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"Am Strande der See lag vor vielen Jahren ein Fischerdorf, das hieß Robbensiel." Die Einwohner dieses friesischen Dorfes waren zu Reichtum gekommen, hatten zunächst einen Deich und dann eine stattliche Kirche errichtet. Ihre Nachkommen vernachlässigten ihr Erbe und es kam, wie es kommen musste. Eines Nachts brach der Deich; die Kirche und ein Großteil des Dorfes Robbensiel wurden vernichtet. Die Glocken der Kirche wurden ins Meer hinausgetragen, wo sie am Grund der See liegen blieben. Doch die Menschen meinten, von diesem Tag an zu bestimmten Zeiten vom Meeresgrund ein Läuten zu hören. Eines Tages zieht Mynheer Remmer van der Heyde, aus Holland stammend und vermögend, in eines der Häuser ein und das gibt Hoffnung für die dort noch lebenden Dorfbewohner. Bis zu dem Tag, an dem wieder ein entsetzlicher Sturm einsetzt.-
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Seitenzahl: 209
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Roman
Saga
Am Strande der See lag vor vielen Jahren ein Fischerdorf, das hiess Robbensiel.
Dort hatte ein trutziges Friesengeschlecht gesessen.
Als der Häuser immer mehr wurden, sagten die Leute zueinander:
„Wir wollen eine Kirche bauen; denn wir haben durch den Fischfang, durch die Jagd und durch die Muschelbänke viel Geld verdient. Warum sollen wir zwei Stunden über die Heide gehen, wenn wir eine Predigt hören wollen?“
Dazu sagten andere: „Das kann alles geschehen. Aber dann müssen wir erst einen Deich ziehen, der sich quer vor die Bucht stellt; in seinem Schutze soll fortan unser Dorf liegen.“
So geschah es auch.
Die Schiffer und Fischer von Robbensiel wurden Kärrner. Sie führten Seesand und Klei in grossen Haufen quer vor die Bucht, und der Damm wurde fertig.
Er war höher als ihre Häuser, die dicke, niedrige Strohdächer hatten, weil der Wind sich nicht hart an ihnen stossen sollte.
Wenn ein Sturm heraufkam, so rollten die Wogen an die Aussenseite des Dammes und zerbrachen.
Die Leute von Robbensiel aber wachten nun nicht mehr an ihren Herdfeuern, wenn eine wilde Nacht war. Sie sagten: „Den Flötenkiel überspringt die See nicht.“
Diesen Namen hatten sie dem Deich gegeben, weil der Seewind immer auf ihm daherlief und wie ein fahrender Musikant flötete.
Der Grund, auf dem das Dorf Robbensiel stand, war einst Meeresboden gewesen. Die See hatte im Laufe der Jahrhunderte an jenem Strande Mengen von fruchtbarem Schlamm angeschlickt — immer mehr, bis sich der Meeresgrund über die sanft daherrollenden Wellen erhob. Nun grub der Pflug dieses Vorland, das das Meer den Leuten geschenkt hatte; und ein Teil war als gutes Grasland liegen geblieben, und die Jahre hatten einen grünen Teppich aus feinem Rasen darübergewoben. Weite Weiden grünten, und auf den Fennen schritten Schafe und bunte Kühe.
Und die Leute von Robbensiel bauten hinter dem Deich eine Kirche mit einem hohen Dache. Das war viel höher als die Dächer ihrer Häuser, schaute weithin über die See, und auf dem Sattel trug es ein goldenes Kreuz.
Es war eine grosse Feierlichkeit, wenn die Glocken von Robbensiel läuteten und die See zu dem tiefen, schönen Klange sang.
An der Aussenseite des Flötenkiels legten um diese Zeit Handelsschiffe an, die die Beute der Fischer von Robbensiel fortführten. Hinter den Fenstern der Häuser waren weisse Vorhänge.
