Das war unsere Bundesrepublik Deutschland von 1945 - 1989 II - Heinz Duthel - E-Book

Das war unsere Bundesrepublik Deutschland von 1945 - 1989 II E-Book

Heinz Duthel

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Beschreibung

Dieses Land hat eine gewaltige ökonomische Kraft Sein Anteil am weltweiten Bruttosozialprodukt liegt bei 30 Prozent, der Anteil an den Internetverbindungen liegt bei 40 Prozent. Weil das Land - wie Paul Kennedy schreibt - so international ist, stellt es 70 Prozent der Nobelpreisträger seit 1975. Es bestreitet 36 Prozent der weltweiten Rüstungsausgaben - mehr als die folgenden neun Staaten zusammen. Jeder von uns spürt, daß die amerikanische Führung einsieht, daß es: allein mit einem Koloß, einer Militärmaschinerie und purer Kraft nicht geht. Wenn es eine komplette Veränderung über den Atlantik hinweg gegeben hat, dann die, daß die Amerikaner spüren, daß ihnen ihre eigene Kraft nichts nützt, wenn sie keine Verbündeten haben. Das ist eine wichtige Erkenntnis.

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Seitenzahl: 720

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Das war unsere Bundesrepublik Deutschland

von 1945 - 1989 II

Heinz Duthel

© Heinz Duthel 2010 -2018

Das war unsere Bundesrepublik Deutschland von 1945 - 1989 I

This book is sold subject to the condition that it shall not, by way of trade or otherwise, be lent, resold, hired out or otherwise circulated without the publisher’s prior consent in any form of binding or cover other than that in which it is published and without a similar condition including this condition being imposed on the subsequent purchaser.

Für meine Kinder

Es geht nicht um den Kampf der Kulturen, sondern es geht um den Kampf um die Kultur in einer immer mehr zusammenwachsenden Welt. Dabei wissen wir um die Verschiedenheiten der Kulturen in der Welt und wir respektieren sie. Wir bestehen aber darauf, dass die Verheißungen der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung universell gelten. Dort heißt es:

Folgende Wahrheiten erachten wir als selbstverständlich: dass alle Menschen gleich geschaffen sind, dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen, unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind, dass dazu Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören.

Meine Damen und Herren, diese Verheißungen – wenn sie auch Erbe des christlichen Abendlandes sind, das sich auch nicht ohne verhängnisvolle Irrungen zu diesen Werten hin entwickelt hat – stehen nicht im Widerspruch zu einer Interpretation des Islam ohne jeden fundamentalistischen Wahnsinn. Jener gesichts- und auch geschichtslose barbarische Terrorismus ist gegen all das gerichtet, was unsere Welt im Innersten zusammenhält, nämlich die Achtung vor dem menschlichen Leben und der Menschenwürde, die Werte von Freiheit, Toleranz, Demokratie und friedlichem Interessenausgleich.

Deutschland steht angesichts dieses beispiellosen Angriffs uneingeschränkt an der Seite der Vereinigten Staaten von Amerika.

Unser Bekenntnis zur politischen und moralischen Solidarität mit den USA ist in diesen Tagen mehr als eine bloße Selbstverständlichkeit. Gerade hier in Berlin werden wir Deutschen niemals vergessen, was die Vereinigten Staaten für uns getan haben.

Es waren die Amerikaner, die ganz entscheidend zum Sieg über den Nationalsozialismus beigetragen haben, und es waren unsere amerikanischen Freunde, die uns nach dem Zweiten Weltkrieg einen Neuanfang in Freiheit und Demokratie ermöglicht haben. Sie haben nicht nur die Lebensfähigkeit, sondern auch die Freiheit Westberlins garantiert und geschützt. Sie haben uns geholfen, unsere staatliche Einheit in einem friedlichen, demokratischen Europa wiederzugewinnen.

Klar muss aber sein: Dankbarkeit ist eine wichtige und auch gewichtige Kategorie. Doch sie würde zur Legitimation existenzieller Entscheidungen, vor denen wir unter Umständen stehen, nicht reichen. Bei den Entscheidungen, die wir zu treffen haben werden, lassen wir uns einzig von einem Ziel leiten: die Zukunftsfähigkeit unseres Landes inmitten einer freien Welt zu sichern; denn genau darum geht es.

Die Welt hat auf die barbarischen Anschläge reagiert, selten einmütig und selten eindeutig. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat in der grundlegenden Resolution 1368 einmütig festgestellt, dass die terroristischen Anschläge von New York und Washington eine, wie es in der Erklärung heißt, Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit darstellen. Der Weltsicherheitsrat hat damit eine Weiterentwicklung bisherigen Völkerrechts vorgenommen. Bislang galt ein bewaffneter Angriff, eine Störung des Weltfriedens, der Weltsicherheit immer dann, wenn es sich um einen Angriff von einem Staat auf einen anderen Staat handelte. Mit dieser Resolution – das ist das entscheidend Neue – sind die völkerrechtlichen Voraussetzungen für ein entschiedenes, auch militärisches Vorgehen gegen den Terrorismus geschaffen worden.

Der NATO-Rat hat den Vereinigten Staaten seine volle Solidarität auf der Grundlage von Art. 5 des NATO-Vertrages erklärt. Auch er hat, ganz ähnlich wie der Weltsicherheitsrat, neu interpretiert, was unter einem bewaffneten Angriff auf einen Bündnispartner zu verstehen sei, nämlich nicht nur, wie bei Zustandekommen des NATO-Vertrages gedacht, der kriegerische Angriff eines Staates auf einen Staat, der NATO-Mitglied ist, sondern – ebenso wie der Weltsicherheitsrat – auch ein terroristischer Angriff, verstanden als Angriff auf einen Bündnispartner. Damit gilt dieser Angriff auf die Vereinigten Staaten als ein Angriff auf die NATO-Partner. Der NATO-Rat hat diesen Beschluss mit unserer vollen Unterstützung gefasst. Das entspricht dem Geist und dem Buchstaben des NATO-Vertrages.

Die NATO hat bisher keine konkrete Aktion beschlossen. Voraussetzung für einen Beschluss über konkrete Aktionen ist die Feststellung, dass es sich bei den Anschlägen von New York und Washington um einen Angriff von außen handelt. Außerdem muss eine konkrete Bitte um Unterstützung durch die Vereinigten Staaten ausgesprochen werden. Das ist zurzeit aus Gründen, die wir alle kennen, nicht der Fall.

Welche Rechte resultieren aus diesen Beschlüssen für die Vereinigten Staaten? Die Vereinigten Staaten können auf der Grundlage der Entscheidung des Sicherheitsrates Maßnahmen gegen Urheber und Hintermänner, gegen Auftraggeber und Drahtzieher der Attentate ergreifen. Diese sind völkerrechtlich gedeckt. Sie können und sie dürfen, durch diese Weiterentwicklung des Völkerrechts gedeckt, ebenso entschieden gegen Staaten vorgehen, die den Verbrechern Hilfe und Unterschlupf gewähren. Um es klar zu sagen: Auf all das bezieht sich das, was ich uneingeschränkte Solidarität genannt habe.

Was heißt das für die Pflichten der Bündnispartner? Alle Bündnispartner haben ihre moralische und politische Solidarität ausgesprochen. Das ist selbstverständlich. Wir wissen heute noch nicht, ob und welche Unterstützung die Vereinigten Staaten von den NATO-Partnern erwarten und einfordern. Das könnte auch militärischer Beistand sein; ein solcher kann nicht ausgeschlossen werden und deswegen darf ich ihn nicht ausschließen. Um welche Form der Unterstützung wir auch immer gebeten werden: Es ist eine absolute Selbstverständlichkeit, dass wir bei den Entscheidungen das Grundgesetz und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – dabei insbesondere die Rechte dieses Hohen Hauses – strikt beachten werden.

Mit jedem Recht – wir wissen das – korrespondiert eine Pflicht, aber umgekehrt gilt auch: Mit der Bündnispflicht, die wir übernommen haben, korrespondiert ein Recht und dieses Recht heißt Information und Konsultation. Wir als Deutsche und Europäer wollen bei allen notwendigen Maßnahmen eine uneingeschränkte Solidarität mit den USA erreichen. Ich betone: Zu Risiken – auch im Militärischen – ist Deutschland bereit, aber nicht zu Abenteuern. Diese werden von uns dank der besonnenen Haltung der amerikanischen Regierung auch nicht verlangt. Ich denke, das wird so bleiben.

Die Form der Solidarität, von der ich gesprochen habe, ist die Lehre, die wir aus unserer Geschichte gezogen haben, eine Lehre, die für die zivilisierte Welt bitter genug war. Allerdings: Eine Fixierung auf ausschließlich militärische Maßnahmen wäre fatal. Wir müssen und wollen ein umfassendes Konzept zur Bekämpfung des Terrorismus, zur Prävention und zur Bewältigung von Krisen entwickeln. Dieses Konzept muss auf politische, wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit sowie auf Zusammenarbeit in Fragen der Sicherheit gegründet sein. Zu diesem Zweck werden wir auch in der Europäischen Union unsere Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terrorismus weiter verstärken müssen. Gerade jetzt muss Europa mit einer Stimme sprechen.

Auf meinen Vorschlag hin hat darum der belgische EU-Ratsvorsitzende Verhofstadt für diesen Freitag eine Sondersitzung des Europäischen Rates einberufen, auf der wir die weitere Haltung der Europäischen Union zur Bekämpfung des Terrorismus beraten werden. Unser Ziel muss sein, möglichst alle Länder in ein weltweites System von Sicherheit und Wohlstand zu integrieren. Dazu wollen wir im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit weitere Anreize für Staaten bieten, die sich zur Kooperation bei der Bekämpfung des Terrorismus bereit erklären. Für die Krisenregionen des Nahen Ostens und Zentralasiens müssen wir eine Perspektive für politische und wirtschaftliche Stabilisierung und Stabilität, für Frieden und Entwicklung eröffnen. Vor allem müssen wir jetzt mit vereinten Anstrengungen alles daransetzen, den Durchbruch zum Frieden im Nahen Osten zu erreichen.

