Der alte Hof von Averøya: Zeit des Schicksals - Harriet Hegstad - E-Book
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Der alte Hof von Averøya: Zeit des Schicksals E-Book

Harriet Hegstad

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Beschreibung

Ein Leben voller Veränderungen ... Eine Insel vor der Küste Norwegens, Anfang des 20. Jahrhunderts: Insgeheim träumt Emma davon, Malerin zu werden – als man sie zu ihrer Tante im nahegelegenen Kristiansund in die Lehre schickt, um Schneiderin zu werden, will sie dennoch das Beste daraus machen. Immerhin kann sie so dem Nachbarssohn Olav nahe sein, der ihr Herz höher schlagen lässt. Doch schon bald drängt sich ein Geheimnis aus der Vergangenheit vor ihr neues Glück – ein erschütterndes Ereignis, das Emma zum alten Familienhof in Averøya zurückzieht ... Die große Norwegen-Saga über einen Inselhof und die dramatischen Schicksale, die dort unter weitem, blauem Himmel ihren Lauf nehmen. Der zweite Band dieser Familiensaga wird Fans von Ines Thorn und Charlotte Jacobi begeistern.

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Seitenzahl: 225

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Über dieses Buch:

Insgeheim träumt Emma davon, Malerin zu werden – als man sie zu ihrer Tante im nahegelegenen Kristiansund in die Lehre schickt, um Schneiderin zu werden, will sie dennoch das Beste daraus machen. Immerhin kann sie so dem Nachbarssohn Olav nahe sein, der ihr Herz höher schlagen lässt. Doch schon bald drängt sich ein Geheimnis aus der Vergangenheit vor ihr neues Glück – ein erschütterndes Ereignis, das Emma zum alten Familienhof in Averøya zurückzieht ...

Über die Autorin:

Harriet Hegstad, Jahrgang 1944, ist eine norwegische Autorin. Bevor sie sich dem Schreiben widmete, arbeitete sie als Kindergärtnerin. Viele ihrer populären Kurzgeschichten und Romane sind bereits in skandinavischen Wochenzeitschriften erschienen und sie hat an mehreren nordischen Roman- und Kurzgeschichtenwettbewerben erfolgreich teilgenommen. Harriet Hegstad liebt die Natur, das Angeln und Bücherlesen, Handarbeiten und auf Reisen gehen. Sie hat vier erwachsene Kinder und sieben Enkel.

Harriet Hegstad veröffentlichte bei dotbooks bereits ihre Averøya-Reihe mit den Bänden »Der alte Hof von Averøya: Die geheime Hoffnung«, »Der alte Hof von Averøya: Zeit des Schicksals«, »Der alte Hof von Averøya: Ein neuer Anfang«, »Der alte Hof von Averøya: Tage des Sturms« und »Der alte Hof von Averøya: Wandel des Herzens«.

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eBook-Erstausgabe September 2024

Die norwegische Originalausgabe erschien erstmals 2016 unter dem Originaltitel »Taushetsløftet« bei Cappelen Damm, Oslo.

Copyright © der norwegischen Originalausgabe 2016 Cappelen Damm

Copyright © der deutschen eBook-Erstausgabe 2024 dotbooks GmbH und der deutschen Audio-Erstausgabe 2024 SAGA Egmont

Übersetzt von Marius Merian

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)

ISBN 978-3-98952-234-3

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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

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Harriet Hegstad

Der alte Hof von Averøya:Zeit des Schicksals

Roman – Band 2

Aus dem Norwegischen von Marius Merian

dotbooks.

Personenliste

Emma Vik

Johannes Vik: Emmas Zwillingsbruder

Jacob Vik: Emmas älterer Bruder

Ragna Vik: Emmas jüngere Schwester

Karen und Peder Vik: Emmas Eltern

Serine und Einar Dal: Nachbarn der Viks

Olav, Tore, Synnøve, Dagny und Grete Dal: Kinder der Dals

Augusta Vik: Emmas Tante, Näherin

Nicolai Thorp: Künstler

Kapitel 1

Averøya, 1911

Emma spürte, wie ihr die Beine versagten, und sank auf einen Stein. Noch konnte ihr Kopf nicht begreifen, was Dagny da gerade gesagt hatte. Synnøve war verschwunden? Sie sah die weinende Dagny entgeistert an. Tränen strömten aus ihren Augen, ohne dass sie Anstalten gemacht hätte, sie wegzuwischen. Emma sah die Verzweiflung und den Schmerz in den Augen ihrer Freundin. Olav stand wie versteinert da, nur sein Blick jagte zwischen den beiden Mädchen hin und her.

