Dead Dolls - Nils Noir - E-Book

Dead Dolls E-Book

Nils Noir

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Beschreibung

Die kleine Hafenstadt Oldebeck wird von einer blutigen Mordserie erschüttert. Kommissar Norde und sein geheimnisvoller Partner Röhler ermitteln auf Hochtouren. Doch schon bald folgen weitere Opfer. Auch die schöne Lektorin Alina vom Verlagshaus Kröger & Crime steht auf der Liste des Rotlicht-Rippers. Allerdings ahnt die junge Frau noch nichts von der Gefahr, in der sie schwebt, als es in der Nacht an ihrer Tür klopft.

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Nils NoirDEAD DOLLS

In dieser Reihe bisher erschienen

7001 Stefan Melneczuk Marterpfahl

7002 Frank W. Haubold Die Kinder der Schattenstadt

7003 Jens Lossau Dunkle Nordsee

7004 Alfred Wallon Endstation7005 Angelika Schröder Böses Karma

7006 Guido Billig Der Plan Gottes7007 Olaf Kemmler Die Stimme einer Toten

7008 Martin Barkawitz Kehrwieder7009 Stefan Melneczuk Rabenstadt

7010 Wayne Allen Sallee Der Erlöser von Chicago

7011 Uwe Schwartzer Das Konzept7012 Stefan Melneczuk Wallenstein

7013 Alex Mann Sicilia Nuova

7014 Julia A. Jorges Glutsommer

7015 Nils Noir Dead Dolls

Als Taschenbuch gehört dieser Roman zu unseren exklusiven Sammler-Editionen und ist nur unter www.BLITZ-Verlag.de versandkostenfrei erhältlich.Bei einer automatischen Belieferung gewähren wir Serien-Subskriptionsrabatt.Alle E-Books und Hörbücher sind zudem über alle bekannten Portale zu beziehen.© 2022 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Printpop PrenzlbergUmschlaggestaltung: Printpop PrenzlbergSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-299-8

1

Kurz nachdem die Melodie verstummt war, brach die Hölle los. Dunkle Gestalten mit gefletschten Zähnen zuckten im Rhythmus ihrer Maschinenpistolen. Kugeln zischten durch die Luft. In einem Bruchteil von Sekunden verwandelte sich die eben noch so schöne Idylle des Pariser Vororts in ein qualmendes Inferno. In dem Moment, als Charles de Gaulle mit seiner Staatskolonne vor der einzigen Kreuzung im Ort zum Stehen kam, passierte es. Der Drehorgelspieler an der Ampel beendete sein Spiel, und gab somit das Zeichen für ein Dutzend bewaffneter Männer, die schlagartig aus einem an der Ecke parkenden Kleinbus sprangen und das Feuer auf die französische Staatsmacht eröffneten. Das ganze Manöver dauerte nur wenige Sekunden. Danach wurde es wieder still in Petit-Clamart. Die Angreifer waren verschwunden. Nur die verschossene Munition blieb auf dem Asphalt zurück. 186 Geschosse, die buchstäblich an de Gaulles Limousine abgeprallt waren und das, obwohl der Wagen keine Panzerung besaß. Lediglich 14 Einschusslöcher hatte man später in der Karosserie gezählt, nachdem dem Fahrer des Präsidenten mit zerschossenen Reifen die Flucht vor den Terroristen gelungen war. Es folgten Ermittlungen, Festnahmen und die Hinrichtung des Anführers der Gruppe.

Jedes kleinste Detail dieses Ereignisses hatte Mark in Kindheitstagen auswendig gekannt, so häufig hatte er die Story vom Attentat auf de Gaulle gehört. Sein Vater erwähnte sie gern, wenn er seinen schwarz lackierten Citroën DS aus der Garage fuhr, um ihn irgendjemandem zu präsentieren. Genau das Modell eben, das seit dem Anschlag im Jahre 1962 als völlig unzerstörbar galt. Zumindest behauptete das sein Vater, bis er mit seiner französischen Limousine vor einen Baum raste. Seitdem hatte Mark die Geschichte nie wieder von ihm gehört. Erst der Roman Der Schakal von Frederick Forsyth, rief ihm das Spektakel Jahrzehnte später wieder in Erinnerung. Eher zufällig entdeckte er das Buch auf dem Trödel. Die Seiten waren stark vergilbt, das Cover zerknickt. Trotzdem musste er das Exemplar haben.

