Weihnachten auf Hiddensee - Nele Blohm - E-Book
SONDERANGEBOT

Weihnachten auf Hiddensee E-Book

Nele Blohm

0,0
6,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 6,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Kurz vor Weihnachten flüchtet Silke zu ihren Freundinnen Caro und Marie auf die Ostseeinsel Hiddensee. Ihr Mann will auf der Karriereleiter nach oben klettern, ohne Rücksicht auf ihren Traum, wieder als Grundschullehrerin zu arbeiten. Ganz zu schweigen davon, dass er keine Zeit mehr für ihre kleine Familien haben wird. Kurz entschlossen reist sie nach Hiddensee ins Traumschlösschen, der Buchhandlung mit angeschlossenem Blumenladen ihrer Freundinnen. Dort versucht Silke, sich mit der Arbeit, Oma Gertruds Sanddornkeksen und den Weissagungen der eigenwilligen, aber nicht minder liebenswürdigen Inselschamanin abzulenken. Dabei macht ihr Felix, ein Weltreisender, der auf der Insel gestrandet ist, eindeutige Avancen. Als die Stelle der Dorfschullehrerin frei wird, muss Silke sich entscheiden, wohin sie gehört. Und wer ist die Frau, die einfach an Franks Handy geht?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Nele Blohm

 

Weihnachten auf Hiddensee

 

 

 

 

Über das Buch:

Weihnachten auf einer der schönsten deutschen Inseln

 

Silke flüchtet sich kurz vor Weihnachten zu ihren Freundinnen Caro und Marie auf die Ostseeinsel Hiddensee. Ihr Mann Frank interessiert sich zunehmend für seinen Beruf als für seine Familie. So will er die angebotene Beförderung annehmen, auch wenn das bedeutet, dass Silke nicht in ihren Beruf als Grundschullehrerin zurückkehren kann. Dann würde er Paul und sie noch seltener sehen als ohnehin schon. Im Traumschlösschen, der Buchhandlung mit angeschlossenem Blumenladen ihrer Freundinnen versucht Silke sich mit der Arbeit, Oma Gertruds Sanddornkeksen und den Weissagungen der Inselschamanin abzulenken. Dabei macht Felix ihr eindeutige Avancen. Als wenn das noch nicht genug wäre, wird die Stelle der Dorfschullehrerin frei und Silke muss sich entscheiden. Und wer ist die Frau, die plötzlich an Franks Handy rangeht?

 

 

Über die Autorin:

Hinter Nele Blohm steht die erfolgreiche Bestsellerautorin und Selfpublisherin Mila Summers. Sie wurde 1984 in Würzburg geboren. Als Kulturwissenschaftlerin arbeitete sie lange für eine Onlinedruckerei, bevor sie in der Elternzeit zum Schreiben fand, dem sie sich nun ganz widmet. Sie liebt das Meer und Liebesgeschichten mit Happy End, die uns an wunderschöne Orte entführen. Mit Mann, Kindern und ihrem übermütigen Jack Russell Tummy lebt sie in ihrer Heimatstadt.

Du willst keine Veröffentlichung mehr verpassen? Dann melde dich hier zum Newsletter an.

Bisher von der Autorin erschienen:

Wie das Leuchten von Bernstein

Dein Flüstern im Meereswind

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

NELE

BLOHM

 

 

Weihnachten auf Hiddensee

 

Roman

 

 

 

 

Deutsche Erstauflage September 2022

Copyright © Nele Blohm

Lektorat: Textwerkstatt Anne Paulsen

Korrektorat: SW Korrekturen

Covergestaltung: Nadine Kapp

Covermotiv: Shutterstock ©Valeriia Myroshnichenko

Impressum: D. Hartung

Frankfurter Str. 22

97082 Würzburg

 

 

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder teilweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Menschen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Epilog

Rezepte

Kapitel 1

 

 

Der Wind auf der Insel wehte heute mit Stärke acht oder mehr. Das Meer war so brüllend laut, dass ich mein eigenes Wort kaum verstehen konnte. Tosend schlugen die Wellen mit weißen Schaumkronen ans Ufer. Mit all seiner Kraft trieb der Wind die Gischt über den Strand.

