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"Santa Croce hängt wie ein Schwalbennest am Südhang der Berge, der verbrannten, glühenden Berge. Nur das Silber der Oliven sickert um das Dorf in das heiße Gold der Hänge und wirft ein paar dürftige Schatten über das kahle Kalkgestein." In diesem kargen Dorf unter der Gluthitze Italiens lebt Nina Zeni. Und dort lebt auch Ettore Torino. Dort leben Männer und Frauen, jung und alt, die tags hart arbeiten und in den Nächten dem Wein, der Liebe und dem Gesang frönen. Und nicht nur das Klima ist heiß unter der Sonne Italiens, auch die Menschen sind heißblütig. "Du sollst nicht die Ehe brechen", lautet das sechste Gebot des Alten Testaments. Und wenn man die Gebote Gottes und der Menschen bricht, folgt meist die Strafe auf den Fuß ...Max Geißler (1868–1945) war ein Meister spannender, realistischer Heimat- und Tier-Romane. Geißler absolvierte eine Ausbildung zum Buchhändler, anschließend bekam er eine Anstellung in Frankfurt am Main als Redakteur beim Frankfurter Generalanzeiger. 1899 wechselte er in gleicher Position nach Dresden, wo auch sein Sohn, der spätere Schriftsteller Horst Wolfram Geißler geboren wurde. Nach ersten Erfolgen als Schriftsteller ließ sich Geißler zusammen mit seiner Familie in Weimar nieder. Nach dem Ersten Weltkrieg ging Geißler zurück nach Dresden und von dort aus später nach Capri. Dort starb er am 26. Februar 1945. Bereits im Jahre 1907 erschien von ihm der Roman "Inseln im Winde". Bekannt wurde er vor allem mit seinem Roman "Der Heidekönig" aus dem Jahre 1919.-
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Seitenzahl: 295
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Roman
Saga
Auf der Schwelle ihres Hauses droben in Santa Croce sass Frau Nina Zeni in der Sonne.
Madonna mia, wo soll Nina Zeni sonst sitzen als auf der Schwelle und in der Sonne, wenn sie auf ihrer Brust Seidenraupeneier ausbrütet? —
Santa Croce hängt wie ein Schwalbennest am Südhange der Berge, der verbrannten, glühenden Berge. Nur das Silber der Oliven sickert um das Dorf in das heisse Gold der Hänge und wirft ein paar dürftige Schatten über das kahle Kalkgestein. Die Agaven kleben in den Spalten der Felsen und halten die gewaltigen Leuchter ihrer Blütenschäfte der Sonne entgegen, damit sie die goldenen Flammen daran entzünde. Es muss alles Glut sein um Santa Croce in diesen Tagen des Sommers.
Eigentlich liebte Nina Zeni diese Brände der Julisonne; denn bei so grosser Hitze kann kein Mensch arbeiten — wenigstens in den Häusern von Santa Croce keiner; und darum konnte auch niemand sagen, Nina Zeni wäre allein faul.
Ringsum sangen die Zikaden, und ringsum flackerte die Luft. Und die dicke Nina auf der Schwelle ihres Hauses wartete auf den Wind, ob er nicht bald wieder einmal die steile Berggasse herablaufen und mit den Ringlein über ihrer Stirn oder mit dem schmutzigen Saum ihres verwaschenen Kattunrockes spielen wolle.
Weil der Wind aber nicht kam, rief Nina der Nachbarin ein Wort hinüber, durch das offene Fenster hinein — ein klagendes Wort.
Hinter jenem Fenster des Hauses auf der anderen Seite der Gasse putzte Teresina Margiotta Kupfergefässe. Sie schaute nicht auf, als der wehleidige Ruf zu ihr hereinflatterte wie eine verflogene Bergschwalbe, und liess Nina Zeni jammern. Aber es lauerte ihr doch ein heimliches Lachen in den Augen; denn sie wusste: wenn die breite, faule Nina ihr Klagelied zu Ende gesungen hat, erhebt sie noch einmal die Stimme und schreit in übergrossem Jammer: „O heilige Mutter Gottes, ich habe Hunger und bin über allem Elend so mager geworden wie ein Lampendocht! O heilige Mutter Gottes, wohin soll das noch mit mir kommen!“
So geschah es auch diesmal.
Darum lachte Teresina Margiotta drüben zwischen ihren kupfernen Töpfen ein klingendes Lachen. Das sprang in die enge Gasse, als müsst’ es den Wind aufwecken, der irgendwo unter den Oliven eingeschlafen war.
Es war aber auch wirklich zum lachen: Nina Zeni sass so breit und kugelrund auf ihrer Schwelle, dass eine Bergmaus Mühe gehabt hätte, zwischen Ninas Mitte und dem Türstock sich hindurchzufinden; und Nina Zeni behauptete trotzdem, sie wäre über ihrem Elend mager geworden wie ein Lampendocht!
Als sie Teresina Margiotta so laut lachen hörte, senkte Nina die Lider über die feindseligen Augen, die die Nachbarin gesucht hatten, und sagte zu sich: Teresina Margiotta — was fällt Teresina Margiotta eigentlich ein, in dieser heissen Zeit Tiegel und Töpfe blank zu machen? Sie wird dabei um ihren Verstand kommen, die Teresina. Und warum scheuert sie mit Rohr und Sand? Weil sie ihr schönes Gesicht in dem blanken Kupfer sehen will. In jeder Pfanne an der Wand will sie einen Spiegel haben, die närrische Teresina Margiotta!‘
So redete die faule, kugelrunde Nina auf der Schwelle ihres Hauses mit sich selber und hatte dabei die Hände zwischen ihren Knien gefaltet und die Lider geschlossen. Mochte Teresina Margiotta denken, sie bete!
