Mit allen Sinnen wachsen - Inke Hummel - E-Book

Mit allen Sinnen wachsen E-Book

Inke Hummel

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Beschreibung

Körpergefühl, Motorik, Konzentration – das sind drei der häufigsten Themen in Familienberatungen. Warum geht meinem Kind so oft etwas kaputt? Ständig streiten wir über Kleidung und Hygiene! Mein Kind ist oft so laut! Warum kann es sich nicht gut alleine beschäftigen oder länger konzentrieren? In ihrem neuen Ratgeber zeigt Bestseller-Autorin Inke Hummel, inwiefern Wahrnehmung die Ursache für Alltagskonflikte sein kann und wie Eltern ihr Kind unterstützen, damit es sich gut entwickelt. Sie gibt praktische Tipps, um die kindlichen Sinne und das Miteinander in der Familie zu stärken. Das Tolle daran: Eltern lernen ihr Kind endlich richtig kennen – das verbessert die Beziehung und beruhigt den Familienalltag.

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Seitenzahl: 265

Veröffentlichungsjahr: 2023

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INHALT

So hilft dir dieses Buch im Alltag

Die Altersangaben

Die beiden Teile des Buches

Der Begriff „wahrnehmen“

Die Begriffe „beeinträchtigt“ und „anders“

So verstehst du dein Kind besser

Euer Schlüssel zum entspannteren Familienalltag

Warum habt ihr ständig Stress?

Dein Erziehungsstil und die Bindungssicherheit deines Kindes

Die Entwicklungsstufe deines Kindes

Euer guter Zugang zu den eigenen Gefühlen

Dein eingeschränkter Blick

Der Stress von außen

Die Körperfunktionen und mögliche Störungen im Innen

Die Wesensart und die Wahrnehmungsart deines Kindes

Was musst du unbedingt über Wahrnehmung wissen?

Die andersartige Wahrnehmung

Die sehr langsame Entwicklung

Die beeinträchtigte Wahrnehmung

Die Vorteile von Wahrnehmungsstärke

Die vielschichtigen Schritte der Wahrnehmung

Die Sinne deines Kindes

Die Sinne nach außen

Die Sinne nach innen

Die Wucht der inneren Reize

Die Superkraft der (Innen-)Wahrnehmung

Der Bauplan für die Wahrnehmung

Der Bauplan bei herausfordernder Wahrnehmung

Wie kannst du eine andere Wahrnehmungsart erkennen?

Die Empfindlichkeit und die Genauigkeit

Die Stressbewältigung oder Regulation

Die Erfahrung

Die Reaktion

Deine faire Bewertung

Dein Kind ist nicht boshaft

Viele Kinder sind wie deines

Was sind typische Probleme vieler Kinder?

Probleme beim Sehen

Probleme beim Hören

Probleme beim Fühlen mit der Haut oder im Mund

Probleme mit dem Gleichgewicht

Probleme mit der Stellung der Körperglieder und der Körperspannung

Probleme mit der Organtätigkeit

Probleme bei der Auswahl oder Unterdrückung von Reizen

Probleme beim Verknüpfen der Sinne

Probleme beim Bewerten von Reizen

Probleme bei der Planung von Reizen

So hilfst du deinem Kind im Alltag

Entdecke dein Kind neu

Die Fragebögen: In welchen Bereichen kannst du mit deinem Kind üben?

So nimmt dein Kind die Welt wahr – Sein Wesen

Auswertung: Sein Wesen

So nimmt dein Kind die Welt wahr – Seine Empfindlichkeit

Auswertung: Seine Empfindlichkeit

Dein neuer Blick

So fängst du an

Was musst du beachten?

Zugewandtes Zumuten und Bewältigungskraft

Motivation und gute Kommunikation

Entspannung

Den Körper kennenlernen

Die Grundregeln

Wie sprichst du viele Sinne auf einmal an?

Jeden Tag Bewegung

Zurück zum Selbermachen

Kleine Dinge neu betrachten

Bücherwelten

Ruhe bewusster angehen

So stärkst du das Bewegen

Was braucht der ganze Körper?

Dein Kind badet mit Lebensmitteln

Dein Kind ist eine Pizza

Dein Kind ist eine Mumie

Dein Kind ist ein Schmetterlingsfänger

Dein Kind ist eine Raupe

Dein Kind ist ein Flugzeug

Dein Kind ist ein Instrument

Dein Kind wäscht sein Fahrzeug

Dein Kind besteht ein Abenteuer

Dein Kind spielt mit Freund*innen

Dein Kind ist ein Spiegel

Dein Kind ist ein*e Pantomime

Was brauchen die verschiedenen Bewegungssinne?

Das Gleichgewicht

Das Drehen

Die Stellung der Körperteile

Die Position des Körpers

Die Körperspannung

Die Intensität von Bewegungen

Die Dauer und das Timing von Bewegungen

Die Hände

So stärkst du die übrigen Sinne

Was brauchen die Sinne nach außen?

Sehen

Hören

Riechen und Schmecken

Fühlen mit der Haut

Was brauchen die Sinne nach innen?

Sättigungsgefühl oder Hunger

Verdauung und Ausscheidungen

Atmung und Herzschlag

Müdigkeit und Angespanntheit

Dein Kind geht wahrnehmungsstark ins Leben

Mitwirkende

Danksagung

SO HILFT DIR DIESES BUCH IM ALLTAG

Dieser Ratgeber befasst sich mit der Wahrnehmung deines Kindes. Ein Thema, das eurer Leben begleitet und mehr beeinflusst, als du wahrscheinlich bisher wusstest. Da es der erste Ratgeber für Eltern ist, der sich diesem Thema widmet, gebe ich dir ein paar Hinweise mit auf dem Weg, damit du von der Lektüre bestmöglich profitierst und dich gut zurechtfindest. So dass euer Alltag Stück für Stück ein bisschen leichter wird.