»Was heißt das, was sie da geschrieben hat?«, fragte er. »Gibt es etwas, was ihr mir nicht erzählt habt?«

Emma wusste nicht, was sie sagen sollte. Die Angst hielt ihr Herz umklammert. Synnøve hatte sie angelogen. Sie hatte nie auch nur daran gedacht, ihren Eltern die Wahrheit zu sagen. Wie hatte Emma nur so dumm sein können, ihr zu glauben? Sie wusste doch, wie instabil Synnøve war. Meistens war sie guter Stimmung, fröhlich und energiegeladen, aber ihre schwermütigen Phasen waren ausgeprägter als bei den meisten anderen Menschen. Nach den Ereignissen der letzten Zeit war ihr jetzt offensichtlich alles zu viel geworden.

»Wir müssen sie suchen«, schluchzte Dagny. »Sie muss ja irgendwo in der Nähe sein. Weit kann sie nicht gekommen sein, wenn sie nicht …« Dagny schüttelte den Kopf und fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen. »Warum haben wir nichts unternommen? Jetzt ist es zu spät.«

»Was denn unternommen?« Olaf verstand überhaupt nichts mehr. »Emma, jetzt sag doch auch mal was!«

»Jemand hat Synnøve nach dem Fest Gewalt angetan«, flüsterte Emma. »Sie hat mich schwören lassen, dass ich niemandem davon erzähle. Nicht, bis sie …«

»Gewalt?« Olav unterbrach sie und sah sie ungläubig an. »Gewalt?«, wiederholte er. »Meinst du damit, sie ist …?« Er brachte den Satz nicht zu Ende. »Seid ihr vollständig verrückt geworden?«

Emma wollte gerade antworten, als sie sah, dass Tore über den glatten Felsen angelaufen kam. Er rutschte aus, fing sich wieder und stolperte auf sie zu.

»Sie … sie ist nirgendwo auf dem Hof«, keuchte er. »Wir haben alles abgesucht, auch in der nächsten Umgebung.« Er sah sie an. »Wollt ihr hier einfach nur rumstehen? Gott weiß, was dieses dumme Mädchen jetzt schon wieder macht. Wenn wir sie finden, kann sie was erleben!«

Emma fing für einen Moment Tores Blick auf. Das Feuer in seinen Augen erschreckte sie. Wenn Tore erfuhr, was Synnøve ihr erzählt hatte, würde sich sein Zorn gegen sie richten, weil sie es für sich behalten hatte.

»Komm, Emma. Du kommst mit mir, wir gehen am Meer entlang und suchen dort. Olav und Dagny können sich den Weg am Fjord entlang Richtung Vik vornehmen. Irgendwo muss sie ja sein. Bestimmt hat sie sich nur irgendwo versteckt, wie sie es schon als Kind immer gemacht hat, wenn ihr etwas nicht gepasst hat. Wisst ihr noch?«

Olav schien etwas sagen zu wollen und sah Emma an. Er öffnete den Mund, aber Tore redete einfach weiter, ohne ihn zu beachten.

»Aber dass sie jetzt so eine Dummheit begeht, nur weil sie bei dem Fest zu viel getrunken und sich lächerlich gemacht hat, das geht mir nicht in den Kopf.«

»Vielleicht geht es um mehr.« Olav blickte ihn starr an, aber Tore ignorierte ihn weiterhin.

»Kommst du, Emma?«

Sie zögerte einen Augenblick. Sah, wie Olav sie anstierte. Er erwartete wohl von ihr, dass sie protestierte, doch dafür war jetzt keine Zeit. Sie mussten Synnøve finden.