Wie Mark aus dem Interview mit dem Autor entnehmen konnte, das als Einleitung auf den ersten Seiten zu lesen war, diente das Attentat von Petit-Clamart als Vorlage für seinen Thriller, der nur zwei Jahre nach Erscheinen mit Edward Fox in der Hauptrolle verfilmt wurde. Mark wiederum nahm Forsyths Buch als Inspiration, selbst einen Kriminalroman zu schreiben. Doch nun, gerade zum Abschluss seines Debüts gekommen, haderte er wieder mit sich selbst und grübelte, ob er eventuell doch noch etwas rausnehmen sollte oder alles einfach so ließ, wie es war. Dieses ganze Prozedere hörte wohl niemals auf. Wie lange müsste er noch feilen, fragte er sich, um das Manuskript endlich aus der Hand geben zu können? Hatte er nicht schon genug getan in den langen einsamen Stunden, die er damit zubrachte, alles in Form zu bringen? Wie in Isolation hatte er gelebt, war in all der Zeit kaum mehr vor die Tür gegangen oder hatte zu irgendjemandem Kontakt gehabt. Manchmal waren Tage vergangen, ohne dass er ein einziges Wort mit einem anderen Menschen gewechselt hatte. Und wenn, war es häufig nur ein flüchtiges Hallo, Bitte, Danke und Auf Wiedersehen mit einer Kassiererin an der Supermarktkasse gewesen. Ewigkeiten, so schien es ihm, hatte die Schufterei angedauert, in der er vor seinem Computer gehockt und auf den Bildschirm gestarrt hatte. Doch er hatte weiter gemacht, immer weiter und weiter, bis er den Roman schließlich vollendet hatte, abgesehen von den eventuellen Änderungen, die er noch vornehmen wollte, aber darum würde er sich später kümmern. Jetzt musste er sich erst einmal auf das konzentrieren, was unmittelbar vor ihm lag.

Der Schriftzug der BLUE-BAR leuchtete über ihm in der Dunkelheit. Von drinnen war das Klimpern von Gläsern, unverständliches Geplapper und der warme Sound einer Blues-Gitarre aus der Konserve zu hören; Nobody knows you when you`re down and out.

Wenn Mark früher im Laufe seiner gescheiterten Musikkarriere mit seiner Combo in irgendwelchen schäbigen Pinten gespielt hatte, musste er sich vorher immer reichlich mit Alkohol betanken, um überhaupt auftreten zu können. Auch heute noch war sein Lampenfieber kaum auszuhalten. Die Trinkerei jedoch hatte er aufgegeben, da sie zum Problem für ihn wurde. Seitdem blieb ihm nichts anderes übrig, als seine gelegentlichen Auftritte, die sich heutzutage ausschließlich auf Lesungen beschränkten, nüchtern durchzustehen. An Abenden wie diesem eine echte Herausforderung. Im Saal waren alle Plätze besetzt. Rauchschwaden von Tabak hingen in der Luft wie Nebel in einem Edgar-Wallace-Streifen.

Als Mark die Theke erreichte, bestellte er sich einen KiBa auf Eis. Er hatte noch ein bisschen Zeit, bevor es losging, ein paar Minuten. Sobald die Scheinwerfer angehen würden, wären alle Augen auf ihn gerichtet und er der Mittelpunkt des Trubels. Ein kurzer Kick im Leben eines erfolglosen Schriftstellers. Danach würde er wieder in Vergessenheit geraten, sich zurückziehen, in seine Butze im Prenzlauer Berg und weiter träumen von einer ganz großen Autoren­karriere. Aber wie es den Anschein hatte, würde er diesmal nicht allein nach Hause gehen müssen. Eine olivfarbene Schönheit mit schwarzen Korkenzieherlöckchen, die wie Papierband von einem Geschenk hingen, das nur darauf wartete, ausgewickelt zu werden, stand von einem der Tische neben der Bühne auf und kam direkt auf ihn zu. Sein Lampenfieber war so gut wie verschwunden, als sie ihn anlächelte. Das würde sein Abend werden, strahlte Mark Milberg.

Er hatte ein gutes Gefühl.

