Liebe auf Föhr - Nele Blohm - E-Book

Liebe auf Föhr E-Book

Nele Blohm

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Beschreibung

Alle drei Bände der erfolgreichen »Liebe auf Föhr«-Reihe in einem Sammelband: Die Liebe will Meer Vom Pech verfolgt, flüchtet Meike auf die Nordseeinsel ihrer Kindheit, nach Föhr. Dort, in der friesischen Karibik, nistet sie sich im alten Kapitänshaus ihres Großvaters ein, um Abstand zu ihrem Leben in München zu gewinnen. Und zu Kai, ihrem Verlobten, der kurz vor der Hochzeit in eine Honigfalle getappt ist, und dadurch nicht nur Meike, sondern auch ihre Mutter in ein tiefes Chaos stürzt. Schließlich ist für sie die Hochzeit ihrer einzigen Tochter zur Lebensaufgabe geworden. Die Ruhe auf Föhr wird jedoch schnell durch Henning, Meikes erste große Liebe gestört. Nach knapp fünfzehn Jahren treffen die beiden das erste Mal wieder aufeinander und die Funken sprühen wie bei einem Feuerwerk in den buntesten Farben. Doch dann steht plötzlich Kai in der Tür und will sie zurück. Alles auf Sommer Allein zur Hochzeit ihrer besten Freundin Meike auf der Nordseeinsel Föhr fahren – eine absolute Horrorvorstellung für Fritzy, die sich gerade erst von ihrem Freund getrennt hat. Als sie im Zug nach Föhr Fluggast 1A wiedertrifft, der sie in ihrem Job als Stewardess seit einigen Monaten immer wieder mit seinen Extrawünschen und kleinen Späßen an den Rand des Wahnsinns bringt, scheint es Schicksal zu sein. Obwohl er sie so oft genervt hat, spürt Fritzy, wie gut ihr diese kleine Ablenkung tut, und sie verbringen auf der Insel viel Zeit miteinander. Fritzy, die dem Ganzen keine weitere Bedeutung beimisst, ertappt sich dabei, wie sie sich immer mehr zu Fiete hingezogen fühlt. Leidenschaft und dieses Kribbeln im Bauch waren für ihren Aufenthalt eigentlich nicht eingeplant … Weihnachtszauber auf FöhrLenis Café Föhrliebt ist rund um Weihnachten der Ort, an dem alle gerne sein wollen. Als sie auch noch die Organisation des Adventssingens übernimmt, bleibt wenig Zeit für die Beziehung zu Ole. Doch sie ist der Überzeugung, dass sie sich gegenseitig blind vertrauen können und ihre Liebe dieser Belastung standhält. Bis sie Ole eines Tages mit einer unbekannten Frau sieht und Schlüsse zieht, die dafür sorgen, dass das Adventssingen nicht ganz so besinnlich verläuft, wie geplant …

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Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Epilog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Epilog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Weitere Bücher der Autorin

Nele Blohm

Liebe auf Föhr

Über das Buch:

Vom Pech verfolgt, flüchtet Meike auf die Nordseeinsel ihrer Kindheit, nach Föhr. Dort, in der friesischen Karibik, nistet sie sich im alten Kapitänshaus ihres Großvaters ein, um Abstand zu ihrem Leben in München zu gewinnen. Und zu Kai, ihrem Verlobten, der kurz vor der Hochzeit in eine Honigfalle getappt ist und dadurch nicht nur Meike, sondern auch ihre Mutter in ein tiefes Chaos stürzt. Schließlich ist für sie die Hochzeit ihrer einzigen Tochter zur Lebensaufgabe geworden. 

Die Ruhe auf Föhr wird jedoch schnell durch Henning, Meikes erste große Liebe, gestört. Nach knapp fünfzehn Jahren treffen die beiden das erste Mal wieder aufeinander und die Funken sprühen wie bei einem Feuerwerk in den buntesten Farben. Doch dann steht plötzlich Kai in der Tür und will sie zurück.

Über die Autorin:

Hinter Nele Blohm steht die erfolgreiche Bestsellerautorin und Selfpublisherin Mila Summers. Sie wurde 1984 in Würzburg geboren. Als Kulturwissenschaftlerin arbeitete sie lange für eine Onlinedruckerei, bevor sie in der Elternzeit zum Schreiben fand, dem sie sich nun ganz widmet. Sie liebt das Meer und Liebesgeschichten mit Happy End, die uns an wunderschöne Orte entführen. Mit Mann, Kindern und ihrem übermütigen Jack Russell Lizzy lebt sie in ihrer Heimatstadt.

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Bisher von der Autorin erschienen:

Wie das Leuchten von Bernstein

Dein Flüstern im Meereswind

Weihnachten auf Hiddensee

NELE

BLOHM

Die Liebe will Meer

Roman

Deutsche Erstauflage April 2024

Copyright © Nele Blohm

Lektorat: Textwerkstatt Anne Paulsen

Korrektorat: SW Korrekturen

Covergestaltung: Nadine Kapp

Covermotiv: Shutterstock ©Evgenia_art_art, ©asya_su, ©VerisStudio, ©KENG MERRY paper art

Impressum: D. Hartung

Frankfurter Str. 22

97082 Würzburg

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder teilweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Menschen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Epilog

Prolog

Das Meer war so laut, dass ich es für Donnergrollen hielt. Der Wind pfiff um die Ecken und rüttelte an mir, als wollte er mich zurück ins Haus wehen. Nervös blickte ich immer wieder über die Schulter zu Opas Kapitänshaus. Dunkel ragte die Kirche dahinter hervor. Nur der Mond und die Sterne leuchteten mir den Weg. Die nächste Straßenlaterne war ein Stück weit entfernt.

Eilig huschte ich auf Zehenspitzen durch den Garten. Opa hatte einen leichten Schlaf. Er durfte nicht aufwachen. Unter gar keinen Umständen. Denn dann wäre alles umsonst gewesen.

Mit zittrigen Händen drückte ich die eiserne Klinke des niedrigen Gartentors herunter. Das unnachgiebige Quietschen folgte auf dem Fuße. Barfuß stand ich da und schickte ein Stoßgebet nach dem anderen gen Himmel in der Hoffnung, ich würde dennoch unbemerkt bleiben.

Bevor ich mich hindurchstahl, verharrte ich noch einen weiteren Moment an Ort und Stelle und blickte abermals wie gebannt hinter mich zum Haus. Noch immer war kein Licht zu sehen. Erleichtert atmete ich auf und schlich mich schließlich wie eine Diebin davon.

Mein Weg war nicht weit. Lediglich bis zum Nachbarhaus musste ich mich durchschlagen, ohne bemerkt zu werden. Dennoch schlug mir das Herz bis zum Hals, während ich mich immer wieder nach allen Seiten umsah.

Es war bereits weit nach Mitternacht und Nieblum lag schlafend vor mir. Nicht mal die alte Jensen kauerte an ihrem schmalen Fensterbrett, um alles und jeden in dem kleinen Örtchen auf der Nordseeinsel Föhr im Blick zu haben. Offenbar ging ihr der Wunsch nach Tratsch und Klatsch nicht über ihre Nachtruhe.

»Henning?«, rief ich leise, als ich an meinem Ziel angelangt war.

Mein Herz schlug noch einen Takt schneller. Diesmal lag es allerdings nicht an der Angst, entdeckt zu werden. Kribbelnde Vorfreude überzog von meiner Magengegend aus meinen ganzen Körper. Wohlig warm war das Gefühl, wenn ich an den Jungen dachte, den ich vor wenigen Tagen das erste Mal geküsst hatte.

»Henning?«

Unruhig sah ich zu dem Fenster, hinter dem sich sein Zimmer befand. Der Garten seiner Großmutter war von Hecken und Büschen umrankt. Einen englischen Landhausgarten hatte sie ihn genannt, als sie sich mal wieder mit Opa Paul am Zaun gestritten hatte. Worum es dabei genau gegangen war, konnte ich nicht mit Gewissheit sagen. Die beiden stritten sich beinahe täglich, sodass ich es mir angewöhnt hatte, ihren Worten keine allzu große Beachtung zu schenken.

»Henning?«, rief ich abermals und suchte dabei den Boden nach einem kleinen Stein ab. Doch bis auf einen akkurat gemähten Rasen spürten meine Finger nichts.

Meine Augen hatten sich in der Zwischenzeit an die Dunkelheit gewöhnt. Der Mond war fast rund, und auch die Sterne taten ihr Übriges, um mir zu helfen.

Ich suchte nach dem Handy in meiner Hosentasche, das ich mir von dem Geld gekauft hatte, das ich in meinem ersten Ferienjob in dem kleinen Tante-Emma-Laden von Frau Krause verdient hatte. Opa Paul war sowohl gegen die Arbeit bei Frau Krause als auch gegen das Handy gewesen. Er hielt generell nicht besonders viel von den technischen Errungenschaften unserer Zeit. Wäre er nicht so ein großer Fußballfan, hätten wir vermutlich nicht einmal einen Fernseher.

Wenn ich mich mit Opa Paul, der für gewöhnlich ein friedfertiger Mensch war, wie gestern Abend, mal wieder in die Haare bekam, überlegte ich, ob es nicht doch besser wäre, zu meiner Mutter oder meinem Vater aufs Festland zu ziehen. Die beiden hatten sich vor zwei Jahren getrennt und ließen seither kein gutes Haar am jeweils anderen. Auch deshalb wohnte meine Mutter jetzt in München und mein Vater in der Nähe von Hamburg. Damit waren sie ausreichend weit voneinander entfernt und liefen nicht Gefahr, sich unerwartet über den Weg zu laufen.

