Dein Flüstern im Meereswind - Nele Blohm - E-Book

Dein Flüstern im Meereswind E-Book

Nele Blohm

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Beschreibung

Der Wind erzählt die schönsten Liebesgeschichten ...

Ein eigener Inselbuchladen, Sanddornkuchen zum Frühstück und Ostseewind im Haar: Caro fühlt sich in ihrer neuen Heimat Hiddensee pudelwohl. Nur in Sachen Liebe hatte sie bisher kein Glück. Um lästige Nachfragen zu vermeiden, erzählt sie ihrer Mutter kurzerhand, sie sei verlobt – und bricht in Panik aus, als diese ihren Besuch ankündigt, um ihren zukünftigen Schwiegersohn kennenzulernen. Caro braucht einen passablen Mann, der für ein paar Tage ihren Verlobten spielt, und zwar schnell! Als sie sich vor einem heftigen Sommersturm in das Haus des Meteorologen Hannes rettet, scheint er die Lösung all ihrer Probleme zu sein. Tatsächlich macht Hannes seine Sache als Verlobter erstaunlich gut. Zu gut vielleicht? Caro jedenfalls fällt es immer schwerer, vorgetäuschte und echte Gefühle auseinanderzuhalten …

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DASBUCH

Ein eigener Inselbuchladen, Sanddornkuchen zum Frühstück und Ostseewind im Haar: Caro fühlt sich in ihrer neuen Heimat Hiddensee pudelwohl. Nur in Sachen Liebe hatte sie bisher kein Glück. Um lästige Nachfragen zu vermeiden, erzählt sie ihrer Mutter kurzerhand, sie sei verlobt – und bricht in Panik aus, als diese ihren Besuch ankündigt, um ihren zukünftigen Schwiegersohn kennenzulernen. Caro braucht einen passablen Mann, der für ein paar Tage ihren Verlobten spielt, und zwar schnell! Als sie sich vor einem heftigen Sommersturm in das Haus des Meteorologen Hannes rettet, scheint er die Lösung all ihrer Probleme zu sein. Tatsächlich macht Hannes seine Sache als Verlobter erstaunlich gut. Zu gut vielleicht? Caro jedenfalls fällt es immer schwerer, vorgetäuschte und echte Gefühle auseinanderzuhalten …

DIEAUTORIN

Hinter Nele Blohm steht die erfolgreiche Bestsellerautorin und Selfpublisherin Mila Summers. Sie wurde 1984 in Würzburg geboren. Als Kulturwissenschaftlerin arbeitete sie lange für eine Onlinedruckerei, bevor sie in der Elternzeit zum Schreiben fand, dem sie sich nun ganz widmet. Sie liebt das Meer und Liebesgeschichten mit Happy End, die uns an wunderschöne Orte entführen. Mit Mann, Kindern und ihrem übermütigen Jack Russell Tummy lebt sie in ihrer Heimatstadt.

WILHELMHEYNEVERLAG

MÜNCHEN

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Originalausgabe 04/2022

Copyright © 2021 by Nele Blohm

Copyright © 2022 dieser Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die

Langenbuch & Weiß Literaturagentur.

Redaktion: Catherine Beck

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design

unter Verwendung von Shutterstock.com/GooseFrol

Satz: Leingärtner, Nabburg

ISBN 978-3-641-29151-8V001

www.heyne.de

Kapitel 1

Eine frische Brise wehte mir durchs Haar und ließ es in der Luft nach einem ganz eigenen Rhythmus tanzen. Die Melodie war mir wohlvertraut, und doch freute ich mich jeden Tag aufs Neue, den Klängen zu lauschen.

Sobald ich nur einen Fuß auf meinen Balkon setzte und die Insel mit einer dampfenden Tasse Kaffee in der Hand begrüßte, empfand ich dieses Gefühl von Freiheit und Dankbarkeit. Nach langer und rastloser Suche war mir Hiddensee in kürzester Zeit zum sicheren Hafen geworden. Dabei hatte ich vor meiner Ankunft nicht einmal gewusst, dass ich auf der Suche gewesen war. Aber hier konnte ich mich frei entfalten und neu definieren. Meine Vergangenheit spielte keine Rolle mehr.

Die Freude über diese Erkenntnis ließ mich lächeln. Eine Möwe flog ihre Kreise unweit des Traumschlösschens und landete in unserem Garten gleich neben dem Strandkorb. Dabei verrenkte sie den Kopf zu allen Seiten, als warte sie bereits auf eine erfrischende Zitronenlimonade und ein Stück unserer beliebten Sanddorntorte. Voller Vorfreude strich ich mir mit der Zunge über die Lippen und hatte sogleich den salzigen Geschmack meiner neuen Heimat im Mund.

Ja, Hiddensee war Heimat. Ich hatte mich auf dieser kleinen Ostseeinsel so schnell eingelebt, als wäre es Bestimmung, dass ich hier gelandet war. Auch wenn ich gestern beim Inselspeeddating mal wieder leer ausgegangen war. Dabei hatte ich so ein gutes Gefühl gehabt, dort endlich den Mann fürs Leben zu finden. Aber so einfach war es dann doch nicht. Und das, obwohl sich Sonja in ihrem Kleinen Prinzen regelmäßig um eine wunderschöne und ausgelassene Atmosphäre bemühte. Neben den fünf Minuten, in denen man jemanden kennenlernen konnte, ehe man zum nächsten Teilnehmer der Runde wechselte, reichte sie kleine Kanapees und Sekt. Doch das brachte leider auch nichts, wenn einfach nicht der Richtige dabei war. Tom, Jörg und Sven waren jeder für sich echt nette Menschen, aber mehr als einen Abend mit ihnen zu verbringen, konnte ich mir dann doch nicht vorstellen. Mit einem Seufzer besann ich mich wieder auf das Wesentliche.

Gleich würde ich in Maries und meinen kleinen blumigen und buchigen Laden runtergehen, um ihn für unsere Kunden aufzuschließen. Manchmal konnte ich mein Glück noch immer nicht so recht fassen. Vor etwas mehr als einem Jahr hatte ich noch in einer Anwaltskanzlei in München gesessen und mich so manches Mal gefragt, ob es das nun gewesen war. Als Marie nach der Pleite mit Jan und dem Blumenladen zurück auf ihre Heimatinsel Hiddensee gegangen war, hätte ich es nie für möglich gehalten, dass ich ihr bald folgen und ebenfalls auf dieser wunderschönen Insel bleiben würde. Meine Freundin und ich hatten uns aus einer Laune heraus dafür entschieden, auf Hiddensee ein Geschäft zu eröffnen, nachdem mein Vater mir das Startkapital dafür vererbt hatte. Zunächst schien es ein Experiment zu sein, aber es stellte sich schon bald als zukunftsweisend heraus. Es war nicht immer ganz einfach, doch das viele positive Feedback der Menschen, die uns in unserem Traumschlösschen besuchten und hier einkauften, ermutigte uns. Mittlerweile kamen sogar Leute vom Festland oder der Nachbarinsel Rügen, um in unserer gut sortierten Buchauswahl zu stöbern oder sich von Marie Sträuße und Gestecke für jeden Anlass anfertigen zu lassen.

