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Der Mann, der bei Bild Hans Esser war – Günter Wallraffs Bericht aus dem Inneren der Bildzeitung ist ein Meisterwerk des Investigativjournalismus, dessen Erkenntnisse bis heute Gültigkeit besitzen. »Der Aufmacher« wird sofort bei Erscheinen ein riesiger Bestseller. Wer das Buch heute liest, wird erschrecken, wie aktuell es ist: Alle Mechanismen des Populismus lassen sich hier besichtigen. »Mit seinen Enthüllungen hat Wallraff Mediengeschichte geschrieben – und Maßstäbe gesetzt in Sachen Investigation, Furchtlosigkeit, und Durchhaltevermögen.« Georg Restle, Monitor
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Seitenzahl: 350
Günter Wallraff
Erweiterte Neuausgabe mit einem aktuellen Nachwort von Georg Restle
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Titelseite
Inhaltsverzeichnis
Über Günter Wallraff
Über dieses Buch
Impressum
Hinweise zur Darstellung dieses E-Books
Motto
Vorbemerkung
Einleitung
Berührt – geführt »Im Namen des Volkes«
»Bei Sturm schwappt das Wasser aus der Badewanne«
»Der Mann, der die Bombe transportierte«
»Schweigen Sie jetzt und gehen Sie schon!«
Kälteeinbruch
»Fehler und Alkohol«
»BILD schafft Lehrstellen«
Vom »Stadtschwein« und vom »Landschwein«
BILD schreibt für Albrecht (CDU) – Schmalstieg (SPD) schreibt für BILD
Der BILD-Anwalt
Konrad-Adenauer-Preis
Die Bahlsen-Hochzeit
»Sein letztes Kommando: Drei Jagdhunde«
Alles hat seinen Preis
Raubfische
»Ein armer alter Mann baut die herrlichsten Geigen der Welt«
Wahr ist, was nicht geschrieben steht
BILD und das Tier
Auferstehung eines Sterbenden
Die Mädchen in BILD
»Falsch geparkt, Politesse schrieb eigenen Mann auf«
Au, au, Herr Esser!
Der Mann in der Höhle
»Höhlenforscher im Harz«
»Buback – Bockbier«
An den Witzen sollt ihr sie erkennen
Die letzte Instanz
Intensivstation
Danach
Die Opfer müssen sich wehren
Anhang
»Wallraff log«
Gerichtsentscheidungen
BGH-Urteil zum Bericht über »Bild«-Praktiken – Karlsruher Richter:
Texte aus »Zeugen der Anklage«
Frühere Gegengeschichten zur BILD-Zeitung
Nachwort
Inhaltsverzeichnis
Herr Keuner begegnet Herrn Wirr, dem Kämpfer gegen die Zeitungen. »Ich bin ein großer Gegner der Zeitungen«, sagt Herr Wirr, »ich will keine Zeitungen.« Herr Keuner sagt: »Ich bin ein größerer Gegner der Zeitungen: Ich will andere Zeitungen.«
Inhaltsverzeichnis
Köln, den 16.9.1977[1]
Ich verabscheue Gewalt und Terror. Ich verurteile die Morde an von Drenkmann, Buback und Ponto und den vier Begleitern Schleyers.
Warum diese Vorbemerkung zu diesem Buch? Weil zurzeit in diesem Land ein Klima herrscht, in dem demokratische Kritik diffamiert und in Terroristennähe gerückt wird. Ich z.B. wurde, nachdem ich mir erlaubt hatte, BILD von innen her kennenzulernen, in diesem Blatt mehrfach als »Untergrundkommunist« diffamiert, was auf Neudeutsch so viel heißt wie »Terrorist«.
Auch in diesem Buch geht es um Gewalt, um eine besondere »geistige« Spielart, die keiner Molotow-Cocktails und Maschinengewehre bedarf. Die Opfer sind Menschen, ihre Gedanken, ihre Gefühle, ihre Würde. Kein Krisenstab und keine Großfahndung können diese Gewalt aus der Welt schaffen, keine Razzia wird die Geiselnehmer des Unterbewusstseins überraschen, kein Sonderkommando wird die verschleppten Erwartungen und Hoffnungen befreien, kein Staatsanwalt wird die Überwachung der Sympathisanten und Helfershelfer anordnen. Das Strafgesetzbuch selbst mit neuen Gesetzen gegen Terror und Gewalt fasst diese Taten nicht. Erst recht nicht die Täter. Gibt es sie überhaupt? Immer zweifelhafter ist mir das geworden, als ich sie besser kennenlernte. Sind nicht auch sie Opfer zugleich, die neue Opfer schaffen? Opfer einer Maschinerie, die geistige Gewalt automatisch produziert?
Ich will die tätigen Opfer des BILD-Systems nicht denunzieren, sie nicht als Individuen darstellen und brandmarken für ihr ganzes Leben. Deshalb trägt keiner der Kollegen, mit denen ich in Hannover in der BILD-Redaktion zusammenarbeitete, im Buch seinen wirklichen Namen – wie auch einzelne andere Personen. Doch wurde nichts erfunden oder hinzugedichtet. Äußerungen und Dialoge habe ich teils direkt mitgeschrieben, teils nach Redaktionsschluss in Gedächtnisprotokollen festgehalten. Dieses Buch ist nur der erste Teil einer Beschreibung der BILD-Zeitung, es berichtet fast nur von den Machern, weniger von den Opfern, den Geschädigten. Es musste darauf verzichten, die großen politischen Fälschungen und Verdrehungen von BILD zu dokumentieren.
Das wird einem zweiten Buch vorbehalten sein, an dem ich und einige Kollegen, die noch in Außenredaktionen und in der BILD-Zentrale ausharren, bereits arbeiten.
»BILD kämpft für Sie« heißt eine heuchlerische Kolumne in Springers Massenblatt. Jetzt gibt es einen Hilfsfonds »Wenn BILD lügt – kämpft dagegen«, der geschädigten BILD-Lesern, die weder die finanziellen Mittel noch die juristische Kenntnis haben, ihr Recht mit Gegendarstellungen, Widerrufen, Unterlassungsverfügungen, Schadensersatz- und Schmerzensgeld-Forderungen durchzusetzen, kostenlose anwaltliche Beratung zur Verfügung stellt. Der Hilfsfonds wird aus dem Honorar dieses Buches finanziert. Kontaktadresse für BILD-Opfer:
Hilfsfonds »Wenn BILD lügt – kämpft dagegen«
Günter Wallraff
c/o Kiepenheuer & Witsch Verlag
Bahnhofsvorplatz 1
50667 Köln
G.W.
Inhaltsverzeichnis
Auf die Idee brachte mich Hans Habe, ständiger Rechtsaußen-Kolumnist im Springer-Sold. Am 2. Januar 1977 veröffentlichte BILD am Sonntag eine ganzseitige Bestseller-Liste: »Hans Habe sieht halb prophetisch, halb ironisch die kommenden literarischen Sensationen voraus … Nach eingehenden Erkundigungen und geheimen Informationen – ich (Habe) habe im Auftrag von BILD am Sonntag jene befragt, die Bestseller machen …«
Hinter Böll und vor Biermann werde ich von Habe unter Belletristik an siebter Stelle platziert:
Wallraff: IG.