2

Die Frühlingssonne erhob sich zwischen den Häuser­wänden im Berliner Disneyland. Designer- und Döner-Läden glänzten in ihrem Schein und auch die Pfützen aus Urin vor den hippen Touristenschmieden schimmerten golden an diesem frühen Morgen. Rick Liebknecht spazierte wie jeden Tag um diese Zeit mit seinem Hund, einem Terrier namens Marlowe, durch den Weinbergspark. Die karge Grünfläche, auf der Marlowe gerade sein Geschäft erledigte, war ein beliebter Treffpunkt für junge Leute. Doch um diese Zeit war hier kaum etwas los. Nur unten am Fuß des Hügels, lachten und klatschten zwei heimatlose Herren auf einer Parkbank, während ein dritter ein Tänzchen für sie aufführte.

Rick war hingerissen von der Performance. Die ganze Aufführung konnte er sich allerdings nicht ansehen, da zuhause noch Arbeit auf ihn wartete. Redaktionsschluss war in weniger als einer Stunde. Bis dahin musste er den Text für seine täglich am Abend im REPORT erscheinende Kolumne Liebknechts Leiden fertiggestellt haben. Zudem hatte er vor, bei seinem alten Freund Bert Kröger im Verlag anzurufen, um ihm von dem Autor zu berichten, den er gestern Abend, nachdem er nochmal auf ein Feierabendbier los war, in der BLUE-BAR gehört hatte. Es war eine von diesen Newcomer-Lesungen gewesen. Eine der Veranstaltungen, auf denen unbekannte Autoren ihre Werke ausschnittweise vorstellten, in der Hoffnung, von einem der anwesenden Agenten oder Scouts entdeckt zu werden. Ein paar wirklich bissige Beiträge gab es dort zu hören, von Leuten, die auch mal den Mumm hatten, auf den Tisch zu hauen. Das gefiel Rick und hatte ordentlich Power, wie er fand. Der Vortrag, der für ihn allerdings am meisten herausstach, war der von dem Autor, von dem er Bert erzählen wollte, aber auf dessen Namen er gerade nicht kam. Zum Glück hatte er ihn sich gestern Abend noch notiert. Den Zettel hatte er bei sich zu Hause auf dem Schreibtisch liegen. Der Stil des Autors, an den er sich hingegen auf Anhieb erinnerte, war eindeutig inspiriert von alten Hard-Boiled-Romanen. Er musste den Stoff förmlich inhaliert haben, so stark war der Einschlag. Die Hauptfigur in seiner Geschichte war ein versoffener Ermittler, der sich eigensinnig durch ein von Gangs beherrschtes Berlin der Zukunft boxte. Dazu kamen flotte Sprüche, viel Action, schäbige Typen und begehrenswerte, selbstbewusste Frauen, die den Kerlen die Köpfe verdrehten. Ein echtes Talent, das es verdient hatte, gelesen zu werden. Er wusste, dass Bert das mit Sicherheit interessieren würde. Zudem wollte Rick sich bei ihm erkundigen, was in Oldebeck, dem kleinen Hafenstädtchen an der Weser, los war. Wie er der Zeitung entnehmen konnte, war es gerade sehr unruhig dort. Er war erstaunt und schockiert zugleich. Mal hören, was Bert darüber wusste.

Den Haufen seines Hundes zügig in einem Plastikbeutel verschnürt und in einem Abfallbehälter entsorgt, verließ er zusammen mit Marlowe den Park in Richtung Rosenthaler Platz.

Angekommen in ihrer Wohnung, gab Rick seinem West Highland erst einmal etwas zu fressen. Er selbst schenkte sich noch einen Becher Kaffee ein, um sich gleich darauf in sein Arbeitszimmer zurückzuziehen.

Auf seinem Schreibtisch, der seitlich vor dem Fenster zum Hof stand, stapelten sich massenweise Berichte, alte Zeitungen, Unterlagen und etliche Notizzettel, die wild durcheinander flogen oder am Monitor seines Rechners klebten. Ein wohlsortiertes Chaos, in dem nur er sich auskannte und zu dem er niemandem Zutritt gewährte. Wenn einmal die Woche seine Putzhilfe zum Aufräumen kam, verriegelte Rick jedes Mal die Tür, damit sie bloß keine Ordnung in seine Unordnung brachte. Frau Bertels war, was das anging, eine echte Bedrohung. Sie quasselte zwar die meiste Zeit ohne Punkt und Komma über ihre Tochter, deren Mann und dessen Kinder. Schaffte es aber nebenher auch immer wieder, Sachen verschwinden zu lassen. Ständig verlegte sie die Leine von Marlowe zum Beispiel, sortierte Sachen in Schubladen, die da einfach nicht reingehörten oder kriegte es auf wundersame Weise immer wieder hin, dass sich die Fernsehzeitung zusammen mit den Hausschlappen in Luft auflöste.