Bevor ich schließlich nach unten ging, beugte ich mich ein wenig über die Balustrade, um das Meer nicht nur rauschen zu hören, sondern es auch zu sehen.

Die Aussicht war wie immer atemberaubend schön. Und nie gleich. Mal schäumte das Wasser, als hätte jemand zu viel Badezusatz hineingeschüttet, mal stieß es in hohen Wellen aufs Land, ein anderes Mal lag es beinahe ruhig da, als hätte irgendwo jemand einen Schalter gedrückt und die Wellenmaschine abgestellt.

»Guten Morgen, Caro«, riss mich Marie aus den Gedanken.

Ich winkte zu ihr hinunter und verschüttete ein wenig Kaffee auf meine neuen Sandalen. Zum Glück war der Inhalt meiner Tasse in der Zwischenzeit bereits erkaltet.

»Hey, Marie. Ich komme gleich runter«, erwiderte ich, als ich bemerkte, wie schwer sie bepackt war.

Eilig wischte ich mir die Kaffeenote mit einem Taschentuch von den Schuhen, ging in meine Maisonettewohnung und hinunter ins Erdgeschoss. Keinen Augenblick zu früh war ich schließlich an der Tür, um sie für Marie zu öffnen.

»Danke dir.« Marie war ganz außer Puste, als sie mir den Karton aus ihren Händen überreichte.

»Hat Oma Gertrud mal wieder etwas für uns gebacken?«, fragte ich mit neugierigem Unterton in der Stimme.

Mittlerweile kamen viele unserer Kunden nicht nur wegen unserer gut sortierten Bücherauswahl oder der wunderschönen Blumen, denen Marie mit ihren Händen einen ganz eigenen Zauber verlieh, sondern auch oder gerade wegen Oma Gertruds immer neuen Gebäck- und Kuchenkreationen.

Ich staunte jedes Mal wieder über ihren nie enden wollenden Einfallsreichtum, denn in jedem von Oma Gertruds Rezepten musste ihre Lieblingsfrucht, der Sanddorn, seinen Platz finden. Die Zitrone des Nordens, wie das Ölweidengewächs auch genannt wurde, verlieh den Backwaren einen ganz eigenen aromatischen Geschmack nach Heimat.

»Heute gibt es eine Apfeltorte mit Sanddornsahne«, referierte Marie, die noch immer ganz außer Atem war und sich erst mal ein Glas Wasser einschenkte.

»Warum hast du dich denn so abgehetzt? Es geht doch erst in einer halben Stunde los«, merkte ich an und stellte den Kuchen auf dem Verkaufstresen ab.

Marie wohnte nach wie vor in Kloster im Reetdachhotel ihrer Großmutter. Und das, obwohl sie bereits seit einiger Zeit mit ihrer Jugendliebe Ole verlobt war und die beiden bald heiraten wollten.

»Hast du Ole schon gesehen?«, wisperte sie und warf einen schnellen Blick nach draußen. Die Bernsteinwerkstatt ihres Verlobten befand sich gleich nebenan.

»Nein, ich habe ihn heute noch nicht gesehen. Warum so geheimnisvoll? Verbirgst du etwas vor ihm?«

Marie sah mich wie vom Donner gerührt an. »Ich? Nein! Also nicht so richtig. Ich habe heute Ohrringe dabei, die mir Oma Gertrud geschenkt hat, damit ich sie bei der Trauung tragen kann. Du weißt schon, die, die bereits ihre Großmutter zu ihrer Hochzeit anhatte.«

Ich nickte, auch wenn ich nicht so recht verstand, was das eine mit dem anderen zu tun haben sollte.

Wieder sah sie sich verstohlen nach allen Seiten um.

»Und was hat Ole jetzt damit zu tun?«, wagte ich schließlich doch noch zu fragen.

Marie hob ihren Zeigefinger vor die Lippen und bedeutete mir zu schweigen. »Nicht so laut! Er könnte uns hören.«

Plötzlich beschlich mich eine Ahnung, worauf das hier hinauslief. »Hat das irgendwas mit Jan zu tun?«

Jan war der Kerl, der Marie vor mehr als einem Jahr aus heiterem Himmel und nach einer langjährigen Beziehung mal eben wie eine heiße Kartoffel hatte fallen lassen, weil er »sich selbst finden« wollte. Und das nur wenige Monate vor der Hochzeit.

Marie schüttelte zunächst den Kopf, dann nickte sie und sah betreten zu Boden.

Ich seufzte. Hatte mich mein Gefühl also doch nicht getrogen.

»Weißt du was? Wir haben noch ein paar Minuten, bis wir aufschließen müssen. Ich mache uns schnell zwei Cappuccino, und du schneidest derweil die Torte für uns an. Dann gehen wir raus in den Garten, und du erzählst mir alles in Ruhe.«

Als ich Maries unschlüssigen Blick bemerkte, ergänzte ich noch: »Oles Hof liegt auf der anderen Seite. Er wird uns nicht hören.«

»Also? Was bedrückt dich?«, hakte ich nach, als Marie die Teller neben die beiden Tassen auf den Tisch vor dem Strandkorb gestellt und wir beide Platz genommen hatten. »Hast du noch Gefühle für Jan? Oder sind es die klassischen kalten Füße, die so manche Braut kurz vor der Hochzeit bekommt?«

Marie sah mich mit großen Augen an. »Ich habe definitiv keine Gefühle mehr für Jan. Das mit uns ist ein für alle Mal vorbei«, bestätigte sie vehement, ehe sie abermals betreten zu Boden sah. »Das ist es ganz bestimmt nicht. Ich bin nur irgendwie … aufgeregt.«

Ich lächelte ihr aufmunternd zu und legte meine Hand auf die ihre. »Das ist doch ganz normal. Mach dir darüber keine Sorgen!«, redete ich ihr gut zu und versuchte, dabei ganz ruhig und gelassen zu bleiben.

Es fiel mir gar nicht so leicht. Schließlich hatte ich mich noch nie in einer ähnlichen Situation befunden. Dafür hätte ich erst mal einen Partner gebraucht. Aber das mit den Männern und mir wollte einfach nicht so recht klappen. Meine letzte Beziehung lag schon mehr als ein Jahr zurück. Sie war in die Brüche gegangen, als ich auf den Umstand aufmerksam wurde, dass die Ehe meines Freunds ganz und gar nicht vor dem sicheren Aus stand, wie er stets behauptet hatte. Wie alt das Kind wohl jetzt sein mochte? Ein halbes Jahr? Älter?

»Es ist nicht die Angst vor der Hochzeit selbst«, gestand Marie schließlich, während ihr Blick wie gebannt auf der Tasse mit dem Aufdruck Floristin mit Herz lag. Ich hatte sie ihr zum halbjährigen Bestehen unseres Traumschlösschens geschenkt. Witzigerweise hatte sie mir eine ganz ähnliche Tasse besorgt. Nur dass auf meiner Beste Buchhändlerin der Welt geschrieben stand.

Noch heute musste ich grinsen, wenn ich mich daran erinnerte, wie wir beide unsere Geschenke ausgepackt hatten und in schallendes Gelächter ausgebrochen waren. Die Sache mit den Tassen hatte mal wieder gezeigt, wie ähnlich wir uns doch waren.