»Ich komme!«

Sie spürte Olavs brennenden Blick im Rücken, als sie hinter Tore herlief, schob den Gedanken aber schnell beiseite. Ihr Herz raste, sie glaubte, jeden Moment ohnmächtig zu werden. Sie betete zu Gott, dass Synnøve zur Vernunft kam, bevor es zu spät war. Die Angst, die sie an jenem schicksalhaften Abend ergriffen hatte, als sie das arme Mädchen im Bootschuppen gefunden hatte, kehrte mit voller Wucht zurück. Was, wenn Synnøve ins Meer gegangen war? Damit hatte sie bei Emmas Besuch gedroht, und sie hatte es nicht ernst genommen. Synnøve hatte befürchtet, schwanger zu sein, und mit dieser Schande hatte sie nicht leben wollen.

Lieber Gott, lass sie uns wohlbehalten finden.

Sie sah Tores breiten Rücken vor sich und bemühte sich, mit ihm Schritt zu halten. Das Terrain am Ufer war unwegsam, zwischen Steinen und Feldspalten kam man nur schwer voran. Sie rutschte auf dem feuchten Moos aus, klammerte sich fest und blickte sich suchend nach Synnøve um.

Ein Stein löste sich unter ihrem Fuß und sie glitt die Felsen hinunter. Erst kurz vor dem Abgrund fand sie ihr Gleichgewicht wieder. Sie suchte mit den Händen nach Halt, um sich wieder hochzuziehen, fand einen verkrüppelten Strauch und spürte einen brennenden Schmerz in der Hand, als sie seine Zweige umgriff.

»Tore!«, rief sie. »Hilf mir!«

Er drehte sich jäh um, begriff den Ernst der Lage und machte kehrt.

»Hier, nimm meine Hand.« Er kniete sich hin und streckte sich nach ihr aus. »Hast du dir wehgetan?«

Emma verzog das Gesicht, klammerte sich an seine Hand und ließ sich von ihm hochziehen.

»Nein, ich war nur unvorsichtig.« Sie blickte auf ihre blutende Handfläche. »Das war nur der Busch, er hatte Dornen.«

»Oje.« Tore schüttelte den Kopf, nahm sein Halstuch ab und wickelte es ihr um die Hand. »Du musst die Wunde später gut auswaschen.« Sanft strich er ihr über den Handrücken und blickte sie ernst an. »Wir müssen weiter, Emma. Aber wenn du eine Pause brauchst, dann sag es.«

»Das mache ich.« Emma errötete und zog die Hand zurück.

»Hier ist der Weg besser.«

Er blieb an ihrer Seite, während sie hinter jeden Stein, in jede Spalte, in jedes Loch und hinter jeden Busch blickten, die groß genug waren, um einen Menschen zu verbergen. Emma hatte das Gefühl, als würde sie sich selbst von außen beobachten. Alles schien so unwirklich wie in einem Traum. Aber das hier passierte wirklich und war leider kein Albtraum, aus dem man einfach aufwachen konnte. Und dann waren da noch die heftigen Schuldgefühle. Wie sollte sie damit leben?

»Wir werden sie finden, Emma«, sagte Tore, nahm ihre Hand und drückte sie leicht. »Synnøve handelt oft, ohne nachzudenken. Bestimmt sitzt sie irgendwo und schämt sich.«

Emma wand vorsichtig die Hand aus seinem Griff und sah, wie sich sein Blick verfinsterte und sein Mund zu einem Strich wurde.

»Wollen wir es hoffen, Tore.«

Eine Weile liefen sie schweigend nebeneinander her. Inzwischen waren sie auf der anderen Seite der Landzunge angekommen und konnten die Hofdächer von Dal erkennen. Vor ihnen erstreckte sich glänzend der Fjord, eine leichte Brise kräuselte die Wasseroberfläche, die in der Abendsonne glitzerte. Ein paar Möwen saßen auf einem Holm und putzten ihr Gefieder. Ein Boot fuhr gerade vom Meer herein, und die Möwen erhoben sich und flogen ihm entgegen. Vielleicht hofften sie auf Fischreste, dachte Emma und atmete tief ein. Es war ein außergewöhnlich schöner Abend. Als hätte die Natur sich in ihr Festtagskleid geworfen. Als könnte nichts Schlimmes geschehen.

»Dagny hat erzählt, dass du Synnøve besucht hast.« Tore sah sie von der Seite an. »Habt ihr über das Fest gesprochen?«

»Nicht viel.« Emma spürte, wie ihr Herz für einen Moment aussetzte. Olav wusste nun, dass Synnøve vergewaltigt worden war, und Tore würde es sicher von ihm erfahren. Was sollte sie nur sagen?