Rick stellte das Fenster auf Kipp, um ein wenig Luft reinzulassen und machte sich daran, seine Kolumne für die heutige Ausgabe vom REPORT zu überarbeiten. Das Thema seines neusten Artikels beschäftigte sich mit dem Verhalten einiger Fahrgäste im öffentlichen Verkehrsbetrieb. Ein kritischer Blick auf all diejenigen, die einstiegen, bevor andere aussteigen konnten oder die Türen blockierten, anstatt weiter durchzulaufen, damit andere Fahrgäste auch noch die Möglichkeit hatten, zuzusteigen.

Keine halbe Stunde später, seinen vorgeschriebenen Text soweit korrigiert, schickte er ihn per Mail an die Redaktion. Im Anschluss daran schrieb er sich noch schnell ein paar Stichpunkte für sein nächstes Thema auf. Es war längst überfällig, dass er den Dreckspatzen, die überall in der Stadt mit ihrem Abfall die Parks verschmutzen, endlich einmal seine Meinung geigte. Die Umwelt im Müll zu ersticken, weil man zu faul war, seine Flaschen, Grills, Kisten, Tüten oder was auch immer ordnungsgemäß zu entsorgen, war nicht nur grob fahrlässig, sondern auch völlig hirnlos. Aber jetzt wollte Rick sich nicht darüber aufregen. Nachher, wenn er seinen neuen Text für die morgige Kolumne aufsetzte, konnte er seinen Dampf ablassen. Für den Moment gab es Wichtigeres. Er legte den Stift aus der Hand und wählte die Durchwahl zu Berts Büro im Verlag. Das Freizeichen ertönte. Dann schaltete sich der Anrufbeantworter ein. „Schönen Guten Tag, Sie sind verbunden mit dem Verlagsh…‟

„Kröger‟, unterbrach Bert den lieblich gesprochenen Ansagetext seiner Sekretärin.

„Ah, du bist da, fantastisch! Hallo Berti-Boy, ich bin’s.‟

„Ricky, Mensch, Hallo. Bin gerade rein. Wie geht’s, Hombre!‟

Sie hatten sich schon eine ganze Weile nicht mehr gesprochen, aber es war wieder einmal so, als ob es erst gestern gewesen wäre. Zwei alte Freunde wie Bert und Rick, die sich mittlerweile gut vierzig Jahre kannten, wobei Rick etwa neun Jahre jünger war als Bert, mussten nicht erst warm werden, um miteinander reden zu können, die konnten gleich zur Sache kommen.

„Du, ich hab da eventuell was für dich, Bert.‟

„Schieß los, ich bin ganz Ohr.‟

*

Bert lauschte sehr aufmerksam, was Rick ihm zu berichten hatte. Er erzählte ihm von einem brandheißen Autor, den er am Abend zuvor in Berlin gehört hatte. Rick hatte sich den Namen notiert. Den Jungen selbst hatte er nicht mehr zu fassen gekriegt, war gleich nach seiner Vorstellung verschwunden. Wie Rick heute Morgen schon recherchiert hatte, gab es keine Internetpräsenz von Mark Milberg, so hieß der Schreiber. Die Nummer hatte er aber über die Auskunft rausfinden können. Wie es aussah, handelte es sich um ein völlig unbeschriebenes Blatt, kombinierte Bert. Nach Ricks euphorischer Berichterstattung zu urteilen, war er aber nicht bloß irgendein Underdog, sondern hatte echtes Talent. Bert wusste schon, wen er auf Milberg ansetzen würde; Seine Spezialistin für solche Fälle. Sie könnte ihm Bericht erstatten, während er in der Sonne Floridas weilte. Auf sie war Verlass. Außerdem hatte sie einen guten Riecher, was neue Autoren anging. Wenn der Typ wirklich reines Dynamit sein sollte, wie Rick mehrmals betonte, dann gehörte er natürlich in die Autorenliste seines Verlags.

„Danke für den Tipp, Ricky. Ich werde mir den Herrn Milberg mal angucken‟, sagte Bert zu seinem Freund, der am Ende seiner Erzählung angekommen war.