»Hast du Zweifel daran, dass Ole der Richtige ist?«, warf ich ein und senkte meine Stimme noch mehr.

Ole konnte uns zwar von seiner Werkstatt aus nicht hören, aber unmittelbar hinter der Hecke in unserem Rücken befand sich ein Gehweg, der in den Sommermonaten stark frequentiert war, weil er direkt zum Strand führte.

»Was?!« Marie wurde so laut, dass sie selbst ein wenig darüber erschrak. »Das hat mit Ole nichts zu tun«, erklärte sie so schnell, dass sich ihre Stimme beinahe überschlug.

»Okay, okay. Ich hab’s ja verstanden«, erwiderte ich und reichte ihr als Friedensangebot ihre Tasse. »Aber was macht dir denn nun solche Sorgen?«

Den Kuchen hatten wir beide noch nicht angerührt. Dabei sah er wirklich ausgesprochen köstlich aus. Und wie er erst duftete …

Marie seufzte. »Ich erzähl’s dir, wenn du mir versprichst, mich nicht auszulachen.«

Feierlich hob ich meine rechte Hand zum Schwur. »Ich verspreche es.«

Marie seufzte abermals. »Seit der Sache mit Jan bin ich … wie soll ich es sagen? Ich bin ein wenig … abergläubisch geworden.«

Nun fiel es mir doch nicht ganz so leicht, mein Versprechen einzuhalten. Viel zu präsent waren plötzlich die Bilder von der äußerst eigenwilligen Inselschamanin Irmgard in meinem Kopf, die uns auch das Traumschlösschen vermietete. Gleich nach Maries Ankunft auf Hiddensee war Oma Gertrud – so nannten sie alle auf der Insel, die jünger waren als sie – der Ansicht gewesen, Irmgard wäre der einzige Mensch, der ihr noch helfen konnte. Schließlich hatte Marie ihren Hühnergott verloren, was ganz schlimmes Unglück bedeutete und gleichzusetzen war mit einem zerbrochenen Spiegel.

Neben der äußerst bildhaft beschriebenen Aurenreinigung, die Marie mir in allen Details geschildert hatte, musste ich gerade an mein erstes Aufeinandertreffen mit Irmgard denken. Um die bösen Geister unseres Traumschlösschens zu vertreiben, hatte die Gute einen Gegenstand, der verdächtig große Ähnlichkeit mit einem Stück Hefegebäck hatte, in den Raum geworfen. Und nicht nur das. Sie hatte dazu auch noch einen schamanischen Segensspruch leise vor sich hingebrabbelt, den niemand verstand, und im Anschluss daran wie eine vom Teufel Besessene die Tür ins Schloss gezogen. Den wilden, fast schon fanatischen Ausdruck in ihren Augen würde ich wohl nie vergessen.

»Wie genau meinst du das?«, hakte ich nach, während ich mich darum bemühte, mich auf etwas anderes zu konzentrieren als auf Irmgards Geisteraustreibung. Sonst stand nämlich doch noch zu befürchten, dass ich laut zu lachen begann, was ich tunlichst vermeiden wollte. Marie sollte nicht das Gefühl haben, dass ich mich über sie lustig machte.

Sie zog ein Schächtelchen aus der Hosentasche und öffnete es. Darin lagen auf einem mit Seide ausgepolsterten Kissen zwei längliche goldene Ohrringe. Eine sehr filigrane Arbeit. Ein wenig erinnerte mich die Form an die der Insel Hiddensee aus der Vogelperspektive.

»Die sind wunderschön«, brachte ich meine Bewunderung auf den Punkt.

»Ja, das finde ich auch. Ich bin schon total gespannt, was Ole sagen wird, wenn er sie das erste Mal sieht.«

Ich lächelte zuversichtlich. »Sie werden ihm sicher genauso gut gefallen wie dir und mir. Warum gehst du nicht rüber und zeigst sie ihm einfach?«, schlug ich vor.

»Was? Auf gar keinen Fall!« Hektisch klappte Marie den Deckel der Schatulle wieder zu und stopfte sie zurück in ihre Hosentasche.

Mir blieb derweil nichts anderes übrig, als dämlich aus der Wäsche zu gucken, denn ich verstand rein gar nichts mehr.

»Du willst sie Ole also nicht zeigen?«, nahm ich den Faden nach einigen Sekunden, in denen sich Marie wie ein in die Enge getriebenes Tier zu allen Seiten umgesehen hatte, wieder auf.

»Doch. Ich will sie ihm zeigen. Nur nicht vor der Hochzeit. Auf gar keinen Fall vor der Hochzeit!«

Beschwichtigend hob ich die Hände, während ich ein Gefühl dafür bekam, warum sie nach wie vor bei Oma Gertrud im Inselhotel wohnte. »Hast du etwa Angst, Ole könnte seinen Entschluss, dich heiraten zu wollen, wieder zurücknehmen, wenn er die Ohrringe sieht?«, fragte ich leicht irritiert.

»Ja. Nein. Das ist … kompliziert. Aber du weißt ja noch, wie das damals mit Jan lief. Erst habe ich meinen Glücksbringer verloren, und danach hat mein Ex-Verlobter mal eben entschieden, spontan einen Selbstfindungstrip nach Südostasien zu machen. Ohne mich. Das war der Anfang vom Ende und … ich will es einfach nicht noch einmal darauf ankommen lassen. Ole ist mir wichtig. Die Hochzeit soll perfekt werden, und vor allem: Er soll unter gar keinen Umständen einen Grund haben, sich von mir zu trennen. Das würde mir … das würde mir echt das Herz brechen.«

Hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, Marie zu erklären, dass Jans Entscheidung nie an ihr gelegen hatte, und der Tatsache, dass verlorene Glücksbringer keine derartige Macht über uns hatten, entschied ich mich schließlich, sie ganz fest in die Arme zu nehmen. »Ole wird dir nicht das Herz brechen, Marie. Da bin ich mir ganz sicher«, flüsterte ich ihr ins Ohr.

Als sich Marie wenige Sekunden später von mir losmachte, sah sie schon viel hoffnungsvoller drein.

»Ich weiß ja, dass es nicht an dem verloren gegangen Hühnergott gelegen hat, dass Jan mich bei all seinen Plänen vergessen hat. Trotzdem kann ich einfach nicht aus meiner Haut. Verstehst du?«

Ich nickte und blickte hinauf zum wolkenlosen blauen Himmel.

Jedem Fortschritt und jeder technischen Errungenschaft zum Trotz gab es nach wie vor unzählige Dinge zwischen Himmel und Erde, die wir Menschen nicht verstehen konnten. Und die Liebe gehörte eindeutig dazu.

Kapitel 2

»Kann ich Ihnen vielleicht behilflich sein?«

Die junge Touristin stand schon eine ganze Weile vor dem Tisch und dem angrenzenden Regal mit den Liebes- und Sommerromanen der Saison. Für gewöhnlich ließ ich den Menschen, die ins Traumschlösschen kamen, genügend Raum und Zeit, um sich in aller Ruhe umzusehen.