Dieser Ratgeber richtet sich insbesondere an Eltern mit gesunden, aber manchmal herausfordernden Kindern. Unterschiede in der Wahrnehmung können ein Auslöser für viele eurer stressigen Alltagssituationen sein. Das darin enthaltene Wissen rund um Wahrnehmung kann euer Familienleben leichter machen. Du und dein Kind könnt dadurch außerdem beziehungs- und wahrnehmungsstärker werden.

Die Lektüre kann dir unter Umständen aber auch den entscheidenden Anstoß geben, mit einer Fachperson genauer auf dein Kind zu schauen, wenn das nötig sein sollte.

Die Altersangaben

Das Buch ist für Familien mit Kindern im Alter von 2–6 Jahren gedacht. Manche Ideen und Impulse funktionieren nicht für die komplette Altersgruppe, denn die kindliche Entwicklung macht in dieser Zeit Riesenschritte. Die jeweiligen Passagen sind mit einer genauen Altersangabe versehen. Einige Ideen passen tatsächlich aber schon für Kinder ab einem Jahr, was ebenfalls entsprechend vermerkt ist.

Die beiden Teile des Buches

Dieser Ratgeber besteht aus zwei unterschiedlichen Teilen, die aber aufeinander aufbauen. Zuerst zeige ich dir, inwiefern Wahrnehmung die Ursache für Alltagskonflikte sein kann, und du lernst die Abläufe von Wahrnehmung genauer kennen: Welche Unterschiede gibt es von Mensch zu Mensch? Wie sieht es bei deinem Kind aus? Wo kann es zu Schwierigkeiten kommen? Im ersten Teil gehe ich dabei nicht nur auf euren Alltag und die Entwicklung deines Kindes ein – manchmal gibt es auch eine kurze Stippvisite in die spannende Theorie. Keine Sorge, du wirst davon sehr profitieren: So verstehst du perfekt, welch wichtige Rolle Wahrnehmung im Alltag deines Kindes spielt und wie du sie gezielt fördern kannst. Und: Du kannst dir alle Tipps viel leichter merken.

Mithilfe der Impulse aus der zweiten, sehr praktisch orientierten Hälfte des Buches lernst du dann, gezielt wahrnehmungsstärkend mit deinem Kind umzugehen. Dieser zweite Teil des Ratgebers bietet konkrete, alltagstaugliche und leicht umsetzbare Tipps für euer Familienleben. Er startet mit zwei Fragebögen, die dir dabei helfen, herauszufinden, welche Tipps für dein Kind am wichtigsten sind.

Der Begriff „wahrnehmen“

Dieses Buch thematisiert umfassend, wie dein Kind sich selbst und vor allem die Gegenstände in seiner Umgebung wahrnimmt. Dabei bleiben wir vorwiegend bei körperlichen Erfahrungen und alldem, was dein Kind mit seinen Sinnen wahrnimmt und wie es das wiederum gedanklich verarbeitet. Also: Was hört dein Kind? Was riecht es? Fühlt es sich wackelig, da wo es steht?

Was keine intensive Beachtung finden wird, ist die Wahrnehmung anderer Menschen und sozialer Situationen wie z. B. „Ich nehme mein Gegenüber als zurückhaltend wahr“ oder „Hier liegt Streit in der Luft.“ Dazu müssten Gestik, Mimik und weitere Teilaspekte der Kommunikation, alle Emotionen sowie im Grunde auch Bindungstheorie und kulturelle Einflüsse genauer betrachtet werden. Dadurch, dass das hier außen vor bleibt, kannst du wirklich dein Kind und seine sinnliche Wahrnehmung intensiv ins Auge fassen.

Die Begriffe „beeinträchtigt“ und „anders“

Ich verwende in diesem Buch die Begriffe beeinträchtigt und anders(artig), um Unterschiede in der Wahrnehmung zu verdeutlichen.

•Beeinträchtigt ist eine Wahrnehmungsart dann, wenn sie es notwendig macht, dass dein Kind gefördert wird. Es gibt ein Problem, das du zu Hause beachten musst und für das du eventuell auch fachliche Hilfe benötigst.

•Anders(artig) hingegen ist eine Wahrnehmungsart dann, wenn sie einfach anders ist als deine oder die vieler anderer Menschen. Dein Kind muss daran nicht unbedingt arbeiten. Stattdessen musst du sie erkennen und akzeptieren.

Vergleichbar ist das mit einer extremen Körpergröße: Leidet dein Kind unter seiner Körperlänge von über zwei Metern, weil es Rückenschmerzen aushalten muss, wäre es durch diese Besonderheit beeinträchtigt. Es braucht vermutlich medizinische Unterstützung. Musst du hingegen einfach nur jede Hose in Länge 40 Inch kaufen, während du und viele andere 32 tragen, ist es lediglich anders(artig) und hat vielleicht selbst gar kein Problem damit.

