Das versteinerte Gebet - Karl May - E-Book

Das versteinerte Gebet E-Book

Karl May

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Beschreibung

Ereignisse aus dem vorigen Band zeigen ihre tiefere Bedeutung; in einem langen Nachtgespräch halten der "Ustad" (der Meister der Dschamikun) und Kara Ben Nemsi innere Einkehr. Es ist Karl Mays eigene Persönlichkeit, die in diesem Spätwerk im ernsten Ringen mit sich selbst liegt. "Das versteinerte Gebet" ist der zweite und letzte Teil der Reihe "Im Schatten des Ahriman". Erster Teil: "Im Reiche des silbernen Löwen" (Band 28). Im weiteren Sinne bilden die Bände 28 und 29 die Fortsetzung der Bände 26 und 27, sind jedoch zugleich ein autobiografischer Schlüsselroman, entstanden aus Mays Eindrücken seiner großen Orientreise 1899/1900. Der ursprl. Titel der ehemals vierteiligen Reiseerzählung lautete "Im Reiche des silbernen Löwen I-IV".

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KARL MAY’s

GESAMMELTE WERKE

BAND 29

DAS

VERSTEINERTE GEBET

Die Schatten des Ahriman

Zweiter Band

ROMAN

VON

KARL MAY

Herausgegeben von Roland Schmid

© 1957 Karl-May-Verlag

ISBN 978-3-7802-1529-1

KARL-MAY-VERLAG

BAMBERG • RADEBEUL

IN DER GRUFT

Grabesnähe

Es war eine eigenartige Stimmung, in der ich mich befand, als mich der Ustad hinauf nach der mir zugedachten Wohnung führte. Es war nicht Spannung, noch viel weniger Neugierde. Ich hatte das Gefühl, als ob eine schon längst in mir lebende und doch niemals ganz in das Bewusstsein getretene Sehnsucht nun in Erfüllung gehen werde, als ob mir ein Glück bevorstehe, auf das ich schon längst, aber ohne mein Wissen, vorbereitet worden sei. Warum war ich dabei so ernst, als ob auf jeder der Stufen, die wir emporstiegen, eine Gestalt aus vergangenen Tagen stehe und stumm mahnend die Hand erhebe?

Als wir oben vor der Wohnung des Ustad angekommen waren, sah ich eine zweite Treppe. Auf ihrer Biegung stand ein brennendes Licht. Er zeigte hinauf und sagte:

„Du wirst da über mir wohnen. Und doch so tief, so tief, wie ich heut nicht mehr wohnen möchte!“

Ich sah ihn fragend an. Da legte er mir die Hand auf die Schulter und fuhr fort:

„Effendi, fürchtest du dich vor Gespenstern?“

„Nein“, antwortete ich.

„Oder vor Gräbern?“

„Nein.“

„So geh hinauf und schau dich um! Ich lasse dich für kurze Zeit allein, komme dir aber dann nach oben nach. Ich könnte wohl noch besser sagen: nach unten, denn, mein Freund, du wirst bei Leichen wohnen. Du bist der Erste und gewiss auch der Letzte, also der Einzige, der jene Gruft betreten darf, die ich den Verstorbenen aus den verflossenen Tagen meines Lebens baute. Ich spreche in dunklen Worten; aber grad dieses Dunkel werde dir zum Licht! Das ist mein Herzenswunsch!“

Er öffnete seine Wohnung, nickte mir mit wehmütigem Lächeln zu und verschwand dann hinter der Tür. Ich ging weiter.

Während ich dies tat, kehrte alles, was ich bisher aus seinem Mund gehört hatte, zu mir zurück. Wie tief, wie bedeutungsvoll war jedes Wort gewesen! Aus welcher Höhe schaute jeder Gedanke dieses Mannes auf die Oberflächlichkeit gewöhnlicher Menschen nieder! ‚Freund‘ hatte er mich genannt. Wie alles so ungewöhnlich war, so durfte ich auch dieses Wort nicht in der umgangsüblichen Bedeutung nehmen. Er meinte es ganz zweifellos nicht leer, sondern voll. Ich konnte überzeugt sein, dass ich seinen Inhalt auch in mir selbst zu suchen und zu finden haben würde.

Die zweite Treppe stieg in das Innere des Felsens hinein, an den sich die oberste Etage des ‚hohen Hauses‘ lehnte. Ich sah nur eine einzige Tür. Sie stand offen. Gedämpfter Lichtschein fiel heraus. Ich trat ein. Welch eine Überraschung, diese ‚Gruft‘!

Das war doch allem Anschein nach das Studierzimmer eines europäischen Gelehrten! Es sah ganz so aus, als ob dieser soeben erst den Raum verlassen habe, um aber gleich wieder zurückzukehren. War er Geograf? Ethnologe? Den Fußboden bedeckten die Felle wilder Tiere, denen die präparierten Köpfe, Klauen und Krallen gelassen worden waren. An den Wänden hingen neben den Kriegswaffen verschiedener Völker auch allerlei friedliche, aber interessante Gebrauchsgegenstände. Neben einem höchst bequemen persischen Diwan stand ein indischer Perlmuttertisch, auf dem einige aufgeschlagene Bücher lagen, als ob vor ganz kurzem noch in ihnen gelesen worden sei. Ich trat hin, um nachzuschauen. Ein geöffnetes Neues Testament! Ein mit Tinte unterstrichener Vers: „Gott ist ein Geist, und die ihn anbeten, sollen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten!“ Daneben ein beschriebenes, nicht losblätteriges, sondern eingebundenes Manuskript. Da, wo der Verfasser aufgehört hatte, lautete der Satz: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und meine Wege sind nicht eure Wege. So spricht der Herr!“