Der Bundesaußenminister hat bereits mehrfach die Initiative ergriffen, die Konfliktparteien in Israel und Palästina zum Ende der Gewalt und zur Wiederaufnahme ihrer Gespräche zu bewegen. Sein beherztes Engagement in diesem Konflikt ist der beste Beweis für unsere Bereitschaft, den Konfliktparteien auf ihrem Weg zum Frieden aktiv beizustehen.

Gestern haben die internationalen Vermittlungsbemühungen zu einem ersten Erfolg geführt: Palästinenserpräsident Arafat hat seinen Truppen die strikte Feuereinstellung befohlen. Daraufhin hat Israels Ministerpräsident Scharon den Rückzug der israelischen Truppen aus den Palästinensergebieten angeordnet.

Diese Entwicklung ist ein ermutigender Schritt in einer schwierigen Situation, aber eben nur ein Schritt. Sie wird die internationalen Bemühungen, eine Allianz gegen den Terrorismus zu schmieden – wenn das Ganze Erfolg hat; das müssen wir uns wünschen –, sehr erleichtern. In diesem Sinne müssen wir den Dialog mit den gemäßigten Führern der arabischen Welt fortsetzen. Bereits in den vergangenen Tagen habe ich deshalb mit dem jordanischen König Abdullah und dem ägyptischen Präsidenten Mubarak Kontakt gehalten. Diesem Zweck wird auch ein erneutes Gespräch mit dem ägyptischen Präsidenten am kommenden Dienstag in Berlin dienen. Die Bundesregierung wird darüber hinaus die bestehenden Kontakte zu wichtigen Regionalmächten wie etwa zum Iran und zu Syrien nutzen, um diese Staaten zu einer Zusammenarbeit in der Bekämpfung des Terrorismus zu bewegen.

Man kann es nicht oft genug betonen: Wir befinden uns nicht im Krieg gegen irgendeinen Staat.

Wir befinden uns auch nicht im Krieg gegen die islamische Welt.

Terroristen haben uns den Krieg erklärt und sie werden dafür zur Rechenschaft gezogen werden.

Die Anschläge von New York und Washington haben – das wissen wir alle – nichts, aber auch gar nichts mit Religion zu tun.

Sie sind Ausdruck einer verbrecherischen Gesinnung. Die erschreckende Missachtung menschlichen Lebens ist eine Kampfansage an unsere gesamte Zivilisation.

Die Aufgabe, Terroristen und Fanatiker zu ächten und mit aller Entschiedenheit zu bekämpfen, stellt sich daher auch den islamischen Staaten und Glaubensgemeinschaften.

Sie dürfen nicht den geringsten Zweifel daran aufkommen lassen, dass es keine politische, aber auch keine religiöse Rechtfertigung für terroristische Gewalt geben kann.

Viele Menschen in unserem Land fragen nach den möglichen Auswirkungen der terroristischen Verbrechen. Die Bundesregierung weiß um diese Sorgen und nimmt sie sehr ernst. Wir sagen deutlich: Es gibt nach derzeitiger Einschätzung und sorgfältiger Prüfung keinen Anlass zur Furcht oder gar zur Panik. Die Bundesregierung und die Sicherheitsbehörden haben entschlossen reagiert und sind weiter wachsam. Wir befinden uns nicht in einem nationalen Notstand. Unmittelbare Konsequenzen, die wir aus den tragischen Ereignissen ziehen müssen, wurden und werden gezogen. So wird die Sicherheit des Flugverkehrs am Boden wie in der Luft optimiert. Wir haben die entsprechenden Vorkehrungen getroffen und umgesetzt und auch die dafür notwendige Zustimmung der privaten Luftverkehrsträger erhalten. Das betrifft die Sicherung des Cockpits wie auch die Verbesserung der Gepäckkontrollen, die Überprüfung der Beschäftigten auf den Flughäfen oder auch die Begleitung deutscher Flugzeuge durch Sicherheitspersonal.

Unsere Nachrichtendienste haben bei der Bekämpfung des weltweit agierenden Terrorismus bisher gute Arbeit geleistet. Sie haben in enger Kooperation mit den amerikanischen und europäischen Diensten Anschläge verhindert und Strukturen des Terrorismus offen legen können. Sie haben in der Vergangenheit durch ihre Ermittlungen die Festnahme zum Beispiel des damaligen Finanzchefs aus dem Umfeld von Bin Laden ermöglicht.

Wir werden weiterhin unsere besondere Aufmerksamkeit auf die finanziellen Strukturen der terroristischen Netzwerke richten müssen.

Es ist unsere Aufgabe, aber nicht nur unsere Aufgabe, diese Finanzströme zu erfassen und zu unterbinden. Die Finanzierung des Terrors darf nicht zur Kehrseite des freien Welthandels und des freien Kapitalflusses werden.

Desgleichen werden wir auch auf Finanzierungen des Terrors genauer achten müssen, die sich mit dem Mantel der Wohltätigkeit tarnen. Auch das gibt es.

Meine Damen und Herren, bereits heute Nachmittag werden wir im Bundeskabinett ein Maßnahmenpaket beschließen, um die Bekämpfung des Terrorismus im Lichte der jetzt evidenten Erkenntnisse zu optimieren. Dazu gehört auch eine Neuregelung im Strafrecht, die es uns ermöglicht, aus dem Ausland operierende Unterstützer krimineller Vereinigungen künftig genauso zu belangen wie Mitglieder und Unterstützer inländischer krimineller Vereinigungen.

Dazu gehört weiter die Abschaffung des Religionsprivilegs im Vereinsrecht; denn die grundgesetzlich garantierte Glaubens- und Bekenntnisfreiheit darf nicht jene schützen, die Religion missbrauchen, um Mord und Terror zu planen.

Wir werden Qualität und Effizienz in der Bekämpfung des Terrorismus verbessern. Aber - ich denke, auch da sind wir uns ungeachtet der Diskussionen über Details, die vor uns liegen, einig – wir werden unter keinen Umständen den Rechtsstaat abschaffen, um den Terror zu bekämpfen.

Begäben wir uns auf einen solchen Weg, dann würden wir die Werte, die die Terroristen angreifen und die wir zu verteidigen haben, selbst infrage stellen. Das darf nicht sein.

Unser Kampf gegen den Terrorismus ist eine Verteidigung unserer offenen Gesellschaft, die auf festen Werten basiert, eine Verteidigung unserer Liberalität und auch unserer Art, in einer offenen Gesellschaft zu leben.

Der Terrorismus – das müssen wir immer wieder deutlich machen – wird es nicht so weit bringen, dass wir die Werte, die wir gegen den Terrorismus verteidigen, selber infrage stellen.

Deshalb darf und wird der Terrorismus uns auch nicht daran hindern, ein modernes, auf die Anforderungen unserer Volkswirtschaft abgestimmtes Zuwanderungsrecht zu beschließen.

Mit dem Gesetzentwurf des Bundesinnenministers haben wir ein zeitgemäßes Zuwanderungsrecht auf den Weg gebracht. Das Gesetz wird in Deutschland dringend gebraucht. Sinnvolle deutsche Ausländer-, Zuwanderungs- und Integrationspolitik braucht mehr denn je ein abgewogenes rechtliches Instrumentarium; denn Zuwanderung wird sich nicht von allein steuern und regeln. Natürlich sind wir offen für Überarbeitungen in dem einen oder anderen Punkt. Notwendige Ergänzungen und Anpassungen können auch im weiteren parlamentarischen Verfahren berücksichtigt werden. Gerade in der aktuellen Situation werden die Stärken und Vorzüge des Entwurfs mehr als deutlich: Dieses Gesetz bringt mehr Sicherheit, beispielsweise durch die Personenüberprüfungen im Visaverfahren schon vor der Einreise bei den deutschen Auslandsvertretungen. Auch erlaubt die Neuregelung eine genauere Unterscheidung zwischen den Menschen, die ein Aufenthaltsrecht erlangen können, und den Menschen, für die das nicht gilt. Alle erhalten schneller Gewissheit über ihre weitere Situation und die daraus folgenden Konsequenzen. Dadurch werden sich deutlich weniger Personen hier aufhalten, denen die sichere Perspektive für einen Aufenthalt bei uns fehlt.

Die Fragen nach Zuwanderung, Flüchtlingsschutz und Integration stellen sich nicht allein in Deutschland. Unsere europäischen Partner diskutieren diese Fragen gleichermaßen. Im europäischen Vergleich - auch das gilt es auszusprechen - nehmen wir, was die Zahlen angeht, schon länger keinen Spitzenplatz mehr ein. Trotzdem haben wir als Land in der Mitte Europas ein erhebliches Interesse daran, auch auf europäischer Ebene zukunftsfähige Regelungen bei der Zuwanderung zu beschließen. Mit unserer eigenen Diskussion und auch mit der Kritik in dieser Diskussion können wir dazu beitragen.

Wie so viele andere Nationen ist auch Deutschland ganz direkt von den terroristischen Attentaten in den Vereinigten Staaten betroffen. Wir trauern um viele Deutsche, die in den entführten Flugzeugen oder im World Trade Center einen schrecklichen Tod fanden. Ihre genaue Zahl wissen wir immer noch nicht. Unsere Gedanken sind bei den Opfern und ihren Angehörigen. Ihnen gelten – ich denke, da spreche ich für alle – unser Mitgefühl und unsere Anteilnahme.