SO   verstehst  DU DEIN KINDbesser 

EUER SCHLÜSSEL ZUM ENTSPANNTEREN FAMILIENALLTAG

Hibbelig. Empfindlich. Unkonzentriert. Vermeidend. Rüpelhaft. Auffällig. Schwer zu erreichen. Vergesslich. Übertrieben. Zu wenig risikobewusst. Distanzlos. Unangemessen heftig. Dazu vielleicht unsicher mit sich selbst oder anderen. Ängstlich oder aber sehr impulsiv. Anders als andere! Wenn dein Kind mit einer dieser oder ähnlichen Eigenschaften in Verbindung gebracht wird, kann das Stress bedeuten, dich als Elternteil irritieren und einen fröhlichen Familienalltag erschweren. Verschiedene Ursachen können dahinterstecken – eine entscheidende ist die Art, wie dein Kind wahrnimmt. Wenn du sie kennst, kann euer Familienleben schöner werden.

Viele Verhaltensweisen deines Kindes können im heimischen Alltag vielleicht jeden Morgen gleich nach dem Aufstehen aufs Neue zu Stress führen. Und etliche machen tagtäglich nicht nur daheim, sondern auch außerhalb der Familie Ärger. Vielleicht eckt dein Kind an und bekommt oft negatives Feedback. Kommt dir einer der folgenden Sätze bekannt vor?

Das sind typische Themen, die das Familienleben sehr anstrengend machen. Wo steckt hier tatsächlich das Problem? Manchmal liegt es nicht am Kind, sondern der Blick der Erwachsenen ist getrübt und/ oder bewertet zu eng. „Sie muss immer noch ständig alles anfassen und in den Mund nehmen.“ – Ja, und? Oft passt die bunte menschliche Vielfalt nicht in unser Denken, das gerne alles möglichst einheitlich und einfach hätte. Aber kein Mensch ist genau wie der andere. Und Kinder brauchen Zeit, um sich zu entwickeln. Oder „Sie macht unser Familienleben so schwierig!“ – Ist das so? Und kann man das einem Kind derartig vorwerfen? Nein, es gehören meistens mehrere Ursachen dazu, dass etwas als schwierig empfunden wird. Vielleicht wissen die Erwachsenen zu wenig über das Kind, vielleicht ist ein Elternteil auch nicht so belastbar wie andere Erwachsene. Und Formulierungen, die das Kind als Schuldigen dastehen lassen, greifen zu kurz. Es ist nicht das Kind, das das Familienleben schwierig macht. Etwas im Miteinander von Eltern und Kind oder etwas in jeder Person macht den Alltag herausfordernd. Wieder ist der Blick der Erwachsenen zu eindimensional und zu verurteilend.

Manchmal liegt es aber doch auch am Kind, weil es anders ist als andere. Oder weil es mehr Unterstützung in diesem oder jenem Bereich seiner Entwicklung benötigt. Ich mache mich mit dir auf den Weg, dein Kind in seinem So-Sein besser einschätzen und unterstützen zu können. So übersiehst du nichts und kannst aktiv dazu beitragen, dass euer Alltag leichter wird: Weil du verständnisvoller wirst und dein Kind besser begleiten kannst.

Warum habt ihr ständig Stress?

Fällt ein Kind dauerhaft auf und ist der Umgang mit ihm herausfordernd, stellen andere Menschen in der Regel immer sehr ähnliche Vermutungen an: Möglicherweise könnten die Eltern „in ihrer Erziehung versagt haben“. Oder aber „das Kind stellt sich halt an“. Vielleicht ist es „träge“. Oder will einfach „nur Aufmerksamkeit“. Schnell gilt es als „verhaltensauffällig“ oder gar „gestört“. Auf jeden Fall wird es für „falsch“ gehalten.

Ein rein negativ bewertender Blick ist aber wirklich nicht fair.

Bin immer wieder ernüchtert, dass Erwachsene aus all den möglichen Gründen, die ein Kind für ein Verhalten haben kann, so oft als erstes einen niederträchtigen auswählen.

@HummelFamilie auf Twitter

Vielleicht betrachtest du manchmal dein Kind und dann das gleichaltrige einer befreundeten Familie. Sie haben ein ähnliches Umfeld, ähnliche Erfahrungen, aber verhalten sich dennoch in der gleichen Situation unterschiedlich. Was findest du, wenn du ganz genau hinschaust: Unterschiedliche Erziehungsstile? Andere Lebensumstände? Verschiedene Wesensarten? Eine Erkrankung? Oder tatsächlich ein anderes Wahrnehmen? Eine mögliche Unsicherheit? Das ist nicht immer leicht zu sagen. Alle in den Sprechblasen auf S. 13/14 genannten Beispiele können nämlich aus sehr unterschiedlichen Ursachen heraus anstrengend sein:

• Dein Erziehungsstil kann unter Umständen eine ungute Begleitung sein und die Bindungssicherheit deines Kindes beeinflussen. Es benötigt ein stärkendes, kein schwächendes Umfeld.

•Alter und Entwicklungsstufe deines Kindes können verursachen, dass seine Fähigkeiten nicht zu deinen Erwartungen passen. Dann findest du sein Verhalten „falsch“, ohne dass diese Sicht wirklich berechtigt ist. Dein Kind benötigt ausreichend Reifezeit.

• Der Zugang zur eigenen Gefühlswelt kann bei deinem Kind nicht gut sein.

• Die Bewertung von Geschehnissen kann bei dir und deinem Kind sehr unterschiedlich ausfallen und Konflikte schüren.

• Dein Kind kann durch Stress von außen belastet sein.

• Es kann körperlich nicht gesund sein oder psychische Störungen aufweisen.