Die Atmosphäre zwischen den beiden war so vergiftet, dass ich sie regelrecht angebettelt hatte, mich zu Opa Paul ziehen zu lassen. Sie waren strikt dagegen gewesen. Erst als ich damit gedroht hatte, freiwillig ins Kinderheim zu gehen, hatten sie eingelenkt. Nun wollte ich ihnen nicht die Genugtuung geben und eingestehen, dass nicht immer eitel Sonnenschein auf der Insel herrschte.

»Was machst du denn da auf dem Boden, Meike?«

Hennings Stimme war so dicht an meinem Ohr, dass ich erschrocken zusammenfuhr und mich nur im letzten Augenblick davon abhalten konnte, laut aufzuschreien.

»Bist du verrückt geworden?«, blaffte ich ihn an und ließ mich dabei kurzerhand auf die Picknickdecke fallen, die er soeben ausgerollt hatte.

Zum Glück hatten unsere Großeltern einen guten Schlaf.

Henning lachte und legte sich neben mich. Gemeinsam sahen wir hinauf zum Sternenhimmel. Seine Hand suchte die meine, während die Schmetterlinge in meinem Bauch übermütig flatterten.

Bei Henning fühlte ich mich gut aufgehoben. Wir kannten uns schon lange. Zumindest so gut, wie man jemand kennen kann, der nur in den Sommerferien bei seiner Großmutter geparkt wurde, weil seine Eltern lieber ohne ihn auf einer Segeljacht in der Karibik vor sich hin schipperten.

Manchmal fragte ich mich, warum unsere Eltern überhaupt Kinder in die Welt gesetzt hatten, wenn sie offensichtlich kein allzu großes Interesse an uns hatten. Als ich damals mit meinen Eltern über meinen Umzug nach Föhr verhandelt hatte, schienen sie am Ende regelrecht erleichtert zu sein, dass sie die Verantwortung für mich in andere Hände abgeben konnten. Meine Mutter reiste postwendend zu irgendeinem Guru nach Indien, um dort die Erleuchtung zu finden. Mein Vater war wesentlich pragmatischer an die Materie herangegangen und hatte kurzerhand den Grund für das Ende seiner Ehe gebeten, bei ihm einzuziehen. Wenige Wochen später war Nicole von ihm schwanger gewesen. Mittlerweile erwarteten die beiden ihr drittes Kind. Da war kein Platz mehr für mich. Ich wurde ersetzt.

»Das da oben ist übrigens der Kleine Wagen.«

Henning fuhr mit seinem Finger einzelne Sterne am Nachthimmel ab.

Mit fest zusammengekniffenen Augen versuchte ich seiner in die Luft gezeichneten Spur zu folgen.

»Da?«, fragte ich und zeigte ebenfalls mit meinem Finger in die Dunkelheit.

»Nein, da.«

Henning griff beherzt nach meinem Finger. Seine Berührung fühlte sich noch immer neu und ungewohnt an. Augenblicklich hatte ich wieder dieses Gefühl tief in mir, das sich so herrlich anfühlte. Ganz so, als wäre ich schwerelos und könnte überallhin schweben. Egal wohin.

»Nur noch drei Tage«, flüsterte ich, als mir wieder einfiel, dass Henning zurück nach Hannover in die Schule musste.

»In den Herbstferien komm ich wieder. Das verspreche ich dir. Meine Eltern sind eh froh, wenn sie ihre Ruhe haben. Und Oma Käthe ist ganz okay. Zumindest stresst sie mich nicht mit der Schule und lässt mir einen Hauch Privatsphäre. Etwas, was meine Eltern überhaupt nicht kennen, wenn es um mich geht.«

Wie eine Ertrinkende klammerte ich mich an die Vorstellung, Henning schon bald wiederzusehen. Verträumt legte ich meinen Kopf auf seine Schulter und schloss die Augen, während ich über all die schönen Momente nachdachte, die wir in diesem Sommer gemeinsam erlebt hatten.

Wir waren wie die kleinen Kinder durchs Watt gerannt, hatten im Meer gebadet und waren mit den Rädern über die Insel gefahren. Nie zuvor war mir Föhr so wundervoll und einzigartig vorgekommen.

Alles würde gut werden. Wir würden es schaffen. Was sollte uns schon daran hindern, glücklich zu werden? Schließlich lag unser Schicksal in unseren Händen.

Kapitel 1

Mit wirklich allem hatte ich gerechnet, nur nicht mit der Tatsache, dass mein Chef meinen Arbeitsvertrag nicht verlängern würde, weil ich heiraten wollte.

Völlig mit den Nerven am Ende ging ich in mein Büro und öffnete die unterste Schublade, in der meine eiserne Notration Zigaretten lag. Als meine Finger sich um die Schachtel schlangen, bemühte ich mich, nicht daran zu denken, dass es Monate her war, seit ich das letzte Mal darauf zugreifen musste.

»Ich bin kurz vor der Tür eine rauchen«, erklärte ich Saskia, meiner Kollegin.

Wir beide teilten nicht nur das Büro miteinander, sondern auch viel Privates. So wusste Saskia mittlerweile in Gänze darüber Bescheid, dass meine Mutter mich in den Wahnsinn treiben würde, sollte sie mich auch nur noch ein einziges Mal zu überzeugen versuchen, doch Hochzeitskleid mit Spitze zu nehmen.

»So schlimm?«, fragte sie mich besorgt.

»Schlimmer«, erklärte ich.

»Professor Heidemann?«, hakte sie nach.

Ich nickte.

»Er will meinen Vertrag nicht verlängern. Jetzt, da ich heirate, werde ich ja schließlich auch bald Kinder bekommen. Er möchte die Stelle lieber jemandem geben, mit dem er längerfristig planen kann«, platzte es aus mir heraus. Eigentlich wollte ich das Thema erst einmal mit mir ausmachen. Zu frisch waren die Eindrücke der vergangenen Minuten. Wie ein schlechter Traum kam mir das alles vor. Wenn ich doch nur schlafen würde …

»Das geht nicht. Er kann dir den Vertrag nicht nicht verlängern, nur weil er denkt, du könntest in absehbarer Zeit schwanger werden«, erwiderte Saskia, die ein unnatürlich hohes Vertrauen in unseren Rechtsstaat besaß.

Der jüngste Fall eines Augsburger Comedians, dem man auf die Schliche gekommen war, Steuergelder zu hinterziehen, mochte ihr diesbezüglich recht geben. Dass der Typ das allerdings Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte gemacht hatte, ohne aufzufliegen, wollte ich ihr dabei nicht unter die Nase reiben.

Es war gut, wenn man etwas hatte, woran man glauben konnte. So wie ich an Kais Liebe.

Schon in wenigen Wochen würden wir heiraten und danach zwei unbeschreiblich glückliche Wochen auf den Seychellen verbringen. Auf einer Strichliste zählte ich bereits die Tage. Auch mein Smartphone erinnerte mich täglich daran, dass Kai und ich schon bald das Münchner »Mia san Mia«-Gefühl hinter uns lassen und der Sonne entgegenfliegen würden. Das war das Einzige, was zählte: Kais Liebe.

»Professor Heidemann wird auch so Mittel und Wege finden, um mich loszuwerden.«

Vor knapp zwei Jahren hatte ich nach langem Hoffen und Bangen meine Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Ludwig-Maximilians-Universität im Fachbereich Ethnologie endlich antreten dürfen. Damals war es mein größter Traum gewesen, an der Uni arbeiten zu dürfen. Ich liebte die Abwechslung zwischen den Kursen mit den Studenten und den Stunden, in denen ich an meiner Forschung arbeiten konnte.

Meine Studien zur Beziehung zwischen Menschen und Pflanzen waren fast beendet. Besonders spannend war das Verhältnis des Menschen zur Brennnessel, die in Arzneien durchaus großen Nutzen bringen konnte, gleichzeitig aber als Unkraut betrachtet wurde. Professor Heidemann hatte mein Dissertationsthema gefördert und mir so manches Mal Mut zugesprochen, wenn ich mit mir haderte und alles hinwerfen wollte.

Nun wegen meiner Heirat von ihm zur Persona non grata ernannt zu werden, schmerzte mich doppelt. Gerade weil ich in ihm eine väterliche Figur gesehen hatte, die mir seit der Scheidung meiner Eltern abhandengekommen war.

Mein Vater hatte nur Platz für die drei Kinder von seiner zweiten Frau. Und meine Mutter hatte sich erst wieder für mich interessiert, als ich ihr erzählte, bald heiraten zu wollen. Wie eine Hyäne hatte sie sich auf die Aufgabe gestürzt, um mir bei den Hochzeitsvorbereitungen zu helfen. Das alles war so schnell passiert, dass ich gar nicht in der Lage dazu war, mich gegen ihr plötzliches Interesse an mir und meinem Leben zur Wehr zu setzen. Den Konditor und die Musiker für Kai und mich hatte sie bereits ausgesucht. Nur was mein Hochzeitskleid anbelangte, war ich eisern geblieben. Mal sehen, wie lange ich mich behaupten konnte.

