Das Tor zur Dunkelheit - Das Schwert der Wahrheit - Terry Goodkind - E-Book

Das Tor zur Dunkelheit - Das Schwert der Wahrheit E-Book

Terry Goodkind

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Beschreibung

Ohne einen Weg zurück tritt er durch das Tor zur Dunkelheit – das packende Finale von »Die Kinder von D'Hara«!

Richard Rahl, der Herrscher von D'Hara, ist endlich mit seiner schwangeren Frau Kahlan und seinen Gefährten der Falle in seinem eigenen Palast entkommen. Er muss Kahlan zur Feste der Zauberer bringen, da sie nur dort in Sicherheit ist. Doch auf dem Weg erfährt er, was hinter den Angriffen auf das Leben seiner ungebohrenen Kinder steckt. Es geht um die Prophezeiung einer Hexe – und ihre Anhänger sind ihm näher, als er ahnt …

Die Kinder von D'Hara bei Penhaligon:
1. Die goldene Göttin
2. Die Vorboten des Todes
3. Im Labyrinth des Zauberers
4. Der Bann der Hexe
5. Das Tor zur Dunkelheit

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Seitenzahl: 504

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Buch

Richard Rahl, der Herrscher von D’Hara, ist endlich mit seiner schwangeren Frau Kahlan und seinen Gefährten der Falle in seinem eigenen Palast entkommen. Er muss Kahlan zur Feste der Zauberer bringen, da sie nur dort in Sicherheit ist. Doch auf dem Weg erfährt er, was hinter den Angriffen auf das Leben seiner ungeborenen Kinder steckt. Es geht um die Prophezeiung einer Hexe – und ihre Anhänger sind ihm näher, als er ahnt …

Autor

Terry Goodkind (*1948 † 2020) wurde in Omaha, USA, geboren und war nach seinem Studium zunächst als Rechtsanwalt tätig. 1994 erschien sein Roman »Das erste Gesetz der Magie«, der weltweit zu einem sensationellen Erfolg wurde und den Auftakt zu einer der erfolgreichsten Fantasy-Sagas aller Zeiten bildet. Er lebte bis zu seinem Tod in Maine, USA.

Die Originalausgabe erschien 2020 unter dem Titel »Into Darkness (The Children of D’Hara, Episode 5)« bei Head of Zeus, London.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright der Originalausgabe © 2020 by Terry Goodkind

Published in agreement with the author

c/o Baror International, Inc., Armonk, New York, USA

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2021 by Penhaligon in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Werner Bauer

Covergestaltung: Max Meinzold, München, Inkcraft nach einer Originalvorlage von Head of Zeus Ltd

HK · Herstellung: mr

Satz und E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-641-26480-2

1

Kahlan kam wieder zu sich, als Hände sie sanft vom Boden hochhoben. Nicht vollständig, aber doch so weit, dass sie die roten Lederanzüge einer Gruppe von Mord-Sith gewahrte, die um sie herumstanden. Auch den Schmerz nahm sie wahr. Diesen fürchterlichen, tief sitzenden Schmerz, der ihr verriet, dass ihre Schwangerschaft ernstlich in Gefahr war.

Überlagert wurde dieser Schmerz von einem Gefühl hilfloser Panik, dass sie nichts dagegen tun konnte.

Mit ihrem getrübten, benommenen Blick sah sie Shale sich näher beugen. Kahlan packte ihren Ärmel.

»Die Ungeborenen … geht es ihnen gut?«

Die anderen, die sie trugen, indem sie die Ränder der Decke festhielten, auf der sie lag, blieben stehen, als Kahlan sich verzweifelt in Shales Ärmel krallte. Sogar in ihrem halb bewussten Zustand bekam sie die Seitenblicke mit, die die Zauberin einigen der Mord-Sith zuwarf.

»Beeilt Euch und schafft sie nach drinnen«, wandte sie sich an die anderen.

Als sie sich erneut in Bewegung setzten, sah Kahlan sich um. Obwohl ihr Blick gelegentlich trüb wurde, konnte sie erkennen, dass sie sie in eine Art primitiven Unterstand trugen. Die Mord-Sith legten sie vorsichtig auf ein Bett aus Gräsern und Farnwedeln. Der gesamte Unterschlupf war grob aus allem zusammengezimmert, was gerade zur Hand war, aber wenigstens bot er ihr Schutz vor dem kalten Wind.

Cassia kniete neben ihr nieder und warf eine zusätzliche Decke über die eine, die sie bereits wärmte. Trotz der Kälte draußen war Kahlan heiß. Ihr war schon jetzt so heiß, dass sie schwitzte. Sie musste den Schweiß aus den Augen blinzeln.

Im nächsten Augenblick wurde sie von einem Schüttelfrostanfall überwältigt. Die Schweißschicht auf ihrem Gesicht fühlte sich plötzlich an, als wäre sie aus Eis. Wenigstens half der Anbau, die Wärme zurückzuwerfen, jetzt, da sie auf einmal fror.

Nur Augenblicke später jedoch wurde die Hitze erneut erdrückend. Wieder lief ihr der Schweiß übers Gesicht und brannte in ihren Augen. Als sie gerade glaubte, nicht mehr aushalten zu können, wie heiß ihr war, ließ ein erneuter Schüttelfrostanfall sie zittern. Der Lufthauch, der bis in den Unterschlupf vordrang, fühlte sich eisig an.

Als die Zauberin nah genug vorbeiging, packte Kahlan erneut ihren Ärmel. »Shale, sprecht mit mir. Eben noch glühe ich, im nächsten Augenblick wird mir eiskalt. Was geht hier vor?«

»Ihr habt ein leichtes Fieber.«

»Aber geht es meinen Ungeborenen gut?«

Shale tätschelte ihre Schulter und zeigte ihr kurz ein Lächeln. »Ihr müsst Euch ausruhen. Das ist das Beste, was Ihr im Augenblick für sie tun könnt. Bitte, Mutter Konfessor, Ihr müsst still liegen.«

Anstatt die Anweisungen zu befolgen, versuchte Kahlan, sich aufzurichten. Sofort war die Zauberin zur Stelle und drückte sie auf das Kissen zurück, das aus einer zusammengefalteten Decke bestand.

»Das dürft Ihr nicht, Mutter Konfessor. Liegt einfach still. Versucht, wieder einzuschlafen.«

»Ich werde erst wieder einschlafen, wenn Ihr mir sagt, was hier vor sich geht. Geht es meinen Ungeborenen gut?«

Shale überlegte, ob sie darauf antworten sollte oder nicht. Sie wechselte Blicke mit Kahlans anderen Bewacherinnen.

»Shale?«

»Ihr habt ein paar Probleme. Allerdings nichts, was sich nicht geradebiegen ließe.«

Geradebiegen?

»Wo ist Richard?«, fragte sie unvermittelt.

Shale seufzte. Der wirren Panik in Kahlans Stimme entnahm sie, dass sie sich mit weniger als der Wahrheit nicht zufriedengeben würde.

»Nun, Ihr habt ein paar Probleme mit Eurer Schwangerschaft.«

So viel hatte Kahlan bereits mitbekommen. »Was für Probleme?«

»Ihr lauft Gefahr, eine Fehlgeburt zu erleiden.«

Kahlan blinzelte verständnislos. »Aber ich darf sie nicht verlieren.«

Shale zog die Decke ein kleines Stück hoch und steckte sie unter Kahlans Kinn. »Lord Rahl und Vika sind unterwegs, um eine Pflanze zu finden, die ich benötige, um Euch zu heilen – Eure Ungeborenen zu retten. Sobald er mit dem Kraut zurückkommt, werde ich eine Medizin für Euch bereiten, die Euch wiederherstellen sollte.«

Das Wörtchen »sollte« hatte Kahlan deutlich mitbekommen. Es war kein Wort, das Vertrauen erweckte.

»Was für eine Pflanze?«

»Sie wird Mutterkraut genannt.«

Kahlan war im Palast der Konfessorinnen und in der Burg der Zauberer aufgewachsen. Abgesehen von dem, was Richard ihr beigebracht hatte, wusste sie nicht viel über den Wald und die Pflanzen. Auch die Zauberer hatten ihr in jungen Jahren ein wenig über Kräuter beigebracht. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals von Mutterkraut gehört zu haben.

»Demnach wird er also bald zurück sein?«

Shale lächelte sichtlich gezwungen.

»Sobald er etwas Mutterkraut für mich findet, damit ich Euch wieder ganz gesund machen kann. Bis dahin müsst Ihr still liegen. Wenn Ihr Euch zu viel zu bewegen versucht, macht Ihr es für Eure Kinder nur schlimmer. Im Augenblick helft Ihr ihnen am besten, wenn Ihr still liegen bleibt.«

Plötzlich befürchtete Kahlan, sie womöglich zu verletzen, wenn sie sich aufsetzte, und ließ sich auf das behelfsmäßige Lager zurücksinken. Die Auskunft, dass Richard auf der Suche nach einer Heilpflanze war, bewirkte tatsächlich, dass sie sich besser fühlte. Er kannte sich gut mit Heilkräutern aus. Sie wusste die Anwesenheit der Mord-Sith und der Zauberin zu schätzen, aber eigentlich wünschte sie sich Richard an ihrer Seite, der ihr versprach, alles werde wieder in Ordnung kommen.

Sie starrte das Dach aus Kiefer- und Föhrenzweigen an und versuchte, den Mut für eine schreckliche Frage aufzubringen.

