintergrund verschmelzen, daß es den Mriswith - oder Richard, wenn er sich beim Tragen des Capes konzentrierte - unsichtbar zu machen schien. Es verhinderte auch, daß jemand mit der Gabe sie - oder ihn - spüren konnte. Aus irgendeinem Grund jedoch ermöglichte Richards Gabe ihm, die Gegenwart eines Mriswith zu fühlen. Diese Fähigkeit - eine Gefahr zu spüren, obwohl sie sich unter einem magischen Umhang verbarg - hatte ihm das Leben gerettet.
Richard fiel es schwer zu glauben, daß Gratch Kaninchen in den Schatten anknurrte. Die Qual, das stumme Entsetzen über die Annahme, seine geliebte Kahlan sei hingerichtet worden, war in jenem herzzerreißenden Augenblick tags zuvor verflogen, als er herausgefunden hatte, daß sie noch lebte. Er freute sich ganz vorbehaltlos darüber, daß sie in Sicherheit war, freute sich überschwenglich, daß er die Nacht mit ihr allein an einem seltsamen Ort zwischen den Welten verbracht hatte. Er hätte singen mögen an diesem wundervollen Morgen und ertappte sich dabei, wie er, ohne es zu merken, lächelte. Nicht einmal Gratchs seltsame Anspannung konnte ihm die gute Laune verderben.
Trotz alledem fühlte sich Richard durch das kehlige Geräusch abgelenkt, und Fräulein Sanderholt fand es offenkundig alarmierend. Sie saß steif auf der Kante einer Stufe neben ihm, ihr wollenes Tuch fest um sich geklammert. »Still, Gratch. Du hast eben eine ganze Hammelkeule bekommen und einen halben Laib Brot. Du kannst unmöglich schon wieder Hunger haben.«
Gratchs Aufmerksamkeit blieb zwar nach wie vor gefesselt, doch sein Knurren ging in ein leiseres Grollen tief in seiner Kehle über, als er abwesend versuchte zu gehorchen.
Richard warf erneut einen kurzen Blick zur Stadt hinüber. Er hatte vorgehabt, sich ein Pferd zu suchen und zügig aufzubrechen, um Kahlan und seinen Großvater und alten Freund Zedd einzuholen. Abgesehen davon, daß er es nicht abwarten konnte, Kahlan zu sehen, vermißte er Zedd aus ganzer Seele. Seit drei Monaten hatte er ihn nicht mehr gesehen, doch schienen es Jahre zu sein. Zedd war ein Zauberer der Ersten Ordnung, und es gab viel, das Richard angesichts seiner Entdeckungen über sich selbst mit ihm zu besprechen hatte, doch dann hatte Fräulein Sanderholt die Suppe und das frisch gebackene Brot herausgebracht. Guter Dinge oder nicht, er war ausgehungert.
Richard blickte nach hinten, vorbei am eleganten Weiß des Palastes der Konfessoren, hinauf zur gewaltigen, eindrucksvollen in die Bergflanke eingebetteten Burg der Zauberer, zu den erhabenen Mauern aus dunklem Stein, ihren Brustwehren, ihren Bastionen, Verbindungswegen und Brücken, die allesamt aussahen wie eine unheilvolle, aus dem Stein herauswachsende Verkrustung, die irgendwie lebendig wirkte, so als blickte sie von oben auf ihn herab. Ein breites Straßenband wand sich von der Stadt hinauf zu den dunklen Mauern, überquerte dabei eine schmale, wenn auch nur aus dieser Entfernung zerbrechlich wirkende Brücke, bevor sie unter einem mit Eisenspitzen versehenen Falltor hindurchführte und vom dunklen Schlund der Burg verschluckt wurde. Wenn überhaupt, dann gab es sicher Tausende von Zimmern in der Burg. Richard zog sein Cape unter dem kalten, steinernen Blick dieses Ortes fester um sich und wandte sich ab.
Dies war der Palast, die Stadt, in der Kahlan aufgewachsen war, wo sie den größten Teil ihres Lebens verbracht hatte - bis zum vergangenen Sommer, als sie auf der Suche nach Zedd die Grenze nach Westland überschritten hatte und auch Richard begegnet war.
Die Burg der Zauberer war jener Ort, an dem Zedd aufgewachsen war und wo er gelebt hatte, bevor er, noch vor Richards Geburt, die Midlands verlassen hatte. Kahlan hatte ihm Geschichten erzählt, wie sie einen Großteil ihrer Zeit in jener Burg mit Lernen zugebracht hatte, doch nie hatte dieser Ort in ihren Schilderungen unheilvoll gewirkt. Hart am Berg gelegen, schien ihm die Burg jetzt etwas Bösartiges auszustrahlen.
