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Das Vermächtnis des Inka ist das Ziel des Rittes, zu dem "Vater Jaguar" und seine Gefährten in Buenos Aires aufbrechen. Sie folgen dem Stierkämpfer Antonio Perillo, der sich verbrecherisch in den Besitz des Geheimnisses gebracht hat, hinauf in die Anden. Wird in der finsteren "Mordschlucht" endlich die Gerechtigkeit siegen? Die vorliegende Erzählung spielt Mitte der 60er-Jahre des 19. Jahrhunderts.
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Seitenzahl: 682
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KARL MAY’s
GESAMMELTE WERKE
BAND 39
DAS VERMÄCHTNIS
DES INKA
ERZÄHLUNG
AUS SÜDAMERIKA
VON
KARL MAY
Herausgegeben von Dr. Euchar Albrecht Schmid
© 1951 Karl-May-Verlag
ISBN 978-3-7802-1539-0
KARL-MAY-VERLAG
BAMBERG • RADEBEUL
„Corrida de toros, corrida de toros!“, ertönte es aus dem Munde der Ausrufer, die, mit bunten Schleifen und Bändern geschmückt, die sich rechtwinklig kreuzenden Straßen von Buenos Aires durchzogen. Corrida de toros war das Thema, das seit mehreren Tagen alle Blätter der Stadt ausführlich behandelten, und Corrida de toros bildete den Gegenstand des Gesprächs in allen öffentlichen und Privatlokalen.
Corrida de toros, zu deutsch Stiergefecht, ist ein Wort, das jeden Spanier und jeden, dem ein Tropfen spanischen Blutes in den Adern fließt, zu begeistern vermag. Er bekümmert sich nicht um die Einwände, die die Gegner dieser seiner Lieblingsvergnügung vorbringen, um zu beweisen, dass sie nicht nur moralisch, sondern auch anderweit verwerflich ist; er eilt zur Arena, um der Tierquälerei aus voller Kehle zuzujauchzen, und gerät vor Entzücken gar außer sich, wenn ein mannhafter Stier einem Pferd den Leib aufschlitzt oder einen der Toreadores auf die Hörner spießt.
Ja, Corrida de toros! Wie lange hatte man in Buenos Aires kein Stiergefecht gesehen; seit welcher Zeit war in der Plaza de toros das Wiehern der Pferde, das Brüllen der Stiere, das Geschrei der Kämpfer und das Jauchzen der Zuschauer nicht mehr vernommen worden! Es war eine ganze lange Reihe von Jahren her, seit das letzte Stiergefecht stattgefunden hatte. Und daran waren die leidigen politischen Verhältnisse des Landes schuld.
Der Krieg, in den Lopez, der Diktator von Paraguay[1], die argentinische Konföderation gezogen, hatte die Letztere bis jetzt vierzig Millionen Dollar und fünfzigtausend Menschenleben gekostet, abgesehen von den zweimal hunderttausend Opfern, welche die infolge des Krieges eingeschleppte Cholera noch forderte. Da war an Vergnügen nicht zu denken gewesen. Das argentinische Heer befand sich gegen Lopez stets im Nachteil: In voriger Woche aber hatte es einen bedeutenden Erfolg errungen. Dieser wurde in Buenos Aires durch Illumination und festliche Umzüge gefeiert, und um sich bei der Bevölkerung beliebt zu machen, ergriff der neu erwählte Präsident Sarmiento diese Gelegenheit, die Erlaubnis zu einem Stiergefecht zu erteilen.
Obgleich es zur Vorbereitung nur wenig Zeit gegeben hatte, waren zufälligerweise günstige Umstände eingetreten, die erwarten ließen, dass diese Corrida de toros ungewöhnlich fesselnd sein werde. Buenos Aires besaß nämlich selbst mehrere Stierkämpfer, die sich einen Namen erworben hatten und noch von keinem toro[2] geworfen worden waren. Voller Eifersucht gegeneinander, brannten sie darauf, zu entscheiden, welcher von ihnen der Geschickteste sei. Da meldete sich ein Fremder, ein Spanier aus Madrid, der seit einigen Tagen im Hotel Labastie wohnte, und bat um die Erlaubnis, sich mit um den Preis bewerben zu dürfen. Als er seinen Namen nannte, waren die Herren des Komitees mit Freuden bereit, die Einwilligung zu erteilen, denn dieser Mann war kein anderer als Señor Crusada, der berühmteste Espada im ganzen spanischen Königreich.
Die Kunde davon war geeignet, die Einwohnerschaft der Stadt in Erregung zu versetzen, und doch sollte es noch viel besser kommen. Es meldeten sich nämlich noch zwei Señores, deren Anerbieten diese Erregung auf das Höchste steigerten. Der eine war der Besitzer großer Viehherden. Er hatte vor einiger Zeit unter bedeutendem Kostenaufwand mehrere nordamerikanische Bisons kommen lassen, um zu versuchen, ob eine Kreuzung mit der einheimischen Rinderrasse zu erzielen sei; aber diese mächtigen Tiere hatten sich als so wild und unzähmbar erwiesen, dass er zu dem Entschluss gekommen war, sie erschießen zu lassen. Er erbot sich, den stärksten dieser Bisons kostenfrei zum Stiergefecht zu liefern. Der andere Señor war Besitzer einer Hacienda in der Gegend von San Nicolas. Seine Peons[3] hatten, um einen Jaguar, der seine Schafherde lichtete, zu fangen, Gruben angelegt und waren so glücklich gewesen, das Raubtier lebendig und unverletzt in ihre Hände zu bekommen. Um es an einen Händler verkaufen zu können, hatte man es nicht getötet, und nun erklärte der Haciendero, dass er den Jaguar bringen lassen werde, um ihn dem Komitee zu schenken.