Die Frauen trugen des Sonntags, wenn sie in die Kirche gingen, samtene Mieder mit Knöpfen aus Gold und hatten Ketten um den Hals, die waren von mattem Silber und gaben einen sanften, feinen Klang.
Die Leute in der Heide aber sagten, wenn sie einen sahen, der recht stolz einherging: „Der ist reich wie einer von Robbensiel.“
So währte das hundert Jahre.
Da wurde das Kreuz auf dem Kirchendach, das der Seewind schwarz und unansehnlich gemacht hatte, nicht mehr mit neuem Gold belegt.
Es kam auch einmal eine Sturmflut. Die rollte schwere Sturzseen gegen den Deich von Robbensiel und zerbrach ihn an einigen Stellen.
Aber es war niemand im Dorfe, der gesagt hätte: „Wir wollen den Deich wieder ausbessern, sonst wird er in wenigen Jahren ganz zerfallen sein.“
Und die Nachbarn in der Heide, die das sahen, schüttelten die Köpfe und sprachen:
„Die neuen Leute von Robbensiel taugen nichts mehr. Ihre Väter sind stolz gewesen auf das Geld, das sie von den Vorvätern ererbt. Aber sie haben nichts hinzuverdient, und die neuen Leute wollen nicht einmal mehr arbeiten.“
Von den Fennen um Robbensiel verschwanden zu dieser Zeit die Schafe und Rinder; denn es geschah in den wilden Nächten des Herbstes und Vorfrühlings, dass das salzige Seewasser durch die Breschen des Deiches schoss und die Weiden verdarb.
In den Augen derer von Robbensiel löschte das freudige Licht; und die den Fischfang betrieben, kamen mit leeren Booten und finsteren Stirnen heim.
Die Fische, die sich einst in unermesslichen Zügen gegen den Strand gedrängt hatten, waren auf unerklärliche Weise verschwunden. Die Leute sagten:
„Wir wollen warten, ob sie im nächsten Jahre wiederkommen.“
Aber es blieb wie vorher.
Weil sie nur einen kargen Verdienst hatten, so verbrauchten sie den Rest ihres Gutes. Aber sie sträubten sich, den Deich zu bauen, der schon ein ganz morsches Bollwerk geworden war, das die nächste grosse Flut hinwegfegen konnte.
Zuerst, als sie die Baufälligkeit des Dammes erkannten, hatten sie Klei und Sand herzugefahren und hatten dem Verfall Einhalt getan. Aber weil ihr Verdienst sich nicht besserte, weil der Fischfang immer weniger eintrug und weil sie doch mehr arbeiteten, als ihre Vorfahren je nötig gehabt hatten, deshalb wurden sie mutlos und lässig. Sie liebten ihre Heimat nicht mehr, weil sie ihnen nichts gab.
Und wurden ein trutziges, schweigsames, verbittertes Geschlecht.
Etliche waren auch, die fürchteten sich vor dem Einbruch der See, und sie sagten: „Eines Tages wird sie uns überfallen, wird über den Deich springen und wird sich alles wieder nehmen, was sie unseren Vorfahren geschenkt hat.“
Und die grosse Flut kam. Sie zerstörte Häuser und stürzte die Kirche ein.
Da rollten die Glocken von Robbensiel durch die Gassen, die die Wogen in den Deich gebrochen hatten, und rollten hinaus in die See. Sie trieben hinab in grüne schimmernde Tiefen, durch die kein Sommerwind singt und kein Strahl goldenen Lichtes geht.
Und manchmal, wenn die Wogen schlugen und der Seewind sauste, und wenn die Leute von Robbensiel nun wieder an ihren Herden die Nächte durchwachten wie früher, ehe der Deich gewesen; wachten, bis die Stimmen des Grauens still geworden waren, dann lauschten sie auf, hörten ein fernes, frommes Läuten und sagten: „Das sind die Glocken von Robbensiel.“
In den Dächern der Häuser wühlte der Wind. Aus den Gärten schwand die bunte Zier der Blumen. Die Zäune um die Gelände vermorschten und sanken — je länger, je mehr. Alles im Stranddorfe Robbensiel war Verfall.