»Irgendwas wird sie doch gesagt haben«, drängte er. »Weißt du, wer ihr so viel zu trinken gegeben hat?«

»Nein, keine Ahnung.«

»Ich war es jedenfalls nicht«, sagte er grimmig. »Als ich ihr auf dem Weg zum Fest etwas angeboten habe, wurde ich ja ganz schön rabiat in die Schranken gewiesen.« Er lächelte schief. »Ich schwöre, dass ich es nicht noch mal versucht habe.«

»Das glaube ich dir, Tore.«

Emma beschleunigte ihren Schritt, als könnte sie so seinen Fragen entkommen, doch so leicht ließ er nicht locker. Schnell schloss er zu ihr auf und legte ihr die Hand auf die Schulter.

»Du verschweigst mir etwas, Emma. Ich kenne dich doch.«

»Nein. Oder …« Sie sah ihn an und begann zu weinen. »Frag nicht weiter, Tore. Nicht jetzt.«

»Warum nicht?«

»Weil ich versprochen habe, nichts zu sagen.«

»Versprochen? Unter bestimmten Umständen darf man ein Versprechen auch brechen. Vor allem, wenn es um Leben und Tod geht.«

Leben und Tod! Es traf sie wie eine Sturzwelle, was er da sagte, doch sie brachte kein Wort mehr heraus. Sie blickte ihn nur tränenüberströmt an. Da schien ihm plötzlich ein Licht aufzugehen und er stieß sie schnaubend von sich weg.

»Verdammt! Synnøve war gar nicht betrunken, oder? Sie war aus einem anderen Grund so aufgelöst.« Er schlug sich mit der Hand an die Stirn. »Wie konnte ich nur so dumm sein. So verdammt dumm, dass …«

»Pscht!« Emma erstarrte. »Hörst du das?«

»Was?«

»Da ruft doch jemand.«

»Ich höre nichts.«

»Doch, da ist es wieder. Hör doch mal …«

Ohne ein Wort stürzte er los. Emma versuchte, ihm zu folgen, aber ihr Rock war im Weg. Jetzt hörte sie deutlich, dass jemand um Hilfe rief. Aber es war nicht Synnøve, die Stimme war tiefer, gehörte offensichtlich einem Mann.

Suchend blickte sie nach vorne und sah Tore, wie er seine Schuhe auszog und hinter einem Felsen verschwand.

Emmas Herz schlug ihr bis zum Hals. Als sie den Felsen erreichte, sah sie gerade noch, wie Tore sich ins Meer stürzte. Ein Stück weiter draußen ruderte jemand wie wild mit den Armen, um sich über Wasser zu halten, und sie sah zwei Köpfe auf- und wieder abtauchen.

Nicolai? Sie traute ihren eigenen Augen nicht, aber er war es, und die andere Gestalt musste Synnøve sein. Schnell streifte sie Rock und Schuhe ab und sprang ebenfalls. Tore war schon bei den beiden. Im selben Moment verschwand Nicolai im Wasser.

»Er kann nicht schwimmen!«, rief Emma. »Kümmere dich um ihn, ich halte so lange Synnøve.«

Sie warf sich in die Wellen. Mit ein paar kräftigen Zügen war sie bei den anderen und packte Synnøve, die Nicolai losgelassen hatte, als er untergegangen war. Sie legte ihr die Hand in den Nacken, hielt sie über der Wasseroberfläche und dankte Gott, dass sie so gut schwimmen konnte.

Synnøve hatte die Augen geschlossen. Ihr Gesicht war weiß wie Wachs und ihr Haar erinnerte an unter Wasser dahintreibenden Tang. Emma versuchte, sie Richtung Ufer zu schieben, schaffte es aber nicht und konzentrierte sich stattdessen darauf, sie beide über Wasser zu halten.

Tore schleppte Nicolai an Land und kam zurück.