»Soll ich mit rausgehen?«

Saskia sah bedröppelter aus, als ich mich fühlte. Und das sollte was heißen. Denn noch in Professor Heidemanns Zimmer war ich felsenfest davon ausgegangen, jeden Moment einfach umzukippen. So sehr hatten mich seine Worte getroffen.

»Bleib besser hier. Falls der Professor kommt und nach dem Rechten sieht.«

Saskia verstand, dass ich allein sein wollte. Denn der Professor verirrte sich für gewöhnlich höchst selten zu uns ins Büro. Da musste schon jemand Geburtstag und einen Kuchen mitgebracht haben. Ansonsten verbarrikadierte er sich in seinem Zimmer und bereitete sich auf die Vorlesungen vor oder widmete sich seinen eigenen Studien.

Kaum dass ich unten vor der Tür angekommen war und die Frühlingssonne mich mit ihren zaghaften Strahlen an der Nasenspitze kitzelte, klingelte mein Handy in der Manteltasche.

Als ich es herauszog, erkannte ich im Display das fröhliche Lachen meiner Mutter. Seit sie für fast zwei Jahre in Indien gelebt hatte, war es ihr zur Gewohnheit geworden, in den buntesten Farben herumzuspazieren. Auf dem Bild trug sie ein orangefarbenes Tuch im Haar, eine knallgelbe Bluse und einen lilafarbenen Schal, den sie sich locker um den Hals gewickelt hatte. An den Ohren prangten große goldene Kreolen. Jeder Fetzen Stoff an ihr zeugte von der Erleuchtung, die sie zumindest in der Auswahl ihrer Kleider widerzuspiegeln versuchte.

Anstatt mich dem Gespräch zu stellen, drückte ich sie weg und zog aus der anderen Manteltasche meine Lucky Strikes. Beinahe andächtig öffnete ich die Schachtel, während ich daran dachte, wie ich mir erst vor wenigen Tagen vorgenommen hatte, sie wegzuschmeißen.

Kai und ich hatten ernsthaft in Erwägung gezogen, nach der Hochzeit die Pille abzusetzen. Spätestens ab dann wollte ich ein gesünderes Leben führen, was so viel bedeutete, dass ich nicht mehr rauchen und so viel Zucker zu mir nehmen wollte. Beides für sich konnte einen umbringen. Und ich wollte leben.

Mit Kai in einer Familie, die ich seit meiner Kindheit nicht mehr hatte.

Als meine Eltern sich vor fast achtzehn Jahren scheiden ließen, war mein Opa Paul auf Föhr mein einziger Halt im Leben gewesen. Er hatte mich aufgenommen, sich so gut es ging um mich gekümmert und mich meine eigenen Erfahrungen machen lassen. Von den meisten wusste er nichts. Und das war auch besser so.

Wann war ich nur das letzte Mal auf der Insel gewesen? Es musste schon mindestens drei Jahre her sein, seit ich mit Kai zu Opa Paul gefahren war, um die beiden einander vorzustellen. Schon auf den ersten Blick konnte ich erkennen, dass Opa Paul Kai für einen eingebildeten Schnösel aus dem Süden hielt. Und Kai konnte mit der Tatsache, dass mein Großvater nur wenig redete, wenn er nicht wollte, nicht besonders gut umgehen. Da die beiden sich also offensichtlich nicht sonderlich leiden konnten, hatte ich von einem weiteren Urlaub in Opas Kapitänshaus in Nieblum abgesehen.

Während ich so meinen Gedanken nachhing, vibrierte mein Telefon abermals.

Anstatt das Gespräch anzunehmen, drückte ich es wieder weg und zündete mir meine Zigarette an. Ich nahm den ersten Zug und hoffte auf die beruhigende Wirkung, als meine Mutter zum dritten Mal anrief. Nun hatte ich die Faxen aber dicke.

»Hallo, Mama! Was gibt es? Ich arbeite!«, schmetterte ich ihr ungehalten entgegen.

»Was sind das denn für miese Schwingungen, die da aus deiner Richtung kommen? Sag bloß nicht, du weißt es schon.«

Meine Mutter hatte eine untrügliche Art, Dinge anzusprechen, die ihr missfielen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Menschen, die ich kannte, machte sie keinen Hehl daraus, was sie fühlte oder dachte, und ließ jeden gefragt oder ungefragt an ihrem Empfinden teilhaben.

Wie viele ihrer Mitmenschen sie sich dadurch bereits zum Feind gemacht hatte, konnte ich nicht mit Gewissheit sagen. Eins stand jedoch außer Frage: Mich trieb sie mit dieser Art noch an den Rand des Wahnsinns. Einen Schritt noch und ich …

»Meike? Bist du noch dran? Meike? Ich kann dich gar nicht hören. Meike?«

Bevor ich etwas erwiderte, atmete ich ein paarmal tief ein und wieder aus, um meinen Puls ein wenig zu beruhigen. Was war das heute nur für ein Tag? Augenscheinlich war ich mit dem falschen Fuß aufgestanden. Oder aber ich hatte zu viele miese Karmapunkte gesammelt, weil ich gestern an der U-Bahn-Station Marienplatz der Frau mit dem Rollator nicht beim Einsteigen geholfen hatte. Dabei hatte ich noch mit mir gehadert, ob ich sie fragen sollte. Gleichzeitig wollte ich ihr allerdings nicht das Gefühl geben, nicht allein klarzukommen. Erst als sich die Türen bereits schlossen und die Bahn ihre Fahrt aufnahm, wusste ich, dass ich die falsche Entscheidung getroffen hatte. Denn die Frau und ihr Rollator waren nirgends zu sehen gewesen.

»Ich bin noch dran. Was gibt es denn so Dringendes?«

Der letzte Mensch, mit dem ich gerade reden wollte, war meine Mutter. Allerdings wusste ich ganz genau, wie nachtragend sie sein konnte, wenn man einen Anruf von ihr nicht annahm oder sich nicht zumindest zeitnah zurückmeldete. Erst vor zwei Wochen hatte ich es gewagt, mein Handy auszustellen, da ich mit Kai in der Therme in Erding gewesen war. Das fand sie gar nicht witzig. Aber wenn ich da etwas über negative Schwingungen gesagt hätte, wäre ich sicher einen Kopf kürzer gemacht worden. Mindestens.

»Sitzt du?«

Themen, die so eingeleitet werden mussten, verhießen nichts Gutes.

Das hatte mir gerade noch gefehlt.

»Ja«, log ich, weil ich die Angelegenheit schnellstmöglich hinter mich bringen wollte.

Vermutlich ging es ohnehin wieder um einen Dienstleister, den meine Mutter für die Hochzeit engagieren wollte und von dem sie eine Abfuhr kassiert hatte. Ihre ausufernden Ideen und ihre direkte Art führten oftmals dazu, dass die sich schon nach wenigen Sätzen von ihr mit den Worten verabschiedeten, man könne im Moment keine weiteren Aufträge annehmen.

»Das, was ich dir jetzt sagen werde, trifft mich bis ins Mark. Wenn man bedenkt, wie viel Zeit und Energie ich in eure Hochzeit gesteckt habe, fühlt es sich an wie ein Faustschlag. Du weißt schon, einer von der Sorte, bei der man wie ein Baum umfällt und minutenlang leblos am Boden liegen bleibt.«

Meine Mutter hatte schon immer eine rege Fantasie gehabt.

»Ich muss weiterarbeiten«, behauptete ich und hoffte, dadurch einen gewissen Druck auf meine Mutter auszuüben, damit sie sagte, was sie zu sagen hatte, und mich dann wieder in Ruhe ließ.

»Sagt dir der Begriff Honigfalle etwas?«

Ohne weiter um den heißen Brei herumzureden, kam sie nun unmittelbar auf den Punkt.

Worum es sich genau bei einer Honigfalle handelte, wusste ich nicht so recht. Außerdem fehlte mir der Wille, mich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Meine Mutter kam ständig mit irgendwelchen neuen spirituell angehauchten Ansätzen, die sie mit mir teilen wollte. Vermutlich stammte der Begriff aus dem Hinduismus oder vom Dalai Lama höchstpersönlich. Beides war mir im Moment ziemlich schnuppe.

»Mama, es tut mir leid, aber ich habe keine Zeit für Ratespiele. Ich rufe dich heute Abend nach der Arbeit zurück. Ich muss jetzt …«

»Kai ist in eine Honigfalle getappt. Das bedeutet, dass er ertappt wurde, als er fremdgehen wollte.«

»Was?« Fassungslos stierte ich auf das Unkraut zu meinen Füßen, das sich zwischen den beiden Pflastersteinen, auf denen ich stand, hindurchzwängte. Wie beharrlich Unkraut doch war.

»Ich habe Bilder und ein Video.«

Meine Mutter klang wie ein Mafioso, der mir heiße Ware andrehen wollte.

»Was? Ich meine, woher … woher weißt du das? Und bist du dir ganz sicher, dass es sich bei dem Mann um Kai handelt? Wann soll das denn gewesen sein?«

Ähnlich wie die Fragen, die aus meinem Mund sprudelten, überschlugen sich die Gedanken in meinem Kopf. Was hatte sie da gerade gesagt? Kai war dabei beobachtet worden, wie er mich betrügen wollte? Das war doch total verrückt. Kai und ich waren glücklich miteinander. Wir würden in wenigen Wochen heiraten und planten sogar schon eine Familie. Er hatte nach Einfamilienhäusern am Stadtrand Ausschau gehalten. Seit Monaten erzählte er mir davon, wie schwierig sich die Sache gestaltete, aber er blieb zuversichtlich.