»Silke? Was machst du denn hier?«

Maries Oma, Gertrud, stand in ihrer geblümten Kittelschürze vor mir und sah mich überrascht an, während sich ihre besorgten Worte im dröhnenden Rauschen der Ostsee brachen.

»Darf ich hereinkommen?«, bat ich und strich mir meine langen braunen Haare hinters Ohr.

Paul war während der Überfahrt von Schaprode nach Kloster auf meinem Arm eingeschlafen und seither nicht mehr aufgewacht. Es war spät, für gewöhnlich schlief er schon längst tief und fest.

Heute war allerdings auch kein gewöhnlicher Tag.

»Aber sicher doch. Kommt herein, ihr beiden!«

Noch ehe ich michs versah, hatte Oma Gertrud den schlafenden Paul und mich in ihre Wohnküche bugsiert.

Bei meinem überstürzten Aufbruch in München hatte ich mir keine Gedanken darüber gemacht, wie es nach meiner Ankunft auf der Insel Hiddensee weitergehen sollte. Raus aus dem Haus, in dem ich zu ersticken drohte – das war alles, was ich wollte.

Oma Gertrud fragte nicht lange, sondern kochte mir einen Sanddorn-Tee mit Orange und stellte mir die dampfende Tasse auf den Tisch.

Vorsichtig legte ich Paul derweil auf die Eckbank. Mein kleiner Junge rollte sich zusammen wie eine Katze zu einem Knäuel und schlief einfach weiter.

Als er seine Schlafposition gefunden hatte, deckte ich ihn mit einer Decke zu, die auf der Bank lag, und setzte mich schließlich neben ihn, ehe ich meine kalten Hände um die heiße Tasse legte.

»Paul ist so groß geworden. Er sieht wie ein Engel aus, wenn er so daliegt und schläft.«

Vorsichtig strich ich über seine Beine, während ich mit den Tränen rang.

»Hast du Hunger? Ich habe noch eine Fischsoljanka von heute Mittag da. Von der wird ja behauptet, dass sie nicht nur den Hunger stillt, sondern auch die Seele streichelt.«

Oma Gertrud legte ihre Hand auf meine und sah mir dabei fest in die Augen.

Ich nickte kaum merklich, was ihr Zeichen genug war. Schon im nächsten Moment holte sie einen Topf aus dem Kühlschrank und stellte ihn auf den Herd.

Mein Hunger hielt sich zwar in Grenzen, obwohl ich den ganzen Tag nicht wirklich etwas gegessen hatte. Aber die Wut in meinem Bauch hatte mich genährt und mir die Energie gegeben, meinen Plan in die Tat umzusetzen.

Mit einem »Iss sie am besten, solange sie noch schön warm ist« richtete Oma Gertrud das Wort an mich.

Ich hatte nicht mal bemerkt, dass sie mir die Fischsoljanka hingestellt hatte. So sehr war ich in meine Gedanken vertieft gewesen.

»Vielen Dank«, sagte ich eilig und griff nach dem Löffel.

Erst beim Essen merkte ich, wie hungrig ich eigentlich war. Hastig verschlang ich den Eintopf nebst zwei Scheiben Schwarzbrot, sodass mir danach der Magen ein wenig wehtat.

»Mit Hunger kann man nicht klar denken. Und reden schon gleich gar nicht«, resümierte Oma Gertrud und nahm meinen Teller, um ihn in die Spüle zu stellen.

»Das kann ich doch machen«, protestierte ich und sprang sogleich auf die Füße.

Doch Oma Gertrud winkte ab und bedeutete mir, sitzen zu bleiben.

Paul schlief nach wie vor den Schlaf der Gerechten, während ich mich plötzlich fragte, ob es eine gute Idee war, zu Maries Großmutter zu gehen. Wäre es nicht sinnvoller gewesen, bei meinen Freundinnen Marie und Caro Unterschlupf zu suchen? In ihrem Traumschlösschen, in dem sie gemeinsam Bücher und Blumen verkauften, gab es auch eine Schlafgelegenheit für mich und meinen Sohn.