Übrigens — Teresina Margiotta hatte gut lachen. Ihre Augen hatten einst dem schönsten, wildesten Jungen das Herz verbrannt, der in den Bergen über Santa Croce je Geier jagte: dem Giulio Margiotta.
Nun war er schon dreizehn Jahre ihr Mann und war immer noch verliebt wie ein Tauber.
Da war kaum eins von den Mädchen der Dörfer in den Felsen, das nicht vor mehr als einem Dutzend Jahre heimlich von der Kraft und dem stolzen Mute jenes Jägers geträumt hätte. Alle hatte ihre Hoffnung zu Narren gemacht. Aber die schöne, übermütige Teresina nahm er sich zum Weibe — ausgerechnet die, die sich kaum einmal nach ihm umgeschaut hatte und immer tat, als gäb es gar keinen Giulio Margiotta, dem all ihre Gesellinnen die Hände unter die Füsse gelegt hätten.
Auch heute war er wieder droben auf den zackigen Gipfeln; denn wer sollte sonst in der grauen Dämmerung der Frühe geschossen haben, dort oben, wo die Geier pfeifen? Wer anders als der wilde, schöne Giulio Margiotta?
Und wenn Giulio des Abends heimkehrte und sich hinter dem Hause am Rande des Weingartens den kalten Bergbronnen über die sehnigen Arme und über das kupferbraune Gesicht laufen liess, da sass die schwarze, sternenäugige Teresina neben dem Quell auf dem Stein und hielt das weisse Tuch in ihren Händen, mit dem der Jäger sich trocknen sollte. Dabei sah er sie an, wie einer seine Liebste ansieht und nannte sie coccolina mia! Es war nicht zu glauben! Und — mio nini (mein Schatz!) kicherte die verliebte glückliche Teresina; und ihre Augen waren dabei voll von heissem Verlangen, und auf ihren Lippen lag eine Sehnsucht nach dem Kusse des wilden, herrlichen Giulio.
O, Teresina Margiotta!
Frau Nina Zeni hatte keinen, der ihre Sehnsucht sah.
So zerquälte sie sich das Herz um Teresina Margiotta und um ihre Sternenaugen und um ihren mutigen, schönen Giulio.
Auch in dieser Stunde, in der Teresina allein in ihrem Hause war und Pfannen scheuerte.
Dabei hatte Frau Nina immer die Hände zwischen den Knien gefaltet und die Lider geschlossen, und ihre Lippen bewegten sich wie bei einer Betenden.
Aber in ihrem Herzen dachte sie, wie sie sich der schönen, stolzen Teresina zum Ärger am Tage des heiligen Antonius schmücken wollte — ja, Nina Zeni wollte noch schön sein! Mit bunten Bändern wollte sie sich putzen und mit Perlen und Spitzen, so, wie die Frauen von Sonnino sich putzen — die schönen Frauen von Sonnino, von denen man in der Welt singt und unter denen Nina Zeni jung gewesen war.
Warum hatte sie das Schicksal aus Sonnino verschlagen?
Frau Nina stützte die Ellbogen auf ihre runden Knie und legte die Hände vor ihre geschlossenen Augen. Dann seufzte sie in ihrem komischen Schmerze hinein in diese Hände.
Die schöne Teresina warf einen Blick herüber. „Ei, Nina Zeni, führst du deine Gedanken wieder einmal spazieren wo du jung gewesen bist?“ Teresina kannte die Nachbarin in ihrem Behaben zu genau — sie kannte ihre Eitelkeit, ihren Neid, ihre Eifersucht auf die feuerhaarige Leonetta. Leonetta war Teresina Margiottas Kind. Und Nina Zeni hatte eine fünfzehnjährige Enkelin in ihrem Hause, das war die stille, frühverkümmerte Prisca. Dieser Prisca wünschte Frau Nina die Schönheit der Tochter des Geierjägers.
Wie Nina Zeni nun die Frage Teresinas hörte, die wie eine Schlange zu ihr herüberfuhr, zuckte sie zusammen. Aber sie schwieg und sass regungslos und dachte an das Fiebernest Sonnino ...
Weithin um die altersgraue, kleine Stadt dehnten sich die Pontinischen Sümpfe, wob an Sommerabenden ein blutrotes Leuchten. In den Niederungen, durch die in der heissen Zeit die Fieber krochen, lebten in den Tagen der Blüten und Früchte die Räuber von Sonnino ihr königliches Leben; und die Lieder der Jungen priesen noch heute den Ruhm jener Nonna, die einst mit eigener Hand dem Mörder ihres Verlobten den rächerischen Dolch ins Herz gestossen hatte. Sie war die letzte ihres Geschlechts gewesen, und mit ihr war die alte, starre Formel wohl ins Grab gesunken, mit der man dereinst zu Sonnino im Scheine mitternächtiger Feuer das Gelübde der Blutrache auf sich nahm ...
Mit geschlossenen Augen dachte Nina Zeni lange, lange der Herrlichkeiten ihrer Heimat. Wäre sie dort geblieben, wer weiss, wie freundlich der Stern ihres Glückes dann in dieser Stunde gestrahlt hätte! Vielleicht wäre sie dann längst nicht mehr die verwaiste Frau, die sich mit der Erinnerung an ein karges, flüchtiges Minneglück bescheiden musste.