Meine Hand zitterte so heftig, dass mir die Zigarette auf den Boden fiel. Ich trat darauf, um sie zu löschen, und mit dem festen Vorsatz, sie nach dem Telefonat mit meiner Mutter in den Mülleimer zu werfen.

»Gestern Abend um zweiundzwanzig Uhr vierzehn in Schwabing.«

Die Sachlichkeit in ihrer Stimme ließ mich erschrocken zusammenzucken.

»Gestern?«, hakte ich nach und versuchte mich an den gestrigen Abend zu erinnern.

Kai war erst um neunzehn Uhr nach Hause gekommen. Wir hatten zusammen gekocht und … gegen einundzwanzig Uhr hatte Ansgar angerufen. Er wollte sich noch auf ein Bier mit ihm treffen. Kai hatte gezögert. Erst als ich ihn ermutigt hatte, willigte er schließlich ein.

Was aber, wenn er gar nicht mit Ansgar telefoniert hatte?

»Was sind das für Aufnahmen, die du hast? Und wie kommst ausgerechnet du daran?«

Noch immer wollte der Groschen bei mir nicht so recht fallen. Zu abwegig erschien mir die Situation.

Meine Mutter seufzte am anderen Ende der Leitung.

»Es ist mir nicht leichtgefallen, aber ich musste meinen Verdacht erhärten.«

Aus ihrer Stimme war ehrliches Bedauern herauszuhören, was mich umso mehr vom Schlimmsten ausgehen ließ.

Vergeblich schluckte ich gegen den Kloß in meinem Hals an, der mich zu ersticken drohte.

»Wie? Ich verstehe nicht.«

Was für ein Verdacht? Und wie hatte sie ihn erhärten wollen?

Abermals war ein Seufzen zu hören.

»Kai ist ein attraktiver Mann. Und er ist sich dieser Tatsache bewusst. Ich habe ihn schon das ein oder andere Mal mit einer Frau flirten sehen. Meistens warst du sogar dabei. Wie auch immer, jetzt, da ihr vorhabt zu heiraten, musste ich ihn testen. Dich sollte nicht das gleiche Schicksal ereilen wie mich.«

Gleiches Schicksal? Was meinte sie mit testen lassen? Und wie zum Henker hatte sie das bewerkstelligt?

Ohne dass ich nachhaken musste, fuhr sie schließlich fort.

»Bei einer Honigfalle handelt es sich um eine fingierte Situation. In Kais Fall hat sich eine Frau mit langen Beinen, blonden Haaren und blauen Augen auf die Lauer gelegt, um ihn in die Falle zu locken. Was ihr, den Bildern nach zu urteilen, ausgesprochen gut gelungen ist.«

»Du hast eine Nutte auf meinen Verlobten angesetzt?«

Die plötzliche Wut, die in mir hochkochte, schäumte beinahe über. Mit wild pochendem Herzen stand ich da und verfluchte den Tag, an dem ich meiner Mutter von meinen Absichten berichtet hatte, zu heiraten.

»Es sind immer die Überbringer von schlechten Nachrichten, die für diese Nachrichten verantwortlich gemacht werden.« Sie seufzte theatralisch, um ihre Worte zu untermalen. »Außerdem handelt es sich bei der Frau um keine Nutte. Sie hat Kai lediglich getestet. Und wenn sie die Situation nicht vorzeitig beendet hätte, wäre es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zum Äußersten gekommen.«

Zum Äußersten also.

Mir schwirrte der Kopf.

Der Caterer, die Location, der Trauredner, die Kutsche – all diese Dinge zählte ich in Gedanken auf, als wären sie stille Zeugen dessen, was Kai und ich uns versprochen hatten. Es konnte einfach nicht sein, was meine Mutter da behauptete. Kai war mir treu. Ganz sicher sogar.

Klar waren wir in den letzten Wochen beide sehr angespannt gewesen. Die bevorstehende Hochzeit war auch ein Kraftakt. Ganz besonders, weil meine Mutter seitdem sehr viel Raum in unserem Leben einnahm und auch schon mal unangekündigt vor der Tür stand. Aber wir waren uns der Herausforderung bewusst und beide sicher, dass wir uns ihr stellen wollten. Zumindest war ich der Meinung, dass wir das wären.

Kai war in den letzten Wochen nicht selten aus gewesen. Er hatte sich mit alten Studienkollegen, Geschäftspartnern und Arbeitskollegen getroffen, war essen gegangen oder was trinken. Mir hatte er erklärt, dass ich mich nur langweilen würde, wenn ich mitkäme. Also wollte er mich erst gar nicht darum bitten. Was aber, wenn er mich in Wirklichkeit nicht dabeihaben wollte, weil er sich mit jemand ganz anderem traf?

»Wir sollten das Beste aus der Sache machen und froh sein, dass nichts weiter passiert ist. Stell dir vor, du wärst schon schwanger. Das wäre tatsächlich … Du bist doch nicht schwanger. Oder?«

»Nein, ich bin nicht schwanger«, erwiderte ich eine Spur zu schrill.

»Das ist gut. Kinder … verkomplizieren das alles nur unnötig.«

So dachte meine Mutter also darüber. Ob sie damals bei ihrer Scheidung von meinem Vater auch diese Gedanken hatte? Mal wieder wurde ich mir der Tatsache bewusst, dass ich nichts als eine Last für sie war. Vielleicht hatte sie deshalb nicht schnell genug das Land verlassen und zigtausend Kilometer zwischen uns bringen können.

Es fiel mir nicht ganz leicht, diese Gedanken beiseite zu wischen. Hätte ich einen Therapeuten, zu dem ich gehen würde, um meine verkorkste Kindheit aufzuarbeiten, würde ich dieses Thema spätestens in unserer nächsten Sitzung ansprechen. Aber ich hatte keinen Therapeuten und auch keine Lust, mich länger als nötig mit meiner Mutter und ihren Befindlichkeiten zu beschäftigen.

Wichtig war jetzt nur, mit Kai zu sprechen und das Problem, das wir offenbar hatten, aus der Welt zu schaffen. Ich war mir ganz sicher, dass uns das gelingen würde. Schließlich liebten wir uns doch.

»Ich muss jetzt leider los. Die Bilder und das Video habe ich dir bereits per E-Mail geschickt. Nicht, dass du glaubst, ich hätte mir das am Ende alles nur ausgedacht, weil ich Kai nicht leiden könnte. Ich kümmere mich um die Absagen, das ist selbstverständlich. Mach’s gut, meine Meike. Halt die Ohren steif und denk immer daran: Wenn sich das Blatt wendet, such dir ein anderes. So oder so ähnlich. Ich muss jetzt aber wirklich. Bis bald.«

Tut, tut, tut.

Die Kippe auf dem Boden lag da wie ein Mahnmal. Als ich die Zigarettenschachtel vor wenigen Minuten aus der Schublade meines Schreibtisches gezogen hatte, war ich noch davon ausgegangen, mein größtes Problem wäre die Tatsache, dass mein Vertrag an der Uni nicht verlängert worden war.

Nun lag nicht nur meine berufliche Zukunft, sondern auch meine private wie die Kippe auf dem Boden plattgedrückt und wenig hoffnungsvoll vor mir.

Mit zittrigen Fingern tippte ich auf das Briefsymbol, das soeben im Display meines Smartphones aufgeleuchtet war. Mit angehaltenem Atem öffnete ich auf einen der beiden Anhänge.

Auch wenn ich mir vorgemacht hatte, auf das, was ich zu sehen bekam, vorbereitet zu sein, traf es mich doch wie ein Schlag ins Gesicht. Kai, mein Verlobter und der Mann, den ich in wenigen Wochen heiraten wollte, küsste eine fremde Frau und war obendrein bis auf die Boxershorts entkleidet.

Das Bild traf mich bis ins Mark. Ohne das Video anzusehen, schloss ich das Programm und steckte mein Handy zurück in die Manteltasche. Meine andere Hand krallte sich um die Zigarettenschachtel, wie um daran Halt zu finden. Doch der Appetit darauf war mir gänzlich vergangen.

Mechanisch griff ich nach der zerquetschten Kippe am Boden, während in mir ein Plan reifte: Ich musste mit Kai sprechen. Und das am besten sofort.

Kapitel 2

Neun Stunden dauerte eine Fahrt mit dem Zug vom Münchner Hauptbahnhof in das beschauliche Dagebüll an der Nordseeküste in Schleswig-Holstein. Neun Stunden, in denen ich viel zu viel Zeit hatte, um mir Gedanken über all das im Leben zu machen, was gerade schieflief.

Was nicht besonders wenig war.

Weder das Buch, das ich mir am Bahnhof gekauft hatte, um während meiner Zeit im Zug und an Bord der Fähre zu lesen, konnte mich ablenken, noch die Musik auf meinem Smartphone, die ich mir in einer Playlist zusammengestellt hatte. Auch das Internet schien seinen Reiz verloren zu haben, wenn es denn mal funktionierte.

Erwartungsvoll sah ich durchs Fenster nach draußen, wo Landschaften, Häuser, Bäume und Wälder in einer solchen Geschwindigkeit an mir vorbeizogen, dass mir der Kopf schwirrte.

