Deine Angst, meine Angst - Inke Hummel - E-Book

Deine Angst, meine Angst E-Book

Inke Hummel

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Beschreibung

Wenn Kinder aus Angst etwas nicht machen möchten, verzweifelt sind oder starke Gefühle wie Wut entwickeln, sind viele Eltern unsicher, wie sie ihrem Kind am besten helfen können. Hinzu kommt, dass Erwachsene oft selbst keinen guten Umgang mit eigenen Ängsten gelernt haben und sich als Mütter und Väter nun sorgen, negative Gefühle und Verhaltensmuster auf ihre Kinder zu übertragen. In ihrem neuen Ratgeber erklärt Inke Hummel, wodurch kindliche Ängste ausgelöst werden und welche Formen sie annehmen können. Von Trennungsangst und Angst vor Fremden über Angst vor Höhe oder Hunden bis hin zur Angst vor Bewertungen und Konflikten – die Autorin zeigt, wie Eltern und Kinder über Ängste ins Gespräch kommen und sie gemeinsam bewältigen können.

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Seitenzahl: 272

Veröffentlichungsjahr: 2024

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INHALT

So hilft dir dieses Buch

Eure Angst verstehen

Das musst du über eure Angst wissen

Eure Angst hat ganz schön viel Macht

Eure Angst kann euch aktiv oder passiv machen

Eure Angst ist gut und schlecht

Eure Angst entsteht im Kopf

Eure Angst wächst mit der Zeit

Eure Angst braucht Begleitung

Eure Angst ist individuell

Eure Angst maskiert sich

Das musst du über deine Angst wissen

Achte gut auf dich und deine Angst

Achte auf dein Erziehungsverhalten

Das musst du über den Umgang mit Angst wissen

Sinnvoller Umgang mit Angst

Geplanter, nicht sinnvoller Umgang mit Angst

Nicht geplanter, nicht sinnvoller Umgang mit Angst

Ihr könnt eure Angst bewältigen

Eure Angst bewältigen

So kontrolliert ihr eure Angst

Grundsätzlicher Umgang mit Angst

Mit deinem Kind über Angst sprechen

Gute Strategien gegen eure Angst

So geht ihr mit spezifischen Ängsten um

Angst vor Trennungen

Wenn Loslassen zu Hause Angst macht

Wenn die Nächte Angst machen

Wenn das Alleinsein in der Kita Angst macht

Wenn das Alleinsein in der Schule Angst macht

Angst vor Konflikten

Angst vor anderen Menschen

Wenn Fremde Angst machen

Wenn Geschwister Angst machen

Wenn kleinere Kinder Angst machen

Wenn große Gruppen Angst machen

Wenn Nähe und Berührungen Angst machen

Wenn Sprechen (vor anderen) Angst macht

Angst vor Bewertungen durch andere

Wenn Fehler und Prüfungen Angst machen

Wenn Publikum Angst macht

Angst vor Veränderungen

Wenn Verantwortung und Entscheidungen Angst machen

Angst um den Körper und die Gesundheit

Wenn Verletzungen, Krankheiten oder der Tod Angst machen

Wenn Schmutz Angst macht

Wenn Schmerzen Angst machen

Wenn Arztpraxen und Krankenhäuser Angst machen

Angst vor besonderen Orten und Situationen

Wenn große Plätze Angst machen

Wenn große Enge Angst macht

Wenn eine gruselige Atmosphäre und Dunkelheit Angst machen

Wenn Spielplätze und fremde Umgebungen Angst machen

Angst vor Höhe

Angst vor Wasser

Angst vor Lautstärke

Angst vor dem Essen

Angst vor Medieninhalten und Fantasiegestalten

Wenn Bücher Angst machen

Wenn Filme und Hörspiele Angst machen

Wenn Spiele und Spielsachen Angst machen

Angst vor Einbrechern und Diebstahl

Angst vor Tieren

Wenn Spinnen Angst machen

Wenn Hunde Angst machen

Angst vor spitzen und scharfen Gegenständen

So geht ihr mit Angst in besonderen Krisen um

Angst vor Krisen in der Welt

Wenn Nachrichten Angst machen

Angst vor Krisen zu Hause

Wenn große Veränderungen Angst machen

Wenn die finanzielle Situation Angst macht

Wenn elterliche Erkrankungen Angst machen

Du kannst das!

Weiterführende Literatur

SO HILFT DIR DIESES BUCH

Du weißt manchmal nicht, wie du deinem Kind richtig helfen kannst, wenn es vor lauter Angst stark reagiert, etwas nicht tun möchte und verzweifelt ist? Und du selbst kennst solche überbordenden Angstgefühle auch sehr gut und sorgst dich, ob deine Angst die deines Kindes womöglich noch verstärken könnte?

In beiden Fällen hilft dir dieser Ratgeber. Ich zeige dir, was Angst eigentlich ist, was sie auslösen kann und wo sie überhaupt herkommt. Du wirst verstehen können, wie du sinnvoll mit Angst umgehst, was dein ängstliches Kind von dir braucht und wie ihr verschiedene spezifische Ängste nach und nach angehen könnt.

Die Tipps zu den einzelnen Ängsten kannst du auch jeweils einzeln nachlesen – je nachdem, was bei euch gerade Thema ist. Mein „6-Schritte-Plan gegen eure Angst“ (Seite 94/95) wird dich bei all dem unterstützen.