Es war auch noch gar nicht lange her, seit sie — die fünfzigjährige Nina Zeni in Santa Croce — dem heiligen Antonius von Padua sieben Kerzen und ein grosses silbernes Herz gelobt hatte, wenn er ein Einsehen hätte und ihr zu einem zweiten Liebesfrühlinge verhelfen wolle. Freilich wusste sie nicht, wie sie ihr Versprechen jemals einlösen sollte — wenigstens hinsichtlich des silbernen Herzens. Ach, das Glück ihrer Liebe war kurz gewesen, viel zu kurz für das heisse Herz der damals jungen Ninetta: die Sbirren hatten ihren Mann in den Bergen erschossen. Und er liess ihr nichts als das Kind, nichts als die kleine, fromme, unglückliche Marietta.
Das war vor fünfundzwanzig Jahren gewesen. Aus der schlanken Ninetta war inzwischen eine runde Nina geworden. Die war sie geworden trotz des scheelsüchtigen Schicksals.
Nun, da dies neidische, hartnäckige Missgeschick mit Frau Nina Zeni in Santa Croce weniger zu hadern schien, lebte sie in Faulheit und Sonne ihre Tage dahin. Und über der Wahrnehmung, dass alles Leid der vielen Jahre die kecken Ringlein der Haare um ihre breite Stirne nicht hatte verstauben können, begann ihr Herz versöhnlich zu werden.
Warum sollte Nina Zeni auch nicht mehr hoffen?
War ihr Haar nicht noch schwarz wie das Gefieder der Dohlen, die um das Felskirchlein von Santa Croce kreisten? War ihr Blut nicht noch heiss wie die Gluten des Sommers? Besass sie nicht ein Haus in Santa Croce, ein Nest, in dem sich’s erst zu zweien recht froh sein liess? Warum sollte Nina Zeni also nicht hoffen? —
„Teresina Margiotta,“ pflegte sie zu der schönen glutäugigen Frau des Geierjägers zu sagen, „eine Frau, die die Hoffnung auf Liebe verloren hat, hat auch das Recht auf Liebe verloren; und eine Frau, deren Lippen nicht mehr nach der herben Süsse des Männerkusses dürsten, welkt über Nacht und ist eine entblätterte Rose.“
Das wusste Teresina Margiotta längst.
„Du hast recht, Ninetta!“ sagte sie. „Und deine Lippen, die so schön reden, müssen noch immer so süss sein wie reife Feigen.“
Dabei sah die blankäugige Teresina Margiotta so ernsthaft auf die breite Matrone, dass die keinen Schatten der Falschheit in der sonnigen Helle dieser Augen erkannte, wie forschend sie auch danach suchte; und sie hörte zwischen dem silbernen Falle der Worte nicht das heimliche Lachen des Hohns.
Darum nickte Frau Nina befriedigt und mit einer Anmut, die selbst die graziöse Teresina Margiotta so überraschte, dass sie rief: „O Ninetta, einst bist du schöner gewesen als eine Königin!“
Frau Nina horchte auf. Teresina trat zu ihr.
War da nicht wieder das giftige Zischen der Schlange zwischen den sanften Worten?
„Einst?“ fragte sie lauernd.
„Nun ja, Ninetta, meine liebe dicke Ninetta!“
Dabei glitten Teresinas braune Hände, um deren Gelenke das matte Silber der Armketten klang, kosend über Ninas Wangen. Denn sie wusste: Nina Zenis faule Gutmütigkeit konnte durch ein unbedachtes Wort aufgescheucht werden, und dann konnte die gute, dicke Ninetta eine fürchterliche Löwin sein.
Darum fielen die Worte nun von Teresinas Lippen wie Perlen und fielen als erfrischender Tau über Ninas rundliche Fülle und auf ihr heimliches Hoffen: „Nun ja, Ninetta, meine liebe, schöne Ninetta — einst! Vor Jahren warst du die leuchtende Sonne, und heute bist du schön wie der sanfte Glanz des vollen Mondes, der die Klüfte von Santa Croce erquickt. Ist das nicht so, Ninetta? Und ist das runde Gesicht des Mondes in seiner Milde nicht viel lieblicher als die heisse Schönheit der Sonne?“
So redete Teresina Margiotta mit Nina Zeni.
Es war ganz sommerstill in der Steilgasse des Bergnestes; kaum, dass ein Kind einmal den Weg herniedereilte, kaum, dass ein Hahnenschrei über eine der grauen Mauern sich herüberfand, auf denen der Tag die Kräuter zwischen den Steinen versengte.
Auf einmal — da hallten von unten her Schritte auf den Fliesen der engen steilansteigenden Gasse; die klangen näher, und die plaudernden Frauen hielten den Atem an.
„Hörst du, Teresina?“
„Ich höre, Ninetta.“
„Was meinst du, Teresina?“
„Was soll ich dir sagen? Es werden Fremde sein.“
„Deutsche, Teresina Margiotta! Sie treten auf wie die Bären ...“ behauptete Nina.
„Wer sollte auch sonst um diese Stunde bei lebendigem Leibe sich rösten lassen als ein Deutscher?“ bestätigte Teresina. Dabei hatte sie einen Schritt rückwärts getan und bog sich nun hintenüber, um zu spähen.
Wenn Nina in diesem Augenblicke nicht mit all ihren Sinnen den Unsichtbaren entgegengeeilt wäre — der Neid hätte ihr angesichts dieser schlanken Schönheit Teresinas das Herz gefressen!
Aber sie sah nicht einmal die granatroten Pantoffeln mit den zierlichen Absätzen, die die Frau des Geierjägers an den blossen Füssen trug; und nicht einmal ihr heisser Wunsch, solch niedliche Pantoffeln zu besitzen, war in dieser Stunde rege.