Meine Gedanken verselbstständigten sich und flogen zu dem Tag zurück, an dem ich Kai mit der bitteren Wahrheit aus meinem E-Mail-Postfach konfrontiert hatte. Mit zuckenden Schultern hatte er vor mir gestanden, hatte sein Pokerface aufgesetzt und mir offenbart, dass ihm die baldige Hochzeit Angst bereitete. Er wusste plötzlich nicht mehr, ob es die richtige Entscheidung war, mir einen Antrag zu machen. Eine Tatsache, die mich noch viel mehr traf als der vermeintliche Betrug.

Also hatte ich meinen Koffer genommen und alles hineingeworfen, was mir wichtig erschien. Als ich unsere gemeinsame Wohnung in der Maxvorstadt verließ, machte Kai keine Anstalten, mich davon abzuhalten. Ganz im Gegenteil, er schien über meinen Auszug sogar erleichtert zu sein.

Und da stand ich nun: Job weg, Verlobter weg, Wohnung weg. Mein persönliches Armageddon klingelte so plötzlich an meiner Tür, dass es mir nicht mal ansatzweise möglich war, mich auf die Situation vorzubereiten.

Und jetzt blickte ich auf das Haus, in dem wir die letzten drei Jahre zusammengelebt hatten, und wusste nicht so recht, wo ich hingehen sollte.

Zu meiner Mutter wollte ich auf gar keinen Fall, dabei wohnte sie nur drei Straßen weiter. Mein Vater hatte mir zuletzt vor drei Jahren zu Weihnachten geschrieben. Wir telefonierten unregelmäßig. Wenn wir es dann doch taten, kam er nach der Frage, wie es mir denn ginge, immer auf seine Kinder aus zweiter Ehe zu sprechen. Das war also auch keine Option. Fritzy und Leni, meine besten Freundinnen, wohnten noch in einer WG. Dort war kein Platz für mich, auch wenn die beiden das genaue Gegenteil behauptet hätten. Aber der Trubel, der dort herrschte, war so ziemlich das Letzte, was ich jetzt gebrauchen konnte.

Fieberhaft überlegte ich, wo ich die Nacht verbringen sollte. Schon bereute ich es, meinen Koffer gepackt und das Feld geräumt zu haben. Schließlich hätte auch Kai gehen können. Wir standen nämlich beide im Mietvertrag. Aber ich wollte mir nicht die Blöße geben und zurückgehen. Nicht zu dem Mann, der nicht mehr wusste, ob er mich und unsere gemeinsame Zukunft überhaupt noch wollte.

Was ich wollte, war, schnellstmöglich so weit von München wegzukommen, wie es nur ging. Nichts hielt mich mehr hier. Ich hatte weder einen Job noch eine Wohnung noch einen liebenden Mann, der auf mich wartete. Ich hatte nur einen Koffer voller Belanglosigkeiten und ein Herz, das so schwer war, dass ich das Gefühl hatte, daran zu zerbrechen.

Letztlich hatte ich die Nacht in einem Hotel verbracht und ging gleich am nächsten Morgen zum Bahnhof, um mit dem Zug an die Nordsee zu Opa Paul zu fahren.

Während ich weiter zum Fenster hinaussah, machte sich das schlechte Gewissen in mir breit. Viel zu lange hatte ich mich nicht mehr bei meinem Großvater gemeldet. Auch die letzte Reise nach Föhr lag eine Ewigkeit zurück. Ob er sich wohl freuen würde, mich zu sehen?

Oder wäre es besser gewesen, vorab Bescheid zu geben oder gleich woandershin zu gehen? Nur wohin? Mit meinen Halbgeschwistern hatte ich nichts am Hut. Das hatte mein Vater immer strikt voneinander getrennt, als wollte er nicht, dass wir was miteinander zu tun hatten. Viel mehr Verwandtschaft besaß ich nicht, zu der ich hätte flüchten können. Die Freunde aus meiner Schul- und Studienzeit waren bis auf Fritzy und Leni über den halben Erdball verstreut. Außerdem war die Freundschaft zu ihnen meist eher lose. Mit vielen hatte ich seit dem Ende des Studiums kein Wort mehr gewechselt. Ich war nicht besonders gut darin, Beziehungen aufrechtzuerhalten, die auf Distanz ausgelegt waren.

Opa Pauls altes Kapitänshaus in Nieblum auf Föhr war also der einzige Zufluchtsort, den ich ansteuern konnte. Ein Hotel konnte ich mir schlichtweg nicht leisten und auch eine Jugendherberge war auf Dauer zu teuer. Da ich im Moment nicht mal wusste, wie der nächste Tag aussah, konnte ich solche weitreichenden Entscheidungen nicht treffen. Und ich wollte es auch nicht.

Mein Leben stand gerade kopf. Alles hatte sich vom einen auf den anderen Tag verändert. Ich war mir nicht mal sicher, ob ich selbst noch die Alte war.

Mit rauschender Geschwindigkeit setzte der Zug seine Reise fort. In wenigen Minuten würde ich ein Ziel erreichen, das ich mir nicht selbst gesteckt hatte, sondern das aus meiner Notlage heraus geboren war.

Was Opa Paul wohl sagen würde, wenn er mich sah? Es stand nicht zu befürchten, dass er nicht da war. Mein Großvater hatte die Insel, auf der er geboren worden war, nicht sonderlich oft verlassen. Er war Insulaner durch und durch und liebte die friesische Gemütlichkeit und das Leben abseits jedweden Trubels.

Früher hatte er seinen Lebensunterhalt als Schreinermeister verdient. Es war nicht nötig gewesen, dass er Föhr den Rücken kehrte. Ganz im Gegenteil. Während ich bei ihm gewohnt hatte, waren seine Auftragsbücher stets so voll gewesen, dass er zeitweise gar nicht wusste, wie er alles abarbeiten sollte. Und auch als er sich bereits zur Ruhe gesetzt hatte, erledigte er die ein oder andere Auftragsarbeit nebenbei. Gute Nachbarn halfen sich schließlich untereinander. Und Föhr war so klein, dass alle Einwohner irgendwie Nachbarn waren. Zumindest diejenigen, deren Familien schon lange auf der Insel lebten und ein Teil der Gemeinschaft waren.

Das Smartphone in meiner Hand vibrierte. Erschrocken fuhr mein Blick auf das Display. Als ich sah, dass es weder meine Mutter noch Kai waren, die mich anriefen, nahm ich das Gespräch an.

»Hey, Leni«, begrüßte ich eine meiner ältesten Freundinnen.

Wir beide hatten uns an unserem ersten Tag auf dem Campus kennengelernt, als ich mit einem Stapel Bücher unterm Arm versucht hatte, den richtigen Hörsaal zu finden, und dabei an einer schweren Eichentür gescheitert war. Leni war die Einzige, die sich die Zeit genommen hatte, mir half, die zu Boden gefallenen Bücher aufzusammeln.

»Bist du schon im Zug?«

Leni und Fritzy wussten natürlich Bescheid über das Chaos, das gerade in meinem Leben herrschte. Wenn ich die beiden nicht hätte, wäre ich vermutlich noch verrückt geworden.

»Ja, ich bin gleich in Dagebüll. Von dort aus nehme ich dann die Fähre. Ich werde gegen neunzehn Uhr auf der Insel ankommen.«

»Hast du alles, was du brauchst? Wenn irgendwas sein sollte, melde dich. Hörst du? Ich kann jederzeit den nächsten Zug nehmen und zu dir kommen.«

Leni hatte im dritten Semester Psychologie alles hingeworfen und noch mal ganz von Neuem angefangen. Sie machte eine Ausbildung zur Konditorin und später sogar ihren Meister. Wenn man nach München reiste, kam man an Lenis Köstlichkeiten nur schwerlich vorbei. Ihr kleines Café unweit des Viktualienmarkts war eine der Locations, die in jedem Reiseführer standen. Meine Freundin hatte es auch ganz ohne Studium geschafft, erfolgreich zu sein. Und dabei war sie nach wie vor sehr bodenständig geblieben, lebte in einer WG und spendete einen Großteil ihrer Einnahmen an die Tafel.

»Das ist sehr lieb von dir, Leni. Aber ich weiß doch, wie viel du in deinem Café zu tun hast.«

»Alles nicht so wichtig. Außerdem habe ich mit Rico und Ronja die besten Aushilfen, die man sich nur wünschen kann. Die könnten den Laden auch ein paar Tage allein führen. Zumindest dann, wenn mein Papa in der Backstube zaubert.«

Wir waren uns beide im Klaren darüber, dass ihre studentischen Hilfskräfte nicht unbedingt so flexibel waren, wie Leni sie hinstellte. Außerdem war ihr Vater mehr als froh darüber, endlich sein Rentnerleben genießen zu können. Auch wenn er seiner Tochter nie etwas abschlagen würde. Doch ich wollte ihr nicht absprechen, alles tun zu wollen, um für mich da zu sein. Denn das war durch und durch ehrlich von ihr gemeint. Das wusste ich ganz genau.

»Opa Paul wird aus allen Wolken fallen, wenn ich plötzlich vor seiner Tür stehe«, gab ich zu bedenken.

»Dann weiß er gar nicht, dass du kommst?«

Ich schüttelte den Kopf, auch wenn ich mir der Tatsache bewusst war, dass Leni mich nicht sehen konnte.

