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"So trieben sie's im Grenzdorfe des Waldgebirges? Gingen auf den Schmuggel und schlichen auf der Wildbahn? Stahlen dem Herrgott die Tage und beugten in der Nacht Recht und Gesetz? Waren es solche, die im Dunkeln des nächtlichen Bergwalds, wenn sie sich umstellt sahen, sich nicht scheuten, mit dem eisernen Rohr auch einem Menschen das Lebenslicht auszublasen?' Ganz früh an einem Sommermorgen durchziehen ein Mann mit seiner Frau dieses Gebiet. Der Mann hat eine Flöte unter dem Arm, und die Frau trägt eine Geige in schäbiger Wachstuchhülle am verschossenen grünen Band auf dem Rücken. Es sind zwei Musikanten und im Verlaufe des Tages entscheiden sie urplötzlich, in dieser unwirklichen Welt sesshaft zu werden. Es gesellen sich andere Musiker zu ihnen und die Musikantenstadt entsteht.-
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Seitenzahl: 326
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Max Geißler
Roman
Fünftes Tausend
Saga
Die Musikantenstadt
German
© 1908 Max Geißler
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711467701
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com
Die Musikantenstadt ist noch ein Dorf, ein Dorf in einem Tal im Waldgebirg. Darum muss zuerst von Schmugglern, Wildschützen und Erzgräbern und dann von fahrenden Spielleuten erzählt werden.
Ganz früh an einem Sommermorgen, wie der Bergwald noch im Tau stand und die Tale rauchten, kamen schon zwei Menschen im Stangenholze daher.
Es lief dort kein Pfad. Fichtennadeln lagen am Grund, und Wurzelschlangen ringelten sich hindurch; denn es waren zwischen den schlanken jungen Bergfichten noch etliche fusshohe Wurzelstöcke zu sehen, auf denen nun das Geschlecht der Schwämme schmarotzte. Namentlich die goldenen Bäumlein des Ziegenbartes wohnten auf dem Morschholze, die so fein sind, als hätten sie die Zwerge in der Mittsommernacht beim Erzschürfen verloren. Warum denn nicht? In der Mittsommernacht ist der Bergwald voll Wunder. Die Waldleute wissen das, denn ihre Augen sehen den Reichtum der Erde; sie hören das Rauschen der Stürme im dunkelgrünen Forst und gehen im dämmerigen Licht ihrer Wälder. Da werden die Herzen träumerisch; da wächst viel wunderlicher Glaube; da schiessen die Märchen wie die Pilze.
Und die beiden, die im blitzenden Morgentau durch das pfadlose Stangenholz schritten, waren nun doch fahrende Musikanten!
Der Mann hatte eine Flöte unter dem Arm, und die Frau trug eine Geige in schäbiger Wachstuchhülle am verschossenen grünen Band auf dem Rücken. In den Armen hatte sie ein mässiges Säcklein; Kaffee, Mehl und Zucker waren hineingepackt, und damit waren die beiden Musikanten im Schutze der Nacht über die Landgrenze geschlichen und am Zollhause ‚versehentlich‘ vorbeigelaufen. Die Musikanten waren also nebenbei Schmuggler, wenngleich sie aus der Schmuggelei kein Gewerbe machten wie so viele, die ihre Hütten an die Landgrenze gebaut haben.
„Annemirl,“ sagte der Mann halblaut zu der Frau, vielleicht weil er von dem Frühkonzerte der Vögel feierlich gestimmt war, und blieb aufhorchend stehen, „Annemirl, mir ist, es steigt da einer in den Fichten daher! Hörst nix?“
Da lauschte die Frau:
„Nein, hören tu ich nix als ein wunderliebes Singen und ein tiefes fernes Brausen des Wildwassers. Du, Girgl, eine solche Musik — wenn einer machen könnt, hernach, was meinst? Da täten sie lauschen und in die Hände klopfen, die Stadtleut! Gelt, du? Und die Zeitungen täten es ausschreien: ‚Der Pechschabergirgl und die Singerannemirl sind wieder hiesig und werden sich die Ehr geben, am Sonntag ein Monsterkonzert aufzuführen‘ — und so weiter. Hab ich etwa nicht recht, Mann?“
Der Pechschaber knallte mit Daumen und Zeigefinger, als wollte er sagen: „Du, das — wenn es wäre — —“
Aber da sprang er auch schon wie ein geschreckter Rehbock ins Dickicht. Die Frau sah ihm erschreckt nach.
„Du,“ rief der Pechschaber alsbald aus dem Kleinholz heraus, „jetzt — sei schlau und mach’s gut! Weisst du noch, was wir miteinander verabredet haben? Ein Mannsbild taugt zu solchem Geschäft nicht. Annemirl, der Grenzwächter — er ist keine hundert Schritt weit in den Stangen!“
Die Annemirl, wie sie das hörte, warf ihr Säcklein an den Boden, hockte sich drüber, dass es ihr unter dem Rock über die Knie zu liegen kam, und lehnte sich mit dem Rücken gegen einen Fichtenstamm.
Jetzt, wie der Wächter die verhallenden Schritte des Pechschabers und das Brechen im Kleinholz vernahm, kam er eilig näher, hob sein Gewehr von der Schulter und spähte wie ein Hirsch in die Runde.
Da schaute er auf und sah das Weib am Nadelgrunde hocken, keine hundert Schritt in die Stangen hinein. Nun wusste er auch, woher der Klang der Tritte gekommen war.