All diese Tipps helfen euch beiden: dir und deinem Kind. Denn Ängste kommen in jedem Alter vor und viele Erwachsene haben den Umgang mit Angst nicht gut gelernt. Zusammen mit deinem Kind hast du die Chance, das nachzuholen.

Folgende Symbole erleichtern dir die Orientierung im Ratgeber:

Konkrete Tipps für den Alltag mit deinem Kind

Erklärungen wichtiger Begriffe

Reflexionsfragen zu deiner eigenen Angst

Detektivfragen zur Angst deines Kindes

Buchtipps, um Themen zu vertiefen

So kannst du deine Angst in den Griff bekommen und dein Kind auch wirklich gut begleiten.

Eure ANGST Verstehen

DAS MUSST DU ÜBER EURE ANGST WISSEN

Ein guter Umgang mit Gefühlen ist keinem Menschen in die Wiege gelegt. Alle müssen ihn lernen. Bei Gefühlen, die als negativ gelten, wird das gern verhindert. Kinder sollen solche Gefühle lieber unterdrücken: „Du musst keine Angst haben.“ „Hör auf damit, deine Wut herauszubrüllen.“ „Neid ist hässlich.“Leider schaden solche Ansichten der kindlichen Entwicklung sehr. Gerade Angst kann und soll man nicht wegreden. Sie muss verstanden und bewältigt werden, damit das Leben leicht sein kann.

Vielleicht hast du das als Kind auch so erfahren? Und vielleicht tust du dich jetzt deshalb manchmal schwer mit deiner Angst und auch damit, dein ängstliches Kind gut zu begleiten? Daran kannst du leicht etwas ändern.

In meinen Familienberatungen erlebe ich viele Eltern und Kinder, für die Ängste ein großes Problem darstellen. Wenn es bei dir auch so ist, bist du damit nicht allein. Die Eltern in den Beratungen sind unsicher, wie sie mit ihrem Kind an seiner Angst arbeiten können, denn oft haben sie den Umgang damit selbst nicht gut gelernt. Häufig vermeiden Eltern dann einfach, dass ihr Kind dem Angstauslöser begegnet, doch dieser vermeintliche Schutz lässt das bedrückende Gefühl noch größer werden. Nicht selten besteht die Herausforderung darin, dass auch die Eltern selbst sehr ängstlich sind und sich deshalb schwertun, ihr Kind sinnvoll mit seinen Ängsten zu konfrontieren.

Um der Angst den richtigen Platz in eurem Leben zu geben, ist es zunächst wichtig, dass ihr euch nicht für eure Ängste schämt. Nimm die Angstgefühle deines Kindes und auch deine ernst. Sie sind da. Sie dürfen da sein. Angst ist nichts Peinliches, über das ihr schweigen müsst. Aus dieser Ecke müssen wir Angst auch gesellschaftlich endlich herausholen. Sie gehört zum Leben dazu, und ein guter Umgang mit Angst muss genauso erlernt werden wie ein guter Umgang mit Geld, der eigenen Gesundheit oder anderen Selbstverständlichkeiten. Wenn du das zu Hause angehst, kann das Leben für dich und dein Kind leichter werden.

Eure Angst hat ganz schön viel Macht

Gesellschaftlich tut sich noch eine andere Problematik auf: „Du Angsthase!“ „Stell dich nicht so an.“ „Das ist aber jetzt wirklich ein Getue!“ – Wir sind schnell dabei, ängstlichen Menschen, gerade Kindern, zu unterstellen, sie hätten eine Wahl. Aber sie können die Angst nicht einfach sein lassen. Niemand kann das mit einem Fingerschnipsen. Du weißt das sicher sehr gut: Die Angst kommt und macht sich breit, wie sie will. Ein einfaches „Ich hab jetzt keine Angst!“ in deinem Kopf hat gar keine Wirkung. Auch in Kinderbüchern wird das oft viel zu simpel dargestellt. Ein neuer, guter Umgang mit Angst braucht Zeit und clevere Strategien. Und Eltern wie dich, die sich trauen, das anzugehen.

Zu schnell werden gerade Kinder für ihre Gefühle beschämt. Doch niemand kann sich seine Gefühle aussuchen. Nur den Umgang mit ihnen können alle Menschen lernen und verändern, am besten schon im Kindesalter. Dein Kind kann jetzt von dir gut begleitet Entscheidendes lernen.

Sowohl deinem Kind als auch dir tut es nicht gut, die Angst einfach wegzuschieben. Und meist geht das auch gar nicht wirklich, denn die Emotion Angst ist so intensiv:

•Im Körper: Körperliche Reaktionen bei Angst kennst du sicher auch. Du zitterst vielleicht, atmest hektischer, spürst eine Unruhe in den Händen oder Beinen, reißt aufmerksam die Augen auf, bekommst möglicherweise Bauchschmerzen oder den Eindruck, dein Hals würde zuschwellen.

•Im Kopf: Die Angst kann alles andere beiseiteschieben. Sie ist unglaublich einnehmend und gibt dir das Gefühl, klein und hilflos zu sein.

•Im Verhalten: Du handelst aus Angst oft impulsiv und unüberlegt.

Ja, Angst bedeutet erst einmal eine starke Unsicherheit und Ohnmacht. Sie ist bei dir und bei deinem Kind im Körper zu spüren, bohrt sich in eure Gedanken und bestimmt damit schlussendlich euer Verhalten. Dieser Ablauf kann ein Ritual werden, das schwer zu durchbrechen ist.