»Ich nehme sie«, sagte er mit einem verzweifelten Blick auf seine Schwester. »Schwimm du an Land, Emma.«

»Ich kann dir helfen.«

»Nicht nötig. Das schaffe ich alleine.«

Emma gehorchte. Ihre Zähne klapperten vor Kälte und Angst. Sie sah Nicolai mit Tores Jacke um die Schultern am Ufer sitzen. Zumindest ihm geht es gut, dachte sie erleichtert. Aber was ist mit Synnøve?

Kapitel 2

Die zwei Schwestern saßen am Küchentisch. Karen hatte vorgeschlagen, ins Wohnzimmer zu gehen, aber Augusta meinte, ihr hätte es in der Küche schon immer besser gefallen, weil man von dort auf den Fjord hinausblicken konnte. Damit war es entschieden.

Sie redeten über alles Mögliche, aber Augustas bevorstehende Abreise nach Amerika erwähnten sie mit keinem Wort. Karen hoffte, dass die ganze Amerikasache nur eine Laune war, die vorüberziehen würde. Denn an wen sollte sie sich wenden, wenn sie jemanden zum Reden brauchte und ihre Schwester nicht mehr hier war? Sie waren immer füreinander da gewesen, zusammen durch dick und dünn gegangen. Es war vor allem Augusta zu verdanken, dass sie nach Elfridas Tod wieder auf die Beine gekommen war. Mit Geduld und Überzeugungskraft hatte ihre Schwester ihr geholfen, zu begreifen, dass viele mit Trauer zu kämpfen hatten, und dass sie sich zusammenreißen musste, wenn sie nicht wollte, dass ihre ganze Familie zugrunde ging. Richtig wütend war sie manchmal geworden, aber letztlich hatte genau das geholfen.

»Hat Emma inzwischen einen Freund?«, fragte Augusta lächelnd, während sie sich noch ein Stück Kuchen auf den Teller lud.

Karen erwachte aus ihren Gedanken und blickte ihre Schwester an.

»Nein. Olav ist nur ein Freund aus Kindertagen. Sie kennen sich schon ihr ganzes Leben lang.«

»Deshalb können sie ja trotzdem ein Liebespaar werden, oder?«

Karen sah aus dem Fenster.

»Emma ist noch viel zu jung für etwas so Festes«, sage sie und reckte den Hals. »Wo bleiben denn alle? Sie sollten längst zurück sein.«

»Jetzt lenkst du ab«, sagte Augusta lächelnd. »Als du damals mit Sverre angebandelt hast, warst du doch selbst noch ein junges Mädchen.«

Karen spürte, wie ihr die Röte in die Wangen schoss, und stand auf, um die Kaffeekanne zu holen. Warum fing Augusta denn jetzt damit an?

»Wir haben nicht angebandelt, wir waren nur gute Freunde.«

»Nur gute Freunde, ja, sicher!« Augusta lachte schallend. »Ich erinnere mich noch gut, wie sehr sich Mutter um dich gesorgt hat. Du warst erst 15, und ich mit meinen zwei Jahren mehr sollte auf dich aufpassen. Aber das war gar nicht so einfach. Ständig habt ihr euch weggeschlichen, um alleine zu sein, und ich hatte furchtbare Angst davor, was euch wohl einfällt.«

»Ach, hör schon auf!« Karen lächelte, aber in ihr war etwas erwacht, was sie am liebsten für immer vergessen hätte. »Das liegt doch schon ein ganzes Leben zurück, Augusta.«

Augusta nippte am Kaffee und blickte ihre Schwester nachdenklich an.

»Denkst du noch manchmal an ihn?«

»Nein, ich habe ihn seit der Sonntagsschule nicht mehr gesehen.« Sie setze die Kaffeetasse energisch auf dem Tisch ab.

»Bist du sicher, Karen?« Augusta sah sie mit einem verschmitzten Lächeln um die Mundwinkel an.

»Das werde ich ja wohl wissen.« Karen schüttelte müde den Kopf. Etwas schnürte ihr die Kehle zu, sie rang nach Luft. »Was wärmst du diese alten Geschichten auf?«

Augusta blickte ihr direkt in die Augen. Karen sah zu Boden.