Der brillante Schlüsselroman mit dem schlichten Titel ist das Resultat der neun Monate, die der Autor verkleidet in einer Gewerkschaftszentrale verbrachte, um deren Führern auf die Schliche zu kommen. Im Revolt-Verlag, Hamburg.
Viele Leser erkannten die Satire nicht, viele bestellten das Buch im Buchhandel. Sie hatten Habe ernst genommen.
Das tat ich auch. Ich fragte mich, warum er bloß auf die Gewerkschaft gekommen war – und nicht auf das viel Näherliegende, viel Gewaltigere: den Springer-Konzern und dessen größtes Blatt, die BILD-Zeitung. Zwar war vieles in den letzten Jahren darüber geschrieben worden, doch aus dem Innenleben dieses Presse-Imperiums, das Politik und Gesellschaft der Bundesrepublik mitbestimmt und häufig kommandiert, ist so gut wie nichts an die Öffentlichkeit gedrungen.
Bekannt und häufig beschrieben ist, was Springer will und was er macht. Aber er kann es doch nicht alleine tun, er hat ein Heer von Helfern, die für ihn die Wirklichkeit nach seinem Bilde formen. Was sind das für Menschen, die ihm die BILD-Zeitung machen? Sind es Hilfswillige, Sklaven, Infantile, Zyniker? Wer hält die Maschine am Laufen? Manches kann man sich ausdenken, man kann einen dieser Typen so darstellen, wie Heinrich Böll das in seiner »Katharina Blum« getan hat. Aber wer nimmt einem das ab?
Mit meinem Freund Wolf Biermann, der im November 76 nach seiner Ausbürgerung aus der DDR bei mir in Köln eingezogen war, bereitete ich mich darauf vor, die Rolle eines BILD-Journalisten anzunehmen, um an mir selbst zu erleben, wie dieses gewaltige und geistig gewalttätige System funktioniert. Am 8. März 77 erzählte Wolf Biermann den viertausend Besuchern einer Solidaritätsveranstaltung »Gemeinsam gegen rechts« in der Offenbacher Stadthalle, Wallraff lasse sich entschuldigen, er sei gerade mal wieder einschlägig tätig – irgendwo im faschistischen Ausland.
Einen Tag später, am 9. März, erschien die Hannoveraner Ausgabe der BILD-Zeitung mit folgendem Seitenaufmacher:
Inhaltsverzeichnis
Das bin ich nicht mehr, der mich da aus dem Spiegel anschaut. So eine Visage, auf Karriere getrimmt, wie ich sie bei Jungmanagern immer hasste.
Geschniegelt, gestutzt, von Höhensonne erfolgsgebräunt. Polierte Fresse: Der da die durch Jacketkronen gleich gerichteten Zähne herzeigt, den Krawattenkragen festwürgt und sich mit einem massivgoldenen Siegelring (geliehen) seiner selbst vergewissern muss und viel zu viel Herrenparfüm (Aqua brava) auf den 500-Mark-Anzug und unter die Achseln schüttet, damit der Angstschweiß nicht ruchbar wird, möchte aus der Rolle raus, noch bevor sie anfängt.
Weit wegfahren, nach Portugal, auf die Kooperative, wo du dich nicht zu verstellen brauchst, von den Landarbeitern aufgenommen wirst, dazugehörst und dich nützlich machen kannst, selbst mit zwei linken Händen.
Jetzt habe ich Angst, eine Angst, die ich nur einmal hatte: Als ich mich im faschistischen Athen ankettete. Auch diesmal trage ich meine Haut zu Markte. Nur dass die Spuren der Verletzungen nicht so sichtbar sein werden. Damals war ich in der Unschuldsrolle des Opfers, diesmal muss ich zum Mittäter werden.
»Du weißt nicht, auf was du dich da einlässt«, hatte B. gesagt. »Die zermanschen und knacken dich, dass dir Hören und Sehen vergeht. Die sind einfach perfekt, die schlucken dich, bevor du überhaupt piep sagen kannst. Du Dilettant, du bist kein guter Schauspieler. Das Beste für dich wäre, dass sie dir früh genug die Maske runterreißen, bevor sie dir anwächst.«
Ein Freund, Gesichtschirurg in der plastischen Chirurgie der Universitätsklinik Köln, riet davon ab, die kennzeichnenden Falten durch Liften zu entfernen und die Nase korrigieren zu lassen. »Ein zu schwerer operativer Eingriff. Außerdem: Du wirst dir jahrelang fremd sein.« 12000 Mark dafür, das kann ich mir auch nicht leisten. Er riet mir, meine Körpersprache zu verändern: »Zackig, knallhart, überrumpelnd.« – »Nicht so abwägend, defensiv und introvertiert.« – »Schau dir den BILD-Zeitungsreporter in der ›Katharina Blum‹ genau an. Der hat seine Rolle bei echten BILD-Journalisten abgeguckt.« Kehr den Sicheren raus, wo du unsicher bist, zeige dich stark, wenn du Schwäche spürst, hab immer eine vorschnelle Antwort parat, wenn du nach Erklärungen suchst. Denk daran: Sie fühlen sich so unheimlich mächtig und sicher mit ihrer ganzen Konzernmacht im Rücken, dass sie glauben, ihnen kann keiner mehr. Sie sind nicht mehr wachsam, die allzu Sicheren, weil sie sich seit 20 Jahren über alles hinwegsetzen, ohne Widerstand zu finden.
Ich bin jetzt Hans Esser, 30 Jahre, habe vorher Psychologie studiert, davor Betriebswirtschaft, leistungsorientiert, kapitalbewusst; ich komme aus der Werbung, sehe hier eine direkte Nahtstelle zu meiner neuen Karriere.
Der mich einführt: Alf Breull (28), früher Redakteur bei der sozialdemokratischen NHP (Neue Hannoversche Presse). Die Zeitung wurde von der SPD – da unrentabel – aufgegeben. Alf, verheiratet, Frau noch in der Ausbildung, Schulden am Hals, wurde arbeitslos. Die BILD-Zeitung investierte, expandierte; schmiss sich auf den brachliegenden Markt, suchte neue Leute, neue Leser. Alf schwor sich, nur so lange für BILD zu arbeiten, bis seine Schulden abgezahlt wären und seine Frau ihre Ausbildung als Sozialarbeiterin beendet hätte. Alf blieb seinem Grundsatz treu. Zwei Jahre machte er sich die Hände schmutzig. Keinen Tag länger. Zuletzt bot man ihm einen hoch dotierten Vertrag. Immer wieder. Denn Alf hatte Talent. Er war der »Dichter«, der beste Schreiber der Redaktion. Alf lehnte ab. »Nicht für 10000 Mark im Monat. Ich hatte zuletzt jede Selbstachtung verloren.« Alf ist jetzt wieder arbeitslos. Nicht alles und jeder hat seinen Preis!
Alf verschafft mir den Einstieg. »Damit möglichst viele BILD-Leser erfahren, wie ihre Zeitung eigentlich entsteht. Denn auch ich habe Nachrichten verfälscht, Berichte frei erfunden oder wichtige Informationen unterdrückt. Es kann nur jemand darüber berichten, der dieser Abhängigkeit nicht unterliegt«, sagt Alf.