Richard lächelte, als er daran dachte, wie Kahlan als kleines Mädchen ausgesehen haben mußte, als Konfessor in der Ausbildung, die durch die Flure dieses Palastes wandelt, die inmitten von Zauberern die Korridore der Burg durchwandert, und die sich draußen unter die Menschen dieser Stadt mischt.
Doch Aydindril war unter den verderblichen Einfluß der Imperialen Ordnung gefallen, keine freie Stadt mehr und nicht mehr Sitz der Macht in den Midlands.
Zedd hatte mit einem seiner Zauberertricks - mit Magie - aufgewartet, so daß jedermann glaubte, Zeuge von Kahlans Enthauptung geworden zu sein. Dadurch hatten sie aus Aydindril fliehen können, während jedermann hier annahm, sie sei tot. Niemand würde sie jetzt verfolgen. Fräulein Sanderholt kannte Kahlan von Geburt an und war überglücklich vor Erleichterung gewesen, als Richard ihr erzählte, Kahlan sei wohlauf und in Sicherheit.
Wieder spielte ein Lächeln um seine Lippen. »Wie war Kahlan, als sie klein war?«
Fräulein Sanderholt blickte in die Ferne, selbst ein Lächeln auf den Lippen. »Sie war immer ernst, aber das liebreizendste Mädchen, das ich je gesehen habe, und sie wuchs heran zu einer beherzten, wunderschönen jungen Frau. Sie hatte als Kind nicht nur eine Begabung für Magie, sondern auch einen ganz besonderen Charakter.
Keiner der Konfessoren war von ihrem Aufstieg zur Mutter Konfessor überrascht, und alle freuten sich darüber, weil es ihre Art war, die Verständigung zu fördern und sich nicht über andere zu stellen. Wer sich ihr aber zu Unrecht widersetzte, mußte feststellen, daß sie aus ebenso hartem Holz geschnitten war wie jede andere Mutter Konfessor auch. Ich habe keinen Konfessor kennengelernt, der soviel Leidenschaft für die Menschen in den Midlands empfand. Für mich war es immer eine Ehre, sie zu kennen.« Sie schweifte in Erinnerungen ab und lachte matt, ein Ton, der bei weitem nicht so kraftlos war, wie alles Übrige an ihr zu sein schien. »Selbst als ich ihr einmal einen Klaps gab, nachdem ich dahintergekommen war, daß sie sich mit einer gebratenen Ente davongemacht hatte, ohne zu fragen.«
Die Aussicht, eine Geschichte über eine Ungezogenheit von Kahlan zu hören, brachte Richard zum Schmunzeln. »Hat Euch das nicht zu denken gegeben, einen Konfessor, und sei es einen jungen, zu bestrafen?«
»Ach was«, meinte sie spöttisch. »Hätte ich sie verwöhnt, hätte mich ihre Mutter rausgeworfen. Man erwartete von uns, daß wir sie respektvoll, aber gerecht behandelten.«
»Hat sie geweint?« wollte er wissen, bevor er ein großes Stück Brot abbiß. Es war köstlich - grob gemahlener Weizen mit einem Hauch Sirup.
»Nein. Sie wirkte überrascht. Sie war überzeugt, nichts Unrechtes getan zu haben, und wollte es mir erklären. Offenbar hatte eine Frau mit zwei kleinen Kindern ungefähr in Kahlans Alter draußen vor dem Palast auf einen leichtgläubigen Menschen gewartet. Als Kahlan zur Burg der Zauberer aufbrach, trat die Frau mit einer traurigen Geschichte an sie heran und erzählte ihr, sie brauche Gold, um ihren Kleinen etwas zu essen zu geben. Kahlan sagte ihr, sie solle warten. Dann brachte sie ihr meine gebratene Ente, denn sie war zu dem Schluß gekommen, daß es Essen war, was die Frau brauchte, kein Gold. Kahlan setzte die Kinder auf den Boden«, mit ihrer bandagierten Hand zeigte sie nach links, »ungefähr dort drüben, und gab ihnen die Ente zu essen. Die Frau war außer sich und wurde laut. Sie beschuldigte Kahlan, eigennützig mit all dem Gold des Palastes umzugehen.