Manchmal schleicht die Angst sich sogar in die Träume: Albträume sind bei Stress keine Seltenheit. Dein Kind wird sich gut erinnern, vielleicht nicht an jedes Geschehen, aber doch an die begleitenden Gefühle. Sein Kopf verarbeitet so Stress und Ängste. Das ist nicht schön, aber erstmal kein Drama, es sei denn, die Albträume bleiben über Monate. Dann wäre das ein Thema für ärztliche und therapeutische Hilfe.

Kennst du das auch? Du steckst bei Angst in einer gewohnten Ohnmacht fest: „Ich kann nichts tun. Die Angst hat alle Macht. Ich schaffe das nicht.“ Deinem Kind kann es genauso gehen. Darum ist der typische Satz „Du musst doch wirklich keine Angst haben“ so unsinnig, denn erstmal hat niemand eine Wahl. Nimm dich und dein Kind in dem Gefühl ernst! Angst taucht auf, so wie sie will. Wir haben alle keine Wahl, was wir fühlen.

Aber weder du noch dein Kind müsst euch der Angst ohnmächtig ausliefern. Ihr dürft die Angst anpacken und aufhören, ihr Opfer zu sein. Ihr könnt Gewohnheiten verändern und nachhaltige Regulation der Gefühle üben, also die Angst in den Griff bekommen. Ihr habt eine Wahl, wie ihr mit den Gefühlen umgeht, wenn ihr das gut gelernt habt.

Regulation

Der Begriff „Regulation“ wird dir an verschiedenen Stellen im Buch begegnen, aber ist dir vielleicht noch nicht so geläufig. Regulation in Bezug auf Angst meint bewusste Steuerung und Bewältigung der herausfordernden Gefühle. Damit Regulation sinnvoll ist, braucht sie folgenden Ablauf:

• Angst erkennen

• sich beruhigen

• bewusst und gezielt sinnvoll handeln

Kinder benötigen dafür anfangs elterliche Hilfe und sollen nach und nach (etwa im Grundschulalter) dahin kommen, dass sie die Regulation allein schaffen.

Angstgefühle und auch -gedanken sind normal. Aber deren Bewertung und die Reaktionen darauf dürfen nicht ausufern und das Leben einschränken, sodass du beispielsweise das Haus nicht mehr verlassen magst oder dein Kind bei jeder Begegnung mit einem Hund kaum noch Luft bekommt. Ihr könnt lernen, mit Angst bewältigungsstark umzugehen. Das bedeutet, das Gefühl wird wirklich angegangen und verarbeitet, nicht einfach weggeschoben. Dein Kind kann lernen, Angst sinnvoll und selbstständig anzupacken. Das braucht Sicherheit, Berechenbarkeit und Aktivität.

Sicherheit und Berechenbarkeit oder auch Zuverlässigkeit sowie Aktivität sind hier ganz wichtige Begriffe. Sie stehen eurer Angst gegenüber und beschreiben, was dein Kind von dir braucht, um bindungssicher und bewältigungsstark groß werden zu können:

• Erlebt dein Kind dich als sichernden, zuverlässigen Elternteil, kann Bindungssicherheit entstehen. Bindungssicherheit und Urvertrauen stärken dein Kind so sehr, dass es sich mit größter Wahrscheinlichkeit geistig, emotional und sozial gesund entwickelt.

• Bindungssicherheit und Urvertrauen entstehen auch, wenn du ein sensibles Gespür dafür hast, wann dein Kind Nähe und Begleitung benötigt und wann du es loslassen und anstupsen solltest, damit es allein Entwicklungsschritte meistern kann.

• Ein zugewandtes, feinfühliges Elternhaus und Bindungssicherheit können nicht verhindern, dass große Ängste entstehen. Aber du bietest deinem Kind so den besten Rahmen dafür, dass seine Ängste kleiner werden.

Mit diesem Buch wirst du lernen, wie du dein Kind im Umgang mit seiner Angst bindungssichernd und bewältigungsstark begleiten kannst. Dazu gehört, dass du mit deiner eigenen Angst neu umzugehen lernst, aber auch, dass du dein Kind wirklich nachhaltig dabei begleitest, irgendwann selbstständig mit seiner Angst zurechtzukommen. Denn du wirst nicht immer da sein, wenn es Angst hat. Es muss sich irgendwann selbst helfen können.

Du kannst den ersten Schritt in eine neue, aktivere Richtung machen, indem du anders über dein Kind sprichst: Statt „Mein Kind hat Angst“, formuliere, was es braucht:

•„Mein Kind braucht Sicherheit.“

•„Mein Kind braucht Ideen.“

•„Mein Kind braucht Unterstützung.“

•„Mein Kind braucht Beruhigungshilfe.“

•„Mein Kind braucht ein Machtgefühl.“

Dieser Blickwechsel hilft den Familien in meiner Beratung oft schon sehr.

Eure Angst kann euch aktiv oder passiv machen

Alle Gefühle – von Freude bis Traurigkeit – lösen in jedem Menschen etwas aus: nämlich ein Handeln oder ein Nichthandeln. Aktivität oder Passivität. Auch bei Angst ist das so. Jeder und jede geht irgendwie mit ihr um, aber nicht unbedingt bewältigungsstark und sinnvoll.

Und was ist mit deiner Angst?