•Dein Kind kann ein anderes oder herausforderndes Wesen und eine andere oder beeinträchtigende Wahrnehmungsart haben als du. Damit muss es erst einmal umzugehen lernen. Außerdem kann deine Unterstützung dabei, Wahrnehmung gut zu lernen, vielleicht zu gering sein.

Einige dieser Punkte sind dir sicher bereits bewusst. Anderes hast du womöglich bislang übersehen. Ich schau jetzt mit dir hin, damit du nichts vergisst, und gebe dir Impulse, wie du für alle Bereiche Klarheit finden kannst. In den Sprechblasen der folgenden Kapitel liest du außerdem, was dein Kind sich mitnimmt, wenn der jeweilige Bereich bei euch gut begleitet wird.

Dein Erziehungsstil und die Bindungssicherheit deines Kindes

Wenn du an einen glücklichen, lebenstüchtigen Erwachsenen denkst, hast du wahrscheinlich im Kopf, was seinen Weg bis dahin positiv bestimmt hat. Zum Beispiel eine recht unbeschwerte Kindheit voller guter Beziehungen und Bezugspersonen, die kindliche Bedürfnisse gesehen und erfüllt haben. Diese schenken einem Kind Bindungssicherheit. Wenn du in guter Beziehung zu deinem Kind bist und seine, aber auch deine Bedürfnisse sensibel bemerkst, kann es stark ins Leben gehen, egal welche Herausforderungen es zu meistern hat.

Manchmal wird ein Kind in den ersten Lebensjahren nicht immer ausreichend gut begleitet. Vielleicht fehlen den Eltern Wissen oder Ressourcen, um es besser zu machen. Dann kann es sein, dass ihr Kind als Reaktion fordernde Verhaltensweisen entwickelt. Der Zusammenhang ist nicht immer sofort ersichtlich.

Wie ist dein Gefühl in eurem Fall? Beispielsweise kann zu wenig Orientierung durch dich zur Folge haben, dass dein Kind sich schwertut, Entscheidungen zu treffen oder besprochene Abläufe einzuhalten. Und wenn du zum Beispiel eher kühl und distanziert bist, kann das bewirken, dass dein Kind sich eher anstrengend zeigt. Denn durch dieses Verhalten fordert es unbewusst Beziehung und Nähe ein.

Bist du unsicher, kann eine Erziehungsberatung für Klarheit sorgen. Die beratende Person sollte sich damit auskennen, inwieweit Bindungsunsicherheiten oder auch Stress auf Kinder- oder auch Elternseite Handeln und Lernen erschweren können.

Lesetipp:

Bücher zur erzieherischen Haltung können dir in einer solchen Situation helfen. Deinen Erziehungsstil kannst du auch mithilfe meines Buches „Nicht zu streng, nicht zu eng“, humboldt (2022), gut erkennen und bearbeiten.

Die Entwicklungsstufe deines Kindes

Einige Verhaltensweisen sind bei deinem Kind aber ganz sicher auch einfach nur so herausfordernd für dich, weil es eben ein Kind ist und noch viel üben, ausprobieren und reifen muss. Sein Alltag entspricht dabei an manchen Stellen vielleicht so gar nicht seinen Bedürfnissen. Wer mag zum Beispiel schon früh am Morgen auf den Weg in den Kindergarten starten, wenn die Spielzeugwelt im Kinderzimmer gerade so viel Spaß macht?

Wenn du nicht genau weißt, was ein Kind im Alter deines Kindes schon können sollte und was du noch nicht erwarten kannst, überschätzt du es vielleicht. Dann bist du leicht verärgert, weil vieles so stressig abläuft. Wenn du besser über kindliche Entwicklung Bescheid weißt, wird sich euer Zusammenleben entspannen, da du leichter annehmen kannst, dass die Tage noch eine Weile schwierig sind. Aber es gibt auch etliche Impulse, die dir den Alltag mit einem Kind in herausfordernden Phasen erleichtern.

Lesetipp:

Die Bücher der Wunschkind-Reihe von Katja Seide und Danielle Graf, erschienen im Beltz Verlag, geben einen guten Überblick über die Entwicklungsphasen in der Kindheit. So kannst du besser einschätzen, wann du welchen Entwicklungsschritt bei deinem Kind erwarten kannst. Außerdem kann ich dir „Liebevoll durch die Trotzphase“ von Barbara Weber-Eisenmann und Lisa Wurzbach, humboldt (2022), sowie „Die Wackelzahn-Pubertät: Gelassen durch die 6-Jahres-Phase“ von Laura Fröhlich, humboldt (2020), ans Herz legen.

Euer guter Zugang zu den eigenen Gefühlen

Ein freier Umgang mit den eigenen Gefühlen gehört unbedingt zu einer gesunden Entwicklung dazu. Euer Motto darf lauten: „Wut, Unmut, Traurigkeit, Freude … bei uns ist Platz für alles!“

Darf dein Kind so leben, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass …

• es sich körperlich und seelisch recht gut entwickelt.

• es (begleitet und irgendwann selbständig) Krisen meistern kann und seinen Selbstwert kennt.

• es mit anderen Menschen und mit schulischem Lernen kompetent umgehen kann.

• es psychisch stabiler sein wird als Kinder, denen ein guter Gefühlszugang fehlt.

Inzwischen gibt es viele Kinderbücher rund um das Thema Gefühle, die du mit deinem Kind durchstöbern kannst. Ich möchte dir kein konkretes Buch empfehlen, weil die meisten nur ein Gefühl zum Thema haben wie Wut, Traurigkeit oder Scham und du individuell schauen solltest, mit welcher Emotion dein Kind sich gerade am meisten befassen mag. Allgemein sind Wimmelbücher immer hilfreich, in denen ihr sicher die ganze Palette an Gefühlen entdecken könnt.