Hannover, Bemeroder Straße, Druck- und Redaktionshaus sind durch hohe Zäune wie militärisches Gelände abgesichert. Schilder: »Betreten verboten. Eltern haften für ihre Kinder.« Ein Wachmann patrouilliert mit einem Schäferhund. Pförtnerloge, mit drei Mann besetzt. Schranke und automatische Türsperre. Vorsorgemaßnahmen gegen Studentendemonstrationen und Auslieferungsblockaden in kommenden Zeiten? Neutrale Wagen ohne Aufschrift verlassen im Morgengrauen unidentifizierbar das Druckhaus. (Mülltransportern gleich, die für Industriekonzerne aggressive Schad- und Giftstoffe klammheimlich auf wilden Deponien kostensparend ablagern.)
Der Pförtner notiert die Namen auf einem Passierschein und stempelt die Uhrzeit darauf. Einen Durchschlag behält er zur hauseigenen Kontrolle. Im Fahrstuhl ein Knopfdruck »5. Stock«, ein dezentes Surren, und wir stehen in der BILD-Etage. Mein Puls jagt, und im Hals würgt es. Alf zeigt mir die Toilette. Ein letzter prüfender Blick in den Spiegel. »Nein, ganz unbesorgt, das bin ich nicht, der mir da entgegenstarrt.« Im folgenden Einstellungsgespräch höre ich mich reden, als stünde ich neben mir; verwundert, erschrocken und in ständiger Furcht, erkannt zu werden. Wirklich, ich bin ein schlechter Schauspieler, so viel falsche Töne, so aufgesetzt, das kann doch nicht gut gehen. Aber auf den Redaktionsleiter scheint es Eindruck zu machen, er scheint kein besserer Schauspieler zu sein als ich. Diese gestelzten Floskeln und übertriebenen Redewendungen sind hier Umgangston. Die neuen Kontaktlinsen brennen in den Augen. Sie sind noch Fremdkörper. In der Nacht davor habe ich nur dreieinhalb Stunden geschlafen. Die verfluchten Dinger wollten nicht raus. Ich beherrsche die Technik des Herausnehmens noch nicht, quetschte am Augapfel, bis die Äderchen platzten. Jetzt tränen die Augen.
Ich weiche dem intensiv prüfenden Blick des Redaktionsleiters aus. Er lässt einen kommen. Oder hat er einen Verdacht? Ich versuche, mich mit einer Episode vom Vortag zu beruhigen: Da trieb ich mit einem Bekannten, einem Landwirt, der mich vor zwei Monaten zuletzt gesehen hat, ein grausames Spielchen als Training, um sicher zu werden. Ich sagte ihm, ich käme von der Kripo, Rauschgiftdezernat, und ginge einer Anzeige gegen ihn nach. Mitten in seinen Feldern würde er Cannabis zur eigenen Haschischherstellung anbauen. Jetzt würden wir ihm das Handwerk legen. Er hatte mir vor einigen Monaten von derartigen, allerdings misslungenen Versuchen erzählt. Er erkannte mich nicht, nahm mir den Kripobeamten ab.
»Mein Name ist Schwindmann, bitte, behalten Sie Platz.« Der Redaktionsleiter hat uns von seinem Schreibtisch und Aufsichtsplatz im Großraumbüro in sein angrenzendes Chefdomizil geleitet. Es verrät keine persönliche Note, hat keine besonderen Kennzeichen. Unpersönlich, wie eine Schaufenstergarnitur. Eine Flasche »Rémy Martin« steht auf seinem klotzigen Schreibtisch. Daneben ein Fernseher.
Schwindmann stürzt sich zunächst auf Alf: »Nun, wie ist’s? Willst du nicht wieder bei uns einsteigen? Das Angebot auf Festeinstellung gilt noch.« Alf (bestimmt): »Nein, vielen Dank, Herr Schwindmann, ich möchte lieber mein Studium zu Ende bringen.« Er lügt, um Schwindmann nicht zu brüskieren. Alf sieht sich nach zwei Jahren BILD-Arbeit außerstande, weiterzustudieren. »Ich brauche ein, zwei Jahre, um wieder zu mir zu kommen«, hatte er mir gesagt. Alf bringt mich ins Gespräch: »Dafür möchte ich Ihnen Hans Esser, einen früheren Studienkollegen, als meinen Nachfolger vorschlagen.«
Schwindmann: »Dann schießen Sie mal los und erzählen etwas über Ihren Werdegang.«
Hans Esser: »Von Herrn Breull erfuhr ich von der Möglichkeit, unter Umständen hier in seinen Fußstapfen anfangen zu können. Ich will mich verändern, bisher habe ich in der Werbung gearbeitet.«
Schwindmann: »Und wieso gerade Journalismus?«
Hans Esser: »Ich glaube, dass ich aufgrund meiner ganz speziellen Fähigkeiten – ich habe vor allem als Texter kurze, prägnante Werbesprüche entworfen – hier einen nahtlosen Übergang zum Journalismus herstellen kann. Ich sehe bei BILD das gleiche Prinzip wie in der Werbung: Verkürzte Aussage, durch Weglassen das Beabsichtigte herausmeißeln, in einer Kürzestfassung das Einprägsamste sagen. In der Werbung arbeiten wir mit vorher genau ausgetüftelten Kampagnen, um neue Produkte auf den Markt zu werfen. Nach dem Muster: a) Verwirrung stiften, b) Probleme herausarbeiten, c) Lösung der Probleme anbieten. Ich habe BILD immer schon mit einiger Bewunderung gelesen.«
Schwindmann scheint angetan: »Interessant, wie Sie das sehen. Haben Sie denn auch schon direkt im Journalismus gearbeitet?«
Hans Esser: »Ja, hier und da schon, aber mehr als Zulieferant mit Halbfertigprodukten. Andere haben den Stoff dann im Fernsehen ausgebaut und mit ihrem Namen versehen. Mich gibt’s von daher gesehen im Journalismus gar nicht.«
Schwindmann: »Das ist natürlich eine unangenehme Situation. Sie haben bei uns die besten Voraussetzungen, wenn Sie wirklich voll bei uns einsteigen und sich ganz unserer Sache verschreiben.«
Hans Esser: »Wichtig für mich ist, dass ich’s nicht nur vom Schreibtisch aus mache. Ich bin eigentlich kein Schreibtischmensch. Ich habe Ambitionen, rauszugehen, ins Geschehen reinzugehen, Reportagen vor Ort zu machen und mich der Wirklichkeit auszusetzen, auch ruhig mal im Dreck zu wühlen, wenn’s sein muss und anders nichts herauszuholen ist. Ich glaube, man kriegt dann auch viel mehr mit. Ich schreibe am liebsten über Dinge, die ich kenne, und über Menschen, die ich gesehen habe.«
Schwindmann: »Es ist ja schon sehr viel wert, wenn jemand das Material, was er so auf den Tisch kriegt, schreiben kann. Und da das ja alles keine Geheimnisse sind, die wir hier verbraten, müsste sich das ja lernen lassen.«
Hans Esser: »Ja, auch wenn es erst mal eine Durststrecke ist. Ich rechne auch nicht damit, dass ich mich von heute auf morgen so grundsätzlich umstellen kann.«
Schwindmann: »Das haben Sie in ein paar Monaten spätestens drauf. Das geht Ihnen so in Fleisch und Blut über, unser BILD-Stil, dass Sie gar nicht mehr anders können. Alf Breull ist das beste Beispiel dafür. Es hat sich anfangs einiges bei ihm dagegen gesträubt. Und nach vier Monaten war’s, glaub ich, bei dir, ist der Groschen gefallen, und seine Geschichten standen wie eine Eins. Waren ganz große Spitze!«(Alf gelingt es nicht, auf das »Kompliment« etwa freudestrahlend zu reagieren.)