Kein Zweifel: Viele unserer Landsleute ängstigen sich. Sie haben Angst vor dem Terror und auch Angst vor Krieg. Es sind insbesondere jene älteren Menschen, die die Grauen des Zweiten Weltkriegs noch persönlich erlebt haben, aber auch – wir alle spüren es; Sie spüren es in Ihren Wahlkreisen – die ganz jungen. Diese Angst mag übertrieben, mag unbegründet sein, gleichwohl ist sie da und sie bewegt die Menschen in unserem Lande. Wir alle zusammen, denke ich, müssen uns bemühen, diese Angst zu verstehen. Aber die politischen, ökonomischen und kulturellen Eliten unseres Landes dürfen nicht zulassen, dass uns diese Angst lähmt. Ich verstehe meine Arbeit so, dass sie gerade jetzt darin besteht, dabei zu helfen, aus Angst Zuversicht zu entwickeln, und ich bin davon überzeugt, dass es dazu Anlass gibt, meine Damen und Herren.

Zu Beginn dieses neuen Jahrhunderts steht Deutschland auf der richtigen Seite – fast ist man versucht zu sagen: endlich –, auf der Seite der unveräußerlichen Rechte aller Menschen. Diese Menschenrechte sind die große Errungenschaft und das Erbe der europäischen Aufklärung. Diese Werte der Menschenwürde, der freiheitlichen Demokratie und der Toleranz sind unsere große Stärke im Kampf gegen den Terrorismus. Sie sind das, was unsere Völker- und Staatengemeinschaft zusammenhält, und sie sind das, was die Terroristen zerstören wollen. Diese Werte, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind unsere Identität und deshalb werden wir sie verteidigen, mit Nachdruck, mit Entschiedenheit, aber auch mit Besonnenheit.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

Rede des Bundesinnenministers Otto Schily zu den Terroranschlägen in den USA und den Beschlüssen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen sowie der Nato vor dem Deutschen Bundestag

Vom 19. September 2001

Frau Präsidentin!

Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen!

Heute erinnere ich mich an die US-amerikanischen Soldaten, die ihr Leben im Kampf gegen den Faschismus, den Nationalsozialismus geopfert und aufs Spiel gesetzt haben. Ich erinnere mich an die US-amerikanischen Soldaten, die am Ende des Krieges mit uns Kindern ihre Essensrationen geteilt haben. Ich erinnere mich an die jungen Amerikaner, die zu uns gekommen sind, um die Demokratie in Deutschland aufzubauen. Ich erinnere mich an die amerikanischen Geschäftsleute, die - so im Gespräch mit meinem Vater - zusammen mit ihren ehemaligen Feinden die Wirtschaft in Deutschland wieder aufgebaut haben. Ich erinnere mich an den Tag, an dem wir gemeinsam vor dem Schöneberger Rathaus John F. Kennedy zugejubelt haben, weil er an der Seite Berlins und für Freiheit stand. Ich erinnere mich an viele Gespräche mit vielen respektablen Botschaftern der Vereinigten Staaten, Herrn Burns, Herrn Burd, Herrn Kornblum und anderen, die in großer demokratischer Offenheit auch über Meinungsverschiedenheiten in der Politik mit uns gesprochen haben. Ich erinnere mich an die Worte des amerikanischen Präsidenten Bush vor der Mauer hier in Berlin.

Ich finde, wir haben allen Grund, in diesen Tagen die Unverbrüchlichkeit der Freundschaft zu Amerika zu betonen.

Das ist nicht nur eine Frage der Rhetorik, sondern etwas, was unser Volk mit dem amerikanischen Volk verbindet, der Nation, die in der Menschheitsgeschichte allen voran als Symbol für die Menschenrechte, für Freiheit und Demokratie gilt.

In diesen Tagen sind wir Zeugen mörderischer Verbrechen geworden, deren grauenvolle Dimension uns alle im tiefsten Innern erschauern lässt. Es sind Verbrechen, in denen sich Hass, Fanatismus, Feindschaft und Menschenverachtung auf unvorstellbare und erschreckende Weise verdichtet haben. Es sind Tage des Schreckens, der Trauer und des Zorns. Es sind für viele das ist schon in einigen Debattenbeiträgen gesagt worden - auch Tage der Sorgen, der Angst und der Furcht.

In dieser Lage muss jeder seine Verantwortung kennen und wahrnehmen. Wir müssen Festigkeit und Entschlossenheit beweisen. Zaghaftigkeit und Unsicherheit dürfen nicht die Devise sein. Wir sind auf die Mitwirkung aller angewiesen. Deshalb danke ich heute dem gesamten Parlament - ich möchte über ein paar kleinere Unstimmigkeiten hinwegsehen -, dass es diese Einmütigkeit bewiesen hat.

Wir sollten diese Einmütigkeit in den Vordergrund rücken.

Ich bedanke mich auch für das Angebot zur Zusammenarbeit. Gernot Erler und Frau Merkel haben es hier mit Recht angesprochen: Ich glaube in der Tat, dass uns der American Spirit, der Geist des Mutes und des aufrechten Ganges, den wir heute in Amerika beobachten können, als Vorbild dienen kann. Die Feuerwehrleute, die Bergungskräfte, die Börsianer, die Schuhputzer, die Krankenschwestern, die unzähligen Menschen, die sich zur Blutspende bereit erklärt haben, und auch Hillary Clinton mit ihrer eindrucksvollen Rede sind Vorbilder für uns. Wir sollten in dieser Situation von unserer Zaghaftigkeit und von unserem Hang zum Pessimismus Abschied nehmen.

Ich bin fest davon überzeugt, dass wir mit Entschlossenheit, Klarheit und Festigkeit den Kampf gegen den Terrorismus gewinnen werden. Aber dieser Kampf wird schwierig werden und er wird lange dauern. Darüber sollte sich niemand Illusionen machen.

Ich neige bekanntlich nicht zu Dramatisierungen und Übertreibungen. Ich bin für realistische Einschätzungen. Ich habe aktuell stets darauf hingewiesen, dass im Augenblick keine konkrete Gefahr für unser Land besteht. Das ist die Einschätzung unserer Dienste und unserer europäischen Nachbarn. Aber niemand sollte sich über den Ernst der Lage täuschen. Die Sicherheitssituation kann sich in sehr kurzer Frist grundlegend verändern.

Es ist allerdings nicht hilfreich, wenn sich einige in der Ausmalung ausufernder Schreckensszenarien überbieten.

Nicht hilfreich ist ebenso, wenn manche die engagierte, gefahrvolle und schwere Arbeit unserer Polizei und unserer Sicherheitsdienste wider besseres Wissen bemäkeln.

Gerade jetzt und auch künftig sollten wir unserer Polizei, den Sicherheits- und den Verfassungsschutzbehörden unsere besondere Anerkennung, unseren besonderen Dank und auch unser Vertrauen aussprechen.

Aber selbstverständlich werden wir unsere Anstrengungen erhöhen müssen. Manche Gemächlichkeit und Umstandskrämerei müssen wir ablegen. In meinem Haus gilt der Grundsatz - der gerade im Bereich der inneren Sicherheit seine Bedeutung hat -, dass sich niemand dadurch auszeichnet, dass er mir umständlich erklärt, was angeblich nicht geht.

Vielmehr kam und kommt es stets darauf an, rasch herauszufinden, was geht, was zum Erfolg führt.

Unmittelbar nach Bekanntwerden der Anschläge haben wir zu Sofortmaßnahmen gegriffen, im Bereich der Luftsicherheit, der Verkehrswege, der Infrastruktur insgesamt, des Objektschutzes. Wir haben unsere Aufklärungsmaßnahmen verstärkt. Denn Aufklärung ist natürlich das wichtigste Mittel im Kampf gegen den Terrorismus. Wir werden heute im Kabinett eine Reihe von weiteren Maßnahmen beschließen. Diese, Herr Merz, sind - ich sage dies, damit bei Ihnen kein Irrtum entsteht - noch nicht vollständig; das wird weiterzuführen sein. Ich bedanke mich jedoch schon jetzt ausdrücklich für das Angebot, das Sie, Herr Merz, gemacht haben, in diesen Fragen eng mit uns zusammenzuarbeiten. Das ist der Konsens der Demokraten, der jetzt im Vordergrund stehen muss.

Ich bin froh darüber, dass Bedenken, die in kirchlichen Kreisen zeitweise durchaus vorhanden waren, überwunden werden konnten und dass wir jetzt endlich dem Zustand ein Ende bereiten, dass Vereine, die sich mit religiösen Zielsetzungen tarnen, weiter ihr Unwesen treiben dürfen. Wir werden das Religionsprivileg im Vereinsrecht beseitigen.

Wir müssen zusammen mit der Polizei und unter Anwendung des Strafrechtes dafür sorgen, dass wir alle terroristischen Gruppen erfassen, nicht nur jene, die ihre Zielsetzungen mit Aktivitäten im Innern entfalten. Deshalb ist es dringend erforderlich, das Strafgesetzbuch zu ändern. Wir werden das umsetzen, indem wir einen § 129 b einfügen.

Wir werden darüber hinaus auch andere Maßnahmen ergreifen müssen, etwa im Bereich der Überprüfung des Sicherheitspersonals beim Luftverkehr. Auch dafür werden wir heute die rechtlichen Voraussetzungen schaffen. Überdies werden wir - das ist schon von mehreren angesprochen worden - dafür sorgen müssen, dass wir den Geldern auf die Spur kommen, mit denen der Terrorismus Mord und Totschlag finanziert. Das ist ja einer der schrecklichsten Zusammenhänge, deren wir ansichtig werden.

Meine Damen und Herren, wir werden uns von manchen Vorurteilen und Denkgewohnheiten verabschieden müssen. An anderer Stelle werden wir über das Zuwanderungsgesetz zu reden haben. Ich werde mich - das sichere ich Ihnen zu - von diesem Projekt nicht verabschieden.

Das wäre ein Sieg der Terroristen. Diesen Sieg dürfen wir nicht zulassen. Ich bin dem Herrn Bundeskanzler für das dankbar, was er in seiner Regierungserklärung dazu gesagt hat. Aber eines muss auch klar sein: Das Sicherheitsproblem bei der Zuwanderung ist gar nicht in erster Linie ein Problem der Arbeitsmigration, die wir steuern und regeln wollen, sondern die Frage danach, welche Personen unter dem Zeichen des Flüchtlings- oder Asylschutzes zu uns kommen. Darunter befinden sich leider einige, die das Asyl- und das Flüchtlingsrecht missbrauchen.