»Erinnerst du dich noch an Caroline mit den langen Zöpfen?«

»Aber ja. Sie war auch mit uns in der Schule.«

»Sie hat erzählt, sie hätte dich mit Sverre am Hafen gesehen, und zwar in dem Frühling, als du Peder kennengelernt hast.«

»So ein Unsinn!«, brauste Karen auf. »Ich habe ihn seit der Schulzeit nicht mehr gesehen, das habe ich doch gesagt. Obwohl …« Sie atmete tief ein. »Vielleicht habe ich noch ein paarmal mit ihm geredet, bevor er zum Fischen auf die Lofoten gefahren ist.«

»Caroline war sich sehr sicher, dass du es warst«, sagte Augusta. »Du hattest einen grünen Mantel mit Fuchspelz an. Wie der, den ich dir genäht habe. Weißt du noch?«

»Einen schöneren Mantel habe ich nie besessen. Natürlich erinnere ich mich, aber ich war es trotzdem nicht. Das schwöre ich.«

»Jaja …« Augusta seufzte. »Wie du meinst. Es ist ja auch schon lange her.«

»Ich verstehe nicht, warum du jetzt so darauf herumreitest? Du weißt doch, wie glücklich ich mit Peder bin. Seit ich ihn kenne, habe ich niemanden sonst mehr gesehen. Ich bestreite ja gar nicht, dass ich auch eine wilde Zeit hatte, aber mit Peder ist Ruhe eingekehrt.« Ihre Stimme zitterte. »Er ist das Beste, was mir je passiert ist, Augusta.«

Augusta nahm ihre Hand und blickte sie zärtlich an.

»Ich weiß, und das darfst du nie vergessen.« Eine Weile sah sie Karen nachdenklich an, bis diese wieder den Blick abwenden musste. »Ich habe Sverre nur erwähnt, damit du Emma verstehst. Wenn sie wegen Olav hierbleiben will, dann soll sie das. Sie muss nicht bei mir anfangen, wenn sie nicht will. Auch wenn ich mich freuen würde.«

»Ich verstehe sie ja, darum geht es gar nicht, aber ich weiß, dass Emma etwas Zeit mit dir ganz guttun würde.« Karen zerdrückte einen Kuchenkrümel und dachte eine Weile nach.

»Unter uns, Augusta, ich glaube ja, dass dieser Künstler der Grund ist, warum sie nicht fort will. Nicht Olav, oder …« Sie zuckte mit den Schultern. »Vielleicht sind es auch beide. Ich weiß nicht. Manchmal glaube ich, ich kenne meine eigene Tochter nicht mehr.«

»Genau das hat unsere Mutter auch über dich gesagt. Ständig hat sie sich gesorgt, was nur aus dir werden soll, und ich …« Augusta seufzte tief. »Und ich… ich habe mich irgendwie ausgeschlossen gefühlt, als würde sich alles immer nur um dich drehen.«

»Ach, davon will ich nichts hören.« Karen blickte sie zornig an. »Mutter hat sich immer nur dir anvertraut. Ane und mich hat sie nie wegen irgendetwas um Rat gefragt.«

»Weil ich die Älteste war, und die Hoferbin. Wie sehr habe ich mich manchmal danach gesehnt, allem zu entkommen. Ich habe mir ein anderes Leben gewünscht … ein besseres Leben, als mich auf dem Hof zu Tode zu schuften.«

»Das hast du doch auch bekommen, Augusta. Hast du das vergessen?«

»Natürlich nicht. Und ich bereue auch nicht, dass ich dir den Hof überlassen habe. Selbst wenn mein Leben nicht verlaufen ist wie erhofft.«

»Und jetzt denkst du, dass alles so wird, wie du es dir vorstellst, wenn du nach Amerika gehst?« Karen war immer noch zornig.

»Ich weiß es nicht, aber ich hoffe es«, antwortete Auguste und blickte an Karen vorbei aus dem Fenster. »Da kommt jemand.«

»Das sind sicher Peder und Johannes.« Karen räumte den Tisch ab und stellte die Tassen auf die Anrichte. Ihre Hände zitterten. Augustas Worte hatten sie mehr getroffen, als sie zugeben wollte.

Einar Dal tauchte im Türrahmen auf und grüßte, die Mütze in den Händen. Sein Blick fiel auf den Gast.

»Grüß dich, Augusta. Bist du zu Besuch?«

»Ganz recht, Einar. Komm nur rein, hier gibt’s Kaffee.«

»Danke für das Angebot, aber gerade habe ich keine Zeit.« Er nestelte eine Weile an seiner Mütze herum.