Darum packten etliche ihre Habe und siedelten sich auf dem Grunde der Geest oder auf der dürren Scholle der Heide an. Einige zogen in das Moor — Armut zu Armut. Andere aber verkauften, was sie hatten, und fuhren nach Amerika. Schiffer hatten ihnen erzählt: „Dort liegt das Gold in glänzenden Barren im Stein und Sande der Erde verborgen; man muss nur Glück haben, um sich an einem Tage Reichtümer zu schürfen.“
Das Glück wollten sie versuchen.
Und die See kam und zerbrach die verlassenen Häuser.
Einer der wenigen, die weder in die Heide, noch in das ferne Land Amerika ausgewandert, war Wiet Evers.
Wiet Evers war ein alter Mann. Der konnte nicht einmal mehr Muscheln schürfen; da hielt er sich ein paar Schafe und trieb sie auf die Düne, die hoch und breit die Bucht von Robbensiel nach dem Lande hin wie ein mächtiger Bogen umzog.
Es war ein Sommertag.
Ringsum war alles so still, dass Wiet Evers bei den Schafen zu hören vermeinte, wie die versunkenen Glocken läuteten. Sie sangen: „Ihr alle geht unter! Ihr alle geht unter!“
Wie Wiet Evers solche Worte den Klängen des Sommertages unterlegte und halb verträumt über das wundersame Schicksal von Robbensiel nachsann, kam ein Mann mit einem jungen Seefahrer über die Düne daher.
„Ihr seid ein Mynheer,“ sagte Wiet Evers zu dem Alten; denn er sah, dass dieser vornehme Kleider trug und weiche silberne Haare über die Schläfen gestrichen hatte. „Was sucht Ihr hier, Herr?“
Der Alte lächelte: „Ich suche die Einsamkeit und die See.“
„Die beiden werden in der Bucht von Robbensiel bald allein daheim sein,“ sagte Wiet Evers. „Es ist nur gut, dass Ihr sonst weiter nichts sucht. Von diesen Dingen werdet Ihr hier wohl mehr finden, als Euch lieb ist.“
Und Wiet Evers, der die Schafe hütete, schaute den Männern nach und schüttelte den Kopf.
An diesem Tage kaufte Mynheer Remmer van der Heyde das Haus von Klas Hinrichs. Das war ganz von Efeu umsponnen und lag am Fusse der Düne.
Die Leute, als sie davon erfuhren, machten ungläubige Augen und sagten:
„Wie kann denn einer kommen und um diese Zeit in Robbensiel ein Haus erstehen? Wer wird denn an diesem Strande wohnen wollen, den die See frisst?“
Aber es war doch so.
Klas Hinrichs machte nun wieder frohe Augen, weil er das Geld einstreichen und seine Heimat verlassen konnte.
Da sagten die Leute von Robbensiel: „Klas Hinrichs hat Glück. Der kann mit dem Gelde in einem glücklicheren Lande etwas Gutes beginnen; wir aber müssen warten, bis uns und unsere Häuser die See frisst, wenn wir nicht alles im Stiche lassen wollen.“
Am nächsten Tage fuhren Wagen den Hausrat Remmers van der Heyde in die Bucht von Robbensiel. Nachdem alles in dem Hause seinen Platz gefunden hatte, redete der alte Remmer lange mit seinem Sohne.