»Werde ich meine Kinder verlieren?«

Das Gesicht angespannt vor Sorge, beugte Shale sich vor. »Nein. Nein, Mutter Konfessor, ich möchte nicht, dass Ihr so etwas denkt. Ich bin bei Euch, und Lord Rahl wird zurückkommen und mitbringen, was Ihr braucht. Das Beste, was Ihr tun könnt, jetzt, wo wir Euch aus dem kalten Wind in diesen Unterschlupf gebracht haben, ist, Euch auszuruhen, bis er wiederkommt. Für die Ungeborenen ist es wichtig, dass Ihr Euch jetzt nicht bewegt. Wisst Ihr, aus irgendeinem Grund versuchen die Ungeborenen, vor der Zeit auf die Welt zu kommen. Es ist zu früh. Den Grund dafür kenne ich nicht. Ich habe dies auch früher schon bei Frauen beobachtet, denen ich damals, im Nördlichen Ödland, beigestanden habe. Die Wahrheit ist, wenn sie jetzt geboren werden, werden sie wohl innerhalb weniger Minuten sterben, so sie denn überhaupt lebend auf die Welt kommen. Aber so schwierige Situationen wie diese jetzt hier bei Euch habe ich vielleicht sechs- oder achtmal erlebt.«

Kahlan blickte erwartungsvoll auf. »Und – habt Ihr helfen können? Konntet Ihr die Ungeborenen retten?«

Sie hielt Kahlans Blick stand und schüttelte langsam den Kopf. »Ich fürchte, trotz meiner Bemühungen hat in keinem dieser Fälle auch nur eines der Ungeborenen überlebt.«

Kahlan unterdrückte ihre Angst. »Und die Mütter?«

Wieder schüttelte Shale mit ernster Miene den Kopf. »Auch von den Müttern hat keine überlebt.«

Kahlans Muskeln erschlafften. Schwer sank sie zurück. Die Welt schien sich zu drehen.

Das war also das Ende, das Ende von allem?

Shale legte ihr sanft eine Hand auf die Schulter. »Es gibt aber einige Dinge zu unseren Gunsten, die mir in keiner dieser Situationen zur Verfügung standen.«

Kahlan sah auf. »Was denn für Dinge?«

»In jedem dieser Fälle musste mich erst jemand holen, weshalb ich nicht von Beginn an dabei war. In Eurem Fall war ich von Anfang an zugegen, sodass ich versuchen konnte, die Situation gleich zu Beginn mit meiner Gabe zu stabilisieren – ehe es zu spät war, wie bei diesen anderen Frauen.«

»Dann könnt Ihr mich heilen? Die Zwillinge heilen? Ihr könnt etwas für uns tun?«

»Bevor ich aus dem Nördlichen Ödland hierhergekommen bin, hätte ich dies verneint, denn es lag nicht im Bereich des Möglichen. Aber seit meiner Ankunft habe ich Dinge gesehen, die ich nicht für möglich gehalten hätte. Ich habe Lord Rahl Verletzungen heilen sehen, die eigentlich unheilbar waren. Ich habe Lord Rahl Dinge tun sehen, bei denen ich mir früher sicher war, dass sie unmöglich sind. Wenn Ihr und Lord Rahl mich eins gelehrt habt, dann, dass wir niemals verzweifeln, uns niemals geschlagen geben dürfen, dass wir niemals aufgeben sollten. Ich bin fest entschlossen, Euch und die Zwillinge zu retten, auch wenn ich so etwas vorher noch nie getan habe. Das ist der langen Rede kurzer Sinn. Ich werde Euch alle drei am Leben erhalten, bis Lord Rahl mit dem Heilkraut zurückkommt, das imstande ist, rückgängig zu machen, was derzeit geschieht, sodass Ihr die Zwillinge austragen könnt, bis es an der Zeit ist, dass sie geboren werden.«

»Danke«, hauchte Kahlan.

Shale beugte sich vor, legte ihr eine Hand auf die Stirn und die andere auf ihren gerundeten Leib.

»Ich werde Euch jetzt in einen tiefen Schlaf versetzen, um das Geschehen zu verlangsamen. Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um die Zwillinge in der Geborgenheit Eures Leibes zu belassen, bis Euer Gemahl mit dem Mutterkraut zurückkommt. Wenn er dies tut, wird es Euch kurieren. Bis dahin müsst Ihr schlafen. Wenn Ihr das nächste Mal aufwacht – und ich die Zauberin bin, für die ich mich selbst halte, ich die Frau bin, die zu sein Ihr mich gelehrt habt –, werdet Ihr bereits auf dem Weg der Besserung sein.«

Kahlan wollte etwas erwidern, doch noch ehe sie dazu kam, ließ Magie rasch eine wie für sie gemachte Dunkelheit aufkommen, die sie überwältigte.

2

Laut Vika hatte Mutterkraut seltsam ungleichförmige Blätter. Sie hielt ihre Faust in die Höhe, den Handrücken Richard zugewandt. »So sieht die Form der Blätter aus. Hat man sie einmal gesehen, wird man sie nicht mehr vergessen, allerdings ist sie selten. Ich habe sie in meinem ganzen Leben nur ein paar Mal gesehen, und auch dann stets nur hoch oben in den Bergen, nahe der Baumgrenze.«

Nun, die Baumgrenze war noch immer ein gutes Stück entfernt und lag hier sehr viel höher in den Bergen. In dem steilen und unwegsamen Gelände ging es nur mühsam voran, wenn man zwischen den Felsen und oftmals dicht stehenden Bäumen einen auf keiner Karte verzeichneten Weg zu finden versuchte. Das war schon tagsüber schwierig genug, sobald es jedoch dunkel wurde, so viel war ihm klar, würde ein Aufstieg für die Pferde in derart gebirgigem und weglosem Gelände praktisch unmöglich sein.

Richard nutzte sein ganzes Wissen, seine ganze Erfahrung als Waldführer, um eine Möglichkeit zu finden, in immer höheres Gelände zu gelangen. Ab und an halfen Wildwechsel dabei. Gleichwohl waren sie ohne einen echten Weg mehrfach auf den Fuß unpassierbarer Klippen gestoßen, die sie zu einem Umweg zwangen, um weiter aufsteigen zu können. Bei anderen Gelegenheiten hatte eine scheinbar passabel aussehende Route vor einem Abgrund geendet, der sie zwang, umzukehren und einen anderen Weg zu finden.

Während sich sein Pferd vorsichtig über das lose Geröll zwischen den sich zu beiden Seiten erhebenden, hohen Felsformationen vorantastete, versuchte Richard, die Bergflanke weiter oben mit den Augen abzusuchen. Wasser sickerte die Flanken einiger fleckiger Felswände herab und hinterließ dabei grüne und braune Streifen. Mancherorts erzeugten in den Spalten wachsende, herabhängende Pflanzen die Illusion einer Wand aus Grün. Immer wieder machte verschlungenes Wurzelwerk das Geläuf schwierig. Dennoch trieb er das Pferd zur Eile an.

Gleichzeitig machte er sich bewusst, dass in solch steilem Gelände der Abstieg für die Pferde vermutlich deutlich schwieriger war als der Aufstieg, an manchen Stellen wahrscheinlich sogar zu gefährlich. Sie würden einen Großteil der Strecke zu Fuß zurücklegen und die Pferde sich ihren Weg suchen lassen müssen, ohne dass diese sich auch noch um einen Reiter kümmern mussten, der es ihnen erschwerte, das Gleichgewicht zu wahren.

Erst einmal jedoch galt es, die Pflanze zu finden, deretwegen Shale sie hergeschickt hatte. Nur darauf kam es an.

Vika folgte kommentarlos hinter ihm. Sie war schließlich seine eingeschworene Beschützerin und wollte nicht nur das Mutterkraut finden, sondern für sie als Mord-Sith war Richards Sicherheit auch ihre oberste Verantwortung.

Vor einer Weile hatten sie, trotz immer dichter werdenden Nebels, in einem seltenen Moment aufreißenden Himmels durch eine Lücke zwischen den Bäumen kurz einen Blick auf die über ihnen emporragenden Berge erhaschen können. Und durch ebendiese Lücke gesehen, dass die Baumgrenze noch ein gutes Stück entfernt war.

Wegen der aufziehenden Dunkelheit hatte Richard Mühe, eine brauchbare Route auszuwählen. Zusätzlich zu der Dunkelheit erschwerte auch der Nebel jeden weiten Blick. Nicht nur reduzierte er die Fernsicht, er erzeugte auch einen eisigen Dunst, der ebenso elendig wie rutschig war.

Als sie auf eine weite, halbwegs ebene Fläche gelangten, wo eine zerklüftete Granitwand ihnen den Weg versperrte, suchte Richard fieberhaft nach einem Weg hinauf. Voller Sorge, dass sie erneut würden umkehren müssen, erspähte er plötzlich etwas inmitten der Bäume oben auf der senkrechten Barriere aus Granit.

»Ich glaube, ich sehe einen Pfad.«

Vika ritt neben ihn und runzelte die Stirn. Sie warf einen Blick nach beiden Seiten und erkannte, dass es eindeutig keine Ausweichmöglichkeit gab.

»Einen Pfad? Seid Ihr sicher?«

Richard zeigte hoch zur Oberkante der Granitwand. »Schaut zu dem Spalt dort drüben im Granit. Ich denke, das könnte ein Weg nach oben sein.«

»Da hinauf können wir die Pferde nicht mitnehmen. Es ist viel zu steil.«

»Stimmt. Aber es scheint, als hätten sich dort Felsbrocken und Steine in der Kluft verklemmt, die es uns ermöglichen, sie zu Fuß emporzuklettern. Schaut zur Oberkante der Wand, drüben links zu der Unmenge von Baumwurzeln, die über die Kante herabhängen. Was seht Ihr da?«

Die Handgelenke auf das Sattelhorn gelegt, stellte sich Vika in die Steigbügel, beugte sich vor und blickte mit zusammengekniffenen Augen hoch zum Rand der Felswand.