»Es soll eine Überraschung sein.«

Das war nicht ganz die Wahrheit. Vielmehr lag es daran, dass ich mir nicht sicher war, wie er auf meinen Anruf reagiert hätte. Und das, obwohl er sich um mich gekümmert hatte, während meine Eltern vorzogen, ihr eigenes Leben zu leben.

»Wenn du Fritzy oder mich brauchst, melde dich. Egal, wo du bist. Fritzy lässt dich übrigens schön grüßen.«

Fritzy war Stewardess und wurde meist auf Langstreckenflügen eingesetzt. Mit ihren rabenschwarzen Haaren und den leuchtend blauen Augen war sie ein echter Hingucker. Kein Wunder, dass ihr bereits mehrere Scheiche, der ein oder andere Millionär und sogar ein namhafter amerikanischer Schauspieler auf einem ihrer Einsätze einen Antrag gemacht hatten. Leni und ich hatten sie in einem Club kennengelernt, als uns zwei Kerle zu sehr bedrängten. Sie hatte ein Machtwort gesprochen und dafür gesorgt, dass die beiden schneller verschwanden, als wir bis drei zählen konnten. Seither waren wir ein unschlagbares Dreiergespann, das viel Zeit miteinander verbrachte und jeden Kummer gemeinsam bekämpfte. Wir waren immer füreinander da gewesen. Ganz egal, mit welchen Schicksalsschlägen uns das Leben prüfte. Erst als ich Kai kennenlernte, trafen wir uns seltener. Aber Fritzy und Leni zeigten dafür Verständnis.

Dennoch bereute ich es nun, Kai das ein oder andere Mal ihnen vorgezogen zu haben. Wenn man bedachte, wie dieser Idiot mich hintergangen hatte und nicht mal den Mut gehabt hatte, vorher unsere Beziehung zu beenden … Das Schlimmste an der ganzen Situation war die Tatsache, dass er sich als das Opfer sah. Ihm wäre alles zu viel geworden. Er habe nicht gewusst, ob er das alles noch wollte. Hallo? Was war denn mit mir? Und wieso hatte er Trost bei anderen Frauen gesucht, anstatt mit mir darüber zu reden? Wir waren doch immer ein gutes Team gewesen.

»Sag Fritzy auch liebe Grüße. Sobald ich weiß, wie es weitergehen soll, melde ich mich.«

Das war ein wunder Punkt, und es kostete mich einiges an Überwindung, darüber nachzudenken. Schließlich wollte ich weder einen neuen Job noch ein neues Leben. Bis vor wenigen Tagen hatte ich geglaubt, es könnte nicht besser für mich laufen. Und nun war ich auf dem harten Boden der Realität angelangt, ohne zu wissen, wie ich von dort wieder wegkam.

Kapitel 3

Nachdem Leni und ich das Gespräch beendet hatten, war es auch schon an der Zeit, meine Sachen zusammenzupacken und mich auf den baldigen Ausstieg vorzubereiten. Mein Smartphone stopfte ich in die Tasche meines Frühlingsmantels.

Draußen schien die Sonne. Für Ende März war es bereits recht warm. Dennoch sollte es in den kommenden Tagen nicht wärmer als fünfzehn Grad werden. Zudem war auf der Insel Föhr mit starken Winden zu rechnen, die die gefühlte Temperatur noch viel niedriger erscheinen ließen.

Die Ansage eines Angestellten der Bahn dröhnte durch den Zug. Ich verstand nur die Hälfte, da sich die übrigen Reisenden aufgeregt unterhielten. Für die meisten von ihnen begann nun eine wunderschöne Urlaubszeit auf einer der angrenzenden Nordseeinseln. Nur ich würde in Niebüll in den Zug nach Dagebüll einsteigen und mich nicht auf eine ausgelassene Zeit auf meiner Heimatinsel freuen können.

Das erste Mal stiegen mir Tränen in die Augen. Es kostete mich einiges an Überwindung, sie hinunterzuschlucken und meinen Gefühlen keinen freien Lauf zu lassen. Nach und nach verinnerlichte ich, was diese Veränderungen bedeuteten.

Würde ich als Kulturwissenschaftlerin in München überhaupt einen anderen Job als an der Uni finden können? Was, wenn ich ein Stellenangebot in Hamburg fand? Ich kannte dort niemanden. Würde es mir gelingen, noch mal ganz von vorn zu beginnen? Und wollte ich das überhaupt?

Bei diesen Gedanken schnürte es mir zusehends die Kehle zu. Mechanisch griff ich nach meinem Koffer, schulterte den Rucksack und legte die Handtasche über die Schulter.

Die ausgelassene Stimmung in meinem Waggon übertrug sich leider nicht auf mich. Neben einer Familie mit zwei Kleinkindern waren vor allem Schüler der Mittelstufe an Bord, die offenbar ihre Klassenfahrt in Nordfriesland oder auf einer der angrenzenden Inseln der Nordsee verbringen wollten. Die Freude darüber, den kargen Schulräumen für eine gewisse Zeit entkommen zu sein, stand offen in ihren Gesichtern. Wer konnte es ihnen verdenken?

An der Haltestelle in Niebüll stiegen wir gemeinsam in den Zug in Richtung Dagebüll. Während die Reise mit dem Zug für die meisten der Gäste nicht schnell genug ein Ende nehmen konnte, wäre ich am liebsten umgekehrt und zurück nach München gefahren.

Seufzend ließ ich mich auf einen freien Sitz fallen, während der Zug anfuhr. Eine ältere Dame setzte sich neben mich und lächelte mich freundlich an.

»Sind Sie auch auf dem Weg nach Amrum?«, fragte sie verzückt.

Ich schüttelte den Kopf.

»Ich reise nach Föhr«, erklärte ich ihr und bemühte mich dabei um ein Lächeln.

Doch meine Mundwinkel wollten mir nicht recht gehorchen. Vielleicht waren sie sich jedoch auch dessen bewusst, dass diese Regung im krassen Widerspruch zu dem stand, wie es tief in mir aussah.

»Föhr«, erwiderte meine Sitznachbarin verträumt.

»Nach Föhr ging die Hochzeitsreise mit meinem Mann. Das war vor fünfundfünfzig Jahren. Eine halbe Ewigkeit ist das her. Und nun ist Dieter schon seit fünf Jahren tot. Gott hab ihn selig. Aber ich weiß, dass er immer bei mir ist.«

Bei diesen Worten griff sie nach dem Medaillon, das um ihren Hals baumelte, und hielt es ganz fest.

Es musste schön sein, auf ein langes glückliches gemeinsames Leben zurückblicken zu können. Worauf würde ich wohl zurückblicken, wenn ich mal so alt war wie sie? Würde es mir auch vergönnt sein, mich über meine Erinnerungen zu freuen? Oder würde ich verbittert auf das blicken, was hinter mir lag?

»Ich wollte Sie nicht bekümmern«, sagte sie plötzlich, und eine tiefen Furche stand auf ihrer Stirn, während sie mir ein Taschentuch reichte.

Erst als eine Träne an meinem Kinn abperlte, herunterfiel und den Stoff meiner hellen Hose dunkel färbte, wusste ich, was die alte Dame meinte.

»Es geht schon … Ich habe gerade nur keine besonders leichte Zeit. Es ist … Bestimmt wird es jetzt besser«, machte ich ihr und mir Mut.

Wobei ich mir nicht ganz sicher war, ob ich mit meinen Worten Recht behalten würde. Schließlich ließ mich nichts von alldem, was in den letzten Tagen passiert war, aufrichtig hoffen, die Zukunft würde gut werden.

»Dieter und ich hatten auch schwere Zeiten. Wir hatten nie das Glück, eigene Kinder zu bekommen. Seine Familie gab mir in all den Jahren die Schuld daran. Aber er hat immer zu mir gestanden und die anderen reden lassen. Wir haben uns aufrichtig geliebt und das alles um uns herum, so gut es eben ging, ausgeblendet. Das klappte mal besser, mal schlechter.«

Es war rührend von der Dame, mich mit ihrer Lebensgeschichte aufbauen zu wollen. Schließlich hatte sie keinen Grund dazu. Wir kannten uns nicht und unsere Wege würden sich schon in wenigen Minuten wieder trennen. Dennoch waren mir ihre Worte ein Trost. Es ging immer weiter.

Im Leben musste man sich ständig neuen Herausforderungen stellen. Kein Tag war wie der andere. Während man heute glaubte, alles im Griff zu haben, konnte schon morgen der Himmel über einem zusammenbrechen. Und so wie mir erging es tagtäglich unzähligen Menschen auf diesem Planeten.

»Der meiste Kummer, den man im Leben empfindet, ist nicht so groß, wie man ihn im ersten Moment wahrnimmt. Zeit ist gut, um Wunden heilen zu lassen oder einen besseren Blick darauf zu bekommen. Manchmal hilft es schon, sich mit anderen Dingen zu beschäftigen. Aber grundsätzlich sollte man immer bei sich bleiben. Egal, wie es da gerade aussieht. Sie sind es wert, dass Sie sich jetzt erst mal um sich kümmern. Was auch immer vorgefallen ist.«

Ich bedankte mich für ihre Worte, als der Zug in Dagebüll einfuhr. Es tat gut, von einer außenstehenden Person mit viel Lebenserfahrung aufgezeigt zu bekommen, dass man den Kopf nicht vorzeitig in den Sand stecken sollte.