„Ja, tu das, Berti-Boy. Aber lass nicht zu viel Zeit ins Land gehen. Du weißt ja, die Konkurrenz schläft nicht.‟

„Klugscheißer‟, konterte Bert scherzhaft. „Ich schicke meine schärfste Waffe ins Rennen. Glaub mir, an ihr wird er nicht vorbeikommen. Sie wird sich der Sache annehmen, während ich weg bin. Für mich heißt es nämlich erst einmal ab in den Urlaub!‟

„Du Glücklicher. Ins Strandhaus?‟

„Richtig‟, bestätigte Bert. „Wenn du Lust hast, komm’ vorbei! Mi casa es tu casa, weißte ja.‟

„Du bist lustig, und was mach ich mit Marlowe?‟

„Den bringst du mit, in so einem Gitterkasten von der Fluggesellschaft. Die haben doch so was.‟

„Du spinnst wohl‟, sagte Rick empört.

„Oder du gibst ihn bei deiner Haushälterin ab‟, schlug Bert vor. „Wäre doch auch eine Möglichkeit.‟

„Oh Gott, der arme Hund‟, jammerte Rick.

Bert lachte. Er stellte sich Ricks Putzhilfe vor, wie sie seinem Terrier kleine Schleifchen ins Fell band.

„Aber sag’ mal, was anderes ...‟ Rick wechselte abrupt das Thema. „In Oldebeck ist wohl gerade schwer was los, wie? Habe von den Morden im REPORT gelesen. Dachte erst, ich sehe nicht recht, Oldebeck im REPORT? Ein kleiner Artikel nur, aber der stach mir sofort ins Auge.‟

„Ja, schrecklich‟, sagte Bert. „In der OZ sprechen sie nach den zwei Morden der letzten Wochen schon von einer Serie.‟

„Aha, wieso?‟, fragte Rick verdutzt.

„Beide Opfer hatten identische Merkmale, die darauf hinweisen, dass es sich tatsächlich um einen Serienkiller handeln könnte‟, gab Bert zu verstehen.

„Du meinst, weil die Frauen erstochen wurden?‟

„Nicht nur das. Die Schnittwunden beider Opfer stammen von derselben Klinge. Die Polizei geht davon aus, dass der Mörder die Frauen mit einem Sägeblatt aufgeschlitzt oder aufgesägt hat. Es fanden sich Riffelspuren im Fleisch. Furchtbare Geschichte.‟

„In der Tat. Aber könnte dich das nicht vielleicht auch inspirieren?‟, fragte Rick. „Ich meine zu einem neuen Buch, Berthold Krögers neuem Kriminalroman?‟

„Nein, mein Lieber, die Zeiten sind vorbei. Meine Bücher sind geschrieben. Ich verlege nur noch.‟

„Du musst es wissen‟, sagte Rick. „War nur so eine fixe Idee von mir, als ich den Bericht in der Zeitung gelesen habe. Schließlich warst du ja mal einer der ganz Großen.‟

„Nun übertreib mal nicht. Wenn ich wirklich so toll gewesen wäre, wie du sagst, hätte ich wohl kaum meinen eigenen Verlag gründen müssen, um meine Krimis veröffentlichen zu können.‟

„Der Berti, bescheiden wie immer‟, bemerkte Rick.

„Nun gut.‟ Bert gab sich geschlagen. „Wenn ich mir den Schund so angucke, den einige Verlage heutzutage auf den Markt schmeißen, von Autoren, die nicht mal die erste goldene Regel der Schreibkunst beherrschen, kann ich wohl behaupten, gar nicht so schlecht gewesen zu sein. Ja, das stimmt.‟

„Und wie lautet die erste goldene Regel der Schreibkunst?‟, wollte Rick nun wissen. Eine rein rhetorische Frage.