Die meisten schnappten sich nach einer Weile ein, zwei Bücher und gingen damit hinaus in den Garten. Dort lasen sie dann bei herrlichem Sonnenschein, einer kühlen Zitronenlimonade oder einem Cappuccino mit Kakaopulver auf dem Milchschaum und einem köstlichen Stück Kuchen die ersten Seiten.

Ob es an der himmlischen Atmosphäre in unserem Garten lag oder an der Ausgelassenheit im Urlaub – nicht selten wanderten später an der Kasse alle Bücher über den Tresen.

»Ich bin mir ein bisschen unsicher, was ich möchte.«

Die Art, wie sie es sagte, ließ keinen Zweifel daran, dass es nicht um Bücher ging.

»Das kann ich gut verstehen. Die Auswahl kann einen manchmal regelrecht erschlagen«, erwiderte ich mit einem Lächeln.

Die junge Frau sah mich an, als hätte ich mit meinen Worten mitten ins Schwarze getroffen.

»Aber wie entscheidet man sich dann? Mit dem Kopf? Mit dem Herzen? Oder hört man doch besser auf sein Bauchgefühl?«

Ich überlegte kurz, was ich ihr für einen guten Rat mit auf den Weg geben konnte. Als Buchhändlerin, das hatte ich gleich zu Beginn meiner Selbstständigkeit gelernt, ging es nie nur um den Verkauf des Buchs an sich. Oft beriet man einen Kunden oder eine Kundin, schlug ihnen passende Geschichten für ihren Lesegeschmack vor und erfuhr im Anschluss daran etwas aus ihrem Leben: Das konnten Leid, Liebe oder auch mal die Bilder der Enkelkinder sein.

»Was halten Sie von einer kühlen Zitronenlimonade und einem Stück Apfelkuchen mit Sanddornsahne?«, schlug ich ihr unvermittelt vor. »Sie könnten sich im Garten in einen der Strandkörbe setzen, die Sonne genießen, und ich stelle Ihnen in dieser Zeit eine kleine Auswahl zusammen. Wie hört sich das für Sie an?«

Zögerlich blickte die junge Frau zunächst in Richtung der offen stehenden Tür, die zum Garten führte, dann sah sie mir direkt in die Augen. »Bieten Sie diesen Service auch noch für andere Lebenslagen an?«, fragte sie eine Spur zu bekümmert für jemanden, der gerade eine schöne Auszeit von seinem Alltag erleben wollte.

Als Antwort lächelte ich. »Meine Kollegin Marie und ich arbeiten da an einem vollumfänglichen Konzept. Demnächst kann man hier auch seine Wäsche waschen und seinen Hund frisieren lassen«, witzelte ich.

Meine Worte zauberten ihr ein Lächeln auf die Lippen. Ein kleiner Hoffnungsschimmer. Alles würde gut werden, auch wenn sie selbst noch nicht daran glaubte. Manchmal brauchte es ein wenig Zuversicht von außen und einen anderen Blick auf die Dinge, um Lösungswege zu finden, die man in dem dichten Nebel aus Angst und Verzweiflung noch nicht sah. Aber sie taten sich auf. Irgendwann.

»Warum ist das mit den Männern nur so kompliziert?«, fragte sie mich aus heiterem Himmel.

Ich seufzte. Dafür hatte ich leider auch keine plausible Erklärung. »Ich habe ja die Hoffnung, dass es mit dem Mann, der für einen bestimmt ist, nicht kompliziert ist«, erwiderte ich augenzwinkernd.

Meine Kundin schien einen Moment über meine Worte nachzudenken. Dann nickte sie. »Das klingt gut. Und lässt hoffen.« Sie machte sich auf den Weg in Richtung Garten. Auf halber Strecke hielt sie inne und blickte sich noch mal zu mir um. »Danke!«

Und auch diesmal klang es nicht danach, als würde sie sich für die Bücher, den Kuchen oder das Getränk bedanken wollen, sondern für meine hoffnungsvollen Worte.

Plötzlich schrillte das Telefon.

»Ich bringe die Bücher gleich raus«, verabschiedete ich meine Kundin und ging hinüber zum Verkaufstresen.

Dass keine Nummer im Display angezeigt wurde, ließ mich zögern, den Anruf entgegenzunehmen. Erst als Marie bereits fragend aus ihrem Blumenparadies zu mir herübersah, drückte ich auf die Annahmetaste und sagte: »Herzlich Willkommen im Traumschlösschen, mein Name ist Caro Baumgartner. Was kann ich für Sie tun?«

»Machst du also immer noch nichts Anständiges und verplemperst deine Zeit mit der fixen Bücheridee.«

Mein Bauchgefühl hatte mich also nicht getrogen.

»Hallo Mama. Es ist auch schön, dich mal wieder zu hören. Wie geht’s dir?«

Das Verhältnis zwischen meiner Mutter und mir war noch nie besonders gut gewesen. Zeit meines Lebens hatte ich das Gefühl, ihr mit meiner bloßen Existenz die Laune zu vermiesen. Der Umstand, dass ich vor knapp einem Jahr meinen Job als Juristin an den Nagel gehängt und mich dazu entschieden hatte, auf Hiddensee Bücher zu verkaufen, hatte unserem unterkühlten Verhältnis nicht unbedingt gutgetan. Eher im Gegenteil.

»Meine Kosmetikerin hat mir den Termin abgesagt. Ganz kurzfristig und aus heiterem Himmel. Das mit den Dienstleistern heutzutage ist auch nicht mehr das, was es mal war.«

Um meiner Mutter die Stimmung zu verhageln, brauchte es nie besonders viel. Zu dunkel gebackene Brötchen beim Bäcker, Kinder, die zu laut lachten, Autos, die so rot waren, dass es viel zu grell für die Augen war … die Liste war endlos und unvorhersehbar.

»Ich bin mir sicher, dass es triftige Gründe gab«, versuchte ich Partei für eine Frau zu ergreifen, die ich nicht einmal kannte. Dennoch war ich der Überzeugung, dass die Frau jede Unterstützung brauchte, die sie bekommen konnte. Meine Mutter zur Feindin zu haben, war keine gute Ausgangsbasis.

»Ja, den ach so triftigen Grund hat sie mir sogar genannt. Stell dir vor, sie ist das erste Mal Oma geworden.« Dann lachte sie verächtlich auf. »Vor zwei Jahren hat ihre Tochter einen Baggerfahrer geheiratet. Stell dir das mal vor? Sie selbst arbeitet als Verkäuferin bei Metzger Vierheilig. Wie wollen die denn ein Kind großziehen?«

Mit bedingungsloser Liebe, dachte ich, sprach es allerdings nicht laut aus.

Wenn meine Mutter sich eine Meinung gebildet hatte, war es meist vergebens zu versuchen, sie vom Gegenteil zu überzeugen. In meiner Teenagerzeit hatte ich es oft darauf angelegt, mich viel mit ihr gestritten und war jedes Mal aufs Neue gefrustet und enttäuscht gewesen, wie uneinsichtig sie war.