»Merkwürdig. Wegen des Dunstes ist es schwer zu erkennen, aber es sieht ganz so aus, als könnte es sich um mehrere übereinandergestapelte Steine handeln.«

»Genau.« Richard saß ab. »Das ist ein Steinmännchen.«

Sie musterte ihn mit schrägem Blick. »Ein Steinmännchen, was ist das?«

»Eine Methode zum Markieren von Pfaden in schwierigem Gelände, wo es ein Leichtes und sogar gefährlich wäre, sich zu verirren und den falschen Weg einzuschlagen. Wenn ich recht habe und es nicht natürlichen Ursprungs ist, würde es bedeuten, wir sind auf einen lange vergessenen Pfad gestoßen.«

»Nun, die Pferde können da aber nicht hoch, so viel ist sicher.«

»Da habt Ihr recht«, sagte Richard und stieg ab.

Kaum auf dem Boden, ging er daran, den Sattelgurt zu lösen. »Wir werden sie hier zurücklassen und den Rest der Strecke zu Fuß gehen müssen. Wenn es sich tatsächlich um einen Pfad handelt, wäre das ein unglaublicher Glücksfall. Sobald wir das Mutterkraut gefunden und Kahlan wiederhergestellt haben, können wir auf diesem Pfad vielleicht sogar das Gebirge überqueren. Dadurch würden wir auf dem Weg nach Aydindril eine Menge Zeit einsparen.«

Vika suchte das Gelände mit den Augen ab, ehe sie aus dem Sattel kletterte. »Hier ist es einigermaßen eben. Was, wenn die Pferde sich entfernen?«

»Das werden wir riskieren müssen. Nehmen wir ihnen die Sättel und das Zaumzeug ab.«

»Sollen wir irgendetwas mitnehmen?«, fragte sie.

Richard nickte. »Wir sollten zumindest unsere Rucksäcke mitnehmen.«

»Und außerdem etwas Trockenfleisch und alles, was wir an Vorräten tragen können«, schlug sie vor.

»Ich habe etwas Hafer hinten an meinem Sattel festgebunden. Etwas davon werde ich für die Pferde draußen lassen. Das sollte Grund genug für sie sein, in der Nähe zu bleiben.« Er wies nach links. »Über die Felsen dort drüben rinnt Wasser. Dort sammelt sich genug davon, sodass sie trinken können. Sobald wir die Sättel abgenommen haben, müssen wir die Reisekerzen hervorholen. Das Licht schwindet rasch, aber wenn das dort oben tatsächlich ein Pfad ist, werden sie ausreichen, sodass wir imstande sein sollten weiterzumarschieren.«

Vika sah kurz hoch in Richtung jenes Berges, den sie nicht länger sehen konnten. »Reisekerzen in einer Blechhalterung werden nicht eben viel Licht spenden.«

»Bei dem Nebel könnten wir ohnehin nicht weit sehen, selbst wenn es noch hell wäre. Ihr könnt mit den Kerzen dort oben bei dem Steinmännchen warten, während ich den weiteren Weg erkunde und sehe, ob ich das nächste finden kann. Sollte es sich tatsächlich um einen mit Steinmännchen markierten Pfad handeln, können wir auf diese Weise auch im Dunkeln weitergehen.«

Er zog den Sattel von seinem Pferd und legte ihn auf einen Felsen. Während Vika es ihm nachtat, streute er ein wenig Hafer auf eine flache Felsenfläche. Voller Eifer machten sich die Pferde darüber her. Er gab ihnen einen Klaps auf den Hals, schwang dann seinen Rucksack mitsamt Bogen über eine Schulter. Vika band Vorräte von ihrem Sattel los, wuchtete dann ihren Rucksack auf die Schulter.

Mit einem Feuerzeug aus Stahl und Feuerstein entzündete er einen Streifen Birkenrinde und benutzte diese, kaum war sie aufgelodert, um die Kerzen anzuzünden. Unverzüglich brachen sie in die neblige Dunkelheit auf und kletterten die enge Kluft in der Granitwand empor.

3

Nicht lange nach Tagesanbruch hatten sie es bis knapp unter die Baumgrenze geschafft und verließen den Pfad, um sich dort, wo der Schnee bereits stellenweise liegen geblieben war, auf die Suche nach dem Mutterkraut zu machen.

Der Pfad, den sie gefunden hatten, war ausreichend gut mit Steinmännchen markiert und nahm eine Route, die das Klettern erleichterte und ihnen endlich eine Menge Zeit einsparte. Es war ein Glücksfall, dass die Steinmännchen nach all dieser Zeit noch standen, und ein noch größerer, dass er und Vika auf sie gestoßen waren.

Vika an jedem Steinmännchen warten zu lassen, während Richard vorausging, um das nächste ausfindig zu machen, hatte überraschend gut funktioniert. Im Schein der Kerze war sie ihm hinterhergeklettert und hatte gewartet, während er loszog und das nächste suchte. Es ging zwar nur langsam voran mit dieser Methode, aber …

»Lord Rahl!«, rief Vika irgendwann, »ich hab’s gefunden!«

Richard spürte sein Herz bis zum Hals schlagen. Er kraxelte über einen abgerundeten Felsvorsprung und mehrere Schneeflächen, hielt sich dann an einem bodennah wachsenden Kriechwacholderbusch fest, um auf dem losen Geröll nicht abzurutschen.

Er fand Vika auf dem Bauch liegend vor einer Felsenöffnung. Die aufgehende Sonne stand in ihrem Rücken, sodass sie in den Eingang der kleinen Höhle schien.

Vika zeigte. »Seht! Es ist Mutterkraut. Hier ist es geschützt vor dem Schnee, deswegen ist es noch frisch.«

Links von ihr, dort wo sie hinzeigte, standen drei Pflanzen, dazu ein paar weitere auf der rechten Seite, unmittelbar hinter dem Höhlenschlund. Sie besaßen faustförmige Blätter, genau wie sie ihm erklärt hatte. Vika hatte recht!

Richard spähte tiefer in die Höhle hinein und entdeckte plötzlich etwas, das Vika bei ihrer verzweifelten Suche nach der seltenen Pflanze und in der Aufregung, sie gefunden zu haben, übersehen hatte.

Im Schnee auf beiden Seiten der Höhle, wie auch im weicheren Boden des Eingangs, waren die Abdrücke einer großen Katze. Weiter hinten, wo die Strahlen der aufgehenden Sonne hinreichten, erspähte er eine Anzahl verschiedenartiger Knochen.

Noch tiefer drinnen, ganz hinten im Dunkeln, erblickte er ein Augenpaar, in dem sich das Licht widerspiegelte.

Als er das tiefe Grummeln eines kehligen Knurrens zu hören meinte, zog er sein Schwert.

Vika sah über ihre Schulter, als sie das unverwechselbare Geräusch vom Ziehen seiner Klinge vernahm. »Was ist denn?«

Richard zeigte mit dem Schwert. »Da hinten ist ein Berglöwe.«

Vika erstarrte. »Was sollen wir tun?«

Vorsichtig setzte er ein Knie neben sie, beugte sich vor und hielt dabei das Schwert schützend über sie. Die linke Hand hinten auf ihrer Schulter, damit sie unten blieb, redete er leise, um das Tier nicht aufzuschrecken.

»Grabt die drei Pflanzen aus, hier rechts, neben Eurer Hand. Shale meinte, sie benötige die ganze Pflanze, grabt also auch die Wurzeln aus. Wir brauchen sämtliche Wurzeln, die Ihr ausbuddeln könnt. Drei Pflanzen sollten mehr als ausreichend sein. Die anderen beiden, auf der anderen Seite, lasst Ihr stehen, damit sie nachwachsen können. Ich passe derweil auf und sorge dafür, dass der Berglöwe auf Abstand bleibt.«

»In Ordnung.« Rasch zog sie das Messer aus der Scheide an ihrer Seite, stieß es in den Boden, um mit dem Ausgraben anzufangen.

Mit Fingern und Klinge grub sie durch die vergleichsweise weiche Erde und schleuderte sie hektisch nach hinten wie ein Dachs, der einen Bau aushebt. Während sie arbeitete, schlich das Tier etwas näher heran und zog dabei seine Oberlippe zurück, sodass man seine großen Zähne sah. Auch gab es ein lauteres, gutturales Knurren von sich. Als es eine seiner großen, breiten Tatzen einen Schritt nach vorn setzte, stieß Richard seine Klinge gerade weit genug in Richtung des Tieres, um klarzumachen, dass er gewillt war, sich zu verteidigen.

Den Kopf gesenkt, die Ohren angelegt, kam es zwei Schritte näher, die Augen unverwandt auf ihn gerichtet.

»Zwing mich nicht, dich zu töten«, wandte sich Richard an das wilde Tier. »Ich will dich nicht töten, aber wenn ich muss, werde ich es tun. Warte einfach einen Augenblick, bis wir hier fertig sind, dann werden wir weiterziehen.«

Fürs Erste hielt die Klinge ihn zurück. Der Berglöwe hielt inne, fast so, als verstünde er seine Worte. Wahrscheinlicher war, dass er die Klinge in seinem Weg verstand.

Vika buddelte, so schnell sie konnte, schleuderte die Erde nach hinten und versuchte, tief zu graben und die Wurzeln freizulegen, ohne sie zu beschädigen. Die ganze Zeit über starrten der Berglöwe und Richard einander in die Augen.