„Das muss ich dir doch nicht erklären.‟ Bert lachte. „Aber es ist tatsächlich so, dass es die wenigsten Autoren, die mir in letzter Zeit so angeboten wurden, hin­bekommen haben, den Anfang eines Romans so komponieren, dass man dran bleibt.‟

„Das wundert mich nicht‟, sagte Rick. „Heutzutage meint doch jeder, er wäre Schriftsteller, nur weil er mal einen Aufsatz im Internet hochgeladen hat.‟

„Wie wahr‟, bestätigte Bert, versteckt hinter einem Stapel Unterlagen, die sich vor ihm auf dem Schreibtisch ausbreiteten. Hinsichtlich dessen, was er noch zu tun hatte, sagte er schließlich zu Rick: „Du, ich muss mal langsam ran hier. Sei mir bitte nicht böse, aber morgen geht’s los, da will ich alles erledigt haben.‟

„Na klar. Kein Problem‟, antwortete Rick. „Schön, dich mal wieder gesprochen zu haben. Und denk an die Milberg-Geschichte, ja? Guck dir den auf jeden Fall mal an.‟

„Ist schon so gut wie in die Wege geleitet‟, beruhigte ihn Bert.

Das Gespräch mit Rick schließlich beendet, legte er die Notizen über Milberg erst einmal beiseite. Er würde den Auftrag später an seine Lektorin weiterleiten. Erst ­einmal musste er der Buchhaltung Feuer unter dem Hintern machen. In der letzten Monatsabrechnung, die ihm vorlag, gab es einige nicht verbuchte Erträge. Ungereimtheiten, die es auszugleichen galt, aber sofort.

Bert stöhnte. „Wenn man nicht alles alleine macht.‟

3

„Na Süßer, Lust auf Gesellschaft?‟

Die Musikbox spielte gerade Amanda Lear mit Follow me, als die Alte vom Nachbarhocker sich zu ihm rüberbeugte. „Ich mach’s dir auch mit ganz viel Liebe‟, säuselte sie. „Oder musst du gleich wieder nach Hause zu deiner Mutti, mmhhh?‟

Er ignorierte die Anmache, denn er hatte keinen Bock auf Streicheleinheiten. In seinem Kopf war er viel zu sehr damit beschäftigt, wie er es diesem miesen kleinen Flittchen von Alina Rose endlich einmal heimzahlen konnte. Die Nummer von ihr auf der Weihnachtsfeier letztes Jahr war einfach unter aller Kanone. Und jetzt tat sie auch noch so, als ob er derjenige gewesen wäre, der irgendetwas falsch gemacht hatte. Wie Luft behandelte sie ihn, dabei war er den ganzen Abend so nett zu ihr gewesen. Cool, wie er zu ihr rübergeschlendert war, sich Alina gegriffen und vom Buffet weg auf die Tanzfläche gezerrt hatte. Einfach einsame Spitzenklasse. Mädels standen doch auf so was. Oder etwa nicht? Davon mal abgesehen, war er ja auch nicht irgendwer. Er war Ralle Brinkmann aus der Buchhaltung. Ein Kollege und kein stinkender Penner, den man einfach so rumschubsen konnte.

„Schlampe‟, zischte er. Etwas zu laut, denn Sweet Sugar Sandy neben ihm fühlte sich gleich angesprochen. Sie warf ihm einen bösen Blick zu, den er nur zu gern mit einem noch böseren Blick erwiderte. Erschrocken rutschte die fette Qualle vom Hocker, nahm ihren Drink und verzog sich durch die Plüschvorhänge ins Separee. Brinkmann folgte ihr, aber nur bis zur Jukebox, um eine Münze nachzuwerfen. Kaum hatte er wieder auf seinem Barhocker Platz genommen, knisterte das Intro von You Sexy Thing aus dem Lautsprecher und versetzte Brinkmann zurück auf den Dancefloor. Wieder sah er sich auf der Weihnachtsfeier, zusammen mit Alina unter der Discokugel, ihren Arsch in seinen Händen, die Zunge an ihrem Hals. Das war wirklich grandios gewesen, bis das Fräulein Hochnäsig ihm eine geknallt hatte. Natürlich auch so, dass es jeder aus der Firma mitbekam. Gedemütigt hatte sie ihn, vor allen Anwesenden. Doch wenn diese dämliche kleine Zimperliese glaubte, dass er sie damit durchkommen ließ, hatte sie sich geirrt.

„Du hättest es von mir ganz zärtlich haben können‟, brummelte Brinkmann in seine Pina Colada. „Doch jetzt kriegst du es auf die harte Tour.‟ Er knallte dem Bartender einen Zehner auf den Tresen und verließ das MU MU, noch bevor Hot Chocolate mit ihrem Lied zu Ende waren.