Wenn sich unter denen einige befinden, die terroristischen Aktionen dienen, dann müssen wir - das versteht sich von selber - diesen Herrschaften auf die Spur kommen.

Deshalb darf mir und anderen an dieser Stelle niemand in den Arm fallen: Es kann nicht sein, dass bestimmte Dateien, die wir zur Verfügung haben, um diese Dinge aufzuklären, nicht genutzt werden. Datenschutz ist in Ordnung, aber der Datenschutz darf nicht zur Behinderung von Kriminalitäts- oder Terrorismusbekämpfung führen.

Kerstin Müller und auch einige von der SPD-Fraktion haben hier gesagt, der Rechtsstaat dürfe dafür nicht geopfert werden.

Das stimmt mit meinen Überzeugungen überein. Alles andere wäre ja auch eine Torheit und das sieht, glaube ich, niemand in diesem Hause anders. Aber man muss schon sehr sorgfältig unterscheiden: Ist es ein Verstoß gegen die Freiheitsrechte, wenn wir dafür sorgen, dass niemand seine Identität verschleiert oder andere darüber täuscht? Identitätssicherung, damit der Staat seine Kontrollpflichten und Kontrollrechte ausüben kann, ist in einem Rechtsstaat eine Selbstverständlichkeit.

Die Zeit lässt es nicht zu, dass ich Ihnen alle Einzelheiten vortrage. Selbstverständlich gehört dazu auch, dass wir den Katastrophenschutz voranbringen. Wir haben schon vor den Ereignissen einiges in Bewegung gebracht. Ich bin in dieser Beziehung sehr dankbar für die Zusammenarbeit zwischen den Ländern und dem Bund. Wir hatten gestern eine Schaltkonferenz der Innenminister der Länder und des Bundes. Ich möchte nicht versäumen, meinen besonderen Dank an meine Kollegen in den Ländern auszusprechen. Es ist vorbildlich, in welcher Einmütigkeit und Entschlossenheit Bund und Länder gegen den Terrorismus vorgehen und sich über die Maßnahmen geeinigt haben.

Es wird auch - das gehört zu dem, was wir gestern in der Schaltkonferenz gemeinsam erörtert haben - ein Ineinandergreifen von militärischen und polizeilichen Operationen notwendig sein. Wenn man es mit einer Herausforderung wie dem Terrorismus zu tun hat, darf man sich nicht auf philosophische Haarspaltereien einlassen. Ich habe das übrigens bereits viel früher, schon im vergangenen Jahr, der Weizsäcker-Kommission gesagt. Es ist eine Situation, die eine Verbindung von polizeilichen und militärischen Strategien erforderlich macht. Wir werden jetzt gegen Bin Laden, wo immer er sein sollte, vermutlich nicht die üblichen Verfahren - ein Auslieferungsgesuch zu stellen, im Rahmen eines Rechtshilfeverfahrens innerhalb von mehreren Jahren herauszufinden, wo er ist, um dann vielleicht eine Entscheidung zu treffen - einhalten können. Auch im Kosovo-Konflikt gab es, wie Sie feststellen können, wenn Sie den Dingen genau auf den Grund gehen, eine polizeiliche Zielsetzung, die wir mit militärischen Mitteln gemeinsam durchgesetzt haben.

Es wird also ein Ineinandergreifen von militärischen und polizeilichen Strategien geben müssen. Das darf aber nicht so missverstanden werden, dass nun die Bundeswehr überall in der Bundesrepublik postiert werden soll; das ist nicht der Fall. Aber im Rahmen der durch die Verfassung gezogenen Grenzen wird auch die Bundeswehr ihre Aufgaben bei der Sicherung der Infrastruktur und militärischer Einrichtungen in Deutschland zu erfüllen haben; das versteht sich ganz von selbst.

Ich bin nicht dafür, dass wir uns jetzt in Schuldzuweisungen verstricken. Herr Kollege Glos, das sage ich an Ihre Adresse. Ich begrüße es, dass der Freistaat Bayern soeben durch eine Kabinettsentscheidung den Personaleinsatz beim Verfassungsschutz erhöht hat. Ich werde daraus nicht den Vorwurf ableiten, dass es in der Vergangenheit irgendwelche Versäumnisse gegeben hat.

Ich habe mich in den Haushaltsdebatten der vergangenen Jahre in sehr guter Kooperation mit dem Finanzminister für Mittel für die innere Sicherheit eingesetzt. Sie wissen - ich habe das in jeder Haushaltsdebatte gesagt -, dass wir die Mittel für die Institutionen, die für die innere Sicherheit zuständig sind, nicht gekürzt, sondern erhöht haben. Ich habe einige Zahlen vor mir liegen, die ich Ihnen jetzt nicht alle erläutern kann. Ich möchte nur folgende Zahl nennen: Für die Luftsicherheit haben wir seit 1998, also seit unserem Regierungsantritt, 1,2 Milliarden DM aufgewendet. Das ist nun wahrlich kein kleiner Betrag. Ich könnte Ihnen viele weitere Zahlen nennen. Sie haben Unrecht, Herr Glos, wenn Sie sagen, wir hätten die Mittel für den BGS zurückgeführt; im Gegenteil. Wir haben ihn nur anders organisiert. Das ist übrigens die BGS-Reform, die Ihre alte Regierung beschlossen hat.

Wir wollen uns da nicht in irgendwelche Dinge verstricken.

Eines will ich Ihnen allerdings auch ankündigen: Wir werden den Personaleinsatz und die Sachmittel für die innere Sicherheit an einigen Stellen verstärken müssen. Da muss ich die Hilfe des Parlaments, vor allem natürlich die der Regierungsfraktionen, in Anspruch nehmen. Das wird notwendig sein. Allerdings sollten nicht einfach nur quantitative Forderungen gestellt werden. Es kommt vielmehr auf die Verbesserung der Qualität an.

Wer mit der Forderung, es müssten Zigtausende Polizeibeamte eingestellt werden, durch die Lande wandert, den frage ich: Woher soll ich die eigentlich nehmen? Man muss sehr vorsichtig sein, um die Dinge richtig zu entscheiden. Wir werden den sicherheitsempfindlichen Bereichen den Vorrang geben. Dort werden wir eine Verstärkung vornehmen. Das werden wir gemeinsam tun.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluss sagen, dass für die Bundesregierung Folgendes gilt: Wir müssen und wir werden gegen die Terroristen, die diese Verbrechen zu verantworten haben, mit äußerster Konsequenz und mit der gebotenen Härte vorgehen. Wir werden alle polizeilichen und militärischen Mittel aufbieten, über die die freiheitlich-demokratische Staatsordnung, die wehrhafte Demokratie verfügt. Wir werden den Kampf gegen den hasserfüllten, menschenfeindlichen Terrorismus aber nur gewinnen, wenn er zugleich ein Kampf für die Universalität und Unverbrüchlichkeit der Menschen rechte ist, wenn er ein Kampf für geistige Freiheit, für soziale Gerechtigkeit, für den Rechtsstaat und für die unbedingte Achtung der Würde des Menschen ist.

Wir dürfen uns nicht - ich wiederhole bewusst das, was der Bundeskanzler heute in seiner Regierungserklärung formuliert hat - in einen angeblichen Kampf der Kulturen hineintreiben lassen. Im Gegenteil: Es ist an der Zeit, dass wir ein geistiges Zeichen für den interkulturellen Dialog, für Aufklärung, für Verständnisbereitschaft und geistige Offenheit setzen. Religiöser, hasserfüllter Fanatismus hat in der Menschheitsgeschichte zu den schlimmsten Verbrechen geführt. Diese Verbrechen waren zugleich immer die Verleugnung der vermeintlich eigenen religiösen Überzeugungen, auf die sich die Fanatiker berufen haben.

Mit "geistiger Offenheit" meine ich sehr viel mehr als bloße Toleranz im Sinne von Ertragen unterschiedlicher religiöser und weltanschaulicher Auffassungen. Geistige Offenheit heißt, die eigenen Überzeugungen infrage zu stellen, infrage stellen zu lassen und infrage stellen zu können, anstelle des Verharrens in starren Dogmen der Gedankenfreiheit Raum zu geben und niemanden zu verdammen, der fortschreitende Erkenntnis sucht.

Wir müssen uns heute und morgen in einer geistig-kulturellen Offensive vereinen, die die Erkenntnisfähigkeit der Menschen in einer mitunter geistvergessenen Welt erweitert, ihre moralischen Willensimpulse stärkt und ihre seelisch-geistigen Fähigkeiten gesunden lässt. Niemand kann sich der Einsicht entziehen: Die Verbrechen beginnen im Geist und in der Seele von Menschen, derer sich das Böse bemächtigt.

Der Kampf gegen das Böse ist ein realer Kampf. Das Böse ist eine geistige, eine gesellschaftliche Realität. Wir werden und wir müssen diesen Kampf furchtlos aufnehmen. Wir werden ihn gewinnen, wenn wir in uns und in den anderen den Frieden suchen und finden.

Vielen Dank.

Rede des Staatsministers im Auswärtigen Amt Dr. Ludger Volmer

zu den Terroranschlägen in den USA und den Beschlüssen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen sowie der Nato vor dem Deutschen Bundestag

Vom 19. September 2001

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Der Terrorangriff auf die USA hat großes menschliches Leid gebracht. Er hat ein Nervenzentrum der westlichen Welt zerstört. Er hat eine aufregende multikulturelle Stadt verwüstet. Er hat aber noch ein Weiteres bewirkt: Er hat das festgefügte Weltbild ins Wanken gebracht, das manch einer mit den dominant wirkenden USA verband.