Schwindmann (aufmunternd zu mir): »Prima, jetzt erzählen Sie mir ein bisschen was über Ihr Privatleben. Sind Sie verheiratet?«Er notiert: verheiratet, zwei Kinder. Name: »Hans Esser.« Alter: »Ich werde 30.«Reaktion: »Das ist ja ein gesegnetes Alter. Das ist ja fantastisch.« Er notiert meine Hannover-Adresse (ein gemietetes Zimmer) und Telefon.
Schwindmann: »Wir suchen in der Tat – der Alf Breull hat das richtig gesehen – einen Mann, der schreiben kann. Natürlich auch einen, der recherchieren kann. Und von daher würde ich sagen, das ist für Sie eine Chance, hier groß bei uns einzusteigen. Am besten gleich mitkriegen, wie der Hase läuft.«
Hans Esser: »Ja, prima. Wann kann’s losgehen?«
Schwindmann: »Am geschicktesten wäre es, wenn wir uns ein Thema überlegen, wo Sie gleich loslaufen könnten. Da wird uns schon irgendwas einfallen. Ja, das klingt alles recht vielversprechend, was Sie uns da erzählen.«
Hans Esser: »Gibt es Möglichkeiten, nach einer gewissen Zeit, auf eine Festanstellung?«
Schwindmann: »Die Möglichkeit ist durchaus drin.«
Hans Esser: »Ist es nicht so, dass Sie die Planstellen alle langfristig besetzt haben?«
Schwindmann: »Die Dinge sind im Fluss, und ganz abgesehen davon, dass immer mal wieder einer ausscheidet und dadurch eine Planstelle frei wird, ist es einfach so, dass wir uns erweitern müssen.«
Hans Esser: »Wie sind die Chancen, 50:50?«
Schwindmann: »Da würd ich mich nicht festlegen wollen. Das kann mal von heute auf morgen sein. Herrn Breull wollten wir immer einkaufen, aber der wollte ja nicht. Die Chance ist ihm ja lange genug offengehalten worden. Das kann genauso gut bei Ihnen sein.«
Hans Esser: »Es muss ja nicht gleich sein, ich habe eine gewisse Rücklage und will das wirklich hier systematisch aufbauen.«
Schwindmann: »Wenn Sie hier wirklich gut einsteigen, dann ist es sowieso für Sie keine Durststrecke. Da hat ja auch der Breull bei uns ganz gut verdient. Da liegt man als Fester unter Umständen noch drunter. Allerdings, Sie müssen sich schon ranhalten und wissen, dass wir hier sechs Tage in der Woche arbeiten und manchmal, wenn Sie Notdienst machen, sieben Tage. Nur die Festangestellten kriegen ihre freien Tage. Das müssen Sie alles in Rechnung stellen. Obwohl die Hälfte der Mannschaft hier in der Redaktion im Status der Freien ist. Was glauben Sie denn, welche Themen Ihnen liegen?«
Hans Esser: »Erst mal gehe ich von der Voraussetzung aus, alles ist ein Thema und überall steckt eine Geschichte drin. Fragt sich nur welche! Das herauszufinden, ist, glaube ich, die Kunst. Und das will ich hier ja gerade lernen. Ich würde mich also gar nicht so unbedingt von vornherein festlegen wollen.«
Schwindmann: »Und wo würden Sie sich am stärksten hingezogen fühlen?«
Hans Esser: »Geschichten aus dem menschlichen Bereich. Auch ganz kleine, scheinbar nebensächliche Dinge, die auf der Straße liegen, haben oft eine große Bedeutung, je nachdem, wie man sie herausstellt. Und gerade BILD lebt ja von solch scheinbaren Nebensächlichkeiten, die dann groß aufgemacht werden. Ich würde es als meine Aufgabe ansehen, sehr ins Detail zu gehen und auch viel mit Menschen zusammen zu sein, über die man nachher schreibt.«
(Während dieser Ausführungen wohlwollendes Kopfnicken und allgemeine Zustimmung von Schwindmann.)
Hans Esser: »Ich hab Psychologie studiert, ich bin ein guter Menschenkenner.«
Schwindmann: »Erzählen Sie mal ein bisschen Ihren Werdegang. Sie haben also Abitur gemacht?«
Hans Esser: »Ja, ich war danach dann freiwillig bei der Bundeswehr, ich war bei der psychologischen Kriegsführung.«
Schwindmann: »Psychologische Kriegsführung, das ist stark. Das ist ja spitze.«
Hans Esser: »Und ich hab darauf mein Studium aufgebaut. Psychologie und dann etwas Betriebswirtschaft. Und auch im Betrieb des Vaters eine Zeit lang gearbeitet, und nach dessen Tod hat mein Bruder den Betrieb übernommen, und ich hab mich auszahlen lassen. Und hab dann für eine Werbeagentur gearbeitet. Gleichzeitig aber auch schon mal Dialoge fürs Fernsehen gemacht. Nur, es hat mich immer mehr unbefriedigt gelassen; die Ideen haben gezündet, hatten Erfolg, nur, ich war als Schreiber gar nicht existent. Ich muss zugeben, ich hab da auch einen gewissen Ehrgeiz.«
Schwindmann: »Aha, aha, aha, es ist ja seltsam, dass das Fernsehen so den Deckel draufhält auf Talenten. Was für uns ja überhaupt nicht zutrifft, denn wer bei uns arbeitet und schreibt, der unterzeichnet auch mit seinem vollen Namen dafür. Hans Esser, klingt doch gut. Kurz und prägnant. Wenn auch die Artikel so sind, dann sind Sie unser Mann.«
Hans Esser: »Ja. Esser, wie Messer.«
Schwindmann stimmt ein herzhaftes verstehendes Lachen an, das von einem Telefonat unterbrochen wird:
Schwindmann (am Telefon): »Ja, ja, ja, oh, ja, ja, ja, irre. Mh, okay, wunderbar, klasse, prima, danke, tschüss.«
Schwindmann: »Warum kommen Sie auf die BILD-Zeitung? Weil Sie Alf Breull gut kennen?«
Hans Esser: »Nicht nur deswegen. Das wäre zu einfach. Ich glaube, dass BILD die perfekteste Zeitung ist, da sehe ich auch den nahtlosen Übergang von meinen bisherigen Erfahrungen bei der Werbung. In dieser äußerst knappen und verkürzten Darstellung steckt doch bei BILD in fast jeder Aussage eine Werbeidee. Auch bei uns in der Werbung verschwenden wir ja kein unnützes Wort und nutzen den knappen und teuren Platz, um mit möglichst wenig Worten den Konsumenten am effektivsten zu motivieren.«
Schwindmann: »Ja, prima, Herr Esser. Ich sehe, Sie gehen den Dingen auf den Grund. Wenn Sie dann auch noch flott und locker die Sachen runterschreiben, und wenn’s drauf ankommt knallhart, alles andere muss sich dann aus dem Zusammenarbeiten hier in der Redaktion ergeben. Ich glaube eigentlich, dann sollten wir schon mal richtig einsteigen.«
Hans Esser (kleinlaut): »Wenigstens mal versuchen.«
Schwindmann: »Ich hoffe, dass mir auf die Schnelle irgendein Thema für Sie einfällt, da können Sie dann gleich rangehen. Okay, das wär’s dann.«
Ich soll also »einsteigen«, um »knallhart« zu »verbraten«. Wenn ich »knallhart« genug »eingestiegen« bin und verbraten und verkauft habe, soll ich später die Chance erhalten, selber »eingekauft« zu werden. Der Jargon erinnert an die Ganovensprache: Dreh’n wir zusammen ’n Ding! Steigste mit ein? Und wenn das Ding gedreht ist, kaufen wir dich zur Belohnung samt Beute mit ein. Überhaupt, wie formlos das ganze Einstellungsgespräch abläuft. Ich wundere mich. Weder Unterlagen noch Papiere werden zur Vorlage verlangt. Aber auch hierin scheint eine höhere Logik zu liegen.