Auf dem Schreibtisch brannte eine Lampe, deren Licht durch einen grünen Schirm gemildert wurde. Dieser war von feinster Seide, von Frauenhand bestickt. Arabische Schriftzeichen, doch wohl bekannte Worte: „Die Liebe höret nimmer auf!“ Als ich den Schirm emporhob, um diesen Wahrheitsspruch zu lesen, sah ich, dass es eine so genannte Astrallampe war. Astral! Das erweckte eigentümlicherweise eine Erinnerung aus meiner Knabenzeit in mir. Ich hatte in einem alten Buch gelesen, dass es Astralgeister gebe, welche die uns unbekannten Sterne bewohnen. Meine kindliche Fantasie gab sich die größte Mühe, diesen Geistern Gestalt und Farbe zu erteilen, wobei sie natürlich zu den sonderbarsten Resultaten kam. Da hörte ich, dass der Rektor für seine Studierstube eine Astrallampe als Geburtstagsgeschenk bekommen habe. Ich ging augenblicklich hin und bat um die Erlaubnis zu einer Exkursion auf dieses geisterhafte Gebiet. Man kann sich denken, wie enttäuscht ich war, als sich bei der sehr eingehend vorgenommenen Okularinspektion keine einzige meiner sehr hochgespannten Erwartungen erfüllte! Der Herr Rektor sah mir meine Betrübnis an und fragte nach dem Grund. Den teilte ich ihm aufrichtig mit. Da lachte er und sagte: „Mein lieber Junge, das wirkliche Astrallicht strahlt von Stern zu Stern durch den ganzen Himmelsraum, damit es alle Welt im Geiste des Herrn erleuchte. Der Name dieses irdischen Lämpchens aber wurde vom Himmel herabgestohlen, damit der Klempner die Herrlichkeit Gottes zwingen könne, sich für ihn und seinesgleichen in ein gutes, einträgliches Geschäft zu verwandeln.“ Da fiel ihm ein, dass meine Fassungskraft doch nicht der seinigen gleiche. Darum fuhr er fort: „Wenn du im Leben die Augen auch fernerhin so offen hältst wie jetzt, so wirst du das, was ich jetzt sagte, begreifen lernen. Dieser Klempner ist nicht der einzige Mensch, dem der Herrgott ruhig herzuhalten hat. Es gibt noch ganz andere Kostgänger, die von dem wohlgedeckten Tisch des Himmels speisen, obgleich ihre Berechtigung dazu nur eine angemaßte ist. Im göttlichen Astrallicht wandeln nur erhabene Geister. Im Lichte dieser Lampen aber sonnen sich meist nur die winzig kleinen Geisterlein, die sich beim Öl des Rübsamens und des Rapses einbilden, von ihrem Tisch aus das ganze All ergründen zu können. Und wenn sich ja einmal ein bedeutender Mann an diesem Tisch niedergelassen haben sollte, so stehen tausende der Kleinen auf der Lauer, ihm selbst auch diese Lampe auszublasen!“

Ich verstand dieses Letzte ebenso wenig wie das Vorhergehende; aber das Leben hat mich dann gelehrt, den alten, erfahrenen Rektor zu begreifen. Und als ich nun hier im ‚hohen Hause‘ vor der Lampe des Ustad stand, da war es mir, als ob es ein vielgestaltiges Weben von lauter, lauter Geisterwinzigkeiten um mich her gebe und als ob eine unsichtbare, hundertstimmige Schadenfreude mir in die Ohren raune: „Da steht sie noch, die wir ihm ausgeblasen haben. Wir dulden Geister, aber keinen Geist!“

Ich nahm sie vom Tisch weg, um die beiden Nebenräume anzusehen, die rechts und links an dieses Zimmer stießen. Der eine war zum Schlafen bestimmt. Ein weiß überzogenes Bett. Ich fühlte das Leinen an und war geneigt, es für europäisches zu halten. Die Wände zeigten keinen anderen Schmuck als nur ein einziges, primitiv eingerahmtes Bild von sehr bescheidener Größe. Es hing der Fensterseite gegenüber. Als ich die Lampe hoch hielt, um es zu betrachten, sah ich, dass es eine mit großer Liebe ausgeführte Federzeichnung war und eine auf Bergeshöhe stehende kleine Dorfkirche vorstellte. Es handelte sich hier augenscheinlich nicht um ein Werk der Fantasie, sondern dieses Gotteshäuschen war ohne allen Zweifel hier nach der Wirklichkeit wiedergegeben. Unter dem Bilde standen einige geschriebene Zeilen. Ich las:

Kirchlein mein, Kirchlein klein,

könnt so fromm wie du ich sein!

Deine Höhe zu erreichen,

will ich dir an Demut gleichen.

Kirchlein mein, Kirchlein klein,

so wie du will stets ich sein!

Wer hatte das geschrieben? Und für wen war es geschrieben worden? Wenn der Schreiber ein Dichter war, so hatte es ihm hier sehr fern gelegen, mit seinem Geist zu prahlen. Wo gäbe es wohl einen Menschen, der einem gottgeweihten Hause gegenüber sich nicht klein zu fühlen hätte! Selbst der größte der Dichter würde wissen, dass er dem prunkenden Reim zu entsagen habe, falls er im Geist zur Kirche gehen wolle. Der wirklich Größte wird hier am kleinsten sein.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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