Während Kahlan mir diese Geschichte erzählte, kam eine Patrouille der Palastwache in die Küche, die Frau und ihre beiden Kleinen im Schlepptau. Offenbar war die Wache hinzugekommen, als die Frau über Kahlan herzog. Ungefähr in diesem Augenblick erschien Kahlans Mutter in der Küche und wollte wissen, was los sei. Kahlan erzählte ihre Geschichte, und die Frau brach zusammen, weil sie sich im Gewahrsam der Palastwache befand, und schlimmer noch, weil sie sich plötzlich der Mutter Konfessor persönlich gegenübersah.
Kahlans Mutter hörte sich ihre Geschichte an und die der Frau, dann erklärte sie Kahlan, daß man die Verantwortung für einen Menschen übernahm, wenn man sich dazu entschloß, ihm zu helfen, und daß man die Pflicht hatte, diese Hilfe so lange weiterzuführen, bis der Betreffende wieder auf eigenen Füßen stand. Den nächsten Tag verbrachte Kahlan auf der Königsstraße. Die Palastwache schleppte die Frau hinter ihr her, während sie von einem Ort zum anderen lief und jemanden suchte, der Hilfe brauchte. Viel Glück hatte sie nicht damit - alle wußten, daß die Frau eine Trinkerin war.
Ich fühlte mich schuldig, weil ich Kahlan einen Klaps gegeben hatte, ohne mir ihre Gründe anzuhören, weshalb sie meine gebratene Ente gestohlen hatte. Ich hatte eine Freundin damals, eine strenge Frau, die Aufsicht über die Köche in einem der Paläste hatte. Als Kahlan die Frau wieder zurückbrachte, lief ich also rasch zu ihr und bat sie, die Frau in ihre Dienste aufzunehmen. Ich habe Kahlan nie davon erzählt. Die Frau arbeitete eine ganze Weile dort, kam aber nie wieder in die Nähe des Palastes der Konfessoren. Ihr Jüngster wuchs heran und ging zur Palastwache. Vergangenen Sommer wurde er bei der Eroberung Aydindrils durch die D’Haraner verwundet und starb eine Woche darauf.«
Auch Richard hatte gegen D’Hara gekämpft und am Ende seinen Herrscher, Darken Rahl, getötet. Auch wenn er nach wie vor ein gewisses Bedauern verspürte, daß dieser üble Mann ihn gezeugt hatte, er fühlte sich nicht mehr schuldig, dessen Sohn zu sein. Ihm war klar, die Verbrechen des Vaters gingen nicht einfach auf den Sohn über, und ganz gewiß war es nicht der Fehler seiner Mutter, daß Darken Rahl sie vergewaltigt hatte. Sein Stiefvater liebte Richards Mutter deswegen nicht weniger, und auch Richard gegenüber zeigte er sich nicht weniger liebevoll, nur weil dieser nicht sein eigenes Blut war. Richard hätte seinen Stiefvater auch nicht weniger geliebt, hätte er gewußt, daß George Cypher nicht sein richtiger Vater war.
Richard war ebenfalls ein Zauberer, das wußte er inzwischen. Die Gabe, die Kraft der Magie in seinem Innern, genannt Han, war über zwei Geschlechter von Zauberern an ihn weitergegeben worden: über Zedd, seinen Großvater mütterlicherseits, und über Darken Rahl, seinen Vater. Diese Kombination hatte in ihm eine Magie hervorgebracht, wie sie seit Jahrtausenden kein Zauberer mehr besessen hatte - nicht nur Additive, sondern auch Subtraktive Magie. Richard wußte herzlich wenig, was es hieß, ein Zauberer zu sein, oder über Magie, Zedd jedoch wollte ihm helfen zu lernen, die Gabe zu beherrschen und sie zu benutzen, um den Menschen zu helfen.