Es war, als erzählte der Alte dem jungen Seemann sein Leben oder als bespräche er mit ihm, was geschehen sollte, wenn sein Herz eines Morgens aufgehört hätte zu schlagen; denn sie redeten lange und eindringlich miteinander. Und so sprach Remmer van der Heyde zu seinem Sohne:
„Du weisst, dass deine Mutter nicht lange nach deiner Geburt gestorben ist. Da musstest du bei fremden Leuten wohnen; denn ich hatte mein Geld in einem überseeischen Handelsgeschäft. Ich musste dort bleiben, wenn ich nicht wollte, dass ich mein ganzes Vermögen verliere. Das Geschäft hob sich, und ich konnte mir endlich die eingelegte Summe mit einem hohen Gewinn zurückzahlen lassen. Ich unternahm dann ein anderes Geschäft und verlor dabei wieder die Hälfte von dem, was ich hatte. Daraus erkannte ich von neuem, dass ich nicht zum Kaufmann geboren bin. Mir fehlte die Lust und der Blick, einen Stand der Dinge wahrzunehmen, bei dem ich einen grossen Gewinn erzielen konnte. Darum beschloss ich, von nun an in der Einsamkeit einer Küste meinen gelehrten Neigungen zu leben und ein Werk über die Wunder der Tiefsee zu schreiben. Wenn ich auch dafür nie Geld erhalte, so werde ich doch eine ehrliche Freude daran haben und ein billiges Leben führen. Von dem aber, was ich besitze, will ich dir eine Brigg bauen lassen, sobald du die nötigen Stufen deiner Seemannslaufbahn durchschritten hast.“
Der junge Remmer van der Heyde liess sich am nächsten Tage wieder anmonstern; der alte aber blieb in seiner Einsamkeit.
Danach vergingen Jahre.
Und als es nach diesen Jahren wieder einmal Herbst geworden war, kehrte der jüngere Remmer van der Heyde in das Haus am Strande von Robbensiel zurück. Er war als Matrose ausgezogen, nun aber war er Steuermann geworden. Damit hatte er die Stufen der Seemannslaufbahn durchschritten, von denen der Vater bei seinem Weggange geredet hatte.
„Ich will den Winter über in Robbensiel bleiben“, sagte er.
„Du sollst bei mir bleiben,“ sprach da der alte Remmer van der Heyde, „denn ich will dir nun die Brigg bauen lassen, wie ich dir versprochen habe. Wenn du dann dein eigenes Schiff hast, wirst du dir Geld mit den Fahrten verdienen und kannst dir dann dein Leben richten, wie du gern magst.“
Der junge Seefahrer blieb danach in Robbensiel, und die Brigg ward in Auftrag gegeben.
Eines Tages traf der Steuermann Remmer van der Heyde auf dem Deiche den Schiffer Wessel Jansen. Dieser schritt immer daher, als schwanke der Damm unter ihm wie ein leichtes Schiff im Sturme.
Jansen nahm die Rechte des anderen in seine breite, starke Seemannshand und sagte: „Du willst ja wohl nun ein Kapitän sein, Remmer van der Heyde?“
„Hm,“ nickte dieser, „will ich! Im Frühjahr wird die Brigg fertig.“ Und sie gingen weiter den Deich entlang.
Im Rücken lag ihnen die Bucht von Robbensiel, zur Rechten schlug die See, und zur Linken öffnete sich das Tief mit seinen Weiden und Gräben, in denen mannshohes Schilf wuchs.
In diesem Tief standen im Schutze des Dammes drei Häuser, die nur mit den Firsten ihrer Rohrdächer auf die See schauten.
In dem ersten dieser Häuser schenkte der alte Schiffer Harm Harbers Bier und Branntwein.