Karen sah ihn verwundert an. Einar wirkte unruhig. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn, und sein Mundwinkel zuckte.

»Peder ist im Wald«, sagte sie. »Falls du ihn suchst.«

»Ich … ich suche Synnøve. Ist sie vielleicht hier gewesen?«

»Synnøve? Nein, wir haben sie nicht gesehen. Wollte sie zu uns?«

»Nein … oder, ich weiß es nicht.« Er kramte ein Taschentuch aus der Tasche und tupfte sich die Stirn trocken. »Sie hat nach der Stallarbeit einen Spaziergang gemacht, und ich dachte, vielleicht ist sie hier vorbeigekommen.«

»Ja und?« Karen sah ihn immer noch fragend an. »Ist etwas passiert, Einar?«

»Nein, nein«, antwortete er etwas zu rasch. »Falls sie kommt, schickt sie doch bitte nach Hause. Serine brauch ihre Hilfe.«

»Das machen wir, aber …« Weiter kam Karen nicht. Einar hatte sich schon zum Gehen gewandt. Schnell folgte sie ihm und schloss dir Tür hinter sich. »Einar!«

Er blieb stehen und drehte sich um.

»Was ist los, Einar?«, fragte sie leise.

Er warf einen Blick zum Fenster und senkte die Stimme.

»Ich hatte einen kleinen Streit mit Synnøve und dann ist sie weggelaufen.«

»Ach je.« Sie tätschelte seinen Arm. »Mach dir keine Sorgen. Sie ist sicher schon wieder zu Hause.«

»Wollen wir es hoffen. Mädchen in dem Alter sind schwierig zu verstehen.«

»Da sagst du was. Aber morgen ist bestimmt schon wieder alles vergessen. So sind die jungen Leute.«

»Dein Wort in Gottes Ohr.« Er nickte kurz und ging schnellen Schrittes den Weg hinunter.

Eine Weile blickte Karen ihm gedankenverloren hinterher. Es war wohl eher ein größerer Streit gewesen, sonst wäre Einar nicht hier aufgetaucht. So gut kannte sie ihn.

»Was in aller Welt ist denn mit dem los?«

Augusta trat zu ihr auf die Treppe.

»Es geht wieder um dieses Mädchen«, sagte Karen scharf. »Mit der werden sie noch ihre Mühe haben. Das kannst du mir glauben.«

»Mit Synnøve?«

»Ja. Das Mädchen ist nicht einfach.«

»Sagst du …« Augusta lächelte. »In dem Alter ist wohl kaum ein Mädchen einfach, Karen.«

»Synnøve!« Tore schüttelte sie und klatschte ihr leicht auf die Wangen, aber Synnøve reagierte nicht. Mit geschlossenen Augen und leicht geöffnetem Mund lag sie da. Tang hing in ihren Haaren, auf einer Wange klebte ein welkes Blatt. Tore wischte es weg.

»Sie … sie ist doch nicht tot?« Nicolai klapperte mit den Zähnen, Tores Jacke über den Schultern. »Ich habe sie gesehen. Sie … Sie …«

»Was?« Tore sah ihn scharf an. »Was willst du sagen, Nicolai?«

Nicolai zeigte mit zitterndem Finger auf einen Felsen, der hinaus ins Meer ragte.

»Da stand sie und hat aufs Meer hinausgeblickt. Ganz still und mit hängenden Armen. Dann hat sie einen Schritt nach vorne gemacht. Ich habe gerufen, dass sie aufpassen soll, aber sie hat mich nicht gehört, und dann war sie plötzlich verschwunden.«

Tore legte den Kopf auf Synnøves Brust und horchte. Schüttelte sie kräftig. Ihr Kopf baumelte hin und her wie der einer Stoffpuppe.

»Synnøve! Bitte … komm zurück, Synnøve.«

Emma hielt den Atem an. Ihr Herz schmerzte, es schlug heftig, und ihr war schwindelig vor Angst. Wenn es nur noch nicht zu spät war.