Etwa die Hälfte der Kollegen hier arbeitet nach diesem Status als Freie. Vogelfreie! Sie kommen in der Regel früher und sind oft die Letzten, die gehen. Sie haben keinen schriftlichen Vertrag, keinen Urlaubsanspruch, keine Sozialleistungen, keinen Kündigungsschutz. Sind auf Gedeih und Verderb der Willkür des Redaktionsleiters ausgeliefert und von seiner Gunst abhängig. Sie stehen in einer unheimlichen Konkurrenz zueinander.
Schwindmann weist mir einen vorläufigen Arbeitsplatz in der Großraumredaktion zu. »Da ist im Moment der Platz von der Eleonora frei, neben der Edeltraut, gegenüber vom Hai.«
Schwindmann duzt seine Leute, nennt sie beim Vornamen, sie allerdings würden das »Du« nie zu erwidern wagen, sie reden ihn respektvoll mit »Herr Schwindmann« an. Es fällt auf, dass Schreibtische, zum Beispiel der von Schwindmann, mit CDU-Aufklebern bestückt sind in Kombination zu Werbeplakaten für Karateklubs. Obwohl, wie Alf mir gesagt hat, hier durchaus nicht nur CDU-Anhänger und -Wähler arbeiten, ist nicht ein einziges SPD-Schildchen zu sehen.
Schwindmann hat mich auf ein »Evergreen-Thema« angesetzt. »Die Kleingärtner.« – »Jeder Sechste unserer Leser kreucht im eigenen Garten herum.«
Laut Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 25.1.1984 darf ich meine eigenen Erfahrungen in einer BILD-Redaktionskonferenz nicht mehr veröffentlichen – eine Entscheidung, die ich respektiere: Journalisten, insbesondere wenn sie kritischen und aufklärerischen Prinzipien verpflichtet sind, müssen auch in einem der Öffentlichkeit nicht zugänglichen Schutzbereich agieren können.
An dieser Stelle soll ein BILD-Redakteur zu Wort kommen, der die damalige Situation aus langjähriger Erfahrung schildert:
»Ich saß in einer sogenannten Großraumredaktion zusammen mit den Kollegen unter der Aufsicht des Nachrichtenführers, der intern Nafü genannt wurde, den Kontakt mit der Zentralredaktion in Hamburg hielt, Anrufe von außen entgegennahm und die Reporter einsetzte.
Hauptmerkmal der Redaktionsarbeit war ein eisenharter Konkurrenzkampf.
Ich musste an Geschichten rankommen.
Innerhalb von zwei Stunden musste ich dem Nafü mein Angebot machen, das bedeutete, ihm die noch nicht ganz ausrecherchierten Geschichten im kurzen Überblick zu schildern. Der Nafü war das erste Sieb, mit dem die Geschichte auf ihre BILD-Tauglichkeit geprüft wurde. Als Erstes fragte er immer: ›Wo ist der Gag?‹
Hatte die Geschichte keine überraschende Pointe, dann erklärte er kategorisch: ›Die kannste vergessen!‹ War der Ansatz der Geschichte brauchbar, nur eben der Gag nicht dabei, dann gab er mitunter Empfehlungen, wie der Gag eventuell in die Story kommen könnte: ›Weißt du, wenn jetzt der Mann seine Frau anzeigen würde, dann wäre das eine herrliche Geschichte. Ruf ihn doch mal an, vielleicht will er sie tatsächlich anzeigen.‹
So sah man eben zu, dass man für das 11-Uhr-Angebot etwas hatte, und blies notfalls einen kleinen Fisch etwas auf. ›Aus Scheiße Gold machen‹ hieß das in der Kollegensprache, heute würde ich es nennen: ›Menschen wie Scheiße behandeln‹.
Nachdem der Nafü sein Angebot von den einzelnen Redakteuren eingesammelt hatte, rief ihn die Zentralredaktion an, um von ihm das Angebot unserer Außenredaktion entgegenzunehmen. Das war das zweite Sieb.
Für den Nafü kam es darauf an, unsere Themen wie ein billiger Jakob in den leuchtendsten Farben anzupreisen, denn ebenso wie er boten zur gleichen Zeit auch die Nafüs der anderen fünf Außenredaktionen ihre Storys an. Und alle Geschichten konnten nicht genommen werden, das war klar.
Durch dieses Anpreisen aber werden die meistens noch gar nicht ausrecherchierten Geschichten aufgebauscht, ein Trend wurde festgelegt, den die Recherche nicht ergeben hatte, und oft verlangten auch die Nachrichtenredakteure in der Zentrale vom Nafü eine bestimmte Wendung innerhalb der Geschichte, ohne die sie die Story nicht akzeptiert hätten. Der Nafü ließ sich meistens darauf ein, meist ohne mit dem Reporter gesprochen zu haben, weil er wiederum ein Interesse hatte, dass möglichst viele Themen seiner Mannschaft von der Nachrichtenredaktion in der großen Mittagskonferenz vorgetragen werden. Das war sein Job und sein Erfolg.
Inzwischen ging der Konkurrenzkampf in der Zentralredaktion weiter, denn dort wetteiferten die Nachrichtenredakteure, die die Nafüs der verschiedenen Außenredaktionen abgerufen hatten, bei ihrem Ressortchef um eine günstigere Platzierung ihres Angebots in der Mittagskonferenz. Das dritte Sieb.
Die 12-Uhr-Konferenz der Zentrale, bei der sämtliche Ressortleiter der BILD-Zeitung (Politik, Nachrichten, Sport, Allgemeines, Auto etc.) der Chefredaktion ihre Themen anbieten, wurde über eine Telefonschaltung in alle Außenredaktionen wie eine Rundfunksendung übertragen. Wir sitzen gespannt um einen kleinen Telefonlautsprecher und warten, dass auch von uns ein paar Themen mit einem möglichst guten Listenplatz, das heißt am Anfang, angeboten werden.