In dem zweiten, das zwei Steinwürfe weit davon entfernt war, wohnte Old Wimke Tülp. Diese sass im Hörn ihres Hauses und wärmte sich die Füsse auf der Feuerkieke. Sie litt am Gliederreissen; deshalb wusste sie schon drei Tage vorher, dass ein Sturm komme. Bei Old Wimke wohnte der Entenjäger Feis Tülp im Hause, ihr Enkel, der oft tagelang mit dem rostigen Schiesseisen draussen am Strande lag. Dabei hatte er eine dichtgewirkte Jacke an, die nur auf der Achsel zu schliessen war. Auf dem blonden Haare sass ihm die runde, gestrickte Mütze mit dem dicken Wollknopf obenauf. Und um den Hals schlang er sich ein schwarzes, schmales Tuch, das er vorn zu einer wehenden Schleife knüpfte. Feis Tülp hatte klare, blanke Augen und ein junges, freies Gesicht.
Von Old Wimkes Hause einen Möwenruf entfernt lag das dritte, das Haus des Schiffers Wessel Jansen.
In dieses trat Jansen mit Remmer van der Heyde.
Und Remmer van der Heyde sah, dass Jansens Schwester Jantje ein starkes und schönes Mädchen war.
Jantje Jansen aber dachte: Er ist der Sohn des Mynheers und wird bald eine eigne Brigg haben.
Am zweiten Tage sah er sie wieder und dachte: Es wäre gut, wenn der Kapitän der Brigg eine Frau hätte, die so schön und tapfer wäre wie Jantje Jansen.
Und sie meinte: Mit so einem, wie dem jungen Remmer van der Heyde, möchte ich wohl gerne fahren.
Am dritten Tage stand Wessel Jansen draussen im Graben und schnitt Rohr; deshalb musste Remmer van der Heyde mit Jantje Jansen allein sein.
Sie sassen lange am Herdfeuer.
Da sagte der Steuermann: „Jantje Jansen, wenn du mich lieb hast, kannst du meine Frau werden.“
Und das schöne starke Mädchen sah dem Manne froh in die Augen und sagte: „Wenn du mich lieb hast, so will ich gerne dein sein, Remmer van der Heyde.“
Darauf umschlangen sie sich mit ihren Armen und küssten sich.
Als der Frühling kam, wurden sie in der Heidekirche getraut, und die Brigg lag seefertig vor der Werft eines fernen Nordseehafens. Da nahmen sie beide Abschied von dem alten Remmer van der Heyde. Und nachdem sie im Herbste von ihrer ersten glücklichen Fahrt heimgekehrt waren, schenkte Frau Jantje einem Mädchen das Leben.
Das nannten sie Elke van der Heyde.
Der Winter verging, und am Morgen des 10. Februar stach die Brigg abermals in See. Sie war nun schon ein Jahr alt und ging nach Schweden. Und der Kapitän nahm auch diesmal Weib und Kind mit auf die Fahrt.
Dem alten Remmer van der Heyde aber hatten sie in seiner Siedelei von Robbensiel das Versprechen gelassen: „Wenn es eine glückliche Reise ist, so muss die Brigg am 13. März heimkehren und wird in der Frühe dieses Tages Robbensiel sichten. Wir wollen im Vorübersegeln eine Flagge zum Grusse setzen, an der du erkennen sollst: jenes Schiff ist die Brigg deines Sohnes, und an Bord ist alles wohl.“
Dann zogen sie hin.
Grossvater van der Heyde reichte dem Kinde beim Abschied ein sanftes Glöcklein aus Silber. Daran sollte es sich ergötzen, wenn es auf der langen Fahrt nichts vernähme als den eintönigen Schlag der Wellen, die an der Bordwand zerbrachen.
An einem Märztage schlingerte Wessel Jansen den Deich entlang und arbeitete heftig gegen den Wind.
Es lag schwerer Nebel über der See.
Jansen spuckte missmutig hinein; denn er hatte auf einen langen, klaren Ost gewartet, der die Gräben noch einmal mit Eis überziehen sollte; auf dem Eise wollten sie dann schreiten, wenn sie Rohr schnitten.
Da kam Feis Tülp aus dem Nebel heraus.