Dein eingeschränkter Blick

In manchen Stressmomenten bewertest du Dinge anders als dein Kind und ihr geratet deshalb in einen Konflikt. Das kannst du oft entspannen, indem du nochmal ganz genau hinschaust, ob deine Bewertung wirklich gerechtfertigt ist.

Einige Beispiele:

• Zieht dein Kind sich wirklich immer zu dünn an? Oder fühlt es Temperatur eben anders als du? Und ist „zu dünn“ einfach nur deine Kategorie, die eigentlich gar nicht sachlich ist?

• Isst dein Kind wirklich zu fettig? Oder hast du einfach eine andere, vielleicht überzogene Vorstellung von gesunder Ernährung?

• Ist dein Kind echt unkonzentriert im Musikschulkurs? Oder sind die Umstände in dieser Gruppe eigentlich gar nicht kindgerecht? Oder hast du ein falsches Verständnis davon, wie gut sich ein Kind in dem Alter konzentrieren können sollte?

Jeder Mensch bewertet die Dinge, die ihm fremd vorkommen, ihn stören oder stressen – und das häufig eher negativ. Das ist nicht nur in Bezug auf Kinder so. Andere Erwachsene betrachtest du vielleicht ebenfalls manchmal kritisch, wenn sie etwas anders machen als du selbst. Bevor du eine Bewertung hinterfragen kannst, musst du sie dir erst einmal bewusst machen. Und gerade dem eigenen Kind gegenüber fällt das mitunter schwer.

Weißt du als erwachsene Person nicht einfach viel besser, wie die Welt funktioniert und was richtig ist? Ist deine Bewertung dann nicht vollkommen sachlich und neutral?

Diese Haltung tragen viele Erwachsene in sich und oft ist da auch etwas dran. Denn ein Kind kann aufgrund seines Entwicklungsstandes viele Konsequenzen nicht mitdenken. Das heißt aber nicht, dass du es dir rechthaberisch bequem machen solltest.

Es lohnt sich, deine Bewertung zu durchleuchten. Bei einem Kind, das in irgendeiner Weise auffällt, bist du als erwachsene Person in der Pflicht, nach seinem guten Grund zu schauen, anstatt schnell Schuld zu suchen und dich festzulegen. Boshaftigkeit als Ursache kannst du dabei weit hinten im Regal der möglichen Gründe liegen lassen. Wirkt ein Benehmen boshaft, steckt dahinter in Wirklichkeit vielleicht Überforderung oder Unsicherheit.

Fällt dir deine eigene unpassende Bewertung auf, kannst du besser auf dein Kind zugehen und ihr habt vielleicht schon eine Handvoll Streitsituationen weniger.

Was heißt denn vorsätzlich bei einem Kind? Aus Boshaftigkeit? Ich denke, alles Verhalten hat Gründe. Nöte, Überforderung, noch nicht entwickelte Fähigkeiten. Nachhaltiges Lernen geht in Beziehung und über Begreifen, nicht Strafe, Distanz, Abwertung.

@HummelFamilie auf Twitter

Lesetipp:

Mit dem Buch „Machtgeschichten“ von Anne Sophie Winkelmann, edition claus (Neuauflage 2022), kannst du solche Bewertungen entdecken.

Der Stress von außen

Vielleicht hat das herausfordernde Verhalten deines Kindes mit einer Anspannung zu tun, die gerade von außen kommt: Kitaeingewöhnung, Geschwistergeburt, Elternstreit oder gar -trennung, Umzug, Erzieher*innenwechsel, Streit mit Gleichaltrigen, Überforderung durch eine unpassende Betreuungsform – da ist vieles denkbar. Erlebt ein Kind solchen Stress, reagiert es oft unbeherrscht. Fällt dir dazu etwas ein, das du im Blick haben solltest? Unter Umständen kann dir eine Erziehungsberatung dabei helfen, die Belastungen zu sortieren und zu verringern.

Die Körperfunktionen und mögliche Störungen im Innen

Wie wichtig manche Voraussetzungen für ein gesundes Aufwachsen sind, fällt dir meist erst dann auf, wenn sie nicht vollkommen vorhanden sind. So ist es natürlich das Beste, wenn alle Körperfunktionen und Organe, die dein Kind zum Wahrnehmen braucht, gesund sind und funktionieren: Wenn es gut sieht, zwei gesunde Arme benutzen kann, seine Lungen einwandfrei funktionieren und die Ohren intakt sind. Diese Bereiche werden größtenteils von den Standardvorsorgeuntersuchungen gut abgedeckt, so dass du bei Einschränkungen frühzeitig handeln kannst. (Eine Ausnahme betrifft allerdings unser größtes Wahrnehmungsorgan, die Haut. Sie findet in den Vorsorgeuntersuchungen leider wenig Beachtung, kann allerdings sehr überoder unterempfindlich sein und damit für Probleme sorgen. Mithilfe dieses Buches wirst du sie aber aufmerksamer sehen können.)

Vielleicht wurde bislang auch etwas übersehen. Frag ruhig noch einmal genauer in eurer kinderärztlichen Praxis nach.