Da schritten die Fremden auch schon unter dem Torbogen hindurch, der bei dem Hause Giulio Margiottas quer über die schmale Gasse sich wölbte, unter jenem Torbogen, in dessen Rissen die Feige wurzelte und von dem hernieder der Ginster im Mai den goldenen Regen seiner Blüten schüttete.
Es war ein Paar hochgewachsener schöner Menschen, die nun langsam und mit allen Zeichen der Erschöpfung näher kamen. Die qualvolle Glut der Felsensteige um Santa Croce lastetete auf ihnen. Der Mann trug einen schwarzen Vollbart und war für seine Schlankheit fast zu schmal; oder die Fülle des Bartes täuschte über die Zahl seiner Jahre. In der Hand trug er einen grauen Schlapphut.
Um die Stirne der Frau zogen sich die sanft gewellten Scheitel eines seidenweichen Haares, so weich und golden, dass die Blicke der Frauen von Santa Croce in den folgenden Tagen von weiter nichts reden würden — dachte Teresina Margiotta — als von der seidenen Flut über den Schläfen der deutschen Signora.
In schlechtem Italienisch — natürlich; denn er war ein Deutscher! — fragte der Mann Teresina Margiotta:
„Ist eine Wohnung für uns in Santa Croce?“
„Es ist kein Hotel hier, Herr.“
Der Fremde wehrte ab:
„Nicht so! Wir möchten für immer hier sein oder wenigstens für lange Zeit. Sind nicht ein paar Zimmer zu ermieten? Na, wie steht das?“ drängte er ungeduldig.
Während Teresina die Schultern zog und nicht recht wusste, welche Auskunft sie erteilen sollte, hatte Nina Zeni die Gunst der Stunde mit scharfem Blick erkannt und richtete sich auf. Nina Zeni stand ganz allein auf!
„Teresina Margiotta,“ gebot sie, „was stehst du, und warum läufst du nicht? Schöpfe frisches Wasser, Teresina, und bring es in mein Haus, damit sich die Herrschaften kühlen und davon trinken. Eil dich, Teresina Margiotta!“
Und so gebieterisch streckte die kugelrunde, faule Frau Nina ihren blossen Arm aus, und so herrisch war ihr Blick, dass Teresina Margiotta nicht einen Augenblick zögerte, alles zu tun, was die Nachbarin wünschte.
Während der Schlag ihrer roten Pantoffeln auf den Steinfliesen verklang, weil Teresina mit dem Kruge zum Brunnen lief, lud die blossarmige Frau Nina, die sich das Hemd über der Brust zusammengezogen hatte, die Fremden ein, in ihr Haus zu treten.
Sie schüttete eine Flut von Entschuldigungen über sie aus und erkannte dennoch an vier hilflosen Augen, die sich ängstlich an ihre geschäftigen Lippen hingen, dass ihre Worte fast unverstanden blieben.
Aber unerschöpflich sprang der Quell ihrer Rede — und wenn sich ihr Mund nicht verständlich machen konnte, die Beredsamkeit ihrer Hände und Arme versagte nicht.
Und so sprach Nina Zeni, während sie die Fremden auf eine zerrissene Polsterbank komplimentierte:
„Es ist sehr heiss heute, und es ist besonders heiss in Santa Croce. Aber es ist schön in Santa Croce, schön im Schatten der Berge, schön wenn die dunkelblauen Früchte im Silber der Oliven reifen, schön wenn die goldenen Limonen gepflückt werden. Allein — Fremde können in Santa Croce einzig bei Nina Zeni wohnen; denn es kommen nur selten Fremde her, weil ihnen die Wege zu steil sind; darum richten sich die Leute von Santa Croce nicht für sie ein. Aber Nina Zeni hat ein Zimmer, — in ganz Santa Croce niemand als Nina Zeni.“
Sie nannte rasch einen bescheidenen Wochenpreis; denn draussen hörte sie schon wieder den raschen, leichten Schlag der roten Pantoffeln Teresina Margiottas.
Mit fragenden, schier ängstlichen Blicken suchte sie den Fremden ihr Einverständnis von den Stirnen zu lesen.
Da trat Teresina mit einem Glaskruge frischen Wassers in das Haus, über den sich die Kälte des Bergbrunnens als ein Hauch von mattem Silber gelegt hatte.
„Teresina Margiotta,“ schrie Nina Zeni und nahm der Frau den Krug aus der Hand, „lauf, Teresina, und bringe Gläser. Was meinst du, Teresina, hältst du es für möglich, dass die Prisca die Gläser staubig auf dem Brette stehen hat? Und heute! Und die flinke, saubere Prisca!“
Die schöne Frau des Geierjägers hatte die Nachbarin längst durchschaut. Was dachte diese Nina denn eigentlich? Sollte sie — Teresina Margiotta — der paar Lire wegen diesen hergelaufenen Fremden dienen? Wenn Nina Zeni Lust dazu hatte — nun gut. Aber sie, die Frau des Geierjägers! Frau Nina war in ihrer Armut und Geldgier komisch.
Immer noch gehorsam, nun aber mit einem unzweideutigen Lachen, wandte sich Teresina Margiotta auch diesmal, während Frau Nina mit Ungeduld auf die Antwort der Deutschen wartete. Dabei horchte sie immer hinaus, ob die flinke, schöne Teresina etwa schon wieder auf dem Wege sei. O, wenn die wüsste, wie unerschöpflich viel Geld diese Fremden haben, sie würde nie zugeben, dass die beiden in dem armen, kleinen Hause der Nina Zeni eine Stube mieten.