Das Gewehr im Arme ging der Wächter auf die Musikantenfrau zu. Aber schon von weitem sah er: Schwärzen tut die nicht, die macht ein wehleidiges Gesicht. Und klagen und jammern hörte er sie auch. Wie er vollends herangekommen war, fragte er sie:
„Was hockt sie denn da im Forst, Frau? Und wie ist sie eigentlich hergekommen?“
„Hergekommen bin ich auf meinen zwei Füssen, Herr Finanzer! Ach, wenn ich das gewusst hätte!“ wimmerte sie. Da schloss ihr schon der Schmerz den Mund, und sie krümmte sich ganz erbärmlich. Der Grenzwächter fasste sie am Arm. Aber die Annemirl verzog das Gesicht und tat elendig:
„Geduld, ich bitt schön, Herr Grenzwächter, ich erzähl’ gleich weiter! Nur ein klein wenig mag’s vorbeigehen. Dass mir das nun geschehen muss! Und hier mitten im Wald! Herr Finanzer, das ist mein End! Die schwere Stund, — nun überrascht sie mich hier auf dem Berg, — o je, o je!“
Dabei stürzten der Musikantenfrau zwei Tränenbächlein über die Wangen. Sie hatte die Hände gekreuzt, vorn, über dem Säcklein unter ihrem Rock, krümmte sich in ihrem Weh und spielte ihr Spiel so gut, dass den Mann mit der Flinte das Mitleid ankam. Des zum Zeichen kraute er sich hinter den Ohren, rückte die Mütze aus der Stirn und machte hilflose Augen.
„Die Frau ist fremd hier?“ fragte er und wartete auf einen Einfall. Der Bergwald ist voll Wunder; aber was sich da vor ihm ereignen sollte, war ihm neu. Er strich sich den Schnurrbart:
„So will ich die Frau auf die Arme nehmen und in das Haus beim schwarzen Kreuz tragen.“
Da neigte die Annemirl den Kopf und lispelte:
„So oder so, — mein Tod ist’s ja doch ...“
Wie der Wächter daran dachte, dass er eine Tote ins Tal tragen könne oder gar zwei, fror ihn ins Herz. Und dann hätten sie ihn angeschrien; und dann würden sie ihn verhören; und der Mann der Musikantenfrau — wenn sie einen hat — würde aufstehen und sagen: ‚Wächter, du hast mir mein Weib umgebracht!‘ Es ist nicht zum ausdenken, was so eine Mildtätigkeit einem für Qual machen kann. — Er stampfte mit dem Fusse:
„Aber auf so was wartet man doch nicht im Walde, Frau!“
„Ach Gott, gewartet hätt’ ich schon nicht drauf, Herr! Überlaufen hat’s mich. Hat’s halt ein bissel eilig gehabt, das Kleine — und der weite Gang übers Gebirg!“
Der Grenzwächter hing sein Gewehr wieder über die Schulter:
„Ich lauf rasch einmal bergein und schick die Kreuzfrau herauf. Hört sie?“
„Ja, Herr Finanzer, wenn’s sein kann, das wär schon gut!“
„Aber eine Stunde vergeht, bis sie Hilfe hat!“
„Vergelt’s Gott, Herr! Ein Stündl, — o je, o je! Na, am End verzieht’s noch so lang. Aber Eile tät schon not.“
Wie der Mann mit grossen Sätzen und seinem Mitleide den Hang hinabsprang, rief sie ihm noch ein dankbares ‚Vergelt’s Gott‘ nach, und dann verschwand die Annemirl im Gebüsch.
Sie lief quer durch das Unterholz. Sie lief dem Pechschaber nach. Das Säcklein mit den Schmuggelwaren hatte sie nun aber unter dem Rock hervorgetan. Und weil der Pechschaber auf dem Blatte pfiff, wie um diese Zeit der Rehbock die Ricke lockt, so fanden sie sich alsbald wieder zueinander: die Frau noch ein wenig in Angst, der Pechschaber vergnügt wie ein Eichhorn. Machte ein paar Hopser und kroch mit seinem Weib ins Dickicht.
Dort war vom Sommer ein sammetweicher Moosteppich hingebreitet, als sollte der Bergkönig darauf sich niederlegen, wenn er einen Spaziergang durch den Hochwald macht. Es floss auch ein goldener Strom Sonne von oben herein. Den liess sich der Pechschaber über seinen Rücken laufen, damit der Frühtau verdampfe, der waldfrisch und klar daraufgeronnen war, stützte das Kinn in die Hände und zwickte die Augen listig zu:
„Ein gescheit’s Weib muss der Mensch haben. Das ist die Hauptsache; dann kann ihm nix geschehen.“
Die Annemirl lachte so in sich hinein und machte sich’s ebenfalls bequem im Moos; sie liess sich liegend auch den Goldstrom über den Rücken rinnen.
„Es muss einer sich erholen,“ sagte sie, „von dem, was er ausgestanden hat. Ist das etwa gelogen gewesen, wenn ich hab zu dem Grünen gesagt, eine schwere Stund ist das?“
Der Pechschaber lachte: „Ich sag’s ja: ein gescheit’s Weib —“
„Pechschaber, dir ist das eingefallen, dir! Gut ist’s gewesen. Darum: wenn der Mann auch ein bissel gescheit ist, so ist’s kein Schad.“
So stritten sie sich eine Weile leis und vergnügt, und jeder Teil wollte, dass der andere der klügere sei. Dann sagte der Pechschaber:
„Annemirl, weisst du was?“
„Nix weiss ich.“
„Unsere Gescheitheit kommt auf eins hinaus; denn dass wir das Landfahren mit heut aufstecken, das ist uns beiden zugleich eingefallen, — und das ist das beste! Ich bin so lustig darüber, dass ich dem Bergwald gleich mein löchernes Blasholz schenken tät, wenn er eins brauchete. Macht aber selber eine Musik, der Wald, und eine gottlos feine, Annemirl! Weisst du, wenn unsereiner landfahren und mit seinem Musikantentum sich ein Geld verdienen will, so muss er noch viel gescheiter sein als wir zwei.“
Die Frau sah den Pechschaber verwundert an:
„Noch gescheiter? Wie meinst du denn das?“
„Na, der Mann muss sich halt eine Weibsperson mit mindestens einem Holzbein heiraten. Noch besser sind zwei Holzbeine. Denn je lahmer sie ist, desto mehr bringt sie Geld. Für unsere arme Kunst, weisst du, da sind die Leut in dieser hellen Zeit zu aufgeklärt. Darum — nutzt alles nix: der Pechschaber und die Annemirl werden von heut an sesshaft.“
Wie der Pechschaber und sein Weib auf dem Sammetbette des Mooses sich’s noch wohl sein liessen und die goldenen Decken des Lichts über ihnen lagen, stieg der Grenzwächter mit einer kleinen behäbigen Waldhäuslerin den Tannenhang wieder empor. Die Frau hatte ein schwarzes Täschlein am Arm und arbeitete sich pustend hinter dem Grenzwächter die Steile hinan. Das war die Frau Dorothea Bratel. Die kannt’ ein jeder im Umkreis. Aber bei ihrem Namen nannte sie gewiss keiner; und wer nach der Frau Dorothea Bratel gefragt hätte, dem konnt’s geschehen, dass der Mann, mit dem er redete, den Kopf schüttelte: „Dorothea Bratel? So heisst daheroben niemand!“ Und zu allem war sie noch das Eheweib des Gemeindevorstehers vom Walddorfe.