Schau mal auf dich: Vielleicht kommst du schnell aus der Ohnmacht heraus und handelst, sobald du Angst spürst. Dann wirst du aktiv, schreist auf, läufst weg, flüchtest, bringst dich in Sicherheit oder schaffst es sogar, anzugreifen und den Angstauslöser zu bezwingen. Manche dieser Handlungen sind erst einmal hilfreich, denn du fühlst dich dann besser. Andere helfen aber nur in dem Moment und eher nicht besonders nachhaltig. Denn wenn der Angstauslöser wieder auftaucht und dich erneut in ein Ohnmachtsgefühl und zu starken körperlichen Reaktionen bringt, bleibst du der Angst unterlegen. Sie kann dich immer wieder übermannen.

Dann warst du zwar aktiv, aber hast nicht nachhaltig sinnvoll gehandelt; zum Beispiel, wenn du einfach weggelaufen bist. Im Hinblick auf Regulation fehlten dann die Beruhigung und das gezielte, sinnvolle Handeln. Du bist nur davongerannt. Du hast dich nicht frei entschieden, die Angst zu bewältigen. Das Angstgefühl bestimmt immer noch über dich.

Vielleicht handelst du oft auch gar nicht, wenn sich ein Angstgefühl breitmacht, sondern erstarrst und lässt die Ohnmacht so richtig zu. Solch eine Passivität kann sich dann ausweiten. Beispielsweise bleibst du mit großer Angst vor Hunden dann nicht nur nervös stehen, wenn in der Ferne ein Dobermann zu sehen ist, sondern vermeidest zukünftig sogar jeglichen Fußweg durch den Park mit der Hundewiese. Dein Leben kann sich durch solch eine Vermeidungshaltung nachhaltig verändern. Möglicherweise würdest du wichtige Bedürfnisse unterdrücken, um der Angst auszuweichen: deine Freundin nicht mehr besuchen, weil sie an der Hundewiese wohnt, oder nicht zur Toilette gehen, wenn du eigentlich musst, weil ein Hund im Restaurant vor der Tür sitzt. Du könntest nicht mehr frei entscheiden – das macht die Angst für dich. Regulation findet gar nicht richtig statt.

Wie nimmst du dich wahr, wenn die Angst in dir aufkommt?

Kannst du mit Angst sinnvoll umgehen?

Wirst du gut aktiv?

Kannst du dich regulieren?

Bewältigst du die Angstmomente wirklich?

Es ist wichtig, dass wir Angstgefühle nicht kleinreden oder ignorieren. In unserer Gesellschaft geht es aber Kindern wie Erwachsenen so, dass sie schnell als „Angsthasen“ verlacht und nicht für voll genommen werden. Wer Schwächen zeigt, bekommt weniger Platz im Leben. Folgendem Gesprächsverlauf begegnen wir deshalb leider allzu oft: „Du hast Angst?“ „Du bist krank?“ „Du hast Depressionen?“ – „Stell dich doch bitte einfach nicht so an. Das stört uns!“

Wenn jedoch jeder und jede so über seine oder ihre Ängste sprechen würde, wie über das, was ihn oder sie erfreut, wären wir im Umgang mit diesem Gefühl schon sehr viel weiter. Leider kann es zurzeit aber noch leicht passieren, dass auch du als erwachsene Person noch Lernbedarf hast und dich mit deinen Ängsten hier und da falsch und nicht gesehen fühlst. Das ist nicht einfach deine Schuld. Denn vielfach fehlen Rituale und ein starker Umgang mit Angst. Möglicherweise konntest du ihn daher bislang nicht gut lernen.

Viele Erwachsene haben hier noch einen ähnlichen Lernbedarf wie ihr Kind. Sie schauen sich ihre Angst nicht an und üben keinen sinnvollen Umgang mit dem Gefühl, sondern versuchen, irgendwie zurechtzukommen. Oft eher schlecht als recht. Sollte das bei dir auch so sein, schäme dich nicht dafür. Angst ist mächtig. Niemand kann sie sofort ganz locker händeln. Aber du darfst sie näher kennenlernen und sie schwächer werden lassen. Dafür sind in diesem Ratgeber besonders die Reflexionsfragen mit dem Spiegelsymbol gedacht.

Du hast mit diesem Buch die Chance, gemeinsam mit deinem ängstlichen Kind ein neues Kapitel aufzuschlagen, sogar, wenn nicht nur dein Kind ängstlich ist, sondern auch du Angst stark spürst: Lasst die Angst in eurem Leben zu einer Begleiterin werden, aber nicht mehr zur Bestimmerin. Egal, welche Art von Angst dich oder dein Kind umtreibt.

Eure Angst ist gut und schlecht

Ja, du hast richtig gelesen: Eure Angst soll nicht gänzlich aus eurem Leben verschwinden. Das wäre kein gutes Versprechen und kein kluges Ziel. „Ich will, dass sie weggeht“ ist ein verständlicher Wunsch, aber ohne Angst geht es nicht. Stell dir einen Menschen vor, der ohne jedes Angstgefühl an Steilwänden klettern, Straßen überqueren, Kreditverträge unterzeichnen oder sich anderen Menschen anvertrauen würde. Ja, diese Person hätte es vielleicht zunächst mal sehr leicht, aber sie würde auch sehr gefährlich leben. Manchmal sind kleine Kinder genauso, nämlich nahezu angstfrei. Sie trauen sich auf die hohe Rutsche und in das tiefe Wasser, aber sie sind wahrscheinlich auch unaufmerksamer und gefährdeter als andere.