Möglicherweise liegt eine gesundheitliche Beeinträchtigung auch tiefer in deinem Kind. Zeigt sich ein herausforderndes Verhalten längerfristig (etwa 6 Monate) und beeinflusst es eure ganze Familie dauerhaft, ist ein fachlicher Blick von außen unerlässlich, um konkret festzustellen, was los ist. Psychisch und körperlich. Eventuell kann so auch ein bestimmter Verdacht ausgeschlossen oder aber festgestellt werden – zum Beispiel die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS), die als psychische Erkrankung gilt und nicht selten diagnostiziert wird. Hier Klarheit zu haben, hilft Kind und Eltern.

Die Wesensart und die Wahrnehmungsart deines Kindes

Die Ursache dafür, dass du dein Kind als herausfordernd empfindest, kann auch in seinem Wesen und seiner Art wahrzunehmen liegen. Das soll mein Buch dir zeigen. Dein Elternsein wird leichter, wenn du darüber Bescheid weißt. Dann verschwinden Missverständnisse und Herausforderungen an vielen Stellen fast automatisch. Erwachsene bewerten nämlich oft nicht nur ein Verhalten, das anders ist als ihre eigenes. Nein, sie bewerten dabei auch oft die dahinterstehende Wesensart und auch die Wahrnehmungsart eines Menschen.

Wesen und Wahrnehmung hängen eng miteinander zusammen: Ist jemand schüchtern, traut er oder sie sich vielleicht nicht, alles zu tun, was für seine Wahrnehmung wichtig wäre. Und ist jemand eher wild, hat er oder sie vielleicht nicht die Ruhe, alles wahrzunehmen. Es ist hilfreich für die Schulung seiner Wahrnehmung, wenn dein Kind Mut und Lust hat, auf Mäuerchen zu balancieren, oder wenn es die Ruhe hat, einer Gruppe Vögel beim Spielen zuzuschauen. Sein Naturell bestimmt mit, wie intensiv es das Wahrnehmen übt und verbessert.

Diese Voraussetzung für die gesunde Entwicklung deines Kindes rückt oftmals nur dann in dein Bewusstsein, wenn dein Kind mit einem Wesen zur Welt kommt, das solche Situationen erschwert – zum Beispiel mit erhöhter Ängstlichkeit oder starker, impulsiver Wildheit. Dann sind Wahrnehmungslust oder -kraft womöglich eingeschränkt.

Um diese Besonderheiten wissen leider immer noch zu wenige Eltern. Sogar Menschen, die pädagogisch oder medizinisch mit Kindern arbeiten, haben manchmal Nachholbedarf. Oft werden alle Kinder über einen Kamm geschert beziehungsweise Kinder mit eher herausfordernden Wesensarten nicht einfach als anders, sondern als „falsch“ und korrekturbedürftig gesehen. Zum Glück gibt es inzwischen viel Aufklärungsarbeit, und manchmal werden bestimmte Wesensarten heute schon gut zu Hause, im Kindergarten oder der Schule berücksichtigt. So muss sich auch dein Kind nicht „falsch“ fühlen.

WAHRNEHMUNG UND WESEN BEDINGEN EINANDER

Die Wahrnehmungsart ist mit der Wesensart eng verknüpft. Du hast schon gesehen, dass das angeborene Wesen die Wahrnehmungslust und -kraft beeinflussen kann. Andersherum kann auch eine eher problematische Wahrnehmungsart das kindliche Wesen „übermalen“: Vielleicht ist es gar nicht schüchtern, wild oder Ähnliches, sondern wirkt nur so, weil seine Wahrnehmung Unsicherheiten aufweist. Dieses Buch wird dir helfen, das genauer zu erkennen. Aber unter Umständen wird dir die Unterscheidung allein nicht gelingen. Ob du einen Expert*innenblick von außen brauchst, erfährst du in den entsprechenden Passagen des Buches.

Weiterhin ist es hilfreich, wenn dein Kind durch deine Begleitung die Möglichkeit bekommt, oft draußen zu sein, Menschen zu treffen, verschiedene Materialien zu nutzen und bei Schwierigkeiten Beistand zu bekommen. Wenn du also dafür sorgst, dass es in verschiedenen Situationen gut begleitete Erfahrungen machen kann, ist das bestens für die Entwicklung. Die bereits genannten Aspekte Bindungssicherheit und guter Gefühlszugang spielen hier auch mit hinein. Sie bilden den Rahmen für viele Lernerfahrungen.

Ob du dein Kind gut unterstützen kannst, liegt leider oftmals nicht komplett in deiner Hand. Die Coronapandemie war beispielsweise ein starker Störfaktor, der Familien weit über ein normales Maß hinaus belastet hat. Aber auch im normalen Alltag bestimmen euer Wohnort, die Betreuungsmöglichkeiten, deine psychische Gesundheit und so vieles mehr mit, welches Umfeld dein Kind für seine Entwicklung hat. Eine Erziehungsberatung kann hier helfen, wenn du das Gefühl hast, deine Ressourcen sind am Limit.

Körperliche Gesundheit, Wesen und elterliche Unterstützung bestimmen die gute Ausbildung der Wahrnehmung aber eben nur zur Hälfte. Ja, ein Kind muss gesunde Augen oder eben eine Sehhilfe haben, um visuelle Eindrücke aufnehmen zu können. Es braucht die Lust und Motivation, Reize aufzusuchen und auf sich wirken zu lassen. Es benötigt Bezugspersonen, die es auf seinem Weg begleiten, einen anregenden Alltag bieten und bei der Sortierung aller Eindrücke helfen. All diese Aspekte werden in der pädagogischen und medizinischen Begleitung von Kindern beachtet, doch genau der Bereich der Wahrnehmung an vielen Stellen noch viel zu wenig. Er geht im modernen Alltag rasch unter.