Die Leute nannten sie die schwarze Kreuz-Frau; denn der Platz vor ihrem Hause hiess das schwarze Kreuz.
Und eben diese kleine behäbige Dorothea Bratel wackelte um jene Stunde mit dem Manne von der Grenzwacht durch den taufeuchten Wald, um zu helfen, wie es ihres Amtes war.
Wie sie an die Stelle kamen, auf der sich das Seltsame hatte zutragen wollen, da waren dort die Nadeln wohl von schweren Nagelschuhen zerschürft, aber — es war niemand da.
Der Grenzwächter putzte sich die Augen und spähte umher; er ging dahin und dorthin, er rief — es war niemand da.
Da setzte sich die Frau vom schwarzen Kreuz neben ein Fichtenstämmlein auf den Waldgrund und lachte mit ihrer ganzen behäbigen Fülle; denn der schwarze Kreuzmann hatte eine gescheite Frau. Die verriet dem Grenzwächter nicht, was ihr so rasch klar geworden war; ein Grenzwächter muss nicht alle Schlauheit der Schwärzer erfahren; denn ein Grenzwächter ist der Waldleute Feind.
Wie sie sich ausgelacht hatte, biss sich der Mann die Lippen immer noch und kaute an seinem Schnurrbarte. Frau Dorothea Bratel aber sagte:
„So wird der Wächter etwa gar ein Gesicht gehabt haben! Es spukt um die Mittsommerzeit im Wald, und Wunder geschehen da — es glaubt einer gar nicht, wie viel! Was die alte Steinhöferin ist, die ob dem schwarzen Kreuz wohnt, die weiss etwas davon zu erzählen. Aber nun, Herr Finanzer,“ — Frau Bratel richtete sich am Fichtenstämmlein empor — „Zeit zum Schwätzen hat unsereiner nicht! Ich mach wieder den Berg hinein; zuvor aber möcht’ unsere Sach richtig werden; zwei Gulden krieg ich — das ist die Tax!“
Die zwei Gulden hat der Grenzwächter nach einer peinlichen Hin- und Widerrede bezahlt. Aber im Forst über dem Dorfe hat ihn kein Schwärzer wieder gesehen. Wie er erfuhr, dass ihm sein mitleidig Herz einen Streich gespielt habe, ist er um Versetzung eingekommen. Vier Wochen, nachdem dies geschehen, war er fort, der ‚gute Grenzwächter‘. Der nun kam, war der ‚schlimme‘. Den hat der Pechschaber — doch, mit dem treffen die Waldleute ja noch zusammen ...
Wie die Frau wieder im Haus beim schwarzen Kreuz sass und ihrem Manne, dem Schachtelmacher und Gemeindevorsteher Vinzenz Alois Bratel, vergnügt die zwei Silbergulden auf den Tisch schlug, warfen der Pechschaber und sein Weib im Waldesdickicht die goldenen Decken ab. Die Annemirl hing den Geigensack über den Rücken und schüttelte sich das Moos aus dem Rock. Der Mann rückte sich das grüne Spitzhütlein zurecht, schob sein Blasrohr unter den Arm und die Hände in die Taschen.
So zogen sie hernieder ins Tal, schritten über das tosende Wildwasser, das Gold und Silber über die Steine warf und — unter farbenbunten Bogen aus blitzendem Staub — durch den klingenden Morgen fiel, schritten beim Kreuz vorbei und rasteten auf der Holzbank droben vor einem kleinen Hause. Das stand am Hang auf der Waldblösse. War ein graues Genist und hatte ein moosgrünes Schindeldach. Darin wohnte die Steinhöferin, ein Weiblein — es wusste kaum einer, wer älter war, das Haus oder die Frau.
Die kam heraus, wie sie die Musikanten reden hörte und sagte:
„Grüss Gott, Pechschaberleut! Seid’s da?“
„Ja,“ sagte die Annemirl, tat das kattunene Kopftuch ab und strich sich mit der feuchten Hand die Scheitel glatt. Aber der Girgl schlug in seine Hände, dass ein Schall durch den Bergwald rannte.
„Da sind wir, und da bleiben wir! Steinhöferin, weisst du, was das ist: wegemüde sein und heimatsehnsüchtig? Weisst du, was das heisst: wir zwei, wie wir da vor dir stehen, sind landfahrend gewesen von Kindheit an und haben uns nichts erspielt als ein paar windige Lumpen auf den Leib, ein paar zerrissene Schuhe an die Füsse und ein Waldheimweh ins Herz? — Auf der Landstrasse liegen, das heisst: ohne Glück und ohne Stern sein wollen sein Lebtag. Und nun grüss dich Gott, Steinhöferin! Da sind wir, und da bleiben wir!“
So ist der Pechschaber mit seinem Weibe sesshaft geworden.
Der Pechschaber und die Annemirl hatten einen Kaffee gekocht und rasteten sich von der Wegfahrt ein wenig aus. Dann besahen sie sich den Hausrat, den ihnen die Steinhöferin mit ihrem Stüblein vermietet hatte. In der Ecke stand eine Bettstatt mit frischem Stroh und einem Sackleinen darüber. Der Pechschaber drückte die Fäuste auf das Stroh; da tat die Bettstatt einen Seufzer. Aber der Mann redete ihr vergnügt zu: „Wegen einem bissel Arbeit, das nun wieder zu tun ist, schreit einer nicht gleich auf!“
Es war auch ein Schrank da, oben mit zwei kleinen Glastüren.