Während Nina die Fremden in das geräumige Zimmer geleitete, das um so geräumiger schien, als es ausser den zwei Betten nur die allernötigsten Dinge enthielt, sagte sie: „Es soll Ihnen gefallen im Hause der Nina Zeni! Wenn nur erst die Prisca aus der Vigna von den Bergen zurück sein wird! Heute abend kommt sie; sie soll nun auch nicht mehr fortgehen, sondern soll immer lauschen, ob die Herrschaften einen Wunsch haben. O, es wird Ihnen gefallen in Santa Croce!“
Dabei horchte sie hinaus und tat so, als könne Prisca jeden Augenblick von der Arbeit heimkehren und auf die Wünsche der Fremden warten.
„Prisca! Prisca!“ rief sie in ihrer beweglichen Hast einmal in die schmale Gasse hinauf und wusste doch, Prisca Zeni war heute weiter denn eine Wegstunde entfernt, und Prisca ahnte gar nicht, welche Geschäftigkeit die gute, dicke Nina daheim überkommen hatte.
Überdem dachte Nina auch daran, dass ihre dürftige Kleidung, die lediglich in Rücksicht auf die sengende Sonnenglut gewählt worden war, die Fremden in Verwunderung setzen könne. Sie warf sich deshalb ein schwarzes Spitzentuch über die Schultern und verengerte mit einem leisen Seufzer den Bund des Rockes über den Hüften. Dann lehnte sie die grünen Läden an, sorgte für ein Handtuch und ging hinaus.
Als sie wieder in der Haustüre stand und hinübersah, wo Teresina Margiotta nun doch neugierig am Fenster erscheinen musste, strahlte Nina Zeni in stolzem Glück.
Diesen Tag ihres Lebens hielt sie für wichtiger als jenen, an dem man ihr einst ihren lieben toten Antonio mit blutiger Stirne aus den Bergen von Santa Croce herabgetragen hatte; denn heute hatte ihre Klugheit die Schönheit Teresina Margiottas besiegt — bildete sie sich ein. Was als unmöglich galt — der dicken, verschlagenen Nina Zeni war es gelungen!
Und Teresina Margiotta erschien nach einer Weile wirklich am Fenster bei dem Torbogen, in dem die Wildfeige wurzelte, und — putzte Pfannen.
Über diese Gleichgültigkeit ärgerte sich Nina, tat noch hochmütiger und rief hinüber: „Na, Teresina Margiotta, was sagst du nun?“
„Was soll ich dir sagen?“
„Teresina Margiotta, wir werden nun nicht mehr arbeiten und werden nicht mehr hungern müssen, wie die armen Leute in Santa Croce! Und Prisca wird schöne Kleider tragen, Teresina, und ...“
Teresina Margiotta hatte wieder das heimliche Lachen, an dem sich Nina das Herz vergiftete.
Sonst antwortete sie auf dieses niederträchtige Lachen mit argen Worten. Aber diesmal schwieg sie. Ihre Seele war feierlich wie eine Kirche, und jede Hoffnung brannte darin als ein Licht.
Warum sollte sie aber der Frau des Jägers verraten, welcher Art die tausend Hoffnungen waren, die das schillernde Glück der Stunde in seinen Händen hielt, das nun auf einmal über Frau Nina gekommen war?
Immer weiter spannen sich ihre Gedanken und woben die dicke, glückliche Nina ein in ein strahlendes Netz ... ‚O, Prisca, die fleissige, fromme Prisca soll nun schön sein und sie wird unter der Pflege Ninas am Ende fast so schön werden wie Teresina Margiottas goldhaariges Kind, die zwölfjährige Leonetta?‘ schmeichelte sich die törichte Alte.
Über diesem Gedanken, der Nina fast trunken machte — denn sie sann ihn zu einem köstlichen Ende —, legte sie die Hände an die Schläfen und legte die Hände auf das stürmische, glückselige Herz. O, jetzt wollte sie Teresina Margiotta, der stolzen, schönen, der eitlen, bewunderten Teresina heimzahlen, was die ihr die langen Jahre her angetan hatte!
Alles war besser und schöner drüben im Hause des Geierjägers.
Frau Nina Zeni hatte Teresina Margiottas Stolz die Jahre her schweigend, wenn auch nicht ohne Bitterkeit getragen. Ein einziges Mal hatte sie der Nachbarin keifend gegenübergestanden und hatte die Blitze ihrer Augen drohend gegen die schöne Frau geworfen:
„Teresina Margiotta, was bildest du dir eigentlich ein? Weisst du, ob sie dir deinen Jäger an diesem Tage tot von den Bergen bringen? Weisst du, ob dein Kind, das um die Blumen der Felsen flattert wie ein Schmetterling und das zwischen den Zacken des Gesteins dahinhuscht wie eine Lazerte, weisst du, ob die goldhaarige Leonetta nicht eines Tages abgestürzt und zerschmettert am Wege liegt? O, Teresina Margiotta, du bist jung und stolz, du bist eitel und hochmütig! Fürchte den Zorn der Heiligen, Teresina Margiotta!“
So hatte Nina Zeni damals in ihrem Zorne zu ihr gesprochen.
Aber Teresina hatte sich gewendet und war in ihren feuerroten Pantoffeln trällernd die Gasse hinabgeschritten. Da hatte Nina Zeni zitternd in der Tür ihres Hauses gestanden und sich geärgert, dass die Nägel ihrer Finger sich tief in ihre fetten Hände gruben.
Nun aber war dieses Heute mit seinem unverhofften Glück gekommen! Dieser Tag, der vor ihr stand wie ein Gesandter der Muttergottes und zu ihr sprach: „Halte deine Schürze auf, Nina Zeni von Sonnino; ich will dir das Geld dieser Fremden hineinwerfen — Goldstücke, soviel der Himmel Sterne hat!“
‚So, Teresina Margiotta, jetzt rechnen wir ab! Jetzt gib acht, du dumme, eitle Teresina?‘ frohlockte sie in wachsendem Übermute.