Es lässt sich denken, dass diese Umstände, die Anwesenheit des berühmten Stierkämpfers und die Aussicht auf einen Kampf mit dem Büffel und dem Jaguar, nicht allein für das Publikum, sondern vor allen Dingen auch für die einheimischen Toreadores von höchster Wichtigkeit waren.
Toreadores oder Toreros werden die Stierfechter im Allgemeinen genannt. Das Wort leitet sich von toro, der Stier, ab. Sie gliedern sich in mehrere besondere Abteilungen, von denen jede ihre eigene bestimmte Aufgabe zu lösen hat. Da sind zunächst die Picadores, die, auf Pferden sitzend, den Stier mit ihren Lanzen zu reizen haben. Sodann die Banderilleros, denen es obliegt, falls ein Picador in Gefahr kommen sollte, die Aufmerksamkeit des Stieres durch bunte Schärpen von jenem ab und auf sich zu lenken und ihm dünne, mit Widerhaken versehene Stäbe, die ,Banderillos‘, in den Nacken zu stoßen. Endlich die Espadas, die eigentlichen Kämpfer, die den Stier mit dem Degen zu erlegen haben. Sie haben ihren Namen von dem Worte espada, Degen, erhalten. Die Espadas heißen auch Matadores, so genannt nach dem Worte matar, schlachten, und haben dem Stier, falls er nicht tödlich getroffen wird, aber doch niederstürzt, auch den Gnadenstoß zu geben.
Wie bereits erwähnt, durchzogen Ausrufer die Straßen von Buenos Aires, um zu verkünden, dass der Stierkampf morgen stattfinden werde. Es war gegen Abend. Wer es tun konnte, der schloss sein Geschäft, um eine Restauration, ein Café oder eine Confiteria aufzusuchen und sich dort über das Ereignis des Tages auszusprechen. Confiterias sind öffentliche Lokale, in denen man nur Kuchen und Eis genießt.
Das ,Café de Paris‘, das als das feinste in Buenos Aires gilt, war so von Gästen gefüllt, dass fast kein leerer Stuhl zu sehen war. Es ging da sehr lebhaft her, besonders an einem Tisch, zu dem die Blicke der Anwesenden immer und immer wiederkehrten, denn dort saßen die drei argentinischen Espadas, die morgen ihre Geschicklichkeit zu zeigen hatten. Unter sich voll gegenseitiger heimlicher Eifersucht, zeigten sie sich in ihren Worten darin einig, dass es ein geradezu unverzeihlicher Fehler des Komitees sei, den Spanier zugelassen zu haben. Sie nahmen sich vor, alles Mögliche zu tun, ihm seinen bisherigen Ruhm zu entreißen. Einer von ihnen, der das große Wort führte, vermaß sich, den nordamerikanischen Bison gleich mit dem ersten Stoß zu erlegen, und wendete sich an die Anwesenden, indem er sich erbot, mit jedem zu wetten, dass er sein Wort halten werde.
In seiner Nähe saßen an einem anderen Tische vier fein gekleidete Herren, von denen besonders einer in die Augen fiel. Er war von beinahe riesiger Gestalt und trug, obgleich er nicht viel über fünfzig Jahre alt sein konnte, einen langen, dichten Vollbart, der fast die Weiße des Schnees hatte. Sein Haupthaar besaß die gleiche Farbe. Infolge seines sonnenverbrannten Gesichts hätte man ihn für einen Gaucho oder überhaupt für einen Mann halten sollen, der nur im Freien, auf der Pampa oder gar in der Wildnis lebe, aber sein eleganter, nach dem neuesten Pariser Schnitt gefertigter Anzug sprach vom Gegenteil. Seine drei Nachbarn waren ebenso sonnenverbrannt wie er. Einer von ihnen wendete sich mit den Worten an ihn:
„Hast du den Großsprecher gehört, Carlos?“
Der Weißbärtige nickte mit dem Kopf.
„Was sagst du dazu?“
Der Gefragte zuckte mit der Achsel, indem ein leichtes, geringschätziges Lächeln über sein ernstes Gesicht glitt.
„Ganz deiner Meinung!“, fuhr der andere fort. „Es gehört schon etwas dazu, einen hiesigen Toro, bevor er abgemattet ist, mit dem Degen zu erlegen. Du wirst besser wissen als wir, was ein nordamerikanischer Büffel zu bedeuten hat, denn du bist jahrelang dort oben gewesen und hast Bisons gejagt. Dieser Espada hier wird wohl schwerlich im Stande sein, sein Versprechen zu halten.“
„Das meine ich auch. Mit dem Mund tötet man keinen Büffel.“
Er hatte die Worte lauter gesprochen, als es von ihm wohl beabsichtigt war. Der Espada hörte sie, sprang von seinem Stuhl auf, trat herbei und sagte in fast befehlendem Ton:
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