Irgendwo hatte ich mal gelesen, dass alte Menschen die Stunden, Tage, Wochen, ja manchmal sogar Monate bereuten, in denen sie sich zu viele Sorgen gemacht haben. Sorgen um einen sicheren Job, gesunde Kinder, eine glückliche Ehe, den nächsten Sommerurlaub. Denn viele Sorgen davon waren unbegründet und viel kleiner als zunächst vermutet.

Doch ich machte mir keine Sorgen über Eventualitäten. Meine Katastrophen waren echt und mit den Händen greifbar. Auch wenn sie hier in Dagebüll von einer erfrischend salzigen Meeresbrise umweht wurden.

Während die übrigen Reisenden nicht schnell genug in Richtung Fährhafen aufbrechen konnten, entschied ich mich, den Strom an mir vorüberziehen zu lassen und langsam hinterher zu trotten.

Doch schon von Weitem waren die Schiffe der Wyker Dampfschiff-Reederei zu erkennen, die von Dagebüll aus die beiden Nordseeinseln Amrum und Föhr ansteuerten. Vom Schlüttsieler Fährhafen aus konnte man mit Schiffen der Reederei auch die Halligen anfahren.

Ohne darüber nachzudenken, atmete ich die frische Nordseeluft ganz fest in meine Lungen ein. Es tat gut, wieder hier zu sein. Es war viel zu lange her, seit ich das letzte Mal in meiner alten Heimat gewesen war.

Gleichzeitig machte sich in meinem Inneren eine gewisse Unruhe breit. Schließlich wusste niemand, dass ich schon in knapp einer Stunde auf Föhr ankommen würde. Ich schluckte bei dem Gedanken daran, wie Opa Paul mich ausdruckslos ansah und mich dann ins Haus bat. Er brauchte keine Worte dafür, um mir zu verstehen zu geben, dass er von mir und meinem Handeln enttäuscht war. Vielleicht freute er sich ja auch, dass Kai mich hintergangen hatte.

Doch damit tat ich ihm unrecht. Mein Großvater hatte sich nie über das Leid anderer Menschen gefreut. Er war einer von den Guten, half, wo er gebraucht wurde, und verlor über fast niemanden ein schlechtes Wort.

Nur seine Nachbarin Käthe, über die schimpfte er, wann immer sich die Gelegenheit dazu bot. Die beiden Zankhähne waren in all den Jahren kein bisschen klüger geworden. Kaum dass sie sich draußen sahen, fingen sie auch schon an zu streiten. Der Anlass dafür war meist nichtig. Dennoch fanden sie immer einen neuen Grund, kein gutes Haar am jeweils anderen zu lassen.

Auch wenn ich schon einige Jahre nicht mehr hier gewesen war, war ich mir sicher, dass sich daran nichts geändert hatte. Manche Menschen lernten es einfach nie. Auch wenn ich keinen blassen Schimmer hatte, was zwischen den beiden einst vorgefallen war – irgendeinen Grund musste es für ihr Verhalten geben, nur leider wollte sich mir dieser nicht erschließen und offenbar wusste auch sonst niemand darüber Bescheid.

Wie in Trance kaufte ich ein Ticket und ging als eine der Letzten auf die Fähre. Mein Magen rebellierte bei der Vorstellung. Dennoch ging ich Schritt für Schritt weiter. Als Kind und Jugendliche hatte ich Schiffsreisen nicht besonders gut vertragen, was so viel bedeutete, dass ich mich regelmäßig erbrechen musste. Das hatte in der Vergangenheit schon zu manch einer unschönen Szene geführt. Nachhaltig im Gedächtnis waren sie mir jedenfalls geblieben. Besonders die Peinlichkeit dahinter, auch wenn ich nichts dafürkonnte. Schließlich hatte ich es mir nicht ausgesucht, mich vor versammelter Mannschaft zu übergeben. Meist war das so schnell gekommen, dass ich keine Chance hatte, mich bis zur Reling oder auf die nächstgelegene Toilette durchzuschlagen.

Frischluft tat mir meist gut. Auch der Blick auf den Horizont wirkte oft Wunder. Also entschied ich mich, oben auf dem Aussichtsdeck Platz zu nehmen und mir eine ordentliche Brise um die Nase wehen zu lassen.

Das Schiff legte ab und fuhr in der vorgegebenen Fahrrinne los. Aufgrund der Tatsache, dass hier sowohl Ebbe als auch Flut vorherrschten, musste der Kapitän in einem abgesteckten Bereich fahren, um nicht Gefahr zu laufen, im Schlick stecken zu bleiben. Erst vor zwei Jahren war ein Fährschiff vor dem Dagebüller Hafen stecken geblieben. Die Passagiere hatten mehrere Stunden darauf ausharren müssen. Aber die Jungs und Mädels der Reederei wussten sicher, was zu tun war. Also würde ich mir darüber nicht auch noch Sorgen machen.

Nach knappen zehn Minuten auf dem Wasser war ich fast so weit zu glauben, dass ich die Fahrt gut überstehen würde. Doch meine Zuversicht war verfrüht. Schon wenige Augenblicke später spürte ich, wie mein Magen rebellierte. Das alles passierte so schnell, dass ich gerade noch aufstehen und den halben Weg zwischen Reling und meinem Sitzplatz zurücklegen konnte.

Dann erbrach ich mich mitten auf dem Aussichtsdeck auf die Schuhe eines Passagiers, der mir wie aus dem Nichts in den Weg gelaufen kam.

Panisch blickte ich auf das, was ich da angerichtet hatte, unfähig, dem Schuhträger ins Gesicht zu sehen. Wie peinlich!

»Entschuldigung, das tut mir schrecklich leid«, erklärte ich mit gesenktem Blick, während mir schon wieder schlecht wurde.

Bevor die Sneakers meines Gegenübers abermals in Mitleidenschaft gezogen werden konnten, eilte ich schnell weiter zur Reling. Nachdem auch der Rest meines Mageninhalts über Bord gegangen war, berührte mich jemand an der Schulter.

»Kann ich etwas für Sie tun? Brauchen Sie Hilfe?«

Dankbar zog ich das Taschentuch der alten Dame aus meiner Manteltasche und tupfte mir damit den Mund sauber. Dann wandte ich mich zu dem aufmerksamen Mitreisenden um, der sich um mein Wohl sorgte.

»Nein, danke. Es geht schon.«

Lächelnd sah ich ihn an, ehe mein Blick auf seine Schuhe fiel und ich verstand, wen ich da vor mir hatte. Der Mann, dem ich vor wenigen Sekunden auf die Schuhe gekotzt hatte, war nicht, wie ich erwartet hatte, zur Herrentoilette geeilt, um zu retten, was zu retten war, sondern hatte sich stattdessen bemüßigt gefühlt, nach mir zu sehen. Nun wurde mein schlechtes Gewissen noch eine Spur größer. Wenn das überhaupt noch möglich war.

»Sind Sie ganz sicher? Ich habe Reisetabletten dabei. Die könnte ich Ihnen schnell holen«, bot er mir an und machte dabei weder Anstalten, mir einen Vorwurf wegen der Schuhe zu machen noch mich in Ruhe zu lassen.

»Ganz sicher sogar. Es ist alles bestens. Das mit den Schuhen …«, hob ich an.

»Es sind nur Schuhe«, erwiderte er schulterzuckend.

»Ich würde dennoch gerne dafür aufkommen«, bot ich an.

Doch mein Gegenüber winkte ab.

»Die sind furchtbar alt. Ich hätte sie schon längst aussortieren und weggeben sollen.«

Verlegen strich ich mir eine Haarsträhne hinters Ohr.

»Soll ich sie vielleicht für Sie säubern?«

Diese Unterhaltung war so ziemlich das Unangenehmste, was ich in den letzten Tagen tun musste, und reihte sich ganz prima ein die Kette der vorangegangenen Pleiten, Pech und Pannen meines Lebens.

Lächelnd sah er mich an. Und mir blieb das erste Mal die Gelegenheit, ihn mir etwas genauer anzusehen. Der Mann war geringfügig älter als ich, aber nicht viel. Er hatte braune, leicht abstehende Haare, einen Dreitagebart und dunkle Augen. Außerdem waren Grübchen in seinen Wangen zu erkennen. Im Gegensatz zu mir trug er lediglich ein einfaches olivfarbenes Shirt. Seine Arme sahen durchtrainiert aus.

»Keine Sorge, das schaffe ich schon allein.«

Erst jetzt wurde ich mir bewusst, dass ich ihn anstarrte. Peinlich berührt wurde mir plötzlich so heiß, dass ich meinen Mantel am liebsten auf der Stelle ausgezogen hätte.

»Dann wünsche ich Ihnen noch eine gute Reise«, verabschiedete ich mich.

Mein Gegenüber lachte und deutete hinter mich.

»Wir werden in knapp zehn Minuten anlegen.«

Ich drehte mich um und musste feststellen, dass er recht hatte. Die Fahrt war viel schneller vorübergegangen, als ich es erwartet hätte. Schon erkannte ich den Anleger von Wyk und den Strand, der sich links daneben entlangzog.

Nichts schien sich seit meinem letzten Besuch auf der Insel verändert zu haben. Alles sah so aus wie immer.

Als ich meinen Blick von der Kulisse löste und mich wieder umwandte, war der Mann verschwunden. Suchend blickte ich mich nach ihm um, während der Kapitän eine Durchsage machte, dass wir unser Ziel gleich erreicht hätten.