Der Nachrichtenchef in der Zentrale trägt zuletzt vor. ›Frankfurt‹, sagt er, bevor er den ersten Punkt seines Angebots vorliest, und es klingt wie eine Auszeichnung. Vor jedem Thema wird der Name der zuständigen Außenredaktion genannt. Der einzelne Journalist, der die Geschichte entdeckt hat, recherchiert und letztlich verantwortet, spielt keine Rolle mehr. Sein Angebot gilt jetzt als Leistung seiner Außenredaktion, beziehungsweise liegt es nun an ihr, dass die Geschichte so geliefert wird, wie sie angeboten wurde.
Nach der Konferenz, die im Grunde keine ist, weil es keine Diskussion und keine Besprechung gibt, sondern nur ein Vortrag von Befehlsempfängern, werden die Leiter der Außenredaktionen noch pro forma über die Telefonschaltung zu Themenvorschlägen für die erste Seite aufgefordert. Der Chefredakteur, der letztlich allein entscheidet, hört meistens gar nicht mehr zu, wenn die Außenstellen antworten.
Um 13 Uhr kommt der Fahrplan in die Außenredaktionen: Das ist ein Fernschreiben, auf dem bereits die Themen-Einteilung der einzelnen Seiten mit der entsprechenden Zeilen-Zahl festgehalten ist.
Ich habe Glück. Meine Geschichte ist mit 40 Zeilen im Blatt. Ein Erfolg, den von über hundert Außenredakteuren im ganzen Bundesgebiet täglich nur zehn bis fünfzehn Leute haben, denn mehr Nachrichten-Geschichten werden selten genommen, weil auch die übrigen Ressorts ihren Platz beanspruchen.
Jetzt müssen die Recherchen so angestellt werden, dass sie das gewünschte und meistens vorweggenommene Ergebnis bringen. Alles, was davon abweicht, wird beiseitegeschoben. Es geht in den meisten Fällen gar nicht mehr darum, herauszufinden, was wirklich passiert ist, sondern nachträglich das zu erhärten, was man sich selbst, was sich der Nafü und der Nachrichtenredakteur in der Zentrale als mögliche und machbare BILD-Geschichte ausgedacht haben.
Das war nicht immer leicht. Ich musste die Leute gegeneinander ausspielen oder sie mit angeblichen Polizeiinformationen irritieren. Notfalls konnte man auch etwas Druck ausüben und versteckt mit der Nennung des vollen Namens drohen. Oder man lockte mit einem Informationshonorar. Meistens aber waren die Leute am Telefon ohnehin unsicher und eingeschüchtert, wenn die BILD-Zeitung anrief, und ließen sich in die gewünschte Richtung führen.
Bevor die Geschichte fertigrecherchiert, geschrieben und zur Zentrale getickert ist, werden dort die Seiten-Layouts und die Überschriften gemacht. Da kann es schon passieren, dass die vorgefertigte Überschrift mit der Geschichte nicht mehr übereinstimmt. In so einem Fall ruft der Nachrichtenchef vorwurfsvoll an: ›In Ihrem Angebot hieß es doch, dass der Mann seine Frau anzeigen will. Jetzt ist davon keine Rede mehr. Wenn Sie das nicht so halten können, fliegt die Geschichte aus dem Blatt.‹ Ich berate mich mit dem Nafü. Der überzeugt mich: ›Komm, die schöne Geschichte können wir nicht sterben lassen. Hast auch lange nichts mehr im Blatt gehabt. Du hast doch mit dem Mann telefoniert. Hast ihn eben so verstanden, dass er seine Frau anzeigen will. Wenn es Schwierigkeiten gibt, habe ich neben dem Telefon gestanden und mitgehört, klar!‹
Die Geschichte kommt also ins Blatt. Sie hat zwar inzwischen kaum mehr etwas mit dem zu tun, was ich verfasst hatte, denn mein Manuskript hatte zuerst der Nafü umgeschrieben, dann wurde es in der Zentralredaktion nochmals verändert und gekürzt. Von mir stammt eigentlich nur noch der Name, der darüber steht.«
Hans Essers erster Einsatz als BILD-Reporter – bei den Kleingärtnern Hannovers
In der Redaktionskonferenz entsteht die tägliche klebrige Mischung. Halbwahrheit, Fälschung, offene und versteckte Werbung, verlogener Sex und heuchlerischer Crime. Die von einem Redakteur so bezeichnete »hässliche dicke Alte« wird dann noch ins Blatt gehievt, gerade so groß wie der Fuß des Seitenfotos, das betitelt wird: »Eine verführerische Fee in einem Hauch von Schwarz«. Die »hässliche dicke Alte«, Gewinnerin des Urlaubspreisausschreibens, die Laborhelferin Edith R. – sie ist übrigens erst 40 –, wird für BILD dann doch noch »attraktiv« gemacht: Indem man ihr die Geldscheine des Gewinns (777 Mark) auf Brust, Arme, Schultern und Kopf klebt. Ein briefmarkengroßes Foto, entwürdigend und verächtlich machend. BILD-Unterschrift: »Glücksreporter Klampf heftet der strahlenden Gewinnerin das Geld an den Pullover«. Das schräg darunter platzierte Seitenfoto der »knackigen Jungen« ist mit einer täglich neu erdichteten BILD-Unterschrift versehen: »In einen Hauch von Schwarz gehüllt, wartet Eva, 23, auf ihren Freund. Kein Wunder, wenn Klaus oft spät noch ausgeht, um aus einem Lokal noch Essen zu holen. Zu Hause ist es wieder einmal angebrannt …« Besonders mies daran ist nicht allein, dass es erlogen, sondern dass es verlogen ist. Der gepflegte Körper in verführerischer Wäsche – welche BILD-lesende Hilfsarbeiterin sehnte sich nicht danach, so anziehend zu sein. Aber BILD tröstet sie: Sie ist vielleicht nach harter Arbeit abends »kaputt und hässlich«, doch ihr Mann muss nicht in die Kneipe, weil zu Hause wieder das Essen angebrannt ist. Nein, sie kocht gut und macht damit ihre erarbeiteten »körperlichen Mängel« wieder wett. So hält sie ihren Mann, der sich am BILD-Hauch von Schwarz aufgegeilt hat, an ihrer Seite. Dank BILD.
Darunter Dieter Thomas Heck am BILD-Telefon. Mit Pelzmäntelchen und Manager kam er in die Redaktion stolziert, um eine Stunde lang BILD-Lesern Rede und Antwort zu stehen. Und wenn die Anrufe der Leser ausblieben, weil sie vielleicht gerade andere Sorgen haben, die ihnen Herr Heck oder der jeweilige Show-Experte nicht beantworten kann, helfen BILD-Redakteure aus und rufen von einem Seitenflügel des Großraumbüros über die Zentrale den Star als Leser unter anderem Namen an und stellen die Fragen gleich BILD-gerecht.