Mit einem Griff in die Erde konnte Vika endlich die erste Pflanze aus dem tiefen Loch zupfen, das sie gegraben hatte. Sie besaß eine lange, dicke Pfahlwurzel. Vika bekam sie fast in einem Stück heraus, schüttelte die Erde von den Wurzeln, legte sie zur Seite und machte sich dann an das Ausgraben der beiden anderen. Richard sah, dass das Graben nicht einfach war, wenn man auf dem Bauch lag, dennoch arbeitete sie, so schnell sie konnte, und gab dabei vor Anstrengung leise Grunzlaute von sich. Ihre Finger waren mittlerweile blutig, was sie aber mitnichten bremste.

Während er mit dem Schwert in seiner Rechten den Berglöwen in Schach hielt, langte Richard mit seiner Linken vorsichtig nach unten und legte das bereits ausgegrabene Mutterkraut sicherheitshalber auf den schmalen Felsvorsprung, der das Dach der Höhle bildete. Als Vika vor Anstrengung keuchend die zweite herauszog, nahm er sie ihr ab und legte sie zu der ersten …

»Hab sie!«

Die dritte Pflanze in ihrer linken Hand, wand sich Vika wieder heraus. Als sie weit genug war, kam sie im Schutz von Richards Klinge hoch auf Hände und Knie und sammelte die beiden anderen ein, während er weiterhin über sie wachte.

Sobald sie die drei Mutterkrautpflanzen fest in der Hand hielt, zogen sich die beiden langsam aus dem Höhleneingang zurück. Der Berglöwe folgte ihrer Bewegung und schlich zusammen mit ihnen ins Freie. Dabei blieb er in sicherer Entfernung, bis er aus der Dunkelheit ins Licht hinaustrat.

Richard packte Vikas Arm mit einer Hand und zog sie hinter sich, gleichzeitig streckte er mit seiner anderen das Schwert nach vorn. Zusammen entfernten sie sich seitwärts von dem nervösen Tier.

Kaum hatten sie ihm genug Platz gegeben, um zu entwischen, kam der Berglöwe ganz aus der Höhle hervor, bedachte sie mit einem langen, unangenehmen Blick und sprang dann rechts von ihnen elegant über den Schnee davon und zwischen die spärlichen Bäume.

»Er hält auf den Pfad zu«, bemerkte Vika und holte eine Decke hervor, um die Pflanzen einzuwickeln.

Richard beobachtete, wohin genau der Berglöwe entschwand.

4

Richard und Vika waren erschöpft von dem langen Ritt, als sie endlich das Lager erreichten. Berdine kam angelaufen und übernahm die Zügel beider Tiere. Unterdessen sprang auch Vika ab und übergab Richard die Decke mit ihrer kostbaren Fracht. Shale war gerade dabei, einen Ast ins Feuer nachzulegen, als sie sie ins Lager reiten sah.

Sie stand auf und lief ihnen, Rindenreste von ihren Händen wischend, entgegen. »Habt Ihr sie?«

Richard schlug die Decke zurück, um sie ihr zu zeigen. »Wie geht es Kahlan?«

Behutsam nahm Shale alle drei Pflanzen heraus und benutzte dies als Vorwand, den Blick abzuwenden. Sie schien überrascht, dass sie tatsächlich Mutterkraut hatten finden können.

»Drei! Das ist wunderbar, und Ihr habt sie sogar mit unbeschädigten Wurzeln bergen können. Ich hatte nicht zu hoffen gewagt, dass Ihr auch nur eine finden würdet. Es ist genau das, was wir brauchen.«

»Ich fragte, wie es Kahlan geht.«

Sie sah unter ihrer gesenkten Stirn empor. »Die Mutter Konfessor schläft.«

Richard fasste mit sanftem Griff Shales Oberarm. »Ich habe gefragt, wie es ihr geht.«

Die Zauberin schätzte kurz die Eindringlichkeit in seinen Augen ab, ehe sie darauf antwortete. »Sie war drauf und dran, ihre Kinder zu verlieren. Und nicht nur deren Leben, sondern auch ihr eigenes. Das Einzige, was mir bis zu Eurer Rückkehr einfiel, war, sie mithilfe meiner Gabe in eine Art Tiefschlaf zu versetzen. Ich musste sie an diesen Ort zwischen Leben und Tod bringen, den Ihr die Schwelle nanntet. Dabei hoffte ich, das Auslösen eines derart tiefen Schlafzustandes würde sämtliche Körperfunktionen so weit verlangsamen, dass eine Fehlgeburt verhindert wird. Es war die einzige Möglichkeit, die mir zu ihrer Rettung und der der Zwillinge eingefallen ist. Bislang trägt sie die Ungeborenen noch in sich, und sie atmet noch.«

»Aber sie wird wieder genesen.« Es kam eher als Befehl heraus denn als Frage. Es gefiel ihm überhaupt nicht zu hören, dass die Zauberin Kahlan an den Scheitelpunkt zwischen Leben und Tod gebracht hatte. Ganz und gar nicht. Andererseits mochte er ihre Entscheidung nicht im Nachhinein kritisieren, zumal er um das Ausmaß der Notlage wusste – und dass Shale alles in ihrer Macht Stehende tun würde, um Kahlan zu retten. »Jetzt, da wir das Mutterkraut haben, wird sie doch wieder genesen?«

Die Zauberin zögerte. »Das hoffe ich. Einstweilen zumindest sind sie und die Zwillinge am Leben und zusammen. Mit dem Mutterkraut haben wir eine Chance. Aber jetzt muss ich mich sputen und die Medizin bereiten, die sie benötigt.«

»Wie kann ich helfen?«, fragte Richard dicht hinter ihr, als sie zum Feuer zurückeilte.

Sie blieb stehen und überlegte einen Moment, blickte dabei hinüber zu dem Anbau jenseits des knackenden Feuers, ehe sie die drei in ihrer Hand liegenden Pflanzen betrachtete.

»Ich muss die Medizin herstellen, allerdings wird das mehrere Stunden in Anspruch nehmen. Da Ihr drei Pflanzen mitbringen konntet, und in Anbetracht der ernsten Lage« – sie gab Richard die mit der längsten Pfahlwurzel – »könnt Ihr vielleicht tatsächlich etwas tun. Geht mit dieser hier zu ihr, brecht die untere Wurzelspitze ab und träufelt ihr dann die milchige Flüssigkeit in den Mund. Sie muss sie unbedingt hinunterschlucken. Macht es nur, wenn Ihr sie über ihren Mund haltet, um nichts zu verschwenden. Es ist ein sehr seltener und kostbarer Wirkstoff.«

»Wenn ich ihr etwas von der Milch in den Mund träufeln soll, wieso müsst Ihr dann noch ein Heilmittel herstellen?«

Shale hielt seinem Blick stand. »Bitte, Lord Rahl, tut, worum ich Euch bitte. Und beeilt Euch.«

Dass sie von dem Plan abwich, zuerst die Pflanzen zuzubereiten, stimmte ihn besorgt. Er wusste eine Menge über Pflanzen und Kräuter, über Mutterkraut und seine Zubereitung allerdings überhaupt nichts. Was er wusste: Es gab Pflanzen, die heilen konnten, sofern man sie korrekt zubereitete. Aber auch, dass sie im rohen Zustand und bei fehlerhafter Zubereitung töten konnten.

»Wird es ihr nicht schaden, ihr die unbehandelte Milch der Pflanze zu verabreichen? Seid Ihr sicher, dass Ihr sie nicht vorher zubereiten solltet?«

Shale legte ihre Finger auf die Kuhle an ihrem Halsansatz und überlegte einen Moment. Offenbar beunruhigte sie diese Frage ebenfalls.

»Um die Wahrheit zu sagen, ich bin mir nicht ganz sicher. Mir ist nie zu Ohren gekommen, dass Mutterkraut giftig sei, allerdings habe ich auch nie gehört, dass jemand einer Frau mit einer drohenden Fehlgeburt die Milch der Pflanze im Rohzustand anstatt in einem zubereiteten Heilmittel gegeben hätte. Die Heilkraft der Pflanze liegt jedenfalls in der Milch, das weiß ich.« Sie hob die Hand und rieb Daumen, Zeige- und Mittelfinger aneinander. »Es ist eine klebrige Substanz, deutlich klebriger als der Saft jeder anderen Pflanze. Ich glaube, möglicherweise ist diese Klebrigkeit der Schlüssel, wie diese Pflanze eine Fehlgeburt verhindert. Eine mir bekannte Kräuterfrau erklärte mir, ihrer Meinung nach stärke die klebrige Milch der Mutterkrautpflanze die Bande, die eine Mutter zu ihren ungeborenen Kindern unterhält. Aber um ehrlich zu sein: Ich habe nie gehört, dass man die Milch roh verabreicht. Meiner Meinung nach gibt man Frauen stets den zubereiteten Trank, wenn auch vielleicht nur deswegen, weil nie lebende Pflanzen zur Hand sind, während die Zubereitung vorab hergestellt und, versiegelt in Gefäßen, bevorratet werden kann, sodass sie im Notfall bereitstehen.«

»Warum warten wir dann nicht sicherheitshalber, bis Ihr die Pflanzen zubereiten könnt, so wie man es Euch beigebracht hat?«