Richard schluckte das Brot hinunter, auf dem er herumgekaut hatte. »Das klingt ganz nach der Kahlan, die ich kenne.«
Fräulein Sanderholt schüttelte wehmütig den Kopf. »Sie verspürte immer eine tiefe Verantwortung für die Menschen in den Midlands. Ich weiß, es tat ihr in der Seele weh, mit ansehen zu müssen, wie sich die Menschen gegen sie wendeten, weil man ihnen Gold versprochen hatte.«
»Ich wette, nicht alle haben so gehandelt«, meinte Richard. »Aber aus diesem Grund dürft Ihr niemandem erzählen, daß sie noch lebt. Niemand darf die Wahrheit erfahren, damit Kahlan auch weiter sicher ist und nicht in Gefahr gerät.«
»Mein Wort habt Ihr, Richard, das wißt Ihr. Aber ich glaube, mittlerweile haben die Menschen sie vergessen. Wahrscheinlich werden sie bald randalieren, wenn sie das Gold nicht bekommen, das man ihnen zugesichert hat.«
»Deswegen haben sich also all die Menschen vor dem Palast der Konfessoren versammelt?«
Sie nickte. »Inzwischen glauben sie, ein Recht darauf zu haben, denn irgend jemand von der Imperialen Ordnung hat gesagt, sie sollten es bekommen. Zwar ist der Mann, der dies versprochen hat, längst tot, trotzdem scheint es, als sei das Gold mit dem Aussprechen seiner Worte wie durch Magie in ihren Besitz übergegangen. Wenn die Imperiale Ordnung nicht bald das Gold aus der Staatskasse verteilt, könnte ich mir vorstellen, daß es nicht mehr lange dauert, bis die Menschen in den Straßen den Palast stürmen und es sich holen.«
»Vielleicht sollten sie mit dem Versprechen nur abgelenkt werden, und die Truppen der Imperialen Ordnung hatten die ganze Zeit über die Absicht, das Gold als Beute für sich zu behalten und den Palast zu verteidigen.«
»Vielleicht habt Ihr recht.« Ihr Blick ging ins Leere. »Wenn ich es mir recht überlege, ich weiß nicht einmal, was ich hier überhaupt noch soll. Ich habe keine Lust, mit ansehen zu müssen, wie die Imperiale Ordnung im Palast ihr Quartier aufschlägt. Ich habe keine Lust, am Ende für sie arbeiten zu müssen. Vielleicht sollte ich fortgehen und versuchen, einen Ort zu finden, wo die Menschen noch nicht unter dem Joch dieser Barbaren stehen. Aber die Vorstellung kommt mir so seltsam vor. Der Palast war den größten Teil meines Lebens mein Zuhause.«
Richard wendete den Blick von der weißen Pracht des Palastes der Konfessoren ab und sah wieder hinaus über die Stadt. Sollte er ebenfalls fliehen und zulassen, daß das angestammte Zuhause der Konfessoren und der Zauberer an die Imperiale Ordnung fiel? Aber wie konnte er das verhindern? Davon abgesehen suchten die Soldaten der Imperialen Ordnung wahrscheinlich nach ihm. Am besten schlich er davon, solange sie nach dem Tod ihres Rates noch in Auflösung begriffen waren. Was Fräulein Sanderholt tun sollte, wußte er nicht - er jedoch brach besser auf, bevor die Imperiale Ordnung ihn fand. Er mußte zu Kahlan und Zedd.
Gratchs Grollen wurde tiefer und ging in ein urtümliches Knurren über, das Richard in die Knochen fuhr und ihn aus seinen Gedanken riß. Der Gar erhob sich geschmeidig. Richard suchte erneut die Gegend unten ab, konnte aber nichts erkennen. Der Palast der Konfessoren stand auf einer Anhöhe, von der aus man einen eindrucksvollen Blick über Aydindril hatte, und von diesem Aussichtspunkt konnte er sehen, daß hinter den Mauern, in den Straßen der Stadt, Soldaten standen, in der Nähe der drei jedoch, in ihrem abgelegenen Seitenhof vor dem Kücheneingang, befand sich niemand. Wo Gratch hinblickte, war nichts Lebendiges zu entdecken.
Richard erhob sich, tastete mit den Fingern zur Beruhigung kurz nach dem Heft des Schwertes. Er war größer als die meisten Männer, trotzdem überragte ihn der Gar. Er war zwar für einen Gar, kaum älter als ein Jungtier, klein, dennoch maß er fast sieben Fuß, und Richard schätzte, daß er anderthalbmal so schwer war wie er selbst. Gratch würde noch einen Fuß wachsen, vielleicht mehr - Richard war alles andere als ein Experte für kurzschwänzige Gars -, so vielen war er nicht begegnet, und die, die er gesehen hatte, hatten versucht, ihn umzubringen. Tatsächlich hatte Richard Gratchs Mutter in Notwehr getötet und am Ende versehentlich den kleinen Waisen adoptiert. Mit der Zeit waren sie dicke Freunde geworden.
Die Muskeln unter der rosigen Haut an Bauch und Brust des kräftig gebauten Tieres schwollen wellenartig an. Es stand reglos da, angespannt, die Krallen an der Seite bereit, die haarigen Ohren aufgestellt und gerichtet auf Dinge, die man nicht sah. Selbst wenn er hungrig auf Beutefang ging, zeigte sich Gratch niemals so wild. Richard spürte, wie sich ihm die Nackenhaare sträubten.