Doch im Gegensatz zu Oma Gertrud, die mich erst mal ankommen ließ und mir den nötigen Raum dafür gab, hätten mich die beiden sofort ausgefragt. Natürlich hätten sie es nur gut gemeint, aber jetzt brauchte ich ein wenig Zeit zum Verschnaufen. Danach würde ich allen Rede und Antwort stehen. Allerdings nicht mehr heute Abend, da wollte ich einfach nur ein Bett für mich und Paul. Weiter nichts.

»Mein Reetdach-Hotel ist aktuell in der Winterpause. Paul und du, ihr könnt euch eines der Zimmer oder die Ferienwohnung aussuchen. Ganz wie ihr mögt.«

Oma Gertrud lächelte mir aufmunternd zu, während sie den sauberen Teller mit einem Küchentuch abtrocknete.

»Danke. Das ist … Ich weiß gar nicht … Und eigentlich …«

Und dann geschah es doch: Ich weinte. Die Tränen kullerten mir nur so über die Wangen, perlten an meinem Kinn ab und tropften auf den blauen Stoff meiner Hose.

Im nächsten Moment saß Oma Gertrud schon neben mir und nahm mich in die Arme. Auch jetzt fragte sie nicht und war für mich da.

Wenn ich mit Paul zu meinen Eltern gefahren wäre, hätte ich mir mit Sicherheit eine gewaschene Standpauke darüber anhören müssen, dass man vor seinen Problemen nicht wie ein kleines Kind wegrennen dürfe.

In ihren Augen hätte ich auf ganzer Linie versagt. Mit ein Grund, warum ich nicht zu ihnen gefahren war. Unser Verhältnis hatte sich in den letzten Jahren leider sehr verändert, es war nicht mehr so innig wie früher. Gleichzeitig hatte ich das Gefühl, ihnen nie genug gewesen zu sein. Als ich ihnen eröffnete, dass ich Grundschullehrerin werden wollte, obwohl ich mit meinen Noten auch Jura hätte studieren können, waren sie furchtbar enttäuscht von mir. Als wäre es meine Verpflichtung, die unerfüllten Träume meiner Eltern zu verwirklichen. Mein eigenes Glück stand für die beiden nie im Vordergrund.

»Frank … Es ist … schwierig. Und ständig bin ich allein«, kam es tröpfchenweise aus mir heraus.

Oma Gertrud legte ihre Hand auf meinen Rücken und sah mich aufmunternd an.

»Es gibt für alles eine Lösung, aber ganz bestimmt nicht mehr heute. Du solltest dich hinlegen und ein paar Stunden schlafen. Sobald die Sonne untergegangen ist, sieht man sowieso alles viel zu schwarz. Deshalb habe ich für mich entschieden, mich mit den quälenden Fragen des Lebens erst nach dem Frühstück zu beschäftigen. Das scheint mir ein probates Mittel.«

Schon hatte Oma Gertrud meine Tasche geschnappt und wartete in der Tür auf mich.

»Die ist doch viel zu schwer«, sagte ich.

»Nimm du nur deinen Kleinen«, erwiderte sie und war gleich darauf im Flur verschwunden.

Vorsichtig nahm ich Paul in meine Arme, strich über seinen dunklen Haarschopf und küsste ihn zärtlich auf die Stirn. Sobald das warme Bündel an meiner Brust lag, hätte ich erneut weinen können. Das schlechte Gewissen übermannte mich. Was tat ich diesem kleinen Menschen nur an?

Wäre es nicht besser gewesen, ich wäre wenige Tage vor Weihnachten zu Hause geblieben, anstatt mich quer durchs Land bis auf die Ostseeinsel Hiddensee durchzuschlagen?

Aber als ich den Entschluss fasste, alles für den Augenblick hinter mir zu lassen und mir eine Auszeit zu genehmigen, konnte ich nicht klar denken.

Paul schmiegte sich an meine Brust. Sein Mund war leicht geöffnet. Seine Lider zuckten, als würde er gerade sehr intensiv träumen.

»In der Ferienwohnung habt ihr beiden genug Platz, und ihr könnt bleiben, solange ihr wollt. Wenn du möchtest, sage ich morgen früh Marie und Caro Bescheid, dass ihre Freundin gekommen ist. Allerdings erst nach dem Frühstück.«

Sie zwinkerte mir verschwörerisch zu.

»Das ist sehr lieb von dir, aber ich melde mich selbst bei ihnen«, sagte ich schnell, ehe ich Paul auf die eine Seite des Doppelbetts legte.