Shale bedachte ihn mit einem vielsagenden Blick. »Weil Ihr lange gebraucht habt, um die Pflanze zu finden. Zu lange. Mir ist klar, das war nicht Euer Fehler, und es ist erstaunlich, dass Ihr sie überhaupt finden konntet, aber was das Überleben der Mutter Konfessor anbelangt, war es zu lange. Das ist die Lage. Der einzige Grund, weshalb sie noch keine Fehlgeburt erlitten hat, ist, dass ich zur Stelle war, als es losging, und ich sie in einen tiefen Schlaf versetzen konnte, bevor der Vorgang zu weit fortgeschritten war. Traditionell wird das Heilmittel von einer Kräuterfrau zubereitet für jene Zeiten, da es unbedingt benötigt wird. Also oftmals später, nachdem man einen Heiler hinzugezogen hat, weshalb bereits viel Zeit verstrichen sein dürfte, ehe die Hilfe bei der Mutter eintrifft. Ich hatte die Pflanze ursprünglich auf diese Weise vorbereiten wollen. Aber dann habt Ihr so lange gebraucht, um zurückzukommen. Zu lange.«

»Aber angenommen, Ihr bereitet sie jetzt gleich zu … Kahlan selbst würde sagen, es ist die einzige Chance für sie und die Kinder. Deshalb bleibt uns gar nichts anderes übrig, als es zu versuchen.«

Shale zeigte ihm ein kurzes Lächeln. »Gut. Dann beeilt Ihr Euch und gebt ihr schon mal die Milch.«

Richard nahm die Pflanze in die Hand und nickte. »Wie lange werdet Ihr für die Zubereitung der beiden anderen brauchen?«

Sie sah zum Feuer hinüber. »Das Kochen der Bestandteile und die eigentliche Zubereitung der Medizin wird einige Stunden dauern.«

Richard betrachtete nachdenklich die Pflanze, die sie ihm gegeben hatte.

Shale legte ihm eine Hand auf den Unterarm, als wollte sie ihn wappnen. »Beeilt Euch jetzt. Geht zu ihr.«

5

Cassia war ebenfalls zugegen, auf Kahlans vom Feuer aus gesehen anderer Seite. Sie kauerte neben ihr am Boden und hielt mit beiden Händen ihre Hand. Als Richard neben Cassia niederkniete, wich sie zurück und ließ ihn ein hoffnungsvolles Lächeln sehen.

»Wie geht es ihr?«, fragte er.

Cassias Stimme war schwer vor Kummer. »Sie hat sich nicht bewegt, seit Shale sie in einen Tiefschlaf versetzt hat. Ich war allerdings erleichtert, als sie das tat, denn die Mutter Konfessor hat sich vor Schmerzen fürchterlich gewunden. Es hat mir selbst wehgetan, sie in solchen Qualen zu sehen. Wenigstens atmet sie jetzt ein wenig unbeschwerter.«

Richard nickte, wandte sich dann wieder Kahlan zu. Er drückte ihr Kinn nach unten, bis ihr Mund aufklappte. Mit dem Daumennagel knipste er den unteren Teil der Pfahlwurzel ab. Ein Tropfen des milchig weißen Saftes landete auf ihrer Wange, ehe es ihm gelang, die Wurzelspitze über ihren Mund zu halten. Während er die Pflanze mit einer Hand über sie hielt und die milchige Flüssigkeit langsam in ihren Mund tropfen ließ, nahm er den Tropfen mit einem Finger auf und strich ihn auf die Innenseite ihrer Unterlippe.

Sie war zwar immer noch nicht bei Bewusstsein, aber nach dem Kontakt mit der milchigen Flüssigkeit bewegte sich Kahlans Zunge. Als das Tröpfeln schließlich verebbte, drückte Richard Kahlans Unterkiefer nach oben, um ihren Mund zu schließen. Er wusste, sie musste es in ihren Magen bekommen, und war daher erleichtert, als er sie schlucken sah.

Nachdem sie ein paar Mal geschluckt hatte, öffnete er ihren Mund erneut und brach die Pfahlwurzel in der Mitte durch. Dabei trat erneut Flüssigkeit aus und tropfte in ihren Mund. Als sie endgültig versiegte, schloss er abermals Kahlans Mund, bis sie schluckte, öffnete ihn dann erneut und brach die Wurzel am Übergang zu ihrem grünen Stängel ab. Sofort begann aus der übrigen Pflanze, ein noch reichhaltigerer, dickerer Ausfluss hervorzusickern. Jetzt begriff er, wieso Shale davon gesprochen hatte, es müsse eine frische Pflanze sein. Ein totes und vertrocknetes Exemplar besäße nicht diesen milchigen Saft.

Nachdem auch dieser Ausfluss verebbte, zerdrückte er die Pflanze nach und nach mit seiner Hand und presste so viel Flüssigkeit heraus wie möglich. Als er sicher zu sein glaubte, dass auch das Tröpfeln beendet war, gab er Cassia die ausgepresste Pflanze.

»Bringt das zu Shale. In der Pflanze ist möglicherweise noch etwas Saft, den sie der Medizin beigeben kann, die sie gerade herstellt.«

Cassia nickte und lief los, um der Zauberin die zerdrückte Pflanze zu bringen.

Während Shale den kochenden Trank zubereitete, legte Richard sich neben Kahlan, um sie warm zu halten. Sanft strich er ihr mit der Hand über ihren gewölbten Bauch und hoffte, dass sie wusste, wer bei ihr war. So sehr er sich auch wünschte, wach zu bleiben, war er doch erschöpft, nickte kurz darauf ein und sank in einen unruhigen Schlaf.

Er hatte noch nicht lange geschlafen, als er Shale zu einigen der Mord-Sith sprechen hörte. Er richtete sich auf und rieb sich die Augen. Das kurze Nickerchen hatte nicht im Mindesten dazu beigetragen, seine Erschöpfung zu vertreiben. Neben ihm auf dem Boden saß Vika und wachte über ihn und Kahlan. Ihm war klar, dass sie ebenso müde sein musste wie er selbst.

»Warum legt Ihr Euch nicht hin und schlaft ein wenig?«

»Werde ich«, antwortete sie. »Aber erst, nachdem die Mutter Konfessor die Medizin bekommen hat, die Shale gerade zubereitet.«

Er sah zu Shale hinüber, die sich, neben dem Feuer hockend, über den Kessel beugte, den sie auf den Boden gestellt hatte, und unablässig in dem Sud rührte. Sie zog den Stock heraus und ließ das Gebräu herabtropfen, um seine Konsistenz zu prüfen, stippte ihren kleinen Finger hinein, um zu sehen, ob es bereits genug abgekühlt war. War es offenbar. Sie erteilte einer der Mord-Sith einen Befehl. Sofort erhob sich Vale, eilte zu einer der Satteltaschen und wühlte darin herum, bis sie ein Tuch zum Vorschein brachte.

Shale forderte Nyda und Vale auf, es an allen vier Ecken festzuhalten, schüttete dann den Kessel mit der Flüssigkeit in das Tuch, um diese durchzuseihen und in eine Blechtasse tropfen zu lassen, die sie auf den Boden gestellt hatte. Kaum war sie größtenteils durchgesickert, nahm sie das Tuch und schlang es mehrmals umeinander. Mit vor Anstrengung verzogener Miene presste sie den gesamten Rest der Flüssigkeit heraus.

Das erledigt, warf sie das Tuch mitsamt Inhalt ins Feuer. Blaue und grüne Flammen sowie glimmende Funken schossen über dem Tuch empor, als es verbrannte und die Bäume überall ringsum in zuckendes farbiges Licht tauchte.

Nachdem sie sich des Filtertuchs entledigt hatte, nahm sie die Tasse auf und eilte hinüber zu Kahlan. Auf deren anderer Seite kniete sie nieder und setzte die Tasse ab, ehe sie Kahlan eine Hand an die Stirn legte und auf Fieber prüfte.

»Gut. Ihr Fieber ist gefallen«, sagte sie zu Richard. Sie gestikulierte. »Setzt sie für mich auf.«

Vorsichtig schob er einen Arm unter ihre Schultern und hob sie hoch. Kahlans Kopf fiel schlaff zur Seite. Shale richtete ihren Kopf, legte dann, die Daumen über ihren Augen, ihre Finger an Kahlans Schläfen und murmelte mit leiser Stimme eine Art Sprechgesang. Richard konnte die Worte nicht gut genug hören, um sie zu verstehen. Aber selbst wenn er sie mitbekommen hätte, hätte er ihre Bedeutung vermutlich nicht verstanden. Er nahm an, dass es sich um irgendeinen Zauberinnen- oder sogar Hexenbann handelte. Zauberinnen, und wahrscheinlich auch Hexen, verließen sich oft auf Banne.

Was immer es war, es bewirkte, dass Kahlan gemeinsam mit Shale tief und schnaufend durchatmete. Richard fiel auf, dass Shale ihre Atmung für einen Moment mit der Kahlans in Einklang gebracht hatte. Schließlich zog die Zauberin ihre Hände zurück, und Kahlan schlug die Augen auf.

Vor Überraschung zuckte Richard leicht zusammen. »Kahlan!« Er war ganz aufgeregt, sie wach zu sehen. »Wie fühlst du dich?«

Die Zauberin machte eine wegwerfende Handbewegung. »Sie kann Euch nicht hören. Sie befindet sich noch immer an diesem tiefen Ort. Ich möchte nur nicht, dass sie sich verschluckt oder gar ertrinkt, wenn ich ihr den Trank verabreiche.«

Und tatsächlich, Kahlan schien vollkommen unansprechbar. Obwohl sie die Augen offen hatte, schien sie nichts zu sehen. Trotzdem, der Anblick ihrer grünen Augen machte Richard Hoffnung. In ihnen war Leben, und das bot Anlass zu Zuversicht.