Eilig ging ich hinüber zu meinem Platz und griff mir meinen Koffer, den Rucksack und die Umhängetasche.

Das Abenteuer konnte beginnen.

Kapitel 4

Einundzwanzig Bus-Stationen und eine knappe Stunde später war ich an meinem Ziel angekommen.

An der Haltestelle Tankstelle-Nieblum stieg ich aus und lief ein paar Meter die Kertelheinallee zurück, ehe ich in die Strandstraße einbog, in der Opa Pauls Kapitänshaus stand.

Dem Mann, dem ich meinen Mageninhalt auf die Schuhe erbrochen hatte, war ich zum Glück nicht mehr begegnet. Zwar ist Föhr nur die flächenmäßig fünftgrößte Insel Deutschlands, dennoch wagte ich zu hoffen, dass wir uns nicht wieder über den Weg laufen würden. Sollte es doch der Fall sein, stand außer Frage, dass mich irgendwo jemand im Universum auf dem Kieker hatte. Und das gewaltig.

Auf dem Weg zu Opas Haus kam ich an einigen Ferienhäusern und -wohnungen vorbei. In den Sommermonaten platzte der kleine Ort fast aus allen Nähten, während man in den Wintermonaten unter sich war.

Opa Paul hatte nie Feriengäste beherbergt, obwohl er durchaus Platz gehabt hätte. Als ich ihn einmal danach fragte, meinte er, das wäre nichts für ihn so mit fremden Leuten. Außerdem wollte er abends seine Ruhe haben und sich nicht mit irgendwelchen Gästen zusammensetzen und womöglich Wein trinken oder über sich und das Leben auf der Insel reden müssen.

Mein Großvater war ein Mensch, wie es ihn in meiner Generation nicht mehr zu geben schien. Er war seiner Meinung treu, eckte an und hatte damit überhaupt kein Problem. Ich mochte seine direkte Art und konnte gut damit umgehen. Und auch wenn ich das Gefühl hatte, dass er nicht überall auf offene Ohren stieß, wurde er dennoch von der Gemeinschaft gemocht und respektiert.

Mein Blick glitt hinüber zum Haus der alten Jensen. Zwar hatte Nieblum keine eigene Zeitung, aber sie war eine Institution, die immer über alles im Dorf Bescheid wusste. Egal, ob es sich dabei um Affären, Hochzeiten, Schwangerschaften oder Krankheitsfälle handelte, Frau Jensen war über alles bestens im Bilde.

Opa Paul mochte zwar keinen Klatsch und Tratsch, verstand sich aber trotzdem ausgezeichnet mit ihr, was mich schon früher das ein oder andere Mal verwundert hatte.

Stattdessen stänkerte er pausenlos gegen seine unmittelbare Nachbarin Käthe, die bloß aus ihrem Haus kommen musste, um seine Streitlust zu wecken. Ob die beiden Zankhähne mittlerweile besser miteinander auskamen? Im Alter stellte sich ja bekanntlich so was wie Weisheit ein. Ob das bei den beiden auch der Fall war, blieb fraglich. Aber ich wollte die Hoffnung nicht aufgeben.

Denn Käthe war in der Vergangenheit sehr nett zu mir gewesen. Sie war für mich da, wenn ich Hilfe brauchte oder nicht weiterwusste. Dummerweise hatte Opa Paul nicht mitbekommen dürfen, wenn ich zu ihr ging. Das hätte er mir nämlich verdammt krummgenommen. Loyalität war ihm wichtig.

Und noch während ich darüber nachdachte, wie meine Zeit auf Föhr meine Jugend geprägt hatte, stand ich plötzlich vor dem Haus, in dem ich viele Jahre gelebt hatte. Das weiße Gatter war gerade erst frisch gestrichen worden. Es leuchtete so hell, dass es mich regelrecht blendete. Links und rechts daneben umrahmte eine Mauer aus grauem Steinen das Grundstück, wie es für die Region typisch war.

Der Garten war überwuchert von Sträuchern und Büschen. Narzissen, Krokusse und Hyazinthen tauchten das üppige Grün in ein herrliches Farbenmeer. Opa Paul hatte sich gut um alles gekümmert. Ein Stein fiel mir bei diesem Anblick vom Herzen. Denn wenn er die Kraft besaß, sich um den Garten zu kümmern, dann musste er auch so gut zurechtkommen. Allein.

Die Fenster des weißen Backsteinhauses waren blau angemalt. Doch besonders auffällig war die hellblaue Tür, die leuchtend den Weg wies. Gedeckt war das alte Kapitänshaus mit Reet.

Einer unserer Vorfahren war wie die meisten Männer jener Zeit zur See gefahren und hatte Wale gejagt. Im Gegensatz zum glücklichen Matthias, der vor über dreihundert Jahren gelebt und dreihundertdreiundsiebzig Wale erlegt hatte, war mein Vorfahre Heinrich nicht ganz so erfolgreich gewesen. Zu einem der schönsten Häuser Nieblums hatte es dennoch gereicht.

1743 wurde es erbaut und sah nach wie vor zeitlos aus. Viele Menschen bauten heute ihre Häuser nach dem Vorbild der alten Kapitänshäuser, die durch all die Jahrhunderte nicht an Charme verloren hatten.

Die gedrungenen Decken im Inneren des Hauses wirkten heimelig. Das viele Holz roch herrlich erdverbunden. Die Atmosphäre eines so alten Hauses war unverkennbar und lud regelrecht dazu ein, länger zu bleiben, als man ursprünglich geplant hatte.

Doch eigentlich hatte ich nicht vorgehabt, jetzt hierherzukommen. Meine Pläne sahen anders aus. Föhr war auf der Agenda nirgends aufgetaucht.

Dass ich nun dennoch hier vor Opa Pauls Haus stand, hatte nichts mit der Sehnsucht zu tun gehabt, die ich verspürte, wenn ich an Föhr dachte.

Das Gartentor gab einen quietschenden Laut von sich, als ich die kalte eiserne Klinke hinunterdrückte, um durch den Garten zu gehen und es endlich hinter mich zu bringen. Mein Herz schlug so wild in meiner Brust, dass ich befürchtete, es könnte mir zwischen den Rippen hindurchfallen.

Mein Rollkoffer, den ich hinter mir herzog, schepperte über die Steinfliesen, die einen Pfad zum Haus schlugen. Rechts und links der Platten war der Natur der Raum überlassen worden.

Der Duft der Blüten und Blumen war unbeschreiblich. Dabei war es erst Ende März. Bienen waren emsig auf der Suche nach Nektar und wurden für ihren Mut belohnt. Hier herrschte das Paradies. Nicht nur für Insekten.

Es kostete mich ein wenig Mut, an die hellblaue Tür zu klopfen. Eine Klingel gab es nicht, hatte es nie gegeben. Aber das war nicht das Problem. Das Problem war vielmehr, dass ich mich seit viel zu langer Zeit nicht mehr bei meinem Großvater gemeldet hatte und nun – für ihn völlig unerwartet – vor seiner Tür stand.

Bilder aus meiner Jugend huschten vor mein geistiges Auge. In meiner rebellischen Pubertät hatte Opa Paul nicht selten all meinen Frust über meine Eltern abbekommen. Manchmal hatte ich ihn sogar dafür verantwortlich gemacht, dass die beiden sich getrennt hatten. Dabei lag es ganz sicher nicht an ihm. Sie waren einfach nicht füreinander bestimmt gewesen und hatten es lange nicht sehen wollen.

Seufzend wischte ich die Bilder beiseite und konzentrierte mich auf das Hier und Jetzt.

Als ich mich endlich dazu durchgerungen hatte, anzuklopfen, tat sich hinter der Tür nichts. Kein Laut war zu vernehmen, keine Schritte zu hören. Ob Opa Paul wohl unterwegs war?

Ich klopfte noch zwei weitere Male an. Diesmal länger und lauter. Aber auch auf diese Versuche hin kam niemand zur Tür, um sie zu öffnen. Es war doch hoffentlich nichts passiert? Was, wenn er gestürzt war und nicht allein wieder aufstehen konnte?

Mein Herz zog sich bei diesem Gedanken auf die Größe eines Sandkorns zusammen.

Früher hatte Opa Paul seine Tür nie abgesperrt. Ob das heute noch immer so war? Zunächst hatte ich meine Bedenken, es zu versuchen. Als ich abermals daran denken musste, dass es ihm womöglich nicht gut ging und er Hilfe benötigte, warf ich diese über Bord.

Mit einem »Opa Paul? Bist du daheim?« öffnete ich schließlich die Tür und sah mich zu allen Seiten hin um. Meinen Koffer ließ ich draußen stehen. Den brauchte ich auf meiner Suche nicht mitzuschleppen.

»Opa Paul?«, rief ich abermals, um auf mich aufmerksam zu machen.

Doch niemand antwortete mir.

Durch den schmalen Flur ging ich zunächst zur Küche. Dort war alles beim Alten. Das weiße Küchenbüfett thronte über der Einrichtung. Der Küchenblock mit Herd wirkte regelrecht mickrig dagegen. Die Eckbank mit dem Tisch und den drei Stühlen daran befand sich ebenfalls an Ort und Stelle. Nur Großvater fehlte, der zu dieser Uhrzeit gewöhnlich hier saß und seine Zeitung las. Aber was wusste ich schon noch über seine Gewohnheiten? Die hätten sich in der Zwischenzeit nämlich durchaus ändern können.