Heute bemühte ich mich um einen respektvollen Umgang mit ihr und beschränkte unseren Kontakt auf ein Minimum. Mir graute schon jetzt vor Weihnachten. Dabei war gerade mal Juni.

»Ich muss leider gleich weiter, ich hab Kunden im Laden. Kann ich sonst noch etwas für dich tun?«, fragte ich freundlich, aber mit einem gewissen Nachdruck in der Stimme, der meiner Mutter klarmachen sollte, dass ich arbeitete und hier eben nicht meine Zeit verplemperte, wie sie meinte.

»Ach, Caro, wo soll das nur mit dir hinführen? Von dem Hobby, das du da auf der kalten zugigen Insel zum Beruf gemacht hast, kannst du doch nicht leben. Was ist aus der Juristin in dir geworden? Wo ist dein Biss?«

Bevor ich etwas erwidern konnte, musste ich erst mal die Augen schließen, einige tiefe Atemzüge nehmen und mich darauf besinnen, dass diese Animosität nichts mit mir persönlich zu tun hatte. Meine Mutter redete alles schlecht, was sie nicht guthieß – dass es hierbei um ihre Tochter ging, war eher nebensächlich.

Die Vorstellung, ich könnte mit dem, was ich jetzt tat, viel glücklicher sein als mit meinem Job als Juristin, kam ihr nicht in den Sinn. Nicht für den Bruchteil einer Sekunde. Für sie war meine Zeit auf Hiddensee gleichzusetzen mit einem Sabbatical. Dass ich am liebsten für immer hierbleiben wollte, konnte sie nicht verstehen. Und schon gar nicht akzeptieren.

»Und das mit den Männern wird so auch nichts. Die Männer von heute wollen eine Karrierefrau an ihrer Seite. Wie willst du deine Lücke im Lebenslauf erklären? Ich seh dich schon als alte Jungfer am Ende der Welt versauern. Soll denn alles, was dein Vater und ich für dich getan haben, umsonst gewesen sein?«

Bei den Worten kochte die Wut in meinem Bauch siedend heiß und in Sekundenschnelle über. So schnell, dass meine schöne Beruhigungsstrategie keine Chance hatte.

Marie warf mir beunruhigte Blicke zu. Eine Kundin hatte sie gerade mit einem Blumenstrauß beauftragt, sodass sie nicht zu mir kommen und das drohende Unheil abwenden konnte. Sie musste aus meiner Miene abgelesen haben, mit wem ich da gerade telefonierte.

»Alles, was ihr für mich getan habt, sollte doch letztlich dazu führen, dass ich ein glücklicher Mensch werde. Und ja, das ist euch gelungen. Mein Jurastudium kann mir keiner mehr wegnehmen. Falls ich also je wieder den Wunsch verspüren sollte, als Anwältin zu arbeiten, habe ich nach wie vor die Möglichkeit.«

Ziemlich ruhig und sachlich schilderte ich meine Einschätzung der Lage. Am liebsten hätte ich mir selbst auf die Schulter geklopft. Aber meine Mutter wäre nicht meine Mutter gewesen, wenn sie sich davon hätte beeindrucken lassen. Außerdem ließ sie sich nur ungern das letzte Wort nehmen.

»Glücklichsein bezahlt keine Miete. Glücklichsein bezahlt keine Lebensmittel. Glücklichsein ist etwas für naive Weltverbesserer, die meinen, von Luft und Liebe leben zu können, bis sie mit den harten Fakten der Realität konfrontiert werden und im Alter wie die Bettler hausen. Wenn du so weitermachst, Caro, wird es dir genauso ergehen. Und weißt du was? Du wirst dabei auch noch einsam sein. Hör auf meine Worte und mach was aus deinem Leben, bevor es zu spät ist!«

Trotz meiner Enttäuschung bemerkte ich auch eine gewisse Bitterkeit, die zwischen den Zeilen mitschwang und die ich nicht so recht einordnen konnte. Darüber wollte ich mir jetzt aber keine Gedanken machen. Mir reichte es nämlich. Ein für alle Mal.

»Ich glaube nicht, dass ich einsam und allein sein werde. Schließlich bin ich seit einigen Wochen glücklich … verlobt, Mutter«, zischte ich ihr durch den Hörer entgegen.

Kaum dass die Worte meinen Mund verlassen hatten, wünschte ich mir, sie wieder zurücknehmen zu können. Auch wenn ich das Gefühl verspürte, mich gegen meine Mutter mit allen nur möglichen Mitteln zur Wehr setzen zu dürfen, war eine Lüge nie eine gute Lösung.

Doch noch ehe ich meinen Fehler einsehen und zurückrudern konnte, hörte ich meine Mutter sagen: »Gut. Ich komme.«

Und noch ehe ich etwas erwidern konnte, war ein Geräusch in der Leitung zu hören.

Tut. Tut. Tut.

Aufgelegt.

Es dauerte einen Moment, bis ich verstand, was da gerade passiert war. Meine Mutter hatte das Gespräch einfach beendet. Und dabei wie üblich das letzte Wort behalten.

»Ist etwas passiert? Du bist ganz bleich im Gesicht«, flüsterte mir Marie zu, die zum Verkaufstresen gekommen war, um den Blumenstrauß abzurechnen und ihn ihrer Kundin zu übergeben.

»Meine Mutter«, sagte ich.

Zu mehr war ich nicht in der Lage. Ich stand unter Schock.

»Was hat ihr heute die Laune verdorben? War das Vogelgezwitscher vor ihrem Haus zu laut, oder hat es der Postbote mal wieder gewagt, Reklame einzuwerfen?«

Marie lächelte mir aufmunternd zu, während sich die Kundin verabschiedete.

»Weder noch«, sagte ich wie in Trance.

»Oh, dann hat sie sich bestimmt mal wieder über ihren Nachbarn aufgeregt. Wie heißt er noch gleich? Karl-Ludwig, Karl-Leonard oder Karl-Friedrich? Hat er es mal wieder gewagt, ihr Blumen zu schenken?« Marie lachte und schüttelte leicht den Kopf. »Ich kann gar nicht verstehen, warum Traudel sich so sehr darüber aufregt, dass ihr der Mann etwas Gutes tun will. Ich meine, sie ist ja jetzt genauso allein wie er und …«

»Karl-Leopold«, unterbrach ich sie.

Marie sah mich von der Seite an und legte dann sanft ihre Hand auf meinen Arm. »Ist wirklich alles in Ordnung mit dir?«

Verschwunden war ihr Lächeln. Sie machte sich nun ernsthafte Sorgen um mich.

»Meine Mutter will zu Besuch kommen.«

Marie schluckte. »Sieh es positiv! Dann kannst du ihr das hier«, dabei hob sie die Hände und umschloss mit einer Geste den gesamten Raum, »alles in Ruhe zeigen. Ich bin mir ganz sicher, wenn sie erst mal gesehen hat, wie schön wir es hier haben, wird sie anderer Meinung sein, was deine Zukunft auf Hiddensee angeht.«

Marie blieb zuversichtlich – so, wie ich es eben noch bei meiner Kundin gewesen war. Doch im Gegensatz zu vorhin hatte sich etwas grundlegend verändert. Nun ging es um mich selbst.