Gerne hätte er gewußt, wann oder wo er Gratch schon einmal so knurren gehört hatte. Schließlich schob er seine angenehmen Gedanken an Kahlan beiseite und konzentrierte sich, während seine Anspannung immer weiter stieg.
Fräulein Sanderholt stand neben ihm und blickte nervös von Gratch zu der Stelle, auf die er starrte. Obwohl sie dürr war und zerbrechlich wirkte, war sie alles andere als eine ängstliche Frau. Dennoch - wären ihre Hände nicht bandagiert gewesen, sie hätte sie gerungen, dachte er. So sah sie jedenfalls aus.
Richard kam sich plötzlich nackt vor auf der offenen, weit geschwungenen Treppe. Mit scharfen, grauen Augen beobachtete er die grauen Schatten und verborgenen Stellen zwischen den Säulen, den Mauern, den verschiedenen eleganten Belvederes, die verstreut im unteren Teil des Palastgeländes standen. Ein gelegentlicher Windhauch wirbelte glitzernden Schnee auf, doch sonst war alles still. Er schaute so konzentriert, daß seine Augen schmerzten, konnte aber nichts Lebendiges, keine Anzeichen für eine Bedrohung bemerken.
Obwohl er nichts sah, spürte Richard ein wachsendes Gefühl der Gefahr - es war nicht einfach eine Reaktion auf Gratchs Aufgebrachtheit, sondern es entstammte seinem Innern, seinem Han, den Tiefen seiner Brust, strömte in die Fasern seiner Muskeln und versetzte sie in angespannte Bereitschaft. Die Magie in seinem Innern war zu einem zusätzlichen Sinn geworden, der ihn oft gerade dann warnte, wenn seine anderen Sinne versagten. Darum mußte es sich auch jetzt handeln.
Tief in seiner Magengrube nagte das Bedürfnis fortzurennen, bevor es zu spät war. Er mußte zu Kahlan, er wollte nicht in irgendwelche Schwierigkeiten verwickelt werden. Er konnte sich ein Pferd suchen und einfach losreiten. Besser noch, er konnte jetzt sofort davonrennen und sich später ein Pferd besorgen.
Gratch faltete die Flügel auseinander und nahm eine drohende, hockende Haltung ein, bereit, in die Luft zu schießen. Er zog die Lippen weiter zurück, Dampf entwich zischend zwischen seinen Reißzähnen, während sein Knurren tiefer wurde und die Luft zum Schwingen brachte.
Richard bekam eine Gänsehaut auf den Armen. Sein Atem ging schneller, als das greifbare Gefühl der Gefahr sich zu einer konkreten Bedrohung zuspitzte.
»Fräulein Sanderholt«, sagte er, während sein suchender Blick von einem langen Schatten zum nächsten sprang, »warum geht Ihr nicht hinein? Ich komme nach und unterhalte mich mit Euch, sobald ich -«
Die Worte blieben ihm in der Kehle stecken, als er eine knappe Bewegung unten zwischen den weißen Säulen bemerkte - ein Flirren in der Luft, wie Hitzeschlieren über einem Feuer. Er starrte, versuchte zu entscheiden, ob er es tatsächlich gesehen oder sich nur eingebildet hatte. Hektisch versuchte er zu überlegen, was es sein könnte, wenn er denn überhaupt etwas gesehen hatte. Vielleicht war es ein wenig Schnee gewesen, von einem Windstoß hochgewirbelt. Er kniff konzentriert die Augen zusammen, konnte nichts erkennen. Wahrscheinlich war es nichts weiter als der Schnee im Wind, versuchte er sich zu beruhigen.
Plötzlich stieg die unleugbare Erkenntnis in ihm hoch wie kaltes, schwarzes Wasser durch den Riß in der Eisschicht eines Flusses - Richard war eingefallen, wann er Gratch so hatte knurren hören. Die feinen Härchen in seinem Nacken standen ab wie Nadeln aus Eis auf seiner Haut. Seine Hand tastete nach dem Griff seines Schwertes.
»Geht«, drängte er flüsternd Fräulein Sanderholt. »Sofort.«
Ohne Zögern rannte sie die Stufen hoch und machte sich auf den Weg zum weit entfernten Kücheneingang hinter ihm, als das Sirren von Stahl in der frischen Morgenluft verkündete, daß das Schwert der Wahrheit gezogen worden war.