Der Schock in der amerikanischen Gesellschaft über den Verlust der vermeintlichen Unverwundbarkeit geht mit der verstörten Einsicht bei uns einher, dass die Garantiemacht für unsere Sicherheit nun Opfer geworden ist. 50 Jahre lang haben die USA geholfen, in Europa Sicherheit, Freiheit und Demokratie zu sichern. Deshalb ist es jetzt, in dieser schweren, schicksalshaften Stunde, an uns Europäern, den USA beizustehen.

Wir werden dies, wie es Bundeskanzler Gerhard Schröder erneut betont hat, mit aller Entschlossenheit tun, aber auch mit der nötigen Besonnenheit, mit Augenmaß und mit dem Blick auf die Folgen unseres Handelns. Wir bewundern eine amerikanische Haltung, die Trauer und Wut zwar in starke Worte kleidet, jedoch ohne übereilte Aktionen versucht, gemeinsam mit den Partnern einen vernunftgesteuerten Plan zu entwickeln, wie die neue, erschreckende Dimension des Terrorismus bekämpft werden kann, ohne die Falschen zu treffen, ohne potenzielle Freunde zu Gegnern zu machen, ohne den gezielten Kampf gegen Verbrecherorganisationen in einen allgemeinen Kampf der Kulturen münden zu lassen.

Außenminister Fischer ist heute in Washington, um unseren amerikanischen Freunden erneut unsere Solidarität zu versichern und mit ihnen das weitere Vorgehen abzustimmen.

Die NATO hat mit ihrem Beschluss vom 12. September ein wichtiges Zeichen der Solidarität mit den Vereinigten Staaten gesetzt. Die nordatlantische Allianz ist kein Schönwetterbündnis. Gegen menschenverachtende Mörder, die ohne Hemmungen die Grundlagen menschlichen Zusammenlebens zerstören wollen, muss das Bündnis gemeinsam auftreten. Wir als Verbündete des angegriffenen Partners haben nicht nur das moralische Recht, sondern auch die moralische und politische Verpflichtung, unseren Beitrag zur Verteidigung zu leisten und die Täter, Organisatoren und Sponsoren terroristischer Akte zur Rechenschaft zu ziehen. Diese Verpflichtung wird ausdrücklich auch in der Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 12. September 2001 formuliert, in der der Angriff auf die USA als Bedrohung des internationalen Friedens und der Sicherheit bewertet wird.

Die Auseinandersetzung mit dem Terrorismus wird schwierig und langwierig sein. Täter, Mithelfer und Anstifter müssen bestraft werden. Tun wir das nicht, dann wird dies nur zu einer weiteren Eskalation einladen. Soll die Gefährdung aber nicht binnen kurzer Zeit in anderer Gestalt wieder erstehen, muss die gesamte internationale Gemeinschaft in einer konzertierten Aktion, in einer weltweiten Koalition, handeln. Es steht nicht Kultur gegen Kultur, sondern Zivilisation gegen Barbarei.

Aus vielen Ländern kommen dazu ermutigende Signale: aus Russland, aus China, aus Pakistan und aus Indien. Die zentralasiatischen Staaten Kasachstan, Usbekistan und Kirgistan haben ihre uneingeschränkte Unterstützung zugesagt. Es bildet sich eine regionale Koalition, die zum einen dem Terror entschlossen entgegentreten will und zum anderen verhindern möchte, dass das afghanische Talibanregime die gesamte Region destabilisiert. Ägypten hat eine internationale Terrorismuskonferenz vorgeschlagen; die EU wird am Freitag einen Sonderrat zur Terrorismusbekämpfung einberufen.

Fast die gesamte arabisch-islamische Welt – das scheint mir entscheidend zu sein – hat die Terroranschläge schärfstens verurteilt. Auch sie hat wie wir teure Angehörige in den Trümmern des World Trade Centers verloren. Nicht wenige arabische Staaten haben selber sehr schmerzvolle Erfahrungen mit dem Terrorismus gemacht. Wenn die Spuren der Täter in die arabisch-islamische Welt weisen, so soll dies Anlass sein, die arabischen Staaten in der internationalen Allianz zur Bekämpfung dieser Geißel der Menschheit willkommen zu heißen.

Dieser Kampf wird umso effektiver sein, je mehr sich der Dialog der Kulturen vertieft. Wenn aber der Kulturdialog ein unabdingbarer außenpolitischer Faktor ist, dann muss er auch ein innenpolitischer sein und bleiben. Es war eine großartige Geste, dass Präsident Bush in einer Washingtoner Moschee zu Toleranz gegenüber den Moslems aufgerufen hat. Auch in Deutschland sollten wir auf unsere muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürger zugehen und ihnen zeigen, dass wir den Unterschied zwischen Islam und Islamismus sehr genau begriffen haben.

Ein weiterer Faktor für die Bekämpfung des islamistischen Terrors sind rasche und sichtbare Erfolge im israelisch-palästinensischen Friedensprozess. Jede weitere Eskalation im Nahen Osten würde die extremistischen Kräfte in der gesamten islamischen Welt fördern.

Die Bundesregierung begrüßt daher die gestrige Erklärung von Präsident Arafat als einen wichtigen Schritt auf dem Weg zum Frieden im Nahen Osten. Es ist eine strategische Entscheidung der Palästinenser, sich unmissverständlich auf die Seite der Antiterrorkoalition zu stellen und dazu beizutragen, dass die internationalen Netzwerke des Todes zerstört werden können. Wir hoffen, dass Präsident Arafat die Kraft hat, sich in dieser Stunde null der internationalen Politik mit seinem Bekenntnis zum Waffenstillstand und zum Neuanfang gegen interne Widersacher, die heute Nacht wieder gezündelt haben, zu behaupten, und dass er von israelischer Seite die entsprechende Resonanz erhält.

Die Bundesregierung und insbesondere Bundesaußenminister Fischer haben sich in den letzten Monaten engagiert und fortlaufend um eine Wiederbelebung des Friedensprozesses bemüht.

Der Außenminister hatte sich auch mit Präsident Arafat mehrfach kurzgeschlossen und die gestrige Erklärung eng mit ihm abgestimmt. Wir werden dieses Engagement fortsetzen. Wir werden weiterhin daran arbeiten, dass die Israelis und die Palästinenser Gespräche aufnehmen, und zwar wie es der Mitchellplan vorsieht: ohne jede Vorbedingung.

Auch die pakistanische Seite hat die Terroranschläge schnell und entschieden verurteilt. Dieser Schritt war in der gegenwärtigen schwierigen und aufgeheizten Lage alles andere als einfach. Präsident Musharraf hat sich klar zu Unterstützungsersuchen der USA bekannt. Seine Regierung ist bemüht, einen breiten nationalen Konsens für einen konstruktiven Kurs zu finden. Sie bedarf unserer Unterstützung, damit nicht über innere Destabilisierung islamistisch-fundamentalistische Gruppen die Verfügungsmacht über das pakistanische Atomwaffenpotenzial erhalten.

Wenn militärische Aktionen gegen die Beherrscher Afghanistans gerechtfertigt und unvermeidlich sein sollten, stellt sich die Frage, mit welchem Ziel sie geführt werden sollen. Wenn sie unvermeidlich sind, dürfen sie nicht die Voraussetzung dafür zerstören, dass auch Afghanistan selber die Chance auf eine Zukunft, die Chance auf eine aufgeklärte Regierungsführung, die Chance auf die Bewältigung des Armuts- und Flüchtlingsproblems, die Chance auf Modernisierung und Demokratie hat.

Meine Damen und Herren, viele Menschen sind verunsichert, gerade auch Mitglieder und Anhänger meiner Partei, aber auch die anderer Parteien. Sie haben Angst, auf eine schiefe Bahn zu geraten, auf der die Politik in unaufhaltsame militärische Eskalation abrutscht. Viele sehen sich vor der Gewissensfrage, eventuell dem Einsatz militärischer Mittel zustimmen zu müssen. Sie sehen sich damit einer Situation ausgesetzt, die sie durch präventive Sicherheitspolitik hatten verhindern wollen. Solche Bedenken sind ernst zu nehmen. Wenn man diese Menschen dafür gewinnen will, militärische Aktionen auch gegen große innere Zweifel zu tolerieren, müssen deren Dimensionen überschaubar sein und muss ein Ende absehbar sein. Es muss deutlich sein, dass die absolute Priorität bei politischen Maßnahmen liegt.

Auch deshalb möchte ich sagen: Der 11. September 2001 hat die Welt von Grund auf verändert. Vieles, was über den Tag hinausweist, wird grundsätzlich neu zu beraten sein. Wir werden eine neue Sicherheitspolitik entwerfen müssen, die dem Terrorismus als Bedrohung Nummer eins begegnen kann. Diese wird nicht in erster Linie militärisch ausgerichtet sein. Eine umfassende Politik der Krisenprävention muss darauf abzielen, dem Terror mit den Mitteln einer internationalen Strukturpolitik den sozialen Resonanzboden zu entziehen. Vieles übrigens, was in der Globalisierungsdebatte der letzten Monate von Kritikern vorgetragen wurde, sollte ernsthaft bedacht werden. Auch wenn keine noch so ungerechte Struktur Terror rechtfertigen kann, müssen wir realistischerweise sehen, dass ein Mehr an Gerechtigkeit in der Welt ein Mehr an Fairness bei der Lösung von Regionalkonflikten, ein Mehr an Dialogen auf Augenhöhe auch mit den kleineren und ärmeren Staaten, ein Mehr an Sicherheit für uns bedeuten wird.