Ein Reisebett oder dergleichen konnte ich nicht entdecken, aber das war auch nicht zwingend notwendig. Ich würde den Boden polstern oder einen Stuhl davorstellen, damit Paul nicht aus dem Bett fallen konnte. Vielleicht würde ich auch beides tun. Sicher war sicher.

»Dann will ich euch mal schlafen lassen. Der Tag war bestimmt sehr anstrengend für euch.«

Mit einem »Danke«, das so viel mehr beinhaltete, verabschiedete ich mich von Oma Gertrud.

Die Nacht lag dunkel vor mir. Der Wind fegte ums Haus. Meine Gedanken kreisten und wollten mich nicht schlafen lassen. Erst als ich mir Oma Gertruds Weisheit zu Herzen nahm, fand ich ein wenig Ruhe.

Kapitel 2

 

 

Im Morgengrauen weckte mich Pauls kleine Hand, die auf meiner Wange lag, aus einem ruhelosen Schlaf.

Frank hatte gestern Abend noch dreimal versucht, mich anzurufen. Offenbar war er wieder spät nach Hause gekommen, sodass er meinen Brief in der Küche nicht früher finden konnte. Nach dem dritten Versuch hatte ich das Telefon ausgeschaltet. Die Nachrichten, die er mir schickte, wollte ich erst gar nicht lesen. Dennoch galt ihnen an diesem Morgen mein erster Gedanke.

Paul schmiegte sein kleines Köpfchen an mich und hielt sich an mir fest. Ich kuschelte mich an meinen kleinen Jungen und zwang mich, stark zu sein und meine Entscheidung nicht zu hinterfragen.

Der Wind hatte nachgelassen. Zum ersten Mal war es mir möglich, Hiddensee bei Tageslicht zu sehen. Als wir gestern gegen achtzehn Uhr von der Fähre stiegen, war es bereits dunkel, nass und kalt gewesen.

Auch heute war der Himmel bedeckt, doch einzelne Sonnenstrahlen kämpften sich durch die Wolkendecke. Bisher lag noch kein Schnee. Marie hatte mir bereits vor einigen Tagen gesagt, dass alle sehnsüchtig auf den ersten Schnee des Jahres warteten.

In München hatte es hingegen schon mehrmals geschneit. Aber so richtig daran erfreuen hatte ich mich nicht können.

Während Paul nach wie vor ganz ruhig an meiner Seite lag, angelte ich mein Handy aus der Handtasche. Kaum dass ich das Gerät angeschaltet hatte, ploppten unzählige Nachrichten und Anrufe von Frank auf.

»Wo bist du?«

»Was ist mit Paul?«

»Wann kommst du wieder?«

»Geh endlich an dein verdammtes Handy!«

»Bitte.«

»Ich versteh das nicht.«

Es folgten noch viele Benachrichtigungen. Doch ich hatte gerade nicht die Kraft, sie alle zu lesen. Das Spektrum reichte von vorwurfsvoll bis flehend. Ähnlich wie in unserer Ehe.

Als ich gerade das Handy wieder zur Seite legte, ging ein Newsletter ein: »In wenigen Tagen ist Weihnachten. Haben Sie schon alle Geschenke zusammen?«

Ohne mir die Nachricht anzusehen, löschte ich die Mail schnell wieder.

An das Fest der Liebe wollte ich jetzt erst recht nicht denken. Konnte ich mir doch nicht vorstellen, dass es in diesem Jahr auch nur ansatzweise so schön werden könnte wie in den vergangenen Jahren.

Paul drehte sich auf die andere Seite und schnappte sich statt meiner Hand seinen Pinguin. Marie hatte ihm das Plüschtier zur Geburt geschenkt. Andere wichtige Dinge hatte ich leider in München vergessen. Aber ich hatte so schnell gepackt, dass ich nicht lange darüber nachdenken konnte, was ich mitnehmen wollte. Für gewöhnlich erstellte ich Wochen vor einer Reise eine Liste mit allem, was ich glaubte, für den Urlaub zu benötigen. Diese passte ich dann immer wieder an, bis ich der Meinung war, dass sie komplett war.