Wie war es möglich, daß sie hier auftauchten? Es war nicht möglich, und doch war er sicher - er spürte sie.
»Tanze mit mir, Tod, ich bin bereit«, raunte Richard, bereits im Trancezustand des Zornes der Magie, die aus dem Schwert der Wahrheit in ihn strömte. Die Worte waren nicht die seinen, sondern stammten aus der Magie des Schwertes, aus den Seelen all derer, die das Schwert vor ihm benutzt hatten. Mit den Worten begriff er instinktiv ihre Bedeutung: es war ein Morgengebet, das besagte, daß man an diesem Tag sterben konnte und man sich daher bemühen sollte, sein Bestes zu geben, solange man noch lebte.
Aus dem Echo anderer Stimmen im Innern wuchs die Erkenntnis, daß dieselben Worte auch noch eine ganz andere Bedeutung hatten: sie waren ein Schlachtruf.
Mit lautem Brüllen schoß Gratch hoch - seine Flügel trugen ihn nach nur einem einzigen, weiten Satz in die Luft. Schnee wirbelte auf, von den mächtigen Flügelschlägen bewegt, die auch Richards Mriswithcape aufblähten.
Richard spürte ihre Gegenwart, lange bevor er sah, wie sie in der winterlichen Luft Gestalt annahmen. Er konnte sie mit seinem Geist erkennen, obwohl sie für seine Augen unsichtbar waren.
Unter wütendem Geheul stieß Gratch blitzschnell zum Fuß der Treppe hinab. Unweit der Säulen, kurz bevor der Gar sie erreichte, begannen sie sichtbar zu werden - Schuppen, Krallen und Capes, weiß vor dem weißem Hintergrund des Schnees. Weiß, so rein wie das Gebet eines Kindes.
Mriswiths.
3. Kapitel
Die Mriswiths reagierten auf die Bedrohung, nahmen Gestalt an und stürzten sich auf den Gar. Die Magie des Schwertes, der Zorn, überschwemmte Richard in seiner ganzen Wildheit, als er sah, wie sein Freund angegriffen wurde. Er sprang die Stufen hinab, hinein in den Kampf.
Geheul schlug ihm entgegen, da sich der Gar nun auf die Mriswiths stürzte. Jetzt, in der Hitze des Kampfes, waren sie zu erkennen. Vor dem Weiß der Steine und des Schnees waren sie immer noch schwer auszumachen, Richard konnte sie dennoch gut genug sehen. Es waren an die zehn, soweit er dies in all dem Durcheinander sagen konnte. Unter ihren Capes trugen sie schlichte Felle, die so weiß waren wie alles übrige an ihnen. Richard hatte sie vorher schwarz gesehen, doch er wußte, daß die Mriswiths die Farbe ihrer Umgebung annehmen konnten. Feste glatte Haut spannte sich über ihre Köpfe bis zum Hals hinunter, wo sie Falten zu werfen begann und in fest anliegende, ineinandergreifende Schuppen überging. Lippenlose Mäuler wurden aufgerissen, so daß man kleine, nadelspitze Zähne sah. Mit den Fäusten ihrer mit Schwimmhäuten versehenen Klauen umklammerten sie die Hefte dreiklingiger Messer. Kleine, runde, glänzende Augen fixierten voller Abscheu den rasenden Gar.
Geschmeidig umkreisten sie die dunkle Gestalt in ihrer Mitte. Ihre weißen Capes bauschten sich hinter ihnen auf, als sie über den Schnee hinwegglitten. Einige gerieten durch den Angriff ins Trudeln oder taumelten außer Reichweite und entkamen so den mächtigen Armen des Gar. Andere bekam der Gar mit den Krallen zu fassen, riß sie auf und verspritzte dabei Mengen von Blut auf dem Schnee.
Sie waren so sehr mit Gratch beschäftigt, daß Richard ihnen in den Rücken fallen konnte, ohne auf Widerstand zu stoßen. Nie zuvor hatte er gegen mehr als einen Mriswith gleichzeitig gekämpft, und bereits das war eine ernstzunehmende Prüfung gewesen, doch jetzt, während der Zorn der Magie durch seinen Körper flutete, hatte er nur noch eins im Sinn: Gratch zu helfen. Richard streckte zwei von ihnen nieder, bevor sie dazu kamen, sich der neuen Bedrohung zuzuwenden. Schrilles Todesgeheul zerriß die Morgenluft. Nadelspitz und schmerzhaft klang es ihm in den Ohren.