„Tülp,“ sagte Jansen, „nun müssen wir bis an den Bauch im Wasser stehen. Das ist eine kalte Partie, Tülp. Aber geschnitten muss das Ried werden; denn die Bauern wollen ihre Dächer flicken.“
Er rieb sich dabei die Tropfen aus dem Barte, der ihm wie eine Krause von einem Ohre zum andern lief; dann drehte er sich zwei Stücke Priem von dem Röllchen und schob sie in den Mund, eins steuerbord und eins backbord.
Weil er dabei ungeduldig von einem Fusse auf den andern wiegte, fragte Tülp:
„Na, hast du das Zwicken, Jansen?“
Der schlug mit der Hand in den Wind:
„Nee. Hat Old Wimke Tülp daheim im Lehnstuhl etwa was in den Gliedern?“
Da nickte Feis Tülp:
„Hat sie. Sie sitzt im Hörn hinter dem Ofen und weimert. Es ist ein Sturm auf dem Wege, Jansen.“
Jansen starrte den Entenjäger aus weiten Augen an.
„Ja, Jansen, Old Wimke meint, ein Sturm, so gross wie jener, der vor dreissig Jahren die Glocken von Robbensiel gestürzt hat.“
Da sagte Jansen:
„Wenn die Alte recht hat, so werden sie Elke van der Heyde bald wie ein Märchen erzählen, dass dort, wo die graue See geht, einmal Menschen gewohnt haben. Es ist eine verrückte Welt, Tülp! Komm, wir wollen sehen, was Harm Harbers zu meint, und wollen uns mit einem lüttjen Snaps Branntwein wärmen — dass dir im Graben das Herz nicht kalt wird,“ setzte er lachend hinzu.
Feis Tülp merkte nicht, worauf Jansen anspielte.
Nun gingen sie den Deich hinab zu Harm Harbers.
„Schallen wi woll een lüttjen Kloren hewwen?“ rief Jansen dem alten Harbers beim Eintreten entgegen.
„Ihr wollt ja wohl Ried schneiden?“ fragte Harbers und wunderte sich.
Feis Tülp ging mit schweren Schritten gegen den Herd.
Dort sass Etje Harbers und spann Flachs. Sie sass im Scheine des Feuers, und hinter ihr tickte die rauchbraune Standuhr.
Harbers und Jansen blickten zu dem rückwärtigen Fenster hinaus und sahen, wie Nebel und Regen über die Heide flogen.
Einmal wandte sich Jansen um, weil er vom Herde her ein leises Lachen vernahm.
Dann kniff er die Augen ein wenig zu und sagte:
„Na, Feis Tülp, weisst du nun, was ich gemeint habe? Wir gehen zu Harm Harbers, hab’ ich gesagt, dass dir das Herz nicht kalt wird, Junge!“
Da zerriss Etje Harbers der Faden zwischen den Fingern. Sie sprang auf und schürte den Brand mit der Feuerzange.
Tülp aber freute sich an dem verräterischen Rot, das ihr bei Jansens Worten auf die Stirne geflogen war.
Harbers warf um diese Zeit einen Blick auf das Wetterglas und schloss die schmalen Lippen noch fester.
„Na, wie steht das?“ fragte Jansen.
„Weisst du was von der Brigg, die Kapitän Remmer van der Heyde fährt?“
„Die Brigg? Da hast du recht, Harbers!“ ... Jansen stützte das Kinn in die Hand ... „Am zehnten Februar ist sie von Bremerhaven in See gegangen“ ...
Seine Augen wurden plötzlich weit, und der Mund blieb ihm offen stehen, wie einem, der ein Gespenst sieht.
Dann schlug er das leere Kelchglas auf den Tisch, dass es zersprag.
Als Etje Harbers das hörte, tat sie einen Schrei — so klagen die Möwen, wenn der Sturm anhebt.
Und Jansen starrte auf den Wandkalender.
„Am dreizehnten März ist die Brigg fällig!“ sagte er tonlos.