Draußen vor dem Bordell blickte er auf den Fahrplan der Haltestelle, die einsam am Straßenrand auf ihn wartete. Über ihm ein majestätischer Mond, der wie ein Scheinwerfer an einem Filmset auf ihn herunterstrahlte, sich im Fluss gleich hinter ihm spiegelte und die Hafenanlage davor, mit den Kränen, Silos und Lagerhäusern, wie die riesige Kulisse eines Science-Fiction-Films erscheinen ließ. Ein faszinierendes Bild, für das Brinkmann jedoch nichts übrig hatte. Die Geschichte mit Alina Rose ging ihm einfach nicht aus dem Kopf. Wieder und wieder sah er die Bilder der Demütigung vor sich. Wie er mit hochrotem Kopf auf der Tanzfläche stand, während sich die versammelte Belegschaft beschämt von ihm abwandte. Diese Erinnerung machte ihn so wütend, dass er sich überlegte, heute nochmal loszuziehen. Die Voraussetzungen für einen kleinen Turn durch die Gemeinde waren ideal. Kaum jemand war auf den Straßen. Doch zunächst einmal musste er sich umziehen.

Nachdem er den letzten Bus nach Hause genommen hatte, traf Brinkmann etwa zwanzig Minuten später in seiner Wohnung ein. Wie immer herrschte eine apokalyptische Unordnung in seinem spartanisch eingerichteten Apartment. Pizzakartons, Bierdosen, leere Flaschen und massenhaft Chipstüten lagen zwischen schmutzigen Klamotten verteilt auf dem fleckenbedeckten Teppich vor der Klappcouch. Doch zum Aufräumen war Brinkmann nicht hier. Im Eiltempo zog er sich um und nahm eine Taxe in die Altstadt. Den Fahrer wies er an, ihn vor dem Frühcafé KNÜLLE abzusetzen, da er keinen Verdacht erregen wollte. Von dort machte er sich auf, zurück zum Hafen. Zwischendurch warf er immer mal wieder einen Blick über seine Schulter, um sich zu vergewissern dass ihm niemand folgte. Wenig später, auf Höhe der Getreidesilos, kam er an eine Kreuzung, wo er eine junge Frau erblickte. Ganz allein stand sie da, unter dem fahlen Licht einer Straßenlaterne, in einem neonfarbenen Stretchkleid und schwarzen Lackstiefeln. Als die Dirne auf Brinkmann aufmerksam wurde, stöckelte sie ihm auf ihren Pfennigabsätzen entgegen, ohne die Spur einer Ahnung, dass sie direkt in die Arme ihres Killers lief. „Na, einsam?‟, fragte sie und schmatzte dabei mit ihrem Kaugummi.

„Ja, das bin ich‟, antwortete Brinkmann. Er wickelte zügig das Geschäftliche mit der Prostituierten ab, um von der Straße runterzukommen und ging mit ihr zur alten Schlachthalle, hinter den Auktionshallen. An der Rampe, dort wo früher die zerlegten Tiere für den Export verladen wurden, sah er sich noch einmal um. Dann, pfeilschnell wie eine Kobra, packte er die junge Frau im Nacken.

„Ey, sei nicht so grob. Du tust mir weh‟, krächzte sie erschrocken, doch Brinkmanns Griff in ihrem Genick wurde fester. Wie einen Fisch an der Angel ließ er sein wehrloses Opfer zwischen seinen Fingern zappeln. Dann zog er die Klinge aus seinem Stiefel, drückte das Mädchen gegen die Fassade der Schlachthalle und versenkte das etwa dreißig Zentimeter lange Eisen in seiner Faust mehrmals nacheinander bis zum Anschlag in ihrem Unterleib. Das Sägeblatt vor und zurück, rein und wieder rausfahren lassen, arbeitete er sich hoch bis zu ihrem Brustkorb. Danach ließ Brinkmann den schlaffen Körper seines Opfers auf den Beton gleiten, wischte die Klinge so gut es ging am Rock der Toten ab und verließ den Tatort wieder. Nach einer Weile, die Auktionshallen schon weit hinter sich, fiel ihm auf, dass er vergessen hatte, die blutigen Handschuhe auszuziehen. Schnell streifte er sie ab und stopfte sie in die Seitentasche seines Mantels. Nächstes Mal würde er vorsichtiger sein müssen, dachte er, ansonsten war es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Bullen vor seiner Tür standen.