Richard spürte andere hinter sich, zog sich Richtung Palast zurück. Er wirbelte gerade noch rechtzeitig herum und sah, wie plötzlich drei weitere auftauchten. Sie stürzten herbei, um sich in den Kampf zu werfen - nur Fräulein Sanderholt war ihnen noch im Weg. Diese schrie auf, als sie merkte, daß die näher kommenden Bestien ihr den Fluchtweg abschnitten. Sie machte kehrt und lief vor ihnen davon. Doch das Rennen würde sie verlieren, wie Richard erkannte - und er war zu weit entfernt, um rechtzeitig zu ihr zu gelangen.
Mit einem schwungvollen Rückhandschlag seines Schwertes schlitzte er einen seiner schuppigen Gegner auf. »Gratch!« schrie er. »Gratch!«
Gratch, der gerade einem Mriswith den Kopf abdrehte, sah auf. Richard zeigte mit dem Schwert auf Fräulein Sanderholt.
»Gratch! Beschütze sie!«
Gratch begriff sofort, in welcher Gefahr Fräulein Sanderholt schwebte. Er schleuderte den schlaffen, kopflosen Kadaver zur Seite und war mit einem Satz in der Luft. Richard duckte sich. Die schnellen Schläge seiner ledrigen Flügel trugen den Gar über Richards Kopf hinweg und die Stufen hinauf.
Gratch riß die Frau mit seinen pelzigen Armen hoch. Ihre Füße lösten sich mit einem Ruck vom Boden und schwebten über die kreisenden Messer der Mriswith hinweg. Gratch breitete die Flügel aus, legte sich in die Kurve, bevor das Gewicht der Frau ihm Schwung nahm, stürzte hinter den Mriswiths in die Tiefe, bremste dann mit einem mächtigen Flügelschlag und setzte Fräulein Sanderholt auf dem Boden ab. Ohne Pause warf er sich dann wieder in den Kampf, schlug und biß, geschickt den blinkenden Messern ausweichend, mit Krallen und Reißzähnen um sich.
Richard wirbelte herum zu den drei Mriswiths am Fuß der Treppe. Er ging auf im Zorn des Schwertes, wurde eins mit der Magie und den Seelen derer, die das Schwert vor ihm geschwungen hatten. Er bewegte sich mit der trägen Eleganz eines Tanzes - des Tanzes mit den Toten. Die drei Mriswiths gingen auf ihn los, ein anmutiger Ansturm blitzblanker Klingen. Mit einem Schwenk lösten sie ihre Formation auf, zwei glitten über die Stufen nach oben und wollten ihn einkreisen. Mit einer mühelosen, zwingenden Drehung bekam Richard den Zurückgebliebenen vor die Spitze seiner Klinge.
Zu seiner Überraschung schrien die beiden anderen auf. »Nein!«
Richard hielt überrascht inne. Er hatte nicht gewußt, daß Mriswiths sprechen konnten. Sie warteten zögernd auf den Stufen, fixierten ihn mit ihren kleinen, runden, glänzenden schlangengleichen Augen. Auf ihrem Weg die Treppe hoch zu Gratch waren sie fast schon an Richard vorbei. Offensichtlich hatten sie es auf Gratch abgesehen, mutmaßte er.
Richard sprang die Stufen hinauf und verstellte ihnen den Weg. Wieder lösten sie ihre Formation auf, und jeder übernahm eine Seite. Richard täuschte nach links an, dann wirbelte er herum und drosch auf den anderen ein. Richards Schwert zerschmetterte die Dreifachklinge in seiner Klaue. Ohne zu zögern, wirbelte der Mriswith herum und wich so dem tödlichen Stoß von Richards Klinge aus, doch als das Wesen sich drehte und näher kam, um selbst einen Hieb anzubringen, zog Richard sein Schwert zurück und schlitzte ihm damit den Hals auf. Der Mriswith brüllte, ging taumelnd zu Boden, krümmte sich und vergoß sein Blut im Schnee.
Bevor Richard sich dem anderen zuwenden konnte, sprang dieser ihn von hinten an. Die beiden wälzten sich die Stufen hinunter. Sein Schwert und eines der dreiklingigen Messer glitten scheppernd über den Stein am Fuß der Treppe, schlidderten außer Reichweite und versanken im Schnee.