Der Wandkalender zeigte den zwölften.
Inzwischen war über der See eine dunkle Wetterwand emporgestiegen.
Old Wimke Tülp stand in der Tür ihrer Hütte, hielt sich mit beiden Händen an dem einen Pfosten und hob die Augen gegen den drohenden Himmel.
Es war ihr, als sähe sie in dieser Stunde Gott selber mit wehendem Bart und im fliegenden Wolkenmantel auf den Zinnen jener starken Himmelsburg schreiten und ausgehen, mit den Menschen Gericht zu halten über ihre Sünden.
Harm Harbers aber sprach zu Jansen und Tülp:
„Ihr könnt heute kein Ried schneiden. Wir wollen hinausgehen nach Robbensiel.“
Und Jansen sagte:
„Ja, wir wollen helfen! Aber was können wir dabei tun? Es müssten etliche Bauern mit Pferd und Wagen kommen. Dann könnten wir die Habe der Leute von Robbensiel bergen, ehe ihre Dächer einstürzen.“
„Das ist gut,“ antwortete Harbers. Und er wandte sich an Etje: „Tu dir ein Tuch um und lauf auf die Geest und sage den Bauern, was nötig ist.“
„Wenn sich aber niemand findet, der die lange Stunde durch den Sturm fahren möchte?“
„So sag’ ihnen: der alte Remmer van der Heyde habe Geld genug, sie dafür zu bezahlen, dass sie sein Hab und Gut der See aus dem Maule reissen.“
Und Etje Harbers eilte hinaus in den Sturm und lief in den Nebel der Heide.
Harbers, Jansen und Tülp schritten bald danach hinter dem Deiche den schmalen Fusspfad im Tief und kamen hinaus nach Robbensiel, als schon die Dämmerung in das bleierne Grau des Tages sank.
Der Sturm sauste, und der Regen flog.
Harbers und Tülp gingen gegen die Häuser, die dem geborstenen Deiche am nächsten lagen; Wessel Jansen aber steuerte dem Dache des alten Remmer van der Heyde zu, das bei der Düne lag und am weitesten von der andrängenden See entfernt war.
Er stiess die Türe auf. Da sass der Alte an seinem Tisch und schrieb — ja, Remmer van der Heyde hatte die lange Wildgansfeder zwischen den Fingern und war von einem Gleichmut, als läge draussen auf dem Watt ein Sommertag und schaue einer Herde ziehender Wolkenlämmer nach.
„Mynheer,“ rief Jansen, „was weisst du von der Brigg?“
„Nichts.“
„Nichts? Und das sagst du so hin?“
„Was willst du dabei tun, Wessel Jansen?“
„Hörst du den Sturm nicht, Remmer van der Heyde?“
„Ich höre ihn und weiss, dass Robbensiel untergehen kann.“
„Kann?“ schrie Jansen und schlug auf den Tisch. Dann riss er dem Alten das Papier unter der Wildgansfeder weg. „Kann?“ fragte er noch einmal. „Sag’: muss! Ihr müsst alle ersaufen in dieser Nacht!“
„Vielleicht!“ entgegnete van der Heyde. „Viel wird die See nicht zu tun haben.“
Der Alte legte den Kiel beiseite und lehnte sich im Stuhle zurück.
Jansen fragte:
„Und die anderen? Ich meine, die in den übrigen Häusern wohnen?“
Ein heimliches Lächeln lief über das feine Gesicht des Alten.
Er fuhr sich mit der flachen Hand über Stirn und Mund, als wolle er das Lachen abwischen, das sich zu falscher Zeit dahin verirrt hatte.
Dann sagte er: „Erst haben sie gebetet. Darauf haben sie ihre Häuser dicht gemacht und wieder gebetet. Aber als sie sahen, dass der liebe Gott nicht gleich in Seestiefeln den Deich herschritt und die schäumenden Mäuler der Wogen zertrat, die die See durch die Breschen des alten Deiches schob, da haben sie im Stiche gelassen, was in ihren Häusern war, und sind ins Land geflohen. Sie haben nicht viel verloren.“
„Alle?“ fragte Jansen. Er war froh, als er den alten Remmer so reden hörte.