»Sie will nicht kommen, um sich das Traumschlösschen anzusehen.«

Meine Gedanken überschlugen sich regelrecht, während ich händeringend auf der Suche nach einem Ausweg war.

»Nicht? Das verstehe ich nicht. Was will sie denn sonst auf Hiddensee machen? Ich meine, natürlich ist es sehr schön bei uns. Wir haben die schönsten Strände der Welt. Nicht zu vergessen die Naturschutzgebiete und die ganzen anderen Sehenswürdigkeiten. Aber eine Mutter kommt doch, um ihr Kind zu sehen. Und dazu gehört doch auch die Umgebung, in der es sich täglich aufhält. Oder?«

Marie hatte ihre eigene Mutter bereits im Teenageralter verloren. Seither hatte sich ihre Großmutter um sie gekümmert, ehe sie die Insel mit nur achtzehn Jahren hinter sich gelassen hatte und nach München aufgebrochen war, wo Silke, Marie und ich uns schließlich über den Weg gelaufen und Freundinnen geworden waren. Silke lebte mit ihrem kleinen Sohn und ihrem Mann nach wie vor in München. Doch schon bald kam sie zu Maries Junggesellinnenabschied zu Besuch. Wie sehr ich mich doch schon darauf freute.

»Ja, für gewöhnlich kommen Eltern, um ihre Kinder in die Arme zu schließen und Zeit mit ihnen zu verbringen. Meine Mutter kommt, um mich scheitern zu sehen«, entgegnete ich nebulös und blickte verzweifelt in Richtung Tür.

Doch noch ehe ich einen Entschluss fassen konnte, wusste ich, dass Flucht nicht in Frage kam. Auch wenn ich am liebsten sofort Reißaus genommen hätte. Das konnte ich Marie und all den lieben Menschen um mich herum, die mich ohne mit der Wimper zu zucken in ihrer Mitte aufgenommen hatten, nicht antun. Dafür fühlte ich mich einfach zu wohl auf Hiddensee.

Der Trubel der Großstadt lag hinter mir. Hier tickten die Uhren anders. Viel langsamer. Viel bedächtiger. Nach langer Suche hatte ich endlich einen Weg gefunden, auf die Bremse zu treten und viel achtsamer mit mir und meiner Zeit umzugehen. Ich liebte mein Leben so, wie es gerade war. Und das würde mir nicht mal meine Mutter kaputtmachen können.

»Wenn du möchtest, dann rede ich mit ihr und erkläre ihr unser Geschäftsmodell. Und wenn das alles nichts bringt, soll ihr unsere Steuerberaterin mit Zahlen und Fakten klarmachen, wie gut es für uns läuft.«

Marie war so voller Hoffnung und Zuversicht. Sie wollte sich auf keinen Fall geschlagen geben. Weder den Widrigkeiten des Alltags noch meiner Mutter. Schon gar nicht meiner Mutter, wenn ich mir ihr siegessicheres Gesicht so ansah.

»Das wird alles nichts nützen.« Resigniert ließ ich die Schultern fallen und steckte das Telefon zurück auf die Ladestation.

»Ich weiß ja, wie deine Mutter sein kann. Aber gegen das Offensichtliche kann nicht mal sie ihre Schwarzmalerei ins Feld führen. Sie wird einsehen müssen, dass du es gut bei uns hast. Und dass wir sehr froh sind, dich bei uns zu haben.«

Bei den Worten stiegen mir Tränen in die Augen. »Du verstehst nicht, Marie. Sie kommt nicht, um sich unser Geschäft oder die Insel anzusehen. Sie kommt, um meinen Verlobten kennenzulernen«, platzte ich schließlich heraus.

»Deinen Verlobten?« Marie sah mich mit großen Augen an.

Ich nickte.

»Hast du bei dem Inseldating letzte Woche doch jemanden kennengelernt, den du nett findest? Aber wieso denkt Traudel denn gleich, dass du heiratest?«

Mit zerknirschter Miene sah ich sie an. »Sie denkt es, weil ich ihr gesagt habe, ich wäre verlobt.«

Maries Augenbrauen hoben sich, und ihre Lippen bildeten ein wissendes O. »Das ist natürlich … was willst du jetzt machen?«

Das war die Frage, die mir durch den Kopf ging, seit meine Mutter so abrupt das Gespräch beendet hatte. »Mir wird schon etwas einfallen«, gab ich mich hoffnungsvoller, als ich mich in Wirklichkeit fühlte.

Denn das Letzte, was ich wollte, war, Marie das Gefühl zu geben, sie müsste mir aus meiner verfahrenen Lage, in die ich mich selbst hineinmanövriert hatte, wieder heraushelfen. Marie hatte mit der Hochzeit schon genug um die Ohren. Ich wollte ihr nicht zur Last fallen. Ich musste, nein, ich würde allein eine Lösung für mein Problem finden.

»Falls ich irgendetwas für dich tun kann …«

»… dann sage ich dir gleich Bescheid«, behauptete ich dennoch.

Mit einem Lächeln versuchte ich mich Marie gegenüber selbstsicher zu geben. So schlimm konnte das alles doch gar nicht werden. Schließlich war ich erwachsen, und meine Mutter war … meine Mutter.

Das war das eigentliche Problem. Wäre meine Mutter nicht meine Mutter gewesen, hätte ich vermutlich mit ihr ehrlich und offen über alles reden können. Doch statt in Gedanken ein Geständnis vorzubereiten, überlegte ich mir bereits Ausreden dafür, warum sie meinen Verlobten nicht kennenlernen konnte. Eine Geschäftsreise vielleicht. Oder einen Trauerfall in der Familie. Nur um mir schon im nächsten Moment eingestehen zu müssen, dass das keine Option war.

Meine Mutter war niemand, der sich so leicht abwimmeln ließ. Sie würde nicht zögern, ihren Aufenthalt zu verlängern, bis mein Verlobter zurück war. Zeit im Überfluss hatte sie als Rentnerin ja.

Als ich bemerkte, dass Marie mich noch immer unschlüssig ansah, schob ich die trüben Gedanken beiseite und rang mich zu einem Lächeln durch. »Ich muss einer Kundin noch schnell ein paar Bücher zusammenstellen. Sie sitzt draußen im Garten und wartet bestimmt schon auf mich.«

Marie überlegte kurz, sagte aber nur: »Ist gut. Ich muss auch noch ein paar Bestellungen vorbereiten. Oma Gertrud hat sich jetzt endlich entschieden, welche Blumen sie in den Gestecken für ihren Geburtstag haben möchte. Dieses Jahr hat sie fast mehr Gäste eingeladen als letztes Jahr zu ihrem Achtzigsten.«

»Man soll die Feste ja feiern, wie sie fallen«, nahm ich den Themenwechsel dankbar an.