„Dahinter kommen die feinen Tassen zu stehen mit den Silbersprüchlein,“ scherzte die Annemirl; und weil die Mittagsonne so golden durch die niederen Scheiben schaute, blickte der Pechschaber sein Weib froh an.
„Annemirl,“ sagte er, „bildsauber bist mir nun aber doch geblieben! Und ist gleich lange der Staub der Landstrasse auf dich gefallen — deine blanken braunen Augen hast du wiederum hereingetragen. Und das nussbraune Sechserlein auf der Stirn auch“ —
Der Pechschaber griff danach und drehte sich das zierliche Ringlein um den Finger. Da war die Annemirl gefangen. Und nun wieder der Girgl:
„Was hast du vorhin gesagt? Die Tassen mit den silbernen Sprüchlein? Wär’ schon recht — aber es sind noch einundzwanzig Jahr, bis wir die silberne Hochzeit machen. Das ist ein wenig lang hin; bis zu der Zeit werden’s die Kaffeetöpfe tun müssen, und die kommen auf das Brett hinter den Ofen!“
Der Ofen nahm ein Viertel von der Stube ein, war aus dunkelgrünen Kacheln, und es lief eine Bank um ihn her.
Auf diese Ofenbank setzte sich der Pechschaber nun und schaute sich um: in der einen Ecke der Ofen, in der zweiten der Schrank, in der dritten das Bett, am Pfeiler zwischen den beiden Fenstern der Tisch mit zwei Stühlen. An der Wand in der letzten Ecke war eine Leiste mit Nägeln: „Für den Sonntagsstaat, wenn erst einer da ist,“ lachte der Mann. Dann nahm er sein schwarzes Blasholz vom Fensterbrett, barg’s in die Hülle zu der Geige und hing beides an einen der Nägel. „Aus ist’s!“ sagte er, und damit war die ‚landfahrende Zeit‘ beschlossen.
Nun gingen sie miteinander vors Haus, um sich die Welt anzuschauen, die um sie war.
Ein breites Tal lag zwischen den dunklen Hängen des Gebirges, so weit, dass eine kleine Stadt darin Platz gehabt hätte. Die Gipfel der Berge schwammen in bläulichem Hauch; das sanfte Wehen der Bergfichten war ringsum, und unten stürzte das schäumende Wildwasser in dumpfem Donnern seine Bahn; nach dem Gewitter von gestern tat es ungebärdig.
Die Häuser des Dorfes lagen aber nicht dicht beisammen. Warum denn nicht?
Danach fragte der Pechschaber die Steinhöferin, die gerade wieder aus der Türe schlürfte, sich an der Wand entlang tastete nnd auf der Bank Platz nahm.
„Ja, mein lieber Pechschaber,“ sagte sie, „das ist deshalb, weil das ganze Tal vordem voller Bergwald stand! Damals sind ihrer etliche gewesen, die haben Kohlen gebrannt und haben sich ihre Hütten in den Wald gebaut, wo es ihnen gerade gefiel. Na, und dann sind andere gekommen, denen hat die Landgrenze angestanden, die hier so nah ist; die haben gepascht. Und wieder andere, die haben Wilpert geschossen im Wald, weil sie dachten: Es ist einer immer satt dabei und lässt sich beim wildern gut leben. Sein Haus hat sich der eine dahin, der andere dorthin gesetzt, wo’s ihm just behagt hat; und den Wald, der um ihre Dächer rauschte, den haben sie so langsam in den Ofen gesteckt.“
Die Steinhöferin hatte das Kopftuch tief in die faltige Stirn gezogen; so bildete es ein Dächlein über ihren Augen, und es lugte nur noch die scharfe Spitze ihrer Nase in das Sonnenlicht. Plötzlich legte die Alte dem Girgl die Hand aufs Knie:
„Pechschaber,“ sagte sie, „du wirst ein Eichtl auf der Hut sein müssen mit deinem Gewerbe, mein’ ich. Früher, wie der Steinhöfer noch dagewesen ist, da haben sie die Bergfichten angerissen und ein Harz herzugeschleppt, es ist nicht zu sagen, wie viel! Aber nun ist das daherum verboten, das Pechschaben. Es ist eine närrische Zeit.“
Der Musikmann lachte:
„Steinhöferin, ich wüsst’ nicht einmal, wie das zu machen wär’, wenn man mich harzklauben schicken tät!“
„Hast aber doch den Namen?“
„Freilich wohl, Steinhöferin! Der Name ist das einzige Erbstück von meinem Vater; und wiewohl ich mein Lebtag kein Säcklein Pech aus dem Walde trag’, meinem Buben werd’ ich diesen Namen doch auch wieder vermachen. Erst wird er der Pechschaberbub; und wenn ich einst wieder landfahren geh’, — Steinhöferin, weisst, in das himmlische Paradeis — dann ist der Pechschaberbub der Pechschaber!“
Die Steinhöferin schaute sich die beiden Leute erstaunt an:
„Einen Buben habt’s auch?“ fragte sie.
Da war die Annemirl schon in die Höhe geflogen wie ein Sturmwind, zerwühlte dem Girgl die rabenschwarzen Haare und wollte ihn nun auch an dem Schnurrbart raufen.
„Glaub’s nicht, Frau!“ lachte sie. Und: „Was erzählst denn für Dinge, Girgl? Erzählst da von deinem Buben und hast gar keinen? Rein zu Narren macht er die Leut.“
Aber der Pechschaber hielt der Annemirl die Hände fest und zog sie auf sein Knie.