Lassen Sie mich abschließend noch sagen: Das Zusammenstehen in dieser schicksalhaften Stunde macht uns bewusst, dass unsere transatlantischen Gemeinsamkeiten essenziell sind, Meinungsverschiedenheiten in einzelnen Fragen, die uns in der letzten Zeit viel beschäftigt haben, dagegen geringfügig. Bei aller furchtbaren Tragik der Ereignisse liegt darin sogar eine Chance für eine erneuerte transatlantische Partnerschaft, die Chance für einen intensivierten Dialog gerade auch der jüngeren Generation diesseits und jenseits des Atlantiks, die den Weltkrieg, die Nachkriegszeit und den Kalten Krieg nicht oder nicht bewusst erlebt hat. Die Bekämpfung von Barbarei wird von nun an die gemeinsame Agenda von Amerikanern und Europäern mitbestimmen und andere einbeziehen, die am Prozess der Zivilisation mitarbeiten wollen.

Ich danke Ihnen.

Rede des Bundesvorsitzenden der FDP Dr. Guido Westerwelle anlässlich der Debatte zur Regierungserklärung "Terroranschläge in den USA und Beschlüsse des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen sowie der NATO"

Vom 19. September 2001

Dr. Guido Westerwelle (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie werden verstehen, dass auch ich diese Rede hier nicht beginnen möchte, ohne an die Tausenden von Toten zu erinnern, die noch immer unter den Trümmern des World Trade Centers und des Pentagons liegen. Sie sind Opfer eines feigen, eines hinterhältigen Terroranschlages. Unsere Gedanken und Gefühle sind bei ihnen, ihren Angehörigen und Freunden.

Als jemand, der sehr viel in den USA unterwegs ist, meine ich - da werden mir viele Kolleginnen und Kollegen zustimmen - es war eine Sternstunde, zu erleben, wie am vergangenen Freitag 200 000 Menschen in Berlin auf die Straße gegangen sind, um Solidarität mit den Amerikanern und mit den Opfern in Amerika zum Ausdruck zu bringen.

Ich denke, dass wir jetzt alle in diesem Hause überparteilich gefragt sind. Deswegen, Herr Bundeskanzler, möchte ich Ihnen auf Ihre Regierungserklärung zuerst antworten: Sie haben hier eine würdige Regierungserklärung abgegeben und ich möchte Ihnen jedenfalls für die Oppositionspartei FDP zusagen und zusichern, dass das, was Sie gesagt haben, was Sie hier als Kurs bestimmt haben, die Zustimmung der Freien Demokraten findet. Jetzt geht es nicht darum, den Parteienstreit fortzusetzen, sondern jetzt geht es darum, dass wir alle unsere Verantwortung wahrnehmen, ob wir auf der Oppositionsseite oder auf der Regierungsseite sitzen. Wir als Freie Demokraten sind dazu bereit. Das ist eine wichtige Herausforderung für das gesamte Bündnis. Deswegen kann man an diesem Tage hier nicht sprechen, ohne auch auf die besondere Situation der Deutschen hinzuweisen. Wir sind heute Morgen vor dem Reichstagsgebäude allesamt an drei Demonstranten vorbeigegangen. Bei uns in Berlin ist es das gute Recht dieser Demonstranten, auch unmittelbar vor dem Reichstag zu demonstrieren.

Aber es sei schon erlaubt, an Folgendes zu erinnern: Diese drei Demonstranten würden nicht demonstrieren, wenn die Vereinigten Staaten nicht die Freiheit und den Frieden in Europa und in Berlin gesichert hätten. Wir alle wären nicht hier. Wir könnten hier nicht sprechen. Deutschland hat den Tyrannen nicht aus eigener Kraft überwunden, sondern mit Hilfe der Amerikaner und ihrer Verbündeten. Das ist weit mehr als nur eine dankbare Floskel. Das ist nach meiner Überzeugung vielmehr ein Ausdruck der persönlichen Verantwortung, die wir jetzt haben. John F. Kennedy hat einmal gesagt: "Ich bin ein Berliner." Er wollte damit die Verantwortung seines Landes, die Freiheit in Berlin zu sichern, zum Ausdruck bringen. Wenn wir jetzt sagen: "Wir stehen fest an der Seite der Vereinigten Staaten", dann ist das Jahrzehnte später unser Beitrag dazu, den Frieden und die Freiheit in der Welt zu sichern. Diese große Verantwortung haben jetzt alle Demokraten. Ich denke, in den letzten Tagen konnte man erkennen, dass unser demokratisches Gemeinwesen dieser Verantwortung weiß Gott gerecht wird.

Ich freue mich übrigens darüber, dass die Ansichten mancher, die in dieser Situation mit den üblichen antiamerikanischen Reflexen reagieren - dies erfolgt selbst am heutigen Tage; bestimmten Kommentaren in süddeutschen Zeitungen habe ich dies heute entnommen?, im Augenblick widerlegt werden. Denn die Vereinigten Staaten von Amerika handeln, wie es einer reifen Demokratie entspricht: entschieden, aber auch verantwortungsvoll.

Im gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus und bei der Erhaltung der inneren und äußeren Sicherheit kann es keinen Parteienstreit geben. Deutschland verdient eine parteiübergreifende Verantwortung. Die FDP ist dazu bereit.

Wir werden mit Sicherheit erleben, dass das Militär, aber auch die inneren Vollzugsbehörden der Polizei im Rahmen der Terrorismusbekämpfung handeln werden. Aber ich finde, wir sollten bei alledem das Politische nicht aus den Augen verlieren: Wir werden den Terrorismus in der Welt nicht in erster Linie mit Militär und Polizei, sondern nur mit politischen Lösungskonzepten bekämpfen können. In dieser Situation ist festzustellen: Die Bevölkerung erwartet von uns zu Recht, dass wir entschieden handeln, um den Terrorismus zu bekämpfen. Aber sie erwartet von uns auch, dass wir so besonnen handeln, dass der Frieden in Europa erhalten bleibt.

Es gibt einen bemerkenswerten Gedanken in dem fabelhaften Buch "Kassandra" von Christa Wolf, der mir in diesen Tagen immer wieder in den Sinn gekommen ist. Sie schreibt dort: "Wann Krieg beginnt, das kann man wissen, aber wann beginnt der Vorkrieg. Falls es da Regeln gäbe, müsste man sie weitersagen."

Ich persönlich bin zu dem Ergebnis gekommen: Wenn Politiker mehr über Kriegsszenarien als über Friedenslösungen sprechen, dann beginnt ebendieser Vorkrieg. Die Bevölkerung erwartet von uns zu Recht, dass wir uns zunächst darüber unterhalten, wie man einen solchen Prozess hin zum Krieg verhindern kann. Es geht jetzt nicht um eine einseitige Fixierung auf das Militärische. Wir brauchen vielmehr zuallererst politische Lösungskonzepte. Politiker, die sich jetzt in öffentlichen Interviews über Kriegsszenarien äußern, denen sollte man sagen: Friedensszenarien sind jetzt bei uns in der Bevölkerung gefragt.

Gleichwohl ist es notwendig, Entschiedenheit und Härte zu zeigen. Gleichwohl ist es natürlich auch notwendig, über die Rolle der Bundeswehr zu sprechen. Wir können nicht so tun, als gäbe es hier keine Probleme. Meiner Einschätzung nach sollten wir in dieser Debatte zunächst einmal über Prävention und nicht nur über Repression sprechen. Dabei geht es auch um regionale Konfliktlösungsmechanismen. Wenn etwas in diesen Tagen klar geworden ist, dann das, dass es auf dieser einen Welt keine regionalen Konflikte mehr gibt, von denen andere Teile der Welt unbetroffen sein könnten. Jeder regionale Konflikt ist in Wahrheit auch ein weltweiter Konflikt. Jeder ungelöste regionale Konflikt trägt den Keim in sich, auch bei uns Unglück zu säen. Deswegen müssen wir auch und gerade jetzt in diesen Zeiten eine globale politische Verantwortung wahrnehmen, wenn es um die Konfliktlösung im Nahen Osten geht. Wir erneuern hier unseren Vorschlag und appellieren an Sie als Bundeskanzler und an den Außenminister, diesen Vorschlag in der Europäischen Union einzubringen. Es geht darum, dass wir als Lösung eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen Osten anbieten, dass wir sie initiieren, denn man hört viel zu oft, man könne im Nahen sten niemals zum Frieden finden, dort sei alles so verhärtet, das sei nicht mehr zueinander zu führen, das könne nur noch militärisch auseinander geschlagen werden. Dies ist sträflicher, ja geradezu tödlicher Leichtsinn, meine Damen und Herren. So wie es uns in Mitteleuropa im Nachkriegsdeutschland, im Nachkriegseuropa gelungen ist, aus Erbfeinden Freunde zu machen, so ist es auch in anderen Regionen der Welt möglich, Menschen miteinander zu versöhnen, wenn der Wille und die Anstrengung groß genug sind. Das muss erstes Ziel der deutschen Politik sein.

Ich will Ihnen, Herr Bundeskanzler, und der Bundesregierung in dieser Debatte ein paar Bemerkungen aber nicht ersparen. Wir haben die Debatte über den Haushalt unterbrochen, als uns die Nachricht von diesem schrecklichen Terroranschlag im wahrsten Sinne des Wortes getroffen hat. Wir werden diese Debatte über den Haushalt aber fortsetzen. Wir müssen sie auch fortsetzen.

Vorgestern meldete die Deutsche Presse-Agentur eine Erklärung eines Sprechers des Verteidigungsministeriums. Dieser verglich die Situation der Bundeswehr mit einem Kaufhaus, in dem viele leere Regale stehen und mehrere Abteilungen wegen Umbaus geschlossen sind. Dies sagt nicht ein Oppositionspolitiker, sondern ein Sprecher des Verteidigungsministeriums. Herr Bundeskanzler, wenn es Staatsräson ist, dass jetzt auch die Opposition zum Bündnis steht - und wir tun das -, dann ist es auch Staatsräson, dafür zu sorgen, dass die Bundeswehr entsprechend anständig ausgestattet wird. Diese Strukturfragen haben wir zu beantworten und ich gehe davon aus, dass Sie, Herr Finanzminister, einen korrigierten Haushalt vorlegen werden.