In Frau Nina Zeni hatte dieser Tag eine Hoffnung lebendig gemacht, die selbst den Träumen ihrer wonnigsten Siesta bisher zu kühn gewesen war.
Darüber vergass sie ihre eigene heisse Sehnsucht, einen Mann zu besitzen, der ihre behäbige Üppigkeit schön fände und für sie arbeite und Geld verdiene — nein, sie vergass dieses sehnende Verlangen nicht ganz. Aber sie war plötzlich und in wundersamer Wandlung geneigt, es ihrer lieben klugen Prisca willen in stummer Ergebung zu tragen, bis der Heilige von Padua oder die Himmelsmutter selber im Traum ihr einen Weg zu diesem fernen, fernen Glücke weisen würden. Oder bis sonst etwas geschähe; denn jetzt wollte Nina Zeni kämpfen — kämpfen mit Teresina Margiotta um das Glück ihres Lebens. Und die kugelrunde Nina wollte siegen!
Wie die Abendglocke auf dem Turme des Bergkirchleins verklungen war, sass Nina Zeni mit den neuen Bewohnern ihres Hauses unter der breitblätterigen Feige und den blühenden Oleandern. Sie sassen in dem Höfchen zwischen den hohen, grauen Mauern hinter dem Hause.
Nina hatte mit Augen und Armen zu reden, um sich ihren neuen Freunden verständlich zu machen. Sie beschwor die beiden, dass die fleissige, kluge Prisca schon Sorge tragen werde, sie in wenigen Wochen so vortrefflich Italienisch zu lehren, dass sie sich hernach mit ihr unterhalten könnten wie die Leute von Santa Croce.
Ob sie für lange Zeit hier wohnen wollten?
„Ja.“
Ob der Signore ein Maler sei, da sein Aussehen darauf hindeutete?
„Ein Maler nicht, aber ein Schriftsteller.“
O! Übrigens könne der schwarzhaarige Herr für einen Italiener gehalten werden. Und die Signora mit dem seidenen, goldenen Haar sei so schön und sanft wie die Himmelsmutter selber und viel schöner als die schwarze, eitle Teresina drüben über der Gasse.
Und Nina Zeni erzählte, wie hochmütig diese Teresina sei und wie sie ihr Kind, die Leonetta, tollköpfig mache in törichter Verblendung ihres Herzens.
Da klangen junge Stimmen vom Flur in das Gärtlein.
„Prisca! Prisca!“ schrie Nina, ohne sich von ihrem Sitze zu erheben. „Prisca! Beppino mio! Ihr seid lange aus an diesem Abend! Warum seid ihr so lange? Wusstet ihr nicht, dass vornehme Gäste angekommen sind?“
Und Nina streckte ihre fleischigen blossen Arme nach ihren Enkeln aus.
„Ah,“ staunte die blonde Frau, „Euere Kinder, Signora Zeni?“
O, wie dies unbeholfene ‚Signora‘ der guten, behäbigen Nina in die Ohren klang! ‚Teresina Margiotta,‘ dachte sie, ‚wenn du hörtest, dass sie Signora zu mir sagt, du würdest sterben vor Ärger!‘
Nina schlug die Augen nieder; denn die deutsche Frau hatte ihr in dieser Frage zwiefach geschmeichelt.
Dann sagte sie verschämt: „Eh, Signora Margherita, — meine Kinder? Wär’ dies möglich? Wär’ dies wirklich möglich, Signora Margherita?“
Noch lächelte Nina Zeni; aber schon verlöschte das Licht der Freude auf ihrem breiten Gesichte wie der Abendschein auf dem Rücken der Felsen von Santa Croce und wich einer tiefen, schwermütigen Nacht.
Auch die fünfzehnjährige Prisca, neben der der jüngere Bruder stand, sah schweigsam und traurig auf die Fliesen des Höfchens und schüttelte kaum merklich den Kopf.
„O, o,“ begann Nina Zeni zu klagen, „es sind die Kinder Mariettas, es sind die Kinder meiner Tochter.“ In ihren Augen ging ein masslos hässliches Licht an, wie sie sprach: „Und Marietta ist schon lange tot — tot, meine liebe, fromme, unglückliche Marietta!“
Ninas Worte ertranken in ihren Tränen. Sie legte die Hände auf die Knie der blonden deutschen Frau, und die Hände zitterten.
„Was hab’ ich gelitten!“ schluchzte sie. Nun war Nina Zeni bei ihrem Elend angelangt. Da wurde alles an ihr noch viel beredter. Und wie ein Bergstrom zur Regenzeit brach die trübe Flut ihrer Rede über die ahnungslosen Fremden herein. „O, Signora, wissen Sie, was es heisst, ein Kind leiden und sich in das Grab härmen zu sehen? Meiner lieben, frommen Marietta ist das Herz gebrochen, und in diesen Armen ist sie mir gestorben. O, o! — Geh fort, Prisca! Geh fort, Beppino! Tragt Wasser herzu und bringt Brot und Salami in das Haus und Eier von Giani Torino ...“
Wie sie diesen Namen aussprach, ging wieder das Leuchten der Freude auf ihrem vollen Gesicht an — es war, als erwache die Sonne noch einmal. Nina bestimmte, dass Prisca den Berg hinauf und durch die Limonière in die Zederwasserfabrik des Giani Torino gehen und Eier erstehen solle, diesmal für bares Geld. O, Giani Torino soll staunen, wenn Prisca Zeni mit einer Hand voll klirrender Soldi vor ihm steht!