„Sitzen bleibst!“ sagte er. „Steinhöferin, vorhin haben wir gerechnet: Einundzwanzig Jahr sind noch Zeit, bis wir der Annemirl die Silberzweiglein ins Haar stecken. Da kann noch manches vor sich gehen, mein’ ich. Freilich, in denen vier Jahren, seit wir uns haben, du lieber Gott, da war keine Zeit zum Bubenkriegen! Aber nun: es muss einer nicht nur ein gescheit’s Weib, es muss einer auch ein lustiges Pärlein haben, das daheim fein brav Musik macht, gelt?“
Die Annemirl auf dem Knie des Pechschabers war auf einmal nachdenklich geworden. Da legte der Mann den Kopf auf die Seite, sah sie aus listigen Augen an und scherzte:
„Schafft’s dir Kopfweh, wie du am geschwindesten Ordnung in das vielerlei Ding bringst, das wir von der Wegfahrt mit in den Wald getragen haben?“
Aber die Frau blieb die vergnügten Augen diesmal schuldig. Sie sagte: „Wie man etwas zusammenträgt, darauf denk ich. Es muss ein Holz sein zum Kochen ...“
„Waas?“ fragte der Pechschaber, „ein Holz zum Kochen? Da mach ich mir fei nix draus; ein gekochtes Fleisch wäre mir lieber als ein gekochtes Holz!“
Darüber musste die Annemirl doch wieder ihr lustiges Gesicht aufstecken. Sie sprang empor und zog sich das Kopftuch hinter dem Gürtelbande heraus: „Jetzt, Girgl, einen Strick brauchen wir, und ein Holz gehen wir lesen im Wald!“
Da musste der Pechschaber gehorchen, suchte im Schupfen nach einem Strick und fand ihrer zwei.
Damit stiegen die vergnügten Pechschaberleute den Schlag hinan und verschwanden im Bergforst.
Nicht lange danach trug der Pechschaber droben auf der Waldlichtung einen Arm voll dürres Astholz herzu und schleifte in der freien Hand noch ein paar mannslange Äste hinter sich drein.
Er war still zu Berg geschritten; denn er konnte den Gedanken nicht los werden, dass das Musikantentum am Ende doch lustiger gewesen sei. Und darüber ward er nachdenklich: die Annemirl könne nun an jedem Morgen einen neuen Wunsch haben und am Nachmittag auch, und sie könne einen Haufen Arbeit für ihn erfinden; denn vom dürren Holz allein kann der Mensch doch nicht leben ...
Wie die Frau aber nun das Reisholz knickte, und wie sie sogar die starken Äste flink über ihrem Knie zerbrach, dass sie krachten, da wurde auch der Pechschaber wieder geschäftig. Es wurde ihm wohl; denn der wehende, schattige Bergwald war um ihn.
Eh noch die Amseln in den Wipfeln ihre Abendlieder anzustimmen begannen, hatte er zwei dicke Bündel Brennholz zusammengetragen. Weil die Annemirl sie aber so fein gleichmässig gepackt hatte, nahm er von dem einen Gebund die Hälfte weg und legte diese auf das andere: „Das grosse wird das meine,“ sagte er. Und nun gingen sie daran, das Holz mit den Stricken zu schnüren.
Da wurde plötzlich ein harter, stampfender Schritt vernehmbar.
Es kam ein Mann zwischen den Stämmen den Steilhang herein. Dem hing ein schweres Gebund Äste auf dem Rücken, und sein vergilbtes Spitzhütlein mit der krummen Spielhahnfeder daran hielt er in der Hand.
„Ah,“ sagte er, „da sind ja die neuen Pechschaberleut! Grüss Gott mitsammen! Holz und Plag wächst jeden Tag.“
„Freilich wohl,“ gab der Girgl zurück, während er auf dem knackenden Reisholz kniete, und: „Annemirl, den schau dir an, das ist ein richtiger, der Veit! Und auf ein Holz geht der Veit auch aus? Geh’ her und rast’ ein Eichtl!“
Da löste ihm der Pechschaber auch schon den Strick, damit er seiner Last ledig werde; und alsbald lagen die Männer im Moos. Derweil hatte die Annemirl das Sackleinen abgetan, das sie sich hinten aufgebunden hatte, damit das Holz sie nicht so drücke, und sammelte Blaubeeren hinein. Währenddem redeten die Männer heimlich miteinander.
Der Pechschaber erzählte, wie sie heute im Morgenlichte dem Grenzwächter entronnen seien. Da wälzte sich Veit in heller Lust auf dem Waldgrunde — der Veit war der verwegenste Wildschütz im Gebirg, und wenn Grenzwächtern und Waldhütern ein Leid geschah, so war’s ihm eine rechte Lust.
„Du,“ sagte er nach einer Weile, „auf Samstag Nacht — wenn du magst! Vollmond ist, Pechschaber, und nach Mitternacht klopf’ ich beim Steinhof ans Fenster. Einen Bock weiss ich stehen — so hoch hat er aufgesetzt!“ Der Musikant sah ein wenig betreten nach seiner beerensuchenden Frau. Das verstand der Wildschütz.
„Ah pah!“ sagte er und schlug in den Wind. „Angst haben die Weibsleut nur die ersten zwei Male, hernach — es fehlt nicht viel, so lüden sie sich selber ein Schiesseisen auf. Das kennen wir. Und nun gerade die deinige, — wenn sie heute den Wächter so fein heimgeschickt hat!“
Das verschlug. Sie wurden einig: in der Samstagnacht erwarten sie einander beim Steinhof, kriegen den Bock und machen halbpart.
Weil die Annemirl aber immer noch Schwarzbeeren las, sagte Veit:
„Pechschaber, es ist möglich, ich bring da noch zwei Leute mit! Nicht, dass ich dich vergrämen will, aber die Förster und Heger sind uns daheroben seit einiger Zeit höllisch dicht auf den Fersen. Ich denke, wir vier, wir können uns aufeinander verlassen. Schmuggeln und Wilpertschiessen, Schwämme suchen und Holz lesen, — wovon soll denn sonst einer leben im Wald? Keiner ist, der nicht darauf aus wär’. So machst du’s halt auch mit. Und dabei lässt sich leben. Mit der Musik ist’s nicht mehr weit her, Girgl, gelt?“
Der schlug in die Luft: „Gar aus ist’s mit der Kunst, Mann!“
Veit schickte sich an, sich sein Bündel Astholz wieder aufzuladen, wobei ihm der Pechschaber half. Die Annemirl war auch herangekommen.