Besonders angeborene Unterschiede von Mensch zu Mensch sind wahrscheinlich auch dir kaum bewusst. Oder könntest du auf Anhieb sagen, wie sich die Wahrnehmung von dir und deiner besten Freundin oder deinem besten Freund unterscheidet? Wer spricht schon darüber? Oder über die gezielte Anregung bestimmter Wahrnehmungsfelder wie beispielsweise der Innenwahrnehmung?

Wir haben selten im Blick, was wir selbst oder andere gerade tatsächlich alles fühlen. Es ist sehr klug, das zu ändern. Damit auch dein Kind irgendwann gut weiß, was es fühlt und was es braucht.

Die Wahrnehmungsart ist ein grundlegender Bereich für eine gesunde Entwicklung: Werden alle Informationen ausgefeilt aufgenommen, erkannt und sortiert? Und ist dein Kind dabei nicht überfordert?

BEEINTRÄCHTIGTE KINDER FALLEN AUF

Interview mit Ergotherapeutin Sarah Blume

Sarah Blume ist vierfache Mutter und Ergotherapeutin. Für diesen Ratgeber habe ich sie zu verschiedenen Themen um ihre fachliche Einschätzung gebeten. Unter anderem zur folgenden Frage:

Wie zeigt es sich, wenn ein Kind wahrnehmungsunsicher ist?

Im Kindergartenalter werden Kinder mit Wahrnehmungsproblemen oft als tollpatschig angesehen. Sie stürzen häufiger als Gleichaltrige, sie machen mehr kaputt oder verschütten zum Beispiel oft ihre Getränke. Manche Kinder können dem Buch, das alle anderen so spannend finden, nicht folgen – es ist zu viel auf einmal. Oder aber das Stillsitzen und Zuhören ist schlicht zu langweilig – es fehlen Reize, die das Kind sich dann durch „Blödsinn“ sucht: Es spielt.

Das Personal in den Betreuungseinrichtungen ist heutzutage oftmals geschult, die Entwicklung der Kinder zu beobachten. Natürlich macht das Fachpersonal das anders als eine Kinderärztin oder ein Ergotherapeut. Diese anderen Blickwinkel helfen aber oft schon weiter, ergeben ein Gespräch oder einen Hinweis, manche Dinge therapeutisch abklären zu lassen.

ERGOTHERAPIE UND PSYCHOMOTORIK

Ergotherapeut*innen regen Kinder oder Erwachsene durch Übungen und Spiele dazu an, zu handeln, wirklich ins Machen und Spüren zu kommen. Sie helfen ihnen dabei, Fähigkeiten (wieder) zu erlangen, die ihnen den Alltag erleichtern. Manche Patientinnen und Patienten haben sie beispielsweise durch einen Unfall verloren, andere hatten die Fähigkeit bisher noch gar nicht entwickelt. Ergotherapie hilft zum Beispiel auch im Zuge von Wahrnehmungsproblemen, um handlungsfähiger und selbständiger zu werden.Psychomotorisches Turnen ist ebenfalls eine gute Unterstützung der Wahrnehmungsentwicklung. Hier werden Wahrnehmung und Bewegung gleichermaßen gefördert.

Es gibt keine eindeutige Verknüpfung, es ist also nicht so, dass ein Kind mit einer bestimmten Verhaltensauffälligkeit auf jeden Fall DAS bestimmte Wahrnehmungsproblem hat. So simpel ist es leider nicht. Aber dass es Besonderheiten beim Wahrnehmen gibt und diese sich auf das Leben eines Kindes und seiner Familie auswirken können, ist unbestritten. Sicher ist ebenfalls, dass wir Eltern die Entwicklung der Wahrnehmung unseres Kindes auf jeden Fall gut fördern sollten.

Wenn du dein Kind außerdem gut verstehst, kann euer Miteinander leichter gelingen. Wir alle nehmen die Welt unterschiedlich wahr: Wo kommt ein Geräusch her? Was macht man mit einem bestimmten Gegenstand? Was bedeutet das für mich und mein Handeln? Wir alle ticken anders als andere. Daraus können Unstimmigkeiten entstehen: Was die eine wild, laut oder unangenehm findet, ist für den anderen gerade richtig. Menschen reagieren deshalb unterschiedlich und treffen andere Entscheidungen. Sie bewerten und lösen Probleme auf verschiedene Arten und sind unterschiedlich rasch überfordert.

Ob die Wahrnehmungsart eine oder die alleinige Ursache dafür ist, warum du und dein Kind in Konflikte geratet, wirst du mit diesem Buch herausfinden. Denk an die Aussagen: „Ich traue mich wahrzunehmen! Und ich nehme mir Zeit dafür!“ und „Ich kann Wahrgenommenes verstehen und nutzen!“ Gilt das alles für dein Kind? (Verschiedene Wahrnehmungsarten können übrigens genauso Gründe dafür sein, warum du selbst mit anderen Erwachsenen in Kontroversen gerätst. Auch dafür kannst du beim Lesen dieses Ratgebers mehr und mehr Verständnis entwickeln.)

Wenn du die Wahrnehmungsentwicklung deines Kindes mithilfe dieses Buches förderst, schenkst du ihm gute Voraussetzungen.

Ich beantworte mit dir im Folgenden diese Fragen:

• Welche Wahrnehmungsunterschiede gibt es zwischen Menschen?

• Was kann dein Kind?

• Welches Wesen bringt es mit?