»Ich habe nicht einmal darüber nachgedacht, dass ich nicht schwimmen kann«, fuhr Nicolai fort. »Ich bin ihr einfach hinterhergesprungen. Sie hat um sich geschlagen und gesagt, ich solle sie in Ruhe lassen. Ich habe versucht, mich an der Oberfläche zu halten und ihr zugerufen, dass sie an Land schwimmen soll. Aber sie hat immer wieder nach mir geschlagen, und ich habe mich an ihr festgeklammert. Dann sind wir beide untergegangen.« Er weinte nun. Große Tränen vermischten sich mit dem Salzwasser in seinem Bart. »Sie war völlig außer sich. Vollkommen verrückt …«

Emma hörte, was er sagte, aber ihr Blick war die ganze Zeit auf Synnøve gerichtet. Sie suchte nach einem Lebenszeichen. Wenn es stimmte, was Nicolai sagte, konnte Synnøve nicht lange unter Wasser gewesen sein. Sie strich ihr ein paar nasse Haarsträhnen aus dem Gesicht und bemerkte, dass sich hinter den geschlossenen Augenlidern etwas regte.

»Synnøve!« Voller Hoffnung sah sie Tore an. Plötzlich ging ein Ruck durch den zarten Mädchenkörper, sie krümmte sich zusammen und übergab sich.

»Jawohl. Braves Mädchen.« Tore hielt sie fest. Sie schlotterte am ganzen Körper, und er murmelte ihr beruhigend zu. »Emma, lauf schnell heim und sag Vater, er soll uns entgegenkommen. Er soll eine warme Decke mitbringen … oder lieber zwei.« Er warf einen kurzen Blick auf den völlig durchnässten, zitternden Nicolai. »Danke, Nicolai«, sagte er heiser. »Das werde ich nie vergessen.«

»Ich auch nicht.« Nicolai sah kopfschüttelnd Synnøve an. »In hundert Jahren nicht.«

Emma strich Synnøve über die Wange und wollte gerade aufstehen, als sie etwas sah und nach Luft schnappte. Synnøves Kleid klebte klatschnass an ihrem Körper. Es war blauweiß kariert, aber an den Schenkeln breitete sich langsam ein roter Kreis aus.

Tore folgte ihrem Blick und keuchte erschrocken auf.

»Sie ist verletzt!« Er richtete sie auf und nahm ihren Kopf zwischen die Hände. »Tut dir etwas weh?«

Synnøve schüttelte den Kopf.

»Nein, mir ist nur kalt.«

»Aber du blutest! Du musst dich an einem Stein verletzt haben.«

»Was … wo?« Synnøve wand sich aus seinem Griff. Ihr Gesicht, eben noch weiß wie Schnee, bekam wieder Farbe, ihr Blick wurde klarer. Eine Weile blickte sie einfach nur an sich herunter, dann wandte sie sich an Emma und flüsterte schließlich: »Denk daran, was du mir versprochen hast, Emma. Vergiss das nicht.« Dann kamen ihr die Tränen. Schluchzend klammerte sie sich an Tore und murmelte: »Vergib mir … Bitte vergib mir.«

Tore blickte Emma scharf an, und sein Mund wurde zu einem weißen Strich, aber er schwieg. Sein Blick allerdings ließ darauf schließen, dass er keine Ruhe geben würde, bis Emma ihm gesagt hatte, was Synnøve meinte. Vielleicht ahnte er es auch schon.

Sie stand auf und lief weg, als hätten ihre Füße Flügel, spürte weder die kratzenden Büsche noch ihre aufgerissene Hand. Sie hatte nur einen einzigen Gedanken. Synnøve lebte und war nicht schwanger. Entweder hatte sie sich geirrt, oder der Druck war so groß gewesen, dass sie das Kind verloren hatte. In jedem Fall war es das Beste für Synnøve.

Kapitel 3

»Ist Synnøve absichtlich ins Meer gesprungen?« Karen fixierte Emma streng. »Was ist hier eigentlich los?«

»Ich weiß es nicht, Mutter. Wie oft soll ich das noch sagen? Ich weiß nicht, ob sie nur ausgerutscht oder gesprungen ist.«

»Dieses verrückte Mädchen gehört eingesperrt!« Karen biss die Zähne zusammen. »Ich habe es schon einmal gesagt, und jetzt sage ich es noch einmal. Das gibt noch richtig Probleme mit der.«