Ich möchte an das anknüpfen, was Sie, Herr Kollege Struck, gesagt haben. Sie haben gesagt, man dürfe nicht den Eindruck erwecken - Sie haben völlig Recht dabei -, dass dann, wenn man nur Milliarden in die Terrorismusbekämpfung stecken würde, die Probleme gewissermaßen gelöst seien. Sonst würde man den Bürgern etwas vormachen. Da haben Sie Recht. Ich sage Ihnen aber auch: Wenn wir diese Milliarden D-Mark nicht in die Terrorismusbekämpfung stecken, lösen wir die Probleme auch nicht und machen den Bürgerinnen und Bürgern auch etwas vor.

Deswegen ist es notwendig, dass wir in der Diskussion über die innere Sicherheit noch auf das Folgende hinweisen: Herr Innenminister, das, was rechtsstaatlich notwendig ist, um Freiheit und Sicherheit in Deutschland zu gewährleisten, werden wir mit Ihnen gemeinsam beschließen. Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. Aber ich füge auch hinzu: In meinen Augen beruht das Problem der inneren Sicherheit nicht zuerst auf einem Gesetzesdefizit, sondern auf einem Vollzugsdefizit. Die Ausstattung der Polizeibehörden - übrigens auch der Verfassungsschutzämter - in Deutschland lässt zu wünschen übrig. Dies ist eine finanzielle, eine haushaltspolitische Herausforderung. Die bessere Ausstattung ist notwendig. Ich denke, dass wir dieses Problem lösen werden. Antworten Sie darauf! Richten Sie sich darauf ein!

Ich möchte zum Schluss gerne noch einen Gedanken in diese Debatte einführen. Es ist ein Gedanke, der mir ebenfalls sehr wichtig ist. Alle haben darauf hingewiesen, dass man nicht im Namen von Religion derartige Verbrechen begehen kann. Das ist völlig richtig und korrekt.

Ich möchte es aus meiner Sicht noch einmal sagen: So, wie ich als Christ nicht dafür in Haftung genommen werden möchte, dass in Nordirland kriminelle Fundamentalisten Schulkinder bombardieren und glauben, sie täten das im Namen der Bibel, so ist es auch unzulässig, Andersgläubige in Haftung zu nehmen, weil sich Straftäter auf den Koran berufen. Bei dem einen geht es nicht um die Bibel, bei dem anderen nicht um den Koran. Beides sind Verbrechen. Das möchte ich - gerade als Liberaler, der unverdächtig ist, dass es ihm an Toleranz mangeln würde - zur wehrhaften Demokratie sagen. Ich glaube, das sind wir alle in diesem Augenblick. Oder etwa nicht? Ich meine das übrigens ganz ernst.

Bezogen auf das liberale Verständnis möchte ich Ihnen etwas sagen, was ich gerade in dieser Zeit für ganz besonders wichtig halte: Toleranz ist gut. Toleranz gegenüber Intoleranz ist in meinen Augen aber nicht liberal, sondern dumm.

Darauf muss man in dieser Situation hinweisen, denn darum geht es.

Herr Bundeskanzler, für das, was Sie in Ihrer Regierungserklärung gesagt haben, haben Sie die Rückendeckung der Freien Demokraten. Wir gehen davon aus, dass Sie uns auch weiter informieren. Zu dem, was Sie uns nicht gesagt haben, können wir uns nicht äußern. Wir haben Verständnis dafür, dass Sie zwar mehr wissen, aber natürlich nicht alles sagen können. Sie sehen ein, dass wir unsere Zustimmung nur Punkt für Punkt zu dem, was Sie in Ihren Erklärungen geäußert haben, geben können. Wenn Sie einen entschiedenen, aber zugleich auch besonnenen Weg gehen, werden Sie die Unterstützung über die Parteigrenzen hinweg erhalten. Das kann ich zumindest für die Freien Demokraten in diesem Hause sagen.

Rede des Vorsitzenden der FDP-Fraktion Wolfgang Gerhardt

anlässlich der Debatte zur Regierungserklärung "Terroranschläge in den USA und Beschlüsse des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen sowie der NATO"

Vom 19. September 2001

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir brauchen drei Haltungen, wenn wir die Herausforderungen bewältigen wollen. Wir brauchen zuallererst ein freiheitliches Bewußtsein. Niemand muß meine Fraktion, die Freien Demokraten, darüber belehren. Es ist bare Selbstverständlichkeit, daß zum Erhalt des freiheitlichen Bewußtseins in den transatlantischen Beziehungen das gehört, was für uns in der Bundesrepublik Deutschland Staatsräson war. Das kann man nur wiederholen. Das bedarf überhaupt keiner weiteren Bemerkungen.

(Beifall bei der FDP)

Ich repräsentiere eine Partei, die auch in Zeiten, in denen es in der Bundesrepublik Deutschland viele kritische Stimmen von Kolleginnen und Kollegen und von den Medien gegen die Supermacht Amerika mit Wirkungen, die wir noch immer spüren, gab, wußte: Die Bundesrepublik Deutschland wird ihre eigene Rolle weltweit nicht geachtet finden, wenn sie sich nicht als Partner der Vereinigten Staaten von Nordamerika sieht und sich nicht europäisisch einbettet. Das ist die Voraussetzung;. hierbei geht es um das freiheitliche Bewußtsein. Wenn Sie jetzt nach Amerika blicken, spüren Sie, daß dies in dieser Nation tief verankert ist. Es ist mir bitter aufgestoßen, daß jemand von einem "schießwütigen Cowboy" gesprochen hat. Es ist in der gegenwärtigen Lage so unpassend, wie es nur sein kann.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wer sich die Gesichter der Rettungskräfte in New York ansieht, diese Charaktere wahrnimmt und sieht, daß sie die amerikanische Fahne in den größten Trümmern aufstellen, der kann nur ahnen, welche Kraft in diesem Land steckt. Diese Kraft muß mit uns zusammen weltweit für Menschenwürde und Frieden nutzbar gemacht werden. Darauf kommt es jetzt an.

Dieses Land hat eine gewaltige ökonomische Kraft Sein Anteil am weltweiten Bruttosozialprodukt liegt bei 30 Prozent, der Anteil an den Internetverbindungen liegt bei 40 Prozent. Weil das Land - wie Paul Kennedy schreibt - so international ist, stellt es 70 Prozent der Nobelpreisträger seit 1975. Es bestreitet 36 Prozent der weltweiten Rüstungsausgaben - mehr als die folgenden neun Staaten zusammen. Jeder von uns spürt, daß die amerikanische Führung einsieht, daß es: allein mit einem Koloß, einer Militärmaschinerie und purer Kraft nicht geht. Wenn es eine komplette Veränderung über den Atlantik hinweg gegeben hat, dann die, daß die Amerikaner spüren, daß ihnen ihre eigene Kraft nichts nützt, wenn sie keine Verbündeten haben. Das ist eine wichtige Erkenntnis.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb kommt es auf uns an, und zwar mehr, als wir vielleicht vermutet haben, und mehr, als manche von uns mögen oder uns auch zutrauen. Bei den Haushaltsberatungen werden wir deshalb eine andere Diskussion als bisher führen müssen. Es wird eine Auseinandersetzung mit der Bundesregierung und auch mit dem Bundesverteidigungsminister stattfinden müssen, Angesichts dieser Lage kann der Haushalt so nicht bestehen bleiben. Darüber werden wir zu diskutieren haben.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

In dieser Situation müssen wir - der Bundeskanzler hat es auch getan - der Öffentlichkeit ehrlicherweise sagen: Wir werden bei allen ökonomischen Anstrengungen, allem freiheitlichen Bewußtsein und aller Armutsbekämpfung am Ende nicht darum herumkommen, auch militärische Mittel einzusetzen, und zwar gegen Menschen, die - entgegen dem, was wir uns als "Gutmenschen" in Deutschland so oft vorstellen - absolut nicht therapierbar sind. Die Gegner sind nicht fest lokalisierbar. Es handelt sich nicht um die traditionelle staatliche Auseinandersetzung. Die Situation ist auch nicht die gleiche wie bei Pearl Harbor. Damals wußte man noch, gegen wen man anzutreten hatte. Jetzt handelt es sich um eine Auseinandersetzung die viele Kräfte in vielen politischen Bereichen beanspruchen wird. Am Ende werden notwendigerweise auch die militärische Kraft und die militärischen Fähigkeiten eingesetzt werden müssen, denn zu unserer Verantwortung für die Sicherheit der Bundesbürger in Deutschland einschließlich der ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger gehört die Fähigkeit, diejenigen zu bekämpfen, die das Leben von Menschen bedrohen.

In manchen Reden, die ich in den letzten Tagen gehört habe, habe ich dieses eine Wort vermißt. Hier diskutiert niemand wie im Generalstab oder in Kriegsszenarien. Wer aber Verantwortung hat, muß unseren Mitbürgern sagen: Wenn wir dieser Menschen habhaft werden und sie bekämpfen wollen, müssen wir in der Lage sein, militärische Fähigkeiten zu entwickeln. Das ist eine bare Selbstverständlichkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Deshalb kommt es darauf an, die Öffentlichkeit nicht mit falschen Bildern vertraut zu machen. Wir müssen uns mit Entschlossenheit gegen solche menschlichen Charaktere wehren, in welchen Gesellschaften - einschließlich der der Bundesrepublik Deutschland - sie sich auch immer befinden.

Wir können sie nicht alle in psychiatrische Anstalten einweisen und glauben, sie therapieren zu können. Diplomatische Mittel werden im Übrigen nur dann wirkungsvoll eingesetzt werden können, wenn dahinter militärische Fähigkeiten stehen. Es gibt Menschen auf dieser Weit, die durch einen Botschafterbesuch nicht davon zu überzeugen sind, ihre Meinung zu ändern. Auch gibt es Bedrohungen, die durch schlichte Verhandlungen und Diplomatie nicht hinwegzudiskutieren sind.