Die Zeit war mir diesmal nicht geblieben.

Behutsam schlug ich die Bettdecke zur Seite, schlüpfte in meine Lammfellhausschuhe und zog mir den Morgenmantel über. Bevor ich das Zimmer auf der Suche nach einem starken Kaffee verließ, vergewisserte ich mich, dass Paul nicht aus dem Bett fallen konnte.

Vorsichtig öffnete ich die Tür. Sie quietschte leicht. Doch Paul ließ sich davon nicht aufwecken, er hatte einen gesegneten Schlaf.

Auf Zehenspitzen durchschritt ich den Flur in Richtung Küche. Kein Laut war zu vernehmen, doch es duftete bereits nach Kaffee.

Mit einem »Guten Morgen« öffnete ich die leicht angelehnte Tür zur Wohnküche.

Oma Gertrud stellte augenblicklich das Radio leiser.

»War ich zu laut? Hab ich euch beide geweckt?«, fragte sie besorgt.

»Nein, nein. Paul schläft noch und ich … konnte einfach nicht länger liegen.« Ich bemühte mich, ihre Sorgenfalten glattzustreichen.

»Kaffee?«, fragte Oma Gertrud und hielt mir wenig später eine dampfende Tasse hin.

Ich nahm einen Schluck davon und sah abermals hinaus in Richtung Meer.

Das Wasser schimmerte bläulich. Einzelne Sonnenstrahlen tanzten einen wahren Reigen auf dem Wasser, während der Wind abermals an Geschwindigkeit zunahm.

»Man sieht überhaupt keine Menschen am Strand«, bemerkte ich.

»Der Winter auf Hiddensee ist nicht vergleichbar mit dem trubeligen Frühling und Sommer. Man muss die Stille mögen, wenn man in den kalten Monaten auf die Insel kommt. Und man darf sich vom Wetter nicht die Stimmung verhageln lassen. Man kann ganz schön einsam und trübsinnig werden, wenn man sich zu sehr nach dem Wetter richtet.«

»Ich sollte mich demnächst bei Marie und Caro melden«, sagte ich und versuchte nicht daran zu denken, was das für Folgen nach sich tragen würde.

»Die beiden werden sich wahnsinnig freuen, Paul und dich zu sehen. Sie haben mit einem erneuten Besuch von euch erst im Frühjahr des nächsten Jahres gerechnet. Die Mädels werden Augen machen, wenn ihr schon heute im Traumschlösschen aufschlagt.«

Oma Gertrud summte einen alten Klassiker von Nina Hagen. Es ging um Hiddensee, so viel wusste ich. Und irgendwas mit einem Farbfilm kam darin vor. Der Rest des Liedes wollte mir jedoch nicht einfallen. Dennoch summte ich das Lied in Gedanken mit.

»Ich bin einfach abgehauen«, hörte ich mich plötzlich sagen.

Die Worte kamen völlig ungefiltert aus meinem Mund, ich war nicht in der Lage, sie zurückzuhalten. Wie bei einer Wasserflasche mit Kohlensäure, die man kräftig schüttelt, sprudelten sie aus mir heraus.

»Du wirst deine Gründe haben«, sagte Oma Gertrud nur, setzte sich neben mich auf die Eckbank und legte ihre Hand auf meine.

»Frank … Er ist befördert worden«, holte ich weiter aus.

»Das sind doch gute Neuigkeiten«, sprach sie mir Mut zu.

Ich schüttelte den Kopf.

Noch bevor ich weitersprechen konnte, hörte ich Paul weinen. Er war in einer fremden Umgebung aufgewacht und hatte mich nicht gesehen.

Schon eilte ich zur Tür hinaus, um meinen Kleinen zu beruhigen.

Dicke Tränen kullerten aus Pauls Augen. Als er mich sah, streckte er seine kleinen Patschehändchen nach mir aus.

Ich lief zu ihm und nahm ihn in den Arm. Dabei musste ich mal wieder feststellen, wie ähnlich er Frank sah. Seine Augen, die geschwungenen Lippen, die Haare … Eine Tatsache, die es mir nicht leichter machte.

 

Knapp zwei Stunden später schwang ich mich auf eines der Räder, die in Oma Gertruds Schuppen im Garten lagerten. Sie hatte sogar einen Anhänger für Paul, in dem ich den Kleinen festmachte.