Darum sind sowohl die Angst deines Kindes als auch deine eigentlich willkommen. Fremdes, Neues, Ungewohntes und Riskantes solltet ihr natürlich aufmerksam beobachten, bevor ihr handelt. Angst gehört zum Leben dazu. Sie kann euch wachsam machen und vor Gefahren schützen. Es kommt darauf an, wie groß du und dein Kind sie werden lasst, wie gut ihr sie verstehen lernt und wie stark ihr mit der Angst umgehen könnt.

Wenn ihr besonders ängstliche Menschen seid, fühlt euch damit nicht verkehrt. Fast jede Eigenschaft hat auch ihre guten Seiten. Ich möchte das nochmal betonen: Angst ist überlebenswichtig. Sensibilität im Umgang mit der Welt ist hilfreich und sinnvoll. Das darfst du auch zu deinem Kind sagen. Das ist das Gute an der Angst.

Das Gute an der Angst

Wenn du mit deinem Kind über Angst sprichst, sprecht auch darüber, wann sie gut ist. Wann warnt sie, wann schützt sie, wann macht sie euch auf gute Art vorsichtig und abwartend? So wird dein Kind Angst nicht gänzlich ablehnen, sondern kann verstehen, dass sie in gesundem Maße hilfreich ist.

Angst kann sogar Spaß machen, besonders wenn man sie gemeinsam und sicher erlebt: Gruselgeschichten, Abenteuer im Wald, Spannung in Detektivstorys, Nervenkitzel beim Karussellfahren. Überleg mit deinem Kind, welche aufregende Dinge es ausprobieren möchte, und wagt es gemeinsam. Selbst wenn dann seine Angst in anderen Situationen, zum Beispiel vor Hunden oder vor Arztbesuchen, immer noch da ist, kann es sich in solchen Momenten schon mal als mutig und beharrlich erleben.

Das Schlechte an der Angst ist, dass sie zu groß werden kann. Größer und mächtiger als du oder dein Kind. Dass die Vorsicht euch einschränkt, das Übertreiben euch belastet. Angst ist dann schlecht, wenn sie das Leben bestimmt.

Doch du und dein Kind könnt Experten und Expertinnen für Angstgefühle werden. Denn Angst kann man auch als Superkraft sehen: Ängstliche Menschen, die ihre Angst kennen und sinnvoll mit ihr umgehen können, sind vorsichtig, vorausschauend, oft gut vorbereitet und eher gut geschützt. Sie sind aktiv und fühlen sich selbstbestimmt und selbstwirksam.

Und was ist mit deiner Angst?

Indem ihr das Thema gemeinsam angeht und bewältigt, kann auch bei euch zu Hause Angst zu einer Superkraft werden. Und die Zeit, in der ihr sie anschaut, bearbeitet und den Umgang mit ihr verbessert, kann eure Nähe stärken und eure Bindung sichern. Das gilt besonders, wenn deine Angst als Elternteil kein zusätzlicher Belastungsfaktor für dein ohnehin ängstliches Kind wird.

Das ist der Weg, der vor euch liegt, wenn du und dein Kind einen sinnvollen Umgang mit der Angst erreichen möchtet: Ihr müsst die Angst erkennen und benennen, ihre Auslöser verstehen und sie am Ende gemeinsam bewältigen.

Denk dran: Macht Angst zur Begleiterin, nicht zur Bestimmerin. Ich nehme euch mit auf einen guten Weg im Umgang mit der Angst.

Angst und Geschlecht

Interessant ist für dich vielleicht noch, wie sich Ängste auf die Geschlechter verteilen. Mädchen und Frauen haben etwas häufiger mit Ängsten zu kämpfen als Jungen und Männer. Man kann davon ausgehen, dass in vielen Gesellschaften häufig Erfahrungen mitursächlich dafür sind, bei denen sie sich hilflos und unsicher gefühlt haben. Aber auch von Geburt an ist die Ausgangslage für weibliche Personen schlechter, beispielsweise durch weniger angriffslustig und kämpferisch stimmendes Testosteron im Körper.

Im sozialen Bereich, also bei Ängsten rund um Kommunikation und Interaktion mit anderen Menschen oder in Bezug auf die Bewertungen durch sie, ist kaum ein Unterschied zwischen den Geschlechtern festzustellen. Das kommt bei allen Personen gleich oft vor. Angst ist geschlechtsneutral und kann jeden betreffen!

Solltest du oder dein Kind hier bestimmten Klischees begegnen, wehrt euch dagegen.

Eure Angst entsteht im Kopf

Nun kennst du schon einige Fakten zu eurer Angst, aber ich gebe dir noch einige weitere an die Hand. Denn Wissen ist der erste Schritt, damit ihr euch trotz Angst wieder mächtig fühlen könnt: „Ich kenne mich aus!“

Weißt du, wie Angst überhaupt entsteht und was der Unterschied zwischen Ängstlichkeit, Angst und einer Angststörung ist?

Gesunde Ängstlichkeit

Bei allen Menschen wird im Kopf bewertet, ob eine Situation bedrohlich ist. Auch ihr macht das so. Ohne dass du viel nachdenken musst, bringt dich dein Gehirn beispielsweise bei einem Brand dazu, wegzulaufen oder den Feuerlöscher zu holen. Auch dein Kind würde sicher wegrennen. Solche prompten Reaktionen sind unter derartigen Umständen lebenswichtig.