»Ja, da hast du recht. Aber jetzt halte ich dich nicht länger auf.« Marie strich mir ein weiteres Mal einfühlsam über den Arm. »Falls du mich brauchen solltest, ich bin hinten im Lager.«

Mit einem »Ist gut« entließ ich sie zu ihrer Lieferung vom heutigen Vormittag, ehe ich mich selbst ans Werk machte und ein paar passende Bücher für meine Kundin zusammenstellte. Dabei wählte ich Geschichten aus, die ich selbst erst vor Kurzem gelesen hatte und die mir besonders gut gefallen hatten. Mit der jungen Kate, die nach einem schweren Schicksalsschlag nach Cornwall auswanderte und dort die große Liebe fand, litt ich mindestens ebenso mit wie mit der Frau, die sich umbringen wollte und dabei in der Mitternachtsbibliothek landete. Kurzzeitig überlegte ich, auch noch den Gesellschaftsroman mitzunehmen, in dem das Sozialgefüge eines kleinen Orts in Brandenburg aufgezeigt wurde, entschied mich jedoch dagegen, da ich es für den Moment als zu schwere Kost einstufte.

Als ich hinaus in den Garten kam, nahm mich eine steife Brise in Empfang. Doch schon im nächsten Augenblick brach die Sonne hinter einer Wolke hervor und wärmte meine Haut. Ein kurzer prüfender Blick hinüber zur Erfrischungstheke verriet mir, dass noch alles ausreichend vorhanden war. Dann lief ich in meinen offenen Sandalen hinüber zu der jungen Touristin, die im Standkorb saß und eine Möwe dabei beobachtete, wie sie über ihr Kreise zog. Das satte grüne Gras kitzelte mich an den Füßen.

»Manchmal ist ein ruhiger Moment im Strandkorb alles, was man braucht«, sagte sie, kaum dass ich bei ihr angekommen und ihr meine Auswahl präsentiert hatte.

»Ich bin ja generell der Meinung, dass man viel zu selten im Strandkorb sitzt«, erwiderte ich lachend.

Sie nickte mir bekräftigend zu und besah sich dann die Bücher in meiner Hand. »Ich habe eine Entscheidung getroffen«, meinte sie dann.

»Oh, das ist gut.«

Wie schwer es oft sein konnte, sich über etwas klar zu werden, wusste ich nur zu genau.

Dann erhob sie sich von ihrem Platz und sah mich mit festem Blick an. Verschwunden waren die Unsicherheit und das Zögerliche in ihrer Miene. Sie hatte einen Entschluss gefasst, der weit über den Kauf von ein paar Romanen hinausging.

»Danke, dass Sie sich die Zeit für mich genommen haben. Und danke für die kleine Auszeit hier im Garten. Es ist wirklich ein Paradies. Ich hätte hier noch Stunden verbringen können.«

Ich lächelte.

»Bleiben Sie gern, solange Sie möchten. Wir haben noch bis achtzehn Uhr geöffnet.«

Sie erwiderte mein Lächeln. »Das ist ein sehr verlockendes Angebot, aber ich muss weiter. Würden Sie mir die Bücher bitte alle einpacken? Ich bin mir ganz sicher, dass Sie eine sehr gute Wahl für mich getroffen haben.«

Seite an Seite schlenderten wir zurück ins Traumschlösschen, um am Verkaufstresen unser stilles Abkommen zu besiegeln. Sie würde mit den Büchern in der Baumwolltasche mit dem Aufdruck Traumschlösschen – Buch & Blume durch die Tür gehen und regeln, was es zu regeln galt, während ich hierblieb, um mir einen Schlachtplan für den Besuch meiner Mutter zu überlegen. So hatte jede von uns ihr Päckchen zu tragen.

Kapitel 3

Vom Traumschlösschen zu Irmgards Hexenhäuschen war es nicht weit, doch der Weg zog sich heute wie Kaugummi. Nach wie vor war ich mir nicht sicher, ob das, was ich vorhatte, richtig war.

Ich wusste nur, dass ich irgendetwas tun musste, wenn ich am heutigen Abend und in der folgenden Nacht nicht wieder Gedanken in der Größenordnung des Himalayas vor mir her wälzen wollte.

Die Sonne schien mir übermütig ins Gesicht, während ein paar Fahrradfahrer meinen Weg kreuzten. Viele der Tagestouristen, die die Insel in den Sommermonaten bereisten, liehen sich ein Fahrrad aus, um in kürzester Zeit möglichst viel von Hiddensee zu sehen. Emsig fuhren sie zum Leuchtfeuer Dornbusch oder nach Vitte in den Hafen, schossen ein paar Bilder und radelten dann gleich weiter zur nächsten Station. Manchmal fragte ich mich, ob sie auch wirklich etwas sahen oder nur ihr Pflichtprogramm abspulten, um die Bilder im Anschluss an ihre Reise wie Trophäen in ihr Fotoalbum kleben zu können. Ein Fotoalbum, das nach der Saison bereits im Regal verstaubte, weil die nächste große Reise anstand. Dann ging es vielleicht in den Schwarzwald – oder auf die Fidschi-Inseln, wer wusste das schon so genau. Hauptsache, die Kamera war dabei.

Dabei vergaßen die meisten, dass es nicht um die Fotos ging, sondern darum, den Moment zu genießen, wirklich zu sehen, was um einen herum passierte, und Erinnerungen zu erschaffen. Erinnerungen mussten nicht auf Bilder gebannt werden. Auch ich selbst hatte das erst lernen müssen und das Objektiv meiner Kamera gegen Weitsicht eingetauscht.

»Hallo Caro! Das ist ja schön, dich zu sehen.«

Oma Gertrud machte mit dem Rad vor mir Halt.

»Es ist auch sehr schön, dich zu sehen«, beeilte ich mich zu sagen. Da war ich wohl mit offenen Augen träumend durch die Gegend gelaufen. So viel zu meiner Weitsicht.

»Ich bin gerade auf dem Weg zu euch ins Traumschlösschen. Ist Marie denn noch dort? Mir kam ganz spontan eine Idee zu meinen Geburtstagsgestecken.«

Wir hatten den Laden vor zehn Minuten abgeschlossen, aber … »Marie ist ganz bestimmt da. Sie wollte noch Bestellungen machen.«

Oma Gertrud lächelte zufrieden. »Sicher für die Hochzeit. Marie ist so aufgeregt deswegen. Wann kommt denn Silke? Ihr wolltet doch einen kleinen Junggesellinnenausflug mit Marie machen, oder hat sich an euren Plänen etwas geändert?«

Kurzerhand ging ich in Gedanken meinen Zeitplan durch. Meine Mutter hatte sich ein paar Tage nach unserem Telefonat per WhatsApp-Nachricht bei mir gemeldet, um mir ihre Ankunft in genau sieben Tagen anzukündigen. Für mein winziges Problem hatte ich noch immer keine Lösung gefunden.

»Silke kommt in zwei Wochen. Marie wird mit uns einen tollen Tag in Binz verbringen. Silke und ich haben schon alles vorbereitet.«

Oma Gertrud schwang sich zurück aufs Rad. »Das hört sich alles sehr gut an. Ich sollte auch mal wieder mit der Fähre rüber nach Rügen fahren. Das letzte Mal ist schon viel zu lange her. Aber in den Sommermonaten ist einfach immer viel zu tun. Und die übrige Zeit des Jahres kann ich auch nicht klagen«, erwiderte sie lachend, ehe sie mir noch ein herzliches »Wir sehen uns« zurief und losfuhr.