Nach dem reichhaltigen Frühstück würde er vermutlich gleich wieder einschlafen. Die gute Ostseeluft würde ihr Übriges dazu beitragen, dass er in den Schlaf fand.

So radelte ich zu meinen Freundinnen rüber nach Vitte und ließ Kloster hinter mir.

Der Tag war noch jung. Auf den autofreien Straßen sah ich nur wenige Fußgänger. Zwei Fahrradfahrer kamen mir entgegen und grüßten mich freundlich. Der Winter auf Hiddensee war definitiv nicht mit den Monaten des Jahres vergleichbar, in denen die Touristen, mich eingeschlossen, wie Heuschreckenschwärme auf die Insel strömten, einen der zahllosen Handwagen in den Häfen der Insel für sich beanspruchten und damit oder mit einer der Pferdekutschten zu ihrer Ferienwohnung oder dem Hotel aufbrachen.

Ich warf einen Blick zurück zu Paul, der tatsächlich eingeschlafen war. Er sah so klein aus, wie er dort im Anhänger lag. Dabei würde er schon bald eineinhalb werden.

Mal wieder fragte ich mich, wo nur die Zeit geblieben war. Gerade noch hielt ich ihn kurz nach der Geburt in den Armen, sah seine winzig kleinen Händchen und diesen wie zum Kuss geformten Mund. Und wenig später war er schon so groß, dass er allein sitzen und laufen konnte. Oder eben im Fahrradanhänger ohne diesen Einsatz für Neugeborene saß.

Paul lag derweil einfach nur seelenruhig da, das Köpfchen leicht zur Seite geneigt, wie er es meist im Schlaf hielt.

Als ich den Kopf wieder in Fahrtrichtung drehte, sah ich am Horizont schon die ersten Häuser von Vitte. Meine Fahrt würde gleich ein Ende nehmen, doch das war erst der Anfang.

Trotzdem verlangsamte ich meine Geschwindigkeit nicht. Und das nicht nur, um sicherzustellen, dass Paul auch tief und fest schlief, wenn ich bei Caro und Marie ankam. Ich wollte es hinter mich bringen und Caro und Marie erklären, was bei mir los war. Gleichzeitig sehnte ich mich schrecklich danach, meine Freundinnen, die ich zuletzt im September gesehen hatte, endlich wieder in den Arm zu nehmen.

Seit sie nach Hiddensee gezogen waren, um sich beruflich zu verändern, war es in München für mich sehr einsam geworden. Mit den übrigen Grundschullehrerinnen an meiner Schule hatte ich nur losen Kontakt. Auch dort gab es einen steten Wechsel. Entweder kam gerade jemand aus der Elternzeit zurück oder stand kurz davor.

Beständigkeit sah definitiv anders aus.

Die Mütter, die ich mit Paul auf dem Spielplatz kennenlernte, waren oft schon vorher vernetzt gewesen, sodass es mir schwerfiel, Anschluss zu finden. Viele von ihnen waren zudem noch berufstätig und hasteten von einem Termin zum anderen. Da wollte ich nur ungern stören. Wenn ich es doch mal schaffte, mich zu verabreden, saßen wir Mütter am Rand des Sandkastens und hielten unsere Kleinen davon ab, ihn leer zu futtern.

Was bitte schmeckte an Sand so besonders, dass sie es immer wieder versuchten?

Mit diesen und ganz ähnlichen Gedanken kam ich schließlich beim Traumschlösschen an. Nun, da ich da war, überkam mich eine gewisse Unruhe, als ich vom Fahrrad stieg.

Der Wind in meinem Rücken trieb mich an, doch noch brauchte ich einen Moment, um mich zu sammeln, mir die richtigen Worte zurechtzulegen auf Fragen, die schon in wenigen Augenblicken wie Starkregen auf mich hereinprasseln würden.

Dicht neben dem Eingang stellte ich das Fahrrad ab, sodass ich Paul gut im Blick hatte. In der Tür hing noch das »Geschlossen«-Schild. Das Traumschlösschen öffnete erst in einer knappen halben Stunde, allerdings brannte im Inneren bereits Licht.

---ENDE DER LESEPROBE---