„Also, b’hüt Gott miteinander und auf Samstag Nacht!“
Das Holz hatte eine schwere Last; denn wie der Wildschütz damit über den Wurzelgrund stampfte, schütterte die Erde.
Eine Weile später schnürten sich auch die Pechschaberleut ihre Bündel auf den Rücken. „Annemirl, gut ist’s, dass wir uns gegenseitig nicht so eine Last sind!“ sagte der Mann.
Die Frau nickte frohgemut. Dann nahm jedes einen Ast in die Hand: als Stütze den Bergabhang hinab. Und die Annemirl trug die gesammelten Beeren sorgsam vor sich her.
So langten sie beim Steinhof an. Die Sonne umgoldete die Bergkuppen und warf roten Sammet in die Wipfel der Fichten. Da flatterten die Amseln in das purpurne Licht und flöteten.
Während die Annemirl bald darauf einen Teil des eingetragenen und zerkleinerten Holzes hinter dem Ofen sauber aufschichtete, stand der Pechschaber mit der Axt vor dem Schupfen hinterm Haus. Und wie er das Dürrholz kleinschlug, dachte er:
„Ein gescheites Weib muss der Mensch haben; ein Musikantenpärlein braucht er auch; dazu ein Dach und ein Bett; und ein — Schiesseisen tät auch not. Glaubt einer gar nicht, wieviel sein muss, eh’ er sich sein kleines Glück zusammenrichtet!“
Und das Schiesseisen machte dem Girgl heimliche Sorgen.
Am Samstag, wie die Sonne niederging, legte der Pechschaber seinem Weib die Hände auf die Achseln:
„Annemirl, heut nacht wird etwas geschehen, musst dich aber nicht fürchten! Wenn die Mitternacht vorbei ist, pocht es ans Fenster.“
Da wurden die Augen der Frau weit: „Wilpert schiessen wollt ihr gehen miteinander! Sag’s nur frei heraus, Girgl!“
„Justament erraten hast’s, du!“ lachte er. „Das heisst, diesmal lauf ich nur so mit; zuschauen, weisst.“
Die Annemirl hob den Finger:
„Mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen, Brüderlein!“
„Pah!“ machte der Pechschaber, trat ans Fenster und richtete sich ein altes Rauchpfeiflein zurecht.
„Du,“ rief ihm die Annemirl hin, „teueren Rauchtabak willst auch wieder in die Luft blasen?“
„I nein,“ begütigte der Girgl, schaute dabei aber nicht auf, „ehbevor wir nicht den Bock erwischt haben, eh’ kommt kein Rauchtabak ins Haus.“
Dabei beschied sich die Frau.
Sie hatte sich gewöhnt, dem Pechschaber ein wenig nachzurechnen. Der war seintag nicht mit dem Gelde zurechtgekommen und war von jener Art Leute, die sich einbilden, ein Silbergulden wär ein solcher Haufen Geld, dass er gar nicht totzukriegen sei. Aber wenn der Mann sonst keinen Fehler hat und der Frau neidlos das Geldtäschlein überlässt, weil er sich sagt: ‚Nun bin ich auch noch dieser letzten Sorge ledig und bin der glücklichste Mensch auf der Welt‘, so ist schon fein mit ihm leben.
So dachte auch die Annemirl. Sie hatte sich den Girgl nun vier Jahr lang angeschaut: Fehler hatte er sonst keinen.
In den Fenstern löschte die Sonne aus.
Da legten sich die Pechschaberleut im Steinhof aufs Stroh, und wie die Bettstatt geseufzt hatte, redeten sie noch ein paar Wörtlein. Der Kauz klagte draussen. Sie schwiegen, aber sie schliefen dennoch nicht; und lagen doch beide ganz still, um sich einander nicht zu verraten.
Da kicherte die Annemirl einmal heimlich in ihren Bettzipfel, und als der Girgl seine Stirn nun ganz dicht an die ihre legte, sagte sie mit leisem Vorwurf gegen sich selber:
„Lachen muss ich, und eine Furcht sollt ich haben.“
Sie stützte sich auf den Ellenbogen. Das silberne Licht des Mondes fiel an die verhangenen Scheiben.
„Du,“ sagte sie, „wenn sie dich in dieser Nacht anschiessen, ich weiss nicht was ich tu!“
Der Pechschaber sah mit weit geöffneten Augen an die Decke und dachte: ‚Es ist schon recht, was der Veit gemeint hat von der Furcht der Weiberleut!‘ Er sagte aber:
„Grimm dich nicht, Frau! Bald wirst du am liebsten selber mit auf die Wildbahn schleichen.“
Da war draussen am Fenster in der Schattenwand des Hauses ein leises Klopfen vernehmbar.
Die Pechschaberleute sprangen aus dem Bett, als hätten sie gefühlt, dass eine Otter zwischen ihnen über das Laken glitt. Die Annemirl warf sich rasch ein knielanges Röcklein über; — nun hatten sie schier drei Stunden gelegen und gelauscht und fuhren doch umher, als wären sie aus tiefstem Schlafe geschreckt worden. Während die Frau das Rockband sich knüpfte, sagte sie:
„Möcht’ ich dir etwan ein Brot schneiden, Mann?“
Der tat inzwischen den Fenstervorhang ein wenig zur Seite, um denen draussen ein Zeichen zu geben; dann sagte er:
„Was willst du denn eigentlich aus dem Bett, Annemirl? Geh’ her und schlaf fix noch ein paarmal rum, dass du fertig wirst; denn bald reibt sich der Tag den Schlaf aus den Augen! Und ein Brot? Nein, ist nicht nötig. Nicht lang — so balzt der Spielhahn, und da möchten wir schon daran denken, uns wieder an den Steinhof heranzupirschen.“
Die Frau setzte sich auf den Bettrand:
„Jessmaria, wie du red’st, Girgl, schon wie ein richtiger Wildschütz!“
Nun drückte sich der Pechschaber den grünen Hut auf den Kopf und stieg zum Fenster hinaus: „Damit die alt Steinhöferin nicht aus dem Schlaf fährt,“ sagte er; „wenn die mir über den Weg lief, Annemirl, keinen Schritt tät ich auf die Wildbahn, diese Nacht nicht!“
Dann glitt er draussen hinab. Und die Annemirl rief ihm nach:
„Das hättest du mir früher sagen müssen; leicht, sie wär dir dann dagestanden, die alte Steinhöferin — ein böses Zeichen auf deinem Weg! So wärst mir wenigstens daheimgeblieben.“
Es war die heimliche Sorge, die aus ihr sprach. Dann schloss sich das Fenster, und die Annemirl legte sich wieder auf den Strohsack. Aber sie lag mit weiten Augen und wachen Ohren, — ob sie ein Schiessen vernähme den Berg herein.