Auf der gegenüberliegenden Seite von Dieter Thomas Heck, gleich groß aufgemacht, ein anderer »Heck-Meck«. Verschleierte Werbung unter dem Emblem »Hannover-Sound«. In einem kleinen, scheinbar harmlosen Artikelchen gleich vier Werbeklöpse. Da ist von »glutäugigen, braunen Schönheiten aus der Karibik«, den »Ebonys«, die Rede. Von ihrem Auftritt in der »Pick-Nick-Gasse« und einem »Schlemmeressen im ›Clichy‹«. Von glücklichen Gewinnern eines BILD-Hannover-Preisausschreibens, die der »Chef der Diskothek, Nick Müller-Hermann, aus der großen Lostrommel gezogen« habe. Nebenbei erfährt man dann noch, dass eine »Hannoversche Jazz-Band einen duften Urlaub in Gran Canaria« verbracht hat. Mit dem Reiseunternehmen »TUI«. Der Artikel ist reine Schleichwerbung. »Pick-Nick«-Diskothekenbesitzer Nick Müller-Hermann ist der Duzfreund von Redaktionsleiter Schwindmann. Seine Unternehmen sind ständig im Blatt. Ein BILD-Schreiber verlor beinahe seine Stellung wegen Nick Müller-Hermann. Weil es der BILD-Klatsch-Kolumnist Frieder Sprotte gewagt hatte, das Verhältnis des Redaktionsleiters zum Diskotheken-Nick drastisch zu interpretieren. In einem Lokal, in dem Nick Müller-Hermann mit Schwindmann gerade feierte, fand der BILD-Untergebene – durch Alkohol ermutigt – starke Worte: »Du lässt dich ja auch nur aushalten!«
Wie zur Bestätigung verlangte Schwindmann von Sprotte, sich zu entschuldigen. Bezeichnenderweise nicht bei ihm, sondern bei Nick Müller-Hermann. Um seine Stelle zu behalten, setzte sich Sprotte am nächsten Tag in der Redaktion hin und entwarf den Entschuldigungsbrief. Bevor er ihn abschickte, legte er ihn Schwindmann vor, auf dass er sein »Okay« gab.
Auf der gleichen Seite, unter der Rubrik »Hannover-Sound«, eine weitere große Werbeaktion für ein Schuhgeschäft. Drei attraktive Fotos sollen BILD-Leserinnen zum Kauf unverschämt teurer Sandaletten verleiten. Der »Schuhsalon Arno Trampler« liefert das Fotomodell, BILD macht’s seinen Leserinnen schmackhaft: »110, 150 und 199 Mark« für ein paar Riemchen mit Absatz. Noch vier weitere versteckte Werbeartikel am gleichen Tag für Modehäuser, und in der täglichen Kolumne »Stadtgespräch« wird über den Umweg des 13-jährigen Sohns von CDU-Ministerpräsident Albrecht für den Papa und für Jägermeister-Sirup gleichzeitig Reklame gemacht: »Holger Albrecht (13), der Sohn von Niedersachsens Ministerpräsident Dr. Ernst Albrecht, spielt jetzt im Trainingsanzug von Eintracht Braunschweig Fußball. Jägermeister-Chef Günter Mast (50) hat dem jungen Fußballfan den begehrten orange-grünen Anzug mit dem Hirschkopf geschenkt, weil Holger am Sonnabend beim Spiel gegen den HSV so begeistert von den Eintracht-Kickern war.«
BILD-Reporter Uwe Klöpfer geht »vor Ort«. »Ich geh jetzt zu den Stammhirnjägern«, strahlt er. Warum freut er sich so? Was für Jäger und wessen Stammhirn? »Spezialtruppe, sie schießen sich ihre Todeskandidaten aus 100 Meter Entfernung raus. Ein Schuss – bums, aus.« Klöpfer bekommt jagdlüsterne stiere Augen. »Bei Geiselnahmen oder Terroraktionen. Ein einziger Schuss direkt ins Stammhirn und alle Reflexe verlöschen. Ganz fantastische Jungs.« Will Klöpfer mich, den Neuen, testen und provozieren. Warum feixt er so?
»Es sind wahrscheinlich Narkosewaffen«, versuche ich abzuschwächen, um die Situation zu entkrampfen. Aber Klöpfer weiß, wovon er redet. Er widerlegt mich sogleich. Grinsend: »Ja, sicher, aber lebenslängliche Narkose!«
(Zwei Tage später ist sein Bericht »Im Ernstfall haben sie einen Schuss, der muss sitzen – So trainiert Niedersachsens Elitetruppe gegen Terror- und Kapitalverbrecher« halbseitig im Blatt.)
Nach seinem Lokaltermin bei den »Stammhirnjägern« kommt er mit einem der Ausbilder zurück. Er führt ihn und dessen Pistole vor. Er hat keinen Abstand mehr zu seinem Thema, er identifiziert sich längst mit dem Job des Todesschützen. Auch die anderen kommen hinzu und legen gleich eine Geilheit an den Tag, auch mal so ’n Ding in die Hand nehmen zu können.
»Ein Mittel, um provozierte Ängste und daraus sich ergebende Aggressionen zu verarbeiten, ist die aggressive Haltung, die BILD oft an den Tag legt.
Einfluss und Macht der Zeitung, Mut und Entschlossenheit, die teilweise als rücksichtslos und brutal erlebte Härte und Durchschlagskraft geben dem Leser die Möglichkeit, sich mit diesem überlegenen Angreifer zu identifizieren, in BILD die Realisierung dessen zu erleben, was ihm selbst immer unmöglich sein wird zu verwirklichen.«
»BILD verkörpert für die Leser eine Instanz, die dafür sorgt, dass alles mit rechten Dingen zugeht und der Einzelne gegenüber der gesellschaftlichen Apparatur nicht den Kürzeren zieht. In diesem Sinne ist BILD Berichter und Richter zugleich.«
(Aus einer vom Springer-Verlag herausgegebenen Analyse der BILD-Zeitung)[2]
Inhaltsverzeichnis
BILD lebt von Superlativen. Das Größte, Kleinste, Ärmste, Reichste, Dickste – was sich so nennen lässt, ist eine BILD-Geschichte. Schwindmann hat mir gesagt: »Wichtig ist, dass Sie sich Geschichten ausdenken.« Er selbst ist nicht gerade von Fantasie besessen, er spielt den Zuchtmeister, der durchs Büro schreitet und die Leute auf Vordermann bringt: »Schreiben, schreiben, schreiben!«
Ein einziges Mal während meiner Zeit in Hannover erlebe ich, dass Schwindmann selbst schreibt. Anlässlich einer Opern-Aufführung »Rigoletto« – von den anderen Zeitungen positiv besprochen – bricht sein Temperament mit ihm durch: »Was mit der Peitsche hätte einstudiert werden müssen, bleibt lasch und ohne Energie.«
Ich weiß bald, was ich zu tun habe. Schon an meinem zweiten Arbeitstag biete ich einen Superlativ an: das höchste Haus Hannovers. Irgendwo habe ich gelesen, dass Kinder, die in Hochhäusern wohnen, besonders aggressiv werden, weil sie keine Spielmöglichkeiten haben. Mein Arbeitstitel heißt: Wie lebt man in Hannovers höchstem Wohnhaus. Die Idee wird sofort akzeptiert. Ich werde losgeschickt.
Nun leben aber in den oberen Etagen dieses Hochhauses gar keine Kinder, sondern nur kinderlose Pärchen und Alleinstehende. Dafür stehen vierzig Prozent der Wohnungen leer. Das Haus, dessen Erstellung durch eine holländische Gesellschaft die Stadt Hannover durch finanzielle Erleichterungen gefördert hat, ist völlig an den Bedürfnissen der Bewohner vorbeigebaut. Die obersten Stockwerke mit ihren herrlichen Penthouses und Appartements stehen zum Teil schon seit Jahren ganz leer, die vielen Wohnungssuchenden können keine 450000 Mark für eine Eigentumswohnung ausgeben.