In dieser großen, weltweiten Allianz gegen den Terrorismus haben sich in anderen Ländern Führungseliten öffentlich zu dieser Allianz bekannt, deren Gesellschaften jedoch schwanken. Niemand weiß, ob sie morgen nur zur Allianz stehen oder ob dort emotionale, soziale oder religiöse Bewegungen die Oberhand gewinnen, die vom Bekenntnis zur Allianz nichts halten. Oft sind sie fanatisch und haben mit Problemen zu kämpfen, die wir uns überhaupt nicht vorstellen können.

Nein, es wird keine sauberen, schnellen und klaren Siege geben, wie dies Paul Kennedy ausgedrückt hat. Dies wünschen sich die Amerikaner; denn bisher war es für sie in der Geschichte immer so. Aber es wird nicht mehr so sein. Es wird einer unendlichen Anstrengung der freien Gesellschaften bedürfen, um diesem Phänomen, das eine dramatische Bedrohung der Freiheit von Menschen und Menschenwürde in diesem beginnenden Jahrtausend darstellt, zu begegnen.

Hier wird sich erweisen müssen, ob die Bundesrepublik Deutschland nach einer unglaublichen Entwicklung ökonomischer, freiheitlicher und demokratischer Stabilität in der Läge ist, nach der größten Katastrophe des letzten Jahrhunderts die größte Herausforderung ohne Panik, mit Standing, mit freiheitlichem Bewußtsein, dem Bekenntnis zu ihren Verfassungsgrundsätzen, aber auch dem Bekenntnis, den Feinden von Demokratie im Ernstfall entgegenzutreten, zu bewältigen, ob sie sich dessen bewußt ist und in der Lage ist, ihre innere und wirtschaftliche Stabilität zu bewahren.

Zum Abschluß, Herr Bundeskanzler, zu den Haushaltsberatungen:

Es reicht heute, nach diesem Ereignis, nicht mehr aus, nur über die Probleme der Wirtschaft zu diskutieren, Es gibt keine Wachstumsrate in den Vereinigten Staaten. Die Konjunktur schwächelt und die Katastrophe tut ihr Übriges dazu. Sie dürfen nicht nur woanders hinschauen. Wenn wir jetzt einen Beitrag leisten wollen, dann müssen wir alle Anstrengungen unternehmen, ökonomisch und beschäftigungsdynamisch nach vorn zu kommen. Gerade weil die Vereinigten Staaten jetzt so betroffen sind, haben wir - lassen Sie es mich so ausdrücken - ein Stück wirtschaftspolitische und ökonomische Führungsverantwortung in den freiheitlichen Gesellschaften. Wir sind keine beliebige Volkswirtschaft.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deshalb wird dies nicht nur eine Haushaltsberatung mit Blick auf die Sicherheit. Es wird auch keine Haushaltsberatung in der Weise, wie sie der Finanzminister einmal in einer Weltlage angenommen hat, die anders war als die heutige. Es wird eine Beratung, bei der zuallererst die Regierung die Frage beantworten muß, ob sie wirklich glaubt, mit diesem Haushalt den ökonomischen und sicherheitspolitischen Beitrag der Bundesrepublik Deutschland angesichts der Veränderung der Weltlage leisten zu können. Ich sage Ihnen: Es wäre klug, wenn uns das Kabinett angesichts der Ereignisse einen neuen Haushalt vorlegen würde.

(Dr. Peter Struck (SPD); Das ist doch Unsinn!)

Der vorliegende wird der Lage in keinem Bereich mehr gerecht.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Während der Haushaltsdebatte dürfen diese Ereignisse nicht vergessen werden. Die Debatte wird vonseiten der Freien Demokratischen Parte aber eine klare Präzision erfahren, was wir nach diesen Anschlägen politisch und ökonomisch in Deutschland für notwendig erachten, Das ist unsere Pflicht Heute haben Sie unsere Unterstützung, aber demnächst müssen wir uns wieder mit Ihnen auseinander setzen. Das ist notwendig. Nichtsdestoweniger finden Sie uns bei den von Ihnen abgegebenen Erklärungen gegenüber den Vereinigten Staaten von Nordamerika an Ihrer Seite.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Rede des Präsidenten des Bundestages Wolfgang Thierse anlässlich des Besuchs des Präsidenten der Russischen Föderation Wladimir Putin

Vom 25. September 2001

Bundestagspräsident Wolfgang Thierse:

Sehr geehrter Herr Staatspräsident Putin! Herr Bundespräsident! Herr Bundeskanzler! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Namen aller Mitglieder des Deutschen Bundestages und des Bundesrates begrüße ich Sie, Herr Staatspräsident Putin, herzlich im Plenarsaal unseres Parlaments.

(Beifall)

Wir haben Ihren letzten Besuch im Juni 2000, kurz nach Ihrem Amtsantritt, noch lebhaft in Erinnerung. Die beiderseitige Einschätzung, dass die deutsch-russischen Beziehungen eine neue Qualität gewonnen haben, hat sich seitdem in vielen weiteren Begegnungen bestätigt.

Nach den Terrorangriffen vor zwei Wochen gegen die Zivilisation, gegen Grundwerte und fundamentale Überzeugungen, zu denen auch Sie, Herr Präsident, sich schon oft bekannt haben, stehen wir vor einer neuen Pflicht und einer neuen Chance: die zivile, die freiheitliche und die friedliebende Menschheit gemeinsam gegen fanatischen Terrorismus zu verteidigen. Russland kann dabei eine besondere Rolle spielen, weil viele Bürger Ihres Landes Muslime sind und Sie unterschiedliche islamisch geprägte Staaten als unmittelbare Nachbarn haben. Russland weiß deshalb, dass der Islam seinem Wesen nach eine friedliebende und tolerante Religion ist. Aber Russland weiß auch, dass fanatische Islamisten, die sich zu Unrecht auf die Religion berufen, nicht erst neuerdings eine Bedrohung selbst islamischer Gesellschaften darstellen.

Die Bekämpfung des Terrorismus ist nicht allein eine militärische Aufgabe. Im Gegenteil: Eine Spirale der Gewalt, die immer mehr unschuldige Opfer fordert, wollen wir vermeiden. Das ändert nichts daran, dass der besondere Charakter dieses Terrorismus keine andere Wahl lässt, als mit repressiven Mitteln gegen die Täter vorzugehen. Die Aufgabe erfordert eine intensive, vertrauensvolle Zusammenarbeit aller Staaten und einen langen Atem. Wir dürfen uns weder von Rachegefühlen leiten lassen noch uns durch die Differenzen und Interessenunterschiede, die bisher zum politischen Alltag unserer Beziehungen gehörten, von der weltweiten Zusammenarbeit abhalten lassen.

Ihre Reaktion auf die terroristischen Massaker, Herr Präsident, Ihre Solidaritätsbekundung mit dem amerikanischen Volk sowie die Betroffenheit und Trauer, die die Menschen in Russland spontan zum Ausdruck bringen, sind eine große Ermutigung. Der Deutsche Bundestag hat dies mit Dankbarkeit aufgenommen und wir werden das nicht vergessen.

(Beifall)

Jeder hat im Augenblick der Angriffe auf New York gespürt: Dies ist eine Zeitenwende; die Welt hat sich verändert. Zunächst folgte auf das anhaltende Entsetzen und die große Trauer die Einsicht: Gegen diese Art von Verbrechen ist auch der Mächtigste nicht vollkommen geschützt. Viele haben das Gefühl wütender und lähmender Ohnmacht in ihren Herzen noch nicht überwunden. Die Trauer um die Opfer wird von Solidarität mit den Angehörigen und mit dem gesamten Volk der Vereinigten Staaten von Amerika begleitet.

Aber es zeichnet sich eine Hoffnung, eine Möglichkeit ab. Wir können sie ergreifen, wenn wir besonnen, mit Augenmaß, Beharrlichkeit und Verantwortung eine weltumspannende Koalition gegen den Terrorismus schmieden. Auch das wäre eine Zeitenwende: wenn Russland, China, Deutschland und die anderen NATO-Staaten sowie die arabische Welt zusammen mit den USA diesen islamistischen Terror in die Knie zwingen. Eine solche Koalition wäre noch vor zwei Wochen eine Utopie gewesen. Sie, Herr Staatspräsident, gehörten zu den ersten Staatsmännern, die diese Koalition ermöglichen wollen. Lassen Sie uns gemeinsam genau daran arbeiten.

(Beifall)

Ihr heutiger Besuch ist auch deshalb ein besonderes Ereignis, nicht nur, weil es Ihr erster offizieller Staatsbesuch in Deutschland ist, nicht nur, weil er die politischen Beziehungen zwischen Berlin und Moskau bekräftigen und festigen wird, sondern auch, weil wir eine neue Qualität internationaler Zusammenarbeit anstreben. Der Deutsche Bundestag hat deshalb gern Ihrem Wunsch entsprochen, zu den Abgeordneten und - dank der Liveübertragung - auch zu den Bürgerinnen und Bürgern unserer beiden Länder zu sprechen.

Sie sind das erste russische Staatsoberhaupt, das vor dem Deutschen Bundestag spricht, und Sie sind unser erster ausländischer Staatsgast, der das auch in deutscher Sprache tun wird - eine außergewöhnliche Geste!

(Beifall)

Wir verdanken sie nicht nur der Tatsache, dass Sie ein Kenner unserer Sprache und unseres Landes sind. Wir verdanken sie auch den vielen Menschen in beiden Ländern, die in den vergangenen Jahren aufeinander zugegangen sind und die gute Tradition von Begegnung, Austausch und Zusammenarbeit belebt haben.

Es ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit, dass sich Russen und Deutsche heute mit Sympathie und Respekt begegnen. Das Leid zweier Weltkriege und die ideologischen Barrieren des Kalten Krieges haben hartnäckige Ressentiments und Vorurteile erzeugt. Wir wissen um die tragischen Seiten der Geschichte unserer beiden Völker und um die Schuld, die wir Deutsche daran tragen.