Der Mondschein lag wieder klar hinter den Scheiben, und nur aus dem Tal herauf klang das dumpfe, eintönige Rauschen des Wildwassers.
Wie der Pechschaber draussen im Mondscheine stand, sah er nach der Waldecke hin und den Hang hinauf die breite Fährte der Wilderer im Tau; und ein Stück droben bemerkte er einen Mann, der gerade Deckung suchte. Er schritt nun eilig bergan und schritt über den weichen Nadelgrund zwischen den Stämmen, in dem jeder Tritt lautlos versank. Wie er an die Stelle kam, an der vorhin einer gestanden hatte, fand er aber nicht den Mann, der neulich mit einem Gebund Astholz im Walde zu ihm getreten war. Es standen vielmehr drei fürchterliche Gesellen mit russgeschwärzten Gesichtern und wilden Bärten vor ihm: drei richtige Bärenhäuter. Das Weisse ihrer Augen leuchtete den Pechschaber an, dass er zurückprallte. Erst an der Stimme erkannte er: der wildeste dieser drei, das war der Veit.
Sie gingen nun lautlos ihre Bahn durch das Stangenholz, wo sie von der einen Seite hinter buschigen Jungfichten Deckung hatten. Sie schritten hintereinander und leise wie wechselndes Wild. Sie suchten die Schatten des Waldes, denn der Mond schien taghell. Der Pechschaber ging zuletzt und dachte, dass er sich nicht auch unkenntlich gemacht habe, sei recht töricht.
Da schlug sich der eine seitwärts in das Holz, ein paar Rehsprünge weiter der andere. „Die Flinten holen sie,“ erklärte der Veit dem Girgl, als er seine fragenden Augen sah. „Die haben sie im Bergwald versteckt.“ Dann verschwand Veit auch, und der Pechschaber ging, wie ihm geheissen war, auf dem Wildwechsel weiter zu Berg und hockte sich an einer ihm von Veit beschriebenen Stelle ins Dickicht.
Nicht lange, so pirschten sich die drei Gesellen heran.
Der Bergwind erwachte, und die Wipfel begannen sich zu regen. Die Scheibe des Mondes bekam ein mattes, rotes Licht und hing nun über dem zackigen Saume des Waldes. Fern balzte ein Spielhahn. Der Mond versank; ein sanftes Gewebe von Licht lag über den fernen Bergkuppen.
Wie sie wieder eine Weile gegangen waren, tat sich Veit plötzlich nieder; und auch die hinter ihm sanken in das tauige Waldgras. Der Wildschütz hatte das Gewehr in Anschlag gebracht und spähte zwischen den Stämmen des Hochwalds hindurch. Wie der Pechschaber auch die anderen mit angelegtem Gewehr in der Deckung hocken sah, schlug ihm das Herz bis in die Kehle; er hatte einen dürren Ast aufgegriffen; denn eine Waffe musste er haben, um ihnen helfen zu können. Er bohrte seine Blicke in das dämmerige Blau der Nacht, fühlte seine Pulse fliegen und den Atem über seine Lippen zittern.
Da! Jetzt erst erkannte er: drüben zog der Bock mit drei Tieren durch das Holz und zog langsam heran, äsend, lauschend, während die Tiere sorgloser waren. Sie schritten näher, ruhig und langsam wie der Tag.
Da spie das Eisenrohr des Veit auf einmal Feuer und Blei in den verträumten Wald und brüllte in die Stille und weckte das Echo auf. Das sprang durch die Schluchten, stiess gegen den Berg, prallte zurück und rannte weiter.
Dem Pechschaber war, als wären alle Stämme lebendig geworden. Er sah die weissen Spiegel der drei Tiere durchs Holz fliegen; er hörte das dumpfe, angstvolle Schlagen ihrer flüchtigen Hufe.
Aber nur Veit hatte sein Gewehr aus dem Anschlag, um eine neue Patrone in den Lauf zu schieben. Die anderen knieten, ohne sich zu regen, im Moos.
Und der Wald war nun doch wieder still geworden; der Pechschaber hatte gedacht: So ein wildes Donnern kann gar nicht mehr einschlafen, das muss rollen bis in den Tag, muss in alle Hütten laufen und alle Förster und Heger rufen.
Der Bock lag kaum drei Sprünge vom Kleinholz, das sich drüben, zwei Steinwürfe weiter, durch die Stämme zog. An dieses Holz pirschten sich die Wildschützen in Deckung heran. Die Schleier der Nacht hingen noch überall, und die Gewebe der Frühnebel sanken heimlich hinein. Aber wie die Männer hinausgetreten waren und das Stück Wild erfassten, um es in das Dickicht zu schleifen, kamen auf einmal Stimmen und Tritte von drüben.
„Halt!“
Das war ein Ruf, der hätte den geschwärzten Gesellen das Blut in den Adern erstarren machen müssen.
Aber nur der Pechschaber schrie wild auf; war’s der Schreck, der ihm den Schrei entrang? War’s die List, die er sich vorhin ausgesonnen hatte, wie er hinter den drei zur Unkenntlichkeit entstellten Wilderern den Steilhang emporschritt, er, der einzige, der erkannt werden musste, wenn sie in dieser Nacht umstellt wurden?