Wie die Kinder mit ihrer sprachlosen Verwunderung über den Reichtum der Nonna gegangen waren, wandte sich diese wieder gegen die Gäste. Die Schatten legten sich von neuem über ihre Stirn als sie sprach: „Prisca Zeni und Beppino Zeni sollen sie heissen, diese beiden. Ja, meinen Namen sollen sie tragen! Dio Cristo —“ die dicke Nina knirschte diesen Fluch zwischen den Zähnen hervor, als müsse sie ihn zerbeissen, damit er doppelt werde — „Dio Cristo, sie heissen anders; denn sie sind die Kinder jenes Verfluchten, um den meiner lieben, frommen Marietta das Herz gebrochen ist. Aber ich will sein Andenken auslöschen in meinem Hause, und ich mag nicht, dass sein Name in diesen Mauern genannt werde. Er ist ein Gipsfigurenhändler gewesen und ist ausgezogen, weiss Gott wohin! Er ist nicht heimgekehrt. Er ist verschollen. Und die Türe meines Hauses in Santa Croce ist ihm verschlossen solange ich lebe. In das Gesicht will ich ihn schlagen mit dieser Hand, wenn er den Weg jemals zurückfindet. Ich flehe die himmlische Mutter an, dass sie mir ihre heiligen Gnaden schicke und jenen nicht heimfinden lässt in den Frieden von Santa Croce. O, Madonnina mia, ich arbeite wie eine Eselin, diese Kinder aufzubringen ... aber ich habe alles getragen ...“
Dabei stützte die dicke, faule Nina die Arme in den Ellbogen auf die Knie und barg das Gesicht in den Händen, während die Fremden mitleidig und schweigsam zu der armen Schwergeprüften heruntersahen.
„Ich habe gearbeitet wie eine Eselin“ — als Nina Zeni das sagte, liess sie ihre Blicke flüchtig über die Krone der Gartenmauer gleiten, ob nicht etwa ein Neugieriger dort hocke, der sie lügen höre.
Es war niemand da. Und Teresina Margiotta konnte nicht bis hierher hören. O, wie würde Teresina Margiotta gelacht haben! Ganz Santa Croce hätte an diesem Abend erfahren: Nina Zeni hat gearbeitet wie eine Eselin!
Und dann?
Die Mäuler hätten sie sich vor Vergnügen zerrissen in Santa Croce: Nina Zeni meint, sie arbeite wie eine Eselin! Und alle roten Soldi, die je durch die Türe der Nina getragen worden sind, hat doch die Prisca verdient.
Der grosse Abendpfau mit den schillernden Spiegeln auf den Flügeln schwirrte schon um die Lichter von Santa Croce, und die Oleanderschwärmer surrten um die roten Blütenbüschel, die die Nacht mit ihrem schweren Dufte füllten. Um diese Zeit wurden in dem armen Hause der Nina Zeni zwei Gespräche geführt. Für die, welche sie angingen, bedeuteten sie einen Wendepunkt ihres Lebens.
Die Türe links vom Flur leitete in die russgeschwärzte Küche, durch die man in das Schlafzimmer Ninettas gelangte. Dort schlief Beppino schon und rief aus dem Traumlande herüber ein zärtliches „Prisca, o Prisca mia, es ist herrlich, ein Signore zu sein!“ ...
Daran war der glücklichen dicken Nina Beredsamkeit schuld, die dem Jungen in der Dämmerung mit so heissen Worten bunte Bilder von der kommenden Zeit entworfen hatte, dass sie in lockendem Glanze nun in seinen Schlummer leuchteten.
Nebenan auf dem Herdrand in der Küche unter dem weitausladenden Rauchfang aber sass um diese Stunde die glückliche Ninuccia selber. Sie hatte die fetten Arme zufrieden übereinander gelegt, die aus dem schwarzen Spitzentuch herausleuchteten, das ihr Schultern und Haar deckte und in zierlicher Flebbe über die breite Stirne fiel. Und so würdevoll schaute sie in das rote Licht, das das heimliche Herdfeuer durch den Raum warf, als müsse sie schon an diesem Abende mit der Rolle der Signora sich vertraut machen.
Duft von Speck und Eiern stieg aus der Pfanne über dem Kohlenfeuer und schwamm hinaus auf die Berggasse, in der in dieser Nacht alles mit neugierigen Augen und flüsternden Reden wandelte, was in Santa Croce Röcke trug.
Endlich nahm Prisca die Pfanne vom Feuer und setzte sich neben Nina auf den Herdrand zum köstlichen Abendbrot.
Speck und Eier und weisses Brot — Nina schmatzte im Schweisse ihres Angesichts, tupfte zuletzt die Pfanne mit der weichen Krume aus und kühlte die heissen Lippen am herben Roten.
„Prisca!“ seufzte sie und wandte sich unter der ungewohnten Hülle der rinnenden Spitzen.
„Nonna mia,“ kicherte das Mädchen, „was fällt dir ein, in dieser Nacht am Herdfeuer zu sitzen wie im Betstuhl?“
Aber Frau Nina war unter allen Umständen gewillt, die Last ihres Umhanges zu tragen. „Was fällt dir ein? Kind, Kind, soll ich mich splitternackt ausziehen?“ zeterte sie.
Da kicherte Prisca abermals, trug die Gefässe zur Seite und sass von neuem neben Nina nieder.
Sie hatte längst erraten, dass diese heute noch lang und heimlich mit ihr reden werde.