„Ich weiss es nicht,“ entgegnete der Holländer, „aber ich sah ihrer etliche am Nachmittage durch den Sturm gegen die höher liegende Geest schreiten. Es sind ja nur noch sieben Häuser auf Robbensiel, Jansen.“
Jansen blickte nach der Uhr und sagte: „Mache dich fertig. Du kannst hier nicht bleiben, du musst ausziehen, Mynherr“ ...
Der Sturm warf die Haustür auf, und Harbers und Tülp stampften hinter ihm drein über die Fliesen.
Harbers rief hinein:
„Jansen, es rollen Berge von Wasser gegen den alten Deich!“ Der Qualm seiner Fackel wehte in den Raum; es war inzwischen dunkel geworden. „Komm, Jansen, wir warten auf dich.“
„Und was soll mit Remmer van der Heyde werden?“
„Das Haus von Wiet Evers steht dreihundert Schritt weiter gegen die See hin und liegt tiefer als das des Mynheers. Zuerst zu Wiet Evers! Vorwärts, Jansen!“
Wiet Evers hatte inzwischen mit seinem Weibe auf den Tod gewartet.
Die Flut drängte sich schon gegen die Mauern seines Hauses; sie stieg über die Schwelle und züngelte auf die Vordiele. Sie kroch um die Fackeln, die Harbers und Tülp draussen zu seiten der Tür in das Gras gesteckt hatten, und löschte sie aus.
Da band Feis Tülp drei Pechfeuer, die in Wiet Evers Hause waren, an eine hohe Stange, entzündete die Feuer am Herdbrand und steckte die Stange vor dem Hause in die Erde.
Die Brände sollten dem Wagen, auf dem Etje Harbers um diese Zeit von der Heide her gegen Robbensiel fuhr, den Weg zeigen; denn es war ganz finster.
Fast bis an die Knie standen die Männer in der steigenden Flut und trugen aus Wiet Evers Hause, was ihnen gerade in die Hände fiel.
Das wurde auf der höher gelegenen Fenne, wo sie schon den alten Mann und sein Weib niedergelegt hatten, in Sicherheit gebracht.
Da lief ein Licht durch die Nacht — endlich!
Und hintendrein ein zweites: die Wagen rollten durch den Sturm heran.
Eine Weile später zischte die See unter den Hufen der Pferde zur Seite, und Wessel Jansen fiel den geängstigten Tieren in die Zügel. Dann leitete er sie zu der Stelle, wo Wiet Evers auf seinem Hausrate nach dem Tode rief.
Die alte Evers schwieg — es war, als horchte Peterke Evers in stummer Qual, ob sie die See höre, wie sie die Reste von Robbensiel verschlinge.
Aber die wilde Woge, die alles fressen würde, kam nicht.
Es war, als wirke das trutzige Friesenwerk, dass das alte Geschlecht vor Jahrhunderten um seine Siedlung gezogen hatte, auch in seinen Trümmern noch Wunder. Jede breite See zerschlug sich an den starken Pfeilern und suchte mit gebrochener Kraft ihren Weg diesseits des Dammes weiter. Nur das kurze Schlagen der Wellen war schon an allen Wänden, und Wiet Evers sah, dass er mit dem, was sein war, auf einer ganz kleinen Insel liege. Da wollten sie der alten Frau in den Kissen auf dem Wagen ein Lager bereiten.
Aber Peterke Evers rührte sich nicht.
„Du bist kalt, Möh,“ sagte Etje Harbers zu ihr. „Wir wollen dich nun mit den Betten decken und in unser sicheres Haus im Tief fahren.“