Während die drei den Bock an den Läufen in das Dickicht schleiften und in hastiger Flucht davonstoben, schlug der Pechschaber mit seinem dürren Aste wild um sich, hieb auf den Waldgrund, stürzte sich hin und sprang wieder empor und lief den drei Hegern entgegen, die mit den zum Anschlag fertigen Gewehren der Stelle zuschreiten wollten, an der die anderen verschwunden waren.
So stand er nun allein den Waldhütern gegenüber, keuchend, mit wilden Augen, mit zerwühlten Haaren und sah, dass der eine sein Gewehr auf ihn in Anschlag gebracht hatte. Da warf er sich zum Tode matt an den Waldgrund.
„Das wär mein Ende gewesen!“ stöhnte er.
Aber die Heger traten an ihn heran, rissen ihn empor und durchsuchten ihn nach Waffen. Darüber verschnaufte sich der Pechschaber vollends und sagt:
„Das wär mein Ende gewesen! Sie, fassen S’ mich nicht so hart da hinten am Genick! Meine Papiere will ich Ihnen suchen, — ich hab’ doch meine Papiere bei mir, sackerment! Schaut denn so wie ich ein Wildschütz aus? Da sind sie, und da lesen S’: Der Musikmann Georg Zeitel bin ich, und hören tu ich auf den Namen Pechschaber. Sie kennen mich nicht, gelt? Ich bin erst seit kurzem hiesig. Aber nun, bitt schön, mein Blasholz lassen S’ mich suchen und mein grünes Spitzhütlein! Ist mir beides beim Uberfall abhanden gekommen. Ich hab Ihnen nämlich um die Früh schon beim ‚Neuen Hammer‘ sein wollen, eine Morgenmusik blasen. Jesses, unsereiner muss sehen, wo sich was verdienen lässt.“
Wie der Pechschaber sein Märlein erzählte, schauten sich die drei an.
„Heger,“ sagte er, „meinen Spitzhut und meine Flöte geh’ ich suchen. Wenn ihr einem armen Musikanten wieder zu dem Seinigen verhelfen tätet, wär’s gut; denn das muss ich schon sagen: Alle Glieder schlagen mir, und eine Furcht hab ich, sie könnten noch einmal kommen.“
Dabei ging er der Stelle zu, an der sich der Kampf mit den Räubern abgespielt hatte. Der Pechschaber merkte, dass er ja noch gar nicht berichtet habe, was ihm eigentlich geschehen sei. Darum begann er:
„Was soll ich noch sagen? Rein die Sinne sind mir vergangen. Sehen S’, so bin ich daher geschritten: das Blasrohr unterm Arm, die Hände in den Säcken und den Rockkragen hoch; denn ein wenig gefröstelt hat mich, wie der Frühwind angefangen hat, lebendig zu werden. Da sind sie über mich gekommen; gekannt hab’ ich keinen; denn warum? Ich kenn’ mich in der Gegend noch nicht aus, und dann: Pechschwarz haben sie ausgesehen wie die Kohlenbrenner, und struppige Bärte haben sie gehabt.“
Das erzählte der Pechschaber wieder mit fliegendem Atem und zitterte am ganzen Leibe. Dann bückte er sich, nahm seinen Spitzhut auf und putzte ihn von Erde und Nadeln rein. Hernach schaute er die drei an und sagte vorwurfsvoll: „Sie lassen mich da immer erzählen und sagen nichts, und Sie drängen sich um mich, als wollt’ ich entwischen. So reden S’ doch was und tun S’ nit so! Es wird einem ja angst und bang dabei. Was haben S’ denn mit mir vor?“
Da trat der eine der Hüter dicht vor ihn hin und fasste ihn am Joppenzipfel:
„Pechschaber, dass du ein so neunmal verschlagener Spitzbub bist und uns deine Geschichte vorlügst, das ist kaum zu glauben!“
Es war Tag geworden; wo die Sonne über den Berg heraufsteigen wollte, war schon wirbelndes, goldenes Feuer. Die Tale rauchten, und die Wipfel klangen.
„Bitt schön,“ sagte der Pechschaber, „einen Augenblick müssen wir schon noch verziehen. Mein Blasholz hab’ ich noch nicht gefunden.“
Dann suchte er den Waldgrund in der Runde ab und suchte im Dickicht. Mit einem wehleidigen Gesicht trat er wieder zu den halblaut miteinander redenden Hegern. Er hatte beim Suchen auch nicht vergessen, den wenigen Schweiss des Bockes, der rot auf den Nadeln lag, mit den Nagelschuhen zu verwischen. Nun wollten die Heger wissen, ob der Pechschaber den Schuss auch fallen gehört hätte. Da stellte der sich breit und mit wichtigem Gesicht vor sie hin.
„Na,“ sagte er, „das glaub’ ich; denn dicht vor meinem Ohre ist er losgegangen. Aber wissen S’, was ich denk’? Ich denk, es hat sich über dem Kampf ein Gewehr entladen; denn sie werden mich wohl nicht haben totschiessen wollen. Und ein Wildbret, auf das sie hätten anschlagen können, das hätt’ wohl auch nicht gewartet. Freilich wohl, davon versteh’ ich nichts. Aber um mein Blasrohr bin ich nun richtig gekommen!“
Wie sich die Waldhüter darüber einig waren, dass ein solcher wie der Pechschaber nicht auf der Wildbahn gewesen sein könne, gingen sie mit ihm durch den Wald und sahen, wie er sich unter ihrer Begleitung erholte. Nun gelangten sie auf den Hang, auf dem der Weg zum Steinhof herniederführte. Da stand der Veit im grünen Spitzhütlein mit dem keckgebogenen Spielhahnstoss und einem sauberen, morgenfröhlichen Gesicht schon wieder neben der jungen Pechschaberin im rauchenden Golde der Frühe. Die Annemirl hielt sich am Joppenärmel des Wildschützen fest, wie sie aufwärts blickte:
„Jessmarie, gefangen haben sie ihn!“