Einen Moment lang blieb ich stehen und blickte ihr unschlüssig nach. Sollte ich mein Vorhaben tatsächlich durchführen oder lieber zurück ins Traumschlösschen gehen? Plötzlich war ich mir nicht mehr sicher, ob das mit dem Termin bei der Inselschamanin wirklich eine gute Idee gewesen war.

Dabei mochte ich Irmgard, die ein wenig älter als Maries Großmutter war. Sie war mir neben Oma Gertrud in der Kürze der Zeit zu einer Art Omaersatz geworden. Meine eigenen Großeltern waren schon vor einigen Jahren verstorben. Meine Erinnerung an sie war kaum noch vorhanden. Und dennoch war ich mir nicht sicher, ob das, was ich vorhatte, mir in irgendeiner Weise dabei helfen würde, das Dilemma um die Ankunft meiner Mutter abzumildern.

Schließlich fasste ich einen Entschluss: Ich wollte nicht nur herumstehen und abwarten, sondern mein Schicksal selbst in die Hand nehmen. Noch bestand Hoffnung für einen guten Ausweg aus meiner Misere. Ich musste nur daran glauben.

Der Wind frischte auf, und das Rauschen des Meeres schien lauter zu werden, drängender, als wollte es mir sagen, dass ich endlich weitergehen sollte. Wie von allein ballten sich meine Hände zu Fäusten, während ich den ersten Schritt in Richtung von Irmgards Hexenhäuschen machte.

Nur wenige Minuten später stand ich an dem aus Holz geschnitzten Hexenbesen, der am Zaun auf Irmgards Wirkungskreis hindeutete und dort doch schon so viel länger stand. Das Hexenhäuschen von Hiddensee hatte seinen Namen schließlich nicht erst bekommen, seit Irmgard dort lebte. Wobei keiner so recht wusste, wo der Name seinen Ursprung genommen hatte.

Noch ehe ich bewusst wahrnahm, was ich tat, sah ich mich zu allen Seiten hin um, als könnte mich jemand dabei beobachten, wie ich bei Irmgard zu einer Sitzung ging – was total hirnrissig war. Schließlich hatte ich die Inselschamanin in der Vergangenheit schon öfter besucht. Gemeinsam mit Marie und manchmal auch mit Oma Gertrud hatten wir bei ihr im Garten gesessen, Kuchen gegessen und uns ausgelassen unterhalten.

Dennoch zögerte ich einen Moment, bevor ich die Klinke der Gartentür hinunterdrückte und hindurchschlüpfte.

Im Garten erwartete mich Irmgard bereits mit einer reich gedeckten Kuchentafel. Neben einer Zitronentarte befanden sich noch ein Karottenkuchen und Schokoladenmuffins auf dem Tisch.

»O wie schön, Caro. Du bist ja schon da«, begrüßte mich Irmgard überschwänglich, legte das Sudoku, in das sie vertieft gewesen war, zur Seite, und erhob sich von ihrem Platz.

»Ich hoffe, ich komme nicht zu spät.«

Irmgard lächelte. »Aber nein. Alles bestens«, sagte sie schnell und kam mir mit ausgestreckten Armen entgegen. Ihre Umarmung war warm und herzlich. Dennoch ertappte ich mich dabei, wie ich mir Gedanken darüber machte, ob das wohl schon Teil ihrer Sitzung war.

»Keine Sorge, Caro! Ich sage dir rechtzeitig Bescheid, wenn es losgeht«, sagte sie, als hätte sie meinen Gedanken erahnt.

»Hast du denn noch mehr Gäste eingeladen?«, fragte ich mit Blick auf die Tafel. Die Vorstellung, dass dem Schauspiel auch noch Zuschauer beiwohnen würden, gefiel mir ganz und gar nicht.

»Nein, nein!«, beeilte sich Irmgard zu sagen. »Wir sind ganz allein. Mit dem Backen ist das bei mir nur wie mit dem Heilen. Wenn die Energien fließen, muss ich sie nutzen. Und heute war eindeutig ein Backtag.«

Sie lachte übermütig wie ein kleines Kind. Ganz unbefangen und frei. Beneidenswert. Wie wohl ihr Verhältnis zu ihrer Mutter gewesen war?

Mit einem bestimmten »Tee oder Kaffee?« riss sie mich aus meinen Gedanken.

»Tee«, erwiderte ich wie aus der Pistole geschossen.

Seit dem Telefonat mit meiner Mutter vor einigen Tagen trank ich überdurchschnittlich viel Kaffee. Der hielt mich dann zusätzlich zu meinen quälenden Gedanken nachts wach. Tagsüber kam ich ohne Koffein einfach nicht mehr über die Runden. Dafür schlief ich zu wenig. Ein ewiger Kreislauf, den ich dringend durchbrechen musste, wenn ich nicht schlaflos auf Hiddensee enden wollte.

»Der war gut«, meinte Irmgard in diesem Augenblick und schenkte mir lachend eine dampfende Tasse Tee ein.

»Wie bitte?«, hakte ich nach, unsicher, ob ich sie gerade richtig verstanden hatte.

»Möchtest du Kuchen oder doch lieber einen Muffin?«, überging Irmgard meine Frage einfach.

»Ein Stück von der Zitronentarte wäre toll. Die erinnert mich an einen kleinen Laden in der Münchner Innenstadt. Dort gab es die besten Macarons und Törtchen der Welt. Zumindest habe ich das geglaubt, bis ich auf Hiddensee angekommen bin. Oma Gertrud und du, ihr beiden könntet problemlos eine ebenso gute Konditorei eröffnen. Und ich wäre euer Stammgast.«

Irmgard winkte lächelnd ab. »Ich backe am liebsten, wenn ich Lust darauf habe. Die Vorstellung, es tun zu müssen, wäre mir ein Graus.« Dann sah sie mich einen Moment durchdringend an. »Vermisst du München sehr?«

Über diese Frage musste ich nicht mal nachdenken. »Nein, ich bin sehr glücklich hier.«

Irmgard wiegte den Kopf erst leicht zur einen, dann zur anderen Seite. »Nur weil man sich irgendwo wohlfühlt, heißt das noch lange nicht, dass man die Heimat nicht vermisst.«

Ich nahm mir ein wenig Zeit, in mich hineinzuhorchen und dem nachzuspüren. »Vor einiger Zeit war ich dort, um meine Freundin Silke zu besuchen. Die Stadt war toll. Die Sonne hat geschienen, wir waren im Englischen Garten spazieren und anschließend noch ein Eis essen. Es war schön, dort zu sein, liebe Menschen zu treffen und ein paar Einkäufe zu machen, die ich sonst separat ordern muss, um sie hier zu bekommen.«

Irmgard nickte verständnisvoll.

»Aber trotzdem war ich einfach nur froh, als ich in Schaprode auf die MS Gellen gestiegen und wieder Richtung Hiddensee gefahren bin. Hier möchte ich sein. Und das nicht nur, weil es mit dem Traumschlösschen so gut läuft. Ich bin einfach gern hier. Sehr gern sogar.«

»Das zweifle ich auch gar nicht an. Aber es scheint einen Grund zu geben, warum du mich aufsuchst.«