Während er Kahlan stützte, führte Shale die Blechtasse mit dem milchigen Trank an ihre Lippen. Sie schüttete sie ihr langsam in den Mund, und Kahlan begann zu trinken. Es dauerte eine Weile, bis sie alles ausgetrunken hatte. Schließlich setzte Shale die Tasse ab und bedeutete Richard, sie wieder hinzulegen. Er tat es, und Kahlans Augen fielen wieder zu.

Shale erhob sich und stieß einen erschöpften Seufzer aus. »Jetzt müssen wir das Mutterkraut seine Arbeit machen lassen – sowohl das, was Ihr ihr gegeben habt, als auch meinen Heiltrank. Sobald er seine volle Wirkung entfaltet hat und diese stark genug ist, wird sie von selbst aus dem Tiefschlaf erwachen und wieder ganz in der Welt des Lebens sein. Lasst sie bis dahin ruhen. Heute Abend entscheidet sich, ob sie diese Prüfung übersteht oder nicht. Bis dahin müssen wir alle schlafen, damit wir den morgigen Tag überstehen können.«

Richard hatte nichts dagegen einzuwenden. Er nickte, und Shale begab sich zu ihrem nahen Bettzeug. Sie sah erschöpft aus. Das war auch Richard, allerdings sorgte er sich, die Medizin könnte womöglich gar nicht wirken. Er hatte entsetzliche Angst, dass er Kahlan in dieser Nacht verlieren könnte. Immerhin schien sie friedlich zu schlafen. Mehr Angst machte ihm, dass sie womöglich auf ewig friedlich bei den Gütigen Seelen ruhen könnte.

Er beugte sich über sie. »Das Leben ist ein Kampf«, sagte er leise. »Kämpfe für mich, für uns und unsere Kinder.«

Als er zu Ende gesprochen hatte und sich wieder aufrichtete, berührte Cassia ihn an der Schulter. »Heute Nacht werden Berdine und ich über sie wachen. Ihr und Vika benötigt dringend etwas Schlaf.«

Richard mochte nicht schlafen. Nicht etwa seine bessere Einsicht, nein, seine Erschöpfung war es, die ihn sich neben Kahlan niederlegen ließ. Er gab ihr einen Kuss auf die Wange und nahm dann ihre Hand in seine.

6

Richard hatte einen wundervollen Traum, in dem Kahlan ihn küsste. Wie stets schien ihm das Gefühl ihrer weichen Lippen auf seinen die weibliche Hälfte des Universums zu erschließen. Es war die tiefgreifende Erfüllung seines Daseinszwecks. Es machte ihn zu einem ganzen Menschen.

Während er sie küsste, ließ ihn etwas die Augen aufschlagen. Schlagartig wurde er sich bewusst, dass dies kein Traum war.

Obwohl es noch nicht dämmerte, war zu erkennen, dass der Himmel im Osten bereits ein wenig heller wurde. Ihr Haar war herabgefallen und schmiegte sich um sein Gesicht. Der flackernde Schein des Feuers verlieh ihrem Antlitz einen warmen Glanz, als sie zurückwich und ihn mit jenem strahlenden Lächeln anblickte, das er so gut kannte.

»Du hast so friedlich geschlafen, da wollte ich dich nicht wecken.« Ihr verschmitztes Lächeln wurde breiter. »Aber ich konnte nicht widerstehen, dich zu küssen.«

Richard stieß einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus. Er umarmte sie und zog sie fest an sich. »Wie fühlst du dich?«

Sie verzog scherzhaft den Mund. »Ziemlich gut, jetzt, nachdem ich einen Kuss bekommen habe.«

»Nein, ich meinte alles andere.« Er musterte sie skeptisch. »Geht es dir gut?«

Sie zuckte die Achseln. »Eigentlich fühle ich mich überraschend gut. Ich glaube, ich hatte einen fürchterlichen Albtraum. Es war, als würde ich für immer an einem weit entfernten Ort schlafen. Ich wollte nicht dort sein. Im Schlaf meinte ich dich sagen zu hören, das Leben sei ein Kampf, und ich solle für dich, für uns und unsere Kinder kämpfen. Also habe ich das getan und bin aufgewacht.«

Als Shale sah, dass Kahlan wach war und sich aufgerichtet hatte, warf sie ihre Decke zur Seite und kam um das Feuer herumgeeilt. »Mutter Konfessor! Ihr seid wach. Wie fühlt Ihr Euch? Versucht nicht aufzustehen. Habt Ihr Schmerzen? Tut Euch irgendetwas weh?«

Kahlan versuchte, sich aufzusetzen, während Shale sie wieder hinunterzudrücken versuchte. »Ich fühle mich tatsächlich wie nach einem langen und erholsamen Schlaf. Es geht mir ausgezeichnet.« Als die Mord-Sith herbeigeeilt kamen und sie umringten, runzelte sie die Stirn. »Wieso benehmen sich alle so sonderbar?«

»Du erinnerst dich nicht?«, fragte Richard.

Kahlan, halb lächelnd, zog ein Gesicht. »Nein. Woran denn?«

»Ihr … hattet Probleme mit Eurer Schwangerschaft«, sagte Shale.

Schlagartig wurde Kahlan aschfahl im Gesicht. »Was?«

Die Zauberin winkte ab, um die Angst aus Kahlans plötzlich bleichem Gesicht zu vertreiben. »Nein, im Augenblick ist alles in Ordnung. Lord Rahl hat eine Pflanze gefunden, und die hat Euch geheilt. Eigentlich war es keine große Sache. Ihr wart erschöpft und brauchtet ein wenig Medizin und Ruhe, also habe ich Euch geholfen einzuschlafen. Seid unbesorgt, jetzt ist alles bestens.«

Skeptisch musterte Kahlan all die Gesichter, die sie beobachteten, während sie mit der Hand über die Wölbung ihres Bauches strich. »Seid Ihr sicher?« Sie warf einen Blick unter die Decke. »Wo sind meine … Beinkleider?«

Als alle für einen Moment verstummten, ergriff Rikka schließlich das Wort. »Ich habe sie für Euch gewaschen, Mutter Konfessor. Und sie am Feuer getrocknet. Sie liegen bereit, wann immer Ihr sie haben wollt.«

»Ich habe Frühstück gemacht«, verkündete Berdine strahlend. »Ich dachte, wenn Ihr aufwacht, würdet Ihr hungrig sein. Wir haben frischen Fisch und Kaninchen. Was mögt Ihr lieber? Ich muss gestehen, ich finde das Kaninchen am besten.«

»Nun, ich habe tatsächlich ziemlichen Hunger. Fisch klingt gut.« Sie neigte den Kopf, um aus dem Anbau nach draußen zu sehen. »Sieht so aus, als hätte sich das Wetter nicht gebessert.«

Richard sah nach draußen. »Wenigstens schneit es hier unten nicht. Und glücklicherweise regnet es auch nicht mehr. Jedenfalls im Augenblick nicht. In diesen Bergen kann das Wetter von einem auf den anderen Augenblick umschlagen, trotzdem glaube ich nicht, dass es in nächster Zeit sehr viel besser werden wird.«

»Na ja«, meinte Kahlan, »wenn ich meine Kinder in der Burg der Zauberer bekommen soll, werden wir uns Richtung Süden halten und einen Weg finden müssen, diese Berge zu umgehen.«

»Nach Süden zu gehen wird nicht möglich sein«, erklärte Shale mit gerunzelter Stirn. »Nicht mit dieser Grenze, dieser Mauer des Todes.«

»Die Grenze …« Kahlans Stirn zuckte leicht, als sie sie mit der Hand berührte. »Richtig. Anscheinend habe ich ganz vergessen, dass wir in die Grenze hineingelaufen sind …«

»Lord Rahl hat einen Pfad entdeckt, der zu einem Pass über das Gebirge führt«, sagte Vika und hoffte, damit Kahlans plötzliche Besorgnis zu zerstreuen.

Kahlan fiel die Kinnlade herunter. »Einen Pfad über einen Pass? Das würde ja bedeuten, dass die Grenze keine Rolle spielt und wir das Gebirge an dieser Stelle überqueren können. Was uns auf direktem Weg nach Aydindril bringen würde.« Voller Hoffnung sah sie auf. »Wenn es einen Pass gibt, könnten wir die Berge sofort überqueren. Das würde unseren Weg deutlich verkürzen.«

»Je eher, desto besser«, sagte Shale. »Ihr werdet ja nicht weniger schwanger werden. Mir wäre bedeutend wohler, wenn wir nicht hier draußen in der Wildnis wären, sobald es Zeit wird für die Niederkunft.«

Kahlan schien noch immer leicht verwirrt. »Es geht mir also gut? Die Zwillinge sind wohlauf? Hatte ich denn irgendwelche Schwierigkeiten?«

Ein paar der Mord-Sith wechselten Blicke untereinander. Alle merkten, dass Kahlan sich nicht erinnerte, was geschehen war. Richard sah keinen Grund, ihr zu erklären, wie nahe sie einem Verlust der Ungeborenen, geschweige denn ihres Lebens gekommen war. Das Wissen um den Ernst der Situation würde sie nur unnötig aufregen. Dem Ausdruck auf den Gesichtern der anderen nach schien keiner dies für eine gute Idee zu halten.

Unvermittelt setzte Berdine ein strahlendes Lächeln auf. »Lord Rahl hat eine Pflanze gefunden, die Euch gesund gemacht hat.«

Kahlan sah zu ihm hinüber und legte ihm eine Hand auf die Brust. »War das irgendein Problem?«

»Überhaupt nicht«, meinte Vika hinter Richards Rücken.