Das stille, besinnliche Kind, das in das tiefe Leid seiner Mutter hineingeboren worden war und das für Nina Zenis dicke Behäbigkeit von früh bis spät arbeiten gelernt hatte, wusste, wohinaus es nun mit Frau Nina wollte. Die war voller Pläne und rechnete sich mit dem Silber ihrer Mieter köstliche Freuden aus. Ehe der Mond sich nicht zum Niedergange schickte, würde sie in dieser Nacht keine Ruhe geben. Und doch ahnte Prisca nicht, dass sie selbst es war, der die Unrast der sonst so steten Matrone galt.
Nun fasste sie die Hände des Mädchens und zog es dicht an ihre Seite und umschlang es mit ihren Armen. Dabei flüsterte sie heiss und eifrig auf Prisca ein.
„Was meinst du zu unserm Glücke, Kind? Ist deine gute, sorgende Ninuccia nicht klug? Ist sie nicht die klügste unter den Frauen von Santa Croce? Ist sie nicht viel klüger als die eitle, hochmütige Teresina Margiotta und ihr Kind?“
„Ist Teresina Margiotta hochmütig?“ staunte Prisca.
„Und ob sie es ist! Teresina Margiotta ist eitel und dumm wie ein Pfau, und Leonetta gleicht ihr wie eine Pfauenfeder der anderen. Ich habe mich schon immer über diese Leonetta und ihre goldenen Haare geärgert. Madonna mia, was hat sie für Haare! Köstlicher und glänzender wie Nina Zenis deutsche Signora!“
„Leonetta Margiotta ist das schönste Mädchen von Santa Croce!“ sagte Prisca in stiller, neidloser Überzeugung.
Da zischte Nina Zeni, und ihre Augen leuchteten durch die Nacht, in die kaum noch ein Schein von den verglimmenden Kohlen fiel.
Sie hielt Prisca nun in den Armen wie ein Kind und beugte sich über sie, und ihr Flüstern wurde heisser: „Du bist fünfzehn Jahr alt, Prisca, und bist zwei Jahr älter als Leonetta Margiotta ... Hast du schon einen Mann lieb, Prisca?“
Sie sah, dass das Mädchen die Lider schloss. Da wusste Frau Nina, dass sie auf diese eine ungestüme Frage keine Antwort erhalten werde. Darum fuhr sie in einem Tone sicherer Würde fort, als wäre Priscas Herz ein Ding wie jenes, das die gute Nina dem Heiligen versprach, so oft sie ihre Sehnsucht hatte:
„Aber du wirst ihn lieb haben, den einen, um den sie alle den Hals sich verdrehen in Santa Croce! Du wirst ihn lieb haben und er dich — nun muss das kommen! Nun, da wir das viele Geld von den Fremden bekommen! Wir werden von heut ab nicht mehr borgen müssen — o nein, sondern wir werden daran denken, vornehm zu sein und den Ettore Torino zu heiraten.“
Da streckte Prisca ihre Arme empor und schlang sie um Ninas Hals: „O, Ettore Torino — ich glaube, ich könnte um ihn sterben!“
Die schmalen Lippen des stillen Mädchens waren auf einmal heiss und sehnsüchtig und suchten nach dem Munde Ninas und fanden ihn und tranken sich in trunkener, wilder Lust daran fest.
Da schloss Nina ihre Lippen und litt das verzehrende Feuer dieses Kusses.
Alle Furcht und alles Leid besiegte dieser eine herrliche Tag!
Wenn Frau Nina der Prisca vordem einmal bei der Arbeit zugeschaut hatte, so hatte sie denken müssen: ‚Prisca ist fleissig und klug, und Prisca arbeitet, als ob Arbeit ein Glück sei.‘ Und wenn sie ihr nachschaute, ihr und dem Bruder Beppino, so oft die beiden des Morgens mit ihrem Krüglein die Felsengasse von Santa Croce in die Fron des Tages schritten, damit Nina Zeni daheim faul sein könne, so dachte sie: ‚Wenn Prisca schön wäre wie Leonetta Margiotta, so würde sie seufzen unter der Härte ihres Schicksals. Sie würde eitel sein, sie würde sich schmücken mit Ketten und Ringen und leuchtenden Bändern — und wenn es gleichwohl wertlose Dinge wären, die nur blitzen, solange sie neu sind.‘
Von alledem hatte Nina nie etwas an Prisca wahrgenommen. Und Prisca Zeni war doch schon beinahe sechzehn Jahre — mit vierzehn Jahren hatte Nina Zeni geheiratet, und mit fünfzehn Jahren rüstete dereinst Marietta, Priscas Mutter, zur Hochzeit. Aber Prisca hatte bis zu diesem Tage getan, als wäre sie gar nicht eines Mannes wegen auf der Welt; als wäre sie einzig dazu geboren, zu frönen wie eine Eselin und zu sorgen, damit es ihrem lieben, klugen Beppino wohl werde. Aber nun hatte Ninas List diesem jungen zagen Herzen ihr süsses Geheimnis entlockt.
Kamen die beiden Geschwister dann abends nach Hause, so war Prisca still und ernst und von so seltsamer Art, wie sie Nina Zeni noch nie an einem Mädchen der Berge von Santa Croce, nie an einer Tochter ihres Volkes wahrgenommen haben wollte.
Der liebe listige Beppino dagegen kletterte wie eine Katze auf die Feigenbäume, die an den Felsen hingen, und grub seine schneeweissen Zähne in die schwellende Süsse der reifenden Früchte. Oder er klomm in den Runsen des Gesteins empor, wo die Käuze zu Neste getragen hatten, und raubte die Jungen.
Dabei leistete ihm die wilde Leonetta Margiotta in den meisten Fällen Gesellschaft.