Übermäßige Angst

Wenn jemand aber zum Beispiel schlechte Erfahrungen gemacht hat und immer sehr auf der Hut ist, kann sein Kopf übertrieben heftig reagieren: Dann zeigt sich Angst möglicherweise schon bei einem kleinen Qualm vehement, nicht erst bei einem Feuer, bei jeder Menschenmenge, nicht nur bei einer aggressiven, oder beim netten Hund der Nachbarin, der niemals beißen würde. Die Emotion Angst wird dann nicht sinnvoll gesteuert. Das Gehirn reagiert übertrieben.

Wenn Letzteres bei dir und deinem Kind der Fall ist, ist das Buch genau das Richtige für euch.

Bei der Entstehung von Angst wirkt vieles mit, vor allem auch die Gedanken. Das ist einerseits gut, denn je älter und reifer wir werden, desto besser lässt sich mit dem Kopf gegen Angst anarbeiten: „Ich bin nur im Keller. Hier ist niemand. Ich bin sicher. Die Situation ist berechenbar.“ Aber andererseits ist auch gerade das oft das Problem, denn erst ein Kind mit ausgereifterem Denken kann sich ausmalen, dass da jemand im Keller sein könnte, und erinnert sich vielleicht an den Einbruch im Keller der Nachbarn. So können auch in deinem Kind Gedankenschleifen starten, die kaum zu unterbrechen sind. Und damit schränken sie das Leben ein. Aber: An eurem Denken könnt ihr arbeiten, Befürchtungen könnt ihr kleiner werden lassen. Weder du noch dein Kind seid den Gedanken einfach ausgeliefert.

Durch die Beteiligung des Denkens kann nicht nur etwas von außen, wie ein Brand oder ein gefährlicher Hund, akute Angst auslösen. Euer Denken kann auch die sogenannte Erwartungsangst verursachen, die euch schon Angstsymptome macht, bevor etwas überhaupt passiert ist (und vielleicht nie geschehen wird). Allein eure Vorstellungskraft reicht dafür aus. Das ist die Angst vor der Angst, und sie ist besonders schwierig. Denn Angst braucht einen ruhigen und klugen Kopf! Besonders mit Erwartungsangst müsst ihr euch also intensiv beschäftigen, sonst bleiben die Gedanken und Gefühle groß und mächtig.

Ungesunde Angststörung

Dass ihr Ängstlichkeit im Leben braucht, hast du schon gesehen, und dass übermäßige Angst Bearbeitung braucht, aber auch gut zu Hause bearbeitet werden kann, auch. Doch manchmal weitet Angst sich so weit aus, dass sie einen Krankheitswert bekommt. Dann liegt eine Angststörung vor, die in ärztliche Hände gehört. Du erkennst das daran, dass du deine Angst gar nicht mehr alleine händeln kannst – oder dein Kind die seine. Euer Leben ist dann extrem belastet und der Alltag eingeschränkt. Möglicherweise werden die Bereiche, in denen die Angst zu spüren ist und dich oder dein Kind beeinträchtigt, auch immer umfassender. Dann ist externe Hilfe notwendig.

Mehr dazu erfährst du in verschiedenen Passagen des Buches und besonders im Kapitel „Nicht geplanter, nicht sinnvoller Umgang mit Angst“ ab Seite 58.

Eure Angst wächst mit der Zeit

Wie zeigt sich Angst nun konkret bei Kindern? Und wie ist dieses Gefühl wohl bislang bei deinem Kind abgelaufen?

Zum allerersten Mal „baden“ Säuglinge bei der Geburt im Angstgefühl: Der Wechsel aus dem geschützten Bauch in die Welt außerhalb des Mutterleibs sorgt für Stress und Unwohlsein vergleichbar mit anderen Ängsten. Konntest du dich (oder jemand anders sich) damals fürsorglich um dein Kind kümmern, konnte dieses Gefühl aber rasch eingedämmt werden. Du oder eine andere Bezugsperson hat deinem Kind so erstmals bei der Regulation geholfen.

Erste intensive Angst können Babys dann nach den ersten Lebenswochen empfinden. Besonders unerwartete, ungewohnte Reize lösen sie aus. Erinnerst du dich an solche Momente mit deinem Kind? Das können plötzliche Lautstärke oder ungewohnte Gesichter gewesen sein. Auch das Gefühl, allein oder in Gefahr zu sein, wenn sich Hunger oder Müdigkeit melden, kann dein Kind damals geängstigt haben. Dahinter steckte immer das Gefühl „Ich bin nicht sicher!“

Die erste länger anhaltende, aber normale Angst ist dann das „Fremdeln“ etwa im Alter von 4 bis 8 Monaten. Jedes Baby kennt seine liebste Bezugsperson dann bewusst und merkt vor allem, wenn sie nicht da ist oder eine fremde Person Kontakt zu ihm aufnehmen will. Vielleicht war das bei deinem Kind kaum zu merken, vielleicht auch sehr intensiv. Fremdeln ist von Kind zu Kind unterschiedlich stark ausgeprägt. Dazu erfährst du mehr im Kapitel „Angst vor Trennungen“ ab Seite 119.

Je älter dein Kind wird, desto mehr Bereiche können hinzukommen, in denen es sich ängstlich zeigen kann: Angst um die körperliche Unversehrtheit, Angst vor unangenehmen Gefühlen, Angst vor Ungewohntem, Angst vor Unverständlichem, Angst vor Strafe, Angst vor fehlender Autonomie – die Angstfelder werden vielfältiger. Denn sein Kopf kennt mehr und seine Lebenswelt wird größer. Sicher kennst du das von deinem Kind, da du dich für dieses Buch entschieden hast.