Sie wälzten sich herum, und beide versuchten, die Oberhand zu gewinnen. Die drahtige Bestie legte ihm die schuppigen Arme um die Brust und drückte zu, wollte Richard auf den Bauch zwingen. Der Sucher spürte den fauligen Atem in seinem Nacken. Er konnte zwar sein Schwert nicht sehen, aber er spürte dessen Magie und wußte genau, wo es lag. Er wollte danach greifen, doch das Gewicht des Mriswith hinderte ihn daran. Er versuchte sich nach vorn zu ziehen, doch der vom Schnee glatte Stein bot nicht genügend Halt. Das Schwert blieb unerreichbar.
Der Zorn verlieh ihm Kraft. Richard richtete sich wankend auf. Der Mriswith, der ihn immer noch mit schuppigen Armen umklammert hielt, schlang ein Bein um seines. Richard stürzte mit dem Gesicht nach vorn zu Boden, das Gewicht des Mriswith auf seinem Rücken preßte ihm den Atem aus den Lungen. Das zweite Messer des Mriswith schwebte Zentimeter über seinem Gesicht.
Vor Anstrengung ächzend, stemmte Richard sich mit einem Arm hoch und packte mit dem anderen das Gelenk der Hand, die das Messer hielt. Mit einer ungeheuer kraftvollen, fließenden Bewegung wuchtete er den Mriswith zurück, tauchte unter dem Arm hindurch und schraubte ihn im Hochkommen einmal ganz herum. Knochen brachen mit dumpfen Knacken. Mit seiner anderen Hand drückte Richard ihm das Messer auf die Brust. Der Mriswith, mitsamt Cape und allem anderen, nahm plötzlich eine ekelhafte, schwach grünliche Farbe an.
»Wer hat dich geschickt!« Als er nicht antwortete, verdrehte Richard ihm den Arm noch weiter, klemmte ihn auf dem Rücken der Bestie fest. »Wer hat dich geschickt!«
Der Mriswith erschlaffte. »Der Traumwandler«, zischelte er.
»Wer ist der Traumwandler? Warum bist du hier?«
Eine wächsern gelbliche Farbe überkam den Mriswith in Wellen. Er riß die Augen auf, als er erneut zu fliehen versuchte. »Grünauge!«
Plötzlich wurde Richard von einem krachenden Schlag zurückgeworfen. Mit einer blitzschnellen Bewegung packte etwas Dunkles, Pelziges den Mriswith. Klauen rissen seinen Kopf nach hinten. Reißzähne bohrten sich in seinen Hals. Ein mächtiger Ruck, und die Kehle wurde ihm herausgerissen. Richard rang entsetzt nach Atem.
Er keuchte noch immer, als der Gar auf ihn losging. Richard warf die Arme hoch, als das riesige Tier gegen ihn prallte. Das Messer fiel ihm aus der Hand. Die schiere Größe des Gar war erdrückend, seine furchterregende Kraft überwältigend. Ebensogut hätte Richard versuchen können, einen Berg zurückzuhalten, der auf ihn stürzte. Triefende Reißzähne schnappten nach seinem Gesicht.
»Gratch!« Er krallte seine Fäuste in das Fell. »Gratch! Ich bin’s, Richard!« Das zähnefletschende Gesicht wich ein kleines Stück zurück. Mit jedem Schnaufen entwich dampfender Atem, der nach dem Verwesungsgeruch des Mriswithblutes stank. Die leuchtend grünen Augen blinzelten. Richard strich über die sich hebende Brust. »Alles in Ordnung, Gratch. Es ist vorbei. Beruhige dich.«
Die eisenharten Muskeln der Arme, die ihn hielten, wurden schlaff. Das zähnefletschende Gesicht verzog sich zu einem faltigen Grinsen. Tränen traten ihm in die Augen, als Gratch Richard an seine Brust drückte.
»Grrratch haaaat Rrrrraaaach liiiieerrg.«
Richard gab dem Gar einen Klaps auf die Schulter und bemühte sich, wieder zu Atem zu kommen. »Ich hab’ dich auch lieb, Gratch.«
Gratch, dessen Augen jetzt wieder funkelten, hielt Richard vor seinen Körper und musterte ihn kritisch, so als wollte er sich versichern, ob sein Freund unversehrt war. Mit einem murmelnden, gurgelnden Geräusch machte er seiner Erleichterung Luft - weil er Richard unverletzt vorfand oder weil er sich zurückgehalten hatte, bevor er ihn in Stücke gerissen hätte, war Richard nicht ganz klar, aber eins wußte er: er war selbst erleichtert, daß es vorüber war. Jetzt, wo die Angst, der Zorn und die Raserei des Kampfes abklangen, zog sich ein dumpfer Schmerz durch seine Muskeln.