• Wie fühlt es und wie nimmt es wahr?

• Was läuft in deinem Kind ab, wenn es einen Reiz aufnimmt? Welchen Bauplan hat seine Wahrnehmung?

• Welche Sinne nutzt es?

• Wie können diese Sinne durch Unter- oder Überempfindlichkeit Probleme machen?

• Wie entstehen eventuell Schwierigkeiten, weil dein Kind manche Reize beachtet und andere nicht?

• Welche Probleme entstehen, wenn die Sinne nicht gut zusammenarbeiten?

• Wie kannst du dein Kind unterstützen, möglichst sinnvoll zu handeln und lebensfit zu sein?

Was musst du unbedingt über Wahrnehmung wissen?

Wahrnehmung kann besonders aus drei Gründen zu Schwierigkeiten zwischen dir und deinem Kind führen:

• Vielleicht nimmt dein Kind grundsätzlich anders wahr als andere (und als du).

• Eventuell schreitet seine Entwicklung im Bereich Wahrnehmung etwas langsamer als bei anderen voran (und ist deshalb noch ganz anders als bei dir).

• Oder seine Wahrnehmung ist an irgendeiner Stelle nachhaltig beeinträchtigt.

Diese drei Fälle erkläre ich dir im Folgenden genauer.

Die andersartige Wahrnehmung

Damit ein Mensch sinnvoll wahrnehmen kann, also so, dass er passend dazu fühlen und handeln kann, und ohne dass es andauernd zu Konflikten kommt, müssen viele Bereiche klug ineinandergreifen. Zum Beispiel muss er Reize spüren und analysieren, was sie bedeuten. In jedem der Bereiche sind Unterschiede von Mensch zu Mensch möglich. (Im Kapitel „Die vielschichtigen Schritte der Wahrnehmung“ lernst du genauer, wie Wahrnehmung im Detail abläuft.) Wie sensibel Reize aufgenommen werden, unterscheidet sich stark: Einer hört die leisesten Töne, die andere nur den lauten Knall. Oder die Bewertung kann verschieden ausfallen: Eine findet das Licht zu dunkel, der andere möchte es noch weiter dimmen.

Es gibt daher auch bei Menschen nicht die eine richtige Sichtweise eines Momentes: Ist es laut? Zu laut sogar? Ist es hell oder dunkel? Zu dunkel? Jede*r von uns ist beeinflusst von …

• der Art der Auswahl von Informationen aus der Umwelt: Wie sehe ich die Situation? Was schaue ich mir dabei an? Was nicht? Wie empfindlich bin ich?

• der Art der Verarbeitung der wahrgenommenen Informationen: Nehme ich mir Zeit, um alles zu betrachten? Welche Informationen lasse ich vielleicht komplett aus? Komme ich mit Stressgefühlen dabei zurecht?

• der Art der Erfahrungen, die er oder sie bereits gemacht hat: Was weiß ich schon darüber (oder noch nicht)? Welche Bedeutung hat dies oder jenes für mich?

Wegen dieser Einflüsse gibt es eine riesige Bandbreite von Wahrnehmungsarten. Das kannst du dir vorstellen wie unterschiedliche Maschinen: Die eine hat eine kleine Öffnung, in die Körner geschüttet werden, so dass sie langsam reinfallen und innen fehlerlos der Größe nach sortiert in entsprechende Gefäße fallen. Die andere Maschine hat eine große Öffnung, so dass das Schüttgut schnell im Inneren landet und beim Sortieren Fehler passieren. Und die dritte hat vielleicht wieder eine kleine Öffnung, aber innen nur ein Gefäß, so dass gar nicht sortiert werden kann. Wie sollen alle drei Maschinen die gleichen Ergebnisse, nämlich gut sortierte Körner, liefern? Im übertragenen Sinn: Menschen, die so unterschiedlich in ihrer Wahrnehmung beeinflusst sind, reagieren oftmals nicht gleich. Dadurch kann es zu Konflikten kommen, gerade wenn man nicht darum weiß. In ihrem eigenen System handeln die Personen aber sinnvoll.

Diese Unterschiede und Abweichungen haben sehr häufig überhaupt gar keinen Krankheitswert und sind nicht behandlungsbedürftig. Es gibt eine breite Mitte, die Norm, aber auch links und rechts davon noch viele Varianzen, die nicht bedenklich sind. Das ist im Grunde wie bei Körpergrößen: Nur weil beispielsweise die meisten Erwachsenen in Deutschland im Schnitt 1,72 Meter groß sind, ist eine Person mit einer Länge von 1,55 Meter oder 2,05 Meter nicht minderwertig, fehlerhaft oder muss unbedingt in ärztliche Behandlung. Und nur weil dein Kind Geräusche exakter wahrnimmt als du, ist seine Wahrnehmung nicht falsch. Das ist vielleicht lästig, wenn es deshalb beispielsweise die Nagelschere nicht mag, aber es ist lösbar. Ob dein Kind anders wahrnimmt als du oder viele andere, kannst du im zweiten Teil dieses Buches „Entdecke dein Kind neu“ herausfinden.

Es ist gut, wenn du eine Andersartigkeit erkennst und bestmöglich begleitest, anstatt in so einem Fall zu sagen: „Stell dich nicht so an!“ Das Kapitel „Wie kannst du eine andere Wahrnehmungsart erkennen?“ wird dir viel Klarheit bringen. Und die alltagspraktischen Übungen aus dem zweiten Teil des Buches machen dein Kind wahrnehmungssicherer.

Die sehr langsame Entwicklung