Eure Angst braucht Begleitung

Du hast schon erfahren, dass Angst gut und sinnvoll sein kann, um aufmerksam durchs Leben zu kommen. Eigentlich ist der Mensch dazu imstande, aufkeimende Angstgefühle genauso rasch wieder abzubauen, wie sie entstanden sind: erkennen, sich beruhigen, sinnvoll handeln. Doch kleine Kinder brauchen dafür noch elterliche Unterstützung, unabhängig davon, wie ängstlich sie sind und welche Erfahrungen sie schon gemacht haben. Viele Gefühle sind im Vorschulalter gut allein regulierbar, aber bei Angst dauert das oft etwas länger. Und bei Kindern, denen eine hohe Ängstlichkeit angeboren ist, dauert das nochmal länger.

Die Angst deines Kindes braucht also auch in eurer Familie einen guten Rahmen, damit dein Kind in den selbstständigen Umgang damit kommen kann. Diesen Rahmen kannst du als kluge, hilfreiche Begleitung bieten. Dann kann Angst gute Dienste leisten: Sie warnt, lässt schnell reagieren, aber schränkt nicht ein.

Selbstregulation

Auf diesem Weg nimmt mein Buch dich oder euch an die Hand. Du erkennst, beruhigst und begleitest:

• Im Kleinkindalter zeigt dein Kind dir seine Hilfsbedürftigkeit und du musst aktiv werden. Es braucht Fremdregulation.

• Im Vorschulalter zeigt es dir seine Not immer noch und sucht deine Unterstützung, aber du solltest es mehr und mehr anleiten, wie es sich selbst helfen kann. Du hilfst ihm auf dem Weg zur Selbstregulation.

• Ab dem Grundschulalter sollte dein Kind die meisten Angstmomente schließlich akut allein bewältigen können – nachher bist du natürlich trotzdem noch gefragt, um Trost zu spenden und neue Ideen mit ihm gemeinsam zu entwickeln.

Eure Angst ist individuell

Wo genau kommt die übermäßige Angst bei deinem Kind nun aber eigentlich her? Und woher bei dir? Warum haben nicht alle Menschen ein großes Problem damit?

Wie ängstlich ein Mensch ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Ganz sicher ist das auch bei euch so. Einige können angeboren sein, andere haben mit Erfahrungen zu tun, die ihr gemacht habt.

Wichtig ist, dass du dir nicht sofort unterstellen lässt, die Ängste deines Kindes hätten ganz sicher damit zu tun, wie du mit ihm umgehst oder dass es schreckliche Erlebnisse gehabt haben muss. Genau wie bei dir und deiner Angst werden vermutlich verschiedene Ursachen zusammenspielen. Es ist gut, genauer hinzuschauen, welche die Gründe sein könnten, um die Angst bei deinem Kind richtig gut kennenzulernen. Und auch auf dich darfst du in diesem Kapitel schauen, wenn du selbst mit Ängsten kämpfst. Wo kommt das her?

Angeborene Ängstlichkeit

Von allen ängstlich geborenen Babys ist etwa ein Drittel auch mit 2 Jahren noch ängstlich und mit 4 Jahren zumeist auch weiterhin sehr zurückhaltend. Ist dein Kind schon von Geburt an sehr zurückhaltend, schüchtern und schreckhaft und hält das im Kleinkindalter an, ist es also relativ wahrscheinlich, dass es mit einer ängstlichen Grundstimmung geboren wurde.

Angstsensitiv

Menschen mit angeborener Ängstlichkeit werden auch „angstsensitiv“ genannt. Ängste haben bei ihnen ein leichtes Spiel. Ihr Gehirn bewertet Reize tendenziell gefährlicher, als es notwendig wäre. Möglicherweise ist dein Kind dann so sensibel und rasch gestresst, dass normale Alltagselemente, wie Geräusche oder bestimmte Texturen, Konsistenzen oder Oberflächen, es übermäßig erschrecken und in seinem Tun ausbremsen. Und vielleicht bist auch du schon so zur Welt gekommen.

Andere Kinder kommen eher mit einem cooleren, analytischen Wesen zur Welt. Für sie ist der Umgang mit Angst in der Regel einfacher, da sie sehr mutig, optimistisch und planvoll in die Welt gehen können.

Denkst du, dein Kind kam schon mit einem ängstlichen Wesen, also angstsensitiv, zur Welt?

Hast du es als Baby und junges Kleinkind bereits sehr angstvoll erlebt?

Und wie angstsensitiv warst du schon in deinen ersten Lebensjahren?

Angeborene Ängstlichkeit ist erstmal nichts Schlimmes. Das hast du schon gesehen, als ich dir den Unterschied zwischen Ängstlichkeit, Angst und Angststörung erklärt habe (ab Seite 22). Die Skala der möglichen Naturelle ist ganz breit: von ängstlich und eher passiv bis mutig und erkundungsfreudig kann alles dabei sein und nichts davon ist „gestört“. Es wäre wünschenswert, dass unsere Gesellschaft die Buntheit der menschlichen Wesensarten mehr anerkennen würde. Zu oft wird alles Herausfordernde weggedrückt und betroffene Personen sollen sich ändern.