Anders als die anderen, war Richard über den Pass gar nicht so glücklich. Alles schien sich dazu verschworen zu haben, sie an genau dieser Stelle zur Überquerung der Berge zu zwingen. Irgendjemand steckte hinter jenem merkwürdigen Wald, in dem sie so viel Zeit verloren hatten. Irgendjemand hatte sich seiner Fähigkeiten bemächtigt und sie dazu benutzt, diese Grenzen zu errichten. Kahlan hätte beinahe eine Fehlgeburt gehabt, weshalb er eine überaus seltene Pflanze hatte finden müssen, um sie und die Ungeborenen zu retten. Ganz zufällig gab es oben an dem Gebirgspfad, auf den sie, ohne es zu wollen, gestoßen waren, ein paar dieser überaus seltenen Mutterkrautgewächse.

Wer immer im Verborgenen hinter den jüngsten Vorfällen steckte, schien entschlossen, sie in diese Berge hinaufzulocken. Und ganz zufällig gab es dort einen alten Pfad, den sie nehmen konnten.

»Ich denke, sobald wir etwas gegessen haben, sollten wir aufbrechen«, erklärte er. »Unmöglich zu sagen, wie lange dieser Wetterumschwung anhält. Es wäre gut, ein Stück voranzukommen, solange wir die Gelegenheit dazu haben.«

Sie zeigte ihm kurz ein Lächeln. »Sehr gern. Je eher wir nach Aydindril kommen, desto besser. Ich fühle mich bestens ausgeruht. Für eine kleine Reise wäre ich durchaus zu haben.«

»Ich fürchte, die Reise wird beschwerlich werden«, warnte sie Richard. »Der Aufstieg von hier zum Pfad ist anstrengend, und der Pfad selbst ist auch nicht eben einfach. Ich befürchte zudem, den Pfad hinauf und über den Pass werden wir unmöglich die Pferde mitnehmen können.«

»Na ja«, meinte sie fürsorglich. »Wahrscheinlich werden sie ihre Freiheit genießen. Ich bin sicher, sie werden froh sein, dass sie uns und unsere ganze Ausrüstung nicht länger tragen müssen.«

Richard schmunzelte. Stets versuchte Kahlan, die Dinge positiv zu sehen. Er war sicher, sie machte sich Gedanken über das, was vor ihnen lag, wollte sich ihre Sorge aber nicht anmerken lassen. Als Mutter Konfessor war sie stets bemüht, alle bei Laune zu halten. Richard fühlte sich nicht annähernd so positiv. Angesichts ihres schwangeren Zustands würde es zu Fuß eine anstrengende Reise werden.

Schlimmer noch, er war sich sicher, dass sie von einer unsichtbaren Hand gelenkt wurden.

7

Dicke Schneeflocken trieben durch die stille, kalte Luft und lösten sich auf, sobald sie mit Richards Gesicht oder Handrücken in Berührung kamen. Über dem Pass schienen dunkle, brütende Wolken regungslos am Himmel zu stehen und tauchten den Tag in trübes Licht. Richard vermochte gerade eben den Geruch von Holzrauch wahrzunehmen. Sie alle lagen in einer Reihe bäuchlings in dem frisch gefallenen Schnee, die Köpfe gerade so weit angehoben, dass sie über den Rand des Kamms linsen und in die Ferne spähen konnten. Was er dort sah, gefiel ihm überhaupt nicht.

»Wieso sollte es hier, in dieser Höhe, einen solch merkwürdigen Ort geben?«, fragte Rikka.

Nyda nahm den Weidenzweig, auf dem sie untätig herumgekaut hatte, aus dem Mund. »Vielleicht ist es ja so etwas wie ein glücklicher Zufall.«

»Das ist kein glücklicher Zufall«, widersprach Kahlan, eindeutig ebenso unglücklich über das, was sie alle dort in der Ferne sahen.

»Wieso nicht?«, fragte Nyda. »Ein Dach über dem Kopf, Wärme, Essen, Ruhe. Klingt für mich durchaus wie ein glücklicher Zufall. Was könnte daran verkehrt sein?«

»Es ist eine Falle«, bemerkte Richard, mit den Gedanken woanders, während er in die Ferne spähte. »Das ist daran verkehrt.«

Nyda nahm ihr Stöckchen wieder in den Mund, ließ sich ein Stück den schneebedeckten Hang hinabgleiten und entfernte sich ein wenig von dem Kamm, um sich aufsetzen zu können, ohne Gefahr zu laufen, von irgendjemandem dahinter gesehen zu werden. Sie stemmte einen Stiefel gegen einen Birkenstamm, um ihre Rutschpartie zu stoppen. »Meint Ihr wirklich?«

»Alles, was passiert ist, hat uns hierher, auf diesen Pfad geführt, ohne Alternative«, stellte Vika mit offenkundigem Unbehagen fest, während sie wie die anderen in die Ferne spähte. »Glaubst du wirklich, wir sind bloß zufällig auf diesen Ort gestoßen?«

Nyda seufzte. »Vermutlich nicht.«

»Dies ist die Falle, die uns angezogen hat, seit wir den Palast des Volkes verlassen haben«, sagte Richard.

Einen listigen Ausdruck im Gesicht, ließ Nyda ihren Strafer in die Hand schnellen. »Vielleicht sollte ich mal nachsehen gehen.«

»Keine gute Idee«, bemerkte Vika.

Nyda ließ den Strafer fallen und ihn an der goldenen Kette um ihr Handgelenk baumeln. Wieder nahm sie den Zweig aus dem Mund. »Wieso nicht? Eine Mord-Sith wäre vielleicht genau richtig, um da oben für die entsprechende Stimmung zu sorgen und unser Glück zu drehen.«

Vika sah über ihre Schulter. »Das Gesetz der Neun, schon vergessen? Wir müssen alle neun zusammenbleiben.«

»Vika hat recht«, murmelte Richard, während er nach Anzeichen von Menschen Ausschau hielt. Er war sicher, dass die Goldene Göttin immer noch nach ihnen suchte, weshalb er nicht wollte, dass womöglich irgendjemand dort draußen sie bemerkte. Unmöglich zu sagen durch wie viele Augen die Goldene Göttin auf ihrer fieberhaften Suche nach ihm und Kahlan Ausschau hielt.

Die ferne Ortschaft drüben, jenseits der dichten Nutzholzschonung, war in unmittelbarer Nähe des Passes erbaut worden und erstreckte sich über die gesamte Distanz von einem hoch aufragenden Felsvorsprung zum anderen. Manche Gebäude stapelten sich scheinbar ungeplant und zufällig übereinander, sodass der Eindruck entstand, sie suchten gemeinsam vor den Elementen Schutz. Auf diese Entfernung war es schwer zu sagen, aber wie es aussah, hatte man quer über den gesamten Pass eine Steinmauer errichtet, die den Weg komplett versperrte. Er nahm an, dass sie möglicherweise einfach deshalb so angelegt worden war, um die Beschaffenheit des Geländes zu nutzen. Sein Bauchgefühl sagte ihm jedoch, dass mehr dahintersteckte.

Die mächtige befestigte Ortschaft erhob sich unmittelbar hinter der Steinmauer. Die Mauer selbst war so hoch, dass sie manche Baumwipfel überragte. Die Baumgrenze und das kahle Gelände oberhalb überblickten die Ortschaft von beiden Seiten des weiten Passes.

Soweit er dies sagen konnte, führte der einzige Weg über den Pass durch die ummauerte Festung. Er hatte Mühe, sich den Grund für eine Festung an einem derart entlegenen Ort vorzustellen. Natürlich bestand die Möglichkeit, dass es eigentlich gar keine Festung war, sondern nur aus der Ferne so aussah. Doch wieder sagte ihm sein Bauchgefühl, dass dem nicht so war.

Innerhalb der quer über den Pass errichteten Mauer und jenseits des Durcheinanders aus Gebäuden konnte er ein deutlich größeres und eindrucksvoller aussehendes Gebäude ausmachen. Es sah aus, als ob es aus blassfarbenem oder weißem Stein erbaut sein könnte.

Das Leben musste schwierig sein an einem solch entlegenen Ort. Im Grunde genommen, war es eine sonderbare Stelle für jedes gewaltige und zentral emporragende Bauwerk.

Seiner Einschätzung nach konnten in dieser Ortschaft bestenfalls ein paar Tausend Menschen leben. Der Geruch von Holzrauch verriet ihm, dass der Ort nicht verwaist war. Und wenn er nicht verlassen war, konnte sich die Goldene Göttin der dort lebenden Menschen bedienen, um sie zu erspähen und letztendlich anzugreifen.

Leider führte der einzige Weg über den Pass durch diese befestigte Ortschaft.

Kahlan legte ihm eine Hand auf den Arm. »Das gefällt mir nicht. Wie du sagst, es ist eine Falle. Alles was passiert ist, seit wir den Palast des Volkes verlassen haben, hat uns exakt hierhergeführt.«

Richard nickte. »Ich fürchte, du hast recht.«

Sie wälzte sich ein wenig zur Seite. »Und was werden wir dagegen tun?«

In der Mitteldistanz, auf dem Pfad, der zwischen den schneebedeckten Bäumen und den aus der dicken weißen Schneedecke herausragenden Felsen hindurchführte, konnte er jenseits einer weiteren verschneiten Anhöhe gerade eben die Spuren eines großen Berglöwen erkennen. Die Frage, ob es sich um denselben handelte, dem er und Vika auf der Suche nach dem Mutterkraut begegnet waren, musste er sich gar nicht stellen.