Weil diese Wohnmaschine nun also halb leer steht, gerät die Baugesellschaft finanziell in die Klemme. Sie muss an allen Nebenkosten, wie Heizung und Pflege, sparen. Und so ist dieses ziemlich neue Hochhaus schon am Verkommen.
Das ist die Geschichte, die ich recherchiert habe, die wirkliche Geschichte vom höchsten Haus Hannovers. Doch es sollte nicht die BILD-Geschichte sein. Der Redaktionsleiter schickt mich noch mal hin, um mit einigen Prominenten zu reden, die dort wohnen. Da gibt es zum Beispiel einen Fußballspieler – aber der ist nicht da. Dann ein Fotomodell, das schon einmal in BILD gezeigt worden ist. Als ich komme, zieht sie sich gleich ihr exotischstes Kleid an, und ihr Freund sorgt dafür, dass sie sich in fotogene Pose setzt, damit ihr Bild vielleicht noch mal in BILD erscheine. Ich frage auftragsgemäß, was es denn – da es nun mal keine Kinder in diesen hohen Etagen gibt – sonst hier oben Besonderes gebe. Der Freund des Fotomodells – seine Zitate werden später ihr in den Mund gelegt – erzählt, dass sich bei Sturm manchmal der Kronleuchter bewegt, dass die Gläser in den Schränken zittern. Der Mann, ein Beamter, der nicht genannt werden will, hat den richtigen BILD-Instinkt und bejaht auch sofort meine Frage, ob sich denn dann auch stehendes Wasser kräusele.
Zurück in der Redaktion schreibe ich dann zunächst ein langes Manuskript, um doch noch einiges von dem unterzubringen, was ich bei meinem ersten Besuch im Hochhaus erfahren habe. Der Redaktionsleiter liest es und meint: »So nicht, Sie müssen mit einem Kontrast anfangen … Aber das lernen Sie noch.« Und dann legt er los, richtig lyrisch: »So lebt man in Hannovers höchstem Haus: Bei Sturm schwappt das Wasser aus der Badewanne. Zu den Füßen ein glitzerndes Lichtermeer und darüber …«
Das Wasser kräuselt sich, »das Wasser schwappt aus der Badewanne« – es geht blitzschnell, eine Umdrehung mehr, und aus der Wahrheit ist die BILD-Geschichte geworden, das Aufregende, das Prickelnde. Der Superlativ: Das höchste Haus. Der Kontrast: Ein traumhafter Blick und ein überschwemmtes Badezimmer. Die handelnde Person: ein Fotomodell. Das ist das Strickmuster. Man lernt schnell, dass ein Kontrast kein Widerspruch sein darf. Ein Widerspruch wäre gewesen: Von der Stadt, von den Steuerzahlern gefördert – von ein bisschen Schickeria genutzt, ansonsten dem Verfall preisgegeben. Widerspruch löst Gedanken aus, der Kontrast bloß Stimmungen.
»BILD ist auch ein Mittel gegen Langeweile, hilft über das Unvermögen hinweg, mit der Welt, die einen umgibt, etwas Vernünftiges anzufangen.«
(Aus einer vom Springer-Verlag herausgegebenen Analyse der BILD-Zeitung)
Was schließlich gedruckt wird, ist eine Farce, die in jedem anderen Umfeld als dem der BILD-Zeitung auch als solche erkennbar wäre. Die Wahrheit, so erfuhr ich, als ich meine ersten Recherchen vortrug, war für BILD »zu düster«.
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Bei BILD gibt es nicht Ressorts wie bei anderen Zeitungen, wo Leute sitzen, die sich in spezielle, komplizierte Fachgebiete einarbeiten. Hier schreibt jeder über alles, er muss von der Sache, um die es geht, nichts verstehen, er muss nur »die Geschichte« sehen: Die Kuriosität, die Abnormität, die drinsteckt, und sei es noch so sehr am Rande, entdecken und »aufblasen«. Nicht der Anlass, der Vorgang interessiert, sondern das, was ein gewichster Typ daraus macht. Lässt sich einem Mord, Selbstmord oder Unfall kein monströser oder abstruser Seitenaspekt abgewinnen, sagt der Redaktionsleiter: »Wo ist die Geschichte? Ich sehe die Geschichte nicht!«
Am 11. März sieht er eine Geschichte: Eine Zehn-Zentner-Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg ist gefunden worden. Ich werde losgeschickt. Ein Räumkommando hat die Bombe zum Entschärfen auf einen Truppenübungsplatz gebracht, der von Feldjägern hermetisch abgeriegelt ist. Vor der Absperrung viele Journalisten, keiner kommt durch. Ich muss aber, so lautete mein Auftrag, mit dem Mann, der die Bombe transportiert hat, ein Interview machen.
Ich sage den Feldjägern also, dass ich von der BILD-Zeitung komme, man wisse ja, in welchem Sinne wir berichten würden, im Übrigen hätten wir gute Kontakte zu den Vorgesetzten, und wenn wir nicht reingelassen würden, könnte das sehr unangenehm für alle Beteiligten werden. Nach einigem Hin und Her, es wird wohl beim Standortkommandanten nachgefragt, darf ich ins Sperrgebiet – ohne irgendeinen Ausweis gezeigt zu haben, auf bloßes Drohen mit der BILD-Macht. Feldjäger eskortieren mich bis an die Bombe.
Ich mache also mein Interview. Es erscheint am 12. März unter dem Titel: »Der Mann, der die Bombe transportierte: ›Wir bekommen keine Gefahren-Zulage‹«. In meinem Text habe ich auch beschrieben, dass die Polizei bei der Räumung des Bomben-Fundorts eine alte, schwerhörige Frau übersehen hat, die unmittelbar neben dem Blindgänger wohnt. Die Frau hat während der Räumung sogar am Fenster gestanden. Das darf nicht erscheinen.
Originell, BILD-gemäß, weil gruselig, wäre die Geschichte schon gewesen. Aber – und das ist, wie ich lernen sollte, BILD-ungemäß, es hätte auf die Verantwortlichen der Polizei ein schlechtes Licht geworfen. Ich hatte den Fahrer der Bombe nicht nur nach seinen Gefühlen, seiner Angst gefragt, sondern auch danach, wie er zu diesem Beruf gekommen war. Er und sein Kollege waren vorher Arbeiter, der eine bei VW, der andere Heizungsmonteur. Beide mussten sich wegen Kurzarbeit eine zusätzliche Verdienstmöglichkeit schaffen und hatten sich diesem Todeskommando (denn irgendwann geht ja doch mal so ein Blindgänger hoch) verdungen. Das habe ich auch geschrieben. Es wird gestrichen. Ein Redakteur meint: »Was die Arschlöcher vorher gemacht haben, interessiert ja überhaupt keinen.«
Wichtig ist: Ich habe zum ersten Mal die Macht von BILD in mir selbst gespürt: Ohne Ausweis, vor den Augen ausgesperrter Kollegen von einer Feldjäger-Eskorte auf militärisches Sperrgebiet geleitet, weil es keiner riskieren wollte, sich mit BILD zu überwerfen.
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