Aber natürlich kann die angeborene Ängstlichkeit zum Problem werden:

• wenn dein Kind manchmal extrem ängstlich reagiert, durch Angstauslöser vielleicht panisch wird und nicht ansprechbar ist,

• wenn es sehr lange braucht, um sich bei Angst zu beruhigen,

• wenn es auch mit 5 Jahren oder später nicht allein Ideen zum Umgang mit seinen Ängsten finden kann,

• wenn es so vorsichtig ist, dass es sich nicht traut, viele für seine Entwicklungen wichtige Erfahrungen zu machen (zum Beispiel im Bereich Bewegung oder bei Sinneserfahrungen; dazu gehören unter anderem Balancieren, Bauen, Kneten, das Ausprobieren verschiedener Nahrungsmittel)

• oder wenn es anfängt, Dinge aus Angst nicht mehr zu tun, obwohl es sie eigentlich gern machen würde.

Dann hat sich sein angeborenes Wesensmerkmal problematisch entwickelt und braucht extra Unterstützung. Wahrscheinlich seid ihr gerade an diesem Punkt und habt deshalb diesen Ratgeber gefunden. Durch gute, hilfreiche Erfahrungen und Strategien kann solch eine Empfindlichkeit eingefangen werden. Und oft reicht elterliche Hilfe aus, sodass ihr keinen weiteren (therapeutischen) Expertenrat benötigt.

Erworbene Ängstlichkeit

Angstmachende Erfahrungen können sowohl ängstlich geborene Kinder als auch eigentlich mutige Charaktere negativ beeinflussen: „Mir ist etwas passiert und ich hatte keine Hilfe.“ – Ein solches Gefühl kann sich erst einmal festsetzen.

Vielleicht ist deinem Kind etwas Beängstigendes passiert. Das können ganz unterschiedliche Situationen sein. Manche würdest du wahrscheinlich auch sofort als beängstigend einschätzen, andere eher nicht, und dennoch können sie für dein Kind extrem gewesen sein:

• Kam Papa zu spät zum Abholen? Schon fünf Minuten können für ein kleines Kind eine halbe Ewigkeit sein.

• Hat der Nachbarshund seine Schnauze unerwartet heftig durch den Zaun geschoben?

• Hat Oma extrem laut aufgeschrien, als die Spinne auf den Tisch krabbelte?

• Hatte der Kinderarzt nicht nur eine fiese Spritze dabei, sondern trug er auch noch einen Vollbart, der sein Gesicht verdeckte?

• Haben mehrere tobende Kinder dein Kind auf dem Spielplatz aus Versehen umgeworfen?

• Kam im Radio eine Nachricht über eine Einbruchsserie?

• Hat dein Kind sich beim Essen mit der Gabel heftig in die Wangentasche gepikst?

Unerwartetes, was einmal ungute Gefühle ausgelöst hat, kann auch in Zukunft – nur beim Gedanken daran – Angst machen. Besonders wenn dein Kind sich in der Situation als hilflos und allein empfunden hat. Manchmal aber auch, obwohl du dabei warst und es so gut wie möglich begleitet hast.

Allerdings muss der Auslöser gar nicht immer konkret mit der dann gezeigten Angst zusammenhängen, sondern kann ganz allgemein Ängstlichkeit vergrößern. Stirbt zum Beispiel ein Elternteil, muss daraus nicht linear eine Angst vor Krankheit und Tod entstehen. Ein derartig belastetes Kind kann auch an andere Stellen das Gefühl der Ohnmacht und Angst mitnehmen und beispielsweise auf einmal Angst vor großen Plätzen oder vor tiefem Wasser entwickeln.

Wichtig ist hier, dass du nicht in einer Schuldsuche stecken bleibst: „Ich hätte das verhindern müssen!“ Ja und nein. Manche Erlebnisse sollten Kinder nicht haben müssen, aber das Leben ist keine Laborsituation. Dinge passieren. Wer oder was daran schuld war, ist meist nicht wirklich relevant. Wichtig ist, dass der Verlauf gesehen und für eine leichtere Zukunft bearbeitet wird. Und das tust du jetzt.

Unsicherheit aus dem Umfeld

Vielleicht spürt dein Kind eine dauerhafte Unsicherheit in seinem Umfeld. Eine unsichere äußere Situation kann die Ängstlichkeit im Inneren deines Kindes auslösen oder verstärken:

•Erziehungsstil

Eine Ursache für Angst ist Bindungsunsicherheit, die in den ersten Lebensjahren entstanden ist, beispielsweise durch dauerhaft streitende Eltern oder durch unberechenbare Eltern, die mal lieb waren und mal distanziert. Auch strafende Eltern oder solche, die ihr Kind ständig entmutigen und beschämen, oder eine hochstrittige Elterntrennung können die Bindung unsicher machen. Emotionale oder körperliche Gewalterfahrungen können das Bindungsmuster eines Kindes sogar nachhaltig stören und damit mehr als nur unsicher machen. Ängste fallen so auf einen fruchtbaren Boden.

•Situation

Eine andere Ursache für gesteigerte Ängstlichkeit kann eine politisch oder finanziell unsichere Familien- oder auch Gesamtsituation sein.

•Angst der Eltern

Und als dritte Ursache sind ängstliche Eltern denkbar, die ihre Gefühle auf das Kind übertragen. Wenn sie sich dauerhaft nicht sicher fühlen, wie soll ihr Kind das schaffen?

Durch all diese Aspekte kann auch dein Kind derartig in Unruhe geraten sein, dass es mit vermehrtem Stress und steigender Vorsicht durchs Leben geht. Das kann in vermehrter, erlernter Ängstlichkeit münden.

Fragst du dich, ob dein

Erziehungsstil