»Tja«, meinte er schließlich, »Zedd hat mir einmal erklärt, man sollte niemals aus freien Stücken in eine Falle laufen.«

Shale warf ihm einen finsteren Blick zu. »Ist das auch wieder eins von diesen Gesetzen der Magie?«

Richard erwiderte den Blick und zeigte ihr ein schiefes Lächeln. »Wenn nicht, sollte es eines sein.«

»Mehr hatte Zedd nicht dazu zu sagen?«, wollte Kahlan wissen.

»Tatsächlich«, sagte Richard, »lautet der zweite Teil ›es sei denn, man hat keine andere Wahl‹.«

»Tja, schätze, das geht durch als ›es sei denn, man hat keine andere Wahl‹.«

Alle wandten sich herum, um in die grauen Wolken zu blicken, als Donnergrollen durch die Berge echote. Die tief hängenden Wolkenfetzen, die heraufzogen, verdunkelten die höher gelegenen Gipfel und verhießen ihrem Aussehen nach schlechtes Wetter.

»Ich bin in solchen Bergen aufgewachsen«, sagte Vika. »Donner und Schnee im Hochgebirge sind eine besorgniserregende Kombination.«

»Was sollen wir also tun?«, fragte Kahlan, Vikas Bemerkung ignorierend. Sie wurde sichtlich ungeduldig. »Ich halte nichts davon, in eine Falle hineinzulaufen. Jemand hat es auf meine Kinder abgesehen, und ich habe nicht die Absicht, einfach dort hineinzuspazieren und sie mir wegnehmen zu lassen. Aber mir ist kalt, und ich möchte diese Berge hinter mir lassen und hinunter nach Aydindril, wo es wärmer ist. Wir können hier nicht ewig liegen und den Ort beobachten.«

Richard atmete lange aus. Die aufkommende Brise trug seine Atemwolke davon, während er ihre grünen Augen taxierte. »Einverstanden.« Er zeigte ihr ein Lächeln. »Ich habe einen Plan.«

Kahlan hob eine Braue. »Einen guten Plan?«

Er war nicht in der Stimmung, dessen Vorzüge zu diskutieren. Vielmehr war er darauf bedacht, aus dem Weg zu gehen, was immer für eine Falle sie dort oben in der ummauerten Festung erwartete, die den Pass versperrte. Zudem sorgte er sich um den aufkommenden Wind und das näher rückende Wetter. Die vergangene Nacht hatten sie elendig zusammengekauert im Schutz eines hastig zusammengebauten Unterschlupfes aus Kiefernzweigen verbracht, ohne ein Feuer, und dabei ein wenig ihres dahinschwindenden Vorrats aus Trockenfleisch und harten Reisekeksen verzehrt.

»Zunächst einmal«, sagte er, »muss ich wissen, ob du, um zu vermeiden, dass wir in diese Falle laufen, dem beschwerlichen Versuch gewachsen bist, diese Berge zu überqueren.«

Kahlan sah ihn stirnrunzelnd an. »Was schlägst du vor?«

Einen Arm um ihre Schultern, zog Richard sie zu sich heran, sodass sie, an seinem anderen Arm entlangblickend, sehen konnte, wohin er zeigte.

»Siehst du den Einschnitt links vom Pass, unmittelbar bevor der Abhang des übernächsten Berges wieder anzusteigen beginnt? Siehst du, was ich meine?«

Kahlan spähte in die Ferne. »Ich kann es nicht mit Sicherheit sagen. Du konntest immer schon besser sehen als ich. Und du kennst dich in dieser Art Gelände besser aus als ich.«

»Also, dort wo der Berg wieder anzusteigen beginnt, gibt es eine Einkerbung in der Flanke.« Er wies mit einer Handbewegung auf die linke Seite des Passes. »Diese Kerbe liegt höher als der Pass mit der quer zum Pfad errichteten, ummauerten Ortschaft, trotzdem könnte es sich um einen Weg über das Gebirge handeln, ohne dass man den Ort selbst passieren muss. Siehst du? Dort oben, unweit der Baumgrenze.«

»Ich sehe sie«, sagte Shale, die sich auf seiner anderen Seite dazwischendrängte und endlich sah, wovon er sprach.

»Ja, ich sehe sie auch«, meinte Vika.

»Und weiter?«, fragte Kahlan. »Was denkst du?«

»Wie gesagt, es könnte ein Weg über die Berge sein. Eine Möglichkeit, die ummauerte Festung zu umgehen, die quer über den Pass gebaut wurde.«

»Ihr meint, eine Möglichkeit, die Falle zu umgehen?«, fragte die Zauberin.

Richard nickte. »Ja. Ich denke, er könnte uns eine Möglichkeit bieten, nicht in die Falle zu tappen und sie stattdessen geradewegs zu umgehen. Führt er nach drüben, könnten wir vermeiden, gesehen zu werden, vielleicht sogar unser Glück in die eigenen Hände nehmen, das Gebirge überqueren und bis nach Aydindril und anschließend zur Burg der Zauberer weitermarschieren.«

»Worauf warten wir dann noch?«, fragte Kahlan und blies erneut ihren warmen Atem in ihre hohlen Hände.

»Nun, auf deine Zusage, dass du dazu auch imstande bist. Der Aufstieg wird anstrengend sein. Das ist kein Pfad, wir werden uns also selbst einen Weg bahnen müssen. Die Kletterei wird hart werden.«

»Ich bin schwanger«, erwiderte Kahlan, »nicht hilflos. Und ich bin nicht erpicht darauf, hier länger als nötig zu verweilen. Brechen wir auf, solange wir noch Licht haben.«

8

Während sie sich dem steil aufragenden Berg näherten, war die Einkerbung in seiner tiefer liegenden Flanke leichter zu erkennen. Jenseits davon, Richtung Westen, ging soeben die Sonne unter, dorthin mussten sie sich ebenfalls orientieren, und trotz des bewölkten Himmels zeichnete sich die Form des Berges im helleren Licht des westlichen Himmels als Schattenriss ab, sodass der Einschnitt im Fels deutlich auszumachen war.

»Zahlen bedeuten etwas, richtig?«, fragte Berdine, während sie durch den Schnee stapften. »Ich meine, wie das Gesetz der Neun. Ihr sagtet vorhin, Zahlen hätten eine Bedeutung.«

Richard sah über seine Schulter. »Ja, manchmal. Wieso?«

Berdine blinzelte, schützte dann die Augen mit einer Hand und spähte nach oben in den grauen Himmel. »Nun, uns umkreisen dreizehn Raben. Bedeutet das irgendwas? Die Dreizehn?«

»Sie folgen uns schon, seit wir den Pfad verlassen haben«, sagte Richard.

»Tatsächlich? Sie sind mir vorher gar nicht aufgefallen«, sagte Berdine, deren Stimme verstummte, als sie sich umdrehte und nach oben sah. »Aber jetzt, wo sie über uns stehen, fällt mir auf, dass sie im Kreis herumfliegen, während sie uns verfolgen. Also, bedeutet es nun etwas, dass es dreizehn sind?«

Richard stieß seinen Stab prüfend vor sich in den Boden. »Schwer zu sagen. Viele Zahlen haben eine Bedeutung. Einige sind wichtiger als andere. Oft hat das mit den Umständen rund um die Zahlen zu tun, oder auch mit dem Zusammenhang, der einer Zahl Bedeutung verleiht. Allerdings kann ich Euch sagen, dass Raben aberwitzig klug sind und neugierig wie Katzen.«

»Oh«, machte Berdine, die nicht recht wusste, ob das eine Antwort auf ihre Frage war oder nicht. »Ich dachte nur, die Dreizehn bedeutet vielleicht etwas.«

Richard sah über seine Schulter zu der Mord-Sith. Ihre Miene war nicht zu entziffern. Er beschloss, nicht weiter darauf einzugehen und machte sich stattdessen erneut auf.

Wie die anderen war er hundemüde. Das Laufen in tiefem Schnee war Schwerstarbeit. Kahlan ging hinter Vika und versuchte, in deren Fußstapfen zu treten, doch obwohl die vorausgehende Person eine Spur vorgab, bedeutete es noch immer eine zermürbende Anstrengung, das Bein herauszuziehen und in das nächste Loch zu setzen. Er konnte sehen, dass Kahlan kurz davor war, vor Erschöpfung zusammenzubrechen. Gern hätte er haltgemacht und eine Pause eingelegt, wusste aber, jetzt, da sich der Tag dem Ende zuneigte, würde sie so lange wie möglich weitergehen wollen. Erst recht würde sie nicht wollen, dass sie ihretwegen haltmachten.

Noch gab es genug Licht, sodass sie, als sie die Einkerbung erreichten, ihren Weg erkennen konnten. Als sie sich tiefer in den Einschnitt im Berg vorarbeiteten, erhob sich schierer Fels zu beiden Seiten. Es sah aus, als wären Platten ebenjenes Granitgesteins, aus denen der Berg bestand, herausgebrochen und heruntergefallen und hätten dabei jenen Einschnitt hinterlassen, durch den sie sich jetzt einen Weg bahnen konnten. Das zerbrochene Felsgestein bildete schmale, waagerechte Flächen, auf denen sich der Schnee ansammelte und so die weißen Kanten entstehen ließ, die sich von dem grauen Fels abhoben.

Hoch über ihnen, am Himmel zwischen den emporragenden Granitwänden, konnte er die dreizehn Raben kreisen sehen. Es geschah des Öfteren, dass Raben Wanderern in der Hoffnung folgten, kleine Tiere wie etwa Wühlmäuse zu ergattern, die durch die Schritte der Menschen aufgescheucht wurden.

Er bezweifelte, dass diese Raben es auf Wühlmäuse abgesehen hatten.