Raus aus dem Hafenviertel mied Brinkmann die Hauptverkehrsstraßen. Dabei machte er einen großen Bogen ums Zentrum und lief durch den Bürgerwald nach Hause. Angekommen in seinem Apartment, ging er als Erstes in die Küche und verstaute die Klinge in einem der Rohre unter dem Abwaschbecken. Vorerst würde er sie nicht mehr brauchen. Bloß nicht übermütig werden, sagte er sich. Das war jetzt Opfer Nummer drei. Für sein nächstes, und dabei dachte er nicht an ein Mädchen von der Straße, brauchte es mehr Zeit. Er würde alles gründlich vorbereiten müssen, denn er wollte nichts dem Zufall überlassen. Doch jetzt wollte er sich noch keine Gedanken darüber machen. Erst einmal wollte er schlafen, schließlich musste er morgen früh wieder zur Arbeit.

4

Als Alina am Morgen in den Verlag kam, lief ihr als erstes dieser Schnösel von Brinkmann aus der Buchhaltung über den Weg. Auch diesmal konnte er sich nicht verkneifen, eine seiner spitzfindigen Bemerkungen auf sie abzufeuern, als sie aneinander vorbeiliefen.

„Oh là là, ist das Kostüm nicht etwas gewagt?‟

Alina warf ihm als Antwort nur einen gelangweilten Blick zu. Sie wusste genau, dass ihn das am meisten traf. Seit er vor ein paar Monaten auf der betrieblichen Weihnachtsfeier bei ihr abgeblitzt war, versuchte er sich ständig, verbal an ihr zu rächen. Irgendwie schien er Komplexe zu haben. Aber was interessierte sie so ein jämmer­licher Korinthenkacker wie Brinkmann überhaupt, der sich die letzten sechs Haare seiner kahlen Birne von einer Seite auf die andere kämmte. Hatte dem denn noch keiner gesagt, wie unfreiwillig komisch er damit aussah? Wahrscheinlich nicht, schnaubte sie und versuchte, sich wieder zu beruhigen. Es war einfach zum Verzweifeln. Gab es denn nur noch Idioten auf dieser Welt? Dumpfbacken und Dödel ohne Charakter? Manchmal glaubte sie das wirklich, hatte kaum noch Hoffnung, mal jemanden mit Klasse zu treffen. Dabei sehnte sie sich doch so sehr nach einem sensiblen, gutaussehenden, humorvollen Typen, mit dem man Pferde stehlen konnte. Nicht so eine Pfeife wie Brinkmann, mit dem Sexappeal eines Gollum. Alina warf die Aktentasche auf den Schreibtisch in ihrem Büro und ließ sich in den großen ledernen Sessel fallen. Das Telefon klingelte. Alina nahm ab. „Lektorat KRÖGER & CRIME, Rose am Apparat.‟

„Hallo Alina, Kröger hier‟, brummte ihr die Stimme ihres Chefs entgegen. „Ich rufe Sie von unterwegs an, meine Liebe. Eigentlich bin ich schon so gut wie im Urlaub‟, sagte Kröger. „Doch es gibt da etwas, dass ich Ihnen gestern vergessen hatte mitzuteilen und dass es dringlich zu erledigen gäbe. Am besten noch heute. Oder spätestens morgen, wenn das ginge. Schaffen Sie das?‟

Die Frage ihres Chefs kam in einem bestimmten Tonfall, der eine Verneinung kaum zuließ. „Um was geht es denn?‟, fragte Alina und ließ ihren Rechner hochfahren.

„Es geht um einen jungen aufstrebenden Autor, der mir von meinem Freund Rick Liebknecht, dem Kolumnisten vom REPORT, wärmstens empfohlen wurde.‟

„Wie ist der Kontakt?‟

„Der Typ heißt Mark Milberg und wohnt in Berlin. Am besten machen Sie gleich mal einen Termin mit ihm aus und fahren hin. Die genauen Daten finden Sie in der Mail, die ich Ihnen gerade geschickt habe.‟

Alina öffnete ihr Outlook. Ganz oben in ihrem Postfach fand sie die Mail von Kröger. „Okay, verstanden, ich werde mich gleich darum kümmern.‟

„Machen Sie das‟, betonte Kröger fordernd. „Falls Milberg wirklich so brandheiß sein sollte, wie Rick sagt, will ich selbstverständlich, dass er schnellstmöglich bei uns